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Erstes Kapitel. Die Mutter

I.

Letizia Bonaparte war bestimmt, einem Geschlechte von Fürsten das Leben zu geben. In allen Lebenslagen, selbst auf der höchsten Stufe des Glanzes, blieb sie immer dieselbe. Sie ist von den Geschichtsschreibern der napoleonischen Ära meist stiefmütterlich behandelt worden. Aber gerade sie, die Charakterstarke, deren Leben fast ein Jahrhundert währte, verdient, eingehender gewürdigt zu werden.

Über ihr Geburtsjahr ist viel gestritten worden. Der Wahrheit am nächsten kommt wohl der 24. August 1749. Ihre Wiege stand gleich der ihres Mannes Carlo Bonaparte in Ajaccio. Letizia entstammt dem Patriziergeschlecht der Ramolino, die ebenfalls, wie die Bonaparte, aus Norditalien in Korsika eingewandert waren. Später hatten sie sich mit einer der reichsten italienischen Adelsfamilien, dem gräflichen Geschlechte der Collalto, durch Heirat verbunden.

Im frühen Kindesalter wurde Letizia vaterlos. Ihre Mutter, eine geborene de Pietra Santa, verheiratete sich jedoch 1757 in zweiter Ehe mit dem aus Basel gebürtigen Hauptmann eines Schweizerregiments, das in genuesischen Diensten stand. Er hieß François Fesch. Aus dieser Verbindung ging der spätere Kardinal Joseph Fesch hervor, dem Letizia, als die Eltern früh starben, eine zweite Mutter wurde.

Sie galt für das schönste Mädchen in Ajaccio. In ihrem dreizehnten Jahre hatte sie sich bereits zur vollendeten Schönheit entwickelt, wie man das häufig bei korsischen Frauen antrifft. Sie war mittelgroß und wohlgestaltet in den Formen, deren jugendliche Anmut mit der ganzen Erscheinung prächtig harmonierte. Hände und Füße waren zierlich und feingegliedert: ein Merkmal, das auch ihrem Sohn Napoleon eigen war. Der Mund, vielleicht etwas herb im Ausdruck, aber formvollendet im Schwunge der Lippen, barg zwei Reihen perlenähnlicher Zähne; wenn er sich zum Lächeln verzog, war er bezaubernd. Das etwas vorgeschobene Kinn deutete auf Energie – ganz wie beim Sohne. Prachtvolle kastanienbraune Zöpfe schmückten den klassisch geformten Kopf, dem die dunklen Augen mit den langen Wimpern, und die schmale, gebogene Nase den edelsten Ausdruck verliehen. Alle ihre Züge und Glieder verband die wundervollste Harmonie. Napoleon selbst sagte später auf Sankt Helena: »Meine Mutter hatte ebensoviel Tugenden als weibliche Reize: sie war das Glück ihres Mannes, und ihre Kinder liebten sie zärtlich.«

Vom physiologischen Standpunkt aus aber war die Heirat Letizias mit Carlo Bonaparte verfrüht. Sie fand am 2. Juni 1764 in Ajaccio statt: der Bräutigam war achtzehn, die Braut vierzehn Jahre alt. Die ersten drei Kinder, die die junge Frau dem Gatten gebar, hatten teils überhaupt keine Lebensfähigkeit, teils starben sie im zarten Kindesalter. Von den dreizehn Kindern aus Letizias einundzwanzigjähriger Ehe blieben nur die acht am Leben, die sie zwischen der Blüte der Jugend und der höchsten Entwicklung als Frau zur Welt brachte.

Sie war ihren Kindern eine vortreffliche Mutter mit einem großen, erhabenen Herzen voll Güte und Stolz. Sie ließ keinen ihrer Fehler durchgehen, sondern strafte, wenn es sein mußte, oft recht hart. Carlo, den Geschäfte und Vergnügungen häufig fern von seiner Familie hielten, suchte bisweilen die Unarten der Kinder zu entschuldigen, aber Letizia ließ sich in dieser Beziehung nicht dreinreden. »Laß das meine Sorge sein«, sagte sie dann zu ihrem Gatten in halb vorwurfsvollem, halb gebieterischem Tone, » ich habe über sie zu wachen!« Und sie wachte im wirklichen Sinne des Wortes mit unvergleichlicher Sorgfalt über die ersten Eindrücke ihrer Kinder. »Alle niedrigen Gefühle in uns wurden beseitigt«, sagte Napoleon, »denn sie verabscheute sie. Nur das Große, Erhabene ließ sie an ihre Kinder herantreten. Sie hatte die größte Abneigung gegen die Lüge, wie gegen alles, was auch nur den Schein einer niedrigen Gesinnung an sich trug. Sie wußte zu strafen und zu belohnen. Sie beobachtete alles bei ihren Kindern.« Letizia Bonaparte war eine wirkliche Mutter, eine echte Korsin. Der Name »Madame Mère«, den sie unter dem Kaiserreich offiziell erhielt, hätte für sie nicht besser gewählt werden können: er entspricht durchaus dem bescheidenen Wesen, das die Kaisermutter stets bewahrte. Die Erziehung freilich, die Letizia ihren Kindern zur Ausbildung ihrer geistigen Fähigkeiten geben konnte, war äußerst mangelhaft. Dafür gab sie ihnen etwas mit auf den Lebensweg, das keins von ihnen unbenutzt gelassen hat: die Erkenntnis der Notwendigkeit, stets zueinander zu halten, um hoch zu kommen! »Du starke und gute Frau, du Vorbild aller Mütter!« ruft Joseph Bonaparte später aus; »wieviel Dank schulden dir deine Kinder für das Beispiel, das du ihnen gegeben!«

Im Hause ihres Onkels Arrighi di Casanova in Corte, wo Carlo, um Paoli näher zu sein, sein Heim aufgeschlagen hatte, gebar Letizia am 7. Januar 1768 ihr erstes lebensfähiges Kind, Joseph. Nicht lange nach ihrer Niederkunft folgte sie ihrem Manne ins Feld, entschlossen zum Kampfe für die Freiheit des Vaterlandes. Jeder, der in Korsika imstande war, Waffen zu tragen, schloß sich den Patrioten an. Männer, Frauen, Kinder, Greise, alle wollten ihr Scherflein Mut zu der guten Sache beisteuern. Der Heldenmut der korsischen Frau konnte zu jener Zeit dem des Mannes gleichgestellt werden. Tapfer ritt oder marschierte Letizia an der Seite Carlos auf den manchmal kaum gangbaren Wegen einher. Ihre Schönheit, ihr sanfter Blick, die feinen Linien ihres edlen Gesichts schienen schlecht zu jener abenteuerlichen Kühnheit zu passen, die sie mit fortriß. Aber die stolze Biegung der Adlernase, die fest zusammengepreßten Lippen, um die ein verachtender Zug schwebte, die wie Feuer aus den dunklen Augen hervorschießenden Blicke deuteten auf eiserne Willenskraft. Unter dieser weißen Frauenstirn türmten sich männliche Gedanken!

Eines Tages war man genötigt, durch den Liamone, einen angeschwollenen Gebirgsstrom, zu reiten. Infolge einer falschen Bewegung verlor Letizias Pferd den Boden unter den Füßen und wurde von der Strömung ein Stück mit fortgerissen. Man rief der in Gefahr schwebenden Frau zu, das Tier preiszugeben, und wollte ihr schwimmend zu Hilfe eilen, sie aber hielt sich mit dem kleinen Joseph im Arme tapfer im Sattel. Es gelang ihr, das Pferd wieder zu beherrschen und glücklich das Ufer zu erreichen. Und dabei stand ihr binnen kurzem eine neue Niederkunft bevor!

Nach der Schlacht bei Pontenuovo, an der Letizia keinen Anteil nehmen konnte, weil ihre Schwangerschaft zu weit vorgeschritten war, flüchtete sie sich nach Ajaccio, um dort ihre Niederkunft zu erwarten. Es war die höchste Zeit für die junge Frau. Die Anstrengungen des beschwerlichen Feldzugs waren auch an ihr trotz ihrer kräftigen Körperbeschaffenheit nicht spurlos vorübergegangen; die Rückwirkung machte sich bemerkbar. Dennoch wollte sie es sich nicht nehmen lassen, am 15. August 1769, zu Mariä Himmelfahrt, zur Messe in die in der Nähe ihres Hauses gelegene Kathedrale zu gehen. Für das Kind unter ihrem Herzen wollte sie den Segen der Jungfrau erflehen.

Es war ein herrlicher Sommertag. Die Sonne goß ihre goldenen Strahlen über die mit Blumen und Girlanden festlich geschmückten Häuser. Sonntäglich geputzte Menschen strömten in die weitgeöffnete Kirche und erfüllten Straßen und Plätze mit ihrer Fröhlichkeit, unter die sich feierlich der Klang der Glocken mischte. Die Messe begann. Andächtig hing die Menge an den Lippen des Priesters, der das »Gloria in excelsis Deo« anstimmte. Nur Letizia Bonaparte war unruhig und nervös. Sie fühlte die ersten Anzeichen ihrer Niederkunft. Hastig verließ sie die Kirche und eilte, so schnell ihre Füße sie tragen konnten, in namenloser Angst nach Hause. Sie hatte jedoch nicht mehr Zeit, bis zu ihrem Schlafzimmer zu gelangen, sondern gab in einem nähergelegenen Räume auf einem Sofa ihrem Sohne Napoleon das Leben. Über die Legende des Teppichs mit den Bildern aus der Ilias hat sie sich später selbst oft lustig gemacht und gesagt: »Wir hatten in Korsika im Winter keine Teppiche, noch viel weniger aber im Sommer.«

Dieses Kind, ihr Napoleon, wurde der Mutter äußerlich wie im Charakter am meisten ähnlich. Sein schnelles Auffassungsvermögen und Eindringen in die geringfügigsten Dinge, seine Energie und seltene Tatkraft, seinen Ordnungssinn in Geldangelegenheiten erbte er von ihr, nur ihre Wahrheitsliebe hat er nicht immer bewahrt.

Letizias Geistesbildung war, wie die aller Korsinnen zu jener Zeit, eine sehr geringe. Sie wußte fast nichts außer ihren Hausfrauen- und Mutterpflichten, außer den Gebeten zur Jungfrau Maria, deren Schutz sie ihre Kinder empfahl und deren Namen alle ihre Töchter trugen. Weder von der italienischen noch von der französischen Literatur hatte sie eine Ahnung. Sie sprach ihr ganzes Leben lang, selbst am Kaiserhofe des Sohnes, ihren korsischen Dialekt. Die französische Sprache machte ihr große Schwierigkeiten. Ihr italienischer Akzent brach immer wieder durch. So sagte sie stets »houreuse« anstatt »heureuse«, »ma« für »mais«, »oune« für »une«, »je souis« anstatt »je suis« usw. Ganz besonders ärgerte sich Napoleon darüber, daß sie seinen Namen korsisch aussprach. Als Konsul empfahl er einmal Lucien und Joseph: »Ihr könnt übrigens Mama sagen, daß sie mich nicht immer Napolione nennen soll. Das ist italienisch. Mama soll mich, wie jedermann, Bonaparte nennen, aber nicht etwa Buonaparte. Das wäre noch schlimmer als Napolione. Nein, sie mag der Erste Konsul oder einfach der Konsul sagen! Ja, das ist mir lieber. Aber Napolione, immer dieses Napolione, das stört mich.« Als Letizia später als Kaisermutter gezwungen war, französische Briefe zu schreiben, diktierte sie sie stets in ihrer Muttersprache.

Die größte Tugend dieser Frau war ihr Sinn für Pflicht, Ordnung und Sparsamkeit, die man ihr allerdings oft als Geiz ausgelegt hat. Letizia war ihr ganzes Leben lang anspruchslos. Als ihr Sohn sich bereits Namen und Vermögen erworben hatte und im politischen Leben eine bedeutende Rolle spielte, war sie in ihrer Kleidung sparsamer als die einfachste Bürgerin. Einst kam sie für mehrere Wochen zu ihrer schönen, an den General Leclerc verheirateten Tochter Pauline zu Besuch und brachte nur ein einziges Kleid mit. Die elegante Paulette spottete über die Sparsamkeit der Mutter, aber Letizia entgegnete ernst: »Schweig, Verschwenderin! Ich muß doch für deine Brüder sorgen; nicht alle sind schon selbständig. Ich will nicht, daß Bonaparte sich beklagt. Du mißbrauchst seine Güte.«

Später, als der Kaiser ihr bedeutende Summen zur Verfügung stellte, artete diese Sparsamkeit in eine dem Geiz sehr ähnelnde Eigenschaft aus. Man sagt Frau Letizia nach, sie hätte selbst das Geld, das sie von ihrem Sohne zur Verteilung unter die Armen erhielt, für sich behalten. Dies entspricht indes nicht der Wahrheit, denn Madame Mère gab viele Almosen im geheimen. Wenn die Kinder ihr bisweilen Vorstellungen machten, daß sie für eine Kaisermutter zu sparsam wäre, so antwortete sie kalt: »Bin ich nicht gezwungen, etwas auf die Seite zu legen? Werde ich nicht früher oder später einmal sieben bis acht Souveräne auf dem Halse haben?« Sie war nämlich die einzige in der Familie, die nicht so recht an die Dauer all des Reichtums und Glanzes glauben wollte. »Pourvu que cela doure (dure)« pflegte sie zu sagen. Ihre Sparsamkeit ging schließlich so weit, daß sie wie eine Spießbürgerin in den geringsten Dingen ihrer kaiserlichen Haushaltung zu sparen suchte. So soll sie Luciens Frau, der guten Christine Boyer, stets empfohlen haben, zeitig zu Bett zu gehen, um das Licht zu sparen.

