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Zweites Capitel.


Mit einem Herzen, um ein Bleigewicht an Sorge ärmer, ging auch Frau Wallner an dem Abend zur Ruhe. Sie fühlte wieder ein Heimathsrecht an das Haus, das sie seit ihrem zwanzigsten Jahre, seit sie als des Förster Wallner's Ehefrau dort eingezogen, nicht wieder verlassen und in so weit lieb gewonnen hatte, als sie einmal kein besseres wußte, es mit demselben zu vertauschen. Es war ihr auch ein schwerer Gedanke gewesen, gerade für die letzten Lebensjahre nur auf ihrer Hände Arbeit angewiesen zu sein. Durch Friedrich Günther's zuvorkommendes Anerbieten war ihr dies Loos erspart, freilich nur für einige Zeit, – für Monate vielleicht – bis er geheirathet haben würde – sie lächelte jedoch dazu.

Frau Wallner hatte nur die eine Tochter, und von ihrer Geburt an war Rosette, der Meinung ihrer Mutter nach allen Kindern ihres Alters und Geschlechtes bei Weitem überlegen. Wie sie zuerst an Größe und kräftiger Entwickelung alle Anderen übertraf, so später auch an Schönheit und Verstand, obgleich letzterer, wenn auch vorhanden, sich mehr durch eine vorschnelle Redefertigkeit, als durch wirkliches tiefes Denkens offenbarte. Sie mochte aber sagen und thun was sie wollte, die glückliche Mutter schaute in sie hinein wie in einen goldenen Kelch. Natürlich verfehlte diese Schwäche nicht, einige recht fühlbare Lücken in der Erziehung des Mädchens hervorzubringen, die dadurch nicht ausgefüllt wurden, daß die Mutter sie, dem Beispiel reicherer, vornehmerer Leute folgend, für einige Jahre in Pension gab.

Mit einer Menge großstädtischer Ideen und thörichter Illusionen in dem unreifen, leichtsinnigen Köpfchen kehrte die sechszehnjährige Rosette nach zweijähriger Dressur in einer ziemlich mittelmäßigen Erziehungsanstalt in das väterliche Haus zurück, verdorben für das einfache Glück, das es ihr zu bieten hatte, und doch nicht gebildet und befähigt genug, sich durch eigene Kraft ein anderes Loos zu schaffen.

Sie war zu einem auffallend frischen Mädchen herangewachsen. Freilich mochte manche unter den Fischerstöchtern des Stranddorfes ihr darin nicht nachstehen, aber Kleider thun auch etwas, und die Zierlichkeit und Ordnungsliebe der Mutter wie der eitle Sinn der Tochter sorgten dafür, daß die günstige Laune der Natur möglichst durch die äußeren Hülfsmittel der Toilette unterstützt wurde. Der arme Herr Wallner, der von der Rückkehr der Tochter gehofft, daß die Ausgaben für diese sich nun wieder zu seinen Gunsten verringern würden, hatte umsonst diese Gerechtigkeit des Schicksals oder der Seinen erwartet. Es blieb bei der knappen Einrichtung des Haushalts, ja, der Förster erwartete mit Zittern und Zagen, daß die Aufopferungslust seiner Frau, ihre Mutterliebe ihn noch in seiner letzten Lebensfreude, dem Genuß seiner Pfeife, beschränken würde, um der unbeschreiblichen Freude willen, die hübsche Tochter über ihren Stand, ihre Verhältnisse hinaus geputzt zu sehen.

Leider gab es nur gar zu wenig Gelegenheit, der armen Rosette außer der stets bereiten Bewunderung ihrer Mutter auch die anderer, wichtigerer Leute zu verschaffen; das Leben im Walde bedingt einmal eine gewisse Einsamkeit, besonders wenn der Wald auf einer Insel gewachsen ist, die, wenn auch reich an Schönheiten der Natur, doch nichts von alledem bietet, was eine nach bunter Abwechslung haschende Menge wünschen, was die Phantasie junger, lebenslustiger Leute reizen könnte, dort Abenteuer aufzusuchen. Die Tage verflossen dort einer wie der andere. Das Meer sang oder tobte im Sturm, der Wald wurde grün und entlaubte sich wieder, die Singvögel bauten in den Bäumen ihre Nester, die Raben zogen darüber hin, die Möven strichen mit silbernem Flügel über die Wellen. Die Fischer zogen auf den Fischfang aus, strickten Netze und bauten ihr Feld, stadtmüde Leute kamen auf eine kurze Sommerzeit, Einsamkeit und Heilung zu suchen, so war's ein Jahr wie das andere. Es fiel nichts vor, was die Neugier reizen, was einer müßigen Phantasie äußere Nahrung bieten, was einen oberflächlichen, auf die Welt gerichteten Sinn beschäftigen konnte, selbst die ungesunde Würze der Unterhaltung fehlte, die ihren Stoff aus Begebenheiten und Vorfällen schöpft, die Zeugniß von der Verderbtheit der Menschen, dem Verfall der Moral ablegen. Auf dem glücklichen, von der Welt, ihren Freunden, ihrem Raffinement abgeschiedenen Eiland kam selten ein Diebstahl, viel weniger ein noch schwereres Verbrechen vor. Kurz, es gab nichts zu thun und zu denken und zu sprechen, als was unmittelbar mit den gegebenen Verhältnissen, mit dem innern Menschen, mit der Natur zusammenhing. Wer mehr, wer etwas Anderes suchte, ging leer aus.

Das war aber mit Rosetten halb und halb der Fall. Vergebens versuchte es die Mutter, ihr einen Umgangskreis in Swinemünde zu verschaffen, vergebens Bekanntschaften mit den Badegästen zu vermitteln. Die Verhältnisse begünstigten ihre Versuche zu wenig. Aller Umgang blieb lückenhaft, und die wenigen Zerstreuungen, die Rosette dadurch erlangte, dienten nur dazu, ihre Sehnsucht nach den Freuden der Welt zu steigern.

 

Die an Alles denkende Mutter hatte noch ganz andere Sorgen, als die an eine sonnenhelle Gegenwart der Tochter. Die Zukunft derselben lag ihr noch viel schwerer auf dem Herzen. Wie sollte in dieser Einsamkeit ein Mann für Rosette gefunden werden! Vom Himmel fallen die Männer just nicht, es hat wenigstens nicht den Anschein, als kämen sie direct daher! Einen der Fischersleute konnte doch Rosette unmöglich heirathen, noch weniger einen der Förster der Umgegend, die alle viel älter als sie und längst versorgt waren; auch ließ sich nicht annehmen, daß Rosettens Bekanntschaft in der kleinen Stadt und etwaige Badebekanntschaften zu dem glücklichen Resultat einer Heirath führen würden.

Da starb der Förster auf dem Fangel, und seine Stelle wurde durch einen jungen, unverheiratheten Mann ersetzt.

Jetzt! dachte Frau Wallner, und eine Welt voll Hoffnungen knüpfte sich an das kleine Wort.

Nichts konnte die wohlwollende Wärme, die gutherzige, offene Freundlichkeit übertreffen, mit der sie den jungen Förster, Robert Arnold, empfing, als ihr Mann ihn ihr zum ersten Mal in's Haus brachte.

Auch auf Robert Arnold machte die warme Begrüßung, die einen Fremden gleich in einen guten Bekannten verwandelt, einen äußerst angenehmen Eindruck. Er sprach es nicht aus, aber er dachte, der Himmel habe es doch recht gut mit ihm gemeint, ihn gleich in ein Haus zu führen, in dem man Gastfreundschaft im wahren Sinne übe, das heißt, den Gast wie einen Freund behandle. Trotzdem gab er sich der Freundschaft nicht gleich hin. Er blieb zurückhaltend, so gut Frau Wallner es auch verstand, ihn ohne den Anschein der Neugier auszufragen. Entweder hatte er wenig mitzutheilen, oder er wollte es nicht thun. Er erzählte nur, daß seine Eltern längst todt seien, daß er seine Jugend in drückenden Verhältnissen zugebracht, bis sich dann ein edler, menschenfreundlicher Mann, ein Oberförster, seiner angenommen und er dessen Beruf zu dem seinigen gemacht hätte. Seit mehreren Jahren sei jener aber auch schon todt. Er seufzte, als er das sagte, und Frau Wallner hatte Thränen in den Augen. Als er aber dann seine Freude an seinem Beruf aussprach, als er die romantische Lage seiner neuen Heimath pries, seine Vorliebe für ein zurückgezogenes Leben erklärte, als er das zwar ernst und ruhig, aber doch in einer Ausdrucksweise sagte, die bedeutend mehr Bildung verrieth, als Frau Wallner in ihren Umgebungen gewöhnt war, da wachten frühere Märchenphantasien wieder auf, und sie sah den jungen Förster forschend an, ob er denn wirklich nichts Anderes sei, als ein armer, niederer Jägersmann.

