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»Heda, guter Freund, wo geht der Weg nach der Försterei?« rief ein mit einem grünen Jagdrock bekleideter junger Mann, der, das Felleisen auf dem Rücken, eben in die Hauptstraße des Fischerdörfchens Häringsdorf eingebogen war, einem vor seinem Hause mit dem Ausbessern eines Bootes beschäftigten Fischer zu.
Dieser zeigte ihm die nach dem Wald führende Straße, gab ihm die Richtung an, der er zu folgen hatte, und sagte:
»Es führen wohl ein halb Dutzend verschiedene Wege dorthin, wenn Ihr nur einen von ihnen trefft, könnt Ihr nicht fehlen.«
Der junge Mann lachte.
»Das ist bequem,« sagte er. »Ist's überall so auf eurer Insel, dann muß es ja leicht sein, sich zurechtzufinden.«
»Wie man's nehmen will,« bemerkte der Fischer, »das Finden ist so leicht wie das Verirren, und wer den Wald nicht kennt, für den ist letzteres leichter.«
»Finde ich Jemand im Forsthaus, oder steht es schon leer?« fragte der junge Mann, schon halb im Weitergehen begriffen.
»Die Alte ist noch da,« lautete der Bescheid, »so schnell läßt Frau Katzenpfötchen nicht los.«
»Frau Katzenpfötchen?« lachte der Jägersmann, »das ist ja ein schnack'scher Name!«
»Wir nennen sie nur so,« berichtigte der Fischer, »weil, weil – Sie verstehen mich schon, nicht?«
»Ja wohl, ja wohl,« versicherte der Jäger, »Ihr nennt sie so, weil sie streicheln kann und mitunter ausholt und kratzt.«
»Just so, aber sie ist eine gute Frau trotzdem,« meinte der Fischer, »es hat nur so Jeder seine Fehler.«
»Gewiß,« bestätigte der Jäger, »Ich habe übrigens nichts gegen die Katzen,« fuhr er fort, »es sind behagliche, stille, saubere Thiere. Sie kratzen auch nur, wenn man sie ärgert, nicht aus Lust zum Kratzen selber. Es ist Verleumdung, daß sie falsch sein sollen. Bah, die Menschen sind's auch nicht. Wenn man sie offen anschaut, können sie Einem ja doch nicht hinterrücks eins geben?«
Der alte Fischer lächelte den jungen Mann freundlich an.
»Gewiß,« sagte er, »so wie man die Leute anschaut, sehen sie Einen wieder an. Selbst die wildesten Katzen schnurren, macht man's ihnen behaglich. Meine Nichte ist lange Zeit Magd bei der alten Frau Wallner gewesen und hat's gut gehabt. Freilich war sie auch ein tüchtiges, arbeitsames Mädchen. Nun ist's vorbei mit dem Magdhalten, nun der alte Förster todt ist und die Frau aus dem Hause muß. He, melden Sie etwa den neuen Förster an?«
»Könnte sein,« antwortete der junge Mann lakonisch und schritt freundlich grüßend weiter.
»Am Ende ist er's selber,« brummte ihm der Fischer nach.
Freilich war er's. Vor vierzehn Tagen etwa hatte er die Anstellung erhalten und kam nun, das Beglaubigungsschreiben seines Herrn in der Tasche, Besitz von der Försterei zu nehmen und sich von einem der benachbarten Förster mit seinem Revier bekannt machen zu lassen. Der Gedanke, daß seine Ernennung eine arme Wittwe obdachlos mache, trübte die Freude, mit der er noch vor Kurzem seiner Zukunft entgegengesehen. Niedergeschlagen und ohne nur aufzublicken schritt er durch das Dorf. Es war auch nicht viel daran zu sehen.
Damals fing Häringsdorf erst an als Seebad in Aufnahme zu kommen, hatte noch nicht dem benachbarten Swinemünde den Rang streitig gemacht trotz seines viel reizenderen Strandes, trotz seiner romantischen Lage. Von einem Kranz üppiger Buchenwälder umgeben, liegt es wie ein Veilchen im Grünen versteckt, zahllose Naturgenüsse bietend. Sie mußten damals Ersatz geben für den fehlenden Comfort der Hütten. Ja, Hütten konnte man dreist sagen, denn außer einem, mäßigen Ansprüchen genügenden Wirthshaus und einigen, Stettiner Bürgern gehörigen Landhäusern, fehlte es noch an all' den, zwar zum Theil auch ländlichen und sehr anspruchslosen, aber doch den Anforderungen an Bequemlichkeit entsprechenden Gebäuden, die im Laufe der Jahre errichtet worden sind, der Speculation zu dienen und ihren Besitzern selbst einen behaglichen Sommeraufenthalt zu verschaffen. Aber in einer Beziehung hat die Zeit nichts verändert. Nur der Sommer verleiht dem Ort den Pulsschlag des Lebens, das heißt für Solche, die kein Auge haben für das Leben in der Natur und die tiefe Ruhe, die majestätische Starrheit des Winters für Stille des Todes halten.
Ein echter Jägersmann versteht sich aber auf das Leben in der Natur, und nur dies Verständniß bringt die wahre Jägerlust hervor. Ohne dasselbe fehlt der Zauber der Poesie, die Jagd wird zum rohen Vergnügen und Waidmannswerk zu trockener Berufsarbeit.