Eine Entschuldigung aber für diese in den Tagen des Glücks und des Glanzes unangebrachte Sparsamkeit müssen wir Letizia werden lassen: sie wußte, was es hieß, aller Mittel entblößt zu sein! Sagte sie doch einmal zum Grafen Girardin: »J'ai oun millione, l'année. Je ne le mange pas à beaucoup près. Je n'ai pas des dettes, ... je me trouve toujours avoir cent mille francs au service d'un de mes enfants. Qui sait, peut-être un jour seront-ils bien contents de les avoir. Je n'oublie pas que pendant longtemps je les ai nourris avec des rations.« – Sie war Skeptikerin und hatte nicht so unrecht, denn später, als alles in Trümmer fiel, kam ihren Kindern das von ihr aufgestapelte Vermögen zustatten. Großmütig bot sie dem unglücklichen Sohne auf der einsamen Insel alle ihre Schätze an.

Als die sechsunddreißigjährige Frau mit ihren acht Kindern, von denen nur Joseph ihr eine schwache Stütze sein konnte, Witwe wurde, hatte sie schwer zu kämpfen. Carlo Bonaparte hatte für die Zukunft der Seinen schlecht gesorgt. Glücklicherweise fand Letizia in dem alten Gouverneur Marbeuf einen väterlichen Freund, der ihr über die bitterste Not hinweghalf. Er war der Pate ihrer Kinder, der Freund des Vaters gewesen und fühlte sich in dieser Eigenschaft verpflichtet, für die Verwaisten zu sorgen. Ungerechterweise hat man die Mutter Napoleons beschuldigt, diesem Manne mehr als eine Freundin gewesen zu sein. Ihr gerader, echt korsischer Charakter, dem Tändelei und Liebelei fern lagen, bürgt allein schon für die Ungereimtheit solcher Gerüchte. Sie besaß nicht den Leichtsinn, der sich später bei ihren Töchtern bemerkbar machte. Letizias Schönheit, die trotz der vielen Geburten nicht gelitten hatte, erweckte mehr stumme Bewunderung als Begehren. Sie war viel zu sehr Hausfrau und Mutter, als daß sie sich zur Geliebten geeignet hätte. Ihre fortwährenden Schwangerschaften, die Sorge um das Wohl ihrer zahlreichen Familie und die Pflege des alten gichtkranken Onkels Luciano ließen sie gar keine Zeit zu außerehelichen Zerstreuungen finden. Außerdem soll Marbeuf in sehr engen Beziehungen zu einer Signora Varese aus Bastia gestanden haben, die sicher keine Nebenbuhlerin geduldet hätte.

Nach dem Tode ihres Mannes nahm Letizia ihre Lage sehr ernst. Sie betrachtete sich als Oberhaupt der Familie, an dem kein Makel haften durfte. Jetzt lasteten die Pflichten und Sorgen noch schwerer auf ihr. Wie hätte sie da wohl an etwas anderes denken können als an ihre Familie? Wohl stand ihr der Archidiakon Luciano mit seinen guten Ratschlägen zur Seite, aber Geld und Einkünfte waren knapp. Der Onkel hätte helfen können, denn er war wohlhabend; er besaß große Schafherden, versteckte aber die blanken Goldstücke in seinem Bett. Nur mit List gelang es bisweilen den Kindern Bonaparte, ihn zur Hergabe von einigen Talern zu bewegen. Nichtsdestoweniger wurde er von allen geliebt und geachtet und übte nicht nur auf die Familie, sondern auf ganz Ajaccio einen heilsamen Einfluß aus. Letizia aber wurde in dieser Zeit noch sparsamer. Sie lebte mit ihren Kindern so zurückgezogen wie nur möglich. Der siebzehnjährige Joseph war, nachdem er den Vater in »fremder Erde« – wie sich Napoleon ausdrückte – bestattet hatte, Carlo Bonaparte starb am 24. Februar 1785 in Montpellier an einer Magenkrankheit. zur Mutter nach Korsika zurückgekehrt. Napoleon hingegen befand sich auf der Militärschule von Paris. Da hieß es sparen, und Letizia verstand zu sparen. Ein Mädchen für alles, das drei Franken Lohn im Monat erhielt, ging der künftigen Kaisermutter zur Hand, und Letizia scheute sich nicht, selbst die niedrigsten Hausarbeiten zu verrichten.

Die politischen Ereignisse machten Riesenfortschritte. Die französische Revolution war auch in Korsika nicht spurlos vorübergegangen; sie entfachte von neuem den Krieg, der durch Paolis Niederlage im Jahre 1769 beendet worden war. Je mehr Paoli sich indes den Engländern näherte, desto weiter entfernte sich die Familie Bonaparte von ihm. Letizia, ihr Bruder Fesch, ihre Söhne Joseph, Napoleon und Lucien hatten sich eifrig der französischen Revolution in die Arme geworfen. Letizia war, wenn auch anfangs schweren Herzens, Französin geworden und blieb es nun. Wie sie damals dachte, spricht sich klar in den Worten aus, die sie zu Napoleon sagte, als dieser klagte, nicht in Korsika sein zu können, um das teure Vaterland vor einer neuen Invasion der Engländer zu schützen. »Napolione«, sagte die Mutter, »Korsika ist nur ein unfruchtbarer Felsen, ein kleines unbedeutendes Fleckchen Erde! Frankreich hingegen ist groß, reich, bevölkert; es steht in Flammen! Frankreich zu retten, mein Sohn, ist eine edle Aufgabe, die verdient, daß man sein Leben dafür in die Waagschale wirft.«

Immer bedenklicher wurde die Lage der Bonaparte auf Korsika. Der Aufstand brach auf der Insel aus. Von neuem versammelten sich die Korsen unter dem Banner Paolis. Napoleon versuchte an der Spitze der republikanischen Truppen gegen die einst glühend verehrten Helden anzukämpfen, aber vergebens. Eine Zeitlang behielten die Patrioten die Oberhand. Luciens Adresse an den Konvent brachte die Paolisten bis zur äußersten Wut gegen die Bonaparte. Napoleon sah sich und die Seinigen in Gefahr. Um Paoli zu entrinnen, der geschworen hatte, die Familie lebendig oder tot in seine Hände zu bekommen, war Letizia gezwungen, mit ihren Kindern zu fliehen.

»Eines Nachts«, erzählt Lucien, »wurde meine Mutter durch Stimmengewirr aus dem Schlafe geweckt. Als sie sich in ihrem Bett aufrichtete, sah sie das ganze Zimmer mit bewaffnetem Bergvolk angefüllt. Sie glaubte sich von den Leuten Paolis überrascht. Da fiel der Schein einer brennenden Fackel auf das Gesicht des Anführers. Es war Costa aus Bastelica, der eifrigste und ergebenste unserer Anhänger. Schnell, Signora Letizia, rief er, die Unsrigen, die nicht mehr die Unsrigen sind (die Leute Paolis), folgen uns auf dem Fuße! Wir haben keinen Augenblick zu verlieren! Ich bin hier mit allen meinen Leuten; man soll sich nicht rühmen, Sie zu Gefangenen gemacht zu haben. Das übrige erkläre ich Ihnen unterwegs. Wir werden Sie retten oder mit Ihnen sterben! Schnell! Schnell!«

Mutter und Kinder erhoben sich hastig, rafften in Eile ein paar Kleidungsstücke zusammen, in die sie sich hüllten; andere Gegenstände mitzunehmen war keine Zeit. Die Schlüssel des Hauses übergab man der Familie Braccini, die während der Nacht alle bloßstellenden Papiere beiseite schaffte. Darauf verließ die Familie Bonaparte, außer den beiden jüngsten Kindern Carlotta und Girolamo, die man bei einer Verwandten zurückließ, in der Mitte der bewaffneten Kolonne schweigend die noch schlafende Stadt. Zuerst ging es nach Milelli, der Bonaparteschen Besitzung unweit Ajaccios; sie bot indes als Zufluchtsort zu wenig Sicherheit. Man warf sich in die Berge. Oft hörten die Flüchtlinge die feindlichen Truppen unten im Tal vorüberziehen, aber die Vorsehung verhütete ein Zusammentreffen, das gefährlich hätte werden können.

Letizias großer, starker Charakter überwand alle Anstrengungen, alle Sorge und flößte den verzagten Kindern Mut ein. Mariannas (Elisas) dünne Schuhe hielten den beschwerlichen Wegen in den rauhen Bergen nicht stand; ihre Füße waren bereits wund, und sie weinte vor Schmerz. Die Mutter wußte sie immer wieder zu trösten und zu ermuntern, bis zuletzt tapfer auszuhalten. Von weitem sah Letizia ihr Haus, das die Leute Paolis geplündert und teilweise zerstört hatten, in Trümmer fallen; sie zuckte nicht mit der Wimper, obwohl ihr das Herz bluten mußte, denn sie stand nun mittellos da. Nur ein herber Zug legte sich um die festgeschlossenen schmalen Lippen. Ihre Augen öffneten sich groß und weit, ein Zeichen, daß sie innerlich bewegt war.

Nachdem sie zwei Nächte hindurch marschiert waren, bemerkten sie endlich durch eine Lichtung des Maquis die Segel des französischen Geschwaders, das die flüchtende Familie vorläufig nach Calvi bringen sollte. Napoleon, der an der Küste herumgeirrt war und nach seiner Familie ausgespäht hatte, empfing sie.

Nach großen Gefahren traf Letizia mit den Ihrigen im Juli 1793 in Toulon ein. Der Aufenthalt in dieser Stadt aber war für die korsischen Flüchtlinge nicht sicher genug. Außerdem war das Leben in Toulon für den kargen Geldbeutel Frau Letizias viel zu teuer. Sie zog daher mit ihren Kindern in das Dorf La Valette, ein wenig später nach Bandol und schließlich nach Nizza, wo Napoleons Regiment stand. Später suchte sie in Marseille eine Zuflucht.

Letizia glaubte in Frankreich als emigrierte Patriotin aufgenommen zu werden und die ihr so außerordentlich nötige Unterstützung zu finden. Sie täuschte sich. Kein Mensch kümmerte sich um die zahlreiche, arme korsische Familie. Aller Mittel bar, nachdem man ihre Habe in Korsika teils geraubt, teils zerstört oder beschlagnahmt hatte, sah sich Frau Bonaparte mit ihren Kindern im größten Elend. Jetzt kam ihr die so oft verspottete Sparsamkeit sehr zu statten.

Anfangs bewohnte die Familie in Marseille eine kleine Dachwohnung in der Rue Pavillon, nachher bezog sie ein Kellergeschoß in einem von der Schreckensherrschaft teilweise verwüsteten Hause, in dem verschiedene korsische Emigranten Unterkunft gefunden hatten. Die Mutter Napoleons ertrug alles, überwand alles mit einer Klugheit, einer Würde, die in Erstaunen setzten. Der Kaiser sagte später von ihr: »Sie hatte den Kopf eines Mannes auf dem Körper einer Frau!«

In Marseille lebte Letizia mit ihren Kindern mehr als bescheiden. Schließlich überwand auch sie ihren korsischen Stolz und nahm ihre Zuflucht zum Wohltätigkeitsbureau, um für die Ihrigen um Brot zu bitten, denn der magere Offizierssold, mit dem Napoleon fast alle Bedürfnisse der Familie bestreiten mußte, langte nicht weit. Jetzt erhielt Frau Bonaparte wenigstens täglich ein Kommißbrot, und Joseph und Lucien beschafften Soldatenrationen von Fleisch und Gemüse. Mit einem Wort: die Bonaparte hatten gerade so viel, um nicht Hungers zu sterben. Die einfache Frau litt nicht sehr unter diesen kläglichen Umständen, mehr litten ihre hübschen, lebenslustigen Töchter. Marianna (Elisa) war achtzehn, Maria Annunziata (Pauline) fünfzehn und Maria Carlotta (Karoline) dreizehn Jahre alt. Letizia hielt sie alle drei fleißig zur Arbeit an. Die späteren Königinnen und Fürstinnen mußten tüchtig putzen und waschen. In dürftigen Kleidern und billigen Hüten zu vier Sous besorgten sie die mageren Einkäufe für den Haushalt. Zu Hause sah man Mutter und Töchter nähen und sticken; sie waren damals ihre eigenen Schneiderinnen und Putzmacherinnen.

Dank Letizias außerordentlicher Sparsamkeit und dank ihrer unablässigen Bemühungen um Unterstützung verbesserte sich ihre Lage ein wenig. Man konnte sich bald eine anständigere Wohnung nehmen und zog nach der Rue du Faubourg de Rome. Um Napoleon zu schmeicheln, der anfing, einen gewissen Einfluß auf seine Umgebung auszuüben, hatten die Kommissare des Wohlfahrtsausschusses der Familie Bonaparte eine Unterstützung zukommen lassen, die Letizia gestattete, für sich und ihre Töchter Kleider und etwas Wäsche zu kaufen, deren sie sehr nötig bedurften.

