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Die Lebensgeschichte dieser reizenden, aber leichtsinnigen Frau ist nichts weiter als eine lange Kette mehr oder weniger alltäglicher Liebeleien, weiblicher Schwächen und Launen. Die Politik ihres Bruders hat Pauline, solange sie lebte, herzlich wenig berührt und gerührt. Ihre kostbare Person, die Frau in ihr, war stets die Hauptsache, die größte Sorge für sie. Sie schmachtete nicht wie ihre Schwestern nach einem Throne, nach Würden und Ehren. »Ich liebe die Kronen nicht«, pflegte sie zu sagen, »wenn ich eine gewollt hätte, würde ich eine erhalten haben. Ich überlasse das meinen Angehörigen.« Die einzige Herrschaft, auf die sie Anspruch machte, war im Reiche der Liebe und Schönheit. Da aber war sie unumschränkte Königin. Schönheit und Sinnlichkeit waren ihr in hohem Maße eigen. Der vollkommene Mangel an sittlichem Empfinden, das Außerachtlassen allen Anstandes und die geringe Achtung vor der öffentlichen Meinung, ließen Pauline die Genüsse des Lebens bis zur Neige auskosten, ohne daß sie jemals in Zwiespalt mit sich selbst geriet. Sie war eine geborene Venuspriesterin, die Schönste von den Schwestern Napoleons, ja vielleicht die schönste der Frauen in Paris, an denen es zu ihrer Zeit in der Hauptstadt Frankreichs sicher nicht mangelte. Bei alledem hatte sie ein gutes Herz. Ihrem Bruder brachte sie zärtliche Zuneigung, die größte Achtung und Verehrung entgegen. Er wiederum hegte für sie von allen seinen Schwestern die meiste Sympathie und sagte, sie sei bis zu Ende das beste Wesen von der Welt gewesen.
Als Napoleon sich an die Spitze von Frankreich stellte und Glanz und Ruhm ihren Glorienschein über seine Familie verbreiteten, stand Paulette in der Blüte ihrer Jugend und im höchsten Zauber ihrer unvergleichlichen Schönheit. Sie kam in Ajaccio am 20. Oktober 1780 zur Welt. Als Kind ähnelte sie im Wesen außerordentlich ihrem Bruder Napoleon. Sie war wild und unbändig wie ein Knabe. Nichts war vor ihrem Übermut sicher. Sie kletterte auf Hecken und Bäume, kam mit zerrissenen Kleidern, zerkratzten Armen und Beinen nach Hause, und alle Schläge und Schelte der gestrengen Frau Letizia nützten nichts. Paoletta, so hieß das Kind in der korsischen Heimat, blieb die wilde Hummel. Vor ihrer unwiderstehlichen Spottlust und ihrem Nachahmungstrieb bestand niemand die Probe, nicht einmal die alte Großmutter, die gebeugt und krumm auf ihren Stock gestützt, einherhumpelte. Auch der ehrwürdige, aber geizige Onkel Luciano diente bisweilen als Zielscheibe für die Streiche Paolettas. Er war reich, verbarg jedoch alles Geld in seinem Bett. Paoletta hatte längst beobachtet, daß der Alte seine Schätze ängstlich bewachte. Sie wartete nur auf eine günstige Gelegenheit, die harten Taler und alle die blanken Goldstücke vor aller Augen hervorrollen lassen zu können. Eines Tages, als Letizia wieder einmal über die schreckliche Geldnot klagte, die in ihrem Hause herrsche, der Onkel aber behauptete, er könne ihr nicht einen Pfennig geben, da zog die schlaue Paoletta plötzlich mit einem Ruck die Kissen aus dem Bett des Archidiakons, Und siehe da: ein Goldstück nach dem andern rollte auf den Boden, zum großen Erstaunen der versammelten Familie. Der arme alte Geizhals war starr vor Schrecken, als er sich entdeckt sah. Er beteuerte feierlich, dieses Geld habe ihm seine Gemeinde zum Aufbewahren gegeben; nicht ein Pfennig gehöre ihm! Niemand glaubte ihm das. Die Kinder lachten, aber Letizia ward sehr ernst. Sie schalt den Taugenichts Paoletta tüchtig aus und hob gewissenhaft jedes Geldstück auf, um es dem Onkel wieder zurückzugeben. Darauf steckte sie ihre Kinder zur Türe hinaus, und der Alte war froh, daß nichts von seinem Gelde fehlte.
Paoletta war dreizehn Jahre alt, als sie mit ihrer Familie an jenem sonnigen Junitag des Jahres 1793 arm und flüchtend in Toulon landete. Es war das erstemal, daß sie französischen Boden betrat. Vielleicht hatte sie sich ihr erstes Auftreten in Frankreich anders vorgestellt, aber ihre sorglose Jugend half ihr gar bald über alle Not hinweg. Sie litt nicht wie Elisa, das ehemalige Fräulein von Saint-Cyr, unter den Erniedrigungen und unter der Armut der korsischen Flüchtlinge in Toulon und Marseille. Paoletta hatte in Korsika keinen Reichtum gekannt. Ihre Erziehung war nicht auf vornehme Lebensgewohnheiten zugeschnitten worden. In ungezwungener Natürlichkeit hatte Letizia das Mädchen aufwachsen lassen und im übrigen seine Bildung ziemlich vernachlässigt. Paoletta hatte gerade so viel gelernt, daß sie notdürftig lesen und schreiben konnte. Mehr brauchte sie auch nicht. In ihrem ganzen Leben war sie nie darauf bedacht, durch Geist und Wissen zu glänzen. Die Natur hatte sie äußerlich so verschwenderisch mit Reizen ausgestattet, daß sie sich Klugheit und Kenntnisse ersparen konnte. Ihr ganzes Interesse ging auf Vergnügungen und Putzsucht. Sie war viel zu jung und viel zu leichtfertig, als daß sie sich über die traurige Lage der Ihrigen hätte Rechenschaft ablegen können.
Bereits als Vierzehnjährige war sie eine Schönheit. Jung, hübsch, frühreif und lebenslustig, von einer allzu vertrauensvollen Mutter unbewacht, zögerte Paoletta nicht, sich mit jungen Leuten in kleine Liebeshändel einzulassen, die sie sehr bald in aller Mund brachten. Ihr Lachen, ihr Übermut, ihre unbändige Jugendlust rissen alles mit sich fort. Wenn aber auch leichtfertig, so war sie doch damals noch nicht verdorben. Die zeitgenössischen Flugschriften sprechen Paoletta zwar bereits den ersten Geliebten mit vierzehn Jahren zu, aber diese Behauptung ist unwahr. Noch ungereimter ist das Gerücht, daß sie um jene Zeit mit dem General Cervoni gelebt habe. Paoletta hat später unzählige Liebhaber besessen und kein Hehl daraus gemacht: als Vierzehn- und Fünfzehnjährige aber war sie nur ein leichtsinniges, flatterhaftes, unbedachtes Geschöpf, das ihren ersten heißen Liebesrausch mit dem stutzerhaften Kriegskommissar Stanislas Fréron im Jahre 1796 durchlebte.
Einem so kindischen, zugleich aber äußerst sinnlich veranlagten Mädchen wie Paoletta mußte ein Mann wie Fréron gefallen. Man sah es ihm an, daß er die Frauen und das Leben kannte, daß er beide bis zur Übersättigung genossen hatte. Das übte auf die Frauen der Provinz eine ungeheure Anziehung aus; in den Gesellschaften riß man sich um Fréron. Er war 42 Jahre alt. Obgleich er mit seiner breiten Nase, der fliehenden Stirn und den dünnen, verlebten Lippen nicht gerade wie ein Apollo aussah, hatte man ihn in Paris den »schönsten der Muscadins« genannt. Die vornehme Jugend nahm sich ihn lange Zeit zum Vorbild in der Kleidung und in den Gewohnheiten.
Zu jener Zeit, als Fréron die Bekanntschaft der jungen Paoletta Bonaparte machte, war er arm, dennoch sehr verschwenderisch. Noch immer kleidete er sich mit der höchsten Eleganz, bewohnte eins der vornehmsten Häuser in Marseille und besuchte alle Festlichkeiten, Theater und Bälle. Dazu war er ein hinreißender Gesellschafter. Seine Sprache war die der Gecken seiner Zeit. Er unterdrückte geziert das ›r‹ und sagte sup'ême anstatt suprême, pa'ole d'honneu statt parole d'honneur, inc'oyable für incroyable; anstatt ›je vous jure‹ hörte man ihn lispeln ›ze vous zue‹. Das gehörte zum guten Ton. Dazu kleidete er sich wie der überspannteste aller Incroyables. Sein Rockkragen war 9 Zoll hoch und so weit, daß der Kopf vollkommen darin verschwand. Die kurzen, mit Schleifen gehaltenen Kniehosen umschlossen seine Beine so knapp, daß man sich wunderte, wie er aus dieser engen Umhüllung wieder herausschlüpfen konnte, nachdem er erst alle Mühe gehabt hatte, hineinzukriechen. Ein solcher Anzug und das stutzerhafte Gebaren hoben ungemein das Ansehen, das Fréron bereits als Don Juan genoß. Er aber, der Liebe und Leidenschaft bis zur Neige ausgekostet hatte, er sehnte sich jetzt nach dem beständigeren Glück des Ehestandes.
Dieser Fant war der Sohn Elie Frérons, des berühmten und scharfzüngigen Kritikers Voltaires. Unter der Schreckensherrschaft hatte sich Stanislas einen Namen gemacht. Er war der Herausgeber des heftigsten revolutionären Blattes »L'orateur du Peuple« und wurde am 23. Juli 1791 im Gefängnis »La Force« in Paris eingekerkert, bald aber wieder freigelassen. Er wurde Abgeordneter des Konvents und hatte seinen Sitz in der Montagne, wo er erbittert gegen die Gironde kämpfte. Im Jahre 1793 schickte man ihn als Volksvertreter nach Marseille und Toulon. Dort zeigte er sich in Gemeinschaft Barras' äußerst tyrannisch und unerbittlich. Sein Grundsatz hieß: »Alles erschießen, solange es noch Verräter gibt!« Die Ereignisse des 9. Thermidor bereitete er mit Tallien vor und ward schließlich darauf halb aus Ungnade vom Direktorium aufs neue als Kommissar nach dem Süden gesandt.
In Toulon hatte Fréron die Brüder Joseph und Napoleon Bonaparte kennen gelernt. Später, in Marseille, schloß er sich dem jungen Lucien an, der ihn in das Haus seiner Mutter einführte. Man betrachtete den Kriegskommissar als nützlichen Hausfreund, denn er und Barras waren es, die den korsischen Flüchtlingen die ersehnte Unterstützung von der Regierung verschafften. Vielleicht sah Frau Letizia auch in Fréron einen Freier für Paoletta. Sie war ihm dankbar, daß er sich in Toulon ihres Napoleon angenommen hatte, als dieser sich in Ungnade befand. Noch aber zögerte sie, ihn vollkommen als Verlobten ihrer Tochter zu betrachten. Sie hoffte, noch eine bessere Partie für das schöne Mädchen zu finden. Fréron war arm und genoß eines schlechten Rufes. Er war ein Spieler, hatte sich unter der niedrigsten Halbwelt bewegt und war als vulgärer Frauenverführer bekannt. Das alles wußte Frau Bonaparte. Und dennoch gestattete sie, daß er ihrer Tochter den Hof machte. Sie hielt ihn eben in Bereitschaft, im Fall sich kein anderer Gatte für Pauline finden sollte.
Inzwischen aber entspann sich der Flirt der beiden zu einem wahren Liebesroman. Das schöne, jugendfrische Mädchen hatte tiefen Eindruck auf den leichtlebigen Mann gemacht. Und sie vergalt ihm seine Liebe mit dem ganzen Feuer ihres korsischen Temperaments und der ganzen Schwärmerei ihrer sechzehn Jahre. Es wäre jedoch falsch, wollte man sich unter dieser Liebe eine Backfischschwärmerei vorstellen. Paoletta war ein Mädchen des Südens; sie liebte mit all ihren Sinnen, mit ihrem ganzen Herzen! In ihr war die Frau erwacht, die sie ihr Leben lang blieb: ein für die Liebe geschaffenes Wesen! Sie liebte Fréron, weil er ihr körperlich gefiel. Ihre Briefe an den Geliebten atmen nicht jenen zarten feinen Hauch der ersten Empfindung des jungen Mädchens für den Mann, den es wahrhaft liebt. Sie sind, wie die Liebesbriefe ihres Bruders an Josephine, der Ausdruck eines vom glühenden Feuer der Sinnlichkeit verzehrten Herzens. Ist Paoletta die Sprache der Franzosen nicht reich genug an Worten und Gefühlen, dann nimmt sie die süße, weiche, schmeichelnde und zugleich leidenschaftliche Muttersprache zu Hilfe. »Amami sempre, anima mia, mio bene, mio tenero amico, non respiro se non per te; ti amo!« oder: »ti amo, sempre, e passionatissimamento, per sempre ti amo, ti amo spell'idol mio, sei cuore mio, tenero amico; ti amo, amo, amo, amo. si amatissimo amante« »Liebe mich immer, meine Seele, mein alles, mein zärtlicher Freund, ich lebe nur für Dich; ich liebe Dich.« – »Ich liebe Dich ewig, mit ganzer Leidenschaft, für immer; ich liebe Dich, ich liebe Dich, mein herrlicher Schatz, Du bist mein Herz, zärtlicher Freund, ich liebe Dich, ich liebe Dich, ich liebe Dich, ich liebe Dich, mein über alles geliebter Geliebter!« schreit ihr junges, liebeglühendes Herz. Und durch jeden ihrer Briefe zieht die feste Überzeugung, daß sie nur ihn allein lieben wird, immer, ewig! Arme Paulette! Wie schnell schon sollte sie diese erste Leidenschaft hinter sich lassen!
Ihre Verheiratung mit Fréron stieß auf Hindernisse. Frau Letizia konnte sich nicht entschließen, ihre Einwilligung zu geben. Einesteils fand sie die Tochter für die Ehe noch zu jung, andernteils aber hatte sie nichts dagegen, daß beide sich liebten. Wahrscheinlich aber war der Freier nicht reich genug. Fréron ließ sich jedoch nicht so leicht verdrängen. Seine Liebe zu Paulette wurde von Tag zu Tag größer und leidenschaftlicher. Er lebte nur für sie und konnte sich nicht von der Geliebten trennen. Mehrmals schon hatte ihn das Direktorium von Marseille abberufen, aber er konnte sich nicht entschließen, die Stadt zu verlassen, in der Paulette weilte. Er wollte sie unbedingt zu seiner Frau machen, um sie überall mit hinnehmen zu können. In seiner Not wandte er sich an den General Bonaparte, der ihm wohlgeneigt schien. Er sollte Fürsprache bei der Mutter einlegen. »Deine Mutter setzt meinem Drängen einen leichten Widerstand entgegen«, schrieb er ihm am 24. März 1796; »ich brenne nämlich darauf, mich in Marseille binnen vier oder fünf Tagen zu verheiraten. Alles ist sogar schon dazu vorbereitet. Abgesehen davon, daß ich sehnlichst wünsche, mich mit Paulette zu vereinigen, kann es wohl sein, daß mich das Direktorium zu einem entfernten Posten ernennt, der meine sofortige Abreise bedingen würde. Wäre ich dann gezwungen, hierher zurückzukehren, so würde ich die kostbare Zeit verlieren, und die Regierung, die sich begreiflicherweise nicht um meine Herzensangelegenheiten kümmert, könnte meine Abwesenheit tadeln, da sie den Zweck der mir anvertrauten Sendung verzögerte. Ich beschwöre Dich daher, schreibe sofort an Deine Mutter, um alle Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen. Sage ihr, sie solle es ganz mir überlassen, den Zeitpunkt dieses glücklichen Augenblicks zu bestimmen. Ich habe die volle Zustimmung, das Geständnis der Liebe meiner jungen Freundin. Warum also die Befestigung dieses Bandes, das die zärtlichste Liebe geknüpft hat, noch weiter hinausschieben? Mein lieber Bonaparte, hilf mir, dieses neue Hindernis zu überwinden; ich zähle auf Dich!«
Der General war ihm jedoch nicht viel günstiger gesinnt als seine Mutter. Vorläufig vertröstete er Fréron auf bessere Zeiten. Aber das Glück war Fréron nicht hold. Man hatte ihn beim Direktorium wegen anarchistischer Umtriebe angeschwärzt. Vier Tage, nachdem er den Brief an Napoleon geschrieben hatte, traf von der Regierung der Befehl ein, den Kommissar zu verhaften, wenn die Gerüchte auf Wahrheit beruhten. Es blieb Fréron nichts übrig, als sofort nach Paris zu eilen, um sich zu rechtfertigen. Von diesem Augenblick an war er für die Politik ein verlorener Mann.
Inzwischen schrieb Paulette ihrem Stanislaus die zärtlichsten Briefe und versicherte ihn immer und immer wieder ihrer unverbrüchlichen Treue. Es schien sich jedoch alles gegen die Liebenden zu verschwören. Sogar Josephine, die weder Fréron noch Paulette kannte, stellte sich auf die Seite der Gegner. Nur Lucien erwies sich als Verbündeter. Napoleon hatte allerdings noch nicht das entscheidende Wort gesprochen, aber er hatte auch nicht förmlich in die Verbindung seiner Schwester mit dem Kriegskommissar gewilligt. Für Lucien genügte es, den Wünschen des Bruders entgegen zu handeln. Er munterte Paulette fortwährend zum Widerstand gegen Napoleon auf und riet ihr, treu zu dem Geliebten zu halten. Das arme Mädchen war trostlos. »Mein Freund«, schrieb sie am 6. Juli 1796 an Fréron, »alle Welt verschwört sich gegen uns. Aus Deinem Brief ersehe ich, daß Deine Freunde undankbar sind, sogar die Frau Napoleons, die Du doch auf Deiner Seite glaubtest. Sie schreibt ihrem Mann, ich sei entehrt, wenn ich mich mit Dir verheiratete. Sie hofft daher, unsere Verbindung verhindern zu können. Was haben wir ihr getan? Ist es denn möglich, daß alle gegen uns sind? Ach! wir Unglücklichen! ... Doch was sag ich. Nein, solange man liebt, ist man nicht unglücklich! Wir müssen Widerspruch erdulden, wir leiden unsäglich, das ist wahr, aber ein Brief, ein Wort: ich liebe Dich! und alle Tränen sind vergessen.« Und am Schluß ihres Briefes wieder heißes, italienisches Liebesgestammel.
Und doch mußte Paulette ihren Stanislaus aufgeben! Man sagt, dem General Bonaparte wäre dieser Schwager nicht vermögend genug gewesen. Napoleon schrieb allerdings schon am 11. Januar 1796 an Joseph, daß er nichts gegen die Heirat Paulettes mit Fréron einzuwenden habe, wenn er reich sei. Fréron aber war arm. Das war gewiß nicht der einzige Grund, der Bonaparte veranlaßte, nicht in diese Verbindung zu willigen. Es spielte da noch eine andere Frau eine Rolle, die ältere Ansprüche an den galanten Kriegskommissar hatte. Wer und was sie war, darüber weiß niemand etwas Bestimmtes, so sehr sich auch einige Geschichtsschreiber bemüht haben, sie als Tänzerin, Schauspielerin oder Lebedame, ja sogar als hochgestellte Persönlichkeit zu erklären. Man weiß nur, daß diese Frau vorhanden und daß sie Mutter zweier Kinder von Fréron war und ein drittes erwartete. Paulette wußte von ihr. Sie erwähnt sie des öfteren in ihren Briefen an den Geliebten. Dennoch verzagte sie nicht um ihre Liebe. Ihr Vertrauen war felsenfest. »Ich will nicht mehr von Deiner Maitresse sprechen«, schrieb sie ihm einmal; »alles, was Du mir sagst, beruhigt mich. Ich kenne Dein rechtschaffenes Herz und billige die Maßnahmen, die Du in dieser Beziehung treffen wirst.«
Verheiratet war Fréron damals nicht mit jener Frau. Jedenfalls erfuhr auch der General Bonaparte später von dem Verhältnis. Er schrieb sofort aus Mailand an seine Mutter, daß man diese Heirat für Paulette nicht mehr in Betracht ziehen solle. Paulette und Fréron waren ganz vernichtet über eine solche Entscheidung. Diesmal nahm Stanislaus seine Zuflucht zu Lucien, der sich zu jener Zeit in Italien befand. Er sollte ein gutes Wort bei Napoleon einlegen. Was aber vermochte Lucien bei dem General, dessen Ungnade er sich selbst zugezogen hatte? Alle seine Versuche, mit Napoleon über die Angelegenheit Paulettes und Frérons zu sprechen, waren vergebens. Die Nachricht, die er dem Freund von Marseille aus zukommen ließ, war daher nicht beruhigend. »Ich habe Napoleon in Mailand gesehen, jedoch so kurze Zeit und so sehr mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, daß es unmöglich war, mit ihm über irgendwelche Dinge zu reden.«
Da beschloß Paulette selbst an den Bruder zu schreiben. Vorher teilte sie ihre Absicht dem Geliebten mit und meinte, »vielleicht läßt er sich doch durch die Tränen einer Schwester und Freundin erweichen«. Und so schrieb sie jenen leidenschaftlichen, aber zugleich rührenden und ergebenen Brief an den Sieger von Italien. »Ich habe Ihren Brief erhalten«, hieß es darin, »er hatte mir den größten Schmerz bereitet. Auf eine solche Sinnesänderung von Ihrer Seite war ich nicht gefaßt. Sie hatten zuerst in meine Verbindung mit Fréron gewilligt. Da Sie mir versprachen, alle Hindernisse aus dem Wege zu räumen, hatte mein Herz sich ganz dieser süßen Hoffnung hingegeben, und ich betrachtete Stanislaus als den Mann, der mein Geschick erfüllen sollte. Ich sende Ihnen seinen letzten Brief. Daraus werden Sie ersehen, daß alle Verleumdungen, die man gegen ihn ausstreut, unwahr sind. Ich jedoch würde lieber mein ganzes Leben lang unglücklich sein, als mich ohne Ihre Zustimmung verheiraten und mir Ihren Fluch zuziehen. Sie, mein lieber Napoleon, für den ich stets die zärtlichste Freundschaft empfunden habe, Sie würden ganz gewiß durch die Tränen gerührt worden sein, die ich wegen Ihres Briefes vergossen habe. Sie, von dem ich all mein Glück erwarte, Sie wollen, daß ich den einzigen Menschen, den ich liebe, aufgebe? Obgleich ich noch jung bin, so habe ich doch einen festen Charakter. Ich fühle, es wird mir unmöglich sein, Fréron aufzugeben nach all den Versicherungen, die ich ihm gegeben habe, nur ihn allein zu lieben. Ja, ich werde mein Versprechen halten! Niemand auf der Welt wird mich daran hindern, ihm mein Herz zu bewahren, seine Briefe zu empfangen, ihm zu antworten und ihm immer und immer wieder zu wiederholen, daß ich nur ihn lieben werde. Ich kenne freilich meine Pflichten zu gut und werde sie niemals außer acht lassen, aber ich weiß auch, daß ich meine Gefühle nicht nach den Umständen ändern kann.