Der Wald war kahl, als der Jäger ihn betrat. Ein grauer Himmel hing über ihm, und ein feiner, durchdringender Regen, der noch viel von der Kälte des abziehenden Winters in sich barg, rieselte mit leisem Rauschen auf den Wanderer herab.
Dennoch wich die gedrückte Stimmung des jungen Mannes, als er weiter schritt, Frau Katzenpfötchen trat in den Hintergrund. Er sah in Gedanken die Sonne scheinen über den Wald und sein Glück beleuchten. Sein Glück? Ist denn die erste Anstellung nicht ein Glück, die längst ersehnte erste Anstellung? Welche Hoffnungen knüpfen sich nicht an dieselbe, welch' weiter Spielraum bleibt der Phantasie sowohl im Reich des Ehrgeizes als in dem verborgener Herzensträume!
»Noch ein paar Wochen, und die Buchen sind grün!« sagte der Förster auf einmal mit einem so hellen Aufleuchten seiner Augen, als bedeute dieser Ausruf noch etwas ganz Anderes als die Freude über seine Frühlingshoffnung.
»Wie schön muß es erst hier sein,« fuhr er in seinen Gedanken fort, »wenn der Regen auf grünes Laub niederrauscht, wenn die Sonne es in Licht hüllt, wenn die Vögel singen! Dann muß auch das Gebrause der See ganz anders herüberklingen als jetzt. Wie die Orgel in der Kirche muß es dann anzuhören sein.«
»Wenn im Wald, im grünen Wald«
fing er auf einmal mit lauter Stimme zu singen an,
»Die Knospen schlagen aus,
Hol' mein Lieb, mein Lieb ich bald,
Führ' sie in mein Haus! Juchhe!
Wenn im Wald, im grünen Wald
Das Vöglein singt auf's Neu',
Hol' mein Lieb, mein Lieb ich bald,
Wir singen mit, wir Zwei! Juchhe!
Dann tönt im Wald, im grünen Wald
Das Lied jahraus, jahrein,
Will's Gott, soll's bald, ja, soll es bald
Mehr wie zweistimmig sein! Juchhe!«
Da, um eine Waldecke biegend, sah er das Haus plötzlich vor sich und verstummte. Nicht etwa, weil es ihm einen trüben Eindruck gemacht – im Gegentheil, die hellen Fensterscheiben lachten ihn an – aber sein scharfes Auge gewahrte hinter der einen durchsichtigen Scheibe eine in ein dunkles Kleid gehüllte Gestalt, sah die schwarze Wittwenhaube der Frau, die, über die Arbeit gebückt, am Fenster saß, und wieder fiel es ihm schwer auf's Herz, daß Freude und Leid sich in der Welt so gar nahe oft berühren.
»Könnte ich doch der armen Frau etwas recht Liebes anthun,« sagte er leise vor sich hin und blieb dann, das Haus und dessen nächste Umgebung mit den Blicken prüfend, einige Secunden stehen.
Es sah Alles sauber und ordentlich aus. Der Platz vor der Thür war rein gefegt, und wenn auch der Regen die Fensterscheiben trübte, schimmerten doch weiße Vorhänge hindurch und leisteten gleichsam Bürgschaft für die sonstige Klarheit derselben.
»Ach, wie wird's bei mir aussehen, bis sie kommt,« dachte er. »Weiß der Himmel! daß es ordentlich sein muß, weiß ein Mann schon, allenfalls kann er auch noch dafür sorgen, aber wie man es macht, daß Ordnung auch hübsch ist, das versteht selten einmal einer.«
Er schritt auf das Haus zu und klopfte leise an die Thür. Er hatte nicht nöthig, lange auf die Erlaubniß des Eintretens zu warten. Die Wittwe des Försters hatte sein Kommen schon bemerkt und war aufgestanden, ihn ein zulassen.
»Ich bin der neue Förster, Mutterchen,« sagte er freundlich, betroffen von dem Aeußern der ihm gegenüberstehenden Frau, die, obschon nicht mehr jung, ihm doch unter der Wittwenhaube ein so feines, hübsches, wohlwollendes Gesicht zeigte, daß es unmöglich war, es anders als mit Zutrauen anzuschauen. Zu diesem Gefühl gesellte sich bei dem jungen Manne noch aufrichtige Theilnahme, als sein Gruß mit einem plötzlich hervorbrechenden Thränenstrom beantwortet wurde und die Trauernde, sich gewaltsam zusammennehmend, dann mit sanfter Stimme sagte:
»Ach, ich dachte nicht, daß die Stelle so rasch wieder besetzt werden würde, dachte nicht, daß ich schon jetzt aus dem Hause müßte, wo ich so lange mit meinem lieben Alten gelebt. Ich wollte mir erst zum nächsten Quartal eine Wohnung im Dorf miethen.«
»Nun, damit hat's ja keine Eile,« beruhigte sie der Förster, »wir werden schon eine Weile Platz neben einander haben. Weisen Sie mir nur eine Stube an, damit ich meine nassen Stiefeln wechsle, das Uebrige besprechen wir nachher.«
Das Gesicht der Frau klärte sich auf. Sie öffnete die nächste Thür und wies den neuen Ankömmling in das kleine, neben der Wohnstube liegende Schlafgemach, das nebst der Küche und einer Kammer, die früher die Magd inne gehabt, die Fenster nach der andern Seite des Hauses hatte und nebst der Wohnstube und einem neben derselben liegenden Gemach die untere Räumlichkeit des Hauses ausfüllte.