Beziehungen zu andern Familien hatten die Bonaparte anfangs in Marseille gar keine. Sie waren viel zu arm, als daß sie gesellschaftlichen Verkehr hätten pflegen können. Später, als ihre Lage etwas besser wurde, schlossen sie sich der reichen Kaufmannsfamilie Clary an, deren älteste Tochter im Jahre 1794 Josephs Frau wurde. Einige Korsen, darunter der General Cervoni, der Zahlungsanweiser Villemanzy, später ein glühender Bewunderer des napoleonischen Genies und damals ein Verehrer Frau Letizias, sowie die beiden Volksvertreter Fréron und Barras, das war der von der Familie Bonaparte besuchte Gesellschaftskreis. Infolge des Einflusses der beiden Letztgenannten und der Bemühungen Josephs erhielt Letizia die längst ersehnte Pension, die die Regierung allen geflüchteten korsischen Patrioten bewilligte. Sie belief sich auf je 75 Franken monatlich für die Mutter und die beiden ältesten Töchter sowie auf je 45 Franken für die beiden jüngsten Kinder.

Als Napoleon Ende 1793 zum Bataillonschef der Belagerungsartillerie vor Toulon ernannt worden war, übersiedelte Letizia, um dem Sohne näher zu sein, nach der Umgebung der belagerten Stadt. Hier konnte er sie besser und leichter unterstützen. Bald strahlte sein Ruhm auf die ganze Familie aus: mit der Eroberung von Toulon hatte auch vorläufig die größte Not der Bonaparte ein Ende.

Nachdem Napoleon Brigadegeneral und gleichzeitig mit dem Kommando der Artillerie der Italienischen Armee und mit der Besichtigung der Küstenbatterien betraut worden war, riefen ihn seine Pflichten nach Antibes. Dorthin ließ er auch im Frühjahr seine Mutter und seine Schwestern kommen. Er brachte sie im Schlosse Sallé unter. Hier lebte Letizia trotz allem immer noch sehr einfach, obwohl ihre Lage im Vergleich zu den ersten Wochen in Marseille glänzend war. Sie hat den Aufenthalt in dem alten, malerisch gelegenen, von Licht und Sonne umflossenen Schlosse niemals vergessen. Noch als Kaisermutter erzählte sie, daß sie dort die glücklichste Zeit ihres Lebens verbracht habe. Und doch erinnerten sich die Einwohner von Antibes noch lange, daß Frau Bonaparte ihre Wäsche in dem vorbeifließenden Flusse selbst gespült hatte.

Das hinderte Madame indes nicht, auch »ihre Salons« zu öffnen. Die lebenslustigen Töchter bestanden darauf. Der Sohn brachte seine Kameraden, junge liebenswürdige Offiziere, ins Haus der Mutter, bei deren Gesellschaften er stets zugegen war. Man spielte ein wenig Theater, deklamierte, sang und tanzte, und Fröhlichkeit herrschte von morgens bis abends im Schlosse Sallé; dafür sorgten schon die jungen Mädchen.

Im darauffolgenden Sommer ging Letizia mit Napoleon nach Nizza. Erst nach fünfmonatiger Abwesenheit kehrte die Familie nach Marseille zurück. Inzwischen hatte sich Joseph verheiratet. Die Mutter hoffte, ihr Sohn Napoleon werde die junge Schwägerin Josephs, Désirée Clary, heimführen, aber böse Zungen behaupteten, die Clary hätten mit einem Bonaparte in der Familie genug gehabt. Auch Lucien schloß einen Bund. Seine Heirat mit Christine Boyer, der Tochter eines Gastwirts, war nicht nach dem Geschmack der Familie. Doch die einfache Letizia söhnte sich bald mit der Schwiegertochter aus, weil sie bescheiden und anspruchslos war, ihren Mann über alles liebte und ihm Kinder schenkte. Das gefiel der Korsin.

Mehr Enttäuschung erlebte Frau Bonaparte hingegen durch die Heirat ihres Napoleon mit der ehemaligen Vicomtesse de Beauharnais. Letizia war über diesen Schritt ihres Sohnes so ärgerlich, daß sie ihren Aufenthalt in Marseille verlängerte, obwohl Napoleon immer drängte, sie solle nach Paris kommen. Ein weiterer Grund zur Sorge für sie war, daß dieser Ehebund nicht durch die priesterliche Weihe geheiligt worden war. Letizias frommer Glaube litt darunter. Abergläubisch wie alle Bonaparte sah sie darin ein böses Omen für die Zukunft ihres Napoleon. Kurz, die Schwiegertochter, diese vornehme Weltdame, diese »Vicomtesse«, die in der leichtsinnigsten Gesellschaft von Paris gelebt hatte, von der man sich allerlei pikante Geschichten erzählte, und die ihr viel zu alt für den Sohn war, sagte dem einfachen korsischen Charakter nicht zu. Letizia glaubte nicht, daß Josephine ihren Mann glücklich machen könne. Am meisten aber fühlte sie sich in ihrem Mutterstolz verletzt. Napoleon hatte, ganz gegen korsische Sitte, sie, die Mutter, das Oberhaupt der Familie, nicht um ihre Einwilligung zu dieser Heirat gebeten. Dennoch antwortete sie der Generalin Bonaparte in liebenswürdigem Tone auf deren Brief. Sie schrieb ihr unter anderm: »Seien Sie versichert, daß ich für Sie die ganze Zärtlichkeit einer Mutter empfinde und Sie ebenso liebe wie meine eigenen Töchter.«

Bald jedoch wurde Letizias Sorge über diese Heirat durch die Ernennung Napoleons zum Oberbefehlshaber der Italienischen Armee verdrängt. Und als dieser auf seiner Reise nach Italien durch Marseille kam, um von den Seinen Abschied zu nehmen, umarmte Letizia ihn mit den Worten: »Nun bist du ein großer General!« Darin lag der ganze Stolz, das ganze Glück der Mutter. Ihr Segen begleitete ihn ins Feld. Als er von ihr ging, dem Ruhme und Glanze entgegen, da rief sie ihm nach: »Sei ja nicht unvorsichtig, nicht waghalsiger, als es dein Ansehen erfordert! Gott! Mit welcher Angst werde ich jeder Schlacht entgegensehen. Gott und die heilige Jungfrau mögen dich schützen!« In Gedanken folgte die Mutter seinem Ruhme mit ihren Wünschen für sein Wohlergehen.

Als Letizia später in Begleitung ihrer Kinder den Sieger von Montenotte, Millesimo, Castiglione und Arcole in Italien wiedersah, den bleichen, mageren General, der nicht Rast noch Ruhe kannte, preßte sie ihn voll Stolz an ihr Herz und sagte: »O Napolione, ich bin die glücklichste aller Mütter!« Es entschlüpften ihr aber auch die sorgenden Worte: »Du tötest dich.« – »Im Gegenteil«, erwiderte Napoleon heiter, »es scheint mir, daß ich lebe!« – »Sage lieber«, warf Letizia ein, »daß du in der Nachwelt leben wirst – aber jetzt ...!« – »Nun, Signora«, entgegnete der Sohn –, sie hatte es besonders, gern, wenn er sie Signora nannte –, »nun, Signora, heißt das etwa sterben?«

Noch einmal kehrte Frau Bonaparte nach Marseille zurück. Von dort begab sie sich mit ihrer Tochter Elisa, die inzwischen Frau Baciocchi geworden war, nach der jetzt endlich vom englischen Joch befreiten Heimatinsel. Mit welcher Freude begrüßte sie die alten lieben Felsen! Arm und hilflos war sie einst vor ihren Verfolgern geflüchtet, – als Mutter des gefeierten italienischen Siegers kehrte sie jetzt zurück. Aber ihr Haus fand sie verwüstet. Sofort machte sie sich an die Arbeit, das Nest für sich und die Ihrigen wieder aufzubauen, übergroße Anstrengungen aber warfen sie aufs Krankenlager und verlängerten ihren Aufenthalt in Korsika. So erfuhr sie von dem Triumphe, den man ihrem »großen General« bei seiner Rückkehr nach Paris entgegenbrachte, nur vom Hörensagen und durch die Zeitungen.

Während Napoleon in Ägypten war, versuchten englische Nachrichten oft die Ruhe der Mutter des Siegers zu stören, indem sie das Gerücht von seinem Tode verbreiteten. Aber Letizias festes Vertrauen auf sein Genie ließ sich nicht so leicht erschüttern. Eines Tages sagte sie zu verschiedenen, bei ihr in Ajaccio anwesenden Personen mit stolzer Zuversicht: »Mein Sohn wird in Ägypten nicht so elend umkommen, wie es seine Feinde gern möchten. Ich fühle, daß er zu Höherem bestimmt ist!« Auch sie glaubte an den Stern Napoleons.

Um dieselbe Zeit, als sich der General Bonaparte in Ägypten nach Frankreich einschiffte, verließ auch seine Mutter die heimatliche Insel. Sie traf einige Tage vor ihrem Sohne in Paris ein, ohne zu ahnen, daß sie ihn so bald wiedersehen werde.

Die Ereignisse des 18. Brumaire fanden statt. Frau Letizia, die bei Joseph wohnte, zitterte für das Geschick ihrer Kinder, wie die Mutter der Gracchen. Äußerlich zwar merkte man ihr nicht viel an, nur Totenblässe bedeckte ihr Gesicht, und jedes Geräusch erschreckte sie. Die spätere Herzogin von Abrantes, die sich am 19. Brumaire mit ihrer Mutter, Letizia und Pauline im Theater Feydeau befand, erzählt von Letizias Gemütsverfassung an diesem Tage Interessantes: Frau Bonaparte schien außerordentlich aufgeregt und besorgt zu sein. Sie sagte freilich nichts, sah aber öfter nach der Tür der Loge, und meine Mutter und ich merkten, daß sie jemand erwartete. Der Vorhang ging auf, das Stück begann ganz ruhig. Plötzlich trat der Regisseur vor die Rampe, verbeugte sich und sagte mit lauter Stimme: »Bürger! Der General Bonaparte ist soeben in Saint-Cloud einem Attentat der Vaterlandsverräter entgangen!«

Bei diesen Worten stieß Pauline einen markerschütternden Schrei aus und war furchtbar erregt. Ihre Mutter, ebenfalls tief erschüttert, suchte sie zu beruhigen. Letizia war bleich wie eine Marmorstatue. Wie sehr sie jedoch innerlich litt, auf ihrem damals noch immer schönen Gesicht sah man nichts als einen ganz leisen schmerzhaften Zug um die Lippen.

Sie neigte sich zu ihrer Tochter, nahm deren Hände, drückte sie fest und sagte in gebieterischem Tone: »Paulette, warum dieses Aufsehen? Schweig! Hast du nicht gehört, daß deinem Bruder nichts zugestoßen ist? Sei ruhig und steh auf; wir müssen jetzt gehen und uns nach den näheren Umständen erkundigen.«

Zum ersten Male entschloß sich Frau Letizia, zu ihrer Schwiegertochter Josephine zu gehen, bei der sie die beste Auskunft über das Geschick ihres Sohnes erhalten konnte. Sie hatte es bisher vermieden, sie zu besuchen, denn sie meinte, Josephine nähme keinen Anteil an ihrer Sorge um den geliebten Napoleon. Letizia konnte ihr die Untreue gegen ihren Sohn, während er in Italien und Ägypten war, nicht verzeihen. Auch daß Josephine ihr noch keine Enkel geschenkt hatte, grämte sie: die Mutter so vieler Kinder blickte verächtlich auf die unfruchtbare Schwiegertochter.

Äußerlich aber bewiesen sich diese beiden Frauen Höflichkeit und Achtung. Es muß besonders Josephine nachgesagt werden, daß sie jede Gelegenheit vermied, der Mutter ihres Gatten unehrerbietig entgegenzutreten. Sie hatte wenigstens so viel Takt, den Schein des guten Einvernehmens aufrechtzuerhalten. Obwohl sie genau wußte, daß Letizia sie haßte, war sie doch immer voller Rücksicht gegen die Mutter Napoleons. Dieser wünschte jedoch ausdrücklich, daß seine Frau den Vortritt vor seiner Mutter hätte, was zu fortwährenden Streitigkeiten zwischen den Beauharnais und den Bonaparte führte. Die stolze Korsin gab in dieser Beziehung nicht früher nach, als bis ihre Schwiegertochter ein wirklich gekröntes Haupt war und es die Hofsitte erforderte. Ein herzlicheres Sichnähern beider Frauen kam indes nie zustande.

Wo Napoleon Gelegenheit hatte, der Mutter seine Ergebenheit und Hochachtung zu beweisen, tat er es übrigens. So bei der Hochzeit Karolines mit Murat. Während der Tafel saß Letizia an der rechten Seite ihres Sohnes, Josephine hingegen nahm den Platz ihm gegenüber ein. Da Napoleons linke Tischnachbarin nicht erschien, ließ er sofort den Stuhl von einem seiner Generale einnehmen, womit er zeigen wollte, daß er keine andere Frau außer seiner Mutter neben sich zu haben wünschte.

II.