Leben Sie wohl, das ist alles, was ich Ihnen zu sagen habe. Seien Sie glücklich; erinnern Sie sich manchmal, inmitten all der glänzenden Siege und allen Glückes, des Lebens voller Bitterkeit und Tränen, die täglich vergießt
Pauline Bonaparte.«
Wie sie gesagt hatte, setzte sie den Briefwechsel mit dem Geliebten fort. Aber schließlich mußte sie gehorchen. Ihre große, starke Liebe, die, wie sie meinte, allen Stürmen trotzen würde, ging in der Pflicht unter, dem Bruder, dem die Familie alles verdankte, unbedingten Gehorsam zu leisten. Paulette war 16 Jahre alt! Für sie gab es kein »Aber«, kein »Nein«. Der Wille Napoleons befahl; es hieß sich fügen! Und der General wird genügend Gründe gehabt haben, Fréron nicht als Schwager zu wünschen. Vieles sprach gegen ihn: die Mätresse, die Vermögenslosigkeit, besonders aber die Vergangenheit sowohl als Mensch als auch als Mann der Revolution! Hat man Fréron auch schrecklich verleumdet, so war sein Ruf doch nicht ohne Grund schlecht. An seiner Vergangenheit klebte das Blut der Opfer des Schreckens. Fréron hatte besonders im Süden von Frankreich, als er Konventsmitglied war, entsetzlich gehaust. Im Jahre IV schrieb ihm ein Konventsmitglied, Maximin-Isnard, jene furchtbaren, anklagenden Worte: »Bei jedem Schritt, den ich im Süden tue, fand ich die Spuren des Blutes, das Du vergießen ließest! Jedes lebende Wesen klagt Dich an; sogar die Steine schreien Derne Grausamkeiten in die Welt hinaus. Und überall, wo ich einem Verbrechen begegne, sehe ich Fréron ... Ja, ich will Frankreich durch die Berichte Deiner Greueltaten in Schrecken und die Jahrhunderte damit in Erstaunen setzen!«
Fréron hatte wirklich unter der Revolution die Grausamkeit auf die Spitze getrieben. Er selbst rühmte sich in einem Briefe vom 26. Dezember 1793 (6. Nivôse des Jahres II), daß er, um Marseille für den Aufstand zu bestrafen, 200 Menschen dem Schafott überlieferte und 12.000 Maurer auftrieb, um die Häuser der Stadt niederzureißen. Solche Beispiele für Frérons wildes Republikanertum führten seine Gegner in Massen an. Er verteidigte sich zwar, besonders auf Paulettes Drängen, in seinem »Mémoire historique sur la réaction royale et sur les massacres du Midi« energisch gegen derartige Anklagen; wie man jedoch weiß, wußte Napoleon beizeiten diejenigen von sich und den Seinigen zu entfernen, die vor dem 9. Thermidor eine allzu blutige oder zu sittenlose Rolle gespielt hatten. Später zwar verwendete er Stanislas Fréron in seinen Diensten, aber nur auf die Vermittlung Luciens hin. War es Zufall oder Absicht, seltsamerweise nahm der einstige Geliebte Paulettes an dem Feldzug teil, den ihr späterer Gatte, der General Leclerc, in Santo Domingo leitete. Auch Fréron fand dort den Tod durch das gelbe Fieber, und so sollte der Liebesroman beider, der im Januar 1797 sein offizielles Ende nahm, noch ein tragisches Nachspiel im fernen Westen haben!
Als der General Bonaparte das entscheidende Wort gesprochen hatte, wurde Paulette zu Josephine nach Italien geschickt. Dort sollte sie ihren Schmerz vergessen. Nach und nach tröstete sie sich völlig über die verlorene Liebe. An Bewunderern fehlte es dem reizenden Mädchen gewiß nicht. Einer der ersten Freier um ihre Hand war Junot, ihres Bruders Adjutant und Kamerad. Aber sein Liebeswerben machte keinen Eindruck auf Paulette. Dennoch hielt der junge Brigadechef, der äußerst selbstbewußt war, bei seinem General um die Hand der Schwester an. Napoleon gab ihm den wohlgemeinten Rat, vorläufig nicht an eine Verbindung zu denken; weder Paulette noch er, Junot, haben Vermögen. Die 20.000 Franken, die sein Adjutant einmal nach dem Tode seines Vaters zu erwarten hatte, waren ihm, wie es schien, keine sichere Bürgschaft. »Dein Vater ist noch wohlauf«, meinte er zu Junot, »er kann noch lange leben.« Der junge Mann mußte sich fügen. Er heiratete später die kleine Laura Permon, die der General Bonaparte bereits im Geiste für einen seiner Brüder, Louis oder Jérôme, bestimmt hatte. Lauras Bruder war um diese Zeit ebenfalls ein Bewerber um das Herz Paulettes, aber auch ihm ward es nicht zuteil.
Noch viele andere Freier hatten sich im Laufe der Zeit eingestellt. Da war ein Herr de La Salcette, ein Edelmann aus der Dauphiné, den die Schönheit des jungen Fräulein Bonaparte mächtig anzog; aber Paulette war ihm nicht gebildet genug, um sie zu seiner Frau zu machen. Auch ein Seifenfabrikant, namens Billon, ein Bekannter Josephs und der Clary, warb um die Hand dieser korsischen Venus. Von ihm ging das Gerücht, daß er ungeheuer reich sei. Napoleon aber hatte sich nach ihm erkundigt, und es stellte sich heraus, daß Billon keinerlei Vermögen, sondern nur sein Einkommen besaß. Das genügte dem General Bonaparte nicht für seine Schwester.
Bald hatte er etwas Besseres für Paulette. Seit Ende Januar 1797 befand sie sich bei Josephine in Italien, mit der sie in Modena, Bologna und Mantua gewesen war und sich schließlich in Mailand, im Palazzo Serbelloni niederließ. Dieses reizende Schloß schien dem jungen Mädchen nur eben recht zur Entfaltung seiner Anmut und Schönheit. Und Josephine verwöhnte ihres Bonaparte kleine Schwester ebenso wie sie später Jérôme verzog. Sie ließ für Paulette und die Mutter eine eigene Wohnung im Schloß herrichten und überhäufte besonders ihre Schwägerin mit kostbaren Geschenken. In Mombello, wo der General Anfang Mai seine ganze Familie um sich versammelte, um auch sie an seinem Siegerruhme teilnehmen zu lassen, war es das gleiche; Paulette war stets die Bevorzugte. Wußte sie Josephine Dank dafür? O nein; sie nahm alles als selbstverständlich hin und machte sich noch obendrein über ihre Schwägerin lustig. Sie haßte die Frau ihres Bruders und konnte es ihr nicht vergessen, daß sie ihre Heirat mit Fréron vereitelt hatte. Paulette rächte sich dadurch, daß ihre Geschwätzigkeit hauptsächlich dazu beitrug, die schlimmsten Gerüchte über Josephines Untreue zu verbreiten. Sie verleumdete ihre Schwägerin, wo sie nur konnte. Verließ die Frau Generalin den Salon, dann steckte die kecke Paulette hinter ihrem Rücken die Zunge heraus oder schnitt Gesichter. Aber sie hütete sich, es ihren Bruder merken zu lassen. Für sie war Josephine weder schön noch anmutig noch vornehm noch liebenswürdig; sie war eben nur »la vieille peau«. Und es war ganz natürlich, daß Paulette, die ihr Leben lang nur sich allein auf der Welt liebte, ihre Schwägerin beneidete. Sie war viel zu sehr Weib, um nicht auch den Zauber zu empfinden, den Josephine trotz ihrer 34 Jahre noch immer um sich verbreitete. Mehr wie jede andere aber wünschte Paulette Bonaparte die Schönste unter den Schönen zu sein. Auch auf ihre Schwester Karoline war sie eifersüchtig, als sie gewahrte, daß sie zu einem reizenden anmutigen Mädchen erblühte.
Paulette konnte in Mombello mit ihren Erfolgen zufrieden sein. Sie war nicht allein wegen ihres jugendlichen, alles mit sich fortreißenden Übermutes, ihrer ausgelassenen Fröhlichkeit das verwöhnte Kind der Gesellschaft, sondern auch wegen ihres vollendeten Äußern die Königin der Schönheit. Und vielleicht lag der größte Reiz, den dieses junge Mädchen auf alle ausübte, gerade darin, daß es mit der höchsten Vollendung der Linien des wundervollen Körpers, mit den klassischsten Zügen des reizendsten Gesichts den größten Mangel an geistigen und moralischen Eigenschaften vereinigte. Da Paulette weder Erziehung noch Unterricht genossen hatte, besaß sie weder Anstand noch Kenntnisse. Ihre Unterhaltung war die eines unerzogenen Kindes. Das kleine Mäulchen stand nie still; es schwatzte das unvernünftigste und nichtigste Zeug zusammen. Ein Nichts brachte Paulette zu unbändigem Lachen. Die größten Dummheiten und abgeschmacktesten Witze fanden ihren begeisterten Beifall. Ungeniert stieß sie die Herren, die bei Tisch neben ihr saßen, mit den Knien an, falls sie ihren kindischen Späßen nicht genug Aufmerksamkeit schenkten. Niemand, nicht einmal die hohen und ernsten Persönlichkeiten, die bei ihrem Bruder verkehrten, waren vor ihrer Spottlust sicher. Mit unverwüstlichem Humor ahmte Paulette den Gang, die Bewegungen und die Sprache der steifen österreichischen Gesandten nach. Hatte sie Langeweile, so horchte sie an den Türen, denn sie war sehr neugierig und immer bestrebt, den geringsten Klatsch zu erhaschen. Sie tat das nicht etwa aus Schlechtigkeit. Nein, Paulette war kein schlechter Mensch; sie war nur leichtfertig und dumm. Ihre Unwissenheit und ihre kindisch-sorglose Veranlagung verhinderten sie, sich mit etwas anderem als mit Geschwätz, Kleidern und mit der Liebe zu beschäftigen. Am liebsten machte sie sich im korsischen Dialekt über Josephine die »Alte« lustig. Nur durfte es der General nicht hören, denn dann gab es Schelte. Da Paulette aber sehr unbedacht und vorlaut war, so hatte Napoleon oft genug Gelegenheit, die Brauen zu runzeln. Was nützte es? In der nächsten Minute beging sie doch wieder einen neuen dummen Streich.
Er hatte es nicht gern, daß sich seine Schwester in den Zimmern seiner Adjutanten aufhielt, aber gerade dort liebte Paulette sehr zu weilen. Sie machten ihr ja alle den Hof, die hübschen, lustigen Offiziere, und schmeichelten ihrer Schönheit. Bisweilen belauschte das tolle Mädchen auch die Gespräche der jungen Männer. Sie ahnten nicht, daß eine Siebzehnjährige ihnen hinter den Türen zuhörte, und so erzählten sie sich in freier Soldatenweise ihre Liebesabenteuer. Dabei waren sie in der Wahl ihrer Ausdrücke gewiß nicht vorsichtig. Die geringsten Einzelheiten ihrer Erlebnisse wurden unter schallendem Gelächter zum besten gegeben. Paulette lauschte aufmerksam diesen interessanten Gesprächen. Kein Wort entging ihr. Auf diese Weise vervollständigte sie ihre eigenen Kenntnisse in Liebesangelegenheiten.
Es war höchste Zeit, daß man dieses überreife Mädchen verheiratete. Es war ja nicht schwer, einen Gatten für sie zu finden. Bereits im Jahre 1795 hatte Paulette in Marseille den Generaladjutanten Leclerc kennen gelernt, als er die Truppen dieser Stadt befehligte. Sie war damals kaum 15 Jahre alt, und Leclerc stand im dreiundzwanzigsten. Er liebte Paulette, hatte ihr jedoch damals seine Liebe noch nicht gestanden. Offenbar hielt man beide für die Ehe noch zu jung, oder man dachte überhaupt nicht daran, sie zu verheiraten. Jetzt aber, in Mombello, war Paulette siebzehnjährig und ihrem Alter weit voraus. Leclerc war 25 Jahre alt und ein tapferer, verdienstvoller Offizier. Das Direktorium hatte ihm am 17. Floréal des Jahres V (6. Mai 1797) zum Brigadegeneral ernannt, und er gehörte zum Generalstab Bonapartes. Einige Wochen später, nachdem er von einer Sendung zum Direktorium nach Italien zurückgekehrt war, wurde er der Gatte der Schwester seines Obergenerals. Die Trauung fand am 14. Juni 1797, am gleichen Tage der kirchlichen Weihe dieser Verbindung in Mombello statt. Wie Elisa, so erhielt auch Paulette gemeinsam von ihren Brüdern eine Mitgift, nur daß sie noch um 10.000 Franken erhöht wurde, so daß die jüngere Schwester 40.000 anstatt 30.000 Franken erhielt.
Victor Emanuel Leclerc stammte aus einfacher Familie. Sein Vater war Beamter an der königlichen Salzkammer in Pontoise. Dort wurde der Sohn am 17. März 1772 geboren. Die Verkleinerer der napoleonischen Familie sagen, der alte Leclerc sei Türhüter gewesen und habe Trinkgelder in Empfang genommen. Die Familie war zwar arm, aber durchaus ehrenhaft. Alle fünf Geschwister Leclercs erhielten eine bescheidene aber anständige Erziehung. Victor Emanuel trat mit 19 Jahren als Freiwilliger ins Heer. Zwei Jahre später nahm er an der Belagerung von Toulon teil und wurde Hauptmann. Hier begegnete er zum erstenmal seinem zukünftigen Schwager Napoleon. Im Jahre 1794 wurde er Generaladjutant und im nächsten Jahre Befehlshaber der Truppen von Marseille. Er war ein sehr tapferer, rechtschaffener Mann, dessen Fähigkeiten der General Bonaparte nicht verkannte. Er verschaffte ihm eine Anstellung bei der Sambre- und Maasarmee, die Hoche befehligte, bis er ihn schließlich nach Italien berief. Als Adjutant Bonapartes besorgte Leclerc hauptsächlich im Generalstab Berthiers den politischen Briefwechsel des Oberbefehlshabers. Aber auch im offenen Felde stellte er seinen Mann. Er tat sich in den meisten Schlachten des Italienischen Feldzuges hervor und wurde am 15. September bei Mantua verwundet. Er war ein großer Bewunderer des Feldherrntalents Bonapartes, und Napoleon schätzte an Leclerc besonders den freimütigen, soldatischen Charakter.
Äußerlich hatte dieser tapfere Krieger alles für sich. Es fiel ihm gewiß nicht schwer, das Herz Paulettes zu erobern. Leclerc war eine sehr vornehme Erscheinung, obgleich sein Wesen durchaus nichts Aristokratisches an sich hatte. Er war nicht sehr groß, aber sehr schlank, sehr ebenmäßig gebaut und außerordentlich geschmeidig. Mit der fast weiblichen Anmut der Linien verband er doch die Kraft und Schönheit des Mannes. Er hatte eine hohe, freie Stirn, lebhafte Augen, einen schmalen, feingeschnittenen Mund, alles in allem sehr angenehme Züge. Am meisten aber gefiel Paulette die leidenschaftliche Veranlagung ihres jungen Gatten. Er war brüsk, sehr nervös, heißblütig und schrecklich eifersüchtig.
Die Ehe begann glücklich. Und dieses Glück währte so lange, bis bei Paulette das körperliche Interesse für Victor Emanuel erlosch. Es währte allerdings nicht lange. Daß sie ihn gleich anfangs verabscheute, wie Fouché behauptet, ist unwahr. Warum auch? Paulette machte wenig Unterschied in der Wahl der Männer. Sie gefielen ihr alle, solange sie jung waren. Nur liebte sie es, öfters den Gegenstand ihrer Liebe zu wechseln.
Da Leclerc zum Generalstabschef des Heeres von Italien ernannt worden war, verbrachten die Jungvermählten die ersten Monate ihrer Ehe unter dem sonnigen Himmel Italiens. Später bezogen sie in Paris ein reizendes Haus in der Rue de la Ville-l'Evêque. Hier besuchte sie der Dichter Arnault, der auch in Mombello zum Kreise des Generals Bonaparte gehört hatte. Beide erschienen ihm äußerst glücklich. Paulette war es nicht nur, weil sie Leclercs Frau, sondern weil sie überhaupt verheiratet war. Die Ehe gab ihr größere Freiheit. Sie konnte jetzt mehr Geld für Tand und Kleider ausgeben, was ihr jederzeit im Leben die Hauptsache war. Leclerc liebte seine schöne Frau leidenschaftlich, fast bis zum Wahnsinn. Er liebte sie auch noch, als er längst wußte, daß sie ihn betrog, und wie betrog! Denn Paulette verfehlte nicht, bald ihre Heirat als Deckmantel für ihre Liebschaften zu benutzen.
Noch immer aber war sie ein großes, großes Kind. Dasselbe flatterhafte, geschwätzige Wesen, dieselbe Spottlust, dieselbe Tollheit wie vor der Ehe! Sie war halt siebzehn Jahre alt, und in diesem lustigen Alter wird man nicht plötzlich vernünftig, wenn man auch die Frau eines Generals geworden ist! Einen reizenden Zug der jungen Frau, die später wegen ihrer Verschwendungssucht und Eleganz so berühmt wurde, erzählt uns Arnault bei Gelegenheit einer seiner Besuche im Hause Frau Leclercs. Er trug einen sehr bescheidenen Diamanten als Krawattennadel. Kaum hatte Paulette das Schmuckstück bemerkt, als sie sehr erfreut ausrief: »Ist das nicht ein Diamant, den Sie da haben? Ja, wahrhaftig! Aber ich glaube, der meinige ist noch schöner.« Und mit unverkennbarem Stolze verglich sie die beiden Steine, von denen der schönste nicht größer war als eine Linse. Später beachtete sie den kleinen Ring kaum unter all den herrlichen Juwelen, die sie besaß.
Paulette war glücklich, Frau Leclerc zu sein! Als sie den General heiratete, glaubte sie jedoch, ihn dadurch zu ungeheurem Danke zu verpflichten. Erstens wußte sie, daß sie sehr schön war, zweitens fühlte sie sich als Schwester des größten Feldherrn seiner Zeit äußerst gehoben. Erfüllte der Ruhm des Bruders nicht von Tag zu Tag mehr die Welt? Wie glücklich mußte Leclerc sich schätzen, ihre kleine, kostbare Hand erhalten zu haben! Daß er selbst ein verdienstvoller Soldat und sie noch bis vor kurzem ein armes korsisches Mädchen gewesen war, kam weder ihr noch den andern Familienangehörigen in den Sinn. Der Ruhm und die Stellung Napoleons erhoben Paulette in ihren Augen auf eine für gewöhnliche Sterbliche schier unerreichbare Höhe. Wenigstens ließ sie das ihren Mann fühlen. Daß sie, für die eine Fürstenkrone nicht zu hoch gewesen wäre, aber den einfachen General Leclerc geheiratet hatte, das sah sie als eine ganz besondere Gnade an! Er konnte ihr ja nur seinen ehrenvollen Namen und seine große, unermeßliche Liebe bieten!
Als der erste Rausch in Paulettes Ehe vorüber war, als sich Gleichgültigkeit und Überdruß auf ihrer Seite einstellten, behandelte sie ihren Mann als eine Art Prinzgemahl, der froh sein mußte, daß er eine schöne, launenhafte Frau hatte, die ihm bisweilen ein ganz klein wenig Gunst gewährte.
Zu Paulettes großer Erleichterung mußte Leclerc wieder nach Italien zurück. Später erhielt er das Oberkommando in Lyon, und im Jahre 1800 wurde er Divisionsgeneral im Heere Moreaus. Nach dem Siege von Hohenlinden aber verwendete der Erste Konsul ihn in Spanien. Während all dieser Zeit weilte Paulette in Paris und genoß das Leben, das sie so sehr liebte, in vollen Zügen. Ihre Verschwendungssucht, ihr Luxusbedürfnis, ihre Vergnügungssucht kannten keine Schranken. Das Einkommen ihres Gatten gestattete ihr, sich schöne Kleider, herrlichen Schmuck, kurz alles zu kaufen, was sie wünschte. Und sie verstand sich zu kleiden! In dieser Hinsicht gab sie selbst Josephine nichts nach. Neben der Liebe beschäftigte Paulette am meisten der Putz. »Aller Erziehung und alles Wissens bar, gestaltete sich ihre Unterhaltung ebenso unbedeutend und langweilig, wie ihr Gesicht hübsch war. Da sie immer nur von Kleidern sprach, der Hauptsache ihres Lebens, litt sie es nicht, daß man sich in ihrer Gesellschaft von anderen Dingen unterhielt. Um ihr zu gefallen, mußte man sich nur mit Hüten, Kleidern usw. beschäftigen. Hatte man das Unglück, über Musik, Malerei oder Geschichte zu sprechen, so konnte sie die betreffende Person nicht mehr leiden. Denn da sie nichts von dem verstand, was gesprochen wurde, war sie gezwungen, in einer Ecke still zu sitzen, um nicht ihre Unwissenheit zu zeigen.« Das ist das Zeugnis einer Zeitgenossin, der Vertrauten Josephines, Fräulein Georgette Ducrest.
Dennoch war Paulette eine der begehrtesten, gefeiertesten und umschwärmtesten Frauen ihrer Zeit. Sie war so schön, daß sie Geist und Kenntnisse nicht nötig hatte, um zu glänzen. Es genügte, sie anzuschauen und ihr silberhelles Lachen zu hören, übrigens war sie ziemlich schlagfertig; sie wußte bisweilen witzige und drollige Antworten zu geben, die man unter Umständen für geistreich halten konnte. Ihre reizende Liebenswürdigkeit gewann alle Herzen. Und für die Männerwelt war sie um so interessanter, als man ihr ansah, daß sie der eigene Mann nicht mehr interessierte.
Übrigens machte sie wenigstens den Versuch, ihre mangelhafte Bildung zu ergänzen. Während der General Leclerc wieder in Italien beim Heere weilte, besuchte seine Frau die Erziehungsanstalt der Frau Campan. Nach einem Brief Madame Campans an Joseph Bonaparte vom 20. Januar 1799 zu urteilen, hat Frau Leclerc weder lesen noch schreiben können, als sie die Anstalt betrat. Wahrscheinlich kannte Frau Campan die Liebesbriefe ihrer Schülerin an Fréron nicht! Eine schöne Handschrift besaß Paulette allerdings nicht, und die Rechtschreibung ließ ebenfalls zu wünschen übrig. Konnte doch Elisa, die acht Jahre lang in Saint-Cyr geweilt hatte, kaum orthographisch schreiben! Wie sollte man es dann von der Jüngeren verlangen, deren Erziehung durch die Verhältnisse von frühauf vernachlässigt worden war?
Im Frühjahr 1798 jedoch mußte die Schülerin von Saint-Germain ihre Studien unterbrechen, denn der Tag nahte, an dem sie ihrem ersten Kinde das Leben geben sollte. Der kleine Louis Napoléon, dem sie den klassischen Namen Dermide beigab, wurde im März in Paris geboren aber erst drei Jahre später, am 21. März 1801, getauft.
Der kleine Dermide war indes kein Hindernis für ihr galantes Leben. Man spricht von fünf Männern, denen sie um jene Zeit ihre Gunst geschenkt haben soll! Es werden die Namen Montholon, Macdonald, Sémonville, Auguste de Montesquiou, Montbreton und der General Humbert genannt.
Der Bevorzugte aber war der berühmte Schauspieler vom »Théatre Français«, Pierre Rapenouille, mit seinem Bühnennamen Lafon genannt. Er war ein großer, starker Mann von 28 Jahren, der auf »den Brettern ebensoviel Erfolg hatte wie in der Gesellschaft«. Er spielte die jungen Heldenrollen im Leben ebensogut wie im Theater. Seinem Zauber verfiel sogar die Schauspielerin George! Und sie kannte gewiß das Leben hinter den Kulissen zur Genüge, um nicht geblendet zu sein. »Er war ein hübscher Mann«, sagt sie, »er hatte feine Züge, die Nase ein wenig nach oben gebogen, kleine schwarze feurige Augen, in seiner ganzen Person Vornehmheit; ein schönes Organ. Die Liebessprache verstand er meisterhaft. Sein Spiel war glänzend, wenn auch ohne Vertiefung; aber er besaß ein hinreißendes Feuer und große Begeisterung für sein Spiel. Er konnte wirkliche Tränen vergießen, wenn er wollte.«
Auf Paulette Leclerc machte er sicher großen Eindruck, mehr jedoch als Mann denn als Schauspieler. Zwar gab auch sie, wie die meisten Frauen ihrer Zeit, vor, das Antike, das Heldenhafte in der Kunst, ganz besonders aber die alten Dichter und ihre Heldengestalten zu lieben, sie wird indes nicht viel davon verstanden haben. Wer konnte ihr übrigens besser die Helden der Alten verkörpern, wer konnte ihr besser deren Dichtungen vortragen als dieser junge Schauspieler? Und wer kam ihrem Ideale vom Manne näher als der schöne Lafon?
Es ist anzunehmen, daß Paulette ihn bei Lucien in Plessis-Chamant kennen lernte. Lafon ging in dem gastlichen, kunstliebenden Hause des Ministers ein und aus, und Lucien war stets bereit, seiner Schwester Kavaliere zuzuführen. Sie machte übrigens durchaus kein Hehl aus dieser Leidenschaft. Hypokritischer Sinn war ihr fremd. Sie prahlte im Gegenteil mit allen ihren Liebhabern. Ganz Paris wußte von ihren Beziehungen zu Lafon. Sie empfing ihn in ihrem Hause in der Rue de la Ville-l´Evèque, und später waren das wunderschöne Schloß von Neuilly und das Palais im Faubourg Saint-Honoré Zeuge ihres Liebesrausches.
Vorläufig machte die Sendung des Generals Leclerc nach Santo Domingo, im Dezember 1801, den Beziehungen Paulettes zu Lafon ein Ende. Der Erste Konsul hatte zu dieser Expedition gerade seinen Schwager gewählt, weil er wußte, daß Leclerc etwas Tüchtiges leisten würde. Er hatte sich bisher als guter Organisator und auch als Diplomat in allen Feldzügen erwiesen. Als Napoleon ihn aus Spanien zurückrief, glaubte der General, man wolle ihm das Kriegsministerium anvertrauen, was ihn sehr geschmeichelt haben würde. Nichtsdestoweniger nahm er ohne Zögern den Auftrag dieser Sendung in ein unbekanntes Land an. Am 25. Oktober 1801 erfolgte seine Ernennung zum Oberbefehlshaber des Heeres von Santo Domingo. Er sollte sobald als möglich nach der Kolonie aufbrechen, aber die Abreise der Flotte verzögerte sich bis Ende des Jahres, Man sagt, Paulette sei an dieser Verzögerung schuld gewesen, die dem ganzen Feldzug verhängnisvoll werden sollte.
