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Siebentes Capitel.


Frau Artefeld kaufte das Gut wirklich, und zwar durch Herrn Jakobi's Vermittelung zu einem Preise, der zwar nicht den Werth des neu erworbenen Eigenthums überstieg, aber in Anbetracht der Verhältnisse, die einen Druck auszuüben leicht gestattet hätten, immer hoch genug war.

Georg war glückselig über den Ankauf des Gutes. Seine kindische Phantasie träumte von tausend neuen Freuden. Er zählte sie alle der Mutter vor. »Ich wünschte, wir blieben dann immer auf dem Lande!« schloß er seine jubelnde Rede.

Ein Schatten flog über Frau Artefeld's Gesicht, sie fühlte die Nothwendigkeit, die Freude des Knaben zu bekämpfen und seine plötzlich aufwallende Leidenschaft für das Landleben in die Grenzen zurückzuführen, innerhalb welcher sie dieselbe nur dulden wollte. Sie schloß darum eine nun folgende lange Abhandlung über die Pflichten und den unumstößlichen Beruf eines Artefeld, der Georg mit großer Ernsthaftigkeit zuhörte, mit den Worten:

»Ich habe das Gut nicht gekauft, Dich an Deinen Pflichten irre zu machen, sondern damit Du Dir dort die Gesundheit wieder holst. Dein Fuß soll wieder kräftig werden, Deine Wangen roth und Deine Augen glänzend!«

»Mama, meine Backen sind oft roth, jetzt auch!« unterbrach sie Georg.

»Ja, vom Fieber,« sagte sie traurig. Sie hielt des Knaben lebhaften Puls einmal für einen Beweis dauerhafter Aufregung, und ob nun seine Wangen blaß oder roth waren, immer knüpfte sie eine Besorgniß an die Farbe derselben. Auch in diesem Augenblick.

»Wie Du wieder glühst,« sagte sie besorgt, »wie Dein Puls schlägt!«

»Mama, ich freue mich so,« erklärte das Kind.

»Du mußt Dich nicht so unvernünftig freuen,« sagte sie, »Du mußt kaltes Blut haben, ein Kaufmann braucht kaltes Blut.«

»Wenn es nun aber heiß bleibt?« fragte Georg, »dann werde ich wohl nicht Kaufmann werden können? Mama, dann bleibe ich auf dem Lande!« setzte er entschlossen hinzu.

»Georg, wenn Du das je wieder sagst, auch nur denkst, verkaufe ich das Gut augenblicklich!« sagte Frau Artefeld streng. »Willst Du es machen wie Dein Bruder, der nie etwas Anderes gethan hat, als mich betrüben, der meinem Willen getrotzt und den der Himmel nun dafür gestraft hat? Er hätte reich sein können, wie Du es einst sein wirst, und ist ein Bettler geworden!«

Sie hatte so hart gesprochen, hatte in Erinnerung an Richard so finster ausgesehen, daß Georg zu zittern anfing Sie bemerkte es und lenkte wieder ein.

»Möchtest Du nicht gern Kaufmann werden, wie Dein« – sie verbesserte sich rasch – »wie mein Vater es war, willst Du mir nicht künftig einmal die Geschäfte abnehmen, die ich bis jetzt für Dich geführt?«

»Gewiß, Mama, das will ich,« versicherte Georg.

»Nun, wenn Du das willst, darfst Du auch nicht daran denken, auf dem Lande leben zu wollen, Du kannst höchstens alle Jahre einmal auf ein paar Wochen hingehen. Sieh doch, ich habe es auch nicht besser gehabt, ich habe immer in der Stadt bleiben müssen.«

»Mama,« sagte Georg, »ist das denn unartig, wenn ein Kind es besser hat als seine Mama?«

»Wenn es ihr deshalb ungehorsam wird, ja,« entgegnete sie.

»Ich will Dir nicht ungehorsam sein, gewiß nicht,« versicherte Georg. »Was soll ich thun?«

»Du sollst versuchen, recht bald gesund zu werden, und um das zu können, mußt Du mir folgen und Alles thun, was ich Dir sage; Du mußt nicht die Krücken fortwerfen und Deinen Fuß unnütz anstrengen, mußt Dich ausruhen, wenn ich es haben will, in der Stube bleiben, wenn ich es für gut finde. Bist Du erst gesund, dann mußt Du fleißig sein und sehr viel lernen, und wenn Du erst groß bist, dann wirst Du Kaufmann.«

»Gut, Mama, das will ich Alles sehr gern, und wenn ich dann Kaufmann bin?« fragte Georg.

»Nun, wenn Du erst ein wirklicher, ordentlicher Kaufmann bist,« antwortete die Mutter lächelnd, »dann, wirst Du schon selbst wissen, was Du zu thun hast, dann wirst Du Deine kostbare Zeit nicht wegwerfen, um die Vögel singen zu hören oder Violine zu spielen.«

»Nicht Violine spielen?« sagte Georg leise und ging in das Nebenzimmer, aus dem heraus bald liebliche Töne, dem geliebten Instrument entlockt, in das Ohr der Mutter drangen.