Als Napoleon zum Ersten Konsul ernannt worden war, wollte er, daß Letizia einen der Mutter des Staatsoberhauptes würdigen Haushalt führe. Er bot ihr die Tuilerien zum Aufenthalt an. Dieses große, weite Königsschloß aber flößte der einfachen Frau, die bisher nicht in Überfluß und Prunk gelebt hatte, Furcht und Grauen ein. Sie zog es daher vor, noch eine Zeitlang bei Joseph zu wohnen, bis Napoleon ihr das Palais Montfermeil in der Rue du Mont-Blanc einrichtete. Hier lebte Letizia, wie sie es gewöhnt war, einfach und ohne Luxus. Aber gerade von seiner Mutter hätte Napoleon gern gesehen, daß sie ihr Einkommen, 120.000 Franken jährlich, reichlich verausgabte. Er hatte damit kein Glück bei ihr. Das Geldausgeben machte ihr nicht die geringste Freude. Sogar die Reparaturen in ihrem Haus ließ sie von ihrem Sohne Napoleon bezahlen. Später noch, als sie als Kaisermutter ein Jahrgeld von einer Million bezog, beschränkte sie ihre Hofhaltung auf das Nötigste. Auf Napoleons Einwände pflegte sie gewöhnlich zu erwidern: »Wenn Sie doch wieder einmal zu Unglück kommen sollten, so werden Sie mir Dank wissen, daß ich so sparsam gewesen bin.«

Es ist jedoch weniger anzunehmen, daß diese Voraussetzungen Letizias Scharfblick entsprangen, weil sie dem so schnell aufgebauten Glücksgebäude wenig traute. Ihr Mutterherz hatte ganz einfach die Zeiten nicht vergessen, da es ihr und ihren Kindern an allem gebrach. Sie wußte aus Erfahrung, daß Schicksalsschläge über Nacht kommen konnten. So blieb sie lieber bei ihren bescheidenen Gewohnheiten, selbst auf die Gefahr hin, unter all den glänzenden Frauengestalten, die ihren Sohn und seinen Hof umgaben, in ihrer einfachen ernsten Kleidung wunderlich zu erscheinen.

Letizia brauchte übrigens weder Luxus noch Pracht, um schön und anziehend zu wirken. Ihre ganze Erscheinung war vornehm, edel und königlich. Sie sprach wenig, einesteils weil sie in der neuen Gesellschaft dazu gezwungen war, denn sie beherrschte die Sprache nicht und besaß kein Wissen, andernteils schwieg sie aus Stolz. Ihre Manieren hatten, obgleich sie sich in Gesellschaft unbequem fühlte, eine angeborene Würde und Hoheit, die jedermann Achtung gebot. Selbst die Streitigkeiten unter ihren Kindern verstummten, sobald sie zugegen war. Ihre Anwesenheit genügte, um allen eine gewisse Zurückhaltung aufzuerlegen. Sie erteilte ihnen immer die weisesten Ratschläge und ermahnte sie zum Guten. Immer und immer wieder erinnerte sie ihre Söhne und Töchter, die sich oft gegen den Willen Napoleons auflehnten, daran, was sie ihm schuldig waren und daß er es gewesen war, der sie zu Ansehen gebracht hatte. Um so weher tat es ihr, den unversöhnlichen Zwist zwischen Napoleon und Lucien mit ansehen zu müssen, ohne daß sie durch ihren Einfluß etwas zu erreichen vermochte. Das einzige, was Letizia tun konnte, war, Lucien in seinem Unglück nicht zu verlassen. Sie schlug ihm vor, er solle sie nach Italien begleiten, wo sie ihrer Gesundheit wegen im Jahre 1804 einige Zeit verbringen wollte. Vielleicht diente ihr diese Reise aber auch nur als Vorwand. Sie wollte gewiß nicht Zeuge des Triumphes ihrer Schwiegertochter sein, deren Krönung bevorstand.

Dem Ersten Konsul mißfiel der Vorschlag seiner Mutter. Er warf ihr vor, daß sie Lucien mehr liebe als ihre andern Kinder. Darauf antwortete Letizia einfach: »Wenn Sie in seiner Lage wären, würde ich Sie in Schutz nehmen.« Ihre Zuneigung und Fürsorge gehörte immer dem nach ihrer Meinung unglücklichsten Kinde. So war ihr Grundsatz, und so hat sie ihr ganzes Leben lang gehandelt. Und hatte sie wirklich für Lucien eine Vorliebe, so geschah es, weil sie ihm ewig dankbar dafür war, daß er ihr im Jahre 1802 eine Rente von 24.000 Franken aussetzte, damit sie den Armen mehr zu Hilfe kommen konnte. Diese Feinsinnigkeit hat sie nie vergessen.

Ehe Lucien Paris verließ, verschaffte Letizia ihm einen Empfehlungsbrief des Ersten Konsuls an den Papst, damit Pius gestatte, daß ihr Sohn in Rom leben könne. Dann zog sie am 13. März 1804, kurz ehe das Kaiserreich seine Pforten öffnete, selbst nach der ewigen Stadt. Dort wurde ihr von Pius VII. ein Empfang bereitet, wie er nur gekrönten Häuptern zukam. In einer Audienz hielt sie der Papst so lange zurück, daß sie es selbst für passend fand, sich von dem Heiligen Vater zu verabschieden. Wenige Tage danach schrieb Pius an Napoleon einen Brief, in dem er sich sehr schmeichelhaft über Letizia aussprach und von ihr sagte: »Wir haben sie würdig gefunden, Ihre Mutter zusein!«

Mit ihrem Sohne Napoleon lebte Letizia, abgesehen von der Meinungsverschiedenheit wegen der Angelegenheit Luciens, in bestem Einvernehmen und größter Vertraulichkeit. Sehr selten war sie, selbst als Kaisermutter, gezwungen, seiner hohen Stellung Rechnung zu tragen. Sie ließ sich nie ihre Würde als Oberhaupt der Familie nehmen. Er hingegen nannte sie nie du, nicht einmal im engsten Familienkreise. Aber er sprach mit ihr Italienisch, weil ihr diese Sprache geläufiger war. Die Briefe an sie schrieb er indes Französisch, ebenfalls sie die ihrigen an ihn, die sie ihrer Vorleserin Italienisch diktierte. Napoleon verdankte seiner Mutter vor allem seinen Sinn für Ordnung und gedachte noch in Sankt-Helena daran. »Ihr verdanke ich mein Vermögen und alles, was ich Gutes getan habe«, sagte er. Auch den Stolz hatte er von der Mutter. Mit großer Genugtuung wiederholte Letizia oft die Worte, die ihr Sohn ausgesprochen hatte, als er der Schwiegersohn des Kaisers von Österreich, Franz II., wurde, und dieser Nachforschungen über Napoleons Abstammung machen ließ: »Mein Adel datiert von Millesimo und Montenotte her!« hatte er da gesagt, und die Mutter hatte vor Stolz gestrahlt. Sie wußte auch ihm, trotzdem er Kaiser war, zu imponieren. Als er einmal in Gegenwart Maria Luises seiner Mutter die Hand zum Kusse darbot, stieß Letizia ihn mit einer entrüsteten Gebärde zurück und hielt dafür dem Sohn ihre eigene Hand hin, damit er sie küsse. Beschämt unterzog er sich dieser Pflicht. Marie Luise verstand das Benehmen ihrer Schwiegermutter in diesem Falle nicht und sagte, sie habe in Wien ihrem Vater, dem Kaiser von Österreich, zum Zeichen der Ehrerbietung vor dem Herrscher oft die Hand geküßt. »Ja«, erwiderte Letizia, »der Kaiser von Österreich ist Ihr Vater, der Kaiser der Franzosen aber ist mein Sohn!«

Übrigens brachten ihr alle ihre Kinder herzliche Liebe und Hochachtung entgegen, wie sie auch ihnen die größte Fürsorge und Zuneigung bewies. Beständig war sie um das Leben des Ersten Konsuls besorgt. Das Attentat der Höllenmaschine vom 24. Dezember 1800 versetzte sie in die größte Aufregung. Nur mit Josephine und Hortense stand sie auf gespanntem Fuße. Sie gehörten zur Gegenpartei. Nie fühlte Letizia sich von dem geselligen Leben in Malmaison angezogen, weil dort die Beauharnais eine Rolle spielten. Ebensowenig liebte sie Mortefontaine; die Gesellschaft, die bei ihrem Sohne Joseph verkehrte, paßte ihr nicht; sie war ihr zu gelehrt. Am liebsten war sie mit ihrem Bruder Fesch zusammen. Mit diesem konnte sie von Korsika, von alten Bekannten und Verwandten sprechen, alte Erinnerungen ausgraben, und das gefiel ihr.

Die Thronbesteigung ihres Sohnes Napoleon erfuhr Letizia in Rom durch die Zeitungen. Dort lebte sie mit Lucien und Pauline unter dem Schutze des Papstes. Pius schätzte sie ganz besonders darum, weil er wußte, mit welcher Freude die strenge Katholikin das Konkordat begrüßt hatte, das Napoleon im Jahre 1801 mit Rom schloß. Letizia galt diese Handlung ihres Sohnes viel mehr als alle seine Siege, als all sein Ruhm. Aber zur Krönung des Kaisers erschien sie nicht. Der Platz, den ihr der Maler David auf seinem wundervollen Krönungsgemälde zuweist, blieb leer.

Zu jener Zeit hielt sie sich in den Bädern von Lucca auf, wo auch ihre Tochter Paulette weilte. Erst 17 Tage später, am 19. Dezember 1804, kehrte Frau Bonaparte nach Paris zurück und nahm in dem einst von Lucien bewohnten Hotel de Brienne Wohnung. Es ist offenbar, daß sie nicht Zeuge der Einsegnung des Kaiserreiches sein wollte, dessen Errichtung die noch von republikanischen Grundsätzen erfüllte Korsin nicht billigen konnte. Auch war sie tief in ihrem Mutterstolze verletzt, daß Napoleon sie nicht durch einen besonderen Boten von seiner Thronbesteigung in Kenntnis gesetzt hatte. Dies geht aus einem Brief des Onkels Fesch, vom 9. Juli 1804, klar hervor. Er schreibt an Napoleon: »Ihre Mutter ist nach den Bädern von Lucca abgereist. Ihre Gesundheit ist weit mehr durch seelische als durch körperliche Leiden untergraben ... Sie war untröstlich, als sie durch die Zeitungen die Thronbesteigung Eurer Majestät erfuhr. Es hat sie schmerzlich berührt, daß sie während ihres dreimonatigen Aufenthaltes keinen außerordentlichen Kurier von Ihnen erhalten hat. Sie meint, Eure Majestät ziehe ihr alle andern Mitglieder der Familie vor...«

Durch derartige Vernachlässigungen fühlte sich Letizia immer tief gekränkt. Und so traf sie absichtlich erst später, als alles vorüber war, in Paris ein. Der nunmehrige Kaiser empfing seine Mutter mit einfacher Herzlichkeit. Frau Letizia ergriff von neuem die Gelegenheit, ihn mit Lucien auszusöhnen. Aber es blieb beim alten.

Jetzt galt es, der Mutter des Herrschers von Frankreich die gebührende Rolle zuzuweisen. Welchen Rang sollte Letizia einnehmen? Welche Würde sollte ihr zukommen? Nach den alten römischen Annalen stand immer die Mutter der Cäsaren, hieß sie nun Agrippina oder Poppeia, an erster Stelle. Und so wollte es auch Napoleon.

Letizia empfing diese Auszeichnung ohne große Erregung, ohne Eitelkeit. Sie ließ sich nicht blenden von all dem Glanze, den man um sie verbreitete. Nur zu dem Genie ihres Sohnes hatte sie Vertrauen. Alles andere schien ihr nur Scheinglück. Sie war der Ansicht, Napoleon würde sich einen größeren Namen in der Geschichte erworben haben, wenn er sich nicht zum Kaiser gemacht hätte. Sein Emporsteigen machte sie nicht blind. Alle Größe um sie her vermochte keinerlei Einfluß auf sie auszuüben, wenn sie auch stolz war, daß ihrer Familie so großes Glück widerfuhr.

Der Kaiser aber wünschte, daß auch seiner Mutter alle Auszeichnungen, alle Ehren zuteil würden, wie den Müttern der römischen Imperatoren. Frau Letizia erhielt daher, wie ihre Söhne und Töchter, den Titel »Kaiserliche Hoheit« und wurde offiziell »Madame« genannt. Um Verwechslungen zu vermeiden, wenn der Kaiser Töchter bekäme, die nach der Sitte der alten Königsgeschlechter ebenfalls den Titel »Madame« führen sollten, fügte man für Letizia hinzu »mère de l'empereur«. Bald aber hieß sie nur noch Madame Mère. Welcher Name hätte für diese Frau, für diese Mutter besser gepaßt?

Letizias Rente, die noch unter dem Konsulat von 120.000 auf 300.000 Franken erhöht worden war, belief sich als Kaisermutter auf eine Million. Sie brauchte sie nicht, denn ihre Hofhaltung war einfach. Im Jahre 1806 war ihr Hofstaat vollständig und setzte sich aus folgenden Personen zusammen:

1 Almosenier: Monseigneur de Canaviry,
2 Kapitäne: Abbé Dandelarre und Abbé Lecoq,
1 Leibarzt: Baron Corvisart,
3 Unterärzte: Bourdier, Héreau und Bacher,
1 Ehrendame: Baronin de Fontanges,
10 Gesellschaftsdamen: Davout, Soult, Saint-Pern, de Fleuriot, Junot, de Laborde-Mériville, de Bressieux, d'Esterno, de Saint-Sauveur, de Rochefort-d'Ailly.,
1 Vorleserin: Fräulein de Launay,
1 Erster Kammerherr: Graf Cossé-Brissac,
2 Kammerherrn: de La Ville und d'Esterno,
1 Erster Stallmeister: Graf Beaumont,
2 Stallmeister: de Quelen und d'Arlincourt,
1 Sekretär: Decaces,
1 Intendant: de Robier,
1 Notar: Tarbé.

Bei dieser Auswahl hatte der Kaiser besonders darauf gesehen, die großen Namen des alten und neuen Regimes auszusuchen.