Drei Wochen weilte die verwöhnte Frau in Brest, konnte jedoch mit den Vorbereitungen zu ihrer Reise nicht fertig werden. Vielleicht hat sie die Abfahrt auch absichtlich von einem Tag zum andern verschoben, denn es fiel ihr schwer, Frankreich zu verlassen. Sie wäre lieber in Paris geblieben als nach dem Kap gesegelt. Napoleon jedoch bestand darauf, daß seine Schwester ihren Mann begleite. Schrieb er später nicht auch an Joseph, als Julie nicht nach Italien gehen wollte: »Ich bin gewöhnt, daß die Frauen sehnlichst wünschen, bei ihrem Manne zu sein«? Und Paulette war lange genug von Leclerc getrennt gewesen.
Eine Reise nach Santo Domingo aber war durchaus nicht nach ihrem Geschmack. Sie stellte sich dieses Land, dessen Namen sie vielleicht zum erstenmal in ihrem Leben hörte, angefüllt mit wilden Tieren und bösen Menschenfressern vor. Sie sah sich bereits von den Wilden gemißhandelt, zerfleischt und aufgespeist. Und wer sollte ihr in der Wildnis den geliebten Lafon ersetzen? Sie war untröstlich und fest entschlossen, dem gestrengen Bruder den größten Widerstand entgegenzusetzen.
In ihrer Verzweiflung klagte sie der jungen Frau Junot, die sie seit ihrer Kindheit kannte, ihren Kummer. »Laurette«, sagte sie, »wie glücklich bist du doch! Du kannst in Paris bleiben. Mein Gott! Wie werde ich mich dort unten langweilen! Wie kann mein Bruder nur so hart, so böse sein, mich mitten unter Wilde und böse Schlangen zu verbannen! ... Und dabei bin ich doch krank. Seit ihrer Niederkunft war Paulette in der Tat beständig leidend. Oh, ich werde sterben, ehe ich drüben ankomme.« Und Tränen erstickten ihre Stimme.
Frau Junot vermochte die arme Paulette nur dadurch zu beruhigen, daß sie ihr wie einem Kinde zuredete. Da drüben würde sie Königin sein, sagte sie zu ihr; schwarze Sklaven würden über ihrem Haupte einen goldenen Thronhimmel tragen und mit Palmenwedeln ihr Kühlung zufächeln. Unter blühenden Orangenbäumen würde sie ihre unvergleichliche Schönheit erst recht entfalten können; die wilden Menschen und Tiere aber wären gar nicht mehr zu fürchten. Bei diesen glückverheißenden Worten schluchzte Paulette nur noch ganz leise in ihr spitzenbesetztes Taschentuch. Ihre lebhafte Einbildungskraft malte sich bereits alles, was die Freundin erzählte, in den buntesten Farben aus. Und als Frau Junot noch hinzufügte, wie schön Paulette in der geschmackvollen kreolischen Kleidung aussehen würde, da war die eitle kleine Frau plötzlich ganz beruhigt. Schnell trocknete sie die tränenfeuchten Wangen. »Glaubst du wirklich, Laurette, daß ich schön aussehen werde? Noch schöner als jetzt? Mit einem kreolischen Madras, einem kleinen Mieder, einem gestreiften Batistrock?« rief sie. Und gleich darauf schellte sie ihrer Zofe. Sie mußte alle Madrasse herbeibringen, die sich im Besitze ihrer Herrin befanden, und nun ging es an ein Probieren und Anpassen; alles Leid, aller Trennungsschmerz schienen vergessen. Von nun an beschäftigte Paulette sich nur noch mit Kleidern und Hüten, die sie mit nach Santo Domingo zu nehmen gedachte. Von früh bis abends hatte sie mit Schneiderinnen, Putzmacherinnen, Haarkünstlern usw. zu tun. Koffer um Koffer füllte sich, zum Entsetzen des Generals Leclerc, mit jenen tausend Nichtigkeiten, die seine verwöhnte Frau dort »drüben« nötig zu haben meinte.
Als dann aber der Tag heranrückte, an dem Paulette Paris, das schöne leichtlebige Paris verlassen mußte, da überfiel sie doch wieder alle Mutlosigkeit und alle Angst von vorher. Sie schützte ernstlich ihre Krankheit vor und fürchtete besonders die schlechten Reisewege in der Bretagne. Napoleon kannte kein Erbarmen. Er ging nicht auf ihre Klagen ein. Der Arzt mußte ihm bestätigen, daß Paulette sehr wohl gesundheitlich imstande sei, ihrem Gatten nach Santo Domingo zu folgen. Und so mußte sie am 13. November der Hauptstadt Lebewohl sagen. Am 20. desselben Monats traf sie in Brest ein. Aber sie war nicht zu bewegen, an Bord des »Océan« zu gehen. Endlich wurde sie auf Befehl des Ersten Konsuls in einer Tragbahre auf das Schiff gebracht, und am 14. Dezember 1801 segelte Paulette mit ihrem Mann und dem kleinen Dermide von Frankreich ab, dem Lande entgegen, das ihr so große Angst einflößte. Ihr Bruder gab ihr tröstende Worte mit auf den Weg. Am Ende einer seiner Vorschriften für den General Leclerc stand geschrieben: »Vergessen Sie nicht, mir Nachrichten über Ihre Frau zu geben. Mit Freuden denke ich daran, daß auch Paulette ein wenig an Ihrem Ruhme teilnehmen wird, besonders wenn sie die Anstrengungen der Reise und das Klima tapfer erträgt.«
Auf dem Schiffe erlangte Frau Leclerc mit einem Male ihre ganze Lebenslust wieder. Sie schien gar nicht mehr krank, sondern nur darauf bedacht zu sein, sich die überfahrt so angenehm wie möglich zu gestalten. Sie wurde darin nach Kräften von den vielen jungen Offizieren des Generalstabes, die sich mit ihr auf dem »Océan« befanden, unterstützt. Diese junge schöne Frau Generalin entflammte mehr wie einem von ihnen Herz und Sinne. Wie eine Königin hielt Paulette Hof auf dem Schiffe, das sie einer ungewissen Zukunft entgegenführte. Ihre große Liebenswürdigkeit gewann alle Herzen im Sturme. Gern ertrug man sogar ihre Launenhaftigkeit, denn sie tyrannisierte alle Welt mit einer gewissen Anmut. »Mit unvergleichlicher Grazie«, sagt der Schriftsteller Esmenard, der auch an dem Feldzug nach Santo Domingo teilnahm, »lag Frau Leclerc auf einem Ruhebett auf Deck. In dem ganzen Zauber ihrer Schönheit erinnerte sie an die Galatea der Griechen, an die Venus, die Schaumgeborene.«
Und wirklich, diese Frau, die ihren Körper doch keineswegs schonte, sondern in allem, was sie tat, Ausschreitungen beging, sie, die stets nur die Leidenschaft ihrer Sinne sprechen ließ, war unvergleichlich schön. Darüber sind sich alle Zeitgenossen, Männer wie Frauen, einig. Frau Junot kann kaum Worte finden, um Paulettes Schönheit vor der Reise nach Santo Domingo zu preisen. »Es ist unmöglich«, sagt sie, »sich eine Vorstellung zu machen, wie vollendet schön diese außerordentliche Frau war. Im allgemeinen kennt man sie erst, als sie aus Santo Domingo zurückkam, als sie schon ein wenig welk und nicht einmal mehr der Schatten von jener Paulette war, die wir in ihrer entzückenden Schönheit manchmal wie eine herrliche Statue der Venus Galatea bewunderten.« Und Georgette Ducrest, die gewiß nicht zu Paulettes Freundinnen zählte, denn sie gehörte der Partei Josephines an, nennt Frau Leclerc die schönste Frau, die sie je gesehen habe. Kaum daß eine wagt, den kleinsten Fehler an ihr zu entdecken, wie Frau Junot die häßlichen Ohren Paulettes. Die polnische Gräfin Potocka zollte der Schwester Napoleons noch später unumwundene Bewunderung mit den Worten: »Pauline war der Typus der klassischen Schönheit, wie man sie in den griechischen Statuen findet. Trotz allem, was sie tat, um die Verheerung ihres Körpers zu beschleunigen, trug sie doch am Abend, mit Anwendung von ein wenig Kunst, noch immer den Sieg über alle Frauen davon. Nicht eine würde gewagt haben, ihr den Apfel streitig zu machen, den Canova ihr reichte, nachdem er sie, wie man sagt, ohne Schleier gesehen hatte. Mit den feinsten, regelmäßigsten Zügen, die man sich nur denken kann, vereinigte sie wunderbare, leider nur zu oft bewunderte Formen.«
Am begeistertsten von allen ist der General Thiébauld über Paulettes Schönheit. »Sie war das bewunderungswürdigste Geschöpf, was die Gestalt anlangte; entzückend in ihrer Anmut. Sie hatte das schönste Gesicht, das die Natur je gebildet. Und, verschwenderisch wie die Götter, geizte sie ebensowenig mit ihren Reizen wie der Himmel, der sie ihr verliehen hatte.«
Für so viel Schönheit waren die Offiziere auf dem »Océan« nicht unempfindlich. Und Paulette war stets bereit, derartige Huldigungen entgegenzunehmen. Vor allen interessierte sie ein schöner starker, rotblonder Mann von 35 Jahren, General Jean Joseph Amable Humbert. Er führte den Beinamen »Le Lion amoureux« und konnte auf eine stürmische Vergangenheit zurückblicken. Während der Revolution war er abwechselnd Kommis, Hasenfellhändler und Soldat gewesen, bis er endgültig die militärische Laufbahn eingeschlagen hatte. Er war ein großer Frauenverführer, wie Fréron, im gewöhnlichen Sinne. Dennoch scheint er seinen Huldigungen für Paulette erst während des Aufenthaltes in Santo Domingo die Krone verliehen zu haben. Wahrscheinlich durfte er die Kühnheit während der Überfahrt nicht zu weit treiben, denn Leclercs eifersüchtiges Auge wachte über die leichtsinnige Paulette. Unwahr ist es, daß sie mit dem General Humbert auf dem »Swiftsure«, der die Leiche ihres Gatten nach Frankreich überführte, in die Heimat zurückkehrte. Humbert war längst in Paris, als Paulette noch in Quarantäne vor Toulon lag.
Auf dem »Océan« führte man ein sehr lustiges Leben. Da, wo Paulette war, gab es auch Vergnügen, übrigens waren ja auch die Offiziere und die Soldaten Leclercs voller Hoffnungen auf die Zukunft. Man glaubte den Feldzug gegen die aufständischen Neger in aller Kürze beenden zu können. Schon sah man sich mit unermeßlichen Schätzen aus dem gesegneten Lande in die Heimat zurückkehren. Leclerc selbst machte sich die unglaublichsten Vorstellungen von den Reichtümern, die Toussaint-Louverture, der schwarze Beherrscher der Kolonie, zusammengerafft hatte. Der General bezifferte sie auf mehr als vierzig Millionen! Viele Soldaten, die Leclerc mit sich führte, hatten den Feldzug mit Napoleon in Ägypten mitgemacht. »Haben wir die Mamelucken besiegt«, sagten sie, »so werden wir auch diese Neger mit Erfolg bekämpfen.« Und so zog das Heer wie die Argonauten nach Santo Domingo, um das Goldene Vlies zu erobern!
Am ersten Tage des Februar 1802 landete die Flotte in der Kolonie. Leclerc ließ sogleich Toussaint-Louverture eine Zusammenkunft vorschlagen, aber der schwarze Feldherr verweigerte sie und ging auf die versöhnlichen Vorschläge nicht ein. So begann denn am 5. Februar 1802 jener dreimonatige wilde Kampf, dem endlich im April der Frieden folgte. Toussaint-Louverture, der schließlich gesonnen war, Unterhandlungen anzuknüpfen, wurde – freilich auf wenig ehrenvolle Art – von dem General Leclerc gefangen genommen. Man brachte ihn nach Frankreich, und dort endete er ein Jahr später auf klägliche Weise im Fort Joux.
Schon glaubte Paulettes Gatte die Früchte des Friedens genießen zu können. Auch der Erste Konsul hatte die beste Hoffnung auf die wiedereroberte Kolonie. Er war mit seinem Schwager sehr zufrieden und schrieb ihm: »Sie sind im Begriff, sich großen Ruhm zu erwerben. Die Republik wird Sie in den Stand setzen, eines angemessenen Vermögens zu genießen, und meine Freundschaft für Sie ist unveränderlich.« Während man jedoch glaubte, der Krieg sei zu Ende, fing er eben erst in seiner ganzen Grausamkeit an. Nach der Verhaftung Toussaints brach der Aufstand unter den Negern Santo Domingos von neuem aus. Aber es war kein ehrenvoller, ruhmreicher Krieg, der nun begann. Es war ein Kampf, in dem man weder Mitleid noch Ehre kannte, in dem man sich gegenseitig meuchlings ermordete und grausam verstümmelte. Die Franzosen gaben in dieser Beziehung den Schwarzen nicht viel nach. Zu all den Kriegsgreueln aber gesellte sich schließlich noch die entsetzlichste Seuche, das gelbe Fieber! Toussaint begrüßte dieses beste aller Mittel zur Vertilgung des Feindes mit Freuden. Ende Mai schrieb er an seine Freunde: »Endlich kommt mir die Vorsehung zu Hilfe! ... Wie oft wallfahrtet man allnächtlich zum Massengrabe? (Nämlich um die am gelben Fieber erlegenen französischen Soldaten zu bestatten.) ... Benachrichtigt mich, wenn Leclerc erkrankt.«
Das Fieber wütete furchtbar im Heere der Franzosen. Offiziere, Beamte und Soldaten starben in erschreckender Anzahl dahin. Die Grausamkeit der Neger, vereint mit der entsetzlichen Seuche, trug doch den Sieg davon! Anstatt Schätze und Reichtümer fanden Leclerc und seine Soldaten überall nur Verrat, Hinterhalte, Feuerbrände, eingeäscherte Ortschaften, Krankheit, Elend und Tod! Das fruchtbare, blühende Land, das sie ersehnt hatten, war ein einziger großer Aschehaufen. Paulette hatte sich also doch nicht ohne Grund vor diesem Aufenthalt in der Fremde gefürchtet. Um der schauerlichen Krankheit zu entfliehen, mußte sie das Kap verlassen, das sie zum Wohnort gewählt hatte. Sie mußte sich auf die weniger ungesunde und vor feindlichen Angriffen sicherere Insel de las Tortugas flüchten. Bald aber forderte das Fieber auch in ihrer Umgebung und unter ihren Freunden seine Opfer.
Einer der ersten, der davon ergriffen ward, war Stanislaus Fréron, der Mann, für den Paulette die erste junge Liebe ihres Herzens empfunden hatte! Er war vom Ersten Konsul als Unterpräfekt nach Santo Domingo gesandt worden. Man sagt, Fréron habe sich während der Überfahrt mit Paulette auf dem »Océan« befunden. Er segelte jedoch mit dem »Zélé« vier Monate später als die einstige Geliebte nach der Kolonie. Drüben erst fanden sie sich wieder. Noch immer stand Paulette, die ihn als Sechzehnjährige so heiß geliebt hatte, unter dem Zauberbanne dieses Mannes. Fréron war jetzt fast ein Fünfziger. Die sechs letzten Jahre waren nicht die glücklichsten seines Lebens gewesen. Sorgen, Gram und der Kampf ums Dasein hatten seine Züge gealtert. Lange Zeit hatte er unter dem Verluste seiner schönen geliebten Paulette gelitten. Sein politisches Dasein war jedoch verfehlt. Obgleich er den Franzosen unter der Revolution manchen Dienst geleistet hatte, war er vollkommen vergessen worden. Seine Feinde hatten alles getan, um ihn von der politischen Schaubühne zu entfernen. Bei den Wahlen des Jahres 1796 war er nicht wieder gewählt worden. Nur mühsam hatte Fréron, der einst der schönste und vornehmste der Muscadins geheißen, sein Leben fristen können, bis endlich Lucien Bonaparte als Minister des Innern sich des Freundes erinnerte und ihn zum Verwalter der Pariser Krankenhäuser mit 18.000 Franken Einkommen ernennen ließ. Und nun, im Jahr 1802, befand sich Fréron am Kap, in der Nähe der Geliebten! Paulette war mit einem andern verheiratet. Auch Stanislaus hatte einen Ehebund geschlossen. Sie durften sich nicht, wie einst in Marseille, ihrer Liebe leben. Ganz im geheimen nur durfte er, der so nahe daran gewesen, an Leclercs Stelle zu sein, die Geliebte sehen.
Dieses Glück war ihm nur kurze Zeit beschieden. Ungefähr zwei Monate nach seiner Ankunft am Kap raffte ihn das Fieber hinweg. In irgendeiner Grube fand Stanislaus sein Grab. Paulette mußte dieses traurige Ende ihres ersten Geliebten mit erleben. Ihr Gatte hatte nur Worte des Mitleids, der Fürsorge und des Lobes für Fréron, den er bereits von Toulon her kannte. »Fréron ist tot«, schrieb Leclerc am 2. August 1802 an dien Marineminister Decrès; »er starb arm. Ich empfehle Ihnen seine Frau und seine Kinder. Er war gut und freundlich und hat versucht, mir nützlich zu sein, als er als Volksvertreter bei der Italienischen Armee die Macht besaß.«
Leclerc selbst verlor bald die Freude und Lust an diesem unseligen Feldzug. Er sehnte sich fort aus dem Lande, das durch Greuel, Seuchen und Elend verwüstet war. Zum mindesten gedachte er Frau und Kind vor dem sicheren Tod zu retten und nach Frankreich zu senden. Da erwachte plötzlich in Paulette die Korsin. Ein Funken von dem Mute und der Entschlossenheit ihrer Mutter, die so tapfer ihren Carlo in den korsischen Freiheitskampf begleitete, flammte in dem Herzen der jungen Pauline Leclerc auf. Sie erklärte, sie wolle ihren Mann nicht verlassen, sondern nur mit ihm nach Frankreich zurückkehren oder mit ihm sterben. Tapfer ertrug sie alles Häßliche und Unangenehme. Gegen die armen Verwundeten, die auf dem heißen, tropischen Boden verschmachteten, zeigte sie sich stets gütig und liebevoll. Nicht selten sah sie auf ihren Spazierfahrten Soldaten am Wege liegen; sie litten schrecklich am Wundfieber und lechzten nach einem labenden Tropfen. Die Frau Generalin hatte ein mitleidiges Herz; sie nahm manchen von ihnen in ihrem Wagen auf und ließ ihn in ihrem Hause pflegen. Napoleon lobte das Verhalten seiner Schwester in einem Brief an Leclerc mit den Worten: »Mit Paulette bin ich sehr zufrieden. Sie darf den Tod nicht fürchten, denn sie wird ruhmvoll inmitten eines Heeres sterben!«
Dennoch war ihr Gatte vollkommen mutlos. Was half ihm ein solcher Ruhm? Und wenn Napoleon zehnmal schrieb: »Alles ist vergänglich auf dieser Welt, nur der Ruf besteht, den wir in der Nachwelt hinterlassen«, so dachte der General in Santo Domingo doch anders. Er konnte nichts beginnen; man schickte ihm aus Frankreich weder Truppen noch Geld, »Mein Herz ist gebrochen«, schrieb er im Oktober 1802; »ich will keinen zweiten Sommer hier verleben!« Und doch tat er seine Pflicht, bis auch ihn die Seuche erfaßte.
Jene Worte Leclercs waren wie eine Todesahnung. Nur wenige Tage später, in der Nacht vom 1. zum 2. November, erlag der General dem gelben Fieber. Er starb mit dem Bedauern auf den Lippen, daß er seinem Vaterlande keine besseren Dienste hatte leisten können. Sein Leichnam wurde sorgfältig einbalsamiert, und Paulette, die ihn bis ans Ende liebevoll gepflegt hatte, legte dem Toten ihre dunklen Locken als Zeichen der Trauer und Liebe in den Sarg. Sie selbst behielt zum Andenken einige Haarsträhnen ihres Mannes. Später aber erfuhr man, daß sie gezwungen gewesen war, ihr herrliches Haar abzuschneiden, da die Ärzte es ihr dringend geraten hatten. Napoleon selbst bestätigte es.
Der Leichnam Leclercs ward in einem Bleisarg verschlossen und dieser in einen andern aus Zedernholz gestellt. Unter Trauerklängen und dem Donner der Kanonen wurde die sterbliche Hülle des jungen Generals auf den »Swiftsure« getragen, den Ganteaume im Jahre 1801 den Engländern abgenommen hatte. Dieses Schiff sollte den Toten und die junge Witwe nach Frankreich führen.
Welch traurige Rückkehr für Paulette! Auf dem »Swiftsure« herrschte das Schweigen des Todes. Mitten auf dem Deck stand der Sarg ihres Mannes. Säbel und Hut des Generals lagen pietätvoll oben darauf. Daneben war ein kleiner Altar errichtet, den die eroberten Fahnen und Siegeszeichen aus dem Feldzug schmückten. Auf einem Säulenfuß ruhte die goldene Urne, die das Herz des Toten enthielt. Sie trug die Inschrift: »Paulette Bonaparte, verheiratet mit dem General Leclerc am 20. Prairéal des Jahres V, hat in dieser Urne ihre Liebe mit dem Herzen ihres Gatten eingeschlossen, dessen Gefahren und Ruhm sie teilte. Sein Sohn wird dieses traurige und teure Erbe nicht antreten, ohne nicht auch seine Tugenden geerbt zu haben.«
Wohl hatte Paulette ihre Liebe für Leclerc in die Urne eingeschlossen, aber es blieb ihr immer noch genug für andere übrig. Man sagt, sie sei, obgleich sie täglich am Sarge des Gatten kniete und betete, auf dem »Swiftsure« dem Flirt nicht abhold gewesen und habe den General Leclerc ebenso im Tode wie im Leben betrogen. General Humbert aber war nicht mit auf dem Schiff.
Am 27. Januar 1803 traf der »Swiftsure« mit seiner traurigen Last vor Toulon ein. Der Sarg des Generals wurde auf der »Cornélie« nach Marseille überführt und von da aus nach Paris gebracht. Dem Wunsche des Verstorbenen gemäß bestattete man ihn in dem Parke seiner Besitzung Montgobert bei Soissons, wo das Grabmal noch heute zu finden ist.
Der Erste Konsul beklagte den Tod seines jungen Schwagers tief. »Ich habe meine rechte Hand verloren!« rief er aus, als er die Nachricht vom Hinscheiden Leclercs erfuhr. Er befahl sogleich eine öffentliche Trauer von zehn Tagen als Zeichen seiner Achtung vor dem General. Die größte Ehre aber erwies er dem tapferen Toten mit den Worten: »Der General Leclerc war ein verdienstvoller Offizier erster Ordnung; er eignete sich ebensogut für den Kabinettsdienst als für die Bewegungen auf dem Schlachtfelde.«
Währenddessen war Paulette, die sich ihrer Gesundheit wegen bis Ende Januar in Toulon aufgehalten hatte, vom General Lauriston geleitet, am 11. Februar wieder in Paris eingetroffen. Sie war krank, elend und verbraucht. Das Klima und ihr unvernünftiges Leben in der Kolonie hatten ihrer zarten Gesundheit geschadet. Seit ihrer Niederkunft war sie beständig leidend. Dazu hatte sie eine böse Wunde an der Hand, die trotz aller Heilmittel und ärztlichen Bemühungen immer wieder aufbrach. Sie gab Veranlassung zu den schlimmsten Vermutungen in bezug auf das Leiden, das Paulette ihr ganzes Leben verfolgte und von einem Badeort zum andern trieb. Fouché, der sich vor keiner Anschuldigung scheut, sagt es gerade heraus, Frau Leclerc habe die schrecklichste aller Krankheiten aus Santo Domingo mitgebracht. Gleichzeitig aber fügte er hinzu, ihre Schönheit sei weit entfernt verwelkt zu sein, sie habe nur noch mehr Glanz und Frische bekommen, wie jene seltenen Blumen, die der Dünger zur herrlichsten Entfaltung bringe. Er widerspricht also geradezu der Frau Junot, die Paulette nach ihrer Rückkehr ziemlich verwelkt fand.