Jedenfalls enthusiasmirte sie sich augenblicklich für ihn, und war in dieser günstigen Stimmung so gemüthlich, so mütterlich wohlwollend und freundlich, wie sie immer war, wenn der Einfluß des Augenblicks sie zum Gebrauch der ihr von der Natur verliehenen Sammetpfötchen antrieb. Sie war ganz einverstanden mit seiner Neigung für die Jägerei, mit seinem Entzücken über die Schönheit der Gegend, ganz einverstanden mit seiner Vorliebe für ein zurückgezogenes, einsames Leben, »aber,« sagte sie lächelnd, »zu einem solchen Leben gehört durchaus eine behagliche Häuslichkeit, gehören Frau und Kinder, wie überhaupt nichts über das Glück stillen Familienlebens geht. Wie steht's denn in dem Punkt mit Ihnen?« fragte sie scherzend, »eine Braut werden Sie, doch wohl haben?«

Er schüttelte den Kopf.

»Ich bin ein Unglücksvogel,« sagte er dann halb melancholisch, halb scherzend, »meine Pläne haben selten ein rechtes Gedeihen, und darum habe ich kein rechtes Vertrauen in die Zukunft. Es kommt wohl daher, daß ich kein Vaterhaus habe und mir deshalb so fremd vorkomme, als gehörte ich nirgends recht hin.«

»Ei,« unterbrach ihn Frau Wallner, »wer kein Vaterhaus hat, der mag doch zusehen, daß er Anderen eins giebt, dann wird es ihm auch nicht mehr fehlen, und er wird wissen, wo er hingehört, denn der Mensch gehört allemal dahin, wo er sich feststellen und auf seinem Platz behaupten kann.«

»Gewiß,« erwiderte Arnold lebhaft. »Für sich allein kann man vielerlei entbehren, Frau und Kinder reißt man aber nicht gern hinein in ein dunkles, unsicheres Geschick.«

»Wie Sie übertreiben!« sagte Frau Wallner. »Wenig haben und viel arbeiten müssen ist kein dunkles Geschick, und Entbehrungen kennt der Zufriedene nicht. Mein Kind und ich und mein Alter sind immer glücklich dabei gewesen,« fuhr sie fort, und die reinste Zufriedenheit strahlte von ihrem Gesicht. »Sie müssen nicht gerade eine verwöhnte Stadtdame hierher bringen; ein gutes, bescheidenes Mädchen, das Sie innig liebt, müssen Sie wählen, dann werden Sie über alle Entbehrungen lachen und ebenso wie ich finden, daß es keine giebt.«

Und nun schilderte sie dem aufmerksam zuhorchenden jungen Manne den Zauber stillen Familienlebens, die Vorzüge jener Zurückgezogenheit von der Welt, die falsche Ansprüche nicht aufkommen läßt, pries das Glück eines einfachen, zufriedenen Sinnes und sprach sich immer tiefer in den Glauben an ihre Worte und in eine sanfte Begeisterung für die Freuden der Armuth hinein, je mehr sie es vergaß, wie sehr sie den eben mit herzgewinnender Wärme vorgetragenen Theorien in der Praxis durch die Erziehung ihrer Tochter widersprochen hatte. Arnold reichte ihr ganz ergriffen die Hand, als sie zu Ende war, und sagte:

»Ich werde immer zu Ihnen kommen, wenn ich kleinmüthig bin. Man nennt uns das starke Geschlecht, aber im freudigen Entsagen sind die Frauen viel stärker als wir.«

»Ja, das sind wir,« gab Frau Wallner zu und suchte mit ihren Augen ihren Mann, als wollte sie ihm sagen: siehst Du, solche Frau hast Du!

Aber der gute Mann war, wie immer wenn er zu Hause war, auf seinem Lehnstuhl, die Pfeife im Munde, eingeschlafen.

»Komm Zeit, kommt Rath,« sagte Frau Wallner bedeutungsvoll, als Arnold aufbrach, und reichte dem jungen Manne die Hand, die dieser herzlich drückte und, bestochen von dem offenen, gemüthlichen, verständigen Wesen der Frau, mit der Ueberzeugung in seine einsame Behausung zurückkehrte, an ihr gewiß, vielleicht auch an der Tochter einen entsprechenden Umgang gewonnen zu haben, für sich sowohl wie für seine Frau, wenn – er spann den Gedanken nicht weiter aus.

»Ach, darf ich sie denn täuschen, kann ich ihr denn die Wahrheit sagen?« sagte er unwillkürlich halb laut und versank in tiefes Nachsinnen.

 

Er machte an demselben Abend noch eine weitere Bekanntschaft, die ihm gleichfalls bedeutungsvoll für sein einsames Waldleben werden zu wollen schien, die Bekanntschaft eines alten Fischers, der wöchentlich ein paarmal im Schmollensee, an dem das Försterhaus lag, zu fischen pflegte. Der alte weißhaarige Mann, der so jugendlich behend vom Kahn an's Ufer sprang und mit so fröhlicher, ungekränkter Miene ein leeres Netz hinter sich herzog, fiel ihm auf. Er bot ihm freundlichen Gruß, der eben so freundlich erwidert wurde.

»Ihr seid nicht glücklich gewesen bei Eurem Tagewerk, wie es scheint,« sagte Arnold, »Euer Netz ist leer.«

»Der See ist nicht sehr ergiebig an Fischen,« war die Antwort, »aber vergeblich ist's deshalb dennoch nicht, das Netz auszuwerfen, denn während man still wartet, daß es sich füllt, schwimmen Einem von allen Seiten frohe Gedanken zu. Der See wimmelt davon, und mit leerem Herzen bin ich noch nie an's Ufer gegangen, wenn auch mit leerem Netz.«

Der Jäger sah überrascht auf und prüfte noch aufmerksamer als vorher die Züge seines neuen Bekannten. Nichts als die lautere Zufriedenheit glänzte ihm aus demselben entgegen.

»Ihr seid wohl immer recht glücklich gewesen?« sagte Arnold auf einmal.

»Man wird immer glücklicher, je älter man wird,« entgegnete der Alte, »denn man hat schon so oft erfahren, wozu Trübsal dient und wo sie ihr Ende findet, daß man sich gar nicht mehr recht vor ihr fürchten kann. Und alles Unglücklichsein ist doch meist Zaghaftigkeit oder Verschuldung.«

»Meint Ihr?« sagte Arnold gedankenvoll, und indem er seine Augen über den Spiegel des Sees hinschweifen ließ, merkte er es nicht, daß jetzt die Reihe am Alten war, ihn zu prüfen, und daß dieser ihm gar aufmerksam in das sonnverbrannte, ausdrucksvolle Gesicht schaute. Aber auch der Fischer schien mit der Prüfung zufrieden.

Plötzlich sah der Förster auf.

»Erzählt mir doch etwas von Euch,« bat er, zutraulich den alten Mann anblickend.

Dieser lachte.

»Ich bin sechszig Jahre alt und möchte gern noch einige zwanzig Jahre leben, weiter weiß ich nichts.«

»Aber was macht Ihr denn aus dem Leben, daß es solchen Reiz für Euch hat? Was hat es Euch denn gegeben, daß Ihr es so lieb habt?« lautete die nächste Frage.

»Es ist doch immer ein Geschenk vom lieben Gott und uns aus Liebe gegeben,« antwortete der Alte, »soll man ein solches Geschenk nicht ehren durch Freude an demselben?«

»Wenn man's nur kann!« seufzte Arnold.

»Warum denn nicht? Sehen Sie sich doch um!« sagte der Fischer.

In der That war der Platz, an dem Beide standen, wohl geeignet, den Worten des Alten Bestätigung und Nachdruck zu geben und seine Freude am Leben, in dem er ein Geschenk der Liebe Gottes sah, zu rechtfertigen.

Dieser tiefe, klare See, jetzt glühend im Abendroth, dieser Waldeszauber, vom lustigen Chor gefiederter Sänger tausendstimmig befangen, riefen zur Freude auf; der heiterste Gedanke der Liebe offenbarte sich in der anmuthigen Schönheit, mit der beides zum Herzen sprach, und das in der Ferne wogende Meer gab zugleich ein glückliches Bild der Unendlichkeit dieser Liebe.

Arnold fühlte sein Herz weit werden.

»Es ist zu viel und zu wenig für Einen allein!« brach er dann los.

Ein gutmüthiges Lächeln umschwebte die Lippen des alten Mannes, als er sagte:

»Nun, so theilen Sie doch. In Ihrem Alter weiß man doch meist, mit wem man zu theilen hat.«

»Ja, es geht nur nicht Jedem so, wie er's wünscht, geht nicht Allen so glatt, wie es Euch gegangen zu sein scheint,« entgegnete er.

Der Fischer schüttelte wehmüthig den Kopf.