Obgleich Letizia sich sehr der Armen und Kranken annahm, legte sie doch von ihrem Einkommen jährlich die Hälfte zurück. Als Schutzherrin aller Wohltätigkeitseinrichtungen Frankreichs, zu der sie Napoleon im Jahre 1805 ernannte, mußte sie besonders viel geben. Aber sie war sparsam, nicht geizig. Niemals verlor sie den Blick in die Zukunft.

Für ihre eigene Person brauchte sie wenig. Am Hofe ihres Sohnes verkehrte sie selten und ersparte sich dadurch viele Ausgaben. Einesteils vermied sie es, wo es ging, mit Josephine zusammenzutreffen, und andernteils verabscheute sie alles Förmliche und die damit verbundenen Oberflächlichkeiten. Obgleich sie äußerlich mit ihrer antiken Matronengestalt, den feinen strengen Zügen, den langsamen, vornehmen Bewegungen sehr gut repräsentierte, scheute sie die Öffentlichkeit. Sie fühlte sich verletzt, daß sie der Schwiegertochter den Vortritt bei Hofe lassen mußte. Beugen konnte sich diese Korsin nicht.

Seit dem Jahre 1805 wohnte Letizia teils in Paris, im Schlosse Luciens, das sie von ihm für 600.000 Franken gekauft hatte, teils im Schlosse Pont-sur-Seine, im Departement Aube. Dieses Palais hatte ihr der Kaiser geschenkt.

War Napoleon abwesend, so wünschte er, daß seine Mutter, wenn sie in Paris weilte, jeden Sonntag bei Josephine speiste. Aber Letizia suchte sich dessen so viel wie möglich zu entziehen. Der Kaiser war deshalb oft gezwungen, seine Mutter wie ein Kind zu tadeln. Dann schmollte sie und zog sich nach Pont zurück. So schrieb er ihr einmal aus Finckenstein: »Madame, ich billige sehr, daß Sie sich auf Ihre Besitzung zurückziehen, aber solange Sie sich in Paris aufhalten, gehört es sich, daß Sie jeden Sonntag bei der Kaiserin speisen, wo das Familiendiner stattfindet. Meine Familie ist eine politische Familie. Bin ich abwesend, so ist die Kaiserin stets das Oberhaupt, übrigens erweise ich dadurch meiner Familie eine Ehre.« Letizia selbst empfing bei sich nur wenige wirkliche Freunde, deren Ansichten und Gewohnheiten mit den ihrigen übereinstimmten. Die Minister und Würdenträger, außer dem Erzkanzler Cambacérès, beachteten die Mutter des Kaisers wenig und verkehrten selten bei ihr. Das verletzte die stolze Frau, aber sie brachte es nicht über sich, deren Huldigungen von Napoleon zu fordern. Am liebsten sah sie die Freunde Feschs bei sich, meist geistreiche, unterhaltende und liebenswürdige Geistliche, die mit ihr eine Partie Reversie, ihr Lieblingsspiel, spielten.

Es lebte sich übrigens sehr angenehm mit ihr. Alle die zu ihrer Umgebung gehörten, waren von dieser wahrhaften Kaisermutter des Lobes voll. Sie war mit allem zufrieden und fand sich in alles. Am liebsten hörte sie, wenn man ihre Kinder lobte. Es lag ihr besonders daran, daß man gut von ihnen sprach. Dann belebte sich das in der Regel kalte Gesicht, und ihre nicht großen, aber dunklen Augen leuchteten vor Stolz und Glück. Bis ins hohe Alter hat sie Reste ihrer Schönheit bewahrt. Besonders waren ihre Füße und Hände wahrhaft künstlerisch schön. Ihre Gestalt, obwohl voller als in der Jugend, hatte stets etwas Edles. Sie kleidete sich mit Sorgfalt, ihrer Stellung und ihrem Alter angemessen. Als Letizia 59 Jahre alt war, schuf Canova nach ihrem Ebenbilde die wundervolle Statue der Agrippina, ein vollendetes Meisterwerk, in dem die strenge Schönheit und die Seelengröße dieser Korsin zur vollen Geltung kommen.

Wenn Napoleon im Felde war, lebte Madame Mère noch stiller und zurückgezogener als gewöhnlich. Trotz ihres Vertrauens in sein Genie und in seinen Stern erfüllte die Mutter doch fortwährend die Angst, es könne ihm etwas zustoßen. Dann suchte sie ihren Trost im Gebet und in dem Briefwechsel mit ihren übrigen Kindern, besonders mit Lucien. Aber nur selten ließ sie ein Wort der Besorgnis fallen. Meist sprach sie in ihren Briefen über Familienangelegenheiten. Am liebsten erzählte sie dem, an den der Brief gerichtet war, von den Ihrigen. Dann schloß sie gewöhnlich mit den einfachen Worten: Ich bin Eure Mutter, oder: ich küsse Euch zärtlich. Ihr großer Charakter zeigte sich darin, daß sie allen Kummer in ihrem starken Herzen verschloß und die Mitglieder ihrer Familie nicht unnütz beunruhigte. Aber in ihren Memoirenfragmenten hat Letizia gestanden, was sie in dieser Hinsicht gelitten. »Alle Menschen nennen mich die glücklichste Mutter auf der Welt«, heißt es dort; »und doch war mein Leben eine ununterbrochene Sorge, eine Qual. Bei jeder eintreffenden Nachricht fürchtete ich, daß sie mir die Unglücksbotschaft bringen werde: der Kaiser liegt tot auf dem Schlachtfelde!«

Nicht immer war Frau Letizia mit den Handlungen ihres Sohnes einverstanden. Am meisten schmerzte sie es, daß er alle Rücksichten außer acht ließ, wenn seine Politik auf dem Spiele stand. Da halfen selbst die stärksten Familiengefühle nichts. Daß er im Jahre 1802 die Heirat seines Bruders Louis mit Hortense begünstigt hatte, und zwar auf Veranlassung Josephines, mißfiel ihr und betrübte sie zugleich. Sie sah darin »den Sieg einer fremden Familie über die ihrige«. So drückte sich wenigstens Lucien aus.

Am tiefsten jedoch betrübte sie die Hinrichtung des Herzogs von Enghien. Sie sprach bei dieser Gelegenheit die prophetischen Worte zu Napoleon: »Du wirst der erste sein, der in den Abgrund versinkt, den du jetzt unter den Füßen deiner Familie gräbst.« Weder die Tränen seiner Mutter, noch Josephines und Hortenses Flehen konnten ihn von dem Schritt abhalten, den seine Politik ihm vorschrieb. Interessant ist zu wissen, daß Madame Mère dem unglücklichen Herzog von Enghien kurz vor seinem Tode noch einen Dienst erwies. Er hatte den Wunsch ausgedrückt, daß sein Lieblingshund und einige Gegenstände, die ihm teuer waren, einer Dame übergeben würden, deren Adresse er nannte. Man fragte Frau Letizia, wer wohl diese heikle Mission erfüllen solle. Da sich niemand fand, nahm sie es selbst auf sich, der betreffenden Dame die letzten Grüße und Erinnerungen des Prinzen zukommen zu lassen.

Da sie eine strenge Katholikin war und in dem Oberhaupt der Kirche eine unantastbare, unfehlbare Persönlichkeit sah, litt sie im Jahre 1809 ebenfalls sehr darunter, daß der Kaiser den Heiligen Vater hatte verhaften und nach Frankreich bringen lassen. Eine solche Maßnahme schien ihr ungeheuer, kaum faßbar. Sie vermochte nichts daran zu ändern, denn sie hatte keinen Einfluß auf die politischen Angelegenheiten ihres Sohnes.

Wenn Letizia sich im allgemeinen nicht in die Staatsgeschäfte mischte, so hat sie doch im besonderen dem Kaiser hin und wieder mit ihrem Rate, nicht nur in Familiensachen, beigestanden. Man sagt sogar, sie habe immer mit Napoleon, wenn er nicht in Frankreich weilte, einen geheimen Briefwechsel unterhalten. So war sie es, die den Kaiser im Jahre 1808, als er sich in Spanien aufhielt, zuerst von der Verschwörung benachrichtigte, die Fouché und Talleyrand gegen ihn schmiedeten. Napoleon reiste darauf sofort nach Paris zurück.

Auch Ämter und Würden hat Madame Mère, besonders ihren Verwandten und Landsleuten, verschafft. Nie wandte sich ein Korse vergebens an sie. Nur mußte der Bittsteller einer von den »Ihrigen« sein, denn sie unterschied auch als Kaisermutter noch die Korsen von Ajaccio und die von Bastia. Vor allem erhielt die ganze Sippe der nahen und fernen Verwandtschaft durch Letizia Anstellungen und Titel. Im großen und ganzen aber stand die Mutter Napoleons den Ereignissen, die durch die Handlungen ihres Sohnes hervorgerufen wurden, fern. Sie hatte genug in ihrer Familie zu schaffen und zu schlichten.

Da sie schließlich einsehen mußte, daß alle ihre Bemühungen, die feindlichen Brüder Napoleon und Lucien zu versöhnen, erfolglos blieben, gab sie sich damit zufrieden, wenigstens das Glück der Kinder Luciens zu begründen. Sie meinte das am besten dadurch zu können, daß sie Luciens älteste Tochter aus erster Ehe, Charlotte Marie, im stillen zur Frau des Kaisers bestimmte und erzog. Denn Letizia war von der Notwendigkeit einer Scheidung ihres Sohnes von der kinderlosen Josephine vollkommen überzeugt. Da es Lucien, dem einzigen ihrer Söhne, nicht beschieden war, auf einem Throne zu sitzen, so sollte dieses Glück wenigstens seinem Kinde nicht entgehen. So dachte die Mutter und Großmutter. Ihr Plan scheiterte jedoch an den politischen Absichten ihres Sohnes Napoleon.

Dennoch hieß Letizia die Scheidung des Kaisers willkommen und wohnte jenem dramatischen Familienrate der Bonaparte von 1809 bei, in dem Josephines Urteil gesprochen wurde. Letizia hatte die Schwiegertochter nie geliebt, später noch weniger, als ehe sie sie persönlich kannte. Ja, sie haßte sie aus tiefstem Grunde Ihres Herzens, und dieser Haß übertrug sich sogar auf ihre andere Schwiegertochter, die sanfte Hortense und deren Kinder. Jetzt trennte sich Letizia ohne Bedauern von Josephine.

2. Letizia Bonaparte.
Lithographie von Villain, Zeichnung von Devéria nach einem Gemälde von Gérard. Porträtsammlung der Nationalbibliothek, Wien

Größere Sorge bereitete ihr das plötzliche Verschwinden Louis' aus Holland. Sie war erst dann einigermaßen beruhigt, als Napoleon, sobald er selbst etwas Näheres über diese Flucht wußte, ihr sagte, daß sich der ehemalige König von Holland in Teplitz befinde und es ihm gut gehe. »Da Sie über Louis' Befinden sehr besorgt sein müssen«, schrieb der Kaiser an seine Mutter, »so verliere ich keinen Augenblick, Ihnen dies mitzuteilen.« Man sieht, der erste Gedanke Napoleons war, daß Letizia sich um eins ihrer Kinder sorgen könne. Er kannte seine Mutter. Ihre Fürsprache für Louis hatte jedoch ebensowenig Nutzen wie einst ihre Bemühungen um Lucien.

Napoleons Heirat mit Marie Luise befriedigte Letizia fast ebenso wie den Kaiser selbst, nur in anderm Sinne. Nicht, weil die neue Schwiegertochter ein Kaiserkind war, sondern weil sie jung war und ihr die Hoffnung ließ, Enkel zu bekommen. Sympathisch war ihr auch Marie Luise nicht. Als sie später ihrem Napoleon nicht in die Verbannung folgte, verachtete Madame Mère sie sogar.

3. Napoleon I., als Kaiser.
Farbstich von Levachez nach einem Gemälde von Vernet. Porträtsammlung der Nationalbibliothek, Wien

Vorläufig jedoch teilte auch sie das Glück des Sohnes, besonders als der so sehnlichst erwartete Thronfolger geboren wurde. Welche Gefühle mögen an diesem Tage Letizias Herz erfüllt haben? Was mag sie empfunden haben, als sie dieses Kind über die Taufe hielt und es dann dem vor Freude strahlenden Vater übergab, damit er es der jubelnden Menge zeige! Dachte die Korsin zurück an ihre eigenen Kinder, die sie mit Schmerzen geboren hatte in Sorgen und Not? Und dieses Kind, dieser kleine König, den Glanz, Reichtum und Ruhm bei seiner Geburt umgaben, an dessen Wiege ein Kaiser und Könige und Fürsten standen, dieses Kind war ihr Enkel! Die vierte Dynastie war begründet!

Noch ein anderes Glück war Madame Mère im Jahre zuvor beschieden gewesen. Auf einer Reise nach Westfalen zu ihrem jüngsten Sohn Jérôme lernte sie den edlen Charakter der Königin Katharina kennen und schätzen. Von allen ihren Schwiegertöchtern war sie ihr die liebste. Als beide Frauen sich wieder voneinander trennen mußten, fühlten sie, was sie sich gegenseitig gewesen waren. Besonders spürte die mutterlose Katharina die Leere in ihrem Herzen, als Letizia nicht mehr bei ihr war. Nur der Briefaustausch mit Madame Mère vermochte ihr einigermaßen das Verlorene zu ersetzen. Bis an Letizias Lebensende ist Katharina ihr eine treue, ergebene und liebende Tochter geblieben.