Fouché und andere waren überzeugt, daß Frau Leclercs Leiden syphilitischer Art sei. Neuere Forschungen jedoch, besonders medizinische beweisen, daß sie ihr ganzes Leben lang an einer skrofulösen Störung und an hochgradiger Hysterie litt. Das bestätigt sowohl der Wiener Arzt Dr. Capellini, der Louis Bonaparte behandelte, als auch ein sehr interessanter Brief des Doktor Hallé an Peyre, den Leibarzt der Fürstin Borghese vom 22. April 1807. »Mein lieber Kollege!« schreibt Hallé: »Ich habe weiter über den Zustand nachgedacht, in dem sich Ihre Hoheit befindet, und in dem wir sie gestern gesehen haben.
Dieser Zustand ist ein hysterisches Leiden. Die Gebärmutter war weniger, aber immerhin noch empfindlich. Die Bänder bewahrten noch die Einwirkung jenes schmerzhaften Reizes, gegen den wir sie letzten Donnerstag Bäder nehmen ließen. Die Krämpfe, die wir in den Armen bemerkt haben, waren hysterische Krämpfe. Der Kopfschmerz war hysterisch. Das Allgemeinbefinden ist Abgeschlagenheit und Erschöpfung.
Es handelt sich um keine gewöhnliche Entzündung, denn die Entzündung, die wir bemerkt haben, war nur vorübergehend. Der allgemeine und dauernde Zustand ist eine außerordentliche Aufreizung des Uterus. Und wenn dies aufrechterhalten und fortgesetzt wird, so kann das sehr unangenehm werden.
Da haben Sie die ganze Krankheit. Ich habe vergangenen Donnerstag der Fürstin die Ursache ihres Leidens zu verstehen gegeben ... Ich glaube, ich bin verstanden worden, fürchte jedoch, nicht im rechten Maße. Ich weiß zwar nichts Bestimmtes, kann aber sehr wohl durch die Mittel, die uns gegeben sind, alles erraten. Jedenfalls ist das, was ich über die Art der Symptome gesagt habe, die Sie und ich wahrgenommen, ja, die Sie öfter wahrgenommen haben als ich, mehr als genügend, um das Rätsel zu lösen.
Was aber auch diese Ursache sein mag, es ist Zeit, und höchste Zeit, sie aus dem Wege zu schaffen! Ich habe Frauen gekannt, die derselben Schwäche zum Opfer fielen; sie haben alle so angefangen. Es ist klar, daß, wenn sie nicht beizeiten Einhalt tut, es bald zu spät sein wird.
Ich kann darüber nichts weiter sagen, denn ich weiß nichts. Wir müssen aber jedenfalls diese junge und interessante Frau vor ihrem Untergange bewahren. Und wenn jemand ihre Schwäche begünstigte oder ihr Mitwisser wäre, so würde er nicht sich anschuldigen, sondern uns, daß wir nichts gesehen oder alles geduldet hätten. Ich habe aber weder Lust für einen Einfaltspinsel zu gelten noch mich eines gemeinen oder niedrigen Entgegenkommens anklagen zu lassen. Vor allem aber müssen wir diese ausgezeichnete und unglückliche Frau retten, deren Schicksal mich betrübt; glücklicherweise kann ich nicht sagen, daß es mich gänzlich hoffnungslos macht.
Beeilen Sie sich daher, mein lieber Kollege, denn es ist keine Zeit zu verlieren. Machen Sie von meinem Brief den Gebrauch, den Sie für gut halten, oder setzen Sie mich selbst in die Lage, offen und nachdrücklich sprechen zu können. Wenn wir nicht ein Machtwort sprechen dürfen, dann ist es besser, wir ziehen uns ganz zurück.«
Man kann die Krankheit Paulettes nicht deutlicher klarlegen als es Hallé tut. Und dieser Schwäche, der sie im Jahre 1807 fast miterlag, huldigte sie schon im Jahre 1802, huldigte sie, seit die Frau in ihr erwacht war. Schwach und krank, bedurfte die junge Witwe der Pflege. Sie fand sie im Hause Josephs, im ehemaligen Palais Marbeuf, Rue du Faubourg Saint-Honoré. Es war der ausdrückliche Wunsch des Ersten Konsuls, daß Paulette unter der Obhut ihres ältesten Bruders lebte, denn er fürchtete, sie möchte die Trauerzeit sonst nicht so beobachten, wie es der Anstand erforderte. Der Schmerz um den verstorbenen Leclerc hielt bei dem flatterhaften Wesen Paulettes nicht lange an. Abgesehen von dem schwarzen Kreppkleid, das übrigens wundervoll ihre zarte Schönheit hervorhob, war nicht viel von Trauer an ihr zu bemerken. Als sie sich wieder in Paris befand, das so sehr ihrer Eigenart entsprach, kam es wie ein Rausch über sie, sich schrankenlos ihren Leidenschaften und ihrer Vergnügungssucht zu überlassen. Man sagt, Paulette Leclerc sei als reiche Frau aus Santo Domingo zurückgekehrt und habe sich keinen Genuß zu versagen brauchen. Ihr Reichtum war jedoch nicht so fabelhaft, wie ihn manche Zeitgenossen beschrieben haben. Der deutsche Musikschriftsteller Reichardt zum Beispiel, der während der Konsulatszeit in Paris weilte, behauptet, Leclercs Witwe habe eine ungeheure Erbschaft des Generals angetreten. Es war gar nicht so schlimm. Im Vergleich zu ihren Geschwistern war Paulette nur wohlhabend. Leclerc hinterließ seiner Frau ein Gesamtvermögen von 700.000 Franken, Besitzungen inbegriffen. Napoleon erhöhte daher das Einkommen seiner Schwester durch ein Jahrgehalt von 60.000 Franken.
Selbstverständlich hielt es die junge Witwe nicht lange unter der Aufsicht Josephs aus, wenngleich auch er nicht ein allzu strenger Sittenrichter war. Paulette trachtete danach, einen eigenen Palast in Paris zu besitzen, wo sie ihre Schönheit ganz und ungestört zur Entfaltung bringen konnte. Ihre Wahl fiel auf das Palais Charost, das in der Nachbarschaft Josephs, ebenfalls in der Rue du Faubourg Saint-Honoré gelegen war. Es kostete sie 400.000 Franken ohne die Einrichtung. Im Germinal des Jahres XII bezog sie es.
Trotz ihrer Unbeständigkeit hatte Paulette in Santo Domingo doch nicht ganz den schönen Lafon vergessen. Als sie wieder in Paris war, spannte sie ihn von neuem vor ihren Siegeswagen. Allerdings währte seine Herrschaft nicht mehr lange. Zwei Jahre später, seit dem Jahre 1805, hörte man kaum mehr von ihrem Verhältnis zu dem Schauspieler sprechen. Sie gab ihm schon, während er hoch in ihrer Gunst stand, manchen Nebenbuhler. Es ist sehr wohl möglich, daß sie nach ihrer Rückkehr aus der Kolonie die Beziehungen zu Sémonville, Montholon und Macdonald wieder anknüpfte. Denn Paulette war nie abgeneigt, die alte Liebe wieder aufzufrischen. Sie suchte sich für die vielen häßlichen Tage, die sie in Santo Domingo durchgemacht hatte, zu entschädigen!
Unter den Männern, die sie begehrten, war mancher, der fürs Leben gern sein Geschick an das ihrige geknüpft hätte. Ihre Schönheit und die Tatsache, daß sie die Schwester eines so berühmten Mannes wie Napoleon war, lockten viele ernste Freier um die Hand der jungen Witwe herbei. Der Marineminister Decrès war leidenschaftlich in sie verliebt. Man sagt jedoch, er habe es mehr auf die Schwester des Ersten Konsuls abgesehen gehabt als auf das Herz Paulettes. Das ist sehr leicht möglich. Mit Napoleon verwandt sein zu wollen war kein schlechter Gedanke, aber nicht jeder wurde eben damals für würdig befunden, ein Mitglied dieser Familie zu werden. Die Zeiten waren vorüber, wo man froh sein mußte, daß die Töchter Letizias einen Hauptmann zum Gatten fanden. Und war auch Decrès ein Minister, so wäre doch dem Ersten Konsul diese Heirat nicht erwünscht gewesen. Er erstrebte für seine schöne Schwester eine glänzendere Partie. Ihr zukünftiger Gatte sollte nicht nur eine hohe Stellung und Würden bekleiden, sondern er mußte auch sehr reich sein und einen alten Namen haben. Daß Napoleon verlegen gewesen wäre, einen solchen Mann für Paulette zu finden, wird wohl jeder bezweifeln. In seiner Umgebung gab es deren genug. Er brauchte nur zu befehlen, und die Sprossen alter Adelshäuser Frankreichs wären glücklich gewesen, ihm gehorchen zu können. Ihm schien jedoch der italienische Graf Melzi d'Eril, den er selbst zum Vizepräsidenten der Italienischen Republik eingesetzt hatte, am würdigsten für seine Schwester. Und so ließ er ihm durch seinen Adjutanten Fontanelli im Jahre 1803 wegen dieser Heiratsangelegenheit vertraulich schreiben. Melzi aber, einer der angesehensten und vornehmsten Männer Italiens, schien keine Lust zu haben, in den Ehestand zu treten. Auch Paulette würde mit ihm kaum zufrieden gewesen sein. Er war ein Fünfziger, nie verheiratet gewesen und außerdem von der Gicht geplagt. Zum Glück für die junge Frau schlug er das verlockende Angebot aus.
Ein anderer italienischer Grandseigneur, diesmal aber ein junger, gefiel ihr weit besser. Sowohl sein Äußeres als auch der ahnenreiche Stammbaum, besonders aber sein ungeheurer Reichtum sagten ihr und auch Napoleon zu. Es war bei Joseph in Mortefontaine, daß Paulette den Fürsten Camillo Filippo Ludovico Borghese, Fürsten von Sulmona und Rossano, kennen lernte. Der diplomatische Agent des Großherzogs von Toskana, Angiolini di Serra, hatte ihn im Hause Josephs eingeführt, wo er selbst ein ständiger Gast war.
Fürst Camillo war ein Mann von 28 Jahren. Er hatte zwar bereits die jugendliche Geschmeidigkeit der Gestalt eingebüßt und neigte ein wenig zur Beleibtheit, aber sein Gesicht besaß die reine, edle Schönheit des Römers. Seine dunklen Augen sprühten. Das schwarze Haar glänzte wie Seide. In seinem Wesen lagen Vornehmheit und stolze Zurückhaltung; er verstand es, die Heißblütigkeit und Lebhaftigkeit des Südländers in Schranken zu halten. Obgleich er geringe Kenntnisse besaß, so war seine Unterhaltung doch nicht unangenehm. Er soll nicht einmal seine Muttersprache richtig schreiben gekonnt haben. In gewissen Pariser Kreisen galt er sogar für dumm und beschränkt. Nun, um Paulette zu gefallen, brauchte ein Mann nicht geistreich, nicht wissend zu sein!
Camillo Borghese hatte übrigens, außer seinen physischen Vorzügen noch viele andere Vorteile in die Waagschale zu werfen. Er besaß zwei Millionen Einkommen, war der Großneffe des Papstes Paul V. und führte in seinem Wappen eine Fürstenkrone! Ein Fürst war damals in der Familie Bonaparte noch nicht vorhanden. Paulette feierte daher mit dieser Eroberung keinen geringen Triumph über ihre Schwestern und Schwägerinnen, die einfach Frau Baciocchi, Frau Murat, Frau Louis Bonaparte usw. hießen. Daß sich Camillo in den Jahren 1796 und 1797 beim französischen Heere als tüchtiger Soldat ausgezeichnet hatte, wurde ihm obendrein hoch angeschrieben. Zu jener Zeit war er ein großer Bewunderer des Generals Bonaparte, und er rechnete es sich zur Ehre, daß er jetzt nicht allein die schönste Frau von Paris zur seinigen machen, sondern auch ein Mitglied dieser berühmten Familie werden durfte. Anfangs schien ihm sogar dieser Gedanke so ungeheuer, so unfaßbar, daß Angiolini an Joseph am 19. Juni 1803 schrieb: »Borghese war über den Plan mehr erschrocken als erstaunt, so ungeheuer erschien er ihm. Er glaubte nicht, daß er ernst gemeint sei.«
Camillo brauchte jedoch nicht lange, um sich zu besinnen. Auch bei ihm trug die Eitelkeit den Sieg über das Zögern davon. Paulette gefiel ihm, und einige Tage später war die Heirat entschieden. Mitte August, nach der Rückkehr des Ersten Konsuls von seiner Reise in Belgien, hielt der Gesandte Angiolini bei Napoleon um die Hand seiner Schwester für den Fürsten Borghese an, der dem Ersten Konsul bereits am 3. April 1803 in einer diplomatischen Audienz durch den Kardinal Caprara vorgestellt worden war. Napoleon sah diese Heirat nicht ungern, er wünschte jedoch, daß die Trauerzeit um den ersten Gatten von der jungen Witwe genau eingehalten würde, ehe sie eine neue Verbindung schloß. Die vorgeschriebene Trauer währte ein Jahr sechs Wochen. Nach Ablauf dieser Frist, also Ende Dezember 1803, sollte die Vermählung stattfinden. Borghese dankte dem Ersten Konsul für sein Vertrauen. »Fürst«, erwiderte Napoleon, »meine Schwester ist dazu bestimmt, einen Römer zu heiraten, denn sie ist selbst Römerin vom Scheitel bis zur Sohle!« Als Mitgift verschrieb er Paulette 500.000 Franken, so daß sie jetzt über ein Vermögen von 1,200.000 Franken zu verfügen hatte.
Sie war jedoch nicht die Frau, die in der Liebe lange entsagen konnte. Interessierte sie sich für einen Mann, so mußte er ihr ganz gehören. Vier Monate Braut sein, erschien ihr sehr langweilig! Da sie aber den Zorn Napoleons fürchtete, wenn sie sein Gebot überschritt und auch öffentliches Aufsehen vermeiden wollte, so ließ sie sich am 31. August 1803 heimlich im Hause Josephs in Mortefontaine trauen. Die ganze Familie wußte davon, nur der Erste Konsul nicht. Joseph, Lucien und Angiolini wohnten der Trauung Paulettes und Borgheses bei. Wahrscheinlich sprach der Kardinal Caprara, der großen Anteil an dem Zustandekommen dieser Heirat hatte, den Segen über das junge Paar.
Bald genug erfuhr Napoleon von dieser heimlichen Ehe. Er hatte im Oktober die Absicht, die Verlobung seiner Schwester Paulette durch ein großes Diner zu feiern, zu dem der Kurfürst von Württemberg, Fürst Tufiakin, die Gesandten Azara und Albert Litta gebeten waren. Da mußte man ihm nun beichten, daß Paulette und Camillo längst ein Paar waren. Napoleon war außer sich, daß man so hinter seinem Rücken verfahren war. Seine Mutter, seine Schwestern, seine Brüder, alle hatten sie ihn betrogen, sogar der ehrwürdige Kardinal Caprara! Aber zu ändern war an der Sache nichts. Er rächte sich auf seine Weise. Bei der bürgerlichen Trauung, die am 6. November wiederum in Mortefontaine stattfand, war er nicht zugegen. Er weilte seit drei Tagen in Boulogne-sur-Mer.
Die Fürstin Borghese war von den äußeren Umständen, die ihre Heirat mit sich brachten, sehr entzückt. Die größte Genugtuung empfand sie, daß sie jetzt über Josephine, die Frau Konsulin, triumphieren konnte. Paulette war Fürstin, Hoheit! Sie hatte die herrlichsten Diamanten in ganz Paris und konnte sich den größten Luxus gestatten. Als Brautgeschenk hatte Camillo ihr 45.000 Franken gegeben, damit sie sich kaufen konnte, was ihr gefiel. Aber das war nicht alles: Zu den kostbarsten Juwelen seiner Familie, die alle Pracht überstrahlten, die Paris je gesehen hatte, fügte er noch für ungefähr 70.000 Franken Schmuck hinzu. In Paulettes Schmuckkasten fanden sich die herrlichsten Edelsteine aller Art: Saphire, Rubinen, Smaragde, Perlen vom reinsten Wasser, Brillanten, antike Steine, Kameen, kurz, Geschmeide von anderthalb Millionen Wert! Die Kleider und Wäscheausstattung der Fürstin Borghese übertraf alles bisher Gesehene. Ihre Pferde, ihre Wagen, die Livree ihrer Dienerschaft machten Aufsehen in der kaiserlichen Hauptstadt.
Zu ihrem größten Leidwesen war es Paulette nicht lange vergönnt, auf diese Weise die Beauharnais zu ärgern. Es galt, sich der neuen Schwiegermama, der alten Fürstin Borghese in Rom vorzustellen, einer vornehmen, in altadligen Grundsätzen aufgewachsenen Dame, die Paulettes Ehe mit dem plebejischen General Leclerc als nicht vorhanden gewesen betrachtete. Die junge Frau schien zu diesem Besuch nicht viel Lust zu haben. Beständig mußte der Erste Konsul sie an die Abreise gemahnen. Es lag ihm ja so viel daran, daß der gute Ton und die feine Sitte der Familie Borghese gegenüber gewahrt wurden. Aus dem Lager von Boulogne schrieb er an Joseph: »Paulette teilt mir mit, daß ihre Vermählung bekannt gemacht worden ist, Und daß sie morgen nach Rom abreist. Es würde sich wohl schicken, daß Du oder Mama an die Mutter Borgheses schriebest, um ihr Paulette zu empfehlen. Ebenso wünsche ich, daß Du ihnen mitteilst, ich würde gern den Bruder Borgheses Francesco Aldobrandini-Borghese, später Brigadegeneral in französischen Diensten. als Offizier in meine Dienste nehmen, falls er die militärische Laufbahn einschlagen möchte.« Und damit die neue Fürstin Borghese keine Formenfehler in der neuen Gesellschaft beging, die sie in Rom kennen lernen würde, sorgte er dafür, daß sie vorher in Paris Tanz- und Anstandsstunden bei einem italienischen Tanzmeister nahm.
Aber Paulette hatte keine Eile, die Ewige Stadt mit ihrer vornehmen Ruhe und den herrlichen Kunstschätzen kennen zu lernen. Paris, das lustige, lebhafte Paris gefiel ihr viel besser, um so mehr, da sie ihren Gatten schon nicht mehr liebte. In Rom nur auf ihn angewiesen zu sein, nur in seiner Gesellschaft leben zu müssen, schien ihr unerträglich. Sie hatte sich in den körperlichen Eigenschaften Camillos getäuscht und verhehlte das keinem Menschen. Jeder, der es wissen wollte, konnte es aus ihrem Munde erfahren, daß der Fürst nur ein »Statist« in ihrer Ehe sei. Camillo fand sich übrigens mit Gleichmut in seine Rolle.
Napoleon aber hielt mehr als ein anderer auf die Wahrung des Anstandes und des äußeren Scheins. Er wünschte ausdrücklich, daß seine Schwester mit ihrem Mann nach Rom ginge. Sie ist für ihn jetzt nicht mehr die kleine Paulette, sondern die Fürstin Borghese oder Pauline. Das klingt ihm ernster, gesetzter. »Gnädige Frau Fürstin Borghese«, schrieb er ihr am 11. November 1803 wieder von Boulogne aus, »ich werde noch einige Zeit von Paris abwesend sein. Der Winter ist jedoch nahe. Bald werden die Alpen mit Schnee und Eis bedeckt sein. Reisen Sie daher so bald als möglich nach Rom. Zeichnen Sie sich dort durch Ihre Sanftmut, Ihre Höflichkeit gegen alle Welt und durch außerordentliche Zuvorkommenheit gegen die verwandten oder befreundeten Damen des Hauses Ihrer Mutter aus. Man erwartet von Ihnen mehr als von irgendeiner anderen. Unterrichten Sie sich vor allem über die Sitten des Landes. Verachten Sie niemals etwas. Sie müssen alles gut und schön finden und nicht etwa sagen: in Paris ist es besser. Beweisen Sie dem Heiligen Vater, den ich sehr liebe, große Hochachtung und Zuneigung. Durch seine einfachen Gewohnheiten ist er des Amtes würdig, das er inne hat. Von allem, was ich über Sie erfahre, wird mir die Nachricht am liebsten sein, zu hören, daß Sie gut sind. Die einzige Nation, die Sie nicht bei sieh empfangen dürfen, sind die Engländer, solange wir miteinander Krieg führen. Ja, Sie dürfen sie überhaupt nicht in Ihrer Gesellschaft aufnehmen. Lieben Sie Ihren Gatten, seien Sie das Glück Ihrer Familie, und seien Sie vor allen Dingen nicht leichtfertig und launisch. Sie sind vierundzwanzig Jahre alt und sollten infolgedessen reif und vernünftig sein. Ich liebe Sie und werde immer mit Vergnügen hören, daß Sie glücklich sind.«
Wie väterlich waren diese Worte! Und mehr als einmal noch mußte Napoleon die Rolle eines Vaters seiner Schwester gegenüber übernehmen.
Trotz aller väterlichen Ermahnungen aber konnte und wollte die junge Fürstin Borghese sich nicht in Rom eingewöhnen, das sie endlich sich entschlossen hatte, zu ihrem Wohnort zu wählen. Selbst die Anwesenheit ihrer Mutter, an der sie sehr hing, vermochte nicht viel über die Abneigung, die Pauline gegen die Stadt des Papstes hatte. Diese Frau, von der der Bruder behauptete, sie sei Römerin vom Scheitel bis zur Sohle, langweilte sich entsetzlich in der herrlichen Stadt. Und doch gab es in der ganzen Welt keinen edleren, keinen passenderen Rahmen als Rom für die antike Schönheit der Fürstin Borghese! In den Schlössern ihres Garten war Reichtum mit Geschmack und hohem Kunstverständnis vereint. Die Villa Borghese war wie geschaffen für Pauline. In weichen, wallenden Gewändern, die herrlichen Glieder kaum verhüllt, schwebte sie wie eine Göttin durch die fast klassischen Räume. Sie sah ihre eigene Schönheit in den griechischen Statuen wieder, an denen die Säle des Schlosses so reich sind. Hier hätte sich Pauline wohlfühlen müssen, wenn sie ein Verständnis für die Antike gehabt hätte. Ihr Sinn aber stand nach anderen Genüssen. Was galten ihr alle diese wundervollen Kunstschätze? Was galt es ihr, daß man sie in der Familie ihres Mannes verwöhnte? Sogar der Papst zeichnete die Fürstin Borghese auf alle mögliche Weise aus. In der ersten Audienz, die er ihr gewährte, empfing er sie in seinen Gemächern und nicht im Garten, wie das sonst für Damen von hohem Range Brauch war. Und beim Abschied schenkte Pius der Fürstin Pauline einen kostbaren Rosenkranz und eine wundervolle Kamee. Alle Leute ihrer Umgebung und Pauline selbst waren entzückt von der Liebenswürdigkeit des Heiligen Vaters. Kardinal Consalvi schrieb beglückt an den Kardinal Caprara, der, wie wir wissen, großen Anteil an dem Zustandekommen der Heirat Paulines mit Borghese hatte: »Ohne Übertreibung kann ich Eurer Eminenz mitteilen, daß der Papst über alle Begriffe zufrieden mit ihr gewesen ist. Und die Fürstin war es mit dem Papste.« Begeistert fährt der Kardinal dann fort zu beschreiben, daß Pius VII. auch von den äußeren Vorzügen der Fürstin angenehm überrascht gewesen sei. Er habe gesagt, der Familie Borghese könne kein größeres Glück widerfahren, als durch die Aufnahme dieser herrlichen Frau in ihrer Mitte!
Nun, in dieser Beziehung waren die Ansichten gewiß geteilt. Anfangs schienen die Borghese allerdings über Paulettes wahrhafte Anmut, Schönheit und Liebenswürdigkeit entzückt zu sein. Die Männerwelt, geistliche wie weltliche, lag ihr zu Füßen; die Frauen bewunderten sie, wenn auch nicht neidlos. Wenn sie gewollt hätte, würde sie sich bald alle Herzen erobert haben, denn die Gaben dazu besaß sie. Sie entfremdete sich jedoch bald dadurch den römischen Adel, daß sie bestrebt war, in Rom Pariser Sitten und Gewohnheiten einzuführen. Und so war Pauline bald allein. Sie sehnte sich fort aus der langweiligen Stadt, nach Frankreich, nach Paris, an den vornehmen Konsularhof ihres Bruders, wo ihre Schwestern eine Rolle spielten! Nur sie war davon ausgeschlossen! Nicht, daß Pauline ehrgeizig danach gestrebt hätte, auch eine der ersten Persönlichkeiten in Frankreich zu sein, nein, aber sie hätte gar zu gern in Paris als Königin der Mode den Ton angegeben. Napoleon gestattete ihr das nicht.
Um wenigstens für einige Zeit von Rom fern zu leben, schützte Pauline ihre Krankheit vor und zog von einem Badeort zum andern. Nirgends fand ihre Hysterie Heilung. Die immer zunehmenden Liebesabenteuer und Laster rieben ihre Gesundheit zusehends auf. Weder gutgemeinte Ratschläge der Ärzte noch die Anwesenheit der ehrwürdigen Mutter hielten Pauline ab, ihr aufreibendes Leben weiter zu führen.
