Victor Auburtin
Einer bläst die Hirtenflöte
Victor Auburtin

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Über die Wiener Würste

Natürlich gibt es in Wien keine Wiener Würste.

Wiener Schnitzel steht auf allen Speisekarten, aber merkwürdigerweise ist es nicht das, was die übrige Welt unter Wiener Schnitzel versteht. Die übrige Welt versteht unter Wiener Schnitzel ein ganz dünn geklopftes, trockenes und leicht paniertes Stück Kalbfleisch, auf dem eine Sardelle und zwei Kapern liegen müssen. In Wien ist das Wiener Schnitzel dick und saftig; sehr gut, aber ganz anders; und woher kommen alle diese irrtümlichen Bezeichnungen?

Die besten Wiener Schnitzel gibt oder gab es früher auf den Rheindampfern, die zwischen Köln und Mainz auf und nieder fahren. Wenn ein solcher Rheindampfer an dem Loreleyfelsen vorüberkommt, pflegt der romantische Passagier gerade in der Kajüte zu sitzen und ein Wiener Schnitzel zu essen. Dann spielt die Kapelle jenes hinreißende Lied, und der romantische Passagier kann es gar nicht besser getroffen haben.

Und was die Wiener Würste anbetrifft, so heißen sie in Wien Frankfurter Würste. Kein Mensch findet sich zurecht.

Dagegen kann man in Wien eine Berliner Schnitte bekommen. Als ich den Namen dieses Gerichtes zum ersten Male auf der Speisekarte las, bestellte ich es mir sofort, sehr begierig, zu erfahren, was die Wiener wohl unter einer Berliner Schnitte verstehen möchten. Die Berliner Schnitte war eine Torte aus geriebenem Schwarzbrot und Pflaumenmus.

Schön. Aber warum Berliner Schnitte? Und nähmst du die Flügel der Morgenröte und flögest von Treptow über den Spittelmarkt und den Augusta-Viktoria-Platz bis nach Westend, nirgendwo in Groß-Berlin fändest du diese Torte aus geriebenem Schwarzbrot und Pflaumenmus. Man kann das Zeug kaum herunterschlucken.

 

Die Wiener Küche ist stets eine bürgerliche Küche gewesen: Der Kenner wird auf der ganzen sonstigen Welt nirgendwo ein so vorzüglich gekochtes Rindfleisch bekommen, wie es täglich – mit Ausnahme der Sonntage – zu Mittag in sämtlichen Restaurants der Stadt Wien, den größten und den kleinsten, zu haben ist; mit Essigkren oder mit Schnittlauchsoße oder mit Dillsoße. Das ist ein Hausfrauengericht; aber wer sich um solche Dinge kümmert, der weiß, daß gerade diese einfachen Speisen die feinsten sind und auch die schwierigsten. Ein Ragout aus Hummerschwänzen, Kaviar und Muscheln kann jeder bereiten: an dem Rindfleisch und an den Kartoffeln zeigt sich der Meister. (Mein Großvater, in dessen Hause ich gelebt habe, war der französische Mundkoch eines Königs. Nur deshalb wage ich mitzureden.)

Mozart soll gesagt haben, daß er ohne Wiener Backhendeln nicht leben könne. Wenn es auf der Welt eine »Zauberflöte« gibt, so verdanken wir diese also den Wiener Backhendeln, da Mozart ja leben mußte, um die »Zauberflöte« zu komponieren.

Doch könnte es scheinen, als ob die Glanzzeit der Wiener Backhendeln vorüberzugehen beginnt. Sie werden nicht mehr so viel gegessen, sie weichen vielleicht der fortschreitenden Zivilisation.

Nämlich so: Backhendel zu essen muß ein Genuß gewesen sein in jener Zeit, als es selbst an den vornehmsten Tischen Sitte war, die Hühnerknochen in die Hand zu nehmen und das Fleisch abzunagen. Diese Zeit liegt ja gar nicht so weit zurück. Brillat-Savarin aß so; ja, er nahm die gebackenen Fische in die Hand und hat in seiner Physiologie des Geschmacks ausdrücklich vorgeschrieben, daß gebackene Sachen nicht anders gegessen werden dürften.


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