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Neuntes Capitel.


Frau Artefeld hatte Elisabeth seit der Verheirathung derselben nicht wiedergesehen. Drei Kinder waren dieser geboren, zwei davon gestorben – die Kaufmannsfrau hatte nicht Zeit und Muße gefunden, Freude und Leid der Tochter zu theilen, und diese nicht nach dem Trost und der Theilnahme der Mutter verlangt.

In Elisabeth's Herzen war das Band zerrissen, wie manches andere auch. Mit ziemlicher Apathie war sie seitdem durch das Leben gegangen. So mußte es wenigstens den Blicken Anderer erscheinen.

Jetzt war diese Apathie aber doch einigermaßen erschüttert, und nicht ohne Widerstreben fügte sie sich in ihres Mannes Entschluß, die Heimath zu verlassen, als dessen lang gehegter Plan, nach dem Tode des Vaters sein Geschäft aufzulösen und sich mit seinem Schwager Thomson in Newyork zu associiren, der Ausführung entgegenging.

Ihr Widerstand half ihr nichts. Ihr Schwiegervater lag kaum ein Jahr unter der Erde, als Eisenhart mit Allem fertig war, was ihn noch an die Heimath knüpfen konnte. Haus und Mobiliar wurden verkauft, seine Geschäftsverbindungen gelöst, der Zeitpunkt der Abreise war schon auf den nächsten Sommer festgesetzt, bis dahin wollte er mit Frau und Kind noch in's Seebad nach Häringsdorf gehen, dann einen Abschiedsbesuch bei Frau Artefeld machen und hierauf der Heimath für immer Lebewohl sagen. Er war früher mit allen Obliegenheiten fertig geworden, als er anfänglich geglaubt. Er hätte schon im Frühjahr reisen können, fürchtete es aber der Stürme wegen. So beschloß er denn, für die Zeit nach Häringsdorf zu gehen, denn obgleich ihm eine Wohnung in seinem Hause noch bis zur Abreise gesichert war, zog er doch den Aufenthalt im Seebade des billigeren Lebens wegen vor, um so mehr, als er seine Dienstboten, die ihm in der Stadt doch nöthig waren, dann um so früher entlassen konnte. Die alte Dorothee, die, wie wir wissen, Elisabeth begleitet und bis jetzt den Posten eines nützlichen, ja unentbehrlichen Allerleis behauptet hatte, erklärte sich auf Elisabeth's flehentliches Bitten, wie auch dem eigenen Herzen folgend, bereit, der Familie über die See zu folgen. Das war Elisabeth's einziger Trost, und sie fügte sich von da an williger. Nur einen Wunsch versuchte sie noch durchzusetzen, wenn auch vergeblich.

Moritz wollte ihr nicht erlauben, vor ihrer Abreise noch einmal ihre geliebte Schwester Flora wiedersehen zu dürfen. Er fand jeden Abschied, der die Abreise erschweren mußte, unnütz, ja schädlich, er wollte seiner Frau auch die Ausgabe nicht gestatten, die mit der Reise zu ihrer Schwester verbunden sein würde.

Wir suchen Elisabeth in einem Augenblick auf, in dem sie gerade wieder ihren Mann mit Vorstellungen über den streitigen Punkt bestürmt hatte.

»Will sie Dich sehen, kann sie zu unserer Einschiffung kommen,« wies Moritz sie auf's Neue ab, »auf einige achtzig Meilen Entfernung macht man nicht Abschiedsbesuche, wenn es nicht der Anstand durchaus erfordert. Was sollen wir auch da in der schäbigen Wirthschaft? Glaube mir, die Leute haben Noth genug, mit dem Haus voll Kinder durchzukommen, es ist viel besser, wir machen ihnen die Ausgabe nicht.«

Vergebens wandte Elisabeth ein, daß die Familie, wenn sie auch nicht reich sei, doch ihr gutes Auskommen habe, daß, abgesehen von ihrer und Flora's Liebe zu einander, es doch auch eine unbeschreibliche Unfreundlichkeit sei, ganz aus dem Lande fortzugehen, ohne seinen nächsten Verwandten Lebewohl zu sagen, daß es in einem solchen Falle auf den Kostenpunkt nicht ankäme, Moritz Eisenhart blieb bei seiner Meinung.

