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Einleitung des Herausgebers.

Als E. M. Arndt im Herbst des Jahres 1817 daran ging, seine »Märchen und Jugenderinnerungen« aufzuzeichnen, regte sich unter dem Einfluß der Romantik auf allen Gebieten die Liebe zur deutschen Vergangenheit. Kunst und Wissenschaft suchten die deutsche Vorzeit neu zu beleben, und man begann überall aus dem Born der Volksdichtung, der Sagen und Märchen zu schöpfen. Wenige Jahre vorher hatten die Gebrüder Grimm ihre »Kinder- und Hausmärchen« (1812 und 1815) und ihre »Deutschen Sagen« (1816) veröffentlicht und darin zum erstenmal den Unterschied zwischen Sage und Märchen hervorgehoben, indem sie als das Besondere der Sage feststellten, daß diese »an etwas Bekanntem und Bewußtem hafte, an einem Ort oder an einem durch die Geschichte gesicherten Namen«. Eine derartige kritische Sonderung beider Begriffe lag Arndt fern. Wissenschaftliche Zwecke verfolgte er bei seiner Arbeit nicht. Ihn trieb nur die Lust zu fabulieren. Daher trug er auch kein Bedenken, die Form der aus dem Volke geschöpften Erzählungen vielfach umzugestalten und ihnen durch eigene Zusätze und Ausschmückungen ein neues Gewand zu geben. Bei der Mehrzahl ist es ihm vorzüglich gelungen, den einfachen Volkston zu treffen, manche haben jedoch etwas Gekünsteltes und dem schmucklosen Volksmärchen Fremdes erhalten. Die Brüder Grimm charakterisierten Arndts Werk daher mit Recht als »Sagen, Märchen und Lieder in eigener und lebendiger Darstellung, jedoch mit Ausschmückungen und Zusätzen«.

Im September 1817 hatte Arndt sein neues Heim in Bonn begründet. Etwas Ernstes und Schweres konnte und mochte er anfangs nicht anfassen. Da versuchte er denn, »diese leichten Träume und Kinderspiele der Jugend zusammenzulesen, die teils auf dem Papier, teils in dem Kopfe lange fertig lagen«. Schon als Knabe hatte er eine besondere Freude am Märchen- und Geschichtenerzählen gefunden, wozu er die Anregung und das Talent von seiner Mutter empfangen hatte, die mit ihren Kindern die ersten Leseübungen hielt und »die jungen flatternden Geister durch Erzählungen und Märchen lebendig machte, die sie mit großer Anmut vorzutragen verstand«. Weitere Anregung gab ihm das Volksbuch von der schönen Magelone, das er etwa in seinem zwölften Jahre in dem Hause eines benachbarten alten Bauern fand, und das »ein brennendes Feuer in sein Herz warf« und ihn und seine Brüder antrieb, sich die langen Winterabende durch »Geschichtentreiben«, wie sie es nannten, zu verkürzen. Diese alten Geschichten wurden nun niedergeschrieben und erschienen schon im Frühling 1818 in Berlin bei Georg Andreas Reimer im Druck. Sie sind Arndts Schwester »Gottsgab«, Fran Charlotte Dorothea Rassow, gewidmet. Diese, »seine jüngste, liebste Schwester, Schülerin und Freundin«, war am 14. Juni 1787 in Löbnitz geboren, hatte sich 1814 mit dem Domänenpächter Rassow in Buchholz bei Franzburg verheiratet und starb am 21. Februar 1855 in Platenburg bei Stralsund. Sie brachte den Bestrebungen ihres Bruders volles Verständnis entgegen und nahm warmen Anteil daran. Als daher Arndt begann, einen zweiten Teil der Märchen auszuarbeiten, bat er die Schwester in einem Brief vom 21. Christmonds 1820, sie möge ihm drei bis vier Märchen aufschreiben, wie sie sie den Kindern so lieb zu erzählen verstehe. Leider ist die Antwort auf diese Bitte nicht erhalten, so daß es nicht festzustellen ist, ob Frau Dorothea nicht vielleicht das eine oder das andere Märchen zu dem zweiten Bande beigesteuert hat.

Das Erscheinen dieses zweiten Teils ließ jedoch lange auf sich warten. Erst als Georg Reimer 1842 nach dem Tode seines Vaters eine neue Auflage des ersten Teils anregte, ging Arndt gern darauf ein und bot seinem Verleger zugleich den Stoff zu einem zweiten Teil an, der bereits vor 20-25 Jahren aufgeschrieben, und von dem der größere Teil in dem vorpommerschen schönen Plattdeutsch verfaßt sei. Reimer nahm den Vorschlag an, und noch in demselben Jahr erschien der erste Teil in zweiter Auflage unverändert und nur um ein Märchen (»Wo piepen de Müse«) vermehrt. Der zweite Teil folgte im Frühling 1843. Er ist Georg Reimers Schwester Adelheid (geb. 10. Januar 1809, gest. 19. November 1866), der Gemahlin des Oberstaatsanwalts Sethe in Berlin, gewidmet.