In den Monaten Juli und August 1804 befand sich die Fürstin mit ihrer Mutter zur Kur in den Bädern von Lucca. Sie war sehr schwach, sehr krank und nervös. In diesem Zustand traf sie die erschütternde Nachricht vom Tode ihres einzigen Kindes. Der kleine sechsjährige Dermide, der Sohn Leclercs, war in Frascati am 14. August 1804 an epileptischen Krämpfen gestorben. So leichtfertig Paulette war, sie beklagte doch aufrichtig ihr Kind, was man auch Gegenteiliges darüber gesagt haben mag. Sie war doch Mutter und fühlte als solche! Freilich, wie alles bei ihr, währte auch dieser Schmerz nicht lange. Bald hatte sie ihren kleinen Dermide ganz vergessen. Da er, als er starb, noch nicht sieben Jahr alt war, trug sie auch keine Trauer. Sie haßte schwarze Kleidung und dachte noch mit Schrecken an die Zeit, da sie gezwungen war, ein ganzes Jahr lang um ihren ersten Mann zu trauern. Nur das Grabmal im Garten von Montgobert war ein stummer Zeuge, daß die schöne Paulette einen Sohn besessen hatte.
Sie vergaß ihr Kind ebenso, wie sie zu vergessen schien, daß sie verheiratet war. Fürst Borghese war nicht für sie da. Ihrer Meinung nach war er der Schuldige ihrer Seitensprünge. Hätte er nicht wissen müssen, daß sie einen anderen Mann brauchte als ihn? Warum hatte er sie denn mit seinem Äußern eines Adonis getäuscht? Jetzt mußte er sich nun mit der Rolle, die sie ihm zuteilte, zufrieden geben!
Der Tod Dermides verhalf Paulette endlich zu einer Reise nach Paris. Im Oktober 1804 erlaubte Napoleon seiner Schwester zu kommen. Sie benutzte die Gelegenheit, ihr Kind in Montgobert zu bestatten, weinte heiße, aufrichtige Tränen auf dem kleinen Grab und nahm schon am nächsten Tage an den Festen des neuen Kaiserhofes teil. So war Paulette. Sie konnte lachen und weinen zu gleicher Zeit!
Ihr sehnlichster Wunsch war, recht lange in der französischen Hauptstadt zu bleiben. Zum mindesten hatte sie Aussicht, wegen der nahen Krönung, bis Ende des Jahres zu verweilen. Das war wenigstens ein Trost. Sie konnte wieder einmal das Leben in vollen Zügen genießen. Aus den Ehren, die man ihr als Schwester des Kaisers erwies, machte sie sich nicht viel. Wie ihre Schwestern war auch sie zur kaiserlichen Prinzessin und Hoheit erhoben worden. Aber sie besaß nicht den Ehrgeiz Elisas und Karolines. Pauline trachtete weder für sich noch für ihren Gemahl nach Würden oder nach einem Thron. Sie fühlte sich groß genug als Königin in ihrer Schönheit, übrigens verlieh Napoleon auch dem Fürsten Borghese im März 1805 den Titel kaiserlicher Prinz. Im selben Jahre überließ der Kaiser seiner Schwester das reizende Schloß, den kleinen Trianon, zum Aufenthalt, wenn sie in Paris weilte. Hier hatte einst Frankreichs Königin Marie Antoinette ihre Liebesträume geträumt und erlebt; es war ganz für ein Leben geschaffen, wie es Prinzessin Pauline gewöhnt war. Sehr gern hätte sie für immer da gewohnt. Aber der eiserne Wille Napoleons wies ihr immer wieder ihren Platz an der Seite des verachteten Mannes an, mit dem sie nach Rom zurückkehren hatte müssen. Dennoch ließ sie nichts unversucht. In jedem Briefe an den Bruder kehrt die Bitte wieder, in Paris wohnen zu dürfen. Es half alles nichts; nicht einmal die List, daß ihr das Klima Roms nicht bekäme und sie beständig erkältet sei. Als es dem Kaiser schließlich zu bunt wurde und er von allen Seiten hörte, daß sich die Fürstin durchaus nicht in das römische Leben schicken wollte, schrieb er ihr strenge Briefe und ermahnte sie, ihren Mann glücklich zu machen.
Die kaiserlichen Drohungen nützten nichts. Für Pauline war es kein Glück, mit Camillo leben zu müssen. Eine große Erleichterung für sie war es, daß er bisweilen mit Napoleon in den Krieg mußte. Im Jahre 1805 hatte ihn der Kaiser zum Eskadronchef à la suite der Gardegrenadiere zu Pferd ernannt und ihm den Befehl erteilt, sich nach Boulogne zu begeben. Anfangs des nächsten Jahres war Borghese Oberst des 1. Karabinierregiments in Versailles. Dann kam der Krieg mit Preußen, und so war Pauline den ungeliebten Mann wieder auf einige Zeit los. Die Eheleute entfernten sich immer weiter voneinander.
Mit Paulines Gesundheit ging es immer mehr abwärts. Zu ihrer Nervenschwäche gesellte sich ein schleichendes Lungenleiden, dem sie später auch erlag. Schon im Juni 1805 schrieb Joseph an den Kaiser: »Ich habe Madame Borghese gesehen. Ihre Gesundheit ist sichtlich zerrüttet. Wie es scheint, ist ihre Lunge angegriffen.«
Ein wenig Abwechslung in das einförmige Leben brachte ihr endlich das Jahr 1806. Am 30. März hatte Napoleon seiner Schwester Pauline und Camillo, nachdem er sie zwei Jahre lang ganz außer acht gelassen, während er alle anderen mit Kronen bedachte, das Fürstentum Guastalla verliehen. Sie sollte es in »vollem Eigentum und voller Souveränität unter dem Namen einer Fürstin und Herzogin« genießen. Borghese erhielt dieselben Rechte darauf. In Wirklichkeit sah es aber in Guastalla gar nicht sehr fürstlich aus. Es war ein winziges Ländchen, angefüllt mit Bettlern und armen Dörfern. Deshalb behagte dieses Geschenk anfangs der Fürstin Borghese nicht sonderlich. Aber schließlich war es doch ein Thron, der auch Pauline wie ihren Schwestern gestattete, sich einen Hofstaat zu halten. Und das genügte ihr. Sie setzte ihn sogleich zusammen, und mancher glänzende Name, wie Clermont-Tonerre, de Champagny, de Chabaudouin, de Montbreton du Pré-Saint-Maure, war darin zu finden. Die Fürstin von Guastalla hatte jetzt einen Oberalmosenier, zwei Kapläne, eine Ehrendame, drei Gesellschaftsdamen, zwei Kammerherren, einen Stallmeister, einen Sekretär, einen Intendanten, eine Vorleserin, einen Leibarzt, einen Wundarzt, einen Apotheker, und später wurde dieser Hofstaat noch gewaltig vermehrt.
Mancher der Herren in Paulines Umgebung war ihr mehr als nur Höfling. So der stattliche Stallmeister, Herr de Montbreton. Seine Bewunderung für die Fürstin datierte noch aus der leichtlebigen Zeit des Direktoriums. Damals hatte er die Schwester des Generals Bonaparte zum erstenmal als Frau Leclerc während eines Balles gesehen, den Frau Permon veranstaltete. Sie war entzückend schön und verführerisch gewesen. Ein duftiges, fast durchsichtiges Seidengazekleid mit goldenen Weinranken bestickt, umhüllte ihre geschmeidigen Glieder. Ihr dunkles Haar war mit schmalen Tigerfellstreifen umwunden und ebenfalls mit goldenen Weinranken geschmückt. Paulette war die lieblichste Erscheinung des ganzen Festes. Kein Wunder, daß sich Herr von Montbreton sterblich in sie verliebte. Und er war nicht der einzige, dem sie an diesem Abend Herz und Sinne gefangen nahm. Der vornehme Casimir de Montrond, der der Geliebte so vieler schöner und berühmter Frauen gewesen war, den einst die reizende Julie Récamier, die überspannte Madame Hamelin und die wunderhübsche Lady Yarmouth bestrickt hatten, war wie geblendet von der Erscheinung Paulettes. Sie, die stets für Männerhuld empfänglich war, verschmähte Montronds heiße Liebesblicke nicht. Leider mußte er später die Gunst der schönen Frau bitter büßen. Etwa um das Jahr 1810 wurde er auf Befehl des Kaisers aus der Umgebung der Fürstin Pauline entfernt und mußte Frankreich verlassen; er hatte es nicht verstanden, sich seines Glückes in der Verschwiegenheit zu freuen, Napoleon liebte es nicht, wenn die Liebesabenteuer seiner Schwester an die große Glocke gehängt wurden. Die beiden Liebenden richteten es indes so ein, daß sie sich später öfter in Badeorten zufällig begegneten.
Noch weit weniger verschwiegen als Herr de Montrond erwies sich der junge italienische Komponist Blangini. Die Fürstin Borghese lernte den Maestro im Jahre 1807 in Paris kennen, als er bereits sehr in Mode war. Da sie meinte, eine sehr gute Stimme zu haben, obgleich auch sie, wie ihr Bruder Napoleon und ihre Schwester Karoline, keinen Ton richtig singen konnte, rief sie Blangini in ihre Nähe und ernannte ihn zu ihrem »Musikdirektor« mit 750 Franken Monatsgehalt! Er war ein hübscher junger Mann mit dunklen Künstlerlocken, das Urbild des Italieners. Ihm lag vor allem daran, hoch zu kommen. Und da ihm die Leiter des Ruhmes von so schönen Händen und einer so begehrenswerten Frau dargeboten wurde, griff er zu. Von diesem Augenblick an war er der ständige Begleiter der Fürstin. In seinen Memoiren hat er gewissenhaft dafür gesorgt, daß jede Einzelheit dieses Liebesromans der Fürstin Borghese der Nachwelt erhalten bleibe.
Alleinherrscher war aber auch Blangini nicht. Der Fürstin, die launisch war wie die Götter, gefiel um diese Zeit besonders einer ihrer jungen Kammerherren: der 28jährige Louis Nicolas Philippe Auguste de Forbin. Er war das ganze Gegenteil von dem geschwätzigen, beweglichen Blangini. Vornehm, wohlerzogen, ritterlich und verschwiegen, ein vollendeter Edelmann und Frauenkenner. Frau Junot kannte ihn gut. Sie sagt, er habe mit seinem hübschen Gesicht, seiner vornehmen Haltung und mit seiner edlen Sprache die Aufmerksamkeit aller auf sich gezogen. Paulette unterlag ganz und gar diesem Zauber Forbins. Sie liebte ihn sehr und schrieb ihm ebenso glühende Briefe wie einst an Fréron. »Du mußt mir Liebe mit Liebe vergelten«, sagte sie ihm. Das verhinderte sie aber keineswegs, diesen wahrhaften Edelmann mit dem weniger vornehmen Blangini zu betrügen, ebenso wie sie den Maestro mit Forbin betrog.
Forbin brauchte indes sein Verhältnis zu der ungetreuen schönen Frau nicht zu bereuen. Alle seine Schulden, die in der Tat ungeheuer waren, wurden bezahlt. Er besaß die herrlichsten Pferde, ein schönes Besitztum und dazu die Liebe Paulettes, wenn auch nicht ungeteilt! Ihre Briefe wenigstens konnten ihn glauben lassen, daß sie nur ihn allein liebte. In diesen Briefen zeigt sich Paulette wieder ganz als die Frau, die nur ihre Sinne sprechen läßt, der alles gleich ist, selbst ihre Gesundheit, wenn sie nur die Zärtlichkeiten des Geliebten genießen kann. Aus Gréoux schreibt sie ihm am 10. Juni 1807 einmal: »Bist Du nicht mein Gatte? Hat der meinige diesen süßen, heiligen Titel verdient? Nein, er hat ihn nicht verdient, denn sonst wärest Du nicht mein. Daher mußt Du mir Liebe mit Liebe vergelten, Vertrauen mit Vertrauen, und glauben, daß alles, was ich getan habe, nur zu unserm Wohle geschah. Ich habe darüber nachgedacht und bestehe mehr denn je darauf, daß alle, die uns umgeben, überzeugt werden müssen, es sei zu Ende zwischen uns. Auf diese Weise können wir ganz ruhig sein. Was würde sonst geschehen? Mein Arzt ist nämlich fest entschlossen, seinen Kopf aufzusetzen und zu gehen. Er ist es auch, der Herrn H. alles entdeckt hat. Nicht aus Schlechtigkeit, sondern aus Sorge um meine Gesundheit und aus Dummheit. Mama und mein Onkel (Fesch) wissen alles, denn Du kannst Dir nicht vorstellen, wie ich in Lyon gelitten, wie sehr ich geweint habe, daß man uns entdeckt hat ... Um aller Welt zu trotzen, müssen wir Opfer bringen und uns Entbehrungen auferlegen, wenn Du mich behalten willst. Ich werde Dir schreiben, wie Du Dich verhalten sollst. Aber Du mußt Dich fügen und glauben, daß ich mehr leide: als Du ... übrigens sind wir ja gezwungen, uns zu fügen, wenn mein Mann kommt. So greifen wir also nur ein wenig vor ...« Schon am selben Abend aber schrieb sie dem Geliebten von neuem. »Weder Handarbeiten noch Zerstreuungen können Dich einen Augenblick mir ersetzen. Madame ... hat Fieber, so daß ich mit dem Arzt und Isoard allein bin. Dieser ist auf die Bitte meines Onkels (Fesch) hierher gekommen. Er ist ein guter Junge, aber schrecklich dumm. Ich habe alles so angeordnet, daß Du hierher kommen und solange bleiben kannst, als ich hier bin. Madame Du(cluzel) ist auch hier, ebenso die Herren. Aber erschrick nicht: sie beschränken sich auf den Arzt und Herrn Isoard. Ich habe das eigens so eingerichtet, damit mein Herzensschatz kommen kann. Nur fürchte ich, die Hitze könnte Dir unangenehm sein. Ich aber werde trotz aller andern Personen, die sich hier befinden, nur Dich, Dich ganz allein sehen! Oh, wie wird mir die Einsamkeit gefallen, wenn Du hier bist! Möchte sie doch ewig währen! Aber wir werden uns ja niemals, niemals trennen! Mit ein wenig Vorsicht werden wir immer glücklich sein. Mit Ungeduld erwarte ich einen Brief von Dir. Schreibe mir, was Du tust. Bringe auch alles nötige zum malen mit, damit Du mir etwas Hübsches malen kannst. Meine kleine Hütte beginnt traulich zu werden. Ich lasse aus allen Gegenden Blumen kommen, denn ich will alles tun, damit mein Geliebter sich wohlfühle ...« Und wieder, wie einst an Fréron, nimmt sie die italienische Sprache zu Hilfe, um alle ihre Leidenschaft auszudrücken: »Addio, caro, sempre caro amico, amante caro, si ti amo ti amaro sempre; carcado veni ma mando.«
Paulette kostete ihre Liebesräusche meist in Badeorten, in Aix-les-Bains, Nizza, Gréoux, Plombières usw. aus, wo das strenge Auge des Kaisers nicht über sie wachte. Und da sie während des größten Teils des Jahres Kuren gebrauchte, so hatte sie genügend Abwechslung. Gewöhnlich führte sie mehrere ihrer Freunde mit sich. Forbin, Montbreton und Blangini mußten sich im Jahre 1807 in Aix und in Créaux in die Liebe der Fürstin teilen.
Der Fürst Borghese aber tröstete sich, auf seine Weise, und es scheint, daß er nicht allen Frauen so uninteressant war als der eigenen. Um die Regierung ihres Ländchens aber kümmerte sich weder der Fürst noch die Fürstin. Pauline eignete sich wenig zur Landesmutter; sie war weder eine Elisa noch eine Karoline; und Camillo hatte weder Interesse noch Fähigkeiten zum Regieren. Deshalb hatte Napoleon sich schon am 24. Mai 1806 entschlossen, das kleine Herzogtum Guastalla wieder an sich zu nehmen.
Nichtsdestoweniger ließ er seiner Schwester und seinem Schwager die Herzogstitel. Er entschädigte den Fürsten Borghese mit einigen Millionen und wies auch Pauline sechs Millionen auf den Staatsschatz des Königreichs Italien an. Hingegen zwang er seinen Schwager im Jahre 1807, ihm die herrliche Villa Borghese mit ihren unermeßlichen Kunstreichtümern für 12 Millionen zu verkaufen. Viele der Bilder und Statuen wurden darauf im Louvre untergebracht, doch Pauline bewohnte auch fernerhin die Villa.
Eine Genugtuung anderer Art wurde der Fürstin im Jahre 1807 zuteil. Der Bildhauer Canova verewigte ihre herrliche Schönheit in einer Statue der Venus. Er formte das Gipsmodell auf dem unverhüllten Körper Paulines, der nicht die kleinste Unregelmäßigkeit aufwies. Man sagt, Canova sei dabei bisweilen so verwirrt gewiesen, daß seine Hände zitterten. Paulette aber lachte, wenn sie den Künstler zögern sah. »Haben Sie Angst?« fragte sie ihn erstaunt. »Nein«, war die Antwort, »aber ich fürchte, mich in mein Modell zu verlieben.« Der Arme! Er war fünfzig Jahre alt und zählte infolgedessen in den Augen Paulines nicht als Mann! Dies beweist auch die deutliche Antwort, die sie einer Dame ihrer Umgebung gab, als diese sich »wunderte, wie sie so vollkommen entblößt vor dem Künstler habe dastehen können. »Oh«, erwiderte die Fürstin Borghese, »es war ja geheizt!«
Übrigens erweckte jene wundervolle Statue, in der sich der Bildhauer selbst übertroffen hat, zum erstenmal die Eifersucht des Fürsten Borghese. Da es nicht in seiner Macht stand, den lebenden Körper seiner Frau den neugierigen Blicken anderer zu entziehen, wollte er wenigstens ihr Ebenbild für sich allein behalten. Lange Zeit schmückte es sein Arbeitszimmer. Nur Auserlesene durften ab und zu die wundervollen Linien dieser kaum mit einem dünnen Schleier verhüllten Venus betrachten. Lebenswarm und bewunderungheischend liegt sie auf dem Ruhebett von Marmor. Siegesgewiß hält sie den Apfel in der Hand, den ihr Paris als der Schönsten der drei Grazien verlieh. Später, in Rom, wurde die Statue den Fremden öfters gezeigt. Aber schließlich wurde sie, wahrscheinlich weil sie allzuviel Ähnlichkeit mit der Fürstin aufwies, den Augen Profaner entzogen und in einem verborgenen Winkel der Villa Borghese aufbewahrt.
Während Pauline sich modellieren ließ, weilte Camillo im Felde. Nach dem Siege von Friedland aber wurde er nach Paris gesandt, um die Siegesnachricht zu überbringen. Als pflichtgetreuer Gatte gedachte er darauf seine Frau in Gréoux aufzusuchen, aber Paulette hatte es erfahren und keine Sehnsucht nach Camillo. Als er in Gréoux ankam, war sie bereits auf der Reise nach Nizza. Im Februar 1808 jedoch brachte ein Befehl des Kaisers das Scheinehepaar wieder zusammen. Der Skandal wurde Napoleon schließlich zu groß. Am 2. dieses Monats hatte er seinen Schwager zum Generalgouverneur von Piemont ernannt, und am 14. teilte er es dem Senat mit.
Als Residenz wurde dem Fürsten und der Fürstin Borghese Turin angewiesen. Dem Fürsten, der sich am Hofe in Paris befand, wurde vom Kaiser ausdrücklich befohlen, seine Frau in Nizza abzuholen und mit ihr nach Italien weiter zu reisen. Das war aber weder nach dem Geschmack Camillos noch nach dem Wunsche Paulettes. Seit dem Herbst 1807 hielt sie sich mit Blangini und Forbin an der Riviera auf und amüsierte sich köstlich. Sie hatte gar keine Lust, das freie, ungebundene Leben aufzugeben, das sie dort führte. Aber Napoleon litt keine Widerrede. Es hieß gehorchen. Anfang April 1808 verließ Camillo Paris; am 18. sollten beide von Nizza nach dem neuen Wohnort aufbrechen. Sobald Paulette von dem Befehl ihres Bruders Kenntnis erhielt, schrieb sie Brief um Brief an ihn, damit er ihr erlaube, in Nizza zu bleiben. Sie ließ nichts unversucht, um den Kaiser zu überzeugen, wie schädlich das Klima von Turin, das übrigens sehr gesund ist, für ihren Zustand sei. Umsonst! Napoleon bestand darauf, daß sie mit ihrem Gatten reiste. Er hatte erfahren, welch seltsames Leben seine Schwester in der Villa Vinaille führte, welche Zügellosigkeit in ihrer Umgebung herrschte, wie verschwenderisch sie auf der einen Seite und wie knausrig auf der anderen Seite sie lebte. Während sie den Kaffee und Zucker für ihren Haushalt abzählte und auf das mindeste beschränkte, ließ sie sich täglich aus Paris einen ganzen Wagen voll neuer Moden: Kleider, Hüte, Wäsche, Parfümerien, Spitzen, Bänder und allerlei Tand kommen. »Wenn ich das gewußt hätte«, sagte Napoleon später auf Sankt Helena, »so würde sie das gewiß nicht lange fortgesetzt haben, sondern ernstlich von mir ausgescholten worden sein. Aber so geht's; wenn man Kaiser ist, erfährt man nicht alles!«
Er wußte jedoch noch immer genug. Dafür sorgte schon seine geheime Polizei. Er kannte Paulines Leben sowohl in Italien als auch in den Badeorten und in Paris. Wenn er sie bisweilen gewähren ließ, so geschah es eben, weil er einsah, daß sie unverbesserlich war. Er wußte auch Bescheid über das wahre Leiden seiner Schwester. Als sie später bei ihm in Elba weilte, sagte er ihr oft, sie sei nur eingebildet krank. Allen in der Familie Bonaparte war es übrigens genau bekannt, woran die Fürstin Borghese litt. Sogar die jüngste Schwester, Karoline, schrieb an Lucien: »Was soll man tun? Sie (Pauline) lieben und sie lassen, wie sie ist, anstatt sie mit unnützen Ratschlägen zu ärgern und zu quälen, die sie ja doch entschlossen ist, nicht zu befolgen?« Das wußte gewiß auch Napoleon, daß seine Schwester niemals auf ihre Abenteuer verzichten würde, selbst nicht um den Preis ihrer Gesundheit! Daher drückte er ein Auge zu. Er wollte nicht sehen, wo er hätte sehen sollen. Nur wenn sie es gar zu toll trieb, sprach er ein Donnerwort. So im April 1808, als sie ihrem Gatten nach Turin folgen mußte.
Am 19. April war Paulette bereit, die Reise anzutreten. Ein solcher Umzug von einer Stadt zur anderen war jedoch keine Kleinigkeit für die Königin des Tandes. Sie brauchte sieben oder acht schwerbeladene Wagen, um alle die Kleider und Hüte, die tausend Kleinigkeiten, die zur Toilette einer eleganten Frau nötig sind, aus Nizza wegzubringen. Aber endlich kam man doch zu einem Ende, und die Fürstin erschien, fertig zur Reise, in einer entzückenden amarantroten Kaschmiramazone, die ihre schlanken Glieder eng umschloß. Dieses prächtige Reisekleid, das ganz mit Gold bestickt war, hatte der Pariser Modehändler Léger eigens für die Fürstin Borghese erfunden. Während der ganzen Reise zeigte Pauline sich sehr launisch. Sie schien nur darauf bedacht zu sein, ihre Umgebung zu quälen und zu ermüden. Napoleon hatte ihren geliebten Blangini aus der Liste der sie umgebenden Personen gestrichen, und das kränkte Paulette. Deshalb die üble Laune, übrigens folgte der »Musikdirektor« seiner Herrin trotz des kaiserlichen Verbotes später inkognito nach Turin. Im Schlosse Stupinigi spielte er ihr nach wie vor seine Kompositionen vor, bis er schließlich selbst das Weite suchte. Später wurde er an den lustigen Hof des Königs Jérôme von Westfalen berufen, und im Jahre 1816 verheiratete sich der einstige Geliebte der Fürstin Borghese.
Aber kehren wir zu ihr zurück. Sie setzte ihre Reise in kleinen Tagereisen fort, um sich nicht anzustrengen. Oft mußte sie in einer Chaise getragen werden, weil sie das Rütteln des Wagens nicht vertragen konnte. Der Fürst Borghese war ein sehr gutmütiger Mensch. Obgleich er seine Frau nicht mehr liebte, ließ er sich doch geduldig alle ihre Quälereien gefallen. Er brachte ihr die größte Achtung und Bereitwilligkeit entgegen, gleichsam als wollte er dadurch seinen Fehler wieder gutmachen, der darin bestand, daß Pauline ihn als Gatten für uninteressant befunden hatte.