»Damit ist's mir eben nicht allzu glatt gegangen,« sagte er mit jener freundlichen Miene, die, wenn sie überwundenem Leide gilt, rührender zur Seele spricht, als der düsterste Ausdruck von Schmerz, »mir ist die Braut gestorben vierzehn Tage vor der Hochzeit. So wie Sie es denken, habe ich also auch nicht theilen können, wie Sie sehen. – Sie war da drüben zu Hause,« fuhr er, nach der Richtung zeigend, in der Rügen lag, fort, »von ihren Angehörigen lebt nur noch ein Brudersohn, und der ist noch dort und hat die Tochter meiner einzigen Schwester geheirathet.«

»Und dort auf Rügen ist sie gestorben?« fragte Arnold.

»Sie war eines Fischers Kind,« erzählte der Alte, »und die See verschlang sie alle Beide. Sie war mit ihm auf dem Wasser, als der Sturm, der gedroht hatte und den ihr Vater in seinem Eigensinn nicht als so nah hatte sehen wollen, den Kahn umschlug. Es kam keiner von Beiden von der Fahrt zurück.«

»Und Ihr seid nun doch bei dem Gewerbe geblieben, das Euch so viel Leid gebracht?« meinte der Förster. »Hat's Euch nicht das Herz bald gebrochen, immer wieder auf das Wasser hinauszufahren, das Euch Euer Glück entriß?«

»Kann die See dafür?« sagte der Alte.

Der Förster sah den alten Mann halb erstaunt, halb bewundernd an. Er sprach so schlicht, als handle es sich um die gleichgültigste Sache von der Welt, als sei es selbstverständlich, daß Einem das Liebste sterbe, daß man das höchste, heiligste irdische Glück entbehre und so ruhig fortlebe, als habe nie etwas die Harmonie des Daseins gestört. In einem und demselben Athemzuge von dem Glück seines Lebens und dem Tode seiner Geliebten sprechen, wie war das möglich? War es Stoicismus, war es Abgestumpftheit des Alters?

Nein, es war Frömmigkeit, beantwortete sich der Jäger die Frage; die Frömmigkeit, die nie an der Güte des Himmels irre wird, auch wenn sie uns noch viel schwerere Prüfungen auferlegt. Sie schaute mit überzeugender Wahrheit aus den guten Augen des alten Mannes, sie sprach aus jedem seiner Worte; sie hatte den Frohsinn in ihm nicht sterben lassen, hatte sein Herz der Natur und den Menschen geöffnet, hatte seinen Gefühlen Kindlichkeit, seinen Gedanken Tiefe und Reinheit gegeben.

»Hätte ich nicht einen so vortrefflichen Vater gehabt, wie ich mir keinen zweiten denken kann,« brach der Jäger plötzlich los, »so wollte ich, Ihr könntet es sein!«

»Ei, sie nennen mich hier ja Alle Vater Reimer,« bemerkte der Fischer lächelnd, »Sie können es auch thun, ich höre es gern. Und gute Nachbarschaft können wir auch halten. Da am Ausgang des Waldes liegt mein Häuschen, Sie müssen daran vorbei, wollen Sie nach dem Dorf, und ich muß wieder oft hierher an den See, da werden wir uns wohl manchmal zusammenfinden, ein Weilchen zu plaudern, wenn's uns gegenseitig gefällt. Jetzt aber muß ich heimgehen. Gott behüt' Sie!«

Wie es der Alte gesagt, so geschah es. Sie plauderten manches Stündchen zusammen, und so verschieden sie auch an Jahren wie an äußerlicher Bildung waren, die jugendliche Empfindungsweise des Alten, sein Herzenstact und sein schlichter Verstand glichen alle Ueberlegenheiten des jüngeren Genossen aus.

Der Jäger pries sich glücklich, gleich beim ersten Erscheinen in der neuen Heimath Freunde gefunden zu haben, wie Vater Reimer und Frau Wallner es waren.

 

Der Verkehr zwischen der Wallner'schen Familie und dem jungen Förster Arnold wurde von da an mit ziemlicher Lebhaftigkeit unterhalten. Es verstand sich nicht nur, von selbst, daß Arnold jeden Sonntag ein willkommener Gast in der Försterei war, Frau Wallner konnte es kaum ein paar Tage ohne ihn aushalten, und der alte asthmatische Förster mußte wohl oder übel auch noch oft in der Woche den weiten Weg nach dem Fangel hinüber machen, um den jungen Mann zu den Beweisen der überströmenden Gastfreundschaft seiner Frau herbeizuholen.

Arnold blieb bescheiden und harmlos. Er schrieb die Freundlichkeiten, die er empfing, nur der Güte derer zu, die ihn damit überhäuften, und erwiderte sie mit herzlicher Dankbarkeit. Er brachte ganz gern ein paar Stunden in der Försterei zu und ging dann spät Abends bei Mondschein und Sternenlicht durch den schönen stillen Wald nach Hause, halbwegs durch das Brausen der See begleitet, der die Försterei so nahe lag, daß der Gesang der Wellen sich lieblich mit dem Windesrauschen in dem dichten Laube der Buchen vermischte.

An Rosette dachte, von ihr träumte er nicht auf diesen nächtlichen Wanderungen, obgleich ihr Gruß gewöhnlich das letzte Wort war, das er mit auf den Weg bekam. Das Mädchen ließ ihn kalt, er wußte nichts mit ihr zu sprechen, es wurde ihm nie warm in ihrer Gegenwart, wie in der der Mutter, ja selbst in der ihres Vaters, der wenigstens die Gutherzigkeit selber, wenn auch nichts Anderes war. Vielleicht lag's auch daran, daß Rosette sich nichts aus ihm machte, obgleich sie sich bei ihm ganz unwillkürlich in den Anfangsstudien der Gefallsucht übte.

Sie dachte sich durchaus kein Glück dabei, ihn zu heirathen, und widersprach auf's lebhafteste den Wünschen ihrer Mutter.

»Wenn ich schon von Dir fortgehen soll, Mutterchen,« meinte sie, »so will ich doch auch etwas dafür haben. Du hast es mir ja selbst gesagt, für den Wald habest Du mich nicht erzogen. Heirathe ich, so will ich in die Stadt ziehen, und dann kann der Vater seine Stelle aufgeben, und Ihr kommt aus dem langweiligen Walde heraus und bleibt bei mir. Der Vater kann seine Pfeife rauchen von früh bis spät, und Du, Mutterchen, sollst mich putzen und mit mir ausfahren, und sollst stolz sein auf Deine hübsche Tochter. Ich heirathe nicht anders, als wenn Du mitkommst, und mein Mann muß mich so verziehen, wie Du es thust, sonst habe ich ihn nicht lieb. Glaubst Du, daß Arnold das thun würde? Gewiß nicht. Er hat noch nie ein freundliches Wort mit mir gesprochen.«

»Dafür sieht er Dich um so mehr an!« erwiderte die Mutter. Rosette lächelte geschmeichelt.

»Es muß eigentlich ganz nett sein, zu einem Antrag nein zu sagen,« bemerkte sie und lachte muthwillig über den Schreck der Mutter, die aber dann ihr muthwilliges Töchterchen, entzückt über diesen Uebermuth, zärtlich küßte und mit Schmeichelnamen überhäufte.

Natürlich hatte Frau Wallner es bei dem ersten Besuch Arnold's schon bei sich ausgemacht, daß er und Rosette ein Paar werden sollten, und diese Meinung befestigte sich immer mehr, je öfter sie ihn sah, je mehr sie ihn dieser fixen Idee zu Liebe in ihr Herz schloß. Rosette war das einzige junge gebildete Mädchen in der Gegend, er der einzige gebildete junge Mann.

Sie ärgerte sich nur über die Langsamkeit seiner Bewerbung; es ging so viel kostbare Zeit darüber verloren, und wozu? Kein Mensch hatte einen Gewinn davon, und Rosette setzte es sich nur fester in den Kopf, daß es ein Vergnügen sein müsse, einen ungewünschten Liebhaber durch einen Korb zu ärgern. Vielleicht machte es ihr auch nur Spaß, die Mutter ein wenig mit der Drohung zu ängstigen. In mancherlei zierlichen Arbeiten erfahren und geschickt von Natur, verstand sie es, aus Epheuzweigen sehr niedliche, zur Aufbewahrung von Blumen bestimmte Körbchen zu flechten. Sie warf sich mit einer wahren Leidenschaft auf die Arbeit.

»Die werden alle für den Herrn Förster,« sagte sie; »je länger er mich auf die Frage warten läßt, um so mehr Antwort soll er haben.«

Am Ende war ihr Herz doch nicht ganz unbetheiligt geblieben. Ihre Empfindlichkeit sprach fast dafür. Wenigstens faßte es die Mutter so auf und that ihr Möglichstes, Rosetten günstig zu stimmen und die Sache zu befördern. Sie legte Arnold's Unschlüssigkeit auf's schmeichelhafteste für Rosette aus, sie versäumte keine Gelegenheit, den jungen Mann durch kleine geschickte Anspielungen, durch absichtlich herbeigeführte Gespräche über Heirath und Familienglück zum Entschluß zu bringen.