Als der Förster seinen Anzug gewechselt hatte und in die Wohnstube zurückgekehrt war, fand er diese leer. Frau Wallner war in der Küche beschäftigt, ihrem Gast Kaffee zu bereiten; so hatte er Muße, seine Umgebung sorgfältiger in Augenschein zu nehmen. Nach seiner Miene zu urtheilen, mußte er mit der Musterung zufrieden sein. Das Zimmer war niedrig und klein, aber hell und freundlich, die Einrichtung schlicht, aber sauber und in allen ihren einzelnen Stücken gut zu einander passend. Ueberall war neben strenger Ordnung jene Zierlichkeit zu gewahren, die oft viel besser behaglichen Comfort zu schaffen versteht, als der raffinirteste Luxus.
Des Försters Wohlbehagen stieg, als Frau Wallner eintrat, die weiße Serviette über den Tisch breitete, das Kaffeegeschirr darauf stellte, Brod und Butter herbeiholte und ihn dann mit freundlichem Blick einlud, Platz zu nehmen und sich zu bedienen. Ihm wurde so behaglich zu Muth, als sei er in einer ihm längst zugehörigen Heimath, und nicht in einem Hause, das er zum ersten Mal betrat und das ihm erst Heimath werden sollte.
»Ach,« sagte er aus vollem Herzen, »hier gefällt's mir! Ich bin froh, herzensfroh, Mutterchen, daß ich Sie hier noch getroffen habe. Ich dachte, ich würde in die vier leeren Wände kommen, würde mir im Dorf einen Strohsack, einen Tisch und ein paar Stühle miethen und damit für's Erste genug haben müssen. Statt dessen finde ich ein wohleingerichtetes Obdach. Gottlob, daß Sie die Wohnung noch nicht geräumt haben.«
Frau Wallner lächelte.
»Es dauert wohl noch eine Weile, bis Ihre Sachen ankommen?« fragte sie.
»Meine Sachen?« lachte er. »Meine Sachen sind alle dort im Mantelsack. Möbel habe ich noch nie besessen, ich will sie mir jetzt erst anschaffen, aber wie und wovon weiß ich noch nicht. Als Jägerbursche oder Forstgehülfe macht man keine Ersparnisse. Jetzt aber soll's anders kommen.«
»Mein Gott!« sagte die Alte mitleidig, »haben Sie denn gar Niemand, der ein bischen für Sie sorgt?«
»Nein,« antwortete er, »meine Eltern sind längst todt und haben mir nichts hinterlassen. Nun habe ich mir selbst durch's Lebens helfen müssen, und da kommt man oft nicht sehr weit. Ich bin aber zufrieden, bin mehr als zufrieden, bin herzensfroh, daß mir der Himmel die Stelle hier bescheert hat,« und ganz vergessend, daß eine Trauernde ihm gegenüber saß, fing er wie im Walde an zu singen:
»Nun ich erst Herr Förster bin,
Kommt bald auch die Frau Försterin!
Juchhe!«
»Ach, Verzeihung,« unterbrach er sich rasch, »ich sollte wohl hier nicht singen.«
»O, singen Sie immerzu, es ist früher genug hier gesungen worden, und ich mag vergnügte Leute leiden,« beruhigte ihn Frau Wallner und fügte dann mit wohlwollendem Lächeln und aufmunterndem Tone hinzu:
»Von der Frau Försterin ist also auch schon die Rede? Das ist ja schön. Ist das Schätzchen schon da?«
»Da muß es wohl schon sein, aber ich hab's noch nicht,« antwortete der Jägersmann.
»Ich meine, ob Sie schon verlobt sind?«
»Auch das noch nicht,« lautete die rasche Erwiderung. »Man muß doch erst etwas sein und etwas haben, worauf man sich versprechen kann. Förster wäre ich nun, das Haus hab' ich auch, nun muß ich's erst einrichten, und dann kommt die Frau hinein.«
»Eins nach dem Andern,« lächelte die Alte. »Zur Zeit wird's an dem Mädchen ja auch nicht fehlen.«
»Will's Gott,« stimmte der Förster zu.
Eine Weile schwiegen Beide, der Förster damit beschäftigt, mit echt jugendlichem Appetit dem ihm vorgesetzten Labsal Ehre zu machen, die Alte ihn nöthigend und mit aufrichtiger Freude gewahrend, wie gut es ihm schmeckte.
»Nun wollen wir ein vernünftiges Wort mit einander sprechen,« fing der junge Mann, nachdem er seinen Appetit gestillt, auf's Neue an, »vor Allem, wie heißen Sie denn, Mutterchen?«
»Ich heiße Frau Wallner, aber nennen Sie mich nur immer Mutterchen, es gefällt mir so am besten,« lächelte die alte Frau.