»Flora ist so glücklich, ich hätte gern einmal eine glückliche Familie in der Nähe gesehen!« bemerkte Elisabeth bitter.

Moritz sah sie erstaunt an.

»Was das wieder für eine Schwärmerei ist, Kind!« sagte er, »sind wir etwa nicht glücklich? Woran fehlt's denn? Nennst Du das ein Unglück, daß just nicht Alles geschieht, was Du willst? Das ist nur in der Ordnung, es kann nicht Alles nach dem Kopfe der Frau gehen, denn die Frauen haben immer schwärmerische Gedanken und die Männer müssen für sie mit vernünftig sein. Ich dächte übrigens, ich wäre der gefälligste und liebenswürdigste Ehemann, den es nur geben kann. Gebe ich Dir nicht ein sehr anständiges Nadelgeld und lasse Dich damit machen, was Du willst? Mache ich Dir nicht sehr noble Geschenke? Sehe ich etwa das Geld an, wenn es darauf ankommt, Staat mit meiner hübschen Frau zu machen? Habe ich Dich nicht lieb? Sage ich Dir je ein unfreundliches Wort? Bin ich nicht im Hause mit Allem zufrieden? Störe ich Dich je in Deinen kleinen verdrehten Liebhabereien? Lasse ich Dich nicht bogenlange Briefe an Flora schreiben, obgleich das Postgeld theuer genug ist? Ja, ich schenke Dir sogar noch das Papier dazu und das feinste, keine Deiner Bekannten hat so gutes, wette ich, und hast Du nicht das elegante blau gebundene Buch mit Goldschnitt, wo Du Gedichte und solch' Zeug hineinschreibst, hast Du das nicht auch von mir?«

Elisabeth konnte alle diese Dinge nicht leugnen.

»Worin sind wir denn nun also unglücklich?« fuhr er fort. »Etwa deshalb, weil wir uns mitunter zanken? Liebes Kind, wo sind denn die Eheleute, die das nicht thun? Man kann nicht immer einer Meinung sein, auch wenn man sich noch so sehr lieb hat!«

Diesen letzten Satz gab Elisabeth zu; was den Punkt des Streitens betraf, den er wie so viele Andere fast für eine Nothwendigkeit zu halten schien, so sagte sie in Beziehung darauf nur:

»Es ist freilich unnütz, wenn man doch einmal mit den Wölfen heulen muß, hinterher über sein eigenes Geheul noch zu weinen.«

»Was meinst Du damit?« fragte er.

»Ich meine,« sagte sie, »daß man entweder so viel Kraft haben sollte, Dinge, die man verabscheut, nicht zu thun, oder, wenn man das nicht kann, wenigstens nicht so schwachherzig sein dürfte, sich darum zu grämen.«

»Um unsere kleinen Zänkereien uns grämen?« unterbrach er sie, »nein, wahrhaftig, Kind, das wäre Thorheit! Zanke Du mich meinetwegen immer einmal aus, und lasse Dich von mir schelten, deshalb sind wir doch gute, treue Eheleute, und Keiner hat dem Andern etwas vorzuwerfen. Nicht, mein Schäfchen?«

Er strich ihr zu diesen Worten liebkosend die Haare.

Elisabeth, die unter den Augen seines Vaters gelernt hatte freundlich zu seinen Liebkosungen zu lächeln, wußte noch so viel von der Lection, daß sie auch jetzt wenigstens geduldig dazu still hielt.