 

Endlich schien ihre mütterliche Fürsorge für Beide mit Erfolg gekrönt zu werden. Rosette hatte kürzlich die Bekanntschaft einer jungen reichen Wittwe, der Baronin von Stern, gemacht. Die Dame, die sich ihrer angegriffenen Nerven wegen schon seit mehreren Wochen in dem kleinen Stranddorf aufhielt, war durch die wegen häuslicher Verhältnisse plötzlich erfolgte Abberufung ihrer Gesellschafterin in die höchste Verlegenheit versetzt worden. Sie war nicht daran gewöhnt, allein zu sein, sich allein zu beschäftigen. Es fehlte ihr die Vorleserin, die Begleiterin auf den Spaziergängen. Sie mußte immer Jemand um sich haben, mit dem sie sprechen konnte, der sie unterhielt, der sich für ihre tausend kleinen und großen Excentricitäten interessirte, eine Person, die mehr Ansehen hatte als ihre Jungfer und sich ihr doch unterordnete. Sie war außer sich über ihre Verlassenheit, und schon halb und halb im Begriff, ihrer Gesellschafterin nachzureisen und sie mit Gewalt zurückzuholen, als ihre Wirthin ihr den Vorschlag machte, sich doch einmal die Försterstochter anzusehen, die so vornehm in der Stadt erzogen worden, die viel zu fein für ihre schlichten Eltern sei und gewiß dazu taugen werde, der Frau Baronin bis zur Rückkehr ihrer Dame die Zeit zu vertreiben. Die Baronin ergriff diesen Vorschlag auf's eifrigste.

Die verwöhnteste Weltdame erfreut sich wohl gern einmal an einem Strauß frischer Feldblumen, wenn auch nur, weil ihr Fuß sich so selten dorthin verirrt, wo sie unter Gottes alleinigem Schutze wachsen und gedeihen. Wie eine wild emporgeblühte Blume dachte sich die Frau Baronin nun ungefähr die Försterstochter, trotz der städtischen Erziehung, die ihre Wirthin an ihr rühmte, machte unter dieser, Voraussetzung ihre Bekanntschaft, fand das Försterhäuschen im Walde höchst romantisch, den alten weißhaarigen Förster mit seinem gutmüthig einfältigen Gesicht und der langen Pfeife sehr originell, in seiner Frau ein Muster für ein Idyll, und war überzeugt, in der hübschen Rosette, deren Augen mit so sichtlicher Bewunderung auf der eleganten Erscheinung der Dame hafteten, just das zu finden, wonach sie eigentlich immer schmachtete: etwas Neues.

Sie trug ihr Anliegen vor, sich aus Klugheit jedoch vorläufig begnügend, sich des jungen Mädchens Gesellschaft nur für ein paar Stunden des Tages auszubitten. Rosettens Augen strahlten.

»Wenn sie zu Ihnen gehen will, mag's geschehen,« sagte der Förster. »Ich mische mich in nichts und denke, wie eine Sache kommt, so ist's am besten.«

Die Försterin, im höchsten Grade erfreut über die Aussicht ihrer Tochter, konnte kaum Worte finden, ihre Dankbarkeit auszudrücken.

Die Baronin war zufrieden mit dem Eindruck, den ihr Vorschlag gemacht.

»Kommen Sie, Kind,« sagte sie, »Sie sollen mich gleich begleiten, es ist langweilig, allein durch den Wald zu gehen, ich bin froh, daß ich für den Rückweg wenigstens Gesellschaft habe. Küssen Sie Ihre Eltern und geben Sie mir den Arm, heute Abend schicke ich Sie wieder zurück.«

Rosette that, wie ihr geboten. Der Vater lachte zu dem Kuß, er war an solche Liebkosung nicht gewöhnt, die Mutter flüsterte ihr während der Umarmung zu: »Erzähle ihr, daß Du Braut bist oder doch nächstens wirst, sie schenkt Dir vielleicht etwas Hübsches,« ließ sich durch das abweisende Kopfschütteln Rosettens nicht in ihrer guten Laune stören und sah dann mit einem schwer zu beschreibenden Stolz die Tochter am Arm der vornehmen Dame dahinschreiten.

Rosette benahm sich klug genug, das heißt, sie folgte der besten Klugheit, die es in der Welt nur geben kann, sie überließ sich vollständig natürlich den freudigen Gefühlen, die im Augenblick ihr Herz bewegten, und die ganz ungekünstelte Aussprache derselben, sowie eine dann folgende Schilderung von der entsetzlichen Einsamkeit ihres Lebens, erhöhte nur die Sympathie ihrer neuen Beschützerin. Ihre Träume von Glück, ihre bunten Illusionen wurden von der Weltdame nicht nur verstanden, nein, es wurde ihnen tiefere Bedeutung gegeben, und die Art, wie Frau von Stern den kindischen Träumen die Färbung ihres eigenen Geistes verlieh, verrieth eine durch die Welt unverdorbene Phantasie, eine nur zuweilen verhüllte, aber nicht untergegangene Wärme und Innigkeit des Herzens, wie zugleich die Fähigkeit, wenigstens für den Augenblick eigene, durch Andere nur reflectirte Gedanken gutmüthig für das Eigenthum jener Anderen zu halten. Rosettens Geplauder bewies viel Unerfahrenheit und Unreife, aber auch natürliche Frische und die noch volle Genußfähigkeit der Jugend. Ihre Lebensschilderungen waren ein verschwommenes Bild ohne Licht und Schatten, die Baronin wollte in der Skizze den tragischen Vorwurf erkennen.

»Sie armes Kind, ich wundere mich, daß Sie nicht gestorben sind. Welche reiche Welt müssen Sie in sich haben, um in dieser armen Umgebung nicht zu Grunde zu gehen!« sagte sie bedauernd.

Rosette glaubte es selber, und mit ihrer Eitelkeit auf die äußere Person mischte sich halb und halb ein Gefühl, das auch ihrem innern Werthe huldigte.

Sie erzählte nun auch ihre kleine Liebesgeschichte, es der erregten Phantasie der Frau von Stern überlassend, die Inhaltlosigkeit derselben zu ergänzen. Der junge, hübsche, blöde Jägersmann, der die Försterstochter schweigend liebt, die Eltern, die ihn begünstigen, und das Mädchen, das ihn nicht will, daraus bestand das ganze Thema, aus dem die Baronin einen Roman spann. Sie richtete Frage über Frage an Rosette.

»Ich würde ihn gern haben,« sagte diese naiv, »wenn er so lustig wäre, als er hübsch ist, und etwas Anderes als Förster müßte er auch sein. Im Walde ist nicht zu leben, wenigstens mit einem so ernsten, schweigsamen Menschen nicht. Wenn man jahraus jahrein kein anderes Gesicht sieht als immer nur das eine, da muß es Einem ja überdrüssig werden.«

»Nun, ließe sich denn dem nicht abhelfen?« fragte die Baronin, »er ist ja noch ein junger Mann, er kann immer noch einen andern Beruf ergreifen. Vielleicht kann ich ihm dazu verhelfen. Ich habe einflußreiche Verwandte und Bekannte genug. Denken wir einmal darüber nach, was er wohl werden könnte!«

Und Beide fingen nun an, über die künftige Lebensstellung des jungen Mannes zu debattiren, Vorschläge zu machen und zu verwerfen, über seine Fähigkeiten zu berathschlagen, kurz und gut, sein Loos völlig umzugestalten, als ob das nur so von ihrem Belieben abhinge, und amüsirten sich auf's beste dabei, bis Rosette auf einmal traurig sagte:

»Ach, er ist ja verliebt in den alten Wald, ich glaube, er ist verliebter in ihn als in mich.«

»Ja, weil Sie in demselben sind,« behauptete die Baronin, »verlassen Sie denselben, und ich wette, er geht Ihnen nach, wohin es auch immer sei.«

»Meinen Sie?« fragte Rosette mit leuchtenden Augen.

»Ach, wenn er das thäte, dann wollte ich ihm wirklich gut sein, wollte auch gern seine Frau werden, wenn er auch gar sehr still und ernst ist und nie recht weiß, was er mit mir sprechen soll; dann brauchte ich ja doch nicht immer allein mit ihm zu sein, wie hier!«

»Nein, das taugt auch nichts,« bestätigte die Baronin, »es ist viel hübscher, den, den man lieb hat, mit Anderen vergleichen und dann sagen zu können: so wie er ist Keiner!«

Den ganzen Nachmittag blieb Rosette bei der Baronin, und die Stunden vergingen mit Windeseile. Frau von Stern war nur wenig älter als das Mädchen, und wenn ihr auch weit überlegen an Bildung und Welterfahrung, so glich doch die gemeinsame Jugend den Unterschied wieder aus. Sie erzählte ihr nun auch von ihren Verhältnissen, ihrer Verheirathung, von ihrer kurzen Ehe, von dem Tode ihres Mannes, der Zerstreuungsreise, die ihr Vater darauf mit ihr nach Paris gemacht, die aber ihre Nerven so angegriffen habe, daß sie nun genöthigt sei, das Seebad zu brauchen.