Leider hatte sie kein musikalisches Ohr, oder vielmehr die Musik drang nicht in ihr Herz, sonst würde sie in ihr einen gefährlicheren Nebenbuhler für ihre Pläne erkannt haben, als in Georg's gefürchteter Passion für das Landleben.

Musik war ihr eigentlich nichts mehr als ein in bestimmte Melodien gezwungener Lärm. Sie hatte nie den Zauber begriffen, der in Elisabeth's klangvoller und doch so süßer Stimme lag, sie begriff eben so wenig die wunderbare Begabung Georg's, obgleich die Liebe zu dem Kinde selbst sie antrieb, seinem Spiel mehr Interesse und Aufmerksamkeit zu widmen, als sie je für Elisabeth's Gesang gehabt hatte. Auch jetzt klangen die leichten Variationen, die er mit einer für sein Alter auffallenden Präcision, Reinheit und Wärme der Empfindung spielte, so anmuthig und frisch, daß sie unwillkürlich aufstand und dem Kinde in das Nebenzimmer folgte.

Sie blieb stehen, frappirt durch das Aussehen des Knaben. Sie hatte Georg immer sehr hübsch gefunden, jetzt aber erschien er ihr fast engelhaft mit dem feinen, blassen Gesichtchen, das, wenn es auch nicht mehr krankhafte Züge trug, doch von einer Zartheit der Constitution zeugte, die nicht weit vom Siechthum entfernt ist. Die großen dunkeln Augen glänzten, um die halb geöffneten Lippen spielte ein Lächeln in holdester Uebereinstimmung mit den frohsinnigen zarten Melodien, die er der Geige entlockte. Er stand mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, die dunkle Tapete ließ das blasse Gesicht nur noch heller, noch durchsichtiger erscheinen. Den kranken Fuß unterstützte er durch einen gepolsterten Fußschemel, der Stock, mit dem er seit einiger Zeit auf Erlaubniß der Mutter die Krücke vertauscht hatte, lag neben ihm an der Erde.

Frau Artefeld sah ihn unverwandt an. Ahnte sie etwas von der Musik der Sphären, dachte sie an das Lied des sterbenden Schwanes, oder fing sie an den Geist zu begreifen, der in den Klängen sein innerstes Empfinden und seine künftige Sehnsucht unbewußt verrieth?

Plötzlich fuhr Georg mit ein paar kecken Strichen über die Saiten und rief fröhlich:

»Mama, jetzt weiß ich's, Du hörst Musik doch gern!«

Sie schüttelte den Kopf.

»Sie belästigt mich gerade nicht,« sagte sie, »und von einem Kinde lasse ich sie mir schon gefallen. Ein Mann allerdings kann Besseres thun.«

»Mama, warum kamst Du denn herein und sahst mich so an, wenn es nicht wegen der Musik war?« fragte-Georg niedergeschlagen.

Sie antwortete nicht, sie fing statt dessen an von dem Gut zu sprechen.

»Was würdest Du dazu sagen, wenn wir noch auf vierzehn Tage hinreisten und es uns ansähen?«

Georg jubelte.

»Freilich, viel Umstände darf es nicht machen,« fuhr sie fort, »und davon ist nicht die Rede, daß Du Dir alles mögliche Spielzeug mitnimmst wie bei den Badereisen. Auch die Violine kann ich nicht mitnehmen. Du wirst keine andere Unterhaltung haben als mich. Wollen wir reisen?«

»Ja, ja Mama!« lautete die im fröhlichsten Tone gegebene Antwort.

Frau Artefeld lächelte.

»Er ist wie alle Kinder,« dachte sie, »alles Neue lockt am meisten. Ich darf also nur die Violine mit einem andern Spielzeug vertauschen, wenn Gefahr da ist, wenn er sein Herz zu sehr an sie hängt. Ein Spielzeug mit dem andern, bis es Zeit ist, sie alle bei Seite zu legen. Ich war ordentlich erschrocken vorhin. Ich weiß nicht, was in dem Spiel lag. So viel Weichliches, Krankhaftes.«

»Mein Kind, werde doch nur erst gesund!« sagte sie plötzlich mit ausbrechendem Gefühl und küßte Georg heftig auf die Stirn. –

 

Sie reiste wirklich zum größten Erstaunen ihrer Hausgenossen an einem der nächsten Tage mit Georg ab, um, wie sie sagte, auf ihrem neuen Eigenthum nach Allem zu sehen.

Gebhard, der ihr vorangegangen, empfing sie dort. Auf seine Veranlassung waren Ehrenpforten erbaut, hatte man das Haus festlich mit Blumen geschmückt, und schon an der Grenze wurde sie feierlich begrüßt. Das war so recht nach ihrem Geschmack. Die schöne, stattlich aussehende Frau, deren Leutseligkeit nicht ohne Herablassung war, imponirte den Leuten, Georg's kindliche Freude und Freundlichkeit gewann gleich Aller Herzen.