Endlich war diese peinliche Reise überstanden. Man war in Racconiggi angekommen und im schönen Landhause des Königs von Sardinien abgestiegen. Während sich der Fürst und die Fürstin hier einen Tag aufhielten, brachten die Turiner Behörden ihnen ihre Huldigungen dar. Am 22. April hielt Pauline mit ihrem Gatten feierlichen Einzug in Turin.
Sie ließen sich anfangs im Palast Chablais nieder, den die Fürstin Borghese, Herzogin von Guastalla, jedoch viel zu klein zur Entfaltung ihres ungeheuren Reichtums fand. Hatte sich doch ihr Einkommen jetzt wieder um anderthalb Millionen vermehrt, denn das war die Summe, die Camillo als Gouverneur von Piemont zur Verfügung stand.
Pauline fühlte sich von vornherein unglücklich in Turin, wo man sie zwang, an der Seite des Mannes zu leben, den sie haßte. Sie zog sich daher bald nach Stupinigi zurück. Das einzige, woran sie in der neuen Umgebung vielleicht Gefallen fand, waren die abendlichen und sonntäglichen Empfänge, die sie als Gouverneurin veranstalten mußte. Bei diesen Gelegenheiten äfften Pauline und Camillo in geradezu lächerlicher Weise die Gebräuche des Kaiserhofes nach. Die Fürstin spielte dabei ihre Rolle glänzend, denn das Repräsentieren war sehr nach ihrem Sinn. Angetan mit den geschmackvollsten und kostbarsten Kleidern, konnte sie sich in ihrer ganzen Schönheit zeigen. Aber im allgemeinen langweilte sie sich entsetzlich in Turin. Und noch mehr langweilte sich der Herr Gouverneur. Er beschäftigte sich so wenig wie möglich mit der Regierung. Darin ähnelte er ganz seltsam dem Gatten Elisas. Wie Felix Baciocchi interessierten den Fürsten Borghese nur Paraden, Bälle und Feste, eine gute Tafel und besonders ein langes Schläfchen. Er war ebenso unfähig, sich auf irgendeine Weise geistig zu beschäftigen. Wie Pauline, nahm auch er nie ein Buch zur Hand. Einer einzigen Zeitung nur wurde die Ehre zuteil, vom Gouverneur von Turin gelesen zu werden – dem »Journal des Modes«!
Wie hätte Pauline, die selbst keinen Funken Geist besaß, sich mit einem solchen Manne nicht langweilen sollen? Und ein anderes Interesse flößte er ihr auch nicht ein. Da nun Blangini sie verlassen hatte, hielt sie es nicht mehr in Turin aus. Sie bat und bestürmte ihren Bruder Napoleon, er möchte ihr doch erlauben, die Bäder zu besuchen. Im Frühjahr 1808 war sie wirklich sehr krank. Sie nahm keine festen Speisen zu sich und nährte sich fast nur von Fleischbrühe. Und so ließ der Kaiser sich erweichen. Er gestattete ihr, daß sie die Bäder von Aosta gebrauche. Von Bayonne aus, als er mitten in der politischen Wirrnis mit Spanien stand, fand er noch Zeit, sich um die persönlichen Angelegenheiten seiner Schwester zu kümmern. Aber er ließ Pauline doch durchblicken, daß er wisse, was er von ihrem Krankheitszustand zu halten hätte. Am 26. Mai schrieb er ihr: »Es ist mir sehr unangenehm zu hören, daß Ihre Gesundheit zu wünschen übrig läßt. Ich hoffe jedoch, Sie sind enthaltsam, damit nicht etwa darin der Grund Ihres Krankseins zu suchen sei. Mit Vergnügen höre ich, daß Sie mit Ihrer Ehrendame und Ihren piemontesischen Damen zufrieden sind. Machen Sie sich beliebt. Seien Sie gegen jedermann liebenswürdig. Versuchen Sie immer gleichgelaunt zu sein, und machen Sie den Fürsten glücklich.«
Das wäre Paulette gewiß sehr schwer gefallen. Sie kümmerte sich gar nicht um die Ermahnungen des Bruders, sondern zog vor, sich zu amüsieren und ihre Gesundheit immer mehr zugrunde zu richten. Jetzt verlangte sie plötzlich nicht mehr nach Aosta, sondern nach Aix-les-Bains. Da Napoleon ihr das nicht gestattete, weil er nicht wünschte, daß die Frau Gouverneurin ihren Staat verließ, so nahm sie sich selbst die Erlaubnis und reiste nach Aix, glücklich, dem Gatten wieder einmal entronnen zu sein. Daß sie krank war, stand fest, nur nicht in dem Maße krank, wie sie es den Kaiser und ihre Familie glauben ließ. Alle aber unterlagen der Täuschung. Madame Mère eilte besorgt um das Leben ihres kranken Kindes nach Aix. Lucien klagte bereits um den nahen Verlust der Schwester. Nur Elisa, die Kluge, die selbst genug Frau war, um die Schliche ihres eigenen Geschlechts zu durchschauen, ließ sich nicht durch die Klagen Paulettes fangen. »Paulette hält uns zum Narren«, schrieb sie an Lucien; »ich sage, sie täuscht den Kaiser, denn ihre Krankheit besteht in nichts anderem als in dem Wunsche, nach Paris zu kommen.«
Das erreichte denn auch endlich die Fürstin Borghese. Nach der Badekur in Aix bezog sie in Paris ihr Haus im Faubourg Saint-Honoré und vierzehn Tage später das schöne Schloß Neuilly. Das machte Napoleon ihr zum Geschenk, als Murat, der es bis dahin mit Karoline bewohnt hatte, den neapolitanischen Thron bestieg. In Neuilly konnte Pauline ungezwungener und unbeobachteter leben als in unmittelbarer Nähe des Kaiserhofes. Denn daß sie ebenso wie ihre Schwestern nicht nach eigenem Ermessen die Gäste wählen durfte, die sie empfing, daraus machte sie sich gar nichts. Sie sah doch in ihrem Hause, wen sie wollte. Der Kaiser sorgte für ihren Unterhalt und setzte ihr, als er von Erfurt zurückkam, eine Rente von 60.000 Franken aus. Jetzt gestattete er seiner Schwester, immer in Paris zu leben. Im März 1809 erhöhte er Paulines Einkommen auf 130.000 Franken. Nun war endlich ihr Wunsch erfüllt. Sie durfte in Paris wohnen und war doch noch immer Herzogin von Guastalla und Gouverneurin von Piemont. Sie behielt ihren piemontesischen Hofstaat und ihr Gatte sein Einkommen als Gouverneur. Außerdem machte Napoleon auch ihnen, wie allen anderen Mitgliedern der Familie, unzählige Geldgeschenke.
Am meisten aber freute Pauline der große Sieg, den die Bonaparte über die Beauharnais davontrugen, denn auch die Fürstin Borghese hatte ihren Anteil an der Betreibung der Scheidung Napoleons von Josephine. Neben der Königin von Neapel war Pauline die eifrigste der Schwestern des Kaisers, ihm junge, hübsche Frauen ihrer Umgebung zuzuführen, die ihn bisweilen überzeugten, daß er nicht schuld war, wenn er keine Nachkommen hatte! Viele Zeitgenossen bestätigten, daß Pauline stets gern bereit gewesen sei, für Abwechslung in den Liebesangelegenheiten Napoleons zu sorgen. Sie tat es umso lieber, als sie damit gleichzeitig Josephine Kummer bereitete. Als daher endlich der Tag nahte, da Napoleon sich von der Frau scheiden ließ, die mit ihm von Stufe zu Stufe den Thron erklommen hatte, den nun eine junge Kaisertochter einnehmen sollte, da freute sich niemand mehr über die Niederlage der unglücklichen Josephine, als Pauline. Sie war nicht von den Tränen und der tiefen Traurigkeit der Kaiserin in jener schrecklichen Nacht vom 15. Dezember 1809 gerührt; sie freute sich nur über den Schmerz der Verstoßenen. Niemand als Pauline trug die Schleppe des Purpurmantels der jungen Erzherzogin am Hochzeitstage mit freudigerer Genugtuung. Marie Luise war ja nicht schön, nicht elegant, nicht kokett. Sie war für Pauline keine Rivalin! Eine solche Frau konnte sie, die Königin der Schönheit, am Hofe nicht verdrängen, und wenn sie zehnmal eine Kaisertochter und Kaiserin war. Und so schloß die Fürstin Borghese gnädig Freundschaft mit Marie Luise. Das gute Einvernehmen mit der neuen Kaiserin aber währte nicht lange. Bald gewannen Neid und Eifersucht bei Pauline die Oberhand. Sie merkte nur zu gut, daß alle Welt der Kaisertochter, der auf dem Throne Geborenen, huldigte, während Pauline, die nur im Reiche der Schönheit eine Krone trug, ein wenig ins Hintertreffen geriet. »Der Kaiserhof«, schreibt Fouché in seinen Erinnerungen, »verbesserte sich plötzlich vollkommen in seinen Gebräuchen, seinen Sitten und seinen Gewohnheiten. Alles wurde anders, steifer!«
Napoleon selbst ging durch strenge Aufrechterhaltung des Anstandes und durch die Beobachtung seiner Pflichten als Ehemann mit gutem Beispiel voran. Von diesem Augenblick an wurde es an dem freien, leichtlebigen Hofe Paulines immer einsamer. Und diese Frau, die alle Schwächen ihres Geschlechtes mit frauenhafter Anmut vereinte, betrachtete Marie Luise fortan als ihre glückliche Rivalin. Sie hegte einen tödlichen Abscheu gegen sie und haßte sie jetzt aus tiefstem Grunde ihres Herzens ebenso, wie sie Josephine gehaßt hatte.
Meist machte sich der Ärger der Fürstin Borghese über Marie Luise in kindischen Spöttereien Luft. Als Napoleon mit seiner jungen Gattin im Herbst 1811 Holland und Belgien bereist hatte, trafen sie auf der Rückreise mit Prinzessin Pauline in Brüssel zusammen. Sie hatte die Bäder von Aachen gebraucht. Bei einer Gelegenheit nun, da Marie Luise am Arme des Kaisers an der Prinzessin vorüberschritt, erlaubte Pauline sich hinter Marie Luises Rücken eine sehr unanständige Handbewegung zu machen, die gewöhnlich das Volk gebraucht, wenn es andeuten will, daß einer von den Eheleuten der Dumme, der Betrogene ist. Und dazu lachte die Fürstin Borghese höhnisch. Das alles hatte der Kaiser und auch die Kaiserin in einem Spiegel bemerkt. Am nächsten Tage ereilte Pauline das Geschick. Der Hof wurde ihr für einige Zeit untersagt, und es trat von diesem Augenblick an eine merkliche Spannung zwischen Napoleon und seiner Schwester ein, die es nicht verstanden hatte, seiner Gattin die gebührende Achtung entgegenzubringen. Paulette war eben immer noch die alte: spöttisch, kindisch und unüberlegt.
Die Strafe traf sie jedoch nicht zu hart. Sie unterhielt sich deswegen doch nicht schlechter, sondern verbrachte ihre Zeit mit allerlei Vergnügungen und Zerstreuungen teils in Bädern, teils in Neuilly. Immer nahm die Pflege ihrer Gesundheit einen großen Teil ihrer Zeit in Anspruch, und nicht zum wenigsten die Pflege ihres Körpers. Täglich badete sie sich in Milch. Ein Neger mußte sie ins Bad tragen und wieder herausheben. Als man ihr eines Tages zu verstehen gab, daß sich das für eine junge Frau nicht schicke, sagte sie harmlos: »Mein Gott, ein Neger ist doch kein Mann!« Sie fand auch nichts dabei, daß sie die Herren ihrer Umgebung empfing, wenn sie im Bad saß.
Um das Jahr 1810 schenkte die Fürstin Borghese ihre Gunst neben vielen anderen Bewunderern besonders einem Offizier aus dem Generalstab Berthiers. Er hieß Armand Jules de Canouville und hatte ein sehr angenehmes Äußere. Er war 25 Jahre alt und von altem Adel. Er war leichtsinnig und unbesonnen. Das gefiel Pauline. Dazu war der junge Mann ein verdienstvoller Offizier, den der Kaiser bereits mehrmals ausgezeichnet hatte.
Jules und Paulette liebten sich eine Zeitlang wirklich aufrichtig. Beide machten nicht im geringsten ein Hehl aus ihrer Verbindung, die man beinahe eine Ehe nennen konnte, denn Canouville weilte beständig bei der Geliebten. Es sind über diesen Liebesroman die köstlichsten Geschichten im Umlauf. Wie diese:
Eines Tages ließ die Fürstin Borghese den Zahnarzt Bousquet zu sich nach Neuilly rufen. Er sollte ihr einen Zahn ausziehen. Bousquet kam und wurde in das Boudoir der Fürstin geführt. Er fand Pauline in Gesellschaft eines jungen, vornehmen Mannes, der in elegantem Hausrock nachlässig auf einem Diwan lag. Er empfahl dem Zahnarzt die größte Vorsicht und die zarteste Behandlung der Fürstin. Und als Pauline sich ängstlich sträubte, beruhigte er sie zärtlich und sagte, sie solle vernünftig sein und sich den bösen Zahn ziehen lassen, der sie beide schon drei Nächte lang verhindert habe, ein Auge zuzutun. Und so ward die kleine Operation glücklich vollbracht. Befriedigt verließ Bousquet seine hohe Kranke.
Als er in das Vorzimmer trat, wurde er sogleich von den anwesenden Damen und Herren umringt. Sie alle wollten wissen, wie sich ihre Kaiserliche Hoheit, die Frau Fürstin Borghese, befände. Bousquet gab Bescheid und war äußerst entzückt von der zärtlichen Fürsorge, mit der der Fürst Borghese seine Gemahlin umgebe. Er konnte nicht Worte des Lobes genug finden, wie besorgt und liebevoll sich der hohe Herr um seine Frau gezeigt habe. Ja, er wolle es in der ganzen Stadt erzählen, fügte Bousquet hinzu, welch glückliche Ehe das Fürstenpaar führe. Alle Anwesenden mußten an sich halten, um nicht laut zu lachen, denn jeder wußte, daß der Fürst Borghese schon lange nicht mehr den Vorzug hatte, sich im Boudoir seiner Frau zu befinden, sondern daß ihm sogar bisweilen die Türen des Schlosses Neuilly verschlossen waren. Die Damen und Herren wußten ja, daß Jules de Canouville augenblicklich der Glücklichste der Sterblichen war.
Zum Glück für Paulette und den leichtsinnigen jungen Mann kam das Gerücht von dieser Geschichte nicht zu Ohren des Kaisers. So lange die Fürstin Borghese ihre Liebesgeschichten geheim hielt, sagte Napoleon nichts, sondern tat, als wüßte er davon nichts. Sobald er jedoch merkte, daß sie öffentliches Aufsehen erregten, ließ er es die Beteiligten hart empfinden. Und mehr wie ein Freund Paulines war bereits auf Befehl des Kaisers aus der Nähe der schönen Frau entfernt worden. Dieses Schicksal traf auch schließlich Herrn de Canouville, der eine Unbedachtsamkeit beging.
Als der Kaiser im Jahre 1808 aus Erfurt nach Paris zurückgekehrt war, hatte er drei prachtvolle Zobelpelze mitgebracht, die der Zar Alexander ihm damals als Zeichen seiner Freundschaft zum Geschenk gemacht hatte. Einen von diesen Pelzen gab Napoleon seiner Schwester Pauline. Sie war sehr glücklich darüber und zeigte ihn bei jeder Gelegenheit ihren Gästen, denn russische Pelze waren damals für die Franzosen eine Seltenheit. Anfang des Jahres 1811 beglückte sie ihren Geliebten, Jules de Canouville, mit dem kostbaren Kleidungsstück. Jules ließ sich nach dem Vorbild des Königs Murat von Neapel, der seine Uniform oft mit dem prächtigsten Pelzwerk verbrämte, seinen Dolman mit dem Zobel der Fürstin Borghese besetzen. Bei der nächsten großen Truppenschau glänzte Canouville selbstverständlich in der neuen Uniform. Das war sein Verhängnis! Unglücklicherweise ritt er ein sehr unruhiges Pferd, das ihn unbeabsichtigterweise in allzu große Nähe des Kaisers brachte. Frau Junot behauptete sogar, Canouvilles Pferd sei mit dem Schimmel Napoleons zusammengestoßen. Kurz und gut, der Kaiser wurde auf den jungen Offizier in dem schönen pelzverbrämten Dolman aufmerksam. Er erkannte gleichzeitig Mann und Rock und wußte nur zu gut, woher der letzte stammte. Der Kammerdiener Constant berichtet, Napoleon habe zu dem unvorsichtigen Offizier gesagt: »Herr de Canouville, Ihr Pferd ist jung, es hat zu heißes Blut. Sie werden es ein wenig in Rußland abkühlen!« Constant aber läßt hier seiner Phantasie etwas freien Lauf. Der Krieg mit Rußland war um jene Zeit noch nicht entschieden. Herr de Canouville wurde noch nicht nach Rußland geschickt, mußte jedoch am gleichen Abend mit Depeschen des Kriegsministers nach Spanien zum Marschall Masséna abreisen.
Pauline glaubte ihrem Geliebten sogleich einen Nachfolger geben zu müssen. Wieder fielen ihre Blicke auf den Generalstab Berthiers. Diesmal hieß der Erwählte Achille Tourteau de Septeuil und war 23 Jahre alt. Aber zum erstenmal in ihrem Leben stieß die Fürstin Borghese auf Widerstand. Herr de Septeuil liebte eine andere reizende Frau, eine der Hofdamen Paulines. Er hatte keinen Grund, seine Freundin mit einer anderen zu betrügen, und war sie auch die schönste der Prinzessinnen des Kaiserhofes! Da aber sann Pauline auf Rache. Konnte sie den Spröden nicht für sich haben, so wollte sie ihn wenigstens nicht der anderen gönnen. Herr de Septeuil wurde auf ihre Veranlassung ebenfalls nach Spanien zu seinem Regiment gesandt. Dort hatte er nicht allein Zeit, sich zu überlegen, daß mit großen Damen nicht gut Kirschenessen ist, sondern bald darauf traf ihn ein großes Unglück. Der Arme wurde am 11. Mai 1811 im Gefecht von Fuentes-de-Onore in Portugal von einer Kugel getroffen. Es mußte ihm ein Bein abgenommen werden.
Inzwischen war Herr de Canouville wieder aus Spanien zurückgekehrt. Seine Anwesenheit in Paris wurde jedoch seit jener verhängnisvollen Parade nicht gern gesehen. Napoleon beauftragte ihn noch öfters mit Depeschen zu Masséna, so daß Canouville beständig zwischen Frankreich und Spanien auf der Reise war. Während der kurzen Augenblicke in Paris tröstete ihn dann Pauline immer mit ihrer Liebe über die Ungnade des Kaisers hinweg. Sie selbst fand, wenn der Geliebte abwesend war, in Herrn de Montrond Ersatz, mit dem sie in Spa das alte Liebesidyll von neuem begann. Montrond war zwar nicht mehr jung, aber er kannte die Frauen und besonders solche wie Pauline.
Ende des Jahres 1811 kam Canouville endlich wieder vollkommen zu Ehren. Wie zuvor behandelte die Fürstin Borghese ihr Verhältnis zu dem jungen Offizier ganz öffentlich. Er lebte beinahe mit ihr in Neuilly. Zu Bällen und Festlichkeiten war er stets ihr Haupttänzer und immer an ihrer Seite. Er spielte den Herrn, den Gebieter, der über alle Handlungen Paulines zu verfügen hatte. Das öffentliche Ärgernis hatte seinen höchsten Grad erreicht. Dem Kaiser riß schließlich die Geduld. Und so schrieb er energisch an den Marschall Berthier, dessen Adjutant Canouville war: »Geben Sie dem Eskadronchef Canouville Befehl, noch heute vor neun Uhr morgens abzureisen. Er soll sich nach Danzig begeben. Dort wird er im 2. Jägerregiment als Eskadronchef verwendet. Sie schicken ihm sein Patent, das Sie sich vom Kriegsminister geben lassen, nach Wesel ... Raten Sie ihm, daß er nicht wieder ohne Ihren Befehl nach Paris zurückkehre, nicht einmal dann, wenn er die Erlaubnis vom Kriegsminister hätte.«
Leichtsinnig wie Pauline war, verschmerzte sie diesen Verlust leicht. Es fehlte ihr ja nicht an Zerstreuungen, sei es in ihren eigenen Schlössern, sei es am Hofe Napoleons, wo sie wieder bei jedem Feste zugegen war. Der Geliebte aber schied traurig von ihr. Er ahnte, was ihm bevorstand. Als der Krieg mit Rußland bald darauf entschieden war, mußte auch Canouville mit ausrücken. Dort trösteten ihn nur die zärtlichen Briefe Paulines. Alle vierzehn Tage schickte sie ihm einen Boten, der sich mit eigenen Augen von dem Befinden des Geliebten überzeugen mußte. Bald sollte sie den letzten Gruß des jungen Offiziers empfangen. Während die Fürstin sich zur Kur in Aix befand, überraschte sie am 27. September 1812 die Nachricht vom Tode Jules. In der glorreichen Schlacht an der Moskwa hatte ihm eine mörderische Kugel den Kopf buchstäblich vom Rumpfe gerissen. Als man den Leichnam aufhob, fand man auf seiner Brust ein kleines Bild Paulines, die er so sehr geliebt und die ihn bereits längst mit einem andern betrogen hatte.
Dieser andere, der einzige Geliebte Paulines, von dessen Beziehungen zu ihr kein Mensch etwas ahnte, war der berühmteste Tragöde des Kaiserreichs. Es war Talma, der göttliche Talma! Erst die neueste Forschung hat jene Idylle in verstaubten, längst vergessenen Briefen entdeckt. Diese Beweise einer leidenschaftlichen Liebe soll der berühmte Schauspieler im Jahre 1812 an die schöne Fürstin Borghese in der größten Verschwiegenheit durch Vermittlung ihres Haushofmeisters Ferrand geschrieben haben. Der Inhalt läßt nicht daran zweifeln, an wen sie gerichtet sind, wenn auch Paulines Name nicht genannt wird. Nur ein Bedenken könnte man über ihre Echtheit hegen. Diese Briefe, deren Entdeckung wir dem Franzosen Hector Fleischmann verdanken, sind nicht die Original, sondern die Abschriften von Entwürfen, die Talma machte, ehe er seine Liebesepistel ins reine schrieb. Die Abschriften rühren aus der Feder der Gattin des Dichters Lebrun her, mit dem Talma sehr befreundet war. Sie bewahrte sie sorgfältig auf. Es fragt sich hierbei nur, ob man es nicht mit einer Fälschung zu tun hat, die Frau Lebrun aus irgendeinem Grunde ungenützt gelassen hat.