Mit dem Jahre 1812 begann auch für die Mutter Napoleons die sorgenvolle, unruhige Zeit. Der schreckliche Krieg in Rußland und die Nachrichten, die über das Heer ihres Sohnes zu ihr gelangten, versetzten sie in die furchtbarste Angst und Besorgnis. Sie wußte, daß Napoleon auf seinem Rückzug aus den russischen Eissteppen den größten Gefahren ausgesetzt gewesen war, und daß er die Reise von Wilna bis Dresden ohne Aufenthalt fortgesetzt hatte, um der Rache seiner Feinde zu entgehen. Als er endlich, wenn auch geschlagen und von den Elementen besiegt, am 18. Dezember 1812 wieder in den Tuilerien eintraf, da war die Mutter überglücklich. Ihre Freude war größer als die der Gattin. Sie bot dem Sohne sofort alle ihre Ersparnisse an, damit er das Geld zur Bildung einer neuen Armee verwende. Napoleon aber brauchte die Schätze Letizias diesmal noch nicht. Noch standen ihm andere Hilfsquellen zur Verfügung. Es sollten schlimmere Tage kommen, an denen er gezwungen war, die Hilfe seiner Mutter in Anspruch zu nehmen.

Und sie waren nicht mehr fern, die Tage des großen Unglücks. Zwar begann das Jahr 1813 unter den günstigsten Voraussetzungen, besonders für die gläubige Letizia. Ihr sehnlichster Wunsch, die Vereinigung von Kirche und Staat, ward von neuem durch ein Konkordat befestigt. Voller Freude darüber schrieb sie ihrer Tochter Elisa: »Das ist eine der besten Nachrichten, deren wir uns erfreuen können.« Aber das Ende dieses Jahres brachte wiederum Kummer und Sorgen. Die Korsin bot dem Unglück die starke Stirn. Im Zusammenhalt der Familie allein sah sie ihr Heil. Aus jedem ihrer Worte sprach die Hoffnung auf ihren großen Sohn, auf sein Genie, auf seine unerschütterliche Tatkraft. Als sie ihn nach dem Feldzuge von Leipzig wiedergesehen hatte, schrieb sie an Pauline: »Weit entfernt, ihn niedergeschlagen zu finden, war er voll Vertrauen in seine Angelegenheiten ... Die Dinge liegen nicht so verzweifelt, wie wir es zuerst angenommen haben ... Der Kaiser hat seine Armee in Sicherheit vor den Beschimpfungen des Feindes zurückgelassen. Er beschäftigt sich mit gewohnter Tätigkeit und allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln damit, sich von neuem seinen Feinden furchtbar zu zeigen, wenn sie nicht in einen ehrenvollen Frieden einwilligen wollen.«

Es war indes vorbei mit dem Kriegsglück des Sohnes. Viele seiner Getreuen hatten kein Vertrauen mehr zu ihm; selbst Murat, sein Schwager, fiel von ihm ab. Das betrübte die Mutter tief. Nur noch einmal empfand ihr Herz Freude, wenn auch nur für kurze Zeit. Louis hatte sich wieder Frankreich genähert. Schon glaubte Letizia, die Versöhnung ihrer beiden Söhne sei nahe. »Ich bin entzückt«, schrieb sie an ihren Bruder Fesch, »zu hören, daß sich Louis bei Ihnen befindet. Der Kaiser hat mich gefragt, warum er nicht sogleich nach Paris gekommen ist. Sagen Sie ihm, daß ich ihn bei mir erwarte.« Und dann fügte sie als echte Kaisermutter hinzu: »Es ist jetzt nicht mehr am Platze, sich an die Hofsitte zu halten. Die Bourbonen sind zugrunde gegangen, weil sie nicht verstanden haben, mit den Waffen in der Hand zu sterben!« – Welche Frau!

Sie konnte die Katastrophe nicht aufhalten. Das Kaiserreich fiel in Trümmer, aller Glanz, alle Pracht, aller Ruhm und aller Ehrgeiz versanken in ein Nichts! Da bewies sich Letizia als wahrhaft bewunderungswürdiger großer Mensch. Im alltäglichen Leben hatte sie sich bisweilen kleinlich gezeigt, jetzt war sie groß. Die Ereignisse vermochten sie nicht zu beugen. Wie ein starker Baum breitet sie die Arme über ihre vom Unglück heimgesuchte Familie aus und dünkt sich kräftig genug, alle die Ihrigen zu schützen. Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo sie ihre Rolle spielen kann, die Rolle als Helferin mit dem ersparten Gelde.

Marie Luise hatte ihr bei ihrer Abreise aus Paris angeboten, sich mit ihr nach Österreich zu begeben. Welche Zumutung für diese Mutter! Schlicht hatte Letizia der Schwiegertochter geantwortet, daß sie sich nie von ihren Kindern trennen werde. Darin lag gleichzeitig eine Zurechtweisung für Marie Luise, die sich, ohne Widerstand zu leisten, nach Wien führen ließ, die Napoleons Sohn mit sich nahm und ihn dann zu einem Herzog von Reichstadt umtaufen ließ. Davon erhielt übrigens nicht einmal die Großmutter Nachricht. Als Letizia es später erfuhr, rief sie triumphierend aus: »Nun, da sind wir ja genügend an dem Hause Österreich gerächt! Ich hätte niemals geglaubt, daß man Marie Luise, als man sie meinem Sohne gab, nicht zu seiner Frau, sondern zu seiner Maitresse machen wollte!«

Am meisten aber betrübte es sie, daß die Frau ihres Sohnes in Rambouillet die fremden verbündeten Fürsten, die Feinde Napoleons, empfangen hatte. Sie konnte nicht begreifen, daß ihre Schwiegertochter so wenig Stolz zeigte und dem Zaren gestattete, den kleinen König von Rom, das Kind desjenigen, den er soeben vom Throne gestürzt und somit auch den Sohn seines Eigentums beraubt hatte, herzte und küßte! Die stolze Korsin konnte eine solche Handlungsweise nicht verstehen. In Letizias Herzen lebte noch die alte Blutrache ihrer Väter, die Vendetta fort. Wäre sie Marie Luise gewesen, sie hätte die Feinde ihres Mannes mit flammenden, haßerfüllten Augen von ihrer Schwelle gewiesen!

Am gleichen Tage, am 9. April, als die Kaiserin Blois verließ, um sich nach Wien zu begeben, trat auch Letizia ihre Reise nach Rom an. Beim Abschied hatte Marie Luise ihr noch gesagt: »Ich hoffe, Madame, Sie bewahren mir das Wohlwollen, das Sie mir bisher geschenkt haben!« – »Madame«, hatte die Mutter des entthronten Kaisers kalt erwidert, »das hängt von Ihnen und Ihrem künftigen Verhalten ab.«

Ihre Söhne Joseph und Jérôme begleiteten Letizia ein Stück. Der Kardinal Fesch, der aus seinem Schloß Pradines vor den Österreichern fliehen mußte, war seiner Schwester auf Umwegen unter den größten Schwierigkeiten entgegengereist, um sie über den Mont Cenis sicher und ungefährdet nach der Ewigen Stadt zu geleiten. Niemals war es den beiden Geschwistern so zum Bewußtsein gekommen, was sie sich gegenseitig waren. Letizias Charakter zeigte sich jetzt in antiker Größe. Sie hatte in ihrem Leben zuviel Veränderungen und Schicksalsschläge erlebt, als daß ihr dieser härteste von allen überraschend gekommen wäre, überdies hatte sie zehn Jahre lang in der Unbehaglichkeit eines Hofes zugebracht, dessen Etikette und Steifheit ihr nicht zusagen konnten. Jetzt war sie einesteils glücklich, ihre Ruhe und Einfachheit im stillen Privatleben zu finden. Nur die traurige Erinnerung an ihre Flucht aus Korsika schmerzte sie. Denn wie einst in Frankreich mußten die Flüchtlinge jetzt in Italien eine Zufluchtsstätte suchen. Wie einst in Ajaccio mußte Letizia auch jetzt ein brennendes Haus zurücklassen, denn als sie Paris verlassen hatte, erfuhr sie, daß ihr schönes Schloß Pont in Flammen stand. Es war den Plünderern zum Opfer gefallen.

In der Nacht vom 14. Mai traf sie mit Fesch in Rom ein. Der erst vor kurzem aus der Gefangenschaft des Kaisers freigelassene Papst Pius VII. empfing die Mutter Napoleons wie immer mit Auszeichnung. Bereits in Cesena, wo er einige Zeit vor der Ankunft Letizias eingetroffen war, hatte er sie mit den schlichten, schönen Worten begrüßt: »Seien Sie hier ebenso willkommen wie in Rom, das immer die Heimat der großen Verbannten gewesen ist.«

In Rom bewohnte Madame Mère mit ihrem Bruder den Palazzo Falconieri. Kaum aber war sie dort angelangt, so wünschte sie sehnlichst, die Verbannung ihres Sohnes Napoleon zu teilen. Früher hatte sie stets Lucien als das unglücklichste und hilfsbedürftigste ihrer Kinder angesehen. Jetzt, da er der einzige war, der nicht von einem Throne gestoßen wurde, erschien er ihr als das glücklichste von allen. Napoleon hatte das Unglück am schwersten getroffen. Ihm galt nun ihre ganze Fürsorge und Liebe. Nur eine Mutter konnte so handeln wie Letizia. Sie stellte ihm alle Schätze zur Verfügung, die sie in den Jahren des Glücks und Glanzes angehäuft hatte. Mit Recht durfte der Sohn von ihr sagen, daß sie gern trockenes Brot gegessen haben würde, wenn sie dadurch sein Mißgeschick hätte mildern können. Und damit verdiente sich diese Frau am meisten den schönen Titel Madame Mère!

Im Juli endlich durfte sie zu dem verbannten Sohn. Vorher hatte sie noch das Glück gehabt, ihren geliebten Lucien ans Herz zu drücken, den sie seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Dann machte sich die 65 jährige am 26. zur Reise nach Elba auf. Sie mußte jedoch drei Tage in Livorno verweilen und kam erst am 2. August, von Sir Neil Campbell geleitet, mit der Brigg »The Grasshopper« in Porto Ferraio an. Letizia war unter dem Namen einer Frau Dupont gereist. In ihrer Gesellschaft befanden sich die alte Dienerin Saveria, die sie seit der Flucht aus Korsika nie verlassen hatte, ferner eine Frau Blachier, geborene Gräfin Fachinelli, bei der Letizia früher in Rom eine Zuflucht gefunden hatte. Außerdem hatte sie ihren ehemaligen Ehrenkavalier, den Grafen Colonna, und die Gräfin de Blou de Chadenac bei sich.

Bei ihrer Landung im Hafen von Porto Ferraio fühlte sich Letizia ein wenig enttäuscht und in ihrer Mutterehre gekränkt, als sie Napoleon nicht zu ihrer Bewillkommnung am Ufer sah. Er hatte indes am 1. August den ganzen Tag vergebens auf seine Mutter gewartet und gemeint, sie käme überhaupt nicht. Am folgenden Tag hatte er daher einen Ausflug in die Berge unternommen, während Letizia landete. Schließlich aber kamen Bertrand und Drouot, sowie alle Offiziere vom Dienst noch rechtzeitig herbeigeeilt, um die Mutter ihres Kaisers würdig zu empfangen.

Im Ventinischen Hause, dem schönsten in Porto Ferraio, das eigentlich für Pauline bestimmt war, hatte Napoleon für Letizia ein Heim einrichten lassen. Es war nicht weit von seiner eigenen Behausung gelegen, und so konnte er seine Mutter täglich besuchen.

Die freiwillige Verbannung lastete nicht schwer auf Letizia. Auf Elba führte sie ein ihrem einfachen Wesen weit mehr zusagendes Leben als in den Tuilerien. Auch war sie dem Sohne näher als in Paris, wo ihn die Staatsgeschäfte, Empfänge und Feste von ihr entfernten. Sie sah ihn täglich. Es verging nie ein Tag, an dem Napoleon sich nicht persönlich nach dem Befinden seiner Mutter erkundigt hätte. Oft besuchte auch sie ihn oder fuhr mit ihm spazieren. Anfangs, als ihre Wohnung noch nicht vollkommen eingerichtet war, speiste sie sogar mit dem Kaiser. Kurz, Napoleon sorgte bis ins kleinste dafür, daß seiner Mutter der Aufenthalt so angenehm wie möglich gemacht wurde.

So verbrachte Letizia ihre Tage in ruhiger Abgeschiedenheit auf Elba. Die Sorge um die Armen, Handarbeiten und Lektüre füllten sie aus. Besonders ließ sie sich gern über die großen Taten ihres ruhmreichen Sohnes berichten. Vor ihr auf dem Tisch, an dem sie gewöhnlich saß, stand ein Bild Napoleons, umgeben von den Bildnissen ihrer andern Söhne, Töchter, Enkel und Enkelinnen. So befand sich die Mutter, obgleich fern von den meisten ihrer Familie, doch im Kreise der Ihrigen.

Erst als die Prinzessin Pauline in Porto Ferraio eingetroffen war, öffnete auch Madame Mère ihre Salons den Elbanern, die sie sehr verehrten. Merkwürdigerweise zeigte sie, die in Paris alle Öffentlichkeit gescheut hatte, sich jetzt öfter in Gesellschaft. Konnte sie doch hier in ihrer geliebten Muttersprache reden, ohne befürchten zu müssen, belächelt zu werden.