»Wenn ich wieder gesund bin, denke ich viel zu reisen,« sagte sie. »Ich will die Welt sehen, will das Leben genießen. Ich wünschte nur, ich würde meine gute, alte Gesellschafterin los, ich würde mich lieber von einer jüngeren Gefährtin begleiten lassen, die mich besser versteht und auch einmal auf eine kleine Extravagance eingeht. Wir Beide, zum Beispiel, möchten schon besser zusammen passen. Wir müssen ziemlich gleichen Alters sein. Aber ach, meine gute Ehrendame darf ich nicht fortschicken; sie ist in meiner Eltern Hause gewesen, so lange ich denken kann. Ich habe sie auch lieb, sie ist mir nur langweilig. Ich komme wohl nicht los von ihr, und Sie heirathen Ihren Förster, da sind wir Beide gebunden!«,

»Leider,« klagte Rosette, »ich würde lieber zu Ihnen kommen, als jetzt schon heirathen.«

»Dann haben Sie den jungen Mann nicht lieb,« sagte die Baronin entschieden.

Rosette schüttelte den Kopf.

»Ich möchte nicht, daß er eine Andere heirathete,« sagte sie gedankenvoll.

Das Thema wurde wieder eine Weile ausgesponnen, dann sprang der Baronin unruhiger Geist auf andere Dinge über. Es fiel ihr ein, Rosetten ihre Kleider zu zeigen.

Es wurde nach der Jungfer gerufen und die bunten Schätze vor den verlangenden Augen des jungen Mädchens ausgebreitet. Rosettens kühnste Träume von Toilette hatten sich kaum zu einer solchen Auswahl eleganter und geschmackvoller Anzüge verstiegen, wie sie hier vor ihr lagen, des einsamen Meeresstrandes spottend oder vielleicht von den Wellen verlacht, gegen deren himmlische Schönheit, gegen deren Farbenspiel und schäumenden Silberschmuck die armselige Kleiderpracht ja doch in Nichts versank.

Rosette war entzückt. Sie hatte eine fast kindische Freude an dem Anblick der bunten Schätze.

»Sie, Närrchen, gefallen Ihnen die Sachen?« fragte die Baronin freundlich. »Sie machen ja ein Gesicht wie ein Kind, das zum ersten Mal einen Regenbogen sieht!«

»Es giebt doch recht glückliche Menschen!« war das Einzige, was Rosette zu antworten vermochte.

Die Baronin lachte. Die Freude des jungen Mädchens an dem bunten Tand machte ihr Vergnügen, sie sah in derselben zugleich eine Huldigung ihres guten Geschmacks, und da sie eben so gutmüthig als reich und unabhängig und also gewöhnt war, jedem Einfall zu folgen, schenkte sie Rosetten einen der hübschen Anzüge, jedoch mit richtigem Tact einen der einfacheren auswählend und über den Jubel des jungen Mädchens fast eben so viel Freude empfindend, als diese über das großmüthige Geschenk.

Vollkommen zufrieden mit einander trennten sich die, neuen Bekannten, und Rosette mußte versprechen, am nächsten Tage schon des Morgens wiederzukommen.

 

Diese kleine Begebenheit war es, die Frau Wallner benutzte, ihrem künftigen Schwiegersohn, wie sie selbst sagte, die Hölle heiß zu machen. Die drohende Aussicht, daß Rosetten möglicher Weise eine dauernde Stellung in dem Hause ihrer Gönnerin in Aussicht stehe, mußte ihn doch wohl zum Sprechen bringen. Bei dem nächsten Besuch Arnold's wurde ihm diese neue Bekanntschaft mitgetheilt und die Vorzüge derselben in dem überschwänglichen Licht geschildert, in dem Frau Wallner sie selber ansah.

»Mein Alter hat immer über das viele Geld gemurrt, das Rosettens Erziehung gekostet,« fügte sie zum Schluß ihrer Erzählung hinzu, »nun wird es doch Zinsen tragen. Wenn Rosette nicht so viel gelernt hätte, sich so fein auszudrücken, so gut vorzulesen verstände, würde die vornehme Dame wahrlich nicht so viel Gefallen an ihr finden. Das gute, ehrliche Herz und das hübsche Gesicht des Kindes thäten's wahrlich nicht allein. Sie muß ja von früh bis spät um die Baronin sein, und ich bin überzeugt, diese sieht zu, daß sie ihre alte Gesellschaftsdame ganz los wird, und nimmt mein Kind an deren Stelle.«

»Aber dann würde Rosette ja fortgehen, wie schade!« bemerkte Arnold, »sie ist die einzige Blume im Walde.«

»Aha, merkst Du 'was?« dachte Frau Wallner und sagte dann laut: »Ich gebe sie gewiß nicht gern fort, sie ist mein einziges Kind, meine einzige Freude, eben deshalb geht mir aber ihr Wohl über meins. Was hat das arme Kind hier von ihrer Jugend, sie hat ja Niemand, der für sie zum Umgang paßt. Ja, wenn Sie noch verheirathet wären und Rosette hätte an Ihrer Frau eine Gefährtin, dann würde sie sich wohl länger besinnen, ehe sie von hier fortginge Sie würde Ihre Frau gewiß recht lieb haben, aber Sie böser Mensch denken ja nicht an's Heirathen!«

»O, ich denke wohl daran,« gestand Arnold, »und jetzt gerade mehr als je. Ich bin zwar ein zaghafter Mensch, aber ich würde mich doch nicht scheuen, es einem Mädchen zuzumuthen, dies einsame, einfache Leben hier mit mir zu theilen. Was mich bedenklich macht, ist, daß ich so ganz alleinstehe auf der Welt. Ich kann meine Frau in keine Familie führen und sagen, dieser gehörst Du nun an, ich kann ihr nicht einmal Elternsegen versprechen, ich kann ihr Niemand geben, sie zu lieben, als mich selber.«

Frau Wallner mochte wenig Verständniß für diese Bedenklichkeiten haben, deren eigentliche Tiefe sie ja auch nicht durchschauen konnte und die ihr deshalb vielleicht mehr sentimental als wirklich begründet erschienen, aber sie war von Arnold's Worten oder vielleicht mehr von dem Tone, in dem sie gesprochen wurden, gerührt.

»Mein Gott,« sagte sie, »wenn nun Ihre Eltern auch todt sind, senden sie denn nicht ihren Segen von Oben herab? Wenn Sie ein braves, gutes Mädchen wissen, das Sie zu Ihrer Frau machen wollen, thun Sie es nur getrost, und wenn Sie keine Eltern haben, Sie zu segnen, lassen Sie mich und meinen Alten es an ihrer Stelle thun. Meinen wir es doch Beide so gut mit Ihnen, als wenn Sie unser leiblicher Sohn wären.«

Ein dankbarer Blick war die einzige Antwort.

»Nun, woran fehlt es noch? Heraus mit der Sprache!« fuhr sie, ihre Rührung und Aufregung bezwingend, mit ermunterndem Scherze fort, »die Eltern wären da, wo ist nun die Tochter, die Sie ihnen zuführen wollen?«

»Ich werde sie Ihnen nennen, in wenigen Tagen nennen!« sagte er mit plötzlicher Entschlossenheit, »es ist feig, sich von seinem Geschick unter die Füße treten zu lassen; bis zu einem gewissen Punkt kann man es beherrschen. Das habe ich bisher gethan und will es ferner thun. Für mich allein habe ich auch immer rasch zu entscheiden gewußt. Was ich will, was für mich recht ist, das weiß ich immer genau, und wenn sie, die ich liebe, erst Eins mit mir sein wird, werde ich auch für sie einstehen, aber ich besann mich nur, ob ich es werth bin, so ganz Eins mit der Unschuld zu sein, Eins mit ihr, die weder Zwiespalt noch Unklarheit kennt.«

Frau Wallner verstand von alledem nichts, als daß er künftig für seine Frau entscheiden wolle, was Recht oder Unrecht sei, und sah hierin eine Anlage zur Herrschsucht, vor der sie sich vornahm ihre Tochter späterhin zu warnen.