»Weißt Du,« fuhr er scherzend fort, »das, was Du vorhin sagtest von den Wölfen und dem Weinen über das Geheul mit ihnen, und von den Dingen, die man verabscheut und so weiter, das schreibe nur in das blau gebundene Buch mit dem Goldschnitt. Das ist ganz gut für solche Sentenzen, und wenn's glücklich darin steht, hat die liebe Seele Ruhe und wir brauchen uns unser häusliches Leben nicht damit zu verbittern.«

»Von außen Goldschnitt, von innen nichts als Widersprüche, Sehnsucht, Elend und Qual! Bietet nicht das Leben viele solche bittere Contraste?«

»Das kann auch in das Buch kommen,« antwortete er lachend, »wir wollen von anderen Dingen sprechen. Heute Abend sind wir nun beim Bankier Herz, welches Kleid ziehst Du an?«

»Das blauseidene, das Du mir zum Geburtstag schenktest,« antwortete sie.

»Und morgen zum Mittagessen beim Bürgermeister?«

»Das rosa, das Du mir im vorigen Jahre gabst.«

»Mir gefällt's ungemein von den Leuten, daß sie uns alle die Abschiedsfeste geben,« fuhr Moritz fort, »es ist doch reine Zuneigung, sie haben nicht das Mindeste davon, wir werden's ihnen im Leben nicht wiedergeben, von ihnen wird doch Keiner nach Amerika kommen.«

»Es mag von Vielen Freundlichkeit sein, aber übrigens macht es Einer dem Andern nach,« bemerkte Elisabeth,

»Was hätten sie davon?« sagte Moritz. »Mein Gott, man wird doch auch nicht umsonst an einem Orte groß, hat doch nicht umsonst sich einen guten Namen erworben, nicht umsonst ein anständiges Haus gemacht! Nein, nein, kleine Frau, Du kannst es schon auf das Verdienst Deines Mannes schieben, daß man Dich noch zuguterletzt mit Ehren überhäuft. Uebrigens ist für eine kurze Zeit das Leben, das wir jetzt führen, ganz vortrefflich. Jeden Tag ausgebeten, überall als König des Festes honorirt, überall vortreffliche Soupers mit extrafeinen Bowlen, und das Alles ganz umsonst. Wahrhaftig, es lohnt sich schon deshalb beinah, nach Amerika auszuwandern!«

Elisabeth warf unwillkürlich einen Blick auf das Bild ihres Schwiegervaters, als solle der Anblick des freundlichen alten Gesichts ihr Muth geben, das immer sich in gemeine Flachheit verirrende Geschwätz ihres Mannes geduldig anzuhören.

»Weißt Du übrigens,« begann er auf's Neue, »wer jetzt hier ist?« Er sah sie mit schelmischer Miene an und fuhr, als er ihre Augen fragend auf sich geheftet sah, neckend fort: »Deine ehemalige Flamme, der Herr Dorn. Er ist, wie ich höre, hier, um Erbschaftsangelegenheiten zu ordnen. Er ist mit einem hundertsten Antheil bei der Hinterlassenschaft der alten Berg betheiligt. Glück genug für den armen Schlucker, wenn er auch nicht viel bekommen wird, denn sonst pflegen doch nur reiche Leute Erbschaften zu machen. Er ist übrigens ein Neffe des Präsidenten Stern, der die abenteuerliche Tochter hat, die an einen entfernten Verwandten gleichen Namens verheirathet war. Sie ist jetzt in Wien. Die Leute sagen, Dorn's Anwesenheit gelte nicht nur der Erbschaftsangelegenheit, sondern auch der schönen reichen Frau, mit der er im vorigen Jahre im Bade und dann den Winter in Wien zusammen gewesen sei. Sie erbt auch. Nun, was sagst Du dazu, Elisabeth?«

»Mir ist es ganz gleichgültig,« erwiderte diese, ohne sich zu besinnen – und ohne auch nur die mindeste Bestürzung zu verrathen.

»Na ja, das dachte ich wohl,« sagte Moritz mit höchst zufriedenem Tone. »Solche sogenannte erste Liebe kommt gar nicht mehr in Betracht, wenn man erst verheirathet ist. Es wäre ja auch lächerlich. Die Liebe vor der Ehe ist gar keine, ist reine Schwärmerei. Nicht wahr, Elisabeth?«

»Ja, gewiß!« entgegnete diese.