Der Herbst war schön und sonnig, die Luft klar und rein, es war eine Freude, sie einzuathmen. Georg war fast den ganzen Tag im Freien, Alles war ihm neu und entzückend. Er dachte nicht an die Stadt, an seine Spielsachen, er fragte selbst nicht nach der Violine.

 

Aus den vierzehn Tagen waren vier Wochen geworden, und der Herbstwind wehte schon über die Stoppeln, als Frau Artefeld in die Stadt zurückkehrte.

Jakobi's schriftliche Mittheilungen, denen eben so pünktlich ihre Begutachtungen und ferneren Befehle gefolgt waren, hatten sie in genauer Kenntniß über den Gang der Geschäfte erhalten. In Fällen, wo es nicht thunlich gewesen war, erst ihre Meinung einzuholen, hatte er nach eigener bester Einsicht entschieden, und der Erfolg war immer so gewesen, daß Frau Artefeld nichts daran zu tadeln fand.

Ihr Erschrecken war daher nicht gering, als er kurz nach ihrer Rückkehr vom Lande sie in sehr höflichem, fast schmerzlichem Tone bat, ihn seiner Geschäfte zu entbinden und ihm seine Entlassung zu geben.

Sie ließ sich jedoch ihren Schreck nicht merken und fragte in ganz kaltem, gelassenem Tone nach den Gründen dieser Aufkündigung.

»Ich bin verlobt, wie Frau Commerzienräthin wissen,« antwortete Jakobi schüchtern, »ich wünsche mich zu verheirathen, und ich weiß leider, daß Frau Commerzienräthin durch einen verheiratheten Buchhalter die Geschäfte beeinträchtigt glauben. Ich war verlobt, ehe ich hierher kam, wenn auch damals im Geheimen. Ich hätte die Stelle nicht annehmen dürfen, mit der die Frau Commerzienräthin mich beehrten, aber die Versuchung war zu groß. Ich war noch so jung und so beglückt durch das in mich gesetzte Vertrauen, war so voll von warmem Diensteifer, daß ich es nicht über mich gewann, die Auszeichnung zurückzuweisen. Nun kommt die Strafe. Es wird mir sehr schwer, das Haus zu verlassen.«

Jakobi wischte sich die Augen.

»Haben Sie schon eine andere Stelle, oder wollen Sie sich gar selber etabliren?« fragte Frau Artefeld.

»Letzteres würde ich gern, da ich hier in der vortrefflichsten Schule gewesen bin und, wie ich hoffe, einige Kenntnisse erlangt habe, aber meine Mittel reichen noch nicht dazu aus. Ich will nichts anfangen, was ich nicht auf der solidesten Grundlage anfangen kann. Vorläufig abstrahire ich also noch von jedem eigenen Geschäft, und um eine Stelle wollte ich mich nicht eher bemühen, als bis ich der Frau Commerzienräthin meinen Entschluß mitgetheilt hätte. Es widerstand mir, so gleichsam hinter dem Rücken der Frau Commerzienräthin zu handeln.«

Frau Artefeld saß in Nachdenken versunken da, sie trommelte halb ungeduldig mit den Fingern auf dem Tisch, endlich sagte sie:

»Es ist mir höchst unangenehm, daß Sie gehen wollen, ich habe mich an Sie gewöhnt, ich habe Sie mühsam hineingearbeitet, nun soll ich dasselbe mit einem Andern anfangen. Es ist sehr fatal. Ich verlange so wenig Unterstützung, meine Ansprüche sind in der Beziehung so gering, aber ich bin es müde, immer wieder von vorn anzufangen. Muß denn diese Heirath durchaus jetzt schon stattfinden? Können Sie nicht warten, bis Georg erwachsen ist?«

»Ich bin schon acht Jahre verlobt, dann würden es am Ende achtzehn werden,« wandte Jakobi schüchtern ein.

»Nun freilich, das kann ich Ihnen nicht zumuthen,« sagte Frau Artefeld, »es ist sich Jeder selbst der Nächste. Es ist nur eine seltene Ausnahme; wenn nicht nach diesem Grundsatz gehandelt wird. Heirathen Sie in Gottes Namen. Ihr Verlust ist mir im Augenblick unangenehm, ist mir um so unangenehmer, als ich mir mit dem Ankauf des Gutes eine neue Last aufgebürdet habe, aber das kann natürlich für Sie kein Grund sein, Ihr Glück aufzuschieben. Es liegt am Ende auch nichts daran, ob meine Arbeit etwas größer oder geringer ist, und darauf muß ich ja jederzeit gefaßt sein, daß diejenigen, die ihre Kenntnisse in meinem Hause erlangt, ihre Erfahrungen darin bereichert haben, dasselbe verlassen, wenn sie meinen, ihre Zeit ausgenutzt zu haben. Ich werde Keinen davon zurückhalten, mag Jeder thun, was er für recht hält, mag er es thun, auch ohne Rücksicht auf Dankbarkeit«