Im Augenblick nickte sie nur beistimmend zu seinen Worten und sagte, ihm freundlich die Hand gebend:

»So werde ich denn wenigstens erfahren, wer meine neue Tochter sein soll?«

»Ich muß nur eine Angelegenheit vorher in's Reine bringen,« antwortete er, »und was die Tochter betrifft, die ich Ihnen zuführen will, o so zweifle ich nicht, daß Sie dieselbe lieb haben werden.«

»Ich auch nicht,« versetzte Frau Wallner. –

 

Zwei Tage darauf hörte sie von ihrem Manne, daß Arnold verreist sei, aber Niemandem gesagt habe wohin. Tausend Vermuthungen tauchten in dem geschäftigen Gehirn Frau Wallner's auf, eine aberwitziger als die andere, aber alle natürlich nur auf die endliche Verlobung Arnold's und Rosettens zielend. Mitunter, wenn seine Zweifel, seine Bedenklichkeiten ihr einfielen, dachte sie, er habe früher eingegangene Verbindlichkeiten zu lösen. Das kann ja vorkommen. Es verlobt sich Mancher, ehe er noch recht Bescheid mit seinen Gefühlen weiß, soll er das sein ganzes Leben hindurch büßen? Dann fiel ihr wieder ein, ob er wohl vielleicht reiche Verwandte besitze, deren Hülfe er in Anspruch nehmen wolle, oder ob er sich um eine andere, bessere Stelle, oder ob er sich um eine Erhöhung seines Gehalts bemühe, ob er vielleicht nur verreist sei, Geschenke für Rosetten zu kaufen. Am liebsten weilte sie jedoch bei der Vorstellung von den reichen Verwandten.

Sie konnte die spannende Ungewißheit kaum ertragen und war innerlich schon recht böse auf Arnold, daß er sie derselben ausgesetzt. Hätte sie nur immer Jemand gehabt, um über ihre Hoffnungen und Träume zu sprechen, aber Rosette war fast den ganzen Tag bei der Baronin, und kam sie des Abends nach Hause, so war ihr Herz so voll von all' den Vergnügungen und Genüssen des Tages, so voll überströmender Liebe für ihre neue Freundin, ihr Kopf so angefüllt mit Zukunftsplänen und sie so gewöhnt, der Mutter alle ihre Gedanken auszuschütten und sie von ihr mit Theilnahme aufgenommen zu sehen, daß diese sich nicht dazu entschließen konnte, die frohsinnigen Mittheilungen zu unterbrechen.

»Ach Mutter, was geht mich jetzt Herr Arnold an?« sagte Rosette, sobald die Mutter auf seine Bewerbung anspielte, und damit war die Sache erledigt.

Eben so wenig Anklang fand sie bei ihrem Manne. Herr Wallner hatte vollends kein Ohr für ihre Mittheilungen und ärgerte sie mit der gewohnten Erwiderung:

»Wenn es sein soll, so wird es sein, sonst kann all' Dein Gerede darüber nichts helfen; ich glaube aber noch gar nichts von Allem, denn wenn er Rosetten heirathen wollte, was brauchte er da so viel Umstände zu machen, Rosette ist keine Prinzeß!«

Frau Wallner ließ sich jedoch nicht beirren und fuhr fort, heitere und stolze Träume zu hegen, während der Gegenstand derselben, Robert Arnold oder Richard Artefeld, auf's Neue aus seiner Heimath verstoßen wurde, während er vergebens versuchte, seiner harten, unbeugsamen Mutter auch nur einen Segen für das holde Mädchen abzuringen, dessen sanftes Lächeln die neue Heimath des Ausgestoßenen erhellen sollte.

Endlich nach einer, der alten Frau eine Ewigkeit dünkenden Abwesenheit kehrte Arnold zurück. Es war in einer frühen Morgenstunde, als Frau Wallner ihn kommen sah, und Rosette noch daheim, aber Herr Wallner bereits im Walde war.

»Mutter, mach' es ihm nicht so leicht, höre erst, wie es mit ihm steht, ich weiß noch gar nicht, ob ich ihn will!« sagte Rosette, halb und halb scherzend, aber mit dunkler Röthe auf den Wangen, und eilte in das Nebenzimmer.

Arnold trat ein, ein Blick auf ihn und Frau Wallner triumphirte, denn Siegesfreude strahlte von seiner Stirn, tief empfundenes Glück aus seinen sonst so ernsten Augen.

»Er ist gewiß Oberförster geworden, oder ein reicher Onkel hat ihn zum Erben eingesetzt,« dachte Frau Wallner bei seinem Anblick. »Ich komme, Sie an Ihr neuliches Wort zu mahnen,« rief er ihr schon im Eintreten entgegen, »machen Sie es jetzt wahr, liebe Frau Wallner, geben Sie mir Ihren mütterlichen Segen.«

»O, von Herzen gern,« sagte sie, in andächtiger Rührung die Hände faltend, »meinen Segen sollen Sie haben und den meines Alten dazu, aber ist das Alles, was Sie brauchen, wissen Sie denn so sicher, daß das Mädchen Sie will?«

»O ja, das weiß ich,« antwortete er lebhaft. »Ich habe ihr Jawort. Ach, liebe Frau Wallner, ich hätte Sie gar zu gern schon längst zu meiner Vertrauten gemacht, aber ich meinte doch, sie müßte es zuerst erfahren, daß ich sie lieb hatte, und ehe ich nicht mit ihr einig war, hatte kein Anderer, selbst Sie nicht, ein Recht auf mein Geheimniß.«

»O die Schelmin!« brach die glückliche Mutter los, »sie wußte es also. Sie waren schon einig vor Ihrer Reise! O, so Comödie zu spielen mit der eigenen Mutter! Sie hätte mich am liebsten überredet, daß sie sich nicht gar so viel aus Ihnen mache, aber ich sah es längst, wie die Sachen standen. Wurde sie doch immer flammend roth, so wie nur Ihr Name genannt wurde. – Himmlischer Gott!« unterbrach sie auf einmal selbst ihre Rede, als sie die Miene starren Erstaunens gewahrte, mit der Arnold sie ansah, »himmlischer Gott, was habe ich da gemacht!«

Sie konnte kaum heftiger erschrocken, tiefer beschämt über den Irrthum sein, als er selber. Er war so blaß geworden wie der Kalk an der Wand.

»Verzeihung, liebe, beste Frau Wallner.!« war Alles, was er hervorstammeln konnte.

»Aber warum sprachen Sie denn so viel mit mir von Ihrem Heirathsproject, warum wollten Sie denn meinen Segen, wenn's nicht meine Tochter war, die Sie lieb hatten, was soll ich denn fremder Leute Kind segnen?« brach sie zornig los.

»O, Sie sollen's auch noch thun, Sie sind eine so gute Frau, Sie werden einsehen, daß ich an dem Irrthum so wenig schuld bin, wie Sie; Sie werden es am wenigsten meiner unschuldigen Braut nachtragen,« drang Arnold in die Gekränkte. »Weiß Gott, ich war so benommen von dem Gedanken an meine Anna, daß mir's gar nicht einfiel, es könne jemand Anders von meinem Herzen etwas wollen. Ich habe Anna schon lieb gehabt, ehe ich Ihre Rosette sah, ich hatte sie und nur sie im Sinn, wenn ich davon sprach, heirathen zu wollen; für sie, die auch eine arme Waise ist, bat ich um Ihren Segen, bitte für sie um Rosettens Freundschaft. Ihre Tochter macht sich nichts aus mir –«

»Nein, Gottlob, das thut sie nicht, sie ist auch hier, wie immer, klüger als ihre Mutter gewesen,« unterbrach ihn Frau Wallner, halb und halb durch seine demüthige Bitte besänftigt und auch wohl einsehend, daß es das Beste sei, gute Miene zum schlimmen Spiel zu machen. »Ich war nur so thöricht, an Sie zu denken wie an einen Sohn. Ich hatte Sie lieb.«

»O, Sie müssen mich auch noch lieb behalten!« bat er.

»Und nun kommen Sie wohl als Oberförster zurück oder haben sonst noch ein Glück gemacht, und die junge Frau wird Unsereins über die Achsel ansehen?« fragte Frau Wallner noch immer mit einiger Bitterkeit.

»Nein,« sagte er ruhig. »Ich bin der arme Förster, der ich immer gewesen bin und auch bleiben werde. Auf ein Glück von außen her rechne ich nicht, und hatte ich vielleicht einmal Aussicht dazu, so habe ich sie jetzt für immer verloren.«

»So,« sagte Frau Wallner, sichtlich beruhigt. »Und wer ist denn Ihre Braut?« fuhr sie zu fragen fort.

Er nannte ihr den Namen, erzählte, wie er sie kennen gelernt, und gab Auskunft über ihre Verhältnisse. Es gereichte der gekränkten Mutter zur großen Genugthuung, daß die Rivalin ihrer Tochter wenigstens ein blutarmes Mädchen war, das bis jetzt in der größten Abhängigkeit bei einer alten Verwandten gelebt hatte, daß Arnold sie als das Bild der Demuth, der Anspruchslosigkeit schilderte.

