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Drittes Capitel.


Friedrich Günther bekam in den nächstfolgenden Tagen noch viel von Rosetten zu hören; von ihrer Opferfähigkeit, ihrem fröhlichen Sinn, ihrer Thätigkeit, ihrer kindlichen Liebe: alles Tugenden, die Frau Wallner mit dem vollen Glauben an ihre Existenz, mit dem rührenden Stolz einer glücklichen Mutter schilderte, um dem jungen Manne die Schwere des Opfers, das in der Trennung von einem solchen Kinde lag, recht anschaulich zu machen.

»Wenn meine Tochter erfährt, daß vorläufig durch Sie für mich gesorgt ist,« sagte sie am ersten Morgen zu Friedrich, »so wird das Kind Sie dafür in sein tägliches Gebet einschließen.«

Friedrich nahm die Anweisung auf das Gebet des in die Welt hinausgestoßenen Engels mit freundlichem Lächeln hin, behauptete aber dann, in dem Abkommen mit der Mutter der am meisten verpflichtete Theil zu sein.

Es war sein Ernst, und seine Meinung wurde durch die Erfahrung der nächsten Tage nur verstärkt. Frau Wallner überhäufte ihn mit freundlicher Fürsorge. Er fand sein Zimmer immer aufgeräumt, seinen Tisch zur rechten Zeit gedeckt, sie immer bereit, ihm in Allem beizustehen. Sie war immer guter Laune, immer thätig und immer dabei, wenn das Herz ihn zum Plaudern trieb. Er hatte seine Alte schon in den ersten paar Tagen lieb gewonnen und pries sich glücklich, sein Hauswesen so guten Händen anvertraut zu haben.

Aber auch noch in anderer Weise war das Geschick ihm günstig, und abermals rühmte er das glückliche Gestirn, unter dem er geboren, als er bei seiner ersten Begegnung mit Arnold in diesem einen alten Freund erkannte. Es war kurze Zeit nach seiner Uebernahme der Försterei, als er ihn im Walde traf. Die Ueberraschung war auf beiden Seiten groß und eine durchaus freudige. Sie hatten als junge Burschen auf derselben Oberförsterei die Ausbildung zu ihrem Beruf erhalten, waren, so weit Arnold's verschlossenes Wesen es zuließ, Freunde gewesen und hatten einander nicht vergessen, wenn auch späterhin jede Verbindung zwischen ihnen aufgehört hatte.

Sie begrüßten einander auf das herzlichste und schritten, von vergangenen Zeiten plaudernd, fröhlich mit einander durch den Wald dem Fangel zu, da Arnold darauf bestand, den Freund gleich mit Frau und Kindern bekannt zu machen.

Friedrich war noch nicht in jene Gegend des Waldes gekommen. Ein freies Feld lag, zwischen diesem und seinem Revier. Das Terrain war hügelig, und fast von jeder Höhe herab schaute man auf einen der lachenden Landseen, an denen die Insel reich ist. Rechts in der Ferne fluthete das blaue Meer, blickten die Häuser des Stranddorfes durch die jetzt kahlen Bäume, und mehr in der Nähe der Straße plätscherte ein klarer Bach durch die ihn einschließenden Bäume, fröhlich neben dem schmalen Fußweg herlaufend, der im Sommer, wo die Bäume grün und die Felder mit Saaten bedeckt sind, einen gar lieblichen Weg zum Spazierengehen abgeben mußte. Friedrich überflog mit raschem Auge die selbst in ihrer jetzigen Oede anmuthige Landschaft.

»Komm nur erst zu mir,« sagte Arnold, die Bewunderung des Freundes gewahrend, »bei mir ist der Wald wie ein Tempel, und von der Höhe neben meinem Hause übersiehst Du See auf See, als habe der Himmel hier nicht genug an dem großen Wasserspiegel, um seine Schönheit wiederzustrahlen, als wolle er uns, die wir so abgeschieden von der Welt wohnen müssen, durch sein überall uns entgegenlachendes Bild so recht zeigen, daß er in friedlicher Stille am leichtesten zu finden ist, am liebsten sich tief in dieselbe versenkt. Weiterhin im Walde, der, sacht aufwärtssteigend, gleichsam einen langen, mit dem schönsten Grün bewachsenen Berg bildet, schaust Du dann das blaue Meer, so weit Deine Blicke reichen, ein Bild der ziellosen Sehnsucht, die oft das Herz in die Weite drängt und es doch wieder auf die enge, kleine Heimath zurückführt, denn nirgends ist das Ufer sichtbar, an dem die Sehnsucht den Hafen fände!«

Friedrich sah seinen Gefährten lächelnd an.

»Du bist noch immer derselbe,« sagte er, »Du kannst immer noch so sprechen, daß es klingt, als kämen die Worte von der Kanzel herunter und man könnte nichts Besseres thun, als sie andächtig anzuhören. Du hättest wirklich Prediger werden sollen!«

Arnold schüttelte den Kopf.

»Kann man denn Gebote verkünden, denen man selber nicht nachlebt?« fragte er. »Weiß Gott,« fuhr er mit einiger Bitterkeit im Tone und mehr zu sich selbst sprechend fort, »das vierte Gebot habe ich immer nur zur Hälfte halten können, und so oft ich das Herz auch zur Umkehr zwingen wollte, immer wieder trieb man's in die Sünde hinein.«

Er schwieg gedankenvoll, Friedrich sah ganz bestürzt vor sich hin. »Du sahst mir erst so glücklich aus,« sagte er leise.