»Ich wollte, ich wäre nicht verlobt,« seufzte Jakobi schmerzlich, »oder ich wollte wenigstens, mein Herz hätte mich nicht zu meiner Katharina, hätte mich lieber zu einem Mädchen hingezogen, das auch zu der Umgebung der Frau Commerzienräthin gehört, ein Mädchen, an deren Anblick und Dienstleistung Frau Commerzienräthin schon gewöhnt wären, wie an die meinige. Dann könnte vielleicht Alles beim Alten bleiben, wie bisher. Ich wollte, meine Katharina könnte im Hause sein, was ich im Comptoir bin, dann dürfte Frau Commerzienräthin ruhig der neuen Pflicht folgen, welche die Anwesenheit der Herrin auf dem Gute zuweilen nöthig macht. Jetzt bleibt doch Alles in den Händen der Haushälterin – –«

»Wenn ich fort bin, meinen Sie?« unterbrach ihn Frau Artefeld. »Denken Sie denn, ich habe das nicht auch schon öfter bedacht? Ich habe zwar keinen Grund, meiner Haushälterin zu mißtrauen, aber gut ist es freilich nie, wenn man die Leute ohne Aufsicht läßt. Was soll ich aber thun? Eine erwachsene Tochter, durch die in anderen Häusern in solchen Fällen die Mutter vertreten wird, habe ich nicht; meine Tochter heirathete, so wie sie nur herangewachsen war, und wenn die Menschen heirathen, ist nicht mehr auf sie zu zählen, das wissen Sie ja.«

»Das heißt, wenn man sich nicht entschließen kann, sie doppelt zu zählen,« sagte Jakobi bedeutungsvoll.

Eine lange Weile schwiegen Beide. Frau Artefeld schien tief. in Gedanken versunken, endlich sagte sie:

»Es ist wirklich seltsam, es ist, als wollte mir der Himmel durch Ihre Andeutungen einen Fingerzeig geben, denn Sie kommen mir da mit einem Gedanken entgegen, der mich schon lange beschäftigt, den ich aber immer wieder verwarf, weil es mir so lästig ist, Aenderungen in meinem Hauswesen vorzunehmen.«

Jakobi sah seine Prinzipalin erstaunt an.

»Ich bitte um Verzeihung,« sagte er, »Frau Commerzienräthin haben mich mißverstanden, ich habe mir nicht erlaubt, irgend welche Andeutungen machen zu wollen –«

»Nun, meinten Sie denn also nicht, sich solle Ihrer Braut oder künftigen Frau irgendeinen Posten in meinem Haushalt geben und Sie dadurch auf dem Ihrigen erhalten?« fragte Frau Artefeld verwundert.

Ueber Jakobi's Antlitz flog ein heller Strahl der Freude, den er sich auch gar nicht die Mühe gab zu verbergen.

»Nein, das fiel mir nicht ein!« rief er aus. »Wie hätte ich das denken können! Nein, das wäre des Glückes zu viel! Ach,« setzte er plötzlich niedergeschlagen hinzu, »das ginge auch nicht, das würde sich meine Braut nicht getrauen. Sie ist sehr ängstlich, sie würde immer fürchten, den Anforderungen nicht genügen zu können.«

»Bescheidenheit ist besser, als zu großes Selbstgenügen,« entgegnete Frau Artefeld, »auch hatte ich nichts im Sinn, was Anforderungen an besondere Fähigkeiten machte. Ich dachte mehr an die Oberaufsicht in meinem Hause, wenn ich nicht da bin. Dazu gehört eine Person von mehr Bildung, als meine Haushälterin sie hat, die mit meinen Leuten auf zu gleichem Fuße steht, um meine Autorität bei denselben zu ersetzen. – Wann gedenken Sie zu heirathen?« fragte sie dann.

»Im Frühjahr,« entgegnete er; »meine Braut hat jetzt schon ihre Stellung aufgegeben und geht zu ihrer Mutter, um ihre Ausstattung zu besorgen.«

»Wo wohnt ihre Mutter?« fragte Frau Artefeld.

»In Goldberg, bei ihrem dort verheiratheten Sohne,« antwortete Jakobi.

»Sind noch mehr Geschwister da?« fuhr Frau Artefeld zu inquiriren fort.

»Zwei Töchter, die an wohlhabende Fabrikherren im Gebirge verheirathet sind,« berichtete Jakobi.

»Ihre Braut ist wohl am Ende auch wohlhabend?« fragte Frau Artefeld mit einem leichten Anflug von Spott, denn, von Kindheit an an eine Fülle des Reichthums gewöhnt, sah sie die sogenannte Wohlhabenheit Anderer meist etwas geringschätzend an.

Jakobi zuckte statt aller Antwort mit den Achseln.

»Hat Ihre Braut Verwandte hier am Orte?« fragte Frau Artefeld auf's Neue.

Jakobi verneinte.