»Gut, Mutterchen, und ich heiße Friedrich Günther, aber der Günther ist nur für fremde Leute, Sie, denke ich, sagen Friedrich zu mir, denn ich hoffe, wir bleiben uns nicht fremd. Also Friedrich, nicht, Mutterchen?«
»O, wenn Sie so sind, wie Sie aussehen, von Herzen gern,« erwiderte die Alte treuherzig, »Sie haben ein gar gutes Gesicht.«
»Und Sie auch,« gab ihr der Förster zurück.
»Wir werden aber nicht viel Gelegenheit haben, uns so zu nennen,« fing die Alte mit etwas wehmüthigem Tone wieder an, »denn wenn ich im Dorfe nicht unterkomme; so muß ich ja weiter ziehen!«
»Nicht doch, nicht doch, das ist's ja eben, wovon ich sprechen wollte,« unterbrach sie der Förster. »Bleiben Sie doch nur im Hause, so lange es Ihnen paßt, am liebsten so lange, bis ich verheirathet bin. Sie thun ein Gotteswerk. Ich weiß wahrhaftig gar nicht, wie ich's anfangen soll, hier für mich zu wirthschaften. Ich habe mir schon auf dem ganzen Wege hierher den Kopf darüber zerbrochen. Ich bin nie mein eigener Herr gewesen, wie fängt man's an, das zu sein? Ach, ich bin überzeugt, ich hungere und durste und schlafe auf der bloßen Diele, wenn ich Niemand habe, der für mich sorgt.«
»Ei, da thut's Ihnen ja wahrhaftig noth, bald zu heirathen,« lachte die Alte.
»Das will ich auch,« versicherte er ernsthaft, »aber ich will mein Weib in ein fertiges Haus, nicht in die vier leeren Wände führen, und bis ich so viel erspart, bleibe ich ledig. Aber auch dazu,« fuhr er dringender fort, »könnten Sie mir verhelfen. Bleiben Sie doch, nehmen Sie sich meines Haushalts an, ich bin überzeugt, ich bin in halb so langer Zeit auf den grünen Zweig gekommen, den ich meiner künftigen Herzliebsten zu Füßen legen will.«
Die Alte sann nach. Sie sah eigentlich aus, als hätte sie große Lust, einzuschlagen, aber sie besann sich noch eine Weile, ehe sie zögernd sagte:
»Wir können's wenigstens mit einander versuchen, gefällt's uns nicht, so ist ja Keiner gebunden. Wir kennen uns doch eigentlich noch gar nicht.«
»Nein, aber ich glaube Ihrem freundlichen Gesicht, Ihrem ordentlichen Hause und Ihrem guten Kaffee,« scherzte der junge Fürsten.
»Nun, da will ich mich denn mit der Bürgschaft Ihres ehrlichen Gesichts einstweilen auch begnügen,« versetzte Frau Wallner freundlich.
Sie machten nun mit einander alles Uebrige aus, oder eigentlich war es Frau Wallner, die ihre Vorschläge vorbrachte und zu allen ein freundliches Ja erhielt. Die alte Frau schien sehr umsichtig und praktisch, und Friedrich Günther war so unwissend wie ein Kind und, wie die Alte beifällig bemerkte, auch so lenksam.
»Woher soll denn ein armer Schlucker wie ich das Wirthschaften lernen?« sagte er lachend, als sie ihm seine Unwissenheit vorwarf. »Auf den verschiedenen Förstereien, auf denen ich bis jetzt angestellt war, hatte ich für nichts zu sorgen als für einen anständigen Rock, und dazu reichte mein Lohn gerade aus. Das Wirthschaften, Ausgeben und Sparen verstehen die Frauen besser, Arbeiten und Geld in's Haus schaffen kann der Mann.«
»Just so dachte mein lieber Alter auch,« bemerkte Frau Wallner, »ich habe auch immer die Kasse geführt, und er hat sich gut dabei gestanden. Freilich, mit dem Arbeiten war's bei ihm nicht ernst gemeint. Er hätte manchen Nebenverdienst in's Haus bringen können, aber wenn er nothdürftig gethan hatte, was er mußte, da saß er lieber dort im Lehnstuhl und rauchte seine Pfeife, und das Arbeiten und Nebenherverdienen kam auf mich und meine Tochter.«
»Ach, Sie haben eine Tochter?« unterbrach sie Friedrich, vielleicht nicht ganz angenehm überrascht von der unverhofften Entdeckung.
»Ja, aber sie ist nicht bei mir,« seufzte Frau Wallner, »und in den letzten Jahren habe ich sie nur zweimal gesehen. Ach, ein Kind haben und es in die Fremde schicken müssen, zerreißt einer Mutter das Herz; man grämt sich halb zu Tode darüber.«
Friedrich sah die alte Frau mitleidig an. Vergrämt sah sie eigentlich nicht aus, trotz der wehmüthigen Miene, die sie bei der Rückerinnerung an ihren lieben Alten, wie bei dem Gedanken an ihre Tochter annahm. Das runde, noch volle Gesicht, die frische Farbe der Wangen und die Lebhaftigkeit der freundlichen blauen Augen widersprachen dem Gram, der meist ganz andere Zeichen in seinem Gefolge hat, und bewiesen, daß sie auf dem halben Wege zum Tode einstweilen wenigstens noch stille stand und Lust hatte, noch stehen zu bleiben.
