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Von den Brüdern Napoleons ist Jérôme, oder, wie er korsisch hieß, Girolamo, derjenige, dessen Leben am abenteuerlichsten und bewegtesten war. Als Jüngster lebte er weit in eine Zeit hinein, die Frankreich die verschiedensten Regierungsformen auferlegte. Er sah nicht allein das Konsulat, das Kaiserreich, die Hundert Tage und die beiden Restaurationen an sich vorüberziehen, sondern auch die Juliregierung, die Republik von 1848 und erlebte es schließlich, daß wiederum ein Bonaparte sich die Kaiserkrone aufs Haupt setzte.
Jérôme kam in Ajaccio am 15. November 1784 zur Welt. Carlo Bonaparte erlebte die Geburt seines jüngsten Sohnes nicht. Jérômes Erziehung lag ganz in den Händen Letizias. Er entwickelte sich als ein wilder, eigensinniger Junge, für den die sonst strenge Mutter eine merkwürdige Schwäche zeigte. Er war eben ihr Jüngster. Bald wurde er das Nesthäkchen der ganzen Familie, einschließlich des Onkels Fesch. Vor allem aber liebte Napoleon den kleinen Bruder sehr. Er fühlte sich gewissermaßen verpflichtet, Vaterstelle bei Jérôme zu vertreten. Auch in späteren Zeiten veränderte sich seine Zuneigung zu ihm nicht, ja, es ist erstaunlich, wie schwach er sich bisweilen gegen dieses »enfant gâté« zeigte.
Bis zum neunten Jahre weist Jérômes Jugend keinerlei Besonderheiten auf. Er wächst in Korsika so ziemlich ohne Pflege und Erziehung auf, denn die vielbeschäftigte und mit Sorgen überhäufte Letizia konnte sich nur wenig mit ihm abgeben. Davon wußte das Kind natürlich nichts. Selbst die Eindrücke der Flucht seiner Familie und die dürftigen Verhältnisse in Marseille gruben sich nicht in seine Erinnerung ein. Man kann also sagen, daß er gleich mit dem Glanz und der Herrlichkeit des aufgehenden Sterns seines Bruders sein Leben begann.
Nach dem 13. Vendémiaire hielt es Napoleon für angemessen, den wilden Jungen in eine Schule zu geben. Und so kam Jérôme in das irländische Institut MacDermotts. Dort befand sich auch Eugen, der Sohn Frau von Beauharnais', und es ist möglich, daß Josephine dem General Bonaparte die Erziehungsanstalt für seinen Bruder empfohlen hat. Aber der unbändige Charakter des Jungen, der niemand gehorchen mochte, der nur Sinn für Spiel und Vergnügen hatte, veranlaßte Napoleon schon nach zwei Jahren, Jérôme in strengere Zucht zu geben. Im Dezember 1797 vertauschte daher der kleine Tunichtgut die irländische Anstalt mit dem als sehr streng bekannten Gymnasium von Juilly. Dort blieb er wiederum kaum zwei Jahre, denn im September 1799, während sich der General Bonaparte auf dem Heimwege von Ägypten befand, verließ Jérôme die Schule.
Er war jetzt fünfzehn Jahre alt. Der Aufenthalt in Juilly war für ihn indes von keinem wesentlichen Nutzen gewesen. Arbeiten und Denken überließ er anderen. Der Bruder des allgemein gefeierten Generals Bonaparte hatte das nicht nötig. Und darin unterstützten ihn sogar seine Lehrer. Sie glaubten, dem Jungen wegen des einflußreichen Bruders schmeicheln zu müssen. Während bei den andern Schülern selbst der Stock nicht geschont wurde, erhielt Jérôme, dem gerade eine strenge Zucht am nötigsten gewesen wäre, nur schöne Worte und sanfte Vorwürfe, ganz gegen den Willen Napoleons. Der hätte es lieber gesehen, wenn man mit seinem Bruder streng verfahren wäre.