»Also keinen Anhang, das ist gut,« sagte Frau Artefeld mehr für sich als zu Jakobi. Zu diesem gewendet fuhr sie dann fort:

»Ich denke, Sie werden noch nicht solche Eile haben, sich um eine andere Stelle zu bemühen. Ueberlassen Sie die Sache mir. Vielleicht kann ich es so einrichten, Sie im Hause zu behalten, wo nicht, werde ich für Ihr Fortkommen sorgen. Ich habe Sie treu und zuverlässig gefunden, Sie kennen Ihre Pflicht und erfüllen sie, Sie sind mir zudem ergeben – das sind Dinge, auf die in dieser undankbaren, verderbten Welt nicht bei Jedem zu zählen ist. Wo man sie findet, ist es schon eines Opfers werth, sie sich zu erhalten. Sie können mir Ihre Braut in diesen Tagen vorstellen.«

 

Letzteres geschah. Katharina war gut instruirt, war auch klug genug, um einzusehen, um was es sich handle.

Sie gefiel der gestrengen Dame, die es besonders an ihr rühmte, daß ihre Kleidung so einfach, ihre Haltung so anständig und ernst gewesen sei, und daß sie nicht ungefragt gesprochen, aber alle Fragen mit Freimuth und sichtbarem Zutrauen beantwortet hatte.

Als das Mädchen wieder ging, sprach sich Frau Artefeld nicht weiter über ihre Absichten aus, aber weder Jakobi noch seine Braut zweifelten, daß Alles nach ihren Wünschen geordnet werden würde. Freilich wurde Katharina, die nun wirklich zu ihrer Mutter gegangen war, etwas ungeduldig, daß kein Brief Jakobi's ihr Gewißheit über seine Zukunft brachte, und auf seine Versicherung, daß Frau Artefeld's Schweigen nicht ungünstig zu deuten sei, daß sie nur jetzt nichts sage, um ihn dann einmal plötzlich durch die Mittheilung zu überraschen, daß er im Hause bleiben und seine junge Frau mit dorthin bringen könne, antwortete sie unwillig:

»Ach, was helfen mir solche Ueberraschungen, die Einem erst eine Freude bringen, nachdem man sich halbtodt geängstigt hat. Kann Frau Artefeld nicht anders überraschen, als daß sie erst quält und dann mit der Nachricht kommt, daß die Qual unnütz gewesen ist, so soll sie es doch lassen. Ueberhaupt, ich mache mir nichts daraus, in die alte finstre Bude zu ziehen und als Frau noch gehorsame Dienerin zu sein. Mir wär's lieber, Du bekämst etwas weniger Gehalt und ich könnte es etwas lustiger verzehren. Immer ernsthaft sein müssen ist so langweilig, und putzen will ich mich auch wieder, das sage ich Dir. Schwarz und grau gehe ich nicht immer angezogen. Ich heirathe nicht um den Kopf zu hängen!« u. s. w.

Es ist unnöthig mitzutheilen, ob und wie Jakobi seine rebellische Braut beruhigte, jedenfalls blieb es dabei, daß er sich um keine Stelle bemühte und für sich selbst mit der größten Ruhe das Nahen des Frühlings erwartete.

 

Er war noch nichts lange da, ja, der Winter hielt noch Alles in eisigem Bann, als Katharina folgenden Brief von ihrem Bräutigam erhielt:

»Unser Geschick ist entschieden, für unser Glück gesorgt. Freilich in etwas despotischer Weise und ohne die mindeste Rücksicht auf nebensächliche Verhältnisse. Es ist über uns verfügt, wie es eigentlich nur in der Befugniß der höchsten Machtvollkommenheit liegt, über uns arme Sterbliche zu verfügen. Aber lassen wir der stolzen Dame das Vergnügen, die Vorsehung zu spielen. Es macht freilich einen närrischen Eindruck, aber es ist doch gut gemeint und bringt höchstens einige Unbequemlichkeiten mit sich, die aber zu überwinden sein werden.

Was nun geschehen muß, werde ich Dir in den wenigen Worten mittheilen, mit denen sie es that, als ich heut früh bei ihr erschien.

›Sie können Ende des Monats heirathen,‹ sagte sie mit einem Tone, der wirklich keinen Widerspruch zuließ, ›ich werde Sie zu dem Zweck auf acht Tage beurlauben. Unterdessen werde ich hier im Hause die Wohnung für Sie und Ihre Frau einrichten lassen, ich will Letztere näher kennenlernen, ehe ich wieder auf's Land gehe.‹

Das war mein Bescheid, so kurz und bündig und so unwiderlegbar gegeben, wie etwa früher mein Vater zu mir zu sprechen pflegte, wenn er sagte: Du hast Dir die Stiefeln naß gemacht, zieh Dir andere an.

Du hast mich also in wenigen Tagen zu erwarten und Alles so einzurichten, um mir zu der bestimmten Zeit als mein Weib zu folgen. Geschehen muß es, denn wenn wir unserer Gebieterin nicht gefällig sind, wo sie ihren Willen bestimmt ausspricht, müssen wir es aufgeben, den unausgesprochenen gelegentlich einmal nach unseren Wünschen zu lenken.«

Wir ersparen es uns, dem Leser noch etwas Anderes als den thatsächlichen Inhalt des Briefes mitzutheilen, es Jedem überlassend, sich nach seiner Individualität oder seiner Erfahrung das zu denken, was dem Briefe eines zärtlichen, der Erfüllung seines Glückes so nahestehenden Bräutigams natürlich nicht fehlen kann.