»Ich bin es auch,« fiel ihm jener lebhaft in's Wort, »aber über wessen Himmel ziehen denn nicht einmal Wolken? Glücklich bin ich, unendlich glücklich, denn wer sich in der großen, unruhigen Welt auch nur das kleinste Fleckchen gesichert hat, auf das kein Schatten hinfällt, der darf sich doch wohl glücklich nennen! Sieh nur erst meine Frau, meine Kinder, und Du wirst nicht mehr zweifeln, ja, Du wirst hingehen und zusehen, daß Du ein Gleiches thun kannst.«

»Gewiß, das will ich auch,« antwortete Friedrich zuversichtlich, »und bis es so weit ist, sieht es wenigstens so sonnig wie möglich in meinem kleinen Haushalt aus. Ich habe Glück gehabt, in der Wittwe meines Vorgängers solche gute Frau und Wirthin zu finden. In der ersten Stunde waren wir schon einig, daß sie vorläufig bei mir bleiben und für mich sorgen solle.«

»Du bist auch noch derselbe,« sagte Arnold jetzt lächelnd, »immer zuversichtlich und rasch von Entschluß, immer voll Glauben an jedes freundliche Gesicht.«

»Meinst Du, daß ich mich hier getäuscht habe?« fragte Friedrich.

»O nein,« antwortete Arnold, »aber nimm Dich nur in Acht, daß Du nicht gelegentlich einmal mit der hübschen Rosette verheirathet wirst.«

Diese Warnung erinnerte Friedrich auf einmal an die ihm mitgetheilte Frevelthat des Försters vom Fangel. Er warf einen raschen Blick auf Arnold, dem der eben so rasche Gedanke folgte: Hier muß ein Irrthum obwalten, Arnold ist kein schlechter, kein leichtsinniger Mensch. Die gute Alte hat sich in ihrer verblendeten Liebe für ihre Tochter getäuscht.

»Ist Frau Wallner schlimm in dem Punkt?« fragte er seinen Gefährten.

»Nein, nein, das will ich nicht sagen,« versicherte jener, seinen Scherz bereuend, »Rosette ist ja zudem nicht einmal da. Ich meine nur, daß diese wirklich sehr hübsch ist und daß, wenn man nicht schon an eine Andere denkt, es Einem leicht einfallen könnte; sich in sie zu verliehen.«

»Nun gut, ich denke aber an eine Andere, Du weißt es ja,« bemerkte Friedrich.

»Wie, noch immer die hübsche Nachbarstochter aus der Kinderzeit?« rief Arnold erstaunt, »dieselbe, von der Du uns einmal erzähltest und so böse wurdest und nie wieder von ihr zu sprechen drohtest, weil wir die Liebe für eine Kinderei hielten und an ihre Fortdauer nicht glauben wollten? Du hast die Drohung wirklich gehalten, Du warst ja nicht zu bewegen, auch nur den Namen des Mädchens zu nennen.«

»Aber meinen Liebesschwur hielt ich auch,« unterbrach ihn Friedrich.

»Wirklich? Du bist ein treuer Mensch!« sagte Arnold, »so bist Du mit ihr verlobt und wirst sie jetzt heirathen?«

»So hoffe ich,« sagte Friedrich, ohne jedoch hinzuzufügen, wie lange ihn das Leben und die Verhältnisse von der Geliebten fern gehalten, denn er fürchtete wieder dem Unglauben zu begegnen, der ihn damals um so tiefer verletzt, als er zu der Zeit, wo er den Freunden das erste Geständniß seiner Liebe ablegte, kaum sechszehn Jahre alt und also sehr empfindlich gegen jede Auffassung seiner Gefühle war, die Zweifel in den Ernst seiner männlichen Entschlüsse und Empfindungen setzte. Er sprach wirklich damals kein Wort mehr über seine Liebe, nannte auch den Namen seiner Angebeteten nicht, und wenn auch der ärgerliche Trotz, der ihn zu diesem Entschluß getrieben, mit der Zeit nachließ, so trat an dessen Stelle doch allmählich ein anderes Gefühl, jener heilige Ernst der Liebe, der sein Geheimniß wie einen Schatz im Busen bewahrt und sorgfältig den Blicken derer verbirgt, in deren andächtiges Schauen des Wunders er Zweifel setzen zu müssen glaubt.

»Das wird hübsch sein, wenn Du eine Frau hast,« fuhr Arnold fort. »Dann haben wir Jeder gerade das errungen, was wir sonst nie in den Bau unserer Luftschlösser aufnahmen, ich wenigstens nicht, Du magst es im Stillen gethan haben. Ach, was dachte ich es mir damals leicht, Großes im Leben zu erringen, welche hohen Ziele hatte ich mir gesteckt, und wie riß ich Dich in meine Phantasien hinein! Es war ein falscher Ehrgeiz, der mich trieb, ich dachte weniger daran, Andere durch meine Erfolge zu erfreuen, als vielmehr sie zu beschämen, deshalb ist mir auch nichts geglückt, und statt in mein Luftschloß zog ich in die Hütte im Walde.«

»Es muß einmal ein Jeder seiner Bestimmung folgen,« bemerkte Friedrich.

»Nein,« unterbrach ihn Arnold, »es macht sich Jeder selbst zu dem, was er ist. Zufall und Verhältnisse sind natürlich mit im Spiel, und ob wir nun Anderen nachgeben, ob wir eigener Neigung folgen in Beziehung auf den Weg, den wir einschlagen, immer bleibt doch die Wahl frei, und das eigene Ich muß die Verantwortung tragen. Zu dem Bewußtsein dieser innerlichen Freiheit sollte man auch den Menschen erziehen, sie schützt am ersten vor Willkür; zu dieser innerlichen Freiheit, die scharf unterscheidet zwischen Sklaverei und Unterwerfung, sollte man einem Jeden Raum lassen, denn ungerechter Zwang führt zur Empörung –«

»Und Empörung meist zur Schuld,« unterbrach ihn Friedrich.

»Gewiß,« bestätigte Arnold, »und der Schuld folgt die Strafe, denn was sich aus ihr entwickelt, ist meist ein Trübsal für den, der sie begangen.«

»Es giebt auch unverschuldetes Unglück,« unterbrach ihn Friedrich.