Und wie Jérôme in früher Jugend war, so blieb er sein ganzes Leben lang. Später sagte sein Adjutant, der General Ricard, von ihm: »Ich habe den Prinzen nicht ein einziges Mal ein ernstes Buch aufmerksam lesen sehen. Er ist unfähig, mit irgendeinem Menschen eine Unterhaltung zu führen, die über Alltäglichkeiten und Gemeinplätze, mit denen man das Thema streift, ohne es zu berühren, hinausgeht.« Das war die Folge der mangelhaften Erziehung. Jérôme besaß wohl eine gewisse Intelligenz, aber in tieferes Wissen ist er nie eingedrungen. Zu seiner Entschuldigung kann angeführt werden, daß die glänzenden Verhältnisse, in denen er aufwuchs, den lebenslustigen, zu Wollust und Verschwendung geneigten Charakter verdorben haben. Jeder schmeichelte dem hübschen, vornehmen, liebenswürdigen und lustigen Menschen. Jeder verwöhnte ihn und zeigte sich gegen seine oft tollen Streiche nachsichtig. Sogar Napoleon konnte sich davon nicht freimachen; noch viel weniger aber Josephine. Sie verhätschelte Jérôme ganz besonders. Mit seinem kecken Wesen, seinem hübschen Gesicht, den einschmeichelnden Reden unterhielt er sie gut, und das gefiel ihr. Nur Joseph und Lucien tadelten die Art, auf die man dieses verwöhnte Kind erzog. Mehr wie einmal machten sie Napoleon darauf aufmerksam. Er aber war sehr schwach gegen den kleinen Bruder.
Nachdem er sich nach dem 18. Brumaire als Konsul in den Tuilerien niedergelassen hatte, nahm er den jungen Jérôme zu sich, obwohl dessen Erziehung noch viel zu wünschen übrig ließ und er besser in einer tüchtigen Lehranstalt aufgehoben gewesen wäre. Jérôme erhielt seine Wohnung im Florapavillon, direkt unter den Gemächern des Ersten Konsuls. Von nun an brauchte sich seine zügellose Natur, die bei allen Fehlern doch nicht mancher guten Eigenschaft entbehrte, keinerlei Schranken mehr aufzuerlegen. Er fühlte sich bereits als Prinz, als Grandseigneur, der sich keinen Wunsch zu versagen brauchte. Hier nur einige von den vielen Zügen seiner Verschwendungssucht, die sich schon früh bemerkbar machte:
Eines Tages entschlüpft Jérôme aus den Tuilerien, um auf den Boulevards herumzuschlendern. Plötzlich werden seine Blicke von der Auslage eines Juwelenhändlers angezogen, der wundervolle Reisebestecke ausgestellt hat. Der junge Mann tritt in den Laden, läßt sich die schönsten und teuersten Sachen vorlegen, findet indes nichts, das vornehm genug wäre. Da bittet er den Juwelier, ihm das allerbeste vorzulegen. Unter Zögern bringt dieser endlich eins, das 16.000 Franken kostet. Das gerade ist nach Jérômes Geschmack. Er wählt es. Der Juwelier kommt aus dem Staunen nicht heraus, denn er kann sich nicht denken, daß ein so junger Mann über so viel Geld verfügt. »Schicken Sie es in die Tuilerien«, befiehlt Jérôme herablassend, »der diensthabende Adjutant des Konsuls wird es bezahlen!«
Das kostbare Reisebesteck wird in die Tuilerien gebracht, wo es Duroc in Empfang nimmt. Er glaubt, der Erste Konsul habe es bestellt, und bezahlt es. Am nächsten Tag trägt er 16.000 Franken in die Ausgabenliste ein, die er Bonaparte täglich vorlegen muß. Erstaunt fragt der Konsul, was die Summe zu bedeuten habe. Duroc berichtet. Niemand aber weiß, wer das Necessaire bestellt hat. Da schickt man in das betreffende Geschäft. Dort erfährt man endlich, nach der Beschreibung, wer der Käufer gewesen ist.