»Schwärmerei, himmelweit verschieden von der Wirklichkeit,« fuhr er fort.

»Gar nicht zu vergleichen!« bestätigte sie.

»Ihr habt ja überdem auch gar kein Verhältniß mit einander gehabt, wie Deine Mutter mir versichert und Du es zugegeben hast,« schwatzte er weiter, »wäre es so weit gekommen, hätte ich Dich auch nicht geheirathet; denn Schwärmerei dulde ich in einem Mädchenkopf, dulde ich in gewisser Art auch bei meiner Frau, ich meine die kleine Schwärmerei, die Du mit dem blauen Buch mit Goldschnitt treibst, aber ein Mädchen, das leichtsinnig genug gewesen wäre, sich wirklich von Liebe vorschwatzen zu lassen, und selbst ein Wort davon zu sagen, einem solchen Mädchen hätte ich mein künftiges Schicksal nicht anvertraut.«

»Das weiß ich ja, wozu denn erst von all' den vergessenen Dingen sprechen,« fiel sie unwillig ein. »Herr Dorn ist ein früherer Bekannter von mir, weiter nichts. Er ist mir so gleichgültig, wie mir nur ein Mensch sein kann, und Du wirst mir einen Gefallen thun, wenn Du von einer früheren Kinderei nichts mehr sagst. Du kannst glauben, ich schäme mich derselben.«

»Du gute kleine Frau, das sollst Du nicht, das thut mir wahrhaftig leid,« versicherte Moritz und küßte sie zärtlich.

»Mein Gott, ich bin ja ganz zufrieden mit Deiner Liebe, ich bin Dir wahrhaftig nicht böse wegen der, wie Du selbst sagst, Kinderei!«

»Ja, gewiß Kinderei,« wiederholte sie noch einmal, »eine Kinderei, von der Herr Dorn selbst nichts weiß. Du wirst hoffentlich nicht so unvorsichtig sein, in seiner Gegenwart je eine Anspielung zu machen, die mich bloßstellen könnte!«

»Wo denkst Du hin?« ereiferte er sich.

»O, ich kenne Dich schon,« unterbrach sie ihn, »Du neckst ja gern und überlegst sehr wenig, ob die Neckerei statthaft ist.«

»Nun schilt sie mich aus!« lachte Moritz, »wahrhaftig, nun hält sie mir eine Strafpredigt, eigentlich nur, um mich zu überzeugen, daß sie mich von Anfang an lieb gehabt hat. Wahrhaftig, solch' kleine Zänkereien, die sind das rechte Salz in der Ehe. Kind, mach' Dir keine Sorge, ich werde Dorn nicht an die Geschichte erinnern, ich werde auch nicht eifersüchtig auf ihn sein!«

»Du sollst mich aber auch nicht mit ihm necken, wenn wir allein sind,« bat sie fast zürnend.

»Auch das will ich nicht mehr thun, sei nur nicht böse,« sagte er gutmüthig. »Alle Wetter!« unterbrach er sich dann, als der laute Stundenschlag der Uhr im Zimmer in sein Ohr tönte, »alle Wetter« nun habe ich mich da mit Dir verplaudert und sollte jetzt schon auf der Börse sein, wo ich Herz treffen wollte. Na, das wird auch wieder anders werden, wenn ich erst in meinem Comptoir da drüben überm Meer sitzen und den Gewinn des Tages nach ganz anderem Maßstabe berechnen werde als hier. Den Kopf oben, Elisabeth, wenn wir in die Heimath zurückkommen, werden wir ganz andere Leute, wird unsere kleine Flora eine Erbin sein! Adieu jetzt, mein Kind, und lege Deinen Staat zur heutigen Gesellschaft zurecht.«

Er ging fort.

