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Die halbe Menschheit wohnt jetzt in Hotels; und es ist schön, im Hotel zu wohnen, weil das einmal etwas anderes ist und nicht so wie zu Hause. Viele Leute ärgern sich, wenn es nicht so ist wie zu Hause, andere erleben etwas; und eigentlich leben wir Menschen ja doch, um etwas zu erleben.
Ich ziehe immer von einem Häuschen zum andern und ganze Bücher könnte ich zusammenschreiben.
So zum Beispiel die Geschichte mit dem Handtuch. Als ich kürzlich meinen Koffer ausschüttete, um Inventur zu machen, fand ich da ein großes, ganz neues und sauberes Handtuch. Wie kam das Handtuch wohl in den Koffer, man braucht auf Reisen doch keine Handtücher mit sich zu führen? Nun sehr einfach: Ich habe einmal beim Aufbruch aus irgendeinem Hotel in Gedanken das Handtuch des Zimmers mit eingepackt. Aber in welchem Hotel kann das gewesen sein? Es war auf dem Handtuch nicht das geringste Abzeichen zu sehen.
Jetzt wäre es meine Pflicht gewesen, ein Radiotelegramm an Alle zu entsenden mit der Frage: Fehlt Ihnen etwa ein Handtuch? Aber ich kann mich beherrschen. Denn erstens soll der Mensch sich nicht lächerlich machen, zweitens, und das war die Hauptsache, war es ein ganz prachtvolles Handtuch, stark und wollig.
Seitdem führe ich dieses Handtuch mit mir, und es ist mir ans Herz gewachsen; ich hege und pflege es und passe genau auf, daß mir mein Handtuch nicht etwa wegkommt; es gibt so viel gewissenlose Menschen auf der Welt.
Die edelste Tat meines Lebens habe ich in einem kleinen Hotel in Thale am Harz vollführt. Es war im Juni, ein wunderbarer Sommernachmittag; alle Hotelgäste waren beim Konzert, das ganze Haus war wie ausgestorben; nur ich saß allein an meinem Tisch und schrieb. Von meinem Platz aus konnte ich das Fenster des Nebenzimmers sehen, das im rechten Winkel zu meinem stand. Dieses Fenster war geschlossen, und ich bemerkte, wie eine große Fliege immer gegen die Scheiben flog, um hinauszukommen.
Nun ist das eine Angewohnheit von mir, ich kann es nicht mitansehen, wenn die Fliegen gegen die Scheiben rennen, ich muß hingehen und sie hinauslassen; die armen Tierchen leben ja nur einen Tag. Aber wie sollte ich in dieses fremde Zimmer hineinkommen, von dem ich wußte, daß es bewohnt war? Nach einer Weile Überlegung bin ich auf Zehen in den Korridor gegangen und habe mich umgesehen, es war alles still und leer. Dann öffnete ich leise die Türe des Nebenzimmers. Da hingen schöne neue Anzüge und Mäntel, und auf dem Nachttisch lag ein goldene Uhr mit der Kette; und nun bin ich blindlings in das Zimmer hineingesprungen, habe das Fenster aufgerissen und die Fliege hinausgelassen; sie flog mit großen schillernden Flügeln stracks gegen das Abendlicht, und ich glaube, daß sie in diesem Augenblicke sehr glücklich gewesen ist.
Wegen dieser Tat werde ich einmal in den Himmel kommen. Aber wenn man mich bei dieser Tat erwischt hätte, wäre ich vorläufig auf die Polizeiwache gekommen.
Ich wohne nach einem Hof hinaus, der mitten im Hotel liegt; alle die Zimmer ringsherum sind Hotelzimmer.
Wer in diesen Zimmern wohnt, das kann ich nicht sehen, denn alle Leute haben die Gardinen vorgezogen, eben um nicht gesehen zu werden; aber ich kann es hören, denn die Fensterflügel stehen wegen der Hitze offen. Und es ist sehr merkwürdig, wie man einen Menschen allein aus seiner Stimme erkennen kann und aus den Geräuschen, die er sonstwie hervorbringt.
So wohnt mir gegenüber ein Herr, von dem ich nichts anderes höre, als wenn er sich des Morgens die Zähne putzt und gurgelt. Ungefähr um neun Uhr morgens fängt er damit an und gurgelt lange, laut, schmetternd, beinahe triumphierend und hört gar nicht damit auf. Nur aus diesem Gurgeln weiß ich, daß der Herr in Geschäften in Wien ist, und daß seine Geschäfte gut gehen.
Dann ist rechts hinter einer Gardine ein anderer Herr, der eine Stimme wie ein zersprungener Topf hat. Dieser Herr liest jeden Vormittag laut eine Viertelstunde lang etwas aus dem Baedeker vor; gestern zum Beispiel las er die sämtlichen Särge der Kapuzinergruft vor; es sind 138 Särge. Daraus ergibt sich folgender Tatbestand: Der Herr ist als Tourist hier in Wien, und er liest jeden Morgen seiner Frau – denn wer ließe sich das sonst gefallen? – er liest seiner Frau das Pensum vor, das sie am Tage bewältigen wollen.
Von der Frau habe ich noch nie einen Laut gehört. Aber einmal sah ich auf einer Bank neben der Treppe eine Dame sitzen, die verweinte Augen hatte. Das war vermutlich die Dame mit den 138 Särgen.
In dem vornehmen spanischen Seebade San Sebastian wohnte ich im Hotel d'Europe, dicht am Strande im sechsten Stock. Als ich am ersten Morgen zum Fenster hinaussah, bemerkte ich, daß gerade unter mir auf einem kleinen Platze sich sämtliche Kindermädchen des Ortes mit ihren Kinderwagen versammelt hatten; es war ein Heereslager von Kinderwagen, einer dicht neben dem anderen.
Ich blieb den Vormittag zu Hause und wollte mein Tagewerk mit einer Zigarre beginnen. Zu diesem Zwecke klappte ich zuerst mein Taschenmesser auf, ein großes Schweizer Armeemesser, dick und schwer, und schnitt die Zigarrenspitze ab. Dann scheint meine Absicht gewesen zu sein, die Zigarrenspitze zum Fenster hinauszuwerfen. Aber statt dessen irrte ich mich und warf das aufgeklappte Messer zum Fenster hinaus. Eine Sekunde lang sah ich das Messer in der Luft schweben und sich majestätisch umwenden. Dann sauste es mit der blitzenden Klinge voran senkrecht hinunter in die Kinderwagen.
Nie in meinem Leben habe ich einen so furchtbaren Schreck bekommen. In meinem Entsetzen warf ich mich auf das Bett und wartete, ob da unten sich ein Tumult erhöbe oder etwa eine entfesselte Menschenmenge die Treppe heraufgestürmt käme.
Es geschah nichts. Und wie die Menschen nun so sind, würde ich bald wieder übermütig und dachte nach, wie ich mein schönes Messer wiederbekommen könnte. Sollte ich vielleicht hinuntergehen und alle die Kindermädchen bitten, sie möchten einmal in ihren Kinderwagen nachsehen, ob nicht da drinnen ein aufgeklapptes Schweizer Armeemesser läge? Aber ich habe es lieber gelassen, die Götter verstehen solche Spaße nicht.