Achim von Arnim
Gedichte
Achim von Arnim

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Elegie auf den Tod eines Geistlichen

Der Geistliche ist der Prediger Justus Gottfried Hermes, der am 30. Dezember 1818 im 79. Lebensjahre starb. S. das vorhergehende Gedicht

Keine Glocken heut erklangen
Zu des Festes Vorbereitung,
Gestern hielt uns noch umfangen
Kirchenenge, Himmelsweitung.
Seelen irren ohne Hirten
Vor des Kirchleins Gnadentüre,
Keiner sammelt die Verwirrten,
Daß er sie zum Ziele führe! –
Denn das Licht hat uns verlassen,
Das uns jeden Sonntag sonnte,
Daß die Kirche kaum erfassen
Alle offnen Augen konnte,
Die er füllte mit dem Strahle
Aus dem ernsten, ew'gen Worte,
Stille herrschte bei dem Mahle
Bis zu ihrer äußern Pforte. –
Keiner hört des Pred'gers Stimme,
Die festgläubig zu uns schallte,
Daß aus ird'scher Lust und Grimme
Unser Herz in Liebe wallte,
Daß Jahrhunderte verschwanden,
Daß wir Nähe heil'ger Zeiten
Hier in seiner Lehre fanden,
Die ein ernstgeprüftes Deuten
Von dem heil'gen Bibelworte,
Von des Herren Todesleiden,
Als ob keine Todespforte
Ihn vom Herrn noch täte scheiden;
Als ob er der Zeugen einer,
Deren Stirn in Strahlen brannte,
Wiederkehrend als ein Reiner,
Als ein himmlischer Gesandte! –
Größer schien er uns zu werden
Auf des Altars heil'ger Schwelle,
Kräft'ger, als er sonst auf Erden,
Dort nur schien des Frommen Stelle;
Dort, wo ihm das Wort gegeben,
Daß die Welt ihn nicht zerstreute,
Daß er Sünden konnt' vergeben
Jedem, den die Sünde reute.
Tod, du bist der heimlich Arge,
Der sein sterblich Teil hinstreckte,
Von dem Altar stumm zum Sarge,
Daß kein Orgelruf ihn weckte,
Der ihn sonst in Krankheitsschwäche
Mehrmals Sonntags rief und stärkte,
Daß des Geistes Feuerbäche
Ihn durchdrangen! – Keiner merkte
Seines Scheidens nahe Mahnung,
Allen wollt' er Trost verleihen
Bei des Todes naher Ahnung,
Sie mit letztem Segen weihen. –
Segen jenen alten Zeiten,
Die den alten Mann geboren!
Neue Zeit, wer soll dich leiten
Auf den Weg, den du verloren,
Wer soll leuchten, wer soll zeugen
Von dem Gott im Menschenleben,
Der durch Lehre uns wird eigen
Und in Taten uns gegeben? –
Treuer Pred'ger, lang vergessen
Und von Armen nur gehöret,
Hatten dich so lang besessen,
Waren nicht von dir belehret,
Bis die Not uns all' erschüttert
Und die letzte Zeit gekommen,
Wo der eine zornerbittert
Und der andre angstbeklommen
Beide Trost und Segen fanden
In dem Kirchlein, das verlassen:
Ist wohl noch ein Mensch vorhanden,
Der den Geist so könnte fassen?
Der nicht hassen kann, nur lieben,
Der nur lehren kann, nicht zanken,
Der die Lehre selbst muß üben
Als den lieblichsten Gedanken?
Ziehet aus, des Kirchleins Freunde,
Suchet und ihr werdet finden,
Denn mit Gott ist die Gemeinde,
Und er wird sich ihr verkünden,
Die mit freundlich stillen Blicken
Fremde ladet zu den Chören,
Wo Gesang noch im Entzücken
Frommer Einheit anzuhören.
Ja, er wird die Seinen führen
Zu der Wohnung des Gerechten,
Der mit seinem Worte rühren
Und durchdringen wird die Echten. –
Sucht nicht bloß in hohen Mauern,
Sucht in kleinen Gotteshäusern,
Unterm Strohdach armer Bauern,
Keinen Bessern, keinen Weisern
Werdet ihr auf Erden finden;
Aber mancher, der gegangen
Gleichen Weg, kann euch verkünden,
Was er fern der Welt empfangen.
Denkt, daß unsern besten Führer
Auch ein kleines Dorf erzogen,
Wo der himmlische Regierer
Ihn in Prüfung hat gewogen.
Einsamkeit des stillen Lebens
Bei der Arbeit ernstem Kreise
Mahnt zum Himmel nicht vergebens,
Und der Fromme wird da weise.
Und so ward auch er geprüfet
In der Arbeit seiner Hände,
Als ihr still in Gott noch schliefet,
Er bewies, daß sie nicht schände.
Muß im Krieg das Buch verlassen,
Muß als Knecht dem Vater dienen
Und den schweren Pflug anfassen,
Bis die Friedenssaat konnt' grünen.
So dem früh geprüften Herzen
Öffneten sich heil'ge Schriften,
Zündeten sich heil'ge Kerzen
Bei der Wacht auf grünen Triften,
Daß er geist'ger Arbeit Treue
Stets gewendet zu den Armen
Und den Ruhm gelehrter Weihe
Gern geopfert dem Erbarmen.
Doch erkannten die Gelehrten,
Daß sie ihm nichts lehrend sandten,
Und es fühlten die Geehrten,
Daß sie ihn nicht ehrend nannten
Mit des Doktors Ehrennamen,
Ihm erteilt zum Glaubensfeste.
Er der Sämann warf den Samen,
Er war Baum, sie sind die Äste,
Und in seinem schlichten Worte
Trieb das Höchste, lag das Wahre,
Und so ward sein Mund die Pforte,
Daß wir sahn ins Dunkelklare,
Wo der lichte Farbenbogen
An des Glaubensbornes Strahlen
Wie dem Noah ward gezogen
Nach der Sündflut Zweifelqualen.
Wieviel Durstige sich drängten
In das Kirchlein, ihn zu hören,
Alle tranken des geschenkten
Frischen Springbrunns tausend Röhren.
Jedem kam's von andrer Seite,
Doch in jeglichem Verstande
Öffnete sich eine Weite,
Eine Aussicht nach dem Lande,
Ach, wohin er nun geschieden,
Unser Fürchten, unser Trachten;
Denn wir träumen nur hienieden,
Er gehört zu den Erwachten.


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