Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Der Bauer Hans Diebenkorn (ich weiß nicht mehr, in welchem Dorfe er wohnte) hatte einen Sohn, der hieß Jochen; das war ein schlimmer, ungeschlachter Junge voll Wildheit und Schalkstreiche, den keiner bändigen konnte. Sein Vater war ein stiller, ordentlicher Mann und ermahnte und züchtigte ihn oft und viel; Priester und Schulmeister hobelten und meißelten an ihm mit dem Ernst der Vermahnung und mit der Strenge der Strafe; der Knabe ward mit der Asche und Lauge der Reue und Buße und mit der ungebrannten Asche der Erinnerung, die auf grünen Bäumen als ein recht dunkelblühendes Vergißmeinnichtchen wächst, genug eingerieben und gewaschen – es konnte ihn das alles nicht weich und geschmeidig machen; Jochen blieb Jochen, er blieb der freche und ungehorsame Gesell, der er gewesen war, und wo er einen Schalkstreich konnte laufen lassen, war es seine Freude. Das war dabei noch das Schlimmste und machte seinem Vater die meiste Sorge, daß Jochen auch an Kräften unbändig war und in seinem fünfzehnten Jahre sich schon mit jedem lustigsten Knechte im Dorfe im Ringen und Balgen messen konnte. Der üppige und übermütige Leib war der Zucht zu früh entwachsen. Dazu kam, daß Jochen ein sehr schöner und schlanker Junge war, der das Maul so gut gebrauchen und so angenehm tun konnte, daß kein Mensch unter dieser Kappe den Schelm vermutete. Desto besser konnte er seine Späße und Schalkstreiche mit andern ausführen; denn er konnte so leidig sein, daß auch die gescheitesten und klügsten Leute von ihm angeführt wurden. Der Vater, der seinen Vogel kannte, hielt ihn nun freilich sehr zur Arbeit an; aber sowie er mir einen freien Augenblick hatte, war auch der Schelm da und sogleich auf allen Gassen Geschrei über ihn. Indessen sagt ein altes Sprichwort: » Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht«, und das geschah auch bei Jochen.
Er hatte sein besonderes Vergnügen, alte Leute, die auf dem Wege vorbeigingen, und Arme, die ihr Brot vor den Türen mitleidiger Menschen suchten, zu necken und tat es immer wieder, wie oft sein Vater ihn darüber auch hart gezüchtigt und erinnert hatte, es sei keine größere Sünde als diejenigen verspotten, welche elend sind, denn ihr Elend komme von Gott, und Gott habe sie deswegen unter seinem besonderen Schutz.
Nun begab es sich, daß einmal eine arme, alte Bettelfrau gegangen kam, mit einem Korbe auf dem Kopfe und einem Sack auf dem Rücken. Sie ging gar stümperlich und jämmerlich, stand alle drei Schritt still und ächzete und hustete sehr. Jochen sah sie kommen und machte sich an sie und bot ihr einen freundlichen guten Tag. Sie ward zutraulich und fragte ihn, wie sie über einen tiefen Bach, der vor ihr floß, ins Dorf kommen sollte. »O hier, Mutter! Komm nur mit!« sprach Jochen, »hier ist ein Steg, den will ich dir zeigen.« Und er ging, und sie folgte ihm, und er führte sie auf ein ziemlich schmales und schwankes Brett, das über den Bach gelegt war. Als die alte Frau aber mitten auf dem Brette war, da fing Jochen an mit dem einen Ende desselben aus allen Kräften zu wippen (er gebärdete sich aber, als taumele er) und wippte so arg, daß das Brett umschlug, und die alte Frau mit Korb und Sack in den Bach fiel, so lang sie war. Er sprang nun zu und half ihr wieder aus dem Wasser und stellte sich, als sei er unschuldig an der Sache, greinte und grieflachte »Wird ausgesprochen an einigen Orten grifflachen, an anderen grieflachen, das letzte offenbar richtiger. Wir haben kein Wort in unserer Sprache, diesem gleich, ein boshaftes Lachen, was sich unter Bart und Lippen verstecken möchte und doch die geheime Freude über fremden Unfall nicht bergen kann, auszudrücken als dieses sassische Wort. Es drückt die Gebärde aus, die zwischen Weinen und Hohnlachen in der Mitte um den Mund schwebt. Die erste Silbe ist in der englischen Sprache übrig, wo es Kummer, Traurigkeit bedeutet. Wie Traurigkeit und Bosheit in der Bedeutung der Worte zusammenfallen, davon zeugt jede Sprache, z. B. das italienische tristizia tristezza und das englische mischief, das gotische hemsk (verschlossen, hinterlistig, traurig, erschrocken) und das sassische inheimsch.« aber in sich. Die alte Frau dankte ihm noch und ließ sich nichts merken, zog ihre nassen Kleider aus und hängte sie an Sträuchen auf, daß sie an der Sonne trockneten, und fing dann an, damit sie sich die Langeweile vertriebe, mit beweglicher und kläglicher Stimme einige Lieder zu singen. Jochen, der weggelaufen war, kam bald wieder und lauschte; die Lieder gefielen ihm, und er setzte sich zu ihr und sagte lachend: »Höre, Mutter, singe mir auch einen Vers!« »Das will ich tun, mein Sohn,« sprach die Alte; »aber du mußt auch acht geben und deinen Vers behalten.« Und sie sang:
Dukatenkrut hinnerm Tuune
Zaun.,
Leew in dem Pagellune
Pfau.
Un in dem Sparling Treu,
Verstand im lütten
klein. Finger –
Dat sünt so sellne Dinger,
As Rosen unnert Heu.
Hür nipp
genau. nu to, min Jüngken,
Du makst so mennig Sprüngken,
Dat Gott vergewen mag!