»Das heißt, es ist nicht immer unmittelbare Folge eines bestimmten Unrechtes, das meine ich auch,« fuhr Arnold fort, »aber dennoch kann ich mich von dem Gedanken nicht losreißen, daß in jedem Fehlschlagen unserer Wünsche und Hoffnungen, in jedem Possen, den das Leben uns spielt, eine gerechte Vergeltung sich uns warnend oder strafend offenbart. Irgend ein begangenes Unrecht hat doch Jeder zu sühnen, und man mag Gott danken, tastet die Buße nur äußere Lebensgüter an. Darum trenne ich auch diese von meinem Glück – betrachte jeden Raub an denselben als ein Opfer für das letztere.«

»Das ist eine sonderbare Rechnung, die Du Dir da mit dem Himmel ausgesonnen hast,« bemerkte Friedrich, »eine förmlich kaufmännische Rechnung. Du bittest ihn nicht um Gnade, Du handelst um sie und bietest einen möglichst billigen Preis. Mit der Vorsehung lassen sich doch nicht Geschäfte machen?«

»Geschäfte machen!« wiederholte Arnold mit verächtlichem Auflachen, »das Wort kenne ich, aber, weiß Gott, ich habe nicht geglaubt, so viel Kaufmannsblut selbst in den Adern zu haben. Ich bin aber vielleicht nur ein elender Schmuggler,« fuhr er in schwermüthigem Tone fort, »habe kein Recht an mein kostbarstes Gut und berge es darum in Sorge und Angst.«

»Wer hat denn ein Recht an sein Glück?« fragte Friedrich und fügte dann fröhlich hinzu: »Ich nehme es auch viel lieber als ein Geschenk, ich habe die doppelte Freude daran, und geht mir mein Glück verloren, so brauche ich Niemandem ein mir zugefügtes Unrecht vorzuwerfen.«

Während dieser und anderer Gespräche rasch zuschreitend, hatten die beiden Männer das Forsthaus erreicht, noch ehe sich Friedrich dessen versah. Es war ein nettes, kleines Häuschen, und wären die Bäume, die es umgaben, belaubt gewesen, man hätte es auf zehn Schritt Entfernung kaum gewahrt, so versteckt mußte es dann im Grünen sein. Ein Blumengärtchen schloß es eng ein, und eine Laube, jetzt allerdings kahl, schützte selbst den Eingang. Friedrich meinte an einem der Fenster eine weibliche Gestalt sich rasch erheben und verschwinden gesehen zu haben, aber die Erscheinung war so flüchtig gewesen, daß sich ihm nichts davon eingeprägt hatte, als der goldene Glanz blonder Flechten, die ein paarmal um den Kopf der jungen Frau gewunden schienen. Ihr Antlitz hatte er nicht gesehen, aber schon das blonde Haar machte ihm den Eindruck, als könne es nur zum Schmuck eines sonnigen Antlitzes dienen.

Seine Braut hatte auch blondes Haar. –

Ehe sie noch über die Schwelle des Hauses treten konnten, wurde Arnold jedoch schon in Anspruch genommen. Es standen Leute da, die schon auf ihn gewartet hatten und dringend Abfertigung wünschten. Er ließ aber nie Jemand länger warten, als durchaus nöthig war. Er bat den Freund jedoch, in das Haus zu gehen.

»Ich bin in einer halben Stunde wieder da,« sagte er, ging aber dann noch voran, durchschritt den kleinen Flur, öffnete die Stubenthür und rief in's Zimmer hinein: »Anna, da ist ein alter Freund von mir, unser neuer Nachbar im Walde, unterhalte ihn, bis ich wiederkomme!« und Friedrich über die Schwelle schiebend, ging er eilig zu den ihn erwartenden Leuten.

Erröthend und mit etwas verlegenem Zögern trat die junge Frau dem Gast entgegen.

»Anna!« rief jener erschrocken, »mein Gott, bist Du es, Anna?«

Ihm war zu Muth, als faßte eine eisige Hand nach seinem Herzen und hemmte dessen Schlag. Er fühlte seine Füße schwanken, nur mit gewaltiger Anstrengung hielt er sich aufrecht. Der Schlag, der ihn so unerwartet traf, übte fast eine betäubende Wirkung.

Die junge Frau, die schon die Hand zur Begrüßung ausgestreckt, zog dieselbe zitternd zurück, alle Farbe wich von ihren Wangen, und angsthaft richtete sie die Augen auf den, der ihren Namen mit einem Tone so schmerzlichen Erschreckens ausgerufen hatte.

Friedrich hatte sich inzwischen wieder gefaßt.

»Du bist also Arnold's Frau?« sagte er, »auf die Ueberraschung war ich nicht vorbereitet! Ich glaubte, Du würdest Treue halten können, auch ohne bindenden Schwur, den Deine Mutter doch einmal nicht gewollt hat. Sie hat aber recht gehabt, der Schwur hilft auch nichts, wenn die Treue nicht im Herzen ist. Nun wird die Muhme wohl meinen Brief an Dich aufgemacht haben und mich auslachen, daß ich zu spät komme. Vielleicht schickt sie ihn Dir nach. Dann lies ihn nur nicht erst; jetzt brauchst Du es ja nicht mehr zu wissen, wie ich Dich lieb gehabt, wie ich Jahr auf Jahr ein nur an Dich gedacht habe.«

Anna antwortete nicht. Sie stand noch an derselben Stelle, hatte aber die Augen gesenkt und die Hände in einander gefaltet. Wie eine Sünderin sah sie nicht aus, aber wie eine bis in den Tod Betrübte.