Verschmäht! Sie biß die Zähne auf einander, als sich das Wort ihren Gedanken aufdrängte. Sie nahm sich jedoch auf's Neue zusammen, und es gelang ihr, die gewohnte leutselige Miene wieder hervorzurufen, die ihr so zur Gewohnheit geworden, daß nur heftige Affecte sie zu verdrängen vermochten. Sie fühlte sich sogar wirklich zur Versöhnung mit Arnold geneigt, dessen unverkennbare Betrübniß über die ihr zugefügte Kränkung doch ein Zeichen seiner Ergebenheit für sie war. Ihr Groll gegen ihn ließ nach, aber sie behielt ihn im Herzen, um das ganze Maß desselben über das unschuldige Mädchen auszuschütten, das sich unterstanden hatte, ihrer Tochter Vorzüge zu verdunkeln. Arnold fing ihr ordentlich an leid zu thun, daß er den Künsten einer Heuchlerin zum Opfer gefallen.

Sie reichte ihm auf einmal die Hand.

»Ich bin auf Sie nicht böse,« sagte sie freundlich, »Sie können am Ende auch nicht dafür, daß ich mich so getäuscht habe, wenigstens wollten Sie mich nicht täuschen. Gott gebe nur, daß mein Kind meine Thorheit nicht getheilt hat.«

»Rosette hat mich nicht lieb,« versicherte Arnold, »sie hat mir nie die mindeste Sympathie gezeigt, sie theilt in Nichts meinen Geschmack, die Dinge, die ich liebe, sind ihr ein Greuel. Für Rosette,« fügte er in gutmüthiger Rücksicht auf die Mutter hinzu, »für Rosetten bin weder ich, noch sind meine Verhältnisse gut genug. Ich habe sie oft mit dem Gedanken angesehen, daß sie sich nur in den Wald hineinverirrt hat, während meine Anna mich immer anschaute wie ein bescheidenes Blümchen, das, im Waldesgrund und Boden festgewachsen, auch nirgends anders recht gedeihen könne, als in der grünen, herrlichen Einsamkeit. Rosette wäre mit mir nie zufrieden gewesen.«

 

Die kluge Mutter verschwieg dieser das Mißverständniß und ersparte ihr wenigstens dadurch die Beschämung, ihre Täuschung zur Kenntniß dessen gebracht zu sehen, der Veranlassung derselben war. Die Wunde, die ihrer Eitelkeit geschlagen, brannte allerdings ein wenig, aber sie ging nicht an's Leben, sie erregte nicht einmal den Schmerz, der Thränen hervorruft, sondern nur den Unwillen, der sich in spottendem Lachen Luft macht und dann vergessen ist.

Rosette sagte, sie sei froh, den langweiligen Thoren los zu sein, sie mache sich gar nichts aus ihm, wenn sie ihn geheirathet hätte, würde es nur der Mutter zu Gefallen geschehen sein.

»Mir ist es ganz gleich, wer seine Frau wird,« meinte sie, aber als sie sich anzog, um zur Baronin zu gehen, wollte es gar nicht damit gehen, wollten die Haare nicht glatt werden und das Kleid nicht sitzen, und sie weinte zuletzt vor Ungeduld und Verdruß und klagte bitter, daß ein armes Mädchen doch gar sehr viel Mühe habe, ehe es sich nur einigermaßen so kleiden könne, um neben Vornehmeren gesehen werden zu können.

»Mein armes Kind!« seufzte die Mutter, »Gott weiß, wie gern ich Dich in einem Putz sähe, wie er für Dein hübsches Gesicht paßt, aber wo sollte ich ihn herschaffen?«

»O Mutter, Du bist nicht daran schuld, du giebst mir ja, was Du nur hast,« sagte Rosette, »ich wollte nur, wir wären nicht so arm und könnten in der Stadt wohnen. Warum hast Du nur den Vater. geheirathet? Als eines Bürgermeisters Tochter hättest Du doch eine bessere Partie machen können. Dachtest Du denn gar nicht an mich?«

Sie mußte selbst über die naive Frage lachen, und die Mutter stimmte natürlich in das Lachen ein, freute sich über die wiedererwachte gute Laune der Tochter und zupfte ihr das blaue Mousselinkleid zurecht, das den tadellosen Wuchs des jungen Mädchens in weichen Falten umschloß.

»Sieh doch, Rosette, macht sich das nicht gut?« fuhr sie dann fort, einen Zweig blühenden Geraniums von einem am Fenster stehenden Blumentopf brechend und ihn dem Mädchen in das dunkle Haar steckend, »so kannst Du immer den Hut darüber setzen, der Zweig wird weder zerdrückt noch versteckt.«

»Ach, aber was wird der Vater sagen?« rief Rosette halb erschrocken aus, »es sind seine Blumen, und er hat sie mir abgeschlagen, als ich ihn vorhin darum bat.«

»So? abgeschlagen hat er sie Dir? Dann ist es mir doppelt lieb, daß ich sie Dir gegeben habe. Wie kann er Dir solche Kleinigkeit abschlagen! Die Blume sieht doch wahrhaftig hübscher in Deinem Haar aus, als an seinem Strauch da.«

»Die Farbe ist wirklich sehr kleidend,« bestätigte Rosette, sich wohlgefällig im Spiegel betrachtend, der ihr ein so hübsches Bild wiederstrahlte, daß sie darüber den Aerger über den erhaltenen Korb gänzlich vergaß und durch ein anmuthiges Lächeln auch die letzten Spuren desselben auf ihren Zügen verwischte. »Die Blumen sind sehr hübsch; es thut mir aber doch leid, daß Du sie abgeschnitten hast, der Vater freute sich so daran. Hübsch sind sie, sehr hübsch –«

»Allerliebst, meine Kleine, Sie sehen aus wie ein lachender Sommertag,« ließ sich eine heitere Stimme vernehmen. Es war die der Baronin, die, durch das niedere Fenster in die Stube hineinschauend, Zeugin der Selbstbewunderung Rosettens gewesen war. »Der Geraniumzweig paßt so vortrefflich zu Ihrem Teint, schmiegt sich so graziös an Ihre Locken, als hätte ein Künstlerauge die Stelle für ihn herausgefunden, eine Künstlerhand ihn dort hingeworfen.«

Frau Wallner schmunzelte.

»Meine Mutter hat mich so hübsch geputzt,« sagte Rosette, dieselbe dankbar küssend.

»Das hätte ich errathen können,« fuhr Frau von Stern fort, »man darf nur in das kleine Zimmer hineinsehen, um zu bemerken, daß Sie Geschmack haben. Ich versichere Sie, in manchem Salon reicher Leute sieht's nicht so behaglich aus. Schon der kleine Blumentisch hier, von Baumzweigen geflochten, ist in seiner kunstlosen Zusammensetzung mit den frischen Epheuranken umzogen und mit seiner bunten Krone von Geranium, Nelken, Rosen und Reseda ein wahres kleines Meisterstück anmuthigen Geschmackes.«

»Man hat's doch gern so hübsch wie möglich um sich,« sagte Frau Wallner, die Augen bescheiden niederschlagend, »und wenn man arm ist, kann man just nicht viel thun.«

»Doch, doch,« behauptete Frau von Stern, »man kann Poesie in die Armuth hineinbringen. Die läßt sich mit Geld nicht erkaufen und nicht bezahlen.«

»Aber wollen Sie nicht eintreten, gnädige Frau?« bat jetzt Frau Wallner.

»Gewiß,« sagte diese und ließ dem zustimmenden Wort die Handlung folgen, »gewiß, und Sie sollen mir jetzt eine Tasse Kaffee kochen. Ich habe noch nicht gefrühstückt. Ich kann nicht essen, »wenn ich allein bin, um so weniger, wenn ich aufregende Nachrichten bekommen habe. Wenn ich den Kaffee habe, werde ich Ihnen erzählen, warum ich gekommen bin.«

Diese Bemerkung diente nur dazu, Frau Wallner's angeborene Geschwindigkeit noch zu erhöhen. Es dauerte nicht lange, so war der kleine Kaffeetisch an's Fenster gerückt, wo Frau von Stern Platz genommen, war die beste Serviette der Frau Wallner darüber gebreitet und der Kaffee nebst Brod und frischer Butter darauf gestellt.

Frau Wallner und Rosette mußten aber mittrinken.

»Allein schmeckt's mir nicht, ich bitte Sie zu Gast,« sagte die vornehme Dame graziös und erzählte dann, während sie behaglich den wirklich guten Kaffee schlürfte, daß sie an dem Morgen die Nachricht erhalten, ihre Gesellschaftsdame werde nicht mehr zu ihr zurückkehren, da die einzige Schwester derselben gestorben sei und ihr alter Vater, der noch lebe, nun ihrer bedürfe.