Genug, die Hochzeit war zur bestimmten Zeit, obgleich Katharina laut über Frau Artefeld's Despotismus murrte und ihre Mutter. natürlich in Verzweiflung gerieth in Anbetracht aller noch unerledigten Geschäfte

Aber das Murren wie die Verzweiflung und die Geschäfte wurden überwunden, und Jakobi führte die Braut heim, die ihm zwar nicht in dem von Frau Artefeld dazu überschickten schwarzseidenen Kleide zum Altar folgte, übrigens aber das Geschenk gern und mit der Absicht annahm, nicht spröde im Empfangen zu sein, aber das Empfangene in ihrer Weise zu verwenden.

Mit dieser löblichen Absicht, die vielleicht auch ein Beweis der zwischen Katharinen und ihrem Bräutigam stattfindenden Sympathie war, überschritt die junge Frau die Schwelle ihrer neuen Heimath.

Jakobi's Erwartungen waren übertroffen. Frau Artefeld hatte nicht nur den beiden Stuben, die er bisher inne gehabt, alle die Räumlichkeiten hinzugefügt, die eine nette, comfortable kleine Wohnung ausmachen, sie hatte dieselben auch, wenn zwar einfach, doch anständig und bequem einrichten lassen. Es fehlte nichts, was zur häuslichen Behaglichkeit gehört, ja, es war sogar auf eine gewisse Zierlichkeit Rücksicht genommen, und wenn der Gedanke, Blumen an das Fenster zu stellen, auch von Georg ausgegangen war, so hatte doch Frau Artefeld seinem Wunsch nachgegeben, wenn auch mit einem Lächeln über die kindische Grille.

Sie hatte diesmal wirklich nicht nur die gewöhnliche Genugthuung empfunden, mit der sonst ihre Wohlthaten sie zu erfüllen pflegten, nein, sie fühlte bei dieser Gelegenheit eine Art von innerer Freudigkeit. Sie dachte weniger an sich als Wohlthäterin, als an diejenigen, denen die Ueberraschung zugedacht war, sie freute sich in der Seele Anderer. Möglich, daß sie auch hierin Georg's Einfluß unwillkürlich folgte, ebenso wie sie es ihm zu Gefallen that, daß sie die Blumen an die Fenster stellen ließ.

Georg war außer sich vor Entzücken gewesen, als die Mama ihm erzählte, welche Ueberraschung sie dem jungen Ehepaar zugedacht, und konnte nicht aufhören sich damit zu beschäftigen und sich immer neue Dinge auszudenken, welche die Freude Jakobi's und seiner Frau erhöhen sollten. Jakobi, sonst im Hause gar nicht beliebt, war es doch in vollem Maße bei Georg, und daß der gute Herr Jakobi heirathete und daß die Mama ihm so viel schenken wollte, war ein Gegenstand lebhaftesten Interesses und kindlichster Freude für das Kind.

Letzteres Gefühl riß auch die Mutter hin. Nur einmal hatte sie gesagt:

»Siehst Du, Georg, das können wir, weil wir reich sind, wie könnte ich sonst alle die theuern und hübschen Sachen kaufen!« Als da aber das Kind sie eine Weile gedankenvoll angesehen und dann plötzlich gesagt hatte:

»Mamachen, wenn wir nicht reich wären, könnten wir doch immer die Blumen schenken, und da würde sich Herr Jakobi doch auch freuen, nicht wahr?« da regte sich in ihr ein erwachender Gedanke über die Bedeutung wahrer Freuden, über den Werth der Gaben, die der Reichthum spendet, und solcher, die das Herz giebt.

Ein Abglanz dieses Gedankens lieh ihrem Auge einen milderen Strahl, als das junge, glückliche Paar heraufgestürmt kam, ihr seinen Dank auszusprechen, Jakobi beinah, die lebhaftere junge Frau ganz außer Fassung.

Die Ueberraschung, die Freude Beider war ungeheuchelt; und der Ausdruck derselben natürlich und zum Herzen gehend. Frau Artefeld's Majestät hielt aber nicht völlig Stand.

Auf ihre Einladung verlebten die beiden jungen Leute diesen ersten Abend in ihrer neuen Heimath bei ihr, und zwar zwangloser, als es im Allgemeinen in ihrer Gegenwart möglich war.

Georg hatte auch noch seine besondere Ueberraschung vorbereitet, von der er zwar der Mutter einige geheimnißvolle Andeutungen gegeben hatte, die sie aber gefällig genug gewesen war nicht zu verstehen.