Veel Müse freten den Kater –
Du denkst ens an dit Water,
Un bin Juchhe watt Ach.
Jochen lachte unbändig auf, als sie gesungen hatte, und rief: »Das ist ein dummes, närrisches Lied, Alte, ohne Sinn und Verstand. Höre! Ich singe dir auch eines vor.« Und er sang mit heller, geschwinder und scherzender Stimme:
De Kukuk up dem Tuune satt,
Dat wutt regnen, un he wutt natt.
De Kukuk un de wutt natt.
Doon schreed he: Ach! min buntes Gatt!
Gewand, Kleid.
Wo natt! wo natt! wo natt! wo natt!
Min Gatt, wat büst du natt!
Kukuk! Kukuk!
De Kukuk flog na Hus –
und darauf lief er davon, tat aber vorher ihrem Korbe und ihren Schuhen noch einen Schabernack an.
So machte Jochen es oft und konnte seinen unbändigen Mutwillen gar nicht halten. Eines Tages kam er aus dem Walde und sprang mit Trallalla und Juchheida über das Feld daher; denn lustig war er fast immer. Es war ein kalter Wintertag und schneiete und fror sehr. Als er so tralleiend und juchheiend einen Hohlweg hinablief, stand ein kleiner, schneeweißer Mann da, der sehr alt und jämmerlich aussah, und stöhnte und ächzete bei einem großen Korbe, den er sich auf den Rücken heben wollte und nicht konnte. Als er nun Jochen kommen sah, ward er froh und bat den Burschen freundlich: »Lieber Sohn, bedenke, daß du auch einmal alt und schwach werden kannst, und hilf mir diesen Korb hier auf den Rücken!« »Von Herzen gern,« sprach Jochen, sprang hinzu, hob den Korb auf und hängte dem alten Mann die Henkel desselben um die Schultern; darauf riß er ihn mit dem Korbe um und ließ ihn im Schnee liegen und lachte und rief im Weglaufen: » Piep, Vagel! Piep!« Der alte Mann wühlte sich wieder aus dem Schnee auf und sammelte, was herausgefallen, wieder in den Korb und schrie mit zorniger Stimme hinter dem auslachenden Jochen her: »Ja Piep, Vagel! Piep! Gott wird dich piepen lehren, du gottloser Bube!«
Und Gott hat den Vogel pfeifen gelehrt. Denn als Jochen den andern Morgen wieder mit der Axt auf dem Nacken in den Wald gehen sollte, daß er Holz fällete, mußte er wieder durch diesen Hohlweg gehen. Doch wie er näher kam, ward ihm ganz wunderlich zumute, so wunderlich, als ihm in seinem Leben nicht ums Herz gewesen war. Und obgleich es heller, lichter Tag war, und die Wintersonne eben feuerrot aufging, war ihm doch graulich, als wäre es Mitternacht gewesen; aber das war sein böses Gewissen, und es deuchte ihm immer, als komme der alte Mann jeden Augenblick aus dem Hohlwege auf ihn zu und schrie ihn mit Piep, Vagel! Piep! an; und er wäre gern einen andern Weg in den Wald gegangen. Indessen wagte er es doch und ging in den schauerlichen Hohlweg hinein. Aber kaum hatte Jochen seinen Fuß auf die Stelle gesetzt, wo er gestern abend den alten Mann mit dem Korbe in den Schnee gestürzt hatte, so hat es ihn gefaßt und geschüttelt, und in einem Augenblicke ist er weggewesen und ist auch nie wiedergekommen, und kein Mensch hat gehört, wo er gestoben und geflogen ist. Die Leute haben aber geglaubt, daß der böse Feind ihn geholt habe wegen der vielen verruchten und gottlosen Streiche, die der übermütige Junge immer verübte.
Das ist es aber nicht gewesen, sondern des alten Mannes mit dem Korbe Piep, Vagel! Piep!, den er in dem Hohlwege so schändlich umgestoßen und dann noch schadenfroh ausgelacht hatte. Jochen hat pfeifen lernen müssen; er ist in einen Piepvogel verwandelt und der allerkleinste Vogel geworden, der auf Erden lebt. Das ist nun seine Strafe, daß er im strengsten Winter durch die Sträuche und Hecken fliegen und um die Häuser und Fenster der Menschen flattern, meist aber bei armen Leuten rundfliegen und hungern und frieren und piepen muß. Er hat ein graues Röckchen an gleich dem grauen Kittel, den er trug, als er verwandelt worden, und muß bis diesen Tag aus schelmischen und spitzbübisch freundlichen, kleinen Augen lachen, auch wenn ihm weinerlich zumut ist. Er heißt der Zaunkönig; die Leute aber nennen ihn aus Spott den großen Jochen oder den kurzen Jan; auch wird er Nesselkönig genannt, weil der arme Schelm durch Nesseln und Disteln und kleine, stachlige Sträuche schlüpfen und fliegen muß und meistens in Nesselbüschen sein Nestchen baut. Da hat er nun Zeit, seine Sünden zu bedenken, wann der Wind pfeift und der Schnee stöbert, und er in kahlen Hecken und Zäunen sitzen und piepen muß. Da hören die Kinder ihn oft mit seiner feinen Stimme singen und denken an die alte Geschichte von Jochen Diebenkorn. Er singt aber also sein Piep, Vagel! Piep!
Piep! piep!
De Äppel sünt riep,
De Beren sünt gel,
Dat Speck in de Tweel
Eine oben gegabelte Stange, womit der Speck in den Rauchfang gehängt wird.,
De Stuw is warm,
Hans slöpt Greten im Arm.
Piep! piep!
Wo koold is de Riep!
Wo dünn is min Kleed!
Wo undicht min Bedd!
Wo lang is de Nacht!
Wer hedd bat woll dacht?