»Wie hat Dich der Arnold nur heirathen können,« brach Friedrich los, »er muß es doch gewußt haben, daß Du seinem Andern das Herz dadurch brechen würdest!«

»Mein Mann weiß nichts von unserer Kinder- und Jugendfreundschaft,« sagte Anna jetzt leise, die Augen schüchtern zu Friedrich erhebend; »Ihm gehörte meine Gegenwart und Zukunft, da lohnte es nicht viel, von der Vergangenheit und von Dingen zu sprechen, die ich vielleicht nicht einmal verstand.«

»Aber warum hast Du ihn denn geheirathet?« unterbrach Friedrich sie heftig. »Ist es denn rechtschaffen, zu heirathen, wenn man einen Andern in Gedanken hat?«

Eine tiefe Röthe überflog das Antlitz der jungen Frau, und sie antwortete fast noch sanfter:

»Die Muhme wollte mich gern los werden; ich sagte ihr nicht zu, ich fiel ihr zur Last. Das ist schwer zu ertragen. An Arnold war kein Tadel, und von Dir wußte ich nichts!«

»Und so warst Du mit dem Tausch zufrieden,« fuhr er fort; »freilich, ein Sperling in der Hand ist besser als zwei auf dem Dach, und ein Glück am Ende so gut als das andere. Ich lese auf Deinem Gesicht nicht einmal die Spuren eines bekämpften Grames. Du mußt ein kaltes Herz haben, daß Du so ruhig Andere über dasselbe verfügen lassen, daß Du es so schnell an ein neues Band gewöhnen konntest!«

»Ein Glück, von dem man träumt, ist ein anderes als ein solches, das wir durch Besitz unser eigen nennen,« erwiderte die junge Frau sehr ernst. »Ruhe ist nicht Kälte, und das innige Festhalten am häuslichen Zusammenleben, das zur gemeinsamen Gewohnheit geworden ist, ist immerhin ein schönes und festes Band. Meinst Du denn, Friedrich,« fuhr sie noch eindringlicher und ernster fort, »daß man eine Pflicht, die man mit wirklicher Treue, mit dem warmen Willen des Herzens zu erfüllen strebt, nicht auch lieb gewinnen muß? Meinst Du, daß man die Gattin eines braven, rechtschaffenen, ach und eines so gescheidten, lieben Mannes, wie der meine ist, sein und gleichgültig bleiben kann gegen die Eigenschaften, die unwillkürlich Achtung und Anerkennung fordern, daß man es vermag, auf gemeinschaftlich geliebte Kinder zu blicken, ohne durchdrungen zu sein von der heiligen Gemeinsamkeit des durch sie verknüpften Bandes? In einem solchen Verhältniß, selbst wenn es nicht aus dem Alles überwältigenden Gefühl der Liebe geknüpft wurde, kann nur Herzlosigkeit die Liebe für immer ausstoßen, nur charakterlose Schwäche die Gewohnheit an ihre Stelle setzen, nur gemeine, flache Gesinnungslosigkeit sich ohne Liebe glücklich darin fühlen. Traust Du mir denn so viel Schlimmes zu, mein alter Freund?«

Friedrich war bezwungen. Anna's Sanftmuth besiegte seinen Zorn und seine Bitterkeit, verschärfte aber seinen Schmerz. Ach, so wie sie jetzt vor ihm stand, so mild, so freundlich, so weiblich und würdevoll, hatte er sie immer in den Träumen der Zukunft an seiner Seite geschaut; nun war sie ganz so vollendet, wie er sie sich gedacht, die anmuthige Knospe entfaltet zur reizendsten Blume, aber – sie schmückte den Hausaltar eines Andern, und auch nur in Gedanken die Hand nach ihr ausstrecken war Sünde. O, das war ein Leid, um sich todt darüber zu grämen. Dem jungen Manne liefen die hellen Thränen über die Wangen; er ging an's Fenster, er preßte sein Gesicht gegen die Scheiben; sie stand noch immer an derselben Stelle, mit den Augen ängstlich seinen Bewegungen folgend. Endlich wendete er sich wieder zu ihr:

»Du hast Kinder, Anna,« sagte er freundlich, »ich denke, Du sprachst von ihnen, willst Du sie mir nicht zeigen?«

Sie nickte und holte die Kleinen aus dem Nebenzimmer: das älteste Mädchen Wendula, den etwas jüngeren Richard und den kaum halbjährigen Buben, der auf ihren Armen schon so lebhaft strampelte, als könne er gar nicht begreifen, daß man ihn nicht am Boden lasse.

Friedrich war ein großer Kinderfreund, und bald saß er auf dem Fußboden und die beiden ältesten Kinder neben ihm, und ein Plaudern und Spielen und Lachen begann, das aus dem Herzen der glücklichen und stolzen Mutter die Erinnerung an den eben stattgehabten Auftritt fast völlig verwischte.

»Wie die Kinder ihrem Vaters gleichen!« bemerkte Friedrich, »nur Wendula hat das Lächeln der Mutter, sonst aber auch ganz Arnold's Züge und Augen. Lache einmal, Wendula!« wendete er sich an die Kleine, die ihn verwundert ansah, aber den hübschen Mund nicht zum Lächeln verzog.

Statt ihrer that es die Mutter.

»Mein kleiner Trotzkopf folgt nicht blindlings dem Willen Anderer,« sagte sie, »wer sie lachen sehen will, muß ihre Fröhlichkeit wecken, sonst kann man es ihr zehnmal sagen und sie thut es nicht.«

»Macht sie es bei anderen Dingen auch so?« fragte Friedrich, »muß sie immer erst Gründe wissen, ehe sie gehorcht?«

»Der Mutter und dem Vater gehorcht sie wohl auch so,« antwortete Anna, »aber wenn es irgend für die Begriffe der Kinder paßt, sage ich es ihnen immer, warum sie dieses oder jenes thun oder lassen sollen. Mein Mann will es so, und er hat recht. Die Kinder gehorchen viel lieber, wenn sie verstehen, warum man etwas von ihnen verlangt. Hier, mein kleiner Bursch,« fügte sie, dem Knaben das Haar streichelnd, hinzu, »bekommt noch keine Gründe zu hören, die er ja noch nicht verstehen würde, er ist noch bei den Anfangsgründen des Gehorsams, dem blinden Muß. Mit Wendula sind wir schon einen Schritt weiter.«

»Wenn Vater Reimer etwas sagt, thu' ich's auch,« schwatzte Wendula dazwischen, »aber die Anderen müssen bitte sagen, Du auch!«

»Wer ist Vater Reimer?« fragte Friedrich; die Kleine aber lachte ihn statt aller Antwort aus und sagte mit mitleidigen Blicken auf ihn deutend. »Der kennt Vater Reimer nicht, Mutter! Vater Reimer, der mich aus dem Wasser gezogen hat, sonst hätten mich die Fische aufgegessen, die alten, unartigen Fische! Nun spiele ich auch gar nicht mehr am See.«

Der Förster sah die junge Frau fragend an.