»Ist Ihre Tochter verheirathet?« fragte Friedrich.
»Nein,« sagte sie, »noch nicht, obgleich sie es wohl alle Tage haben könnte. Aber was dem Kinde in's Herz kommt, das sitzt fest für lange Zeit, und so konnte sie von dem falschen Manne nicht loskommen, der sie erst überredet, er liebe sie, und dann eine Andere geheirathet hatte, und nun hängt sie wieder so an ihrer Dame, daß sie an keine Trennung denken mag. Ich kann's nicht tadeln, ich hab's auch so gemacht. Wo ich mein Herz hingab, da blieb es auch. Das könnte mir mein Alter bezeugen. Es war just nicht leicht, in seiner Krankheit bei ihm auszuharren, in all' den langen schlaflosen Nächten bei ihm zu sein und das Leiden mit anzusehen. Ich wäre manchmal am liebsten weit fort gelaufen, aber ich blieb und hielt getreulich aus, bis ich ihm die Augen zudrücken konnte. Ach, nun ist der Lehnstuhl leer, auf dem er immer saß, die Pfeife neben sich, wenn er sie auch nicht mehr rauchte.«
Friedrich folgte mit dem Blick den Augen der Alten, die mit liebender Zärtlichkeit an der verödeten Stätte vergangenen Glückes hingen.
»Meine Rosette ist jetzt bei einer vornehmen Dame,« fuhr sie fort, sich mit einem Seufzer von der Reliquie ab- und wieder ihrem Gaste zuwendend, »sie soll ihre Gesellschafterin sein, ist aber eigentlich ihre Freundin. Die Dame ist Wittwe, ist sehr reich und fast immer auf Reisen. Meine Tochter hat schon die halbe Welt gesehen und ist so fein und klug, ach, Sie glauben es nicht, wie. Das tröstet mich denn auch allein für die Trennung, das und der Gedanke, wie gut sie es hat.«
»Sie würde aber doch gewiß lieber das Leben ihrer Mutter theilen,« sagte Friedrich, gerührt von der Opferfähigkeit der alten Frau und halb und halb eingenommen gegen die Tochter, die nicht lieber ihr Wohlleben aufgab; um die Armuth und Einsamkeit ihrer Mutter zu versüßen und zu verschönen.
»Gewiß, das würde sie, das Goldherz!« versicherte Frau Wallner. »Als mein Alter starb, war es auch ihr erster Gedanke, zu mir zurückzukehren, aber ich wollte es nicht zugeben. Sie soll nicht meinetwegen ihre Zukunft verscherzen. Den guten Willen, ihrer alten Mutter das Leben zu versüßen, hat sie gehabt, den guten Willen lohne ihr Gott durch einen guten Mann!«
Sie forderte nun Friedrich auf, sich in seiner neuen Heimath umzusehen. Sie führte ihn durch das ganze Haus und sprach ihre Absicht aus, ihm nun die unteren Zimmer einzuräumen und sich in die oberen zurückzuziehen; das gab er jedoch nicht zu. Sie sollte Alles so lassen wie es war. Die Wohnstube sollte gemeinschaftlich bleiben, die Giebelstube sein Schlafgemach werden. Sie machten mit einander aus, daß er die Möbel derselben gegen allmähliche Abzahlung übernehme, sie rechnete ihm genau die Kosten der Haushaltung vor, wenn er seine Ansprüche nicht höher spanne, als ihr verstorbener Alter es gethan. Einnahmen und Ausgaben wurden verglichen, die Beibehaltung der bisherigen kleinen Landwirthschaft, aus einer Kuh und einigem Federvieh bestehend, beschlossen und herausgefunden, daß nach Ablauf eines Jahres, natürlich bei strenger Sparsamkeit, Friedrich wohl im Staude sein würde, eine einfache Einrichtung auch für die anderen Zimmer zu beschaffen und; »dann zu heirathen,« setzte die Alte mit einem forschenden Blick hinzu.
»In einem Jahr erst?« unterbrach er sie lebhaft, »Mutterchen, wo denken Sie hin! Nein, wahrhaftig, und wenn ich mir das Geld borgen soll, die Bäume dürfen nicht wieder kahl werden, ehe ich mein Weibchen im Hause habe!«
»Sie sind also doch schon versprochen?« sagte sie, wie es schien nicht ganz befriedigt von dieser Entdeckung. »Sie sagten erst nein, und da dachte ich, Sie wollten sich die Frau hier in der Gegend suchen, da hätte ich Ihnen rathen können, aber nun freilich kommt mein Rath zu spät.«
»Zu spät, viel zu spät, obgleich ich noch keine Braut habe,« versicherte er. »Ich will Ihnen sagen, wie's steht, Mutterchen,« fuhr er nach einer Weile fort. »Ich bin mit dem Mädchen aufgewachsen, das ich jetzt heirathen will. Ihr Vater war Schullehrer und meiner Pastor an demselben Ort, da gehörten wir schon zusammen. Ich wurde, als ich erwachsen war, zu einem Förster gegeben, da mein ältester Bruder schon Theologie studirte, ich mehr Lust zur Jägerei hatte und der Vater auch zu arm war, um zwei Söhne studiren lassen zu können. Ich kam also fort, aber sie blieb am Ort, auch als ihr Vater starb, und wenn ich nach Hause kam, sah ich sie immer wieder. Sie war ein herzig liebes Geschöpf! Ja, wie sie war, kann ich nicht sagen, kann auch nicht recht beschreiben, wie sie aussah, weiß eben so wenig, ob Andere sie hübsch finden. Für mich ist's noch keine so gewesen wie sie. Ich habe nie wieder solch' unschuldiges, sanftes, grundgutes Gesicht gesehen, wie sie es hatte und noch gewiß ebenso hat, wie damals, obgleich seitdem wohl acht Jahre in's Land gegangen sind.«
»Wie, so lange haben Sie sie nicht gesehen?« fragte die Försterin erstaunt.