Nun sollte man meinen, Napoleon habe den jungen Verschwender gehörig zurechtgewiesen und bestraft; doch es geschah nichts. Beim Diner zupft er ihn nur scherzend am Ohrläppchen und sagt: »Also Sie, mein Herr, erlauben sich, Reisebestecke für 16.000 Franken zu kaufen?« worauf Jérôme altklug erwiderte: »Ja, so bin ich nun einmal. Ich liebe nur schöne Sachen!« Napoleon begnügt sich mit einem Lächeln, und Josephine findet es reizend, daß der Junge so vornehme Gewohnheiten hat. Das Reisebesteck aber blieb im Besitz Jérômes.
Ein andermal befand sich Jérôme in ziemlicher Geldnot. Er brauchte unbedingt 500 Franken, wer weiß, zu welchem Zweck. Murat, der ihm oft Geld zusteckte, konnte ihm augenblicklich nichts geben. Joseph und Louis befanden sich bei ihren Regimentern, und Lucien war in Spanien. An sie konnte sich Jérôme also nicht wenden. Da er bereits seinen ganzen Monatswechsel aufgebraucht hatte, wagte er natürlich dem Konsul nichts zu sagen. Es blieb ihm nur noch der Onkel Fesch. Er hatte Jérôme schon oft aus der Verlegenheit geholfen.
Als sich der junge Luftikus bei dem Kardinal melden ließ, hatte Fesch gerade Gesellschaft. Nichtsdestoweniger wurde Jérôme willkommen geheißen. Nach dem Essen nahm man im Salon den Kaffee ein. Schnell ergriff Jérôme die Gelegenheit, den Onkel in ein Nebenzimmer zu ziehen, wo er ihm seine Bitte vortrug. Fesch wollte davon nichts wissen, aber so ohne weiteres ließ der Neffe sich nicht abspeisen. Er griff zu einer List. Vor ihm an der Wand hing ein Männerbildnis, ein Meisterwerk Van Dycks. Wie man weiß, war Fesch ein großer Liebhaber von Gemälden. Jérôme wußte, wie unersetzlich dem Onkel ein solches Kunstwerk war. Er benutzte das Van Dycksche Gemälde zu einer Art Erpressung. Plötzlich zieht er seinen Degen, stellt sich mit drohender Gebärde vor dem Bilde auf. »Was!« ruft er aus; »der Kerl will mich ärgern; er scheint sich über die Niederlage, die ich soeben erlitten habe, zu freuen. Ich werde ihm die Augen ausstechen!« Und schon zuckt die Spitze seines Degens in der Richtung des Bildes. Entsetzt fällt der Onkel ihm in den Arm, um den Vandalenhieb zu verhindern. Aber der spitzbübische Jérôme reißt sich los und macht eine erneute rachedürstige Bewegung. Der geängstigte Kardinal sieht ein, daß hier nur die 500 Franken beruhigend wirken können. Er gibt sie dem vergnügt lächelnden Jérôme. Man fand den Streich besonders in der Umgebung des Konsuls entzückend. Als man ihn eines Tages Napoleon erzählte, lachte er herzlich über die Schlauheit, oder besser Dreistigkeit Jérômes.
Daß Jérôme jedoch für seines Bruders Nachsicht jemals Dank empfunden hätte, das steht nirgends geschrieben. Er war wie alle die andern: sie nahmen alles als selbstverständlich hin. Nie fühlten sie, daß nur Napoleon sie zur Größe führte, daß sie in dem großen Drama dieses Mannes nur mittelmäßige Statisten waren, die sogar ihre Rollen nicht immer bis zu Ende zu spielen vermochten.
Und doch war Jérôme nicht schlecht. Er konnte sogar, allerdings nicht dauernd, tief empfinden. Im allgemeinen war er weder für das Gute noch für das Schlechte sehr empfänglich. In seinem Benehmen gegen Napoleon unterschied er sich von seinen Brüdern dadurch, daß er sich zwar ebenso wie sie seinen Wünschen widersetzte, aber mehr aus Leichtfertigkeit als aus wirklicher Widerspruchslust. Vielleicht verursachte er seinem Bruder mehr Unannehmlichkeiten als die