»Also Dorn hier,« sagte Elisabeth leise, so wie er die Thür hinter sich schloß. »Dorn hier! Meinetwegen. Ich schäme mich wirklich der Kinderei, ihn geliebt zu haben. Er ist mir so gleichgültig wie jeder Fremde,« fuhr sie in Gedanken fort, »oder viel, viel gleichgültiger noch. Er hat mich verlassen, als das Unglück über uns hereinbrach, er hat es mit der Liebe nie ernst gemeint. Gut, er soll auch nicht glauben, daß ich es jemals ernst gemeint habe.«

 

An einem der nächsten Abende traf sie mit Dorn in einer Gesellschaft zusammen. Seine Augen leuchteten auf, als er sie sah, und mit dem Ausdruck lebhaftester Freude, die aber doch durch einen Schatten schmerzlicher Wehmuth verdunkelt wurde, näherte er sich ihr, sie zu begrüßen. Nichts konnte unbefangener, freundlicher, aber auch zu gleicher Zeit gleichgültiger sein, als ihr Gegengruß. Er verfehlte die beabsichtigte Wirkung nicht und verwandelte augenblicklich die freundschaftliche Wärme Dorn's in die nichtssagende glatte Höflichkeit, welche die Umgangsform Solcher bezeichnet, die sich durchaus weiter nichts angehen, die alle gegenseitigen Beziehungen nur aus der Welt schöpfen, in der sie eine kurze Weile neben einander herzugehen bestimmt sind.

Und dennoch, als er neben ihr Platz nahm und eine Unterhaltung mit ihr begann, mischten sich unwillkürlich Beziehungen hinein, die ihr Herz schlagen machten. Aber sie ließ es sich nicht merken. Sie schob das Gefühl der Erregung, das sie nicht fortleugnen konnte, auf ihre Indignation über sein damaliges Benehmen und seine heutige Dreistigkeit, und es gelang ihr um so leichter, äußerlich die Gleichgültige zu spielen, als sie wenigstens scheinbar an ihre Gleichgültigkeit gegen ihn glaubte. Ließ er sich durch ihr Benehmen täuschen?

»Sie sind nur ein Gast in unserer Stadt, werden Sie sich lange hier aufhalten?« fragte sie unter Anderm.

»Wahrscheinlich ja,« entgegnete er, »ich bin wegen Erbschaftsangelegenheiten hier, über die ich mit meinem Onkel, dem Präsidenten von Stern, Rücksprache nehmen muß. Es handelt sich um weitläufige Besitzungen in Polen, auf welche seine Tochter, die verwittwete Frau von Stern, mit mir dieselben Ansprüche hat, gegen die von anderer Seite Einspruch erhoben worden ist. Diese gemeinschaftlichen Ansprüche in's Klare zu setzen und über die in der Angelegenheit nöthigen Schritte mich mit meinem Onkel zu berathen, bin ich hier, und finde bei ihm eine so entgegenkommende Gastfreundschaft, daß ich mich für's Erste gefesselt fühle. Ich muß gestehen, daß es mich um so mehr freut, als durch die lange Trennung die verwandtschaftlichen Beziehungen ein wenig eingeschlafen waren.«

»Ja,« sagte Elisabeth, »es thut wirklich noth, daß man sich von Zeit zu Zeit wiedersieht, man vergißt so leicht alte Bekannte und wird selbst seinen Verwandten fremd.«

Dorn biß sich auf die Lippen, antwortete jedoch nicht.

In dem Augenblick trat Moritz an die Beiden heran.

»Nun, wie steht's?« fragte er in familiärem Tone, »habt Ihr von alten Zeiten geplaudert?«

»O nein,« entgegnete Dorn, »Ihre Frau Gemahlin hat solches Talent zum Vergessen, daß ich erst meine Person in Erinnerung bringen mußte, und es kaum wage, dasselbe mit der Zeit zu thun, in der ich die Ehre hatte unter ihre Bekannten zu zählen.«

»Ja, ja, es wird Manches anders mit der Zeit,« lachte Moritz, »und ist man erst zu Verstande gekommen, denkt man nicht gern an die Tage zurück, in denen man unvernünftig war. Das wissen wir Alle miteinander, und wir Männer noch besser als die Frauen; Tausend, was hat Unsereins für dummes Zeug angegeben in der Jugend, was müssen wir Alles vergessen! Was für Tollheiten und dumme Streiche! Es ist aber doch schön, und ich möchte kein Mädchen gewesen sein! Die armen Dinger, was wissen die von dummen Streichen! Die haben nichts zu vergessen, als höchstens die erste Liebe. Nicht, Elisabeth?«

Er lachte laut über seine zarte Anspielung und die indignirte Miene seiner Frau.