»Vor acht Jahren war ich zuletzt in meiner Heimath,« fuhr der junge Mann zu erzählen fort. »Ich hatte gerade die Försterei verlassen müssen, in der ich bis dahin gewesen und die weit ab von meiner Vaterstadt liegt, und wollte, ehe ich meinen neuen Dienst antrat, doch erst einmal wieder nach dem Vater sehen, wollte es um so mehr, als die Mutter inzwischen gestorben war. Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, mein Mädchen zu fragen, ob wir uns nicht das Wort geben wollten, uns zu heirathen, wenn ich Brod haben würde, aber das Wort kam nicht über meine Lippen. Es ging mir seltsam damit. Ihre Mutter war dabei, als ich das liebe Kind zuerst wiedersah, und die Mutter war solche redselige, unterhaltende Frau und wußte immer so viel Geschichten, daß wir in ihrem Beisein kaum anders als mit den Augen zu einander reden konnten. Ich hatte denn auch gar nichts gesagt als: guten Tag, da ging schon das Räderwerk an der guten alten Plappermühle los, und sie ließ uns nicht eher allein, als bis sie Alles ausgekramt hatte, was sie nur irgend wußte. Eine ihrer Geschichten aber schloß mir den Mund. Sie betraf das kurze Leben und den traurigen Tod eines armen Mädchens, das ich ebenso wie die übrigen Einwohner des Städtchens von Kind an kannte. Das Mädchen hatte sich, als sie kaum achtzehn Jahre alt war, verlobt; der Bräutigam hatte nichts und war nichts, so wie ich bis auf den heutigen Tag, hoffte aber auf seine baldige Anstellung. Darüber vergingen jedoch zehn Jahre. Der Vater der Braut starb, die Mutter war kränklich, die Familie groß, und Bertha, so hieß die Verstorbene, war diejenige, auf der die Sorge für den Unterhalt, ja, zum Theil für die Erziehung der übrigen Familie lag. Sie benahm sich musterhaft, sie arbeitete von früh bis spät, aber ihre Gesundheit ging darüber zu Grunde, um so mehr, als auch ihr Liebesgram an ihr nagte. Es wurde ihr ein anderer annehmbarer Antrag gemacht; das Elend der Ihrigen drängte sie, ihn anzunehmen, aber sie konnte von dem gegebenen Wort nicht los. Damals war sie noch nicht krank, sie war nur körperlich erschöpft, der Kampf zwischen Liebe und Pflicht raubte ihr die letzte geistige wie körperliche Kraft. Unzählige Male soll sie gesagt haben: Hätte ich nur nicht mein Wort gegeben, nach meinem Glücke wollte ich ja nicht fragen. Das Wort hielt sie wie eine Kette, und der, der sie hätte frei machen können, war nicht da und damals nicht einmal aufzufinden, denn niedergeschlagen über seine verfehlten Versuche, war er fortgegangen und hatte gelobt, nicht eher wiederzukehren, als bis er im Stande sein würde, ihr eine Heimath zu bieten. Als er kam, um sie freizugeben, oder vielmehr sich von ihr loszumachen, denn es hatten sich ihm inzwischen Aussichten für eine gesicherte Zukunft eröffnet, bei denen ein früheres Verlöbniß ihm hinderlich war, da brachte die ihr durch einen Schurkenstreich wiedergegebene Freiheit Keinem mehr Rettung und Gewinn. Das Mädchen ging nun unaufhaltsam ihrem Grabe entgegen, und ihr Leiden und Tod, sowie die Ursache von beiden, eine Begebenheit, die eben so viel Theilnahme als Erbitterung erweckte und nicht mit Unrecht jetzt die Mutter meines Mädchens gegen frühzeitige Verlobungen eifern ließ, änderte meinen Entschluß, obgleich ich mich schwer in die Aenderung fand. Aber konnte ich, nachdem die Mutter soeben gesagt: ›Ich finde es nichtswürdig von einem Manne, die Zukunft eines Mädchens an sich zu reißen, ehe er weiß, was er ihr für dieselbe bieten kann,‹ konnte ich einen Augenblick nachher der Tochter einen derartigen Antrag machen?