»Es ist eigentlich nicht ganz dankbar von ihr,« meinte die Dame, »denn sie ist länger als ich denken kann im Hause meiner Eltern gewesen und mit vielen Wohlthaten überhäuft worden. Als mein Mann starb, trat mein Vater sie mir ab, und sie hat es bei mir wo möglich noch besser gehabt wie bei meinen Eltern, denn sie hatte buchstäblich nichts zu thun als mir vorzulesen, mit mir spazieren zu fahren, mich in's Theater, in Concerte zu begleiten. Nun verläßt sie mich ohne Weiteres und besinnt sich nicht, mich vollständiger Rathlosigkeit zu übergeben, denn sie kann doch nicht wissen, daß ich in Ihnen, liebes Kind, wenigstens für den Augenblick einen Ersatz gefunden, vielleicht sogar für längere Zeit, wenn Sie Lust haben und der fatale junge Förster, der stumme Anbeter, mir nicht hinderlich wird und von der Angst, Sie zu verlieren, sprechen lernt. Was meinen Sie?«

Rosette wurde dunkelroth, halb aus Freude, halb aus Verlegenheit, denn sie wollte in Betreff des Försters nicht die Wahrheit eingestehen und wußte nicht, was sie sagen sollte. Die Mutter kam ihr zu Hülfe.

»Der Förster hat den Laufpaß erhalten,« sagte sie, »ich habe mich überzeugt, daß Rosette ihn nicht lieb hat, ich habe es ihm schon vor ein paar Wochen, ohne daß sie es wußte, gesagt, denn ich hatte Angst, das gute Kind könnte ihn heirathen wollen, nur um uns die Sorge für unsere Zukunft abzunehmen. Er wollte sich erst gar nicht hineinfinden und kam trotzdem immer wieder her, sie anzugaffen, aber er muß doch gemerkt haben, daß es Ernst ist, denn nun ist er aus Aerger hingelaufen und hat sich mit dem ersten besten Gänschen verlobt.«

»Bravo!« sagte Frau von Stern, »der arme Narr thut mir leid, aber mir hat er einen großen Gefallen erwiesen. Also aus Depit hat er sich verlobt? Ich dachte, das käme nur bei uns Vornehmen vor. Nun, Glück zu der Heirath, die mir meine kleine Rosette freimacht. Wie ist es, mein Kind, wollen Sie zu mir? Ich bin Ihnen gut, ich mag gern Jemand um mich haben, der noch jung ist, das heißt Jemand, der noch Freude am Leben hat. Sehen Sie, jung bin ich wohl auch noch, aber was Freude ist, weiß ich längst nicht mehr. Ich habe Sie neulich ordentlich beneidet, als das kleine Geschenk, das ich Ihnen machte, so viel Jubel erregte. Sie verstehen es noch, sich wie ein Kind zu freuen, und schon deshalb möchte ich Sie gern um mich haben. Wollen Sie also kommen, und wird Ihre Mutter Sie mir überlassen?«

Es darf wohl nicht erst erwähnt werden, wie gern und freudig Beide einwilligten, wie in dem Herzen der Mutter neu erwachte stolze Hoffnungen jeden Gedanken an Trennung verdrängten, in welches Lichtmeer unbekannten Glückes Rosette mit glänzenden Augen hineinschaute, und es sprach immerhin für ihr Herz, daß sie in dem Freudenrausch die Mutter nicht vergaß.

Sie stürzte derselben um den Hals.

»Mein altes, liebes Mütterchen,« sagte sie, »es wird doch Alles noch wahr werden, was ich mir am liebsten ausdenke. Hier im Walde sterben wir alle Beide nicht.«

Das Mädchen war ganz außer sich vor Vergnügen.

Sie lachte und weinte zugleich und umarmte abwechselnd die Mutter und ihre Wohlthäterin, in ihrer Aufregung Beide verwechselnd und bald die Mutter: gnädige Frau, bald Frau von Stern wieder: liebe Mutter anredend.

Adele faltete die Hände. »So giebt's also doch noch Menschen, die man glücklich machen kann!« dachte sie.

 

Acht Tage darauf reiste Rosette ab, zu Arnold's großer Erleichterung, und kurze Zeit darauf holte dieser sein junges Weib in die neue Heimath. Weiß Gott, ob und in welcher Weise Rosette die überschwänglichen Erwartungen erfüllt sah, mit denen sie ihren Auszug in die Welt angetreten, während in dem kleinen Häuschen am See ein trauliches häusliches Glück emporblühte, wie jene es in ihrer bunten geräuschvollen Welt weder gesucht noch geschätzt, und das Frau Wallner in ihrem feindseligen Groll gegen die junge Frau noch viel scheeler angesehen haben würde, hätte es nicht wenigstens in kleinen äußerlichen Widerwärtigkeiten auch seine Schattenseiten gehabt.

Es ist wahr, in Allem, was außerhalb seines glücklichen häuslichen Lebens lag, hatte Arnold ein seltsames Mißgeschick, und es war in gewisser Hinsicht gar nicht so unwahr, wenn er sich scherzend einen Unglücksvogel nannte, obgleich er seine Zustimmung nie versagte, wenn seine Frau behauptete, daß Unglück und Mißgeschick noch weit auseinanderlägen. Und anders als Mißgeschick konnte man die kleinen Tücken, die das Leben an ihm ausübte, unmöglich nennen, obgleich sie alle seine Unternehmungen mißglücken ließen.

Er hatte kleine Ersparnisse, die er dem sorgsamen Sinn seiner Frau verdankte, seiner Meinung nach sehr sicher angelegt und verlor sie. Er hatte, als seine Familie zahlreicher wurde, Land gepachtet, um sein kleines Einkommen zu vergrößern, und gab es wieder auf, nachdem Hagelschlag und Mißernte unausgesetzt die Früchte seines Fleißes vernichtet. Fiel einmal, was selten genug vorkam, ein Holz- oder Wilddiebstahl vor, so war es trotz seiner Wachsamkeit gewiß in seinem Revier, brach eine Krankheit in der Gegend aus, in sein Haus zog sie zuerst, dort nahm sie den gefährlichsten Charakter an. Sein Mißgeschick wurde fast sprichwörtlich. Es machte ihn zwar zuweilen ungeduldig, aber sein Glück tastete es nicht an. Seine Häuslichkeit war seine Welt, seine Frau, die Kinder, die sie ihm schenkte, machten sein Glück aus.

Er lebte nur seinem Beruf und seiner Familie, hatte keinen andern Umgang, als den nur mühsam aufrecht erhaltenen mit Wallners, aber freundlich und leutselig gegen Jedermann, blieb er nicht ohne Beziehungen zu den Fischersleuten der umliegenden Dörfer, und namentlich Vater Reimer wurde der Theilnehmer seiner kleinen und großen Sorgen und Freuden. Arnold ging selten an der Hütte des Mannes vorbei, ohne stehen zu bleiben und ein Weilchen mit ihm zu plaudern; jener kam nie, in dem See zu fischen, ohne daß Anna ihm mit hausmütterlicher Gastfreundschaft ein kleines Labsal gespendet. Aber als ihm nun gar der Himmel Gelegenheit gab, dem jungen Paar einen jener Dienste zu leisten, die sich nie genugsam vergelten lassen, als er ihr ältestes Töchterchen, das, eines Tages am Ufer des Sees spielend, ausglitt und hineinfiel, der Umarmung des Todes entriß, der schon aus dem blauen Spiegel des Wassers die kalten Arme nach ihr ausgestreckt, da wurde der Alte der beste, geliebteste Freund der kleinen Familie und jederzeit ein willkommener Gast derselben.

 

Rosette spottete über die Freundschaft und pries sich glücklich, dem Loose entgangen zu sein, in der einsamen Waldhütte ihr Leben vertrauern zu müssen. Ein paarmal war sie, seit ihrem ersten Fortgehen, auf einige Wochen zum Besuch nach Hause gekommen und hatte die Bekanntschaft ihrer Rivalin gemacht, aber wenig Sympathie mit der taubengleichen Sanftmuth der jungen Frau und der lieblichen Einfachheit derselben, die ihr wie Einfalt erschien, empfunden.

Sie gefiel sich auch nicht mehr zu Hause, und wenn der erste Jubel des Wiedersehens vorüber war, zog die Langeweile bleischwer hinter der Freude her und schlug sie zu Boden. Sie kürzte ihre Besuche dort so viel als möglich ab. Seit ihrem letzten Besuch waren zwei Jahre verstrichen, als Friedrich Günther als Förster in ihr väterliches Haus einzog. Als der Vater starb, war es zwar ihr erster Gedanke gewesen, zu der Mutter zu eilen, ja, auch bei ihr zu bleiben, wenn es sein mußte und wenn diese es wünschte, aber die augenblickliche Abreise wurde durch eine Krankheit Adelens verhindert, und bis jene gesund war, hatte die Mutter längst geschrieben: »Mache Dir um mich keine Sorge, ich werde schon allein durchkommen, und ich möchte nimmermehr das Unrecht an Dir begehen, Dir Dein jetziges Glück zu nehmen und die Aussicht auf ein besseres zu rauben.«

Da weinte sie denn heiße Thränen um den Tod des Vaters, um die Einsamkeit der Mutter und – blieb.


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