Napoleon vergalt ihr die Fürsorge, die sie ihm angedeihen ließ, in reichem Maße. Er erkannte, welche Opfer ihm seine Mutter gebracht hatte und noch bringen würde, wenn es sein müßte. Sie war die einzige von der ganzen Familie, die fühlte, was sie ihrem Sohne verdankte. Als sie später von dem Übergang Murats zu den Verbündeten erfuhr, schrieb sie in höchster Entrüstung an ihre Tochter Karoline: »Wenn Du Deinem Gatten nicht befehlen konntest, so mußtest Du ihn bekämpfen! Welche Kämpfe aber hast Du geliefert! Nur über Deinen Leib hinweg durfte Dein Gatte Deinen Bruder, Deinen Wohltäter, Deinen Gebieter töten!« Das war die Korsin.

Aber auch in Elba blieben der Mutter die Sorgen um den Sohn nicht erspart. Es kamen ihr Gerüchte zu Ohren, daß man auf dem Wiener Kongreß, besonders aber im englischen Kabinett, die Absicht hege, Napoleon auf eine entfernte Weltmeerinsel zu verbannen, wo er für immer für Europa unschädlich sein würde. Ferner bezahlte man ihm die festgesetzte Rente nicht aus, und weder Letizia noch Pauline erhielten etwas von den Unterhaltungsgeldern, die ihnen die französische Regierung zugesprochen hatte. Bis auf ein Wertpapier von 500.000 Piastern hatte Madame Mère alle ihre Wertsachen dem Sohne zur Bestreitung seiner Ausgaben gegeben. In ihrem Innern zitterte sie vor der Zukunft. Nicht vor der pekuniären Not bangte ihr, sondern vor der Schmach, daß ihr großer Napoleon in der Verbannung einen unehrenhaften, ruhmlosen Tod erleiden sollte. Das beunruhigte Letizias Seele, ohne daß sie jedoch ihren starken Mut und ihre Zuversicht verlor.

Währenddessen reiften in des Kaisers Kopfe kühne Pläne. Seine Lage auf Elba wurde immer bedenklicher. Nur rasches Handeln, ein Gewaltstreich, wie er noch nie erlebt worden war, konnte ihn retten! Er beschloß, nach Frankreich zurückzukehren.

Es wird behauptet, Letizia und auch Pauline hätten von diesem Unternehmen lange vorher gewußt. Die Schwester soll sogar mehrere Reisen zu seiner Vorbereitung nach Italien unternommen haben. Für Letizias Anteilnahme an dem Plane sind jedoch nicht die geringsten Beweise vorhanden. Sie selbst erzählt in ihren leider unvollendeten Erinnerungen: »Eines Abends schien mir der Kaiser heiterer als gewöhnlich. Er forderte mich und Pauline zu einer Partie Karten auf, aber schon einen Augenblick später verließ er uns und ging in sein Arbeitszimmer. Da er nicht wieder zurückkam, lief ich zu ihm, um ihn zu rufen. Der Kammerherr sagte mir, er sei in den Garten gegangen. Ich erinnere mich, es war ein wunderschöner, lauer Frühlingsabend. Der Mond schien durch die Bäume. Mit eiligen Schritten ging der Kaiser ganz allein auf den Wegen auf und ab. Plötzlich hielt er in seiner Wanderung inne, lehnte den Kopf an einen Feigenbaum und seufzte: »Ich muß es aber doch meiner Mutter sagen!« – Als er dies sprach, näherte ich mich ihm und rief erregt aus: »Was haben Sie heute abend? Ich sehe, Sie sind nachdenklicher als sonst.«

Die Hand gegen die Stirn gepreßt antwortete mir der Kaiser nach einigem Zögern: »Ja, ich muß es Ihnen sagen. Aber ich verbiete Ihnen, das Geheimnis, das ich Ihnen anvertraue, irgendwem zu erzählen. Sie dürfen es nicht einmal Pauline verraten.« Darauf lächelte er, küßte mich und fuhr fort: »Heute Nacht reise ich ab!« – »Wohin?« – »Nach Paris. Vorher aber bitte ich um Ihren Rat.« – »Ach! lassen Sie mich einen Augenblick vergessen, daß ich Ihre Mutter bin!« – Ich dachte eine Weile nach und fügte hinzu: »Der Himmel wird es nicht zugeben, daß Sie durch Gift oder in einer, Ihrer unwürdigen Abgeschiedenheit sterben, sondern nur mit dem Degen in der Hand! Und so reisen Sie, mein Sohn, und folgen Sie Ihrer Bestimmung.«

Am 26. Februar 1815 verließ Napoleon die Insel, Mutter und Schwester der Obhut der Elbaner überlassend. Letizia wollte so lange in Porto Ferraio bleiben, bis sie Nachricht hatte, daß ihr Sohn in Lyon angelangt sei. Nur Pauline, die es eilig hatte, wieder ins Leben zu kommen, ließ sie nach Rom abreisen. Ende März endlich verließ auch Madame Mère in Begleitung Frau Bertrands und Frau Blachiers nicht ohne Bedauern die stille Insel. Hatte sie doch dort in einer gewissen Zufriedenheit gelebt. Jetzt sollte sie von neuem ein Leben voll Äußerlichkeiten beginnen.

Zuerst begab sich Letizia nach Neapel zu ihrer Tochter Karoline. Von dort aus trat sie am 20. April mit dem Kardinal Fesch ihre letzte Reise nach Frankreich an. Die Überfahrt war stürmisch und nicht ohne Gefahr für die alte Dame. Das Meer war voll englischer Schiffe, so daß die Geschwister gezwungen waren, sich eine Zeitlang in der sichern Feste Gaeta aufzuhalten. Endlich, am 13. Mai, konnten sie ihre Reise fortsetzen. Ihr Schiff segelte die korsische Küste entlang, und so hatte Letizia noch einmal die Freude, die geliebten Heimatfelsen zu sehen. In Bastia hielt sie sich einige Stunden auf und landete endlich nach elftägiger Fahrt im Hafen von Juan.

Über Lyon begab sich die Kaisermutter nach Paris, wo ihr Sohn sich zum zweitenmal den Thron erobert hatte. Dort kam sie am Abend des 1. Juni an. An diesem Tage hatte das Fest auf dem Maifelde stattgefunden, bei welcher Gelegenheit der Eid auf die Verfassung geleistet wurde. Der Kaiser hatte ihn auf einem Throne sitzend feierlich seinen Untertanen abgenommen. Die ganze Familie war um ihn versammelt, nur die Mutter fehlte, trotz der gegenteiligen Behauptung mancher ihrer Biographen.

Der so leicht wiedergewonnene Thron des Sohnes aber stand auf schwankenden Füßen. Das französische Volk hatte Napoleon den Treueid nur mit den Lippen geleistet, nicht mit dem Herzen. Die erste Niederlage, die er erlitt, stürzte ihn von neuem in den Abgrund, und diesmal war er rettungslos verloren. Vergebens hatte er bei Waterloo auf dem Schlachtfelde mit dem Degen in der Hand den Tod gesucht, wie es seine Mutter wünschte. Ihm, dem großen Staatenlenker und Feldherrn sollte eine qualvolle Verbannung auf einer rauhen Insel des Weltmeeres, ein ruhmloses Hinsterben in Abgeschiedenheit und Vergessenheit beschieden sein!

Noch aber wußte Frau Letizia nicht das ganze, schmachvolle Unglück. Noch wußte sie nicht, daß ihr Sohn zum zweitenmal seinen Thron aufgegeben hatte! Erst in Malmaison, wohin sich der Kaiser die letzten Tage zurückgezogen hatte, mußte sich die Mutter überzeugen, daß alles Wahrheit war, was man ihr nach und nach über das Geschick ihres Sohnes hinterbracht hatte. Napoleon war seelisch und physisch gebrochen. Er hatte die Absicht, nach Amerika zu gehen, um dort ein neues Leben zu beginnen. Seine Mutter, Joseph und Lucien, der im Unglück zu ihm geeilt war, wollten seine Verbannung teilen. Letizia hatte nur einen Wunsch: ihre letzten Lebensjahre mit ihrem unglücklichen Sohne zu verbringen, ihm, so gut sie konnte, Trost zu spenden und daran an seiner Seite zu sterben.

Der Tag kam heran, an dem sie von ihrem Napoleon Abschied nehmen mußte. Aber noch hatte sie ja die Hoffnung, ihm bald zu folgen! Auch jetzt zeigte Letizia sich als Heldin. Weder ihr Gesicht noch ihre Stimme verrieten die Bewegung ihrer Seele, als sie dem Kaiser zum letzten Male die Hand zum Lebewohl reichte. Erst als sie ihn küßte, liefen ihr zwei große Tränen aus den traurigen Augen über die Wangen; im bittern Schmerz preßten sich die schmalen Lippen fest aufeinander.

III.

Die Gemütsbewegungen der letzten Tage waren selbst für diese starke Frau zuviel. Sie war außerstande, Paris vor dem Einzuge der verbündeten Herrscher zu verlassen. Erst am 19. Juli reiste sie unter der größten Anstrengung in Begleitung Feschs von der Hauptstadt ab. Über die Schweiz suchte sie von neuem eine Zuflucht in Italien, wo sie der gütige Pius wiederum in Rom aufnahm.

Dankerfüllt schrieb sie durch Vermittlung des Kardinals Consalvi dem Papst: »Ich bin wirklich die Mutter aller Schmerzen. Der einzige Trost, der mir geblieben, ist, daß der Heilige Vater das Vergangene vergißt und sich nur der Güte erinnert, die er allen Mitgliedern meiner Familie erweist ... Wir finden nur bei der päpstlichen Regierung Schutz, und unsere Dankbarkeit für eine solche Wohltat ist groß.«

So lebte die Mutter des verbannten Kaisers der Franzosen endlich in Ruhe und Frieden. Ihr einziger Wunsch war und blieb, in Helena bei ihrem Sohne zu sein und sein freudloses Dasein ein wenig zu verschönern. Noch als 70jährige erneuerte sie ihre Bitte bei den verbündeten Mächten. Umsonst! Und wie gern hätte sie Napoleon geholfen. Unter ihren Kleidern verborgen wollte sie ihm alles bringen, was sie noch an Vermögen und Schätzen besaß, ihm, dem größten und unglücklichsten ihrer Kinder! Ihm, dem Begründer dieses Vermögens! Es ward ihr versagt. Aber sie hoffte immer. Als die verbündeten Souveräne sich auf dem Aachener Kongreß versammelten, schrieb Letizia am 29. August 1818 an einen jeden von ihnen folgenden, beredten, von der Mutterliebe eingegebenen Brief: »Eine über alle Maßen betrübte Mutter hat seit langem gehofft, daß die Versammlung Eurer Kaiserlichen und Königlichen Majestäten ihr das Glück wiedergäbe.

Es ist unmöglich, daß die lange Gefangenschaft des Kaisers Napoleon Ihnen nicht Gelegenheit gibt, sich über ihn zu unterhalten, und daß Ihre Großmut, Ihre Macht, die Erinnerung an die vergangenen Ereignisse Eure Kaiserlichen und Königlichen Majestäten nicht veranlassen, sich für die Befreiung eines Fürsten zu interessieren, der soviel Anteil an Ihren Interessen, ja sogar an Ihrer Freundschaft gehabt hat.

Wollen Sie in einer qualvollen Verbannung einen Souverän zugrunde gehen lassen, der im Vertrauen auf seinen Feind sich in dessen Arme warf? Mein Sohn hätte den Kaiser, seinen Schwiegervater, um eine Zuflucht bitten können; er hätte sich dem großen Charakter des Kaisers Alexander anvertrauen oder sich zu Seiner Majestät dem König von Preußen flüchten können, der sich gewiß bei einer solchen Bitte nur seiner früheren Allianz erinnert haben würde. Kann England ihn für das Vertrauen bestrafen, das er ihm bewiesen hat?

Der Kaiser Napoleon ist nicht mehr zu fürchten. Er ist krank. Und wäre er auch bei voller Gesundheit, hätte er auch alle Mittel, die die Vorsehung ihm einst in die Hände gab, so verabscheut er doch aus tiefstem Grunde seines Herzens den Bürgerkrieg.

Sire, ich bin Mutter! Das Leben meines Sohnes ist mir teurer als mein eigenes. Verzeihen Sie um meines Schmerzes willen die Freiheit, die ich mir nehme, an Eure Kaiserlichen und Königlichen Majestäten diesen Brief zu richten.

Lassen sie eine Mutter, die sich über die lange Grausamkeit gegen ihren Sohn beschwert, diesen Schritt nicht vergebens tun!

Im Namen des Allergütigsten, dessen Ebenbild Eure Kaiserlichen und Königlichen Majestäten sind, veranlassen Sie, daß die Qualen meines Sohnes aufhören! Verwenden Sie sich für seine Freiheit! Dies fordere ich von Gott und von Ihnen, die Sie seine Stellvertreter auf Erden sind!

Die Staatsgründe haben hier Grenzen, und die Nachwelt, die alles unsterblich macht, bewundert vor allem die Großmut der Sieger.«

Der Brief, der Schmerzensschrei einer Mutter, blieb unbeantwortet. Nur die Erinnerung an Napoleon, an sein großes Genie, seine Tatkraft und seine unsterblichen Handlungen konnte man der Mutter nicht entreißen. Täglich dachte sie seiner, schloß ihn in ihre Gebete ein und wand im stillen einen Glorienschein um sein Haupt. Ihre Tränen allein waren ein Trost für sie. Sie sollte noch viele Jahre den Schmerz mit sich herumtragen, der eine schwächere Natur vielleicht getötet hätte.