»Es geschah vor einem halben Jahre,« erzählte diese, »hier mein kleiner Arthur war gerade geboren. Da konnte ich nicht selbst jederzeit nach Wendula und Richard sehen, und wir hatten ein kleines Mädchen für die Kinder zur Wärterin angenommen, aber die war selber noch ein halbes Kind und ließ einmal die Kleinen am See Blumen pflücken und paßte nicht auf, da fiel meine Wendula hinein. Gott sei Dank war Vater Reimer, ein alter Fischer, der nicht weit von uns wohnt, in der Nähe und rettete uns unsern Liebling. Ach Gott, das war ein Schreck, als sie mir das Kind in den nassen Kleidern in die Stube brachten! Ich habe ihn heut noch nicht ganz überwunden. Ich bin nicht mehr so gesund, wie ich früher war, mir schlägt das Herz seitdem oft so angsthaft!«

»Ja, wie die große Uhr hier an der Wand,« bekräftigte Wendula, »aber der Vater darf es nicht wissen, der würde sonst Sorge haben. Ich weiß es, aber ich sage es ihm auch nicht. Ich hab' es gefühlt, Mutter hat meine Hand dorthin gelegt. Lege Du auch einmal Deine Hand hin, Onkel!«

Es zuckte schmerzhaft über Friedrich's Gesicht.

»Das darf ich nicht, das ist nicht mein Herz!« sagte er unwillkürlich.

»Wenn's Mutter aber erlaubt? bitte sie doch darum!« fuhr Wendula fort.

»Ich will lieber hören, wie Dein kleines Herzchen schlägt!« sagte Friedrich, zog die Kleine an sich und legte seine Hand auf ihr Herz. Sie verhielt sich ganz still, machte ein höchst bedenkliches Gesicht und wagte kaum Athem zu holen.

»Das schlägt nur ganz leise,« sagte sie endlich, »aber wenn ich groß bin, soll es auch laut schlagen. Das wird hübsch sein!«

»Wie die Kinder sich doch alle darauf freuen, groß zu werden,« sagte Friedrich wehmüthig, »und ist man groß, möchte man wieder ein Kind sein. Man ist doch am glücklichsten, wenn man seinen Herzschlag gar nicht fühlt!«

Anna schüttelte fast unmerklich das Haupt.

»Der Vater, der Vater! da kommt er!« rief Richard, fröhlich die Händchen zusammenschlagend.

»Nicht doch, ich höre ihn nicht,« sagte Anna.

»Doch, doch!« behauptete Richard.

»Ja, Mutter, er kommt!« versicherte nun auch Wendula.

Anna lächelte.

»Da muß ich Euch wohl glauben,« sagte sie und öffnete die Thür. Der kleine Richard stolperte in seiner Eile mehr über die Schwelle, als daß er sie überschritt. Wendula nahm ihn jedoch vorsichtig bei der Hand und erinnerte ihn an das Gebot des Vaters, die Treppe sacht hinunter zu gehen.

»Sie spielt schon die ältere Schwester, sie ist ein vernünftiges kleines Ding!« sagte Anna, und ein Strahl mütterlichen Stolzes erleuchtete ihre sanften Züge.

Friedrich seufzte. Er war vom Fußboden aufgesprungen, sobald der Kinder Ruf nach dem Vater erschollen, und trat jetzt hastig auf Anna zu:

»Dein Mann weiß, daß ich eine Jugendgeliebte zu haben glaubte,« flüsterte er ihr leise und eilig zu, »eben noch sprach ich mit ihm von meinen Hoffnungen, nur über Verhältnisse und Namen habe ich geschwiegen. Soll er es jetzt erfahren, wie wir Beide zu einander standen?«

»O nein, nein!« unterbrach sie ihn rasch. »Wozu ihn beunruhigen? Er hegt so leicht Mißtrauen in sein Geschick. Wozu ihn ein Unrecht fürchten lassen, wo keins jemals begangen werden kann? Ueberlaß es mir wenigstens, ihm von unserer Bekanntschaft zu erzählen, wenn es noth thun sollte.«

»Gut denn, Frau Försterin, wie Sie es wollen!« sagte er.

In dem Augenblick trat Arnold ein, den jubelnden Knaben rittlings auf den Schultern, Wendula an der Hand.

»Galopp, Pferdchen, galopp!« commandirte der kleine Bursch, schnalzte mit der Zunge und stampfte mit den Beinchen, »woll'n den fremden Mann umreiten!«

Statt dessen bäumte sich das zweifüßige Reitpferd, warf den kleinen Reiter über seinen Kopf, fing ihn geschickt auf und setzte ihn auf die Erde.

»Nun ist's genug! Wenn Fremde da sind, oder vielmehr wenn der Vater einen guten Freund bei sich hat, müssen die Kinder hübsch allein und für sich spielen,« sagte Arnold, nahm seiner Frau den jüngsten Knaben vom Arm, küßte ihn kräftig ein paarmal und gab ihn dann der Mutter mit einem Blick wieder, der mehr Freude und inneres Glück ausdrückte, als Worte auszusprechen im Stande sind. Friedrich staunte über die völlig veränderte Miene des Freundes. Ernst, Nachdenken, Mißstimmung, Alles war daran verschwunden und Glück, nichts als Glück an dessen Stelle getreten.