Ich glaube, die Mutter hatte es auch auf mich gemünzt, als sie die Geschichte erzählte, als sie sagte: ›Reich braucht mein Schwiegersohn nicht zu sein, aber er muß arbeiten wollen und mir die Stelle zeigen können, wo er sichere Arbeit hat. Jedes vordem gesprochene Liebeswort halte ich für frevelhaften Leichtsinn. In meiner Gegenwart würde ich es nicht dulden, und wer es hinter meinem Rücken sagt, den mag der Himmel strafen.‹
Ich sagte es also nicht, aber gemerkt muß es das liebe Mädchen haben, wie ich es meinte, und in ihren Augen war auch etwas, auf das ich gebaut habe die langen acht Jahre hindurch, die seitdem verflossen sind, ja, die letzten sechs Jahre, in denen ich nicht einmal etwas von ihr gehört habe.«
»Nicht einmal etwas von ihr gehört?« wiederholte die Försterin erstaunt.
»Ja, wie sollte ich's machen?« sagte der junge Mann. »Als ich damals Abschied von ihr nahm, ihre Mutter war dabei, sagte ich zu ihr: ›Und wenn tausend Jahre vergehen, ehe ich Dich wiedersehe, ich werde nicht anders denken wie heute. Glaubst Du mir's?‹ Da gab sie mir die Hand, und das war genug für mich. Ein Wort wurde nicht dabei gesagt, und es ist also keins da, was gebrochen werden könnte, aber der Gedanke, den sie und ich dabei hatten, der ist so bindend wie ein Schwur, und zu dem Gedanken, der aus ihrem Auge wie aus dem meinen sprach, zu dem hat die Mutter gelächelt.
›Schaffen Sie nur bald die Försterei!‹ rief sie mir beim Abschied zu. Das war das letzte Wort, das ich von ihr gehört habe und je hören werde, denn kurze Zeit darauf raffte ein bösartiges Fieber sie dahin, dieselbe Krankheit, der auch mein Vater zwei Jahre später erlag. Die Waise zog nun zu einer Muhme, die weit fort von meiner Vaterstadt wohnte. Ich schrieb ihr, als die Mutter gestorben war, denn ich mußte ihr doch ein Wort des Trostes sagen, aber so sehr es mich auch drängte, von meinen Hoffnungen auf unser künftiges Glück zu sprechen, so wagte ich doch noch weniger der Todten zuwider zu handeln, als ich's bei der Lebenden gewagt hatte. Ich schrieb nur unter meinen Brief: ›Ich bin und bleibe immer derselbe,‹ das war Alles, was ich mir zu sagen erlaubte.
Ich habe keine Antwort auf meinen Brief bekommen, und als ich noch einmal ein paar Zeilen an sie richtete, erhielt ich von der Muhme den Bescheid, daß sich ein Briefwechsel zwischen ledigen Leuten nicht schicke und daß sie ihn nicht erlauben könne. Da schrieb ich denn nicht wieder und habe Alles der Zeit und dem lieben Gott überlassen, bis zu dem Augenblick, wo die Anstellung kam. Noch ehe ich hierher reiste, ist mein Brief an sie abgegangen, denn nun habe ich ja, wie es die Mutter verlangt, die Stelle, wo ich arbeiten kann, und jeden Tag kann die Antwort kommen. Ich wollte, sie wäre schon da.«
»Wenn das Mädchen nur auch treu geblieben ist,« wandte die Försterin mit bedenklicher Miene ein.
»O, Mutterchen, Sie kennen sie nicht!« unterbrach Friedrich sie lebhaft.
»Wenn sie nun denkt, Sie haben sie vergessen?« fuhr jene fort.
»Das kann sie nicht denken,« versicherte Friedrich, »sie hat mir immer geglaubt, und ich habe sie nie belogen.«
»Es ist doch besser, ein gesprochenes Wort als Pfand zu geben,« beharrte die Försterin.
»Was half der armen Bertha das gesprochene Wort?« wandte Friedrich ein.
»Freilich, freilich,« sagte die alte Frau, »wer einmal leichtfertig und nichtswürdig denkt und so handeln will, der kehrt sich auch nicht an ein gegebenes Wort. Es ist aber immer eine lange Zeit, acht Jahre zu warten, wenn man in der ganzen Zeit nichts von einander hört. Und wenn nun ein Anderer gekommen ist, und die Muhme hat sie dem gegeben?«
Friedrich schüttelte sorglos den Kopf.
»Damit hat's keine Noth,« sagte er. »Sie lebt in einer halben Wildniß, da sieht sie kein Mensch, auch habe ich mich nach der Muhme erkundigt. Sie hat früher eine andere Verwandte bei sich gehabt und ist bitterböse gewesen, als die geheirathet hat. Sie will Jemand um sich haben, der sie pflegt, so lange sie lebt. Nun soll's mein armer Schatz thun, und so wird sie schon deshalb nicht leicht Jemand zu ihr heranlassen. Sie hat sich ja auch nur meine Briefe verbeten, weil sie Angst gehabt, ich könnte ihr das Mädchen abwendig machen wollen. Sie wird ihr nicht zum Heirathen zureden, ich bin eher gefaßt darauf, daß sie mir jetzt die Thür weist. Aber was thut's! schließt sie die Thür zu; hol' ich mir mein Lieb durch's Fenster. Aber nun genug des Plauderns. Für eine erste Bekanntschaft war's vertraulich genug. Ich kann ein gutes, freundliches Gesicht nicht sehen, ohne ihm zu glauben,« fügte er, der Försterin die Hand bietend, treuherzig hinzu.
Der Frau flossen gleich wieder die Augen über.