Andererseits konnte Talma, jenes Gemisch von übergroßer Empfindsamkeit, melancholischer Einbildungskraft, wilder, zügelloser Leidenschaft und Begeisterung, sehr wohl solche Briefe geschrieben haben. Und die Fürstin Borghese war ganz die Frau, der man in ihrer unvergleichlichen Schönheit und Anmut eine solch anbetende Verehrung und Liebe entgegenbringen konnte. Einer seiner Biographen sagte von ihm: »Fraget die Frauen, deren Liebe bisweilen seine freien Augenblicke entzückte oder die sein Herz besaßen, fraget sie, ob er zu lieben verstand!« Wenn Talma wirklich der Verfasser jener Liebesbriefe an die Fürstin Pauline gewesen ist, dann verstand er es meisterhaft, den Frauen die heiße Flamme der Leidenschaft ins Herz zu brennen. Er verzehrt sich in Liebessehnsucht nach der Geliebten, wenn er fern von ihr ist. Nur sie, sie allein vermag ihm Glück zu geben. Wenn ihre weichen Arme ihn umschlingen, wenn ihre Lippen auf seinem Mund ruhen, nur dann ist er vollkommen wunschlos. So schrieb er ihr, als er sie im Herbst 1812 in Aix verlassen mußte, um sich auf eine Gastspielreise zu begeben, am 18. September von Genf aus: »Teure Freundin, die Genfer überschütten mich mit Auszeichnungen. In den vier Tagen, die ich hier verweile, hat man nicht aufgehört, mich von allen Seiten mit Besuchen und Einladungen zu verfolgen. Ich entziehe mich jedoch so viel ich kann der Gesellschaft; sie trägt nur dazu bei, meinen Trennungsschmerz zu vergrößern. Ich möchte allein mit meiner Trauer und durch nichts in ihr gestört sein. Ach! könnte ich doch vollkommen abgesondert leben, um mich ganz der Erinnerung an jene glücklichen Tage hinzugeben, die ich bei Dir verbrachte! Könnte ich doch ganz allein an die Zärtlichkeiten denken, die Du mir gabest, und mich meinen Klagen und meinem Schmerze überlassen! Niemals werde ich den Augenblick vergessen, als ich von Dir ging, jenen Augenblick, in dem Du die grausamste Trennung durch die zärtlichsten Liebkosungen und festesten Versprechungen versüßt hast. Oh, meine Freundin, was hast Du doch für ein empfindsames und gutes Herz! ... Lebe wohl, Freundin meines Herzens. Denke immer, was sich auch ereignen mag, welche Gefühle Du mir auch in Zukunft in Deinem Herzen bewahren magst, daß meine Liebe für Dich erst mit meinem Tod zu Ende ist! Lebe wohl, Du, geliebte Freundin, Vielgeliebte meines Herzens! ... Welche Frau, oder vielmehr, welch himmlisches Wesen bist Du doch! Welche Macht übst Du auf mich aus? Meine Freundin, ich lebe nur für Dich; mir ist es, als wohntest Du in mir selbst, als wärest Du meines Lebens Inhalt. All mein Denken und Sein gehört Dir, meine Geliebte, und zwar in einem solchen Grade, daß, wenn Du jetzt Deine Hand von mir zögest, es mir schiene, als ob alles Leben mich verließe!«
Hat wirklich ein vertrautes Verhältnis zwischen Talma und der Fürstin Borghese bestanden, so rührt die nähere Bekanntschaft der beiden zweifellos aus dem Monat Juli des Jahres 1812 her, als Pauline sich in Aix-les-Bains befand, wo auch Letizia, der ehemalige König von Holland, Désirée Bernadotte, die Königin Julie von Spanien und die Kaiserin Josephine anwesend waren. Talma war damals für kurze Zeit von Chambéry, wo er ein Gastspiel gegeben hatte, nach Aix gekommen. Einige Zeit später ließ er sich ebenfalls zur Kur bis zum September in dem Badeort nieder. Die Fürstin Borghese langweilte sich schrecklich in Aix. Unter dem Vorwand, daß Talma ihr aus den Werken Molières vorlesen sollte, um sie zu zerstreuen, zog sie den berühmten Schauspieler in ihren Kreis. Es fiel ihr sicherlich nicht schwer, ihn mit ihren Reizen mitten ins Herz zu treffen. Niemand aber von der Umgebung der Fürstin merkte diesmal etwas von der neuen Liebesgeschichte. Nur ganz schwache Andeutungen von Zeitgenossen lassen darauf schließen, daß man manches ahnte. Ganz gegen ihre Gewohnheit bewahrte Pauline über die Liebe zu Talma das tiefste Schweigen. Und wenn sie wirklich, als der Geliebte im September 1812 von ihr schied, Briefe von ihm erhalten hat, so muß sie diese sorgfältig vernichtet haben, wie er das jedenfalls auch mit den ihrigen getan hat. Mit Beginn des Jahres 1813 nahm übrigens auch dieser Roman Paulines ein Ende, wie alle.
Während ihres Aufenthaltes in Aix war sie sehr leidend. Sie lag fast immer auf einem Ruhebett, und wenn sie ausging, ließ sie sich in einer Sänfte tragen. Dennoch gab sie Feste, und in ihrem kleinen Salon war stets eine auserlesene Gesellschaft versammelt. Auch Forbin war wieder in ihrer Nähe, aber sein Stern war im Verbleichen begriffen. Ein anderer blitzte neben Talmas Stern und kam zur vollen Anerkennung, als der Schauspieler Aix den Rücken gekehrt hatte. Es war ein Ordonnanzoffizier des Kaisers, Auguste Duchand. Er hatte bei der Belagerung von Valenzia eine schwere Wunde erhalten und befand sich gegen Ende 1812 auf Urlaub und zur Heilung in Aix. Natürlich wurde er mit der Prinzessin Pauline bekannt. Duchand war, wie alle Männer, sofort von ihrer Schönheit und Liebenswürdigkeit entflammt und machte kein Hehl aus seiner Bewunderung. Pauline nahm die Huldigungen Duchands an, ohne indes jene heiße Leidenschaft für ihn zu empfinden, die sie ihm im Jahre 1814 in ihren Briefen von Elba bewies. Nach und nach wurde es leer und einsam um sie in Aix. Talma war fort, Madame Mère kehrte nach Paris zurück, ebenso der Kardinal Fesch und die Königin Julie. Nur Josephine weilte noch dort, und aus der machte Pauline sich gar nichts. Duchand war fast noch der einzige, der ihr Gesellschaft zu leisten vermochte. Sie genügte ihr jedoch damals nicht ausschließlich. Daher rüstete auch sie sich zur Abreise. Die Ärzte hatten ihr den Süden verordnet, und so begab Pauline sich nach Hyères. Dort traf sie am 3. Dezember ein. Sie war furchtbar krank. Ihre Kräfte verließen sie von Tag zu Tag mehr. Der Leibarzt Dr. Peyre war beständig um sie, vermochte ihr indes nicht zu helfen.
Auch das nächste Jahr, 1813, verbrachte sie zum großen Teil in den Bädern Hyères, Nizza und Gréoux. Vergebens suchte sie Heilung; ihre Hysterie verschlimmerte sich immer mehr. Pauline war indes durchaus nicht, wie behauptet wird, um diese Zeit vom Hofe verbannt oder in Ungnade. Ihr gutes Herz siegte gerade jetzt wieder über all ihren Leichtsinn. Kurz vor der für Napoleon verhängnisvollen Schlacht von Leipzig bot sie in einem Brief vom 13. Oktober dem Bruder ihren Beistand und ihr Vermögen an. Napoleon antwortete ihr dankbar aber vorläufig ablehnend am 25. Oktober aus Gotha: »Meine Schwester, ich habe Ihren Brief vom 13. Oktober erhalten. Meine Ausgaben sind dieses Jahr sehr groß gewesen und werden im nächsten noch bedeutender sein. Ich nehme das Geschenk an, das Sie mir machen wollen. Der gute Wille meines Volkes und die mir daraus erstehenden Hilfsquellen sind jedoch derart, daß ich genügend Mittel zu haben glaube, um den ungeheuren Ausgaben, welche die Feldzüge von 1814 und 1815 erfordern werden, die Stirn zu bieten, was sich auch ereignen mag. Wenn sich aber die Koalition Europas gegen Frankreich noch über diese Zeit hinaus erstrecken, und wenn ich nicht die Erfolge erzielt haben sollte, die ich von dem Mute und der Vaterlandsliebe der Franzosen ein Recht hatte zu erwarten, dann werde ich von Ihrem Geschenk und von den Gaben meiner Untertanen Gebrauch machen.« Napoleon ahnte nicht, welches große Unglück ihm im nächsten Jahre bevorstand, ja, daß es überhaupt mit seiner ganzen Macht vorbei sein würde. Während die Verbündeten der französischen Grenze immer näher kamen und schließlich in Frankreich eindrangen, um Rechenschaft von ihm zu fordern für all das Leid, das er durch seine Kriege über ihre Länder gebracht hatte, befand sich die Fürstin Borghese in Luc, im Departement Var. Dort bewohnte sie die Villa Bouillidou eines Herrn Charles, Abgeordneten in der Gesetzgebenden Körperschaft. Wohl zum erstenmal in ihrem Leben hatte Pauline keinen Geliebten in ihrer Nähe. Duchand war im Kriege; er hatte sich schon bei Bautzen und Leipzig rühmlich ausgezeichnet, so daß der Kaiser ihn zum Grafen ernannte. Auch im Feldzug von 1814 leistete er Napoleon gute Dienste. Der Fürstin Borghese freilich wäre es lieber gewesen, er wäre bei ihr gewesen. Sie war einsam, traurig und gereizt. Aber sie lebte jetzt doch etwas vernünftiger als sonst. Sie gab weniger Gesellschaften und stürmte weniger auf ihre Gesundheit ein. Von den Ereignissen, die sich auf den Schlachtfeldern in Frankreich abspielten, wußte sie nichts. Man hielt jede beunruhigende Nachricht von ihr fern, um sie nicht aufzuregen. Einzig und allein mit ihrem Körper, ihrem Putz und ihren Heilmitteln beschäftigt, kümmerte sich die Fürstin wenig um die Politik ihres Bruders. Nur die Nachricht von dem Eintreffen des freigelassenen Papstes in Nizza, am 10. Februar 1814, hatte man ihr nicht verschweigen können. Sobald sie wußte, daß Pius VII., der sie einst in Rom so ausgezeichnet hatte, in Nizza weilte, erbat sie eine Audienz. Sie wurde mehrmals in langen Unterredungen von ihm außerordentlich liebenswürdig und gütig empfangen, worüber sie sehr entzückt war. Die Huldigungen des greisen Mannes und seiner Kardinäle taten der Einsamen wohl. Zum erstenmal vielleicht fühlte Pauline, daß die Macht ihrer Schönheit im Schwinden begriffen war. Ihr Gesicht war totenfahl und ihre Gestalt so mager, daß der Kardinal Pacca, der sie einige Wochen später besuchte, kaum in ihr die schöne Frau von ehedem wiedererkannte.
Eine solche Entdeckung mußte für eine Frau wie Pauline grausam sein. Sie fürchtete sich vor dem Alter, vor dem Verblühen ihrer Reize, denn sie wußte genau, daß nur sie ihr Macht verliehen. Arme Paulette! Sie verstand nicht, mit Anstand zum Alter überzugehen, sondern klammerte sich krampfhaft an die letzten Überreste ihrer schwindenden Jugend. Um die Erhaltung ihrer Schönheit drehte sich alle ihre Sorge.
Und während Pauline in Luc ängstlich mit der Pflege ihres Körpers und ihrer Gesundheit beschäftigt war, fiel in Paris ein Thron in Trümmer und begrub alle Größe und Macht ihrer Familie unter sich. Dem Kaiser, ihrem Bruder, wurde eine winzige Insel zur Herrschaft angewiesen. Die Seinigen mußten aus Frankreich flüchten und in fremden Ländern Schutz und Zuflucht suchen. Napoleon selbst mußte sich, um der Wut des südfranzösischen Pöbels zu entgehen, einen österreichischen Uniformrock anziehen und in dieser Verkleidung seine Reise nach dem Hafen fortsetzen, wo ihn ein Schiff erwartete, das ihn sicher nach der Insel Elba bringen sollte.
Von alledem erfuhr die Fürstin Borghese in Luc durch ihren Schwager, Felix Baciocchi. Er schlug ihr vor, mit ihm nach Rom zu gehen. Da antwortete Pauline ihm edelmütig am 21. April: »Da der Kaiser hier durchkommt, will ich ihn sehen und ihm meinen Trost spenden. Und wenn er es annimmt, so folge ich ihm in die Verbannung und werde ihn nie verlassen. Verwehrt er es mir, so gehe ich nach Neapel zum König Murat. Ich habe den Kaiser als Herrscher nicht geliebt; als Bruder aber war ich ihm immer zugetan, und ich werde ihm bis in den Tod treu bleiben!« Was sie versprach, das hielt sie.
Am 26. trat plötzlich ein Bote in ihr Haus und verkündete ihr des Kaisers Ankunft in Luc. Wenige Augenblicke später erschien aber auch schon Napoleon selbst vor Pauline. Als sie ihn in der erwähnten Verkleidung erblickte, soll sie trotz ihres Schmerzes über sein namenloses Unglück ausgerufen haben: »In diesem Anzug kann ich Sie nicht umarmen!« Erst als der Kaiser seine grüne Uniform wieder anhatte, küßte sie ihn und bedeckte seine Hände mit heißen Tränen. Bei diesem Wiedersehen zeigte sich Paulines Gutmütigkeit und Selbstlosigkeit im glänzendsten Lichte. Ihr war die berechnende Politik Elisas und Karolines fremd. Sie überlegte und erwog nicht ihre Vorteile, sondern handelte, wie das Herz es ihr gebot. Obgleich sie krank und elend war, obgleich sie der sorgfältigsten Pflege bedurfte, war es ihr erster Gedanke, dem entthronten Bruder in die Verbannung zu folgen. Diese uneigennützige Handlung einer Schwester, noch dazu einer Frau, die die Abwechselung des Lebens liebte, hat man sich nicht gescheut, auf die schändlichste Weise auszulegen. Man sah darin einen neuen Beweis für Napoleons und Paulines Inzest! Und doch scheint nichts natürlicher, als daß eine Schwester ihrem Bruder das Unglück, das ihn betroffen, tragen hilft. Die Fürstin Borghese folgte einer ganz natürlichen Eingebung ihres guten Charakters. Gerade Gutmütigkeit findet man oft bei sonst leichtfertigen und oberflächlichen Menschen. Pauline verließ noch an demselben Abend, an dem ihr Bruder eingetroffen war, die Villa Bouillidou, um sie ihm zum Obdach zu überlassen, damit er wenigstens einmal wieder ruhig schlafen konnte und sich nicht vor dem aufgeregten Volke zu ängstigen brauchte. Aber Napoleon verbrachte auch hier eine sehr bewegte Nacht.
Seine Schwester hatte sich währenddessen nach der Besitzung Rayol bei Muy zurückgezogen, die einem Bekannten, Herrn Savournin, gehörte. Hier war sie dem Hafen näher, wo sie sich nach Elba einzuschiffen gedachte. Sie kehrte jedoch nochmals nach Luc zurück und traf dort mit Duchand, dem Geliebten aus Aix, zusammen. Vierzehn glückliche Tage verbrachte sie an seiner Seite. Am 15. Mai war sie von neuem allein. Jetzt aber empfand sie keine Langeweile, denn die Vorbereitungen zu ihrer Reise nach Elba nahmen ihre ganze Zeit in Anspruch.
Am 1. Juni 1814 begab die Fürstin Borghese sich zum erstenmal nach Porto Ferraio. Vorher war sie bei Murat in Neapel gewesen, um von ihm dem Kaiser auf Elba Nachrichten zu überbringen. Sie blieb jedoch damals nur eine Nacht auf der Insel. Und es ist bis jetzt in der Geschichte noch nicht aufgeklärt, welcher Zweck sie nach Elba führte. Jedenfalls wollte sie, ehe sie sich endgültig zum Aufenthalt in Porto Ferraio entschied, noch einige Zeit bei Karoline in Neapel und bei der Mutter in Rom aufhalten. Sie fand es abscheulich von den anderen Familienmitgliedern, daß keins die Gefangenschaft des Kaisers teilen wollte. Sie schrieb darüber an ihre Mutter am 25. Juni 1814: »Ich habe so viel gelitten, daß ich das Bedürfnis empfinde, in Ihrer Nähe zu sein, meine liebe Mutter. Schreiben Sie mir, wenn Sie zum Kaiser nach Elba zu gehen gedenken. Er scheint es sehr zu wünschen und hat mich beauftragt, es Ihnen zu sagen ... Ich hoffe, daß auch Joseph zu ihm nach Elba geht, wie er es ihm brieflich versprochen hat. Es wäre sehr schlecht von ihm, wenn er es nicht täte, denn man darf den Kaiser nicht so ganz allein lassen. Jetzt, da er unglücklich ist, müssen wir ihm unsere Anhänglichkeit beweisen. Wenigstens betrachte ich es von diesem Standpunkt aus.« Aus diesen Worten der Fürstin Borghese spricht nicht allein der bonapartistische Familiensinn, sondern vor allem ein menschliches Empfinden. Sie hatte Mitleid mit dem gestürzten Bruder.
Am 31. Oktober landete Pauline endgültig auf der Insel Elba. Der »Inconstant«, dasselbe Schiff, das einige Monate später den heimkehrenden Kaiser wieder nach Frankreich brachte, hatte die Fürstin nach ihrem neuen Aufenthaltsort geführt. Als sie in Porto Ferraio ankam, waren nahezu alle Bewohner der Insel im Hafen versammelt, um die Schwester des Kaisers Napoleon zu bewillkommnen. Napoleon selbst war äußerst glücklich über die Ankunft Paulines. Er wies ihr den ersten Stock in seinem eigenen Hause Mulini zur Wohnung an, obgleich sie während ihrer ersten Anwesenheit auf Elba dem General Bertrand den Auftrag gegeben hatte, er solle ein hübsches »Fleckchen« aussuchen, wo sie ganz für sich allein sein würde. Der General hatte San Martino für die Fürstin erworben, es diente jedoch später dem Kaiser als Landhaus. Die Wohnung, die er seiner Schwester überließ, hatte er anfangs für Marie Luise bestimmt gehabt. Sie kam aber nicht, und so machte die Fürstin Borghese die Honneurs im Hause des Verlassenen.
Ihre Anwesenheit brachte ein wenig Glück und Sonnenschein in das eintönige Leben Napoleons. Das kleine Eiland bekam plötzlich Leben. Es gab Feste und Abwechslung, seitdem Fürstin Borghese in Porto Ferraio weilte. Die Elbaner jubelten der liebenswürdigen Frau zu, und die alten Gardisten Napoleons verehrten die Schwester ihres Kaisers wie eine Göttin. War sie doch aus ihrem geliebten Paris! In ihren Kleidern brachte Pauline den berauschenden Duft der Boulevards mit; durch ihre Eleganz, ihre Gewohnheiten kam ein Schimmer von dem ehemaligen Glanz des Kaiserhofes nach Elba!
Wenn man jedoch glaubt, der Kaiser habe seiner Schwester jeden Wunsch erfüllt oder ihren Launen nachgegeben, so irrt man sich. Wie in Paris, so mußte Pauline sich auch in Elba den Anordnungen Napoleons fügen. Und merkwürdig, jetzt, da er nicht mehr Herrscher war, beugte sie sich leichter unter seinen Willen. Sie gehorchte ihm und lebte nach seiner Lebensweise und seinen Regeln. Sogar in bezug auf ihre Kleidung ließ sie sich seine Einwände gefallen. Er verbot ihr, sich allzu auffallend zu kleiden. Auch durfte sie sich nicht mit allen Diamanten schmücken, die sie besaß, denn er meinte, das könne den Neid und die Mißgunst der elbanischen Damen herausfordern, die nicht so reich wie die Fürstin Borghese waren. Und Pauline sah es ein.
Trotz ihrer Leiden nahm sie an allen Veranstaltungen auf der Insel teil. Auf den ländlichen Festen tanzte und spielte sie inmitten der Insulaner, die sie sehr liebten. Jeden Morgen begleitete sie ihren Bruder auf seinem Spazierritt und schien nur bisweilen sich zu erinnern, daß sie krank war. Dann verfehlte aber Napoleon auch nie, sich über Paulines Krankheit, die er für eingebildet hielt, lustig zu machen.
Pauline war auch keineswegs frei in ihren Ausgaben. Wollte sie eine Anschaffung für ihre Wohnung machen, so mußte sie erst den Kaiser um Erlaubnis fragen. Und wagte sie es einmal, ihm einfach etwas auf die Rechnung zu setzen, was er nicht gebilligt hatte, so hatte sie den Schaden zu tragen. Auf einer Rechnung vom 31. Januar 1815 über acht Fenstervorhänge zu 67 Franken 50 Centimes, die Pauline in ihrem Salon hatte anbringen lassen, steht von der Hand Napoleons geschrieben: »Da diese Ausgabe von mir nicht befohlen worden ist, soll sie die Fürstin selbst begleichen.« Ein andermal fiel es Pauline ein, verschiedene Büchereinbände, die Napoleon bei einem Buchbinder in Livorno bestellt hatte, nach ihrem eigenen Geschmack umändern zu lassen, da sie ihr nicht gefielen. Als dann die gebundenen Bände in Porto Ferraio eintrafen, war Napoleon sehr ärgerlich, daß seine Schwester so eigenmächtig gehandelt hatte. Er ließ die Einbände alle abreißen und die Bücher auf Kosten Paulines neu binden.
Man sagt, in Ermangelung eines anderen Mannes habe die Fürstin Borghese mit dem General Drouot geflirtet und Drouot habe Paulines Huld erwidert. Sollte wirklich dieser ernste, ein wenig engherzige General, dessen Lieblingslektüre die Bibel war, Götzendienst am Altar dieser Venus getrieben haben? Das ist mehr als unwahrscheinlich, zumal er, kurz ehe die Fürstin auf die Insel kam, viel Unglück in der Liebe gehabt hatte. Er war mit einer jungen Insulanerin verlobt, hatte aber auf den Wunsch seiner Mutter diese Verbindung auflösen müssen, gerade als er im Begriff stand, sich mit der Erwählten seines Herzens zu verheiraten. Noch unwahrscheinlicher aber ist es, daß Pauline ihm das Geheimnis der Flucht Napoleons von Elba entrissen habe. Der General war ein viel zu gewissenhafter Mann, als daß er jemals etwas getan haben würde, das seinem Pflichtgefühl entgegen gewesen wäre.
Pauline wäre jedoch nicht Pauline gewesen, wenn sie auch auf Elba nichts mit Liebe zu tun gehabt hätte. Diesmal aber konnte es sich nur um eine Leidenschaft aus der Ferne handeln. Duchand, mit dem sie vierzehn glückliche Tage in Luc verbracht hatte, weilte in Frankreich! Er wurde mit den gefühlvollsten Briefen überschüttet. Und diese Neigung zu Duchand überdauerte sogar alles Unglück, das sie erlitt. Noch von Lucca aus schrieb sie dem Geliebten im Jahre 1816: »Meine Zärtlichkeit für Dich überdauert alles Mißgeschick.«
Zur großen Erleichterung Paulines währte ihr Aufenthalt in Elba nur vier Monate. Wenn sie auch gesonnen war, mit dem Bruder für immer auf der Insel zu weilen, so begann sie sich doch schon nach einigen Wochen zu langweilen. Glücklicherweise kamen der gefallsüchtigen Frau die Ereignisse zu Hilfe. Der Kaiser selbst machte seinem und der Seinigen Aufenthalt auf Elba ein Ende und kehrte nach Frankreich zurück, um Ludwig XVIII. von neuem den Thron zu entreißen. Wenige Tage, nachdem Napoleon Porto Ferraio verlassen hatte, am 2. März 1815, schiffte auch die Fürstin Borghese sich nach dem Festlande ein, während Frau Letizia ruhig auf der Insel wartete, bis sie zuversichtliche Nachrichten von dem Sohne erhielt. Pauline segelte auf einer kleinen Feluke zuerst der toskanischen Küste zu, denn sie fürchtete die lange Seereise nach Frankreich. Das war ihr Verhängnis! Toskana wurde seit der Entweichung des Kaisers aus Elba von den Mächten scharf bewacht. Als Pauline daher am 3. März in Viareggio landete und sich nach dem Schlosse Compignano der Großherzogin Elisa von Toskana begab, war sie eine Gefangene der Österreicher. Die Florentiner Behörden ließen sie zwar ruhig landen, doch sie taten alles, um zu verhindern, daß sie Toskana wieder verließe. Man hatte die Absicht, alle Familienmitglieder der Bonaparte, die sich in oder in der Nähe von Italien befanden, möglichst in österreichischen Städten festzuhalten. Sobald daher die Fürstin Borghese sich in Compignano niedergelassen hatte, um ein wenig auszuruhen, wurde das Schloß umstellt und sie als Gefangene betrachtet. Man beobachtete sie sehr scharf. Jeder Briefwechsel mit den Ihrigen wurde ihr untersagt. Ihre Dienerschaft wurde auf die nötigste beschränkt. Unter solchen Verhältnissen besserte sich Paulines leidender Zustand natürlich nicht. Ihre Nervosität nahm von Tag zu Tag zu. Der Doktor Vacca, der ehemalige Leibarzt der Großherzogin Elisa, besuchte die Kranke bisweilen. Er und der Doktor Fedeli, der Pauline pflegte, rieten dringend zu einer Badekur in Lucca. Aber Oberst Werklein, Gouverneur von Lucca, der mit ihrer Bewachung beauftragt war, widersetzte sich ihrer Entfernung vom Schloß Compignano. In der allgemeinen Veränderung der Verhältnisse war dieser Offizier der Mächtige, der über das Geschick der Gefangenen zu entscheiden hatte. Erst am 5. Juni 1815 erhielt Pauline die Erlaubnis, für einige Zeit nach Lucca zu gehen, jedoch nur unter Bedeckung von 20 österreichischen Soldaten. Es ist daher wohl möglich, daß sie sich mit dem Gedanken getragen hat, aus ihrer Gefangenschaft zu entfliehen. Aber schon die Vorbereitungen zu diesem Fluchtversuch mißglückten gänzlich. Ehe sie ihren Plan auszuführen vermochte, war ihr Bruder zum zweitenmal vom Throne gestürzt worden!