Wenn auch beide Teile kurz nacheinander entstanden sind, so ist doch ein merklicher Unterschied zwischen ihnen vorhanden. Zunächst ist der erste Teil, abgesehen von der erst in der zweiten Auflage hinzugefügten Erzählung, durchweg in hochdeutscher Sprache verfaßt, während die Mehrzahl der Stücke des zweiten Teils in plattdeutscher Mundart geschrieben sind. Sodann ist auch der Schauplatz der Sagen in beiden Teilen ein verschiedener; denn während sich diejenigen des ersten Teils fast alle auf Rügen abspielen, wo Arndt seine erste Jugend verlebte, und der Erzähler als Gewährsmänner seine Eltern, den Statthalter Hinrich Merk in Grabitz, Balzer Tievs in Preseke und andere Rügener anführt, knüpfen sich die Erzählungen des zweiten Teils fast alle an Örtlichkeiten des Franzburger Kreises, wo das Gut Löbnitz, der Wohnsitz der Arndtschen Familie während der Jahre 1787-1805, gelegen ist, und als Erzähler werden Löbnitzer Gutsleute, Jochen Eigen, Johann Gese, Schmidt Mierk und Gärtner Benzin redend eingeführt. Arndt war einer der ersten, der es unternahm, die pommerschen Sagen und Märchen aufzuzeichnen. Später sind dann die Sagen systematisch gesammelt worden von Temme Die Volkssagen von Pommern und Rügen (Berlin 1840)., Jahn Volkssagen aus Pommern und Rügen (Stettin 1886; 2. Auflage, Berlin 1890). und Haas Rügensche Sagen und Märchen (Greifswald 1891; 2. Auflage, Stettin 1896).; und Jahn Volksmärchen aus Pommern und Rügen (Norden und Leipzig 1899.) hat auch eine Sammlung der Pommerschen Volksmärchen veröffentlicht. Allen dreien haben Arndts »Märchen und Jugenderinnerungen« nach Streichung aller Zusätze und alles Beiwerks reiche Ausbeute geliefert.

Die Rechtschreibung Arndts in seinen plattdeutschen Märchen ist nicht immer konsequent, und zwar schreibt er manchmal absichtlich dieselben Worte verschieden, um dadurch verschiedenen Stimmungen Ausdruck zu geben, weil er zu bemerken glaubte, daß das Volk »bei lebendigeren Gefühlen und heftigeren Gemütsbewegungen fast immer die schweren tiefen Töne statt der leichten und hohen zu gebrauchen pflege und in feierlicher und ernsterer Stimmung die ordentlichere vollere Tönung anwende anstatt der mehr abgeschliffenen«. In der Vorrede zum zweiten Teil der Märchen spricht er sich ausführlich über seine Grundsätze aus, die allerdings kaum allgemeine Billigung finden dürften und dem des Plattdeutschen Unkundigen das Verständnis erschweren. Trotzdem ist daran nichts geändert worden, weil diese Märchen mit zu den ersten Erscheinungen der neu erwachenden plattdeutschen Literatur gehören und daher besondere Beachtung und unveränderte Erhaltung verdienen.

Die sprachlichen Erläuterungen unter dem Text sind von dem Herausgeber auf einige ungebräuchliche und schwer verständliche Ausdrücke beschränkt worden. Die wenigen von Arndt selbst herrührenden Anmerkungen sind durch ein * kenntlich gemacht worden. Leser, die des Plattdeutschen nicht mächtig sind, werden sich bei der fast vollkommenen Übereinstimmung des vorpommerschen Idioms mit dem mecklenburgischen mit Nutzen des ebenfalls in Max Hesses Verlag erschienenen Reuter-Lexikons von Carl Friedrich Müller bedienen.

Als Zeugnis dafür, wie hoher Wertschätzung sich Arndts Märchen erfreuen, stehe hier zum Schluß noch das Urteil Rudolf Hayms: »Der ganze Zauber des Kindheitsalters ist über diesen Aufzeichnungen des späteren Mannesalters ausgegossen. Die Blüte jenes Märchen- und Geschichtentreibens seiner Knabenzeit sind sie poetischer als das meiste, was Arndt sonst gedichtet hat. Die köstliche Einfalt des Fabulisten, dem doch überall der Schalk im Nacken sitzt, das ungetrübte Behagen an dem Gaukelspiel der Phantasie, hinter dem doch der hellste Verstand durchblickt, dieses eigentümliche Gemisch von Ernst und Laune macht das Buch ebenso zur erwünschtesten Lektüre für den Knaben wie für den Erwachsenen.«



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