»Sie sollen's nicht bereuen, mir Ihr Herz ausgeschüttet zu haben,« sagte sie. »Mir armen, alten, einsamen Frau ist dabei ganz warm um's Herz geworden. Sonst saß meine Tochter da, wo Sie jetzt sitzen, und plauderte mit mir, und mein Alter rauchte im Lehnstuhl seine Pfeife dazu, da hatte man doch das Gefühl, eine Heimath zu haben; die Tage über ist mir zu Muth gewesen, als wäre ich lebendig begraben, obgleich die guten Leute aus dem Dorfe mir Freundlichkeit genug erzeigten, der gute alte Förster aus Corswand jeden Tag auf eine Viertelstunde herkam und selbst der junge Herr vom Fangel mit seiner feinen zimperlichen Frau den Weg hierher fand.«
Die letzten Worte wurden in einem Tone gesprochen, dessen Bitterkeit so auffallend von der vorherigen Art und Weise der Frau abstach, daß dem jungen Förster zum ersten Male der Beiname der Frau: »Katzenpfötchen«, einfiel. Es machte ihn aber nicht irre. Man kann nicht immer mit Jedermann Freundschaft halten, und selbst Solche, die alle Welt lieber streicheln, kommen doch wohl einmal in die Lage, aus dem Sammetpfötchen eine Waffe machen zu müssen.
»Wer ist der junge Herr vom Fangel, was ist der Fangel überhaupt?«
»O, der Fangel ist ebenso wie Corswand eine der hiesigen Förstereien. Hier unsere oder Ihre Försterstelle vielmehr ist die einzige, die keinen besondern Namen hat. Sie war die erste, die eingerichtet wurde, und so wie damals nennt man sie heute noch nur: die Försterei. Der junge Herr vom Fangel aber ist der dortige Förster, und ich habe ihn von Anfang an so genannt, weil er so vornehm auftreten und so fein sprechen kann wie ein Prinz, ganz anders wie wir's hier gewohnt sind, und auch ganz anders als Sie, mit Verlaub. Es ist aber nichts dahinter, und in einem Blick von Ihnen ist mehr Ehrlichkeit und Treue, als in dem ganzen Menschen. Aber sprechen wir nicht weiter von ihm. Er ist ein schlechter, falscher Mensch, und ich weiß wohl, warum meine Tochter zu der fremden Dame zog und warum ich's nicht zugeben will, daß sie zu mir zurückkehrt.«
Sie verhüllte einen Augenblick ihr Gesicht mit der Schürze, und als sie wieder zu Friedrich aufsah, glänzten Thränen in ihren Augen. Friedrich reichte ihr freundlich die Hand.
»Gott mag mit ihm Abrechnung halten, wenn er Unrecht verübt und Sie gekränkt hat, Mutterchen,« sagte er, »er mag auch Ihrer Tochter das fröhliche Herz wieder zurückgeben. Bis sie wiederkommt, geben Sie mir Kindesrechte. Wir kennen einander nun schon so gut, als hätten wir einen Scheffel Salz zusammen gegessen.«
Frau Wallner schluchzte. Dem jungen Manne wurde ganz heiß dabei, er konnte Thränen nicht sehen.
»Es ist mir lieb,« fuhr er fort, »daß mein Herr mich an den Förster von Corswand gewiesen hat, daß ich mir von diesem mein Revier kann zeigen lassen. So habe ich doch nicht gleich etwas mit dem Herrn auf dem Fangel zu thun. Freilich, aufsuchen muß ich ihn, da wir Amtsgenossen sind und man den Waldfrieden doch nicht brechen kann, aber ich denke, er wird von selbst nicht viel hierher kommen, wenn er hört, daß Sie bei mir bleiben.«
»O, daran kehrt er sich nicht,« unterbrach ihn Frau Wallner. »Kam er doch sogar zum Begräbniß meines lieben Alten, obgleich der Gedanke, welcher Kummer diesen unter die Erde gebracht, nicht gar zu fern liegt.«
Friedrich machte keine Einwendung, obgleich er gehört hatte, daß der alte Mann zehnjährigem asthmatischen Leiden erlegen sei. Was ging es ihn denn an, zu welcher kleinen oder großen Uebertreibung sich die gute Alte in ihrem Herzeleid verleiten ließ. Um von dem Gegenstand abzubrechen, fragte er: »Ist Corswand weit von hier?«
»Um heute noch hinzugehen, zu weit,« entschied die Alte. »Der Abend ist da, ehe Sie hinkommen, ist es dunkel im Walde. Heute ruhen Sie nur aus, morgen früh werde ich Ihnen den Weg beschreiben.«
Und so geschah es denn, wie die Alte gesagt. Friedrich blieb, und ein Stündchen verging Beiden noch unter behaglichem Geplauder. Dann suchte Friedrich sein Lager auf, ohne jedoch gleich die Ruhe zu finden und so lange die zuletzt empfangenen Eindrücke durchträumend und sie mit früheren Erlebnissen und Gedanken zu wirren Bildern vermischend, bis er mit der der Vorstellung, als sitze des Vaters alte Hauskatze vor ihm auf dem Deckbett und fahre ihm mit den Sammetpfötchen über die geschlossenen Augen, tief und fest entschlief.