Die Fürstin Borghese erfuhr diese erschütternde Nachricht durch die Zeitungen. Lucien hatte am 26. Juni vom Schloß Neuilly aus, wohin er sich zurückgezogen hatte, an Pauline geschrieben: »Du wirst das neue Unglück, das den Kaiser betroffen hat, bereits wissen, meine liebe Pauline. Er hat zugunsten seines Sohnes abgedankt. Er wird nach den Vereinigten Staaten gehen, wo wir alle mit ihm zusammentreffen wollen. Er ist sehr ruhig und hat den Mut nicht verloren. Ich will versuchen, zu meiner Familie in Rom zu gelangen, um sie nach Amerika zu geleiten. Wenn es Deine Gesundheit erlaubt, so werden wir uns dort wiedersehen. Lebewohl, meine liebe Schwester. Mutter, Joseph, Jérôme und ich küssen Dich zärtlich.
Dein Dich liebender Bruder Lucien.«
Dieser Brief wurde jedoch aufgefangen und gelangte nicht in die Hände der Fürstin Borghese. Das neue Mißgeschick traf sie schwer. Ängstlich und besorgt hatte sie die letzten Anstrengungen verfolgt, die Napoleon machte, um seinen Thron vor dem Zusammenbruch zu schützen. Er hatte die Katastrophe doch nicht aufhalten können. Persönlich litt die Fürstin Borghese am wenigsten unter dem Zusammensturz. Sie verlor weder Thron noch Reich noch Vermögen. Dennoch glaubte Onkel Fesch sie zur Sparsamkeit ermahnen zu müssen. Am 29. Juni schrieb er seiner verschwenderischen Nichte: »Kein Opfer darf uns zu groß sein. Sie müssen äußerst sparsam leben. Zur Stunde sind wir alle arm, selbst mit dem, was uns noch vom letzten Jahre bleibt.«
Es hätte jedoch nicht der Ermahnung des Kardinals bedurft; das gute Herz Paulines war stets bereit, für den großen Bruder Opfer zu bringen. Als er seinen letzten Feldzug angetreten hatte, gab sie ihm bereits einen Teil ihres kostbaren Geschmeides für den Fall, daß er Geld nötig habe. Napoleon nahm die Diamanten Paulines mit nach Waterloo, als aber sein Wagen in die Hände der Preußen fiel, kamen die Juwelen abhanden. Man hat nie wieder etwas von dem Schmuck gehört.
Jetzt, da der Kaiser Napoleon für immer unschädlich gemacht worden war, hielten die Mächte auch seine Schwester nicht mehr für gefährlich. Man entließ Pauline endlich aus ihrer Gefangenschaft. Im Oktober 1815 traf die Erlaubnis ein, daß sie Compignano verlassen dürfe, wenn sie sich auf dem Seewege nach Rom begebe.
Am 12. Oktober schiffte sich die Fürstin Borghese auf dem »Padre e Figlio« ein, und einige Tage später landete sie in Cività Vecchia. Von hier aus reiste sie nach der Ewigen Stadt, in der sie sich einst so sehr gelangweilt hatte. Sie schlug ihren Wohnsitz wieder in der herrlichen Villa Paolina Bonaparte Borghese auf, von der Lady Morgan sagte, sie sei der einzige Wohnsitz der Bonaparte, der bewohnbar wäre. In ihm fände man englische Sauberkeit, französische Vornehmheit und römischen Geschmack glücklich vereint.
Mit dem Fürsten Borghese, ihrem Gatten, stand Pauline zu jener Zeit schlechter denn je. Im Jahre 1814 hatte er alle Beziehungen zu seiner Frau abgebrochen, nicht etwa wegen ihrer Untreue, sondern, weil sie eine Bonaparte, eine gestürzte Prinzessin war. Sein Verhalten beim Sturze Napoleons, dem er, wenn auch nicht alles, so doch vieles verdankte, war nicht anständig. Im April 1814 hatte er den Österreichern die Gebiete seines Generalgouvernements überlassen, den Sturz des Kaisers proklamiert und die weiße Kokarde angesteckt. Für diese Dienste erhielt er von den Bourbonen die Villa Borghese zurück, die er Napoleon hatte abtreten müssen. Da der Fürst in Rom nicht leben konnte, schlug er seinen Wohnsitz in Florenz im Palazzo Salviati auf. Damals trug Pauline sich mit dem Gedanken, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen. Später überlegte sie es sich jedoch anders und lebte von 1816 an wieder neben Camillo, wenn auch nicht mit ihm. Um jedem gemeinsamen Verkehr mit seiner Frau aus dem Wege zu gehen, ließ der Fürst im Palast Borghese in Rom die Türen vermauern, die seine Gemächer mit den Zimmern Paulines verbanden. Sie wird darüber wahrscheinlich nicht böse gewesen sein! Im allgemeinen lebten sie von dieser Zeit an in Ruhe und Frieden miteinander.
Pauline war krank und erschöpft. Sie gab ihrem Gatten keine Veranlassung mehr, mit ihr zu hadern. Zwar schreibt man ihr auch noch im Jahre 1818 einen Geliebten zu, einen Neapolitaner, namens Palomba, der sich selbst für einen Marquis de la Cesa ausgab. Erwiesen ist diese Liebesgeschichte nicht. Im Gegenteil, sie klingt höchst unwahr und ist sicherlich erfunden. Man braucht nur die Briefe zu lesen, die Pauline an ihre Geschwister schrieb, und man wird überzeugt sein, daß die von Krankheit und Schmerzen geplagte Frau nicht mehr an Abenteuer dachte. Wenn sie noch etwas anderes außer der Pflege ihres kranken Körpers interessierte, so war es der Wunsch, in Einigkeit und Frieden mit ihrer ganzen Familie zu leben. Es schmerzte sie bitter, wenn sie mit einem ihrer Brüder oder einer ihrer Schwestern nicht in gutem Einvernehmen stand. So tadelte sie ihre älteste Schwester Elisa, weil sie Karoline einer schlechten Absicht beschuldigte, als diese den Wunsch ausgesprochen hatte, die Mutter und Pauline möchten bei ihr in Österreich leben. Die kluge Elisa meinte, Karoline wünsche das nur, um sich besser des Vermögens beider zu versichern. Elisa gab ihrer Schwester Pauline auch den guten Rat, Karoline nicht mit Geld zu unterstützen. »Ich wiederhole Dir«, schrieb sie am 29. April 1817, »gib zu Deinen Lebzeiten nichts her. Man muß seine Unabhängigkeit voll und ganz bewahren.«
Glücklicherweise war Pauline nicht so geizig wie Elisa. Wo sie helfen konnte, half sie. »Welches Glück«, schrieb sie einmal an die Ältere, »bliebe mir denn, mir, die ich ganz allein, ohne Mann und ohne Kinder dastehe, wenn ich mich auch noch mit meinen Geschwistern zerwürfe? Ich bitte Dich, lieben wir uns! Luciens Familie machte mir viel Sorgen; ich tat den ersten Schritt zur Versöhnung, und nun leben wir Gott sei Dank wieder in gutem Einvernehmen.« In dieser Beziehung hatte sie viel Ähnlichkeit mit Napoleon. Wie er, besaß auch Pauline einen ausgesprochenen Familiensinn.
In Rom lebte sie zwar nicht von aller Welt abgeschieden; sie gab Feste und Gesellschaften trotz ihres Siechtums, aber für die Liebe war sie nicht mehr geschaffen. Ihre Krankheit hatte sich in den letzten Jahren sehr verschlimmert. Bisweilen war sie zu schwach, sich von der Stelle zu bewegen. Aber die Gesellschaften, die sie teils in der Villa Paolina an der Porta Pia, in der prächtigeren Villa Borghese oder in dem 1816 erworbenen Palast Sciarra abhielt, waren stets von Fremden und Einheimischen gern besucht. Der Papst zeichnete die Fürstin Borghese und Napoleons Mutter mit ganz besonderer Huld aus. Paulines Abendgesellschaften und Konzerte waren berühmt durch Reichtum und Geschmack. Es umgab die Fürstin stets ein großer Kreis aus der vornehmen geistlichen Welt. »Seit den Zeiten der Päpstin Johanna«, sagt Lady Morgan, »ist gewiß keine Dame wieder so von Kardinälen umgeben gewesen als die schöne Pauline.« Neben dem Klerus verkehrten auch viele Künstler, Schriftsteller und Dichter von Ruf im Hause der Fürstin Borghese. Jedermann war von ihrer Liebenswürdigkeit entzückt. Ihre oft drolligen Einfälle und Antworten verschafften ihr viele Freunde. Eines Tages erschien in Gesellschaft Rossinis, Caraffas und Pacinis ein junger italienischer Musiker im Salon der Fürstin Borghese. Da er noch nicht berühmt, also auch nicht reich war, trug er einen schwarzen, etwas abgetragenen und nicht mehr ganz sauberen Rock. Als Pauline den jungen Gast bemerkte, schritt sie auf ihn zu, begrüßte ihn und sagte dann ganz unvermittelt: »Sie haben Flecken auf Ihrem Rock.« Ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen, antwortete der Künstler: »Ich habe keinen anderen, aber ich hoffe, daß Eure Hoheit für einen neuen sorgen.« Die Fürstin lachte herzlich über diese Schlagfertigkeit. Wenige Tage später war der kluge Maestro nicht nur im Besitze eines sehr feinen Rockes, sondern auch einer Weste und eines Paar Hosen.
Die Anwesenheit der hochbetagten und sparsamen Mutter sowie des Onkels Fesch in Rom schützte die leichtsinnige Pauline vor allzu großer Verschwendung. Mutter und Tochter waren oft beisammen. Sie liebten es sehr, sich von dem großen Verbannten auf Sankt Helena zu unterhalten. In diesen Gesprächen zeigte Pauline wiederum ihren guten Charakter. Von allen Geschwistern Napoleons sorgte sie sich am meisten um sein Geschick. Da er unglücklich und von allen, die er liebte, selbst von seinem kleinen Sohn getrennt war, schien er der Schwester doppelt teuer und beklagenswert. Wo sie konnte, suchte sie ihm das Dasein zu erleichtern. Im Jahre 1817 wollte sie ihre Schmucksachen verkaufen, um mit dem Erlöse dem Kaiser zu Hilfe zu kommen. Auch ihr wurde es, wie allen anderen Mitgliedern der Familie, nicht gestattet, seine Verbannung zu teilen. Und gerade Pauline hätte so gern dieses Opfer für ihn gebracht. Ihre Krankheit, ihre Schwäche, ihre Schmerzen galten ihr nichts gegen die trostlose Einsamkeit, in der sich der Bruder, von aller Welt verlassen, auf Sankt Helena befand. Napoleon aber kannte seinen eigenen Gesundheitszustand zu genau; er glaubte, das Klima der Insel könne für seine Schwester verheerend sein. Daher schrieb er ihr zu verschiedenen Malen, sie solle ihren Plan, zu ihm zu kommen, aufgeben. Dennoch beschäftigte Pauline sich unaufhörlich mit seinem Lose, und dabei war sie selbst im Jähre 1818 dem Tode nahe. »Die Prinzessin Pauline«, schrieb der Kardinal Fesch am 5. Dezember an den Grafen Las Cases, »hat uns um ihr Leben fürchten lassen. Einige Tage nach der Rückkehr aus den Bädern von Lucca bekam sie ein schweres gastrisches Fieber. Heute ist sie schon den 40. Tag krank. Seit 8 oder 10 Tagen ist sie auf dem Wege der Genesung, jedoch noch nicht vollkommen gesund. Von Zeit zu Zeit hat sie noch Fieber und Schmerzen ...«
Die Nachrichten, die von Sankt Helena nach Rom gelangten, wurden von Jahr zu Jahr beunruhigender. Am 11. Juli 1821 traf der Abbé Buonavita aus Longwood ein und brachte der Fürstin Borghese den letzten Hilferuf des sterbenden Bruders in einem Briefe von der Hand des Generals Montholon. Das Schreiben war vom 17. März 1821 datiert, also vier Monate unterwegs. »Gnädige Frau«, schrieb der treue Gefährte des Kaisers, »Napoleon beauftragt mich, Eurer Hoheit über den beklagenswerten Zustand seiner Gesundheit Bericht zu erstatten. Die Leberkrankheit, mit der er seit mehreren Jahren behaftet und die auf Sankt Helena einheimisch ist und meist tödlich verläuft, hat seit sechs Monaten erschreckende Fortschritte gemacht. Die Erleichterung, die ihm die Behandlung des Doktor Antommarchi verschaffte, ist nicht von langer Dauer gewesen. Es haben verschiedene Rückfälle seit der Mitte des vorigen Jahres stattgefunden, und täglich geht es mit dem Kranken mehr abwärts. Er ist außerordentlich schwach. Kaum vermag er eine Spazierfahrt von einer halben Stunde zu ertragen, obgleich die Pferde im Schritt gehen. Im Zimmer kann er nicht ohne Stütze gehen. Und zu dem Leberleiden gesellt sich noch eine andere Krankheit, die ebenfalls einheimisch auf dieser Insel ist. Die Eingeweide sind gefährlich angegriffen; der Verdauungsapparat hat seine Arbeit eingestellt, und der Magen wirft alles wieder aus, was er empfängt. Seit langem kann der Kaiser weder Brot noch Fleisch noch Gemüse essen. Nur etwas eingekochter Fruchtsaft hält ihn noch aufrecht. Graf Bertrand hat im September an Lord Liverpool geschrieben, damit man gestatte, daß Napoleon in ein anderes Klima gebracht werde. Auch hat er ihm nahegelegt, wie nötig es wäre, dem Kaiser Mineralwasser zu schicken.
Ich habe Herrn Buonavita eine Abschrift dieses Briefes anvertraut. Der Gouverneur Hudson Lowe hat sich geweigert, zu erlauben, daß er an die Regierung gesandt werde, nur weil ich Napoleon den Titel ›Kaiser‹ gegeben habe! Herr Buonavita reist heute nach Rom ab. Er hat die grausamste Erfahrung mit dem hiesigen Klima gemacht: ein einjähriger Aufenthalt in Sankt Helena wird ihn zehn Jahre seines Lebens kosten! Der Brief, den der Doktor Antommarchi ihm für Seine Eminenz den Kardinal Fesch übergeben hat, wird Eurer Hoheit neue Einzelheiten über die Krankheit des Kaisers berichten. Die Londoner Zeitungen veröffentlichen fortwährend Briefe aus Sankt Helena, aller Wahrscheinlichkeit nach, um ganz Europa dadurch zu imponieren. Napoleon rechnet auf Eure Hoheit, daß Sie einigen englischen hohen Persönlichkeiten seine wahre Lage mitteilen. Er stirbt ohne Hilfe auf einem schrecklichen Felsen; sein Todeskampf ist furchtbar!«
Pauline erschütterte diese Nachricht aufs tiefste. Mit rührenden Worten, die aus dem Grunde eines guten Herzens kamen, versuchte sie sogleich, die Güte der englischen Regierung anzurufen. Noch am gleichen Tage, an dem Buonavita bei ihr eingetroffen war, schrieb sie an Lord Liverpool: »Mylord, der Abbé Buonavita kommt von der Insel Sankt Helena an, die er am 17. März verlassen hat. Er bringt uns die besorgniserregendsten Nachrichten über die Gesundheit meines Bruders. Ich schicke Ihnen beifolgend einige Abschriften von Briefen, die Sie über die körperlichen Leiden Napoleons aufklären werden. Die Krankheit, die ihn befallen hat, ist tödlich in Sankt Helena. Im Namen aller Angehörigen seiner Familie fordere ich von der englischen Regierung, daß man ihn in ein anderes Klima bringe! Würde mir diese Bitte abgeschlagen, so wäre das gleichbedeutend mit seinem Todesurteil. Dann bitte ich, daß man mir gestatte, nach Sankt Helena zu reisen, um den letzten Seufzer des Kaisers zu empfangen.
Haben Sie, Mylord, bitte die Güte und erwirken Sie diese Erlaubnis für mich bei der englischen Regierung, damit ich so schnell wie möglich abreisen kann. Da mein Gesundheitszustand es nicht gestattet, zu Lande zu reisen, habe ich die Absicht, mich in Cività Vecchia einzuschiffen und nach England zu begeben. Dort möchte ich dann das erste Schiff benützen, das nach Sankt Helena segelt. Aber ich wünsche vorher nach London zu gehen, um mir alles verschaffen zu können, was ich für eine so lange Reise nötig habe.
Wenn Ihre Regierung darauf besteht, Napoleon auf dem Felsen von Sankt Helena umkommen zu lassen, so hoffe ich wenigstens, daß Eure Lordschaft alles tue, um die Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen, die der römische Hof meiner Abreise entgegensetzen könne. Ich weiß, die Augenblicke im Leben Napoleons sind gezählt, und ich würde mir ewig Vorwürfe machen, wenn ich nicht alle Mittel, die in meiner Macht stehen, anwendete, um ihm seine letzten Stunden zu versüßen und ihm meine ganze Ergebenheit zu beweisen ...«
Zu spät! Mehr als zwei Monate schon deckte die Erde von Sankt Helena den Körper des toten Kaisers. Das große Heldendrama hatte auf jener fernen Insel seinen Abschluß gefunden. Abgeschieden von der Welt hatte Napoleon, das größte Genie des Jahrhunderts, sein Leben ausgelebt! Er starb an Magenkrebs, wie sein Vater. Aber nicht das Klima, sondern die falsche Behandlung seiner Ärzte, die das Leiden zu spät erkannten, führten seinen zu frühen Tod herbei.
Pauline erreichte die Nachricht vom Tode des Bruders elf Tage, nachdem sie ihren Schmerzensschrei an Lord Liverpool gesandt hatte. Doktor Antommarchi überbrachte ihr die Hiobspost. Die Fürstin Borghese zeigte weniger Fassung als ihre große Mutter. Der Bericht erschütterte Pauline dermaßen, daß sie lange Zeit schwer krank war. Sie erholte sich nie wieder ganz. Von lag zu Tag sah sie in geheimer Angst ihre Gesundheit und mit dieser ihre Schönheit schwinden. Die Wangen wurden hohl, die Haut welk und bleich. Die einst so herrlichen Linien ihres Körpers verloren die Rundung. Kraftlos und mühsam nur vermochte sich Pauline aufrecht zu erhalten. Wie ein Schatten schlich sie dahin. Obwohl sie kaum 41 Jahre alt war, schien sie bereits alt und verfallen. Von der sieghaften, sinnberückenden Schönheit, die so viele Herzen betört hatte, die so verschwenderisch mit ihren Reizen umgegangen war, blieben nur noch die schönen, feurigen Augen übrig. Sie leuchteten noch im alten Glanze und schienen von den Triumphen zu erzählen, die ihre Besitzerin gefeiert hatte. Eine ganze Welt von genossenem Glück, von gegebener und empfangener Liebe verrieten sie! Und jetzt war es mit allem zu Ende! Bleich und mager lag die Fürstin auf ihrem Ruhebett. Wie eine verwelkte Rose schied sie von der Welt. Blatt um Blatt fiel von Paulines Schönheit zu Boden. Mit Schaudern bemerkte sie es. Nie und nimmer wollte sie sich mit dem Gedanken vertraut machen, daß auch sie einmal alt und unansehnlich sein, daß auch sie einmal nicht mehr mit heißer Leidenschaft geliebt werden könne. Und nun mußte sie das früher erfahren als manche ihrer weniger schönen Mitschwestern.
Als wollte Pauline die kurze Spanne Zeit, die sie noch zu leben hatte, recht genießen und alles bis zur Neige auskosten, stürzte sie sich jetzt wieder, trotz ihrer Erschöpfung und Schwäche, in den Strudel der Vergnügungen. Sie genoß das Leben mehr als sonst. Weder die guten Ratschläge ihrer Freunde noch die Ermahnungen Luciens, nicht einmal die der alten Mutter hatten Einfluß auf sie. Pauline wollte noch leben, noch genießen, noch schön sein! Und diese Täuschung gelang ihr mitunter. Wenn sie, angetan mit allen ihren Diamanten und Perlen, im leichten weißen Mullkleid, das mit zarter rosa Seide unterlegt war, auf ihrem Ruhebett lag und die Gäste mit der ihr eigenen Anmut und Liebenswürdigkeit empfing, dann war sie noch immer schön. Die krankhafte Blässe wob einen neuen Zauber um diese reizende Frau.
Paulines Zustand verschlimmerte sich jedoch bald so, daß die Ärzte Bomba und Sisco es im September 1823 für nötig hielten, sie nach Florenz übersiedeln zu lassen. Die Fürstin hatte nur noch kurze Zeit zu leben, kaum zwei Jahre! Sie schonte sich nicht und folgte nicht dem Rate der Ärzte. Dazu wurde ihr das Klima von Florenz verhängnisvoll. Zu ihren übrigen Leiden gesellte sich eine gefährliche Lungenentzündung, die bald in Schwindsucht überging.
Am 9. Juni 1825 breitete der Tod seine Schwingen über die schöne Frau, die so sehr am Leben und seinen Freuden hing! Bis zu ihrer letzten Stunde blieb Pauline Borghese eine echte Frau. Sie fühlte ihr Ende nahen, sie wußte, der Tod wartete auf sie. Aber der Tod war ein Mann! Auch ihn wollte Pauline als die Frau empfangen, die sie im Leben gewesen: schön, reizend, anbetungswürdig! Sie wünschte, daß man ihr das prächtigste Hofkleid anzog, das sie besaß. Man mußte sie mit allen ihren Diamanten schmücken, sie frisieren, schminken und pudern, so daß sie, wie in jenen Tagen des Glanzes am Kaiserhof, festlich geputzt vor Seiner Majestät dem Tod erschien. Zitternd verlangten ihre kleinen, mageren Hände nach einem Spiegel. Sie wollte sich überzeugen, ob nicht doch noch ein Restchen von jener Schönheit in ihrem Antlitz vorhanden sei, die es einst so bezaubernd gemacht hatte. Es war ein verzweifeltes Anklammern an die letzte Hoffnung. Vielleicht sah Pauline auch ihren letzten Wunsch erfüllt. Vielleicht war ihr Gesicht in diesem Augenblick von jenem überirdischen Glanze durchleuchtet, den der Tod bisweilen Sterbenden verleiht! So konnte sie mit sich selbst zufrieden und in unwandelbarer Schönheit von der Welt gehen. Aber auch das beruhigte sie nicht. Sie wünschte, daß man ihr Gesicht mit einem Schleier bedecke, wenn sie den letzten Seufzer getan habe. Niemand sollte Zeuge sein, wie der Todeskampf und die Verwesung ihre Züge veränderten. Nur an ihre unvergleichliche Schönheit sollte man sich erinnern. Sie wollte auch nicht, daß ihr Körper nach dem Tod geöffnet werde. Kein Seziermesser sollte das weiße Fleisch berühren und die Formen verunstalten, die der Meißel Canovas in ihrer Anmut der Nachwelt überliefert hatte.
Das alles versprach man der Sterbenden. An Paulines Lager in der Villa Strozzi bei Montughi standen der Fürst Borghese und Jérôme, der ehemalige König von Westfalen. Die Mutter war zu alt, um nach Florenz zu kommen und ihrem Kinde die Augen zuzudrücken. Louis war auf dem Wege zu der sterbenden Schwester, kam indes zu spät. Und so waren nur Jérôme und der Gatte Zeuge von dem letzten Kampfe Paulines. Sie starb mit dem Bedauern auf den Lippen, nicht auch im Tode die Schönste der Schönen sein zu können. Aber ihr letzter Gedanke galt doch Napoleon. Die brechenden Augen richteten sich auf das Bild des Kaisers, das ihrem Bett gegenüber hing. Sie schienen zu sagen: »Ich will bis zum letzten Augenblick mich deiner würdig zeigen!« Dann tat sie einen langen Seufzer und flüsterte: »Adieu, adieu. – – Jetzt gehöre ich – nur noch – ihm (Napoleon) – und Gott – – – möge er mir – gnädig sein!« Es war zu Ende.
Paulines Leichnam wurde nach Rom überführt und in der Cappella Borghesiana beigesetzt. Fürst Camillo überlebte seine Frau nur sieben Jahre. Er starb am 10. April in Rom. In ihrem Testament widmete Pauline ihm herzliche Worte. »Als einen schwachen Beweis der Dankbarkeit für das aufrichtige und wahre Interesse, das er ihr während ihrer langen Krankheit bewiesen hatte«, vermachte sie ihrem Gatten die Villa Paolina in Lucca. Sie erkannte auch an, »daß die Umstände und viele Ereignisse ihre Entzweiung für einige Zeit herbeigeführt hatten, daß aber Fürst Borghese sich stets mit der größten Zuvorkommenheit und Treue gegen den Kaiser, ihren Bruder, benommen habe«.
So gab diese Frau, der Moral und Sitte nichts galten, die stets mit dem Beispiel unglaublicher Leichtfertigkeit vorangegangen war, zuletzt noch den Beweis, daß sie ein großes, gutes Herz besaß, das vergessen und vergeben konnte.