»Das ist Dein Freund, Vater?« fragte Wendula jetzt denselben. »Was ist das, Freund?«

»Ja, siehst Du, mein kleines Mäuschen,« belehrte sie der Vater, »das ist ein Mensch, der immer freundlich und gut gegen uns gewesen ist, der sich freut, wenn es uns gut geht, der die lieb hat, die zu uns gehören, der uns hilft, wenn es noth thut – ein Mensch, auf den wir uns immer verlassen können. Einen guten Freund besitzen, ist ein großes Glück, fast eben so groß, als eine liebe Frau und artige Kinder haben!«

»Muß Dein Freund auch Deine Frau und Deine Kinder lieb haben?« fragte Wendula.

»Er hat sie lieb, und sie müssen ihn wieder lieben,« sagte der Vater.

»Hast Du ihn lieb, Mutter?« fragte Wendula jetzt diese.

»Ja, mein Kind,« antwortete Anna mit einem freundlichen Blick auf Friedrich.

»Ja, der Vater will es auch!« sagte Wendula mit einem Tone, als wolle sie ausdrücken, daß es sich dann von selbst verstehe, und dann auf Friedrich zueilend, umfaßte sie schnell zärtlich dessen Kniee und sagte: »Wir wollen uns auch lieb haben, und Richard und Arthur auch!«

»Armer Friedrich, nimm Dich in Acht vor der Freundschaft,« scherzte Arnold, »meine Wendula ist ein anspruchsvolles kleines Ding; sie wird Dich todt machen mit Fragen, Dich brandschatzen an Geschichten, und wehe Dir, wenn Du es an der gehörigen Aufmerksamkeit fehlen läßt. Mit dem Gebot, alle Menschen zu lieben, dringen wir bei ihr noch nicht recht durch, sie hält sehr auf Gegenseitigkeit. Aber nun geh zu Richard, mein Kind,« unterbrach er sich selbst, indem er sich an Wendula wendete, die ihn so aufmerksam und durchdringend ansah, als bemühe sie sich zu erforschen, ob der Vater sie eben eigentlich gelobt oder getadelt hätte. »Geh! spiele mit dem Bruder und laß uns große Leute allein!«

Wendula gehorchte augenblicklich und Arnold forderte nun den Freund auf, Platz zu nehmen, ein Gespräch anknüpfend, durch das fortgesetzt die stille Heiterkeit hindurchklang, die wie Sonnenschein in seinem Antlitz aufgegangen von dem Augenblick an, in dem er die häusliche Schwelle betrat. Friedrich gewann es nur schwer über sich, in den angegebenen Ton einzustimmen, und ein erstickendes Gefühl preßte ihm das Herz zusammen, so wie sein Auge auf Anna fiel. Sie, die Geliebte seiner Jugend, verleugnen, wie ein Fremder vor ihr stehen, ja, sie mit dem kalten, förmlichen Sie anreden müssen – o Gott, was war das für ein Erwachen aus dem schönsten, lieblichsten Traum seines Lebens!

Die fremde Benennung mochte auch ihr schwer werden, denn sie vermieden es alle Beide mit einander zu reden, ja, sie ließ die beiden Männer so viel als möglich allein.

Das fiel ihrem Manne nicht auf. Brachte sie doch jeden Abend die Kinder selbst zu Bett und besorgte dann das frugale Abendbrod, da die eine Magd, die sie hielten, dann meist anders in der kleinen Wirthschaft beschäftigt war. Ja, er hatte noch kein Arg dabei, daß sich Anna, als keine häusliche Besorgung ihr länger den Vorwand gab weg zu bleiben, so still verhielt und mit ihrer Arbeit beschäftigt mehr zuhörte als mitsprach. Er kannte ja ihr stilles, schüchternes Wesen, und ihre Zurückhaltung gegen den fremden Mann überraschte ihn nicht.

So verging der Abend in traulicher Weise, und als Friedrich schied, mußte er das Versprechen geben, bald wiederzukommen.

»Führe nur bald die Braut heim,« sagte Arnold ihm zum Abschied. »Du hast wohl gesehen, wie lieblich es sein kann, eine Hütte und ein Herz sein zu nennen. Er ist verlobt,« wendete er sich an Anna, »denke Dir, es ist eine Liebe noch aus der Kinderzeit. Er ist immer besser gewesen als wir Alle. Er verstand es schon, wozu er sein Herz hatte, als wir rohen Burschen noch nichts Besseres zu thun wußten, als ihn damit zu verspotten. Nun bin ich wider alles Verdienst noch eher glücklich geworden als er. Nun, hoffentlich wirst Du's auch bald, aber – mein Gott!« unterbrach er sich, auf einmal gewahrend wie schmerzlich es in den Gesichtszügen Friedrich's zuckte, »was ist Dir, alter Freund? Bin ich zu voreilig gewesen? Steht nicht Alles auf dem rechten Fleck? Hast Du mir denn nicht heute gesagt, daß Du heirathen willst?«

»Ja, ja, ich sagte so etwas,« entgegnete ihm Friedrich so unbefangen, als ihm nur immer möglich war, »aber, in Wahrheit, ich war nur ein elender Prahler. Ich habe das Mädchen acht volle Jahre nicht gesehen, ich habe ihr nie mit klaren Worten sagen dürfen, daß ich sie lieb habe, sie hat in der ganzen langen Zeit nichts von mir gehört, sie wird nicht auf mich gewartet haben. Es war Unsinn von mir, das zu glauben. Ich bin nur immer so leichtsinnig und denke, es muß Alles so kommen, wie man es wünscht, aber wie Du vorhin von meiner Heirath sprachst wie von einer abgemachten Sache, da überlief es mich auf einmal so eiskalt, und Du weißt ja, wenn's Einen so ohne alle sichtbare Ursache kalt überrieselt, sagen die Leute: Der Tod läuft über's Grab.«

»Ja, aber ich habe nie gewußt, was ich von der Redensart denken sollte,« wandte Arnold ein.