Dorn sagte hastig:

»Eine erste Liebe– was hat sie zu bedeuten? Was ist sie denn anders als Phantasie? Man träumt von ihr, aber man empfindet sie nicht!«

Ueber Elisabeth's Gesicht zog ein tiefer Schatten bei diesen Worten, sie heftete ihre großen, schönen Augen halb vorwurfsvoll, halb forschend auf den Redenden, seinem herausfordernden Blick ruhig begegnend; aber nur eine Secunde dauerte dies stumme Mienenspiel, das von Moritz völlig unbemerkt blieb.

»Man empfindet sie nicht, das ist ganz recht,« stimmte dieser Dorn's Bemerkung bei, »aber wissen Sie, heirathen muß man bald nach der ersten Liebe, denn man ist doch einmal in den Geschmack gekommen, und etwa von einer Liebelei in die andere gehen, das ist nicht solid!«

Elisabeth schien das Gespräch nicht zu behagen. Sie nahm ihres Mannes Arm.

»Wenn Du auf dies Thema kommst, ist es Zeit Dich fortzuführen,« bemerkte sie in scherzendem Tone. »Ueber Heirathen läßt sich doch Keiner belehren, und was den Einen glücklich macht, wird der Andere schwer anerkennen. Sei doch froh, daß Du eine Frau hast, und überlasse es Herrn Dorn, sich die seine nach seinem Geschmack zu wählen.«

»O, Kind, dabei kann man guten Rath sehr gut brauchen,« behauptete Moritz, »ich versichere Dich, man echauffirt sich leicht bei der Wahl, und je kälteres Blut man dabei hat, um so verständiger wählt man.«

»Wenn Sie erlauben, treibe ich dergleichen mit dem Herzen,« bemerkte Dorn, »und zwar mit einem warmen Herzen, aber darüber hat Jeder seine Ansichten, und wie Ihre Frau Gemahlin ganz richtig bemerkt, darf man für sein selbst gewähltes Glück nicht immer das Verständniß jedes Andern erwarten. Doch kommt das nicht in Betracht, und je mehr man mit seiner Wahl einverstanden ist, um so weniger kümmert man sich um den Beifall der Andern.«

»O, das klingt ja, als wären Sie auch schon fix und fertig damit,« lachte Moritz, »darf man gratuliren?«

» Noch nicht,« sagte Dorn, das »noch« leicht betonend.

»Aber bald!« ergänzte Moritz, »vortrefflich, vortrefflich! Und natürlich heirathen Sie Ihre erste Liebe?«

Er lachte laut. Dorn verzog keine Miene.

»Die Liebe eines Mannes zu seiner Frau und umgekehrt ist immer die erste oder besser die einzige, denn sie schließt jede andere aus,« sagte Elisabeth, bemüht, ihres Mannes scherzende Laune abzulenken.

»Da hören Sie's, was ich für eine Frau habe!« triumphirte Moritz, und Elisabeth mit sich fortziehend, rief er noch über die Achsel dem erstaunt ihm nachsehenden Dorn zu: »Ja, himmlischer Gott, man singt wohl 'mal einem Anbeter ein dummes Lied vor, aber was hat das zu sagen gegen wirkliches Gefühl. Die erste Liebe ist nichts gegen die einzige einer Frau zu ihrem Manne. Vortrefflich, Elisabeth, da ist ja der Standpunkt überall klar!«

»Was hast Du mir versprochen, Moritz?« sagte Elisabeth vorwurfsvoll, ihrem Manne folgend und dadurch Dorn die flammende Röthe verbergend, welche die Tactlosigkeit des triumphirenden Eheherrn ihr auf die Wangen jagte, »wie kannst Du mich so compromittiren, Dorn an jenes Lied zu erinnern!«