Trotz allem versuchte Letizia des öfteren, ihrem Sohne Unterstützungen zukommen zu lassen. Aber die Sendungen gelangten fast nie in seinen Besitz. Die Briefe wurden aufgefangen oder dem Kaiser geöffnet übergeben. Nur einmal erhielt er von seiner Mutter 100.000 Franken, um die er sie gebeten hatte, damit er sich das Leben ein wenig erträglicher machen konnte. Wie gerne hätte sie ihm alles gegeben, was sie besaß, besonders als er krank war! Für ihn sparte sie ja, für ihn allein suchte sie ihr Geld zusammenzuhalten. Sie meinte immer, ihm Rechenschaft ablegen zu müssen, weil sie all den Reichtum erst durch ihn erlangt hatte. Fast war sie die einzige von der ganzen Familie, die nicht mittellos dastand. Alles hatte sie um sich her versinken sehen. Ihre Söhne und Töchter waren von ihren Thronen verstoßen. Manche von Letizias Kindern befanden sich direkt in Not. Sie allein hatte im Glück nicht vergessen, daß es unbeständig ist. Jetzt konnte sie helfen. Und sie half, soweit sie es vermochte.

Jérôme war das ärmste ihrer Kinder. Er konnte am wenigsten rechnen und war am verschwenderischsten. »Wenn man nicht mehr König ist, so ist es lächerlich, als solcher leben zu wollen«, sagte ihm die Mutter wohl bisweilen, aber sie gab ihm doch mit vollen Händen. Und nicht nur ihm, sondern auch den andern. Elisa, Lucien, sogar Karoline suchten von der Mutter Geld zu erhalten. Drängten sie allzusehr, dann sagte sie ihnen allerdings auch, daß sie ihr Vermögen zusammenhalten müsse, denn es gehöre nicht ihr, sondern dem Kaiser, übrigens verlor Letizia bereits im Jahre 1816 die Pension von 300.000 Franken, die ihr durch den Vertrag vom 11. April 1814 von der französischen Regierung ausgesetzt worden war. Durch ein Gesetz vom 12. Januar dieses Jahres war alles Eigentum der Familie Bonaparte beschlagnahmt worden.

Letizias größter Trost in Rom blieben die Beziehungen zu ihren Kindern und Kindeskindern. Mit ihnen stand sie in regem Briefwechsel. Am liebsten hätte sie alle um sich versammelt und in ihrer Mitte gelebt. Aber nur einigen war es gestattet, die Mutter zu besuchen oder in den letzten Jahren ihren Aufenthalt zu teilen. Von dem Teuersten aber, der ihr am meisten ans Herz gewachsen war, von ihrem kleinen Napoleon in Wien, hörte sie nichts. Er war sowohl für den Vater wie für die Großmutter tot. Nur seine Kinderbildnisse waren Letizia geblieben. Sie hatte sie alle mit den übrigen Familienbildern in ihrem Salon aufgestellt. Fühlte sich die alte Dame einsam und verlassen, dann unterhielt sie sich auf ihre Weise mit den Abwesenden.

Alles in der Umgebung der Kaisermutter war ernst und düster, gleichförmig und still. Sie empfing nur wenige Leute. Fremde hatten fast nie Zutritt. Nur bisweilen machte sie davon eine Ausnahme, wenn sie ihr Nachrichten von dem verbannten Sohne brachten. So war sie sehr glücklich über den Besuch des Doktor O'Meara, der Napoleon eine Zeitlang auf Sankt Helena gepflegt hatte. Auch mit Lord Holland unterhielt sie sich gern, denn er war ein Verteidiger des Gefangenen. Im März 1819 hatte Marie Luise die Absicht, als sie mit ihrem Vater durch Italien reiste, die Mutter Napoleons aufzusuchen. Da sie jedoch nicht wußte, wie sie aufgenommen werden würde, ließ sie Letizia durch den österreichischen Gesandten in Rom von ihrem Plane unterrichten. Ungläubig schüttelte die Matrone den Kopf. »Was Sie mir da sagen, Herr Gesandter«, erwiderte sie ernst, »erstaunt mich wirklich. Sie tun meiner Schwiegertochter unrecht, wenn Sie glauben, sie mache große Reisen, anstatt sich zu ihrem unglücklichen Gatten nach Sankt Helena zu begeben. Die Frau, von der Sie mir sprechen, kann nicht meine Schwiegertochter sein. Ohne Frage ist es eine Abenteurerin, die sich mit meinem Namen schmückt. Und Abenteurerinnen empfange ich nicht!« Damit wußte Marie Luise genug.

Bald aber räumte der Sensenmann unter den Reihen derjenigen auf, die Letizia lieb hatte. Ihre Tochter Elisa machte den Anfang im Jahre 1820. Im nächsten Jahr traf die Mutter der härteste Schlag, der sie treffen konnte: Der Tod Napoleons. Sie erfuhr ihn erst zweieinhalb Monate später, am 22. Juli. Ihr Schmerz war unbeschreiblich und löste sich in heißen Tränen aus. Als sie aber etwas später den Arzt ihres Sohnes, den Doktor Antonimarchi empfing, zeigte sie die größte Selbstbeherrschung und fragte ihn immer wieder über alle Einzelheiten des Lebens Napoleons aus, unaufhörlich die Tränen zurückdrängend. Sie konnte sich kaum beruhigen, daß ihr großer Sohn unter solchen Leiden und einsam wie ein Ausgestoßener gestorben war. Da man ihr nicht gestattet hatte, mit ihm zu leben, wollte sie wenigstens seinen Leichnam in ihrer Nähe bestatten. Aber man gewährte ihr auch das nicht.

Bisher war Letizias Dasein mehr als einsam gewesen, jetzt verschloß sie sich ganz der Außenwelt. »Mein Leben«, sagte sie selbst, »hörte mit dem Sturze Napoleons auf. Als ich meinen Sohn nach Sankt-Helena überführen sah, sagte ich mir: Du, die Mutter dieses Mannes, du mußt jetzt die Welt vergessen; es gibt kein Glück mehr für dich. Dein Sohn ist unglücklich; du wirst von nun an traurig und einsam sein.« Und von seinem Tode an war für Letizia das Leben nur noch ein Hindämmern, ein Träumen von Vergangenem. Denn sie sprach wenig über die Tage des Glücks. Nur das Unglück ihrer Familie erwähnte sie bisweilen. »Mein Sohn«, sagte sie dann wohl traurig, »ist gestürzt worden. Fern von mir ist er elend zugrunde gegangen. Meine andern Kinder sind verbannt; eins nach dem andern seh' ich sterben. Sogar diejenigen meiner Enkel, die am meisten versprachen, scheinen alle bestimmt zu sein, von dieser Welt zu verschwinden. Ich bin alt und verlassen, ohne Glanz, ohne Ehre! Und doch würde ich mein Dasein nicht gegen dasjenige der ersten Königin der Welt vertauschen wollen!« Sie hatte den Becher noch nicht ganz geleert. Nichts sollte ihr erspart werden.

Glücklicherweise ward ihr jetzt wenigstens die Freude, einige ihrer Kinder in Rom um sich zu haben. Mehrere Mitglieder der Familie Bonaparte, worunter Lucien, Louis, Fesch und Pauline, schienen, da Napoleon nun tot war, den Regierungen nicht mehr verdächtig. Madame Mère selbst hätte sogar, wenn sie gewollt, nach Frankreich zurückkehren können. Sie wollte nicht. »Ich habe meine Kinder in ihrem Unglück und Schmerz nicht verlassen und werde sie jetzt ebensowenig wie früher verlassen. Ich will lieber mit ihnen aus Frankreich verbannt sein als dort ohne sie leben«, sagte sie.

Im Jahre 1825 wurde die schwergeprüfte Frau wiederum durch Trauer heimgesucht. Ihre Tochter Pauline, die Letizia trotz ihrer Fehler und ihres leichtsinnigen Lebens am meisten geliebt hatte, starb am 7. Juni. Und am Ende desselben Jahres verlor sie auch ihre alte treue Dienerin Saveria durch den Tod. Alle starben um sie her, nur sie verschonte Freund Hein.

Sie war jetzt nahezu achtzig Jahre alt. Ihre einst aufrechte stolze Gestalt war verfallen und hager. Aber die schwarzen Augen glänzten noch unter dem Turban, den sie nach der Mode des Kaiserreichs trug. Im übrigen kleidete sie sich stets in tiefe Trauer. Ihr Mund schien das Lächeln, das ihn einst so anziehend gemacht hatte, verlernt zu haben. Als sie der französische Geschichtsschreiber Capefigue im Jahre 1835 besuchte, fand er Letizias Züge, obwohl sie fast ganz erblindet war, noch schön. Er nannte ihren Kopf eine »antike Kamee der Agrippina«.

4. Letizia Bonaparte auf dem Sterbebett.
Lithographie von Josef Tunner. Porträtsammlung der Nationalbibliothek, Wien

Die liebsten Erinnerungen waren Letizia die Totenmaske Napoleons, die Doktor Antommarchi aus Sankt Helena mitgebracht und der Mutter übergeben hatte, sowie eine kleine Büste des Königs von Rom. Von ihm hatte sie nie etwas erfahren. Sie hatte zwar bisweilen indirekte Nachrichten über das Leben ihres Enkels erhalten, aber sie waren mehr oder weniger ungenau. Sie wußte nicht einmal, daß man ihm alles, was die Geschichte seines Vaters betraf, verschwieg. Verschiedene Male schrieb Letizia an die Herzogin Marie Luise von Parma oder an den Kaiser von Österreich selbst, um etwas über das Kind ihres Sohnes zu erfahren. Aber die Briefe blieben unbeantwortet. Erst im Jahre 1832 erhielt die Großmutter nähere Nachricht von ihrem Enkel. Sein ehemaliger Erzieher, der Graf von Prokesch-Osten, hatte Madame Mère auf einer Reise durch Rom am 21. Juli einen Besuch abgestattet. Sie war tief bewegt von allem, was Prokesch ihr erzählte. Sie fragte ihn lebhaft über jede Einzelheit des Charakters Napoleons II aus. Sie fand auch, daß er sehr viel ähnliche Charakterzüge mit seinem Vater haben müsse. Als Prokesch sich von der einstigen Kaisermutter verabschiedete, schien sie, die in einem Lehnsessel saß, sich mit aller Kraftanstrengung aufrichten zu wollen. Ihre Enkelin Charlotte, die Tochter Luciens, war ihr dabei behilflich. Letizias Person schien zu wachsen und ganz von majestätischer Würde umhaucht zu sein. Prokesch fühlte, daß sie zitterte. Da legte sie die alten, schmalen Hände auf sein Haupt. Er ahnte, was Letizia zu tun wünschte. Still kniete er vor ihr nieder, und sie segnete ihn mit den Worten: »Da ich nicht bis zu ›ihm‹ gelangen kann, so nehmen sie an seiner Statt den Segen seiner Großmutter entgegen, die bald diese Welt verlassen wird. Meine Gebete, meine Tränen, meine Wünsche werden bis zum letzten Augenblick meines Lebens für ihn sein. Bringen Sie ihm das, was ich Ihrem Herzen anvertraue!« Darauf küßte sie den Freund und Erzieher ihres Enkels und blieb noch lange schweigend über ihn gebeugt.

5. Allegorische Darstellung Napoleons auf Sankt Helena.
Lithographie von Lafosse nach einem Gemälde von Delacroix. Porträtsammlung der Nationalbibliothek, Wien

Prokesch wußte nicht, daß sein Zögling schon am Tage nach dieser Zusammenkunft mit Madame Mère nicht mehr am Leben war. Er erfuhr es erst einige Zeit später in Bologna. Letizia erhielt die Trauerbotschaft durch ihre Schwiegertochter selbst. Sie war untröstlich und ließ Marie Luise durch Fesch folgenden Brief schreiben:

»Madame, trotz der politischen Verblendung, die mich aller Nachrichten über dieses teure Kind beraubte, dessen Tod Sie mir anzeigen, habe ich doch niemals aufgehört, ihm das Herz einer Mutter zu bewahren. Noch war es für mich der Gegenstand des Trostes. Gott hat jedoch zu meinem großen Alter und meiner schmerzhaften Gebrechlichkeit noch diesen Schlag hinzufügen wollen ...

Empfangen Sie, Madame, meinen Dank, daß Sie sich die Mühe genommen haben, das Herzeleid meiner Seele bei einer so schmerzlichen Gelegenheit zu erleichtern. Seien Sie versichert, daß ich Ihnen ewig dafür dankbar sein werde.

Da mein Zustand mir verbietet, diesen Brief zu unterzeichnen, so erlauben Sie bitte, daß ich meinen Bruder damit beauftrage.«

Jetzt waren es der Schicksalsschläge genug. Da Letizia im Jahre 1830 durch einen Fall während eines Spazierganges einen Oberschenkelbruch erlitten hatte, war sie für die letzten Jahre ihres Lebens gelähmt und fortan ans Zimmer gefesselt. Sie hatte oft die entsetzlichsten Schmerzen, wollte sich jedoch keiner Operation unterziehen, wie es die Ärzte rieten. Endlich, am 2. Februar 1836, machte der Tod ihrem Leiden ein Ende. An ihrem Sterbelager standen von ihren Kindern nur Jérôme und Alexandrine, die Gattin Luciens. Die Mutter Napoleons starb »aller Verehrung würdig« und mit der Hoffnung, daß doch einmal der Tag kommen werde, an dem auch Frankreich wieder ihrer Familie die Tore öffne.


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