Schon während des Thees wurde er unruhig, hielt bei jedem Klingelzug den Athem an und riß die Augen so groß auf, als könne diese Bewegung dazu dienen, sein Gehör zu verschärfen, griff aber rasch immer wieder nach seiner Theetasse, um seine Aufregung zu verbergen, wenn es still draußen blieb und kein Tritt auf der Treppe ihm die Ankunft von irgend Jemand, den er erwarten mußte, verkündete.

Ein abermaliger Klingelzug – es kam Jemand die Treppe herauf, der Diener erschien an der Thür, einen bedeutungsvollen Blick auf Georg werfend. Dieser sprang auf, faßte sich jedoch gleich wieder, und sich gewaltsam zu langsamerer Bewegung zwingend, sagte er in möglichst gleichgültigem Tone:

»Mamachen, ich will mir nur mein Taschentuch holen,« und schritt gravitätisch zur Thür hinaus.

Draußen hörte man ihn dann mit jubelnder Stimme Jemand begrüßen, und wenige Minuten darauf erschollen aus der Nebenstube die melodischen Töne zweier Violinen, den Triumphgesang: »Heil Dir im Siegerkranz«, den Georg, als zu dieser Gelegenheit am besten passend, ausgewählt hatte, in fröhlichen Klängen anstimmend. Er sagte dann auch, als er nach vollendetem Musikstück mit Victor in's Zimmer kam, ganz stolz und mit sichtlicher Befriedigung:

»Ich hab's mir ausgedacht, ganz allein, auch das Stück habe ich gewählt. Victor wollte ein anderes, aber diesmal mußte er nachgeben.«

»Victor spielt wohl gern immer den Lehrer?« fragte Frau Artefeld.

Die Frage sollte natürlich ein Scherz sein, aber der eigenthümliche Ton, der in Alles, was sie sagte, Spott oder einen Vorwurf zu mischen schien, klang auch hier wieder durch. Er war zu sehr Gewohnheit, ebenso wie der Zug um den Mund, der ihr Lächeln immer bitter und herb machte, stehend geworden war.

Victor kehrte sich jedoch wenig daran. Dankbarkeit für seine Wohlthäterin, denn das war ihm Frau Artefeld von jeher gewesen, Liebe zu Georg und das glückliche Gefühl, daß seine Laufbahn nicht von dem Einfluß der strengen Dame abhängig sei, vielleicht auch Gewohnheit und Temperament, bewahrten ihn davor, sich durch Frau Artefeld's Sticheleien jemals beleidigt zu fühlen.

War sie einmal sehr freigebig damit gewesen, so schüttelte er sich höchstens, wenn er zu Herrn Wagner zurückkam, und sagte lachend:

»Heut hat's wieder Nadeln geregnet, aber ich habe eine dicke Haut,« und dann dienten die Nadeln, anstatt zu stechen, nur dazu, auch den alten Musikmeister zum Lachen zu reizen.

Diesmal brachte er jedoch keinen Vorrath davon mit nach Hause. Frau Artefeld war noch nie, weder vor noch nach dem Tode ihres Mannes, so der guten Laune ihrer Umgebung zugänglich gewesen. Kam es daher, daß sie wirklich noch nie bei Jemandem eine so aufrichtige Freude erregt hatte, wie die war, die sie dem jungen Paar bereitet hatte?

Als Letzteres sich empfahl und noch einmal seinen Dank aussprach, standen in Jakobi's Augen Thränen, wirkliche Thränen der Rührung, und Katharina küßte aus vollem Herzen die ihr dargereichte Hand ihrer Wohlthäterin.

»Wir wollen uns wirklich Mühe geben, ihr zu Willen zu leben, ich will auch ihren Vortheil nie aus den Augen verlieren,« sagte Jakobi zu seiner Frau, als sie allein waren.

»Ich werde mich auch anders zu ihr stellen, als ich zuerst dachte,« entgegnete jene, »sie kann doch nicht ganz so schlimm sein, wie die Leute sie machen, sie ist großmüthig, und es ist doch immer besser, auf gutem Wege etwas zu erlangen, als durch Trotz. Wahrhaftig, den heutigen Abend will ich ihr nicht vergessen.«

»Ich auch nicht,« versicherte Jakobi.

So hatten sie Beide gute Vorsätze, aber – was haben denn die Entschlüsse, ja, was hat denn die Dankbarkeit charakterloser, leichtsinniger und selbstsüchtiger Menschen zu bedeuten?

 

»Sie wird sterben, nächstens sterben,« behauptete Herr Wagner, als Viktor von dem verflossenen Abend erzählte, »wenn ein Mensch sich auf einmal so unähnlich wird, das bedeutet sein nahes Ende.«

»Das macht Alles Georg,« sagte Viktor gedankenvoll.