»Dich compromittiren? Kind, wo denkst Du hin, ich bin der Letzte, der Dich compromittiren wird. Ha, solche Dinge verstehen wir wohl!«

Sie schwieg seufzend und mischte sich wieder unter die Gäste. Dorn näherte sich ihr an dem Abend nicht wieder, gestattete auch seinen Augen kaum sie aufzusuchen, aber jeder Blick, den er auf sie warf, erhöhte nur den Eindruck ihrer Schönheit, dieser träumerischen, ernsten Schönheit, so träumerisch und ernst wie eine Sommernacht, hinter deren dunklem Schleier schon der Morgensonnenstrahl ahnend lauscht, des Augenblicks harrend, wo die erste Auferstehungsstunde des Tages ihn zu flammender Lebensgluth erwecken wird.

Elisabeth schrieb an dem Abend noch lange in ihrem blauen Buch, so lange, bis Moritz kam und ihr sans façon das Licht fortnahm.

 

Dorn schrieb nicht. Die Männer haben entweder nicht so viel Phantasie und Gefühl, oder mißbrauchen dieselben doch nicht zu dem gefährlichen, selbstbetrügerischen Zweck eines sogenannten Tagebuches, aber wenn er auch seine Gedanken nicht niederschrieb, sie in Schranken zu halten vermochte er eben so wenig.

Er hatte nicht etwa die Jahre hindurch, in denen er Elisabeth nicht gesehen, nach ihr geschmachtet, aber vergessen war sie eben so wenig, und erwachte bei ihrem ersten Anblick auch nicht die frühere Leidenschaft, so erwachte doch die Erinnerung an dieselbe in ihm und veranlaßte ihn, der sich ja keiner Schuld gegen Elisabeth bewußt war, und dem es noch weniger einfiel, mit der Frau eines Andern Beziehungen anknüpfen zu wollen, an denen irgend ein Schatten haften könnte, sich ihr mit so warmer, offener Herzlichkeit zu nähern, wie die Empfindung des Augenblicks es ihm eingab. Ihre kalte Zurückweisung kränkte ihn, und in seiner Gereiztheit vergalt er ihre Kälte durch seinen Ausspruch über die erste Liebe, welche diese in das Reich der Phantasie verwies, um auch seine Gleichgültigkeit zu beweisen. Aber kaum hatte er es ausgesprochen, so bereute er das Wort. Nein, so durfte Elisabeth und er nicht zu einander stehen. Es war ja nur die Welt, die Beiden ein Leid zugefügt, von ihnen selbst hatte ja Keiner dem Andern wehgethan, warum denn sich feindlich begegnen?

Seinen früheren Ansprüchen stand sie fern, und es fiel ihm nicht ein, mit seinen Wünschen zu jenen vergessenen Jugendtagen zurückkehren zu wollen, aber warum sollte er sich ihr nicht nähern wie einer theuern Jugendbekannten, warum nicht jenen geistigen Verkehr mit ihr anknüpfen, zu dem die geöffneten Salons der Gesellschaften ja Jedermann berechtigen, und bei dem man die Welt als Zeugen nicht zu scheuen braucht.

Sein Herz rebellirte gegen die Gleichgültigkeit, die Elisabeth ihm gezeigt, mit der sie die Freude des Wiedersehens zu Boden geschlagen. Nein, noch einmal, so durften sie nicht zu einander stehen, glatte, weltliche Höflichkeit durfte nicht an die Stelle ihrer früheren Leidenschaft treten. Hätte er Elisabeth nicht wiedergesehen, sie wäre ihm ein in den Wolken schwebender Genius geworden, aber als sie schöner als je, unerreichbarer als damals vor ihm stand, vernichtete ihre körperliche Erscheinung die phantastische Anbetung eines Luftgebildes und erregte die Sehnsucht des Mannes nach einer bestimmten irdischen Beziehung zu ihr. Er dachte an kein Unrecht, es war keins in seinen Gefühlen, er verstand es nicht, daß Elisabeth's Kälte, die er für Maske hielt, berechnet war, Schutz vor einem solchen zu gewähren. Es fiel ihm nicht ein, hinter jener Maske noch dieselbe Leidenschaft zu suchen, mit der sie ihm einst in unschuldiger Bewußtlosigkeit dessen, was sie that, das jubelnde: »Dein ist mein Herz und soll es ewig bleiben« zugerufen hatte. Wäre ihm das nur im Traum eingefallen, er würde seine Augen abgewendet haben von dem Antlitz, das sie ihm verbarg.