»Ich auch nicht,« gestand Friedrich, »aber jetzt suche ich einen Sinn darin. Der Tod schreitet über die Stelle, wo ich begraben werden soll! Es ist Zeit, sie aufzusuchen, denn das Leben will anfangen mir die irdischen Freuden zu nehmen, um mich den himmlischen zuzuführen. Es mag immer noch lange dauern bis dahin, es können noch viele Hoffnungen geknickt werden, ehe der Tod stillsteht an meinem Grabe, aber die schönste wäre doch die Liebe und Treue meines Mädchens.«

Arnold war ganz betroffen, er wußte nicht, was er von dieser plötzlichen Schwärmerei oder Sentimentalität Friedrich's denken sollte, der ihm immer so harmlos, so fern von jeder Exaltation vorgekommen war.

»Wenn Du irgend eine schlimme Nachricht von dem Mädchen erhältst, werde ich noch mehr wie sonst an Ahnungen glauben,« sagte er endlich.

»Und ich noch weniger als sonst,« dachte Friedrich, »denn, weiß Gott! ich war ganz ahnungslos, als das Schicksal über mich kam.«

Er bemühte sich aber nun, eine heitere Miene anzunehmen. Anna's Auge ruhte mit sanftem Vorwurf auf ihm.

Er reichte ihr die Hand.

»Gute Nacht, Frau Försterin oder Frau Anna, wenn ich so sagen darf,« sagte er freundlich, Arnold ansehend, als wolle er ihn um Erlaubniß zu der Freiheit ersuchen. »Wenn ich wirklich nicht glücklich werden sollte, ei, da erlauben Sie mir's, mir das Glück hier mitunter anzusehen, dabei kann ein Menschenherz auch schon froh schlagen. Ich werde mir die kleine Wendula aussuchen zum Liebhaben, denn etwas vor allen anderen Dingen lieb haben muß ich nun schon einmal. Das ist mir eine liebe Gewohnheit geworden.«

Anna vermochte nicht gleich zu antworten, erst nach einer, Weile sagte sie leise:

»Das Glück zu verdienen, ist besser noch, als es zu haben!«

»Ja für den, über dessen Grab der Tod geht,« sagte Friedrich, einen halb scherzenden Ton annehmend, winkte den Eheleuten noch einen freundlichen Gruß zu und wandte sich dann zum Gehen.

»Ich verstehe ihn nicht,« sagte Arnold kopfschüttelnd, indem er mit Anna den Heimweg einschlug, »erst war er so vergnügt und seines Glückes gewiß, und nun auf einmal diese niedergeschlagene Stimmung!«

Anna lehnte sich innig auf ihres Mannes Arm.

»Das Glück ist flüchtig, wesenlos und schattenhaft, so lange wir nur von ihm träumen,« sagte sie leise, »daher die wechselnde Stimmung, mit der es uns erfüllt, wenn wir es nur von Weitem schauen. Erst wenn es unser Eigen geworden, ist es unverlierbares Gut.«

»Unverlierbares Gut?« wiederholte er fragend.

»Kann's Dir je aus dem Herzen genommen werden?« fragte sie dagegen.

»Nein, eher kann das Herz mit demselben zerbrechen!« entgegnete er.

»Davor bewahre Gott einen Jeden,« sagte sie, und ihre Gedanken suchten im Augenblick den armen, einsamen Wanderer auf, dessen Glück an der Schwelle ihres Hauses gestrandet war. –

 

Friedrich war vorwärts geschritten, ohne sich nur umzusehen. Bald war das Haus seinen Augen entschwunden.

Er hätte glauben können, er habe nur von dem Häuschen geträumt, das seinen Schatz in sich einschloß und mit einem Zauber umgab, dem kein irdischer Wunsch nahe zu treten wagte; aber der bittere Schmerz, den er empfand, bewies ihm nur zu sehr, daß er wachte.

Im Traume hat Alles seine bestimmte Grenze; Freude wie Angst und Schmerz erreichen nur einen gewissen Punkt; sobald sie diesem nahe sind, rafft die Seele sich auf und erwacht. Ist es nicht im Leben auch so? Aber wie lange dauern die bösen Träume, wie wechselnd und flüchtig sind die Freuden, wie schwer und wie langsam ist oft der Kampf der Seele, ehe sie alle Qual und Angst überwunden, alle drückenden und verhüllenden Nebel abgestreift hat und freien Fluges dem endlichen Erwachen entgegenschwebt.

Dem armen Friedrich trat der Kampf zum ersten Male nah. Er hielt ihm männlich Stand, aber der Himmel sah doch die Thränen, da der entlaubte Wald ihm den Blick auf den armen betrübten Wanderer frei ließ. Er sah die Thränen und zeigte dafür seine Millionen Sterne, die hell durch die dämmerige Nacht blitzten.

Sie leuchteten Friedrich heimwärts, und wenn auch seine kleine Heimath auf einmal alle Poesie für ihn verloren hatte und es ihm vorkam, als müsse sein häuslicher Herd nun für jetzt und alle Ewigkeit seines schönsten Zaubers entbehren, so war es doch wieder ein Gefühl der Sehnsucht, das ihn dorthin zog.

»Gottlob, daß die alte Frau bei mir ist!« sagte er leise, »mir ist zu Muth wie einem Kinde, dem sie sein schönstes Spielzeug zerbrochen haben und das nun zur Mutter will, es ihr zu klagen. Ach, sie kann mir zwar kein anderes geben, ich mag auch keins, will auch nicht getröstet werden, ich meine nur, sie wird mich jetzt doppelt freundlich ansehen, und das schon muß wohlthun!«

Er überlegte in Gedanken weiter, was er ihr eigentlich sagen wolle, denn daß er in Anna seine Geliebte wiedergefunden habe, das fiel ihm nicht ein selbst ihr anzuvertrauen. »Ich muß schon jetzt meinen Kummer verbergen, so gut ich kann,« dachte er, »die Muhme wird ja meinen Brief wiederschicken oder mir darauf antworten, und dann sage ich ihr, daß aus der Sache nichts wird, und nichts weiter.«

Die Gelegenheit dazu ward ihm auch schneller, als er geglaubt Frau Wallner hatte seine Rückkehr erwartet, und anstatt, wie er gewollt, sachte hinauf in sein Zimmer zu schleichen, mußte er ihrem Ruf folgen und noch in die Wohnstube treten.