»Glauben Sie nicht auch, Herr Wagner, daß bis jetzt wirklich noch nie Jemand außer Georg Frau Artefeld lieb gehabt hat, und kommt's nicht daher, daß sie jetzt milder wird?«

»Gewiß,« entgegnete jener; »es ist aber ihre Schuld gewesen, daß sie kein Anderer lieb gehabt hat. Es hat ja von ihrem Herzen auch nie Jemand etwas gewußt, als ihr zweiter Mann und der Kleine. Nun, ihr Mann hat es ihr schlecht vergolten, das wird Georg nicht, aber – Gott schütze ihn, den armen Jungen! – es werden auch noch Conflicte kommen, und ob er dann Liebe genug haben wird, sie auszugleichen –«

»Oder auszufechten,« wandte Victor ein.

»Bah, mit Frau Artefeld fechten,« sagte Wagner, »wo denkst Du hin! Im Kampf mit der ganzen Welt würde sie nicht nachgeben, und dem Jungen würde alle seine Liebe nichts helfen, kreuzte sein Wille einmal einen ernst gefaßten Beschluß seiner Mutter. Er ist auch viel zu weich, und die Kränklichkeit bringt ihn vollends herunter. Er wird nie ein rechter Mann werden!«

»Herr Wagner,« sagte Victor mit höchst unschuldigem Tone, aber einem Blick in den Augen, der demselben widersprach, »Sie haben auch einmal gesagt: Herr Dorn wird nie ein rechter Dichter werden, und jetzt stehen alle seine Bücher in Ihrem Schrank.«

»Ja, weil ich altersschwach bin, naseweiser Junge, und deshalb anfange Romane zu lesen. Wenn ich einmal unrecht gehabt, muß es deshalb immer sein? Ich habe auch einmal gesagt, der Victor König wird ein guter Musikus werden! Junge, untersteh Dich's und straf' mich Lügen, Du junger Fant, Du, der klüger sein will, als sein alter Lehrer und Pflegevater!«

»Nein, Herr Wagner, das will ich nicht,« rief Victor und schüttelte seine etwas genial geordneten Locken, »der Victor König wird ein guter Musikus, das sage ich auch.«

»Ja, das heißt, so einer, der mittendurch geht, ein himmelstürmendes Genie etwa nicht, das bilde Dir nicht ein. Dazu bist Du jetzt schon ein zu eitler Affe. Für wen sind die Locken heut gar so zierlich gedreht, he?«

»Die Locken sind von Natur so, das wissen Sie ja, Herr Wagner,« antwortete Viktor lachend, »ich habe nicht nöthig, sie zu brennen, wie es gewisse Leute thaten, vor langen Jahren, als sie einmal jung waren, aber – –« fügte er, seinen muthwilligen Ton mit einem enthusiastischen vertauschend, hinzu, »ein Mädchen hab' ich gesehen, neulich im Concert, sie saß in der ersten Reihe, geradeüber der großen Bratsche, ein Mädchen – nein, Sie glauben es nicht, wie schön sie war! Ich weiß auch, wer sie ist,« fuhr er wieder in lustigerer Weise fort, »nun, heirathen werde ich sie wohl nicht, denn, wenn es auch noch keineswegs ausgemacht ist, daß ich kein himmelstürmendes Genie bin, so steht doch das fest, daß eine Gräfin keinen König heirathen kann. Und König bin ich im Reich – –«

»Der Narren!« unterbrach ihn Wagner.

»Der Töne!« verbesserte Victor; »aber neulich, Herr Wagner,« fuhr er fort, »in demselben Concert, in dem die schöne Gräfin war, da spielte ich doch einmal eine falsche Note, Sie sahen mich noch so ergrimmt an, aber dafür konnte ich nicht, das war kein Ton, der zu meinem Reich gehörte, war keiner meiner Unterthanen, weiß Gott, wie der sich eingeschlichen hatte. Ist es aber deshalb, daß Sie jetzt sagen, ich würde kein Genie werden?«

Wagner lachte.

»Hat mein Zweifel eine empfindliche Stelle getroffen, he, junger Herr?« fragte er.

»O nein, das heißt ja,« gestand Victor ein.

»Ich will Dir sagen,« fuhr Wagner fort, »ich habe ganz recht, wenn ich sage, Du wirst kein Genie werden. Ein Genie wird man nicht, das ist man von Anfang an. Bist Du es also, dann sieh nur zu, daß Du es nicht verpfuschest. Falsch spielen, weil ein hübsches Gesicht Dich aus der Fassung bringt! Noch einmal so schön mußt Du spielen, wenn Dich schöne Augen ansehen!«

»Ich spielte ja gerade falsch, weil die Gräfin mich nicht ansah und ich sie aufmerksam auf mich machen wollte; aber sie merkte es nicht, sie hat kein musikalisches Ohr.

Sie ist nicht die rechte Schöne,
Dem Könige im Reich der Töne!«

fügte er declamirend hinzu, nahm sein Instrument und ging in seine Stube, aus der heraus noch bis nach Mitternacht schmelzende Accorde zu Herrn Wagner herüberdrangen.

»Aha, er hat wieder einen kleinen Paroxismus,« sagte dieser lachend vor sich hin, »in diesem Jahr ist das nun die dritte Liebe. Nun, Gott gebe, daß sie immer so unschuldig bleibt!«


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