Er schrieb Elisabeth's Benehmen nur einer ganz natürlichen Verlegenheit zu, und fand sich berufen, diese zu bekämpfen und Elisabeth's Seele sanft und sicher zu der Erkenntniß der Freundschaft zu führen, die ihre getrennten Herzen vereinigen durfte, ohne den Rechten von irgend Jemand zu nahe zu treten. Wo der Liebe nur ein Pfad am Rande eines Abgrundes offen steht, wandelt die Freundschaft sichren Fußes, und das Auge, das klar sein Ziel erfaßt, leitet den Wanderer an allen Gefahren des Weges ruhig und sicher vorbei.

O, die Freundschaft ist solch' köstlich frisches, belebendes und in ihrer gleichmäßigen Wärme wohlthuendes Gefühl! Er hatte im Umgange mit Adelen soeben ihren vollen Zauber erfahren. Wie im Fluge war ihm der mit ihr verlebte Winter vergangen, und hatte Gedanken in ihm bestärkt, die schon bei ihrem ersten Wiedersehen in ihm erwacht waren, Gedanken an ein neu zu erbauendes Glück, dessen Grundpfeiler in der Freundschaft fußten. Sollte nicht Elisabeth die Dritte im Bunde sein können, sollte nicht seine Jugendliebe zu ihr als Freundschaft auferstehen, als solche zu Recht bestehen dürfen?

Die Freundschaft kennt keine Extase, die in raschem Wechsel die Seele himmelan hebt, um sie im nächsten Augenblick in den Abgrund zu stürzen; sie hat immer denselben hellen, freundlichen Blick, denselben treusten Händedruck, statt der lachenden Thränen, statt des flammenden Kusses. Am Busen der Freundschaft ruht man sich aus von den Stürmen, welche die Liebe in's Leben geschleudert, vor ihr zagt man nicht, die kleinen Schattenseiten aufzudecken, vor denen Liebe das Auge verschließt, weil sie nichts sehen will als Licht und lauter Licht. Die Freundschaft ist frei von jedem falschen Anspruch, sie hat ihr heiliges, überall gültiges Recht, sie ist kein himmelstürmendes Glück, sie ist der Friede und die Versöhnung.

Ach, wie schwärmten Dorn's Gedanken an jenem Abend über die Himmelsgabe der Freundschaft, wie sehnte er sich, dies Recht auf Elisabeth's Herz zu erringen, wie vergaß er ganz und gar die Gefahr eines Freundschaftsbundes zwischen einem schwärmerischen, begeisterten Dichter und einer schönen jungen Frau, der eine leidenschaftliche Gluth wie ein verborgener Vulkan im Herzen brannte, nur der Gelegenheit harrend, sich gewaltsam den Weg in das Leben zu bahnen!

Hätte er das Lied lesen können, das Elisabeth während dessen unter mühsam zurückgehaltenen Thränen in ihr blaues Buch schrieb, würde er dann gewagt haben, auch nur den Fuß auf die Brücke zu setzen, die wohl in den Himmel führt, aber nur von Solchen betreten werden kann, die ganz klaren, ruhigen Blickes in die Tiefe zu schauen vermögen, die sich so sicher in ihrer wolkenlosen kühlen Höhe fühlen, daß kein falscher Tritt, kein plötzlich sie überwältigender Rausch der Empfindung sie in den Abgrund zu ziehen droht? –


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