»Hier, hier,« sagte sie, mit einem Gesicht, auf dem sich so viel Neugier malte, daß der Ausdruck derselben in jedem andern Augenblick dem jungen Manne höchst spaßhaft gewesen sein würde, »hier!« und sie hielt ihm einen dicken Brief entgegen.

»Ich habe die Zeit nicht erwarten können,« fuhr sie fort, »nun machen Sie nur rasch auf, damit ich Ihnen zur Verlobung gratuliren kann.«

Friedrich mußte ihrer Weisung folgen, es wäre zu unfreundlich gewesen, mit dem Briefe in der Hand das Zimmer zu verlassen und die Neugier oder Theilnahme der alten Frau unberücksichtigt zu lassen. Er nahm der Alten den Brief aus der Hand, sein blasses Gesicht und seine zitternden Hände befremdeten sie nicht, sie wandte sich vielmehr in einer leichten Anwandlung von Zartgefühl einen Augenblick von ihm ab.

Er erbrach langsam das Couvert, sein Brief fiel ihm uneröffnet daraus entgegen, ein daneben liegendes Blatt enthielt nur Anna's jetzigen Namen, die Adresse ihres Wohnorts und die Bemerkung, daß sie, Schreiberin dieses, allerdings nicht wissen könne, ob ihre Nichte nicht vielleicht den Wohnort gewechselt, da sie, seit jene ihr Haus verlassen, nichts mehr von ihr gehört und auch nichts habe hören wollen, weil sie gar keine Ursache gehabt habe, sich um das fernere Schicksal einer Person zu bekümmern, die jahrelang Wohlthaten von ihr empfangen, ohne sich nur jemals dankbar dafür zu bezeigen.

Fast mechanisch durchlas Friedrich diese Zeilen, dann warf er den Brief, empört über den giftigen Schluß, unwillig auf den Tisch und schritt ein paarmal heftig im Zimmer auf und ab.

Er hatte allerdings nichts Neues erfahren, aber es kostete ihm doch einen gewaltigen Kampf, hinzugehen und es selbst auszusprechen, daß seine Hoffnung auf Glück ein thörichter Traum gewesen. Er ging auf die Alte zu, gab ihr die Hand und sagte so freundlich und ruhig, als es ihm nur möglich war:

»Mutterchen, mit meiner Verlobung ist es nichts. Das Mädchen ist schon verheirathet. Sie bleiben nun bei mir, ganz und gar, denn ich heirathe nun gar nicht. Das ist abgemacht, und nun sprechen wir von alledem nicht mehr,« und damit wandte er sich rasch um und eilte zur Thür hinaus.

»Armer Junge,« sagte Frau Wallner, »er thut mir leid, aber für mich ist's gut, sehr gut, und vielleicht für ihn und eine Andere auch. Der arme Schelm! Gottlob, ich kann aber nun hier bleiben, Und heirathen kann er immer noch, und hoffentlich eine Bessere als die schlechte Person, die ihn im Stich gelassen hat.«

Sie hielt inne, ihre Augen fielen auf einmal auf den auf dem Tische liegenden Brief, auf den offenen Zettel daneben. Sie nahm letzteren rasch auf und durchflog ihn.

»Sieh doch, die Anna!« sagte sie mit so giftigem Tone, daß Friedrich, wenn er ihn gehört hätte, wohl schwerlich dieselbe gute, alte, freundliche Frau daran erkannt haben würde, die er so bereitwillig vom ersten Augenblick an Mutterchen genannt. »Die Anna!« fuhr sie fort, »die falsche Katze, die Schlange, thut so unschuldig, hat einen Bräutigam und läßt ihn laufen, um meiner Rosette den Mann wegzuschnappen! Wer sieht's dem Wachsgesicht an! Aber stille Wasser sind tief, und die vor lauter Unschuld die Augen kaum aufzuschlagen wagen, sind die Rechten. Gott sei Dank, meine Rosette kann Jedem gerade in's Gesicht sehen. O, die Männer, die dummen Männer! Wenn nur Eine so sanft thut wie eine Taube, lockt sie sie am ersten in die Falle! – Er muß aber die Briefe wiederhaben, er darf nicht wissen, daß ich das hier gelesen! Schade, der andere ist versiegelt,« fuhr sie in ihren Gedanken fort, nahm die Papiere zusammen und trug sie zu Friedrich hinaus, leise an seine Thür pochend. Er öffnete überrascht.

»Sie haben das hier unten liegen lassen,« sagte sie. »Das taugt nichts, die Mägde sind oft neugierig und haben die Augen überall. Zum Glück sah ich's noch. Da nehmen Sie. Ich habe heute auch einen Brief von Rosetten gehabt,« fuhr sie fort »das geliebte Kind läßt Sie grüßen und Ihnen alles Gute wünschen, weil Sie so brav sind und so freundlich gegen mich. O, glauben Sie nur, der liebe Gott hört auf solche Fürbitten, Rosette wird nicht umsonst für Sie gebetet haben. Das arme Kind wandelt auch nicht immer auf Rosen. Ihr Brief heute ist traurig und macht mir Sorge. Nun, Gott wird ja Alles glücklich wenden, Ihren Kummer, lieber Sohn, und die harten Wege meiner Tochter. Gute Nacht, armer Junge, der Himmel tröste Sie. Wahrhaftig, Ihr Kummer schmerzt mich noch tiefer, als der Tod meines Alten. Gute Nacht!«

Ihre Stimme erstickte in Thränen, sie drückte rasch die Thür in's Schloß und ging wieder hinunter.

»Gute, ehrliche Seele!« rief Friedrich ihr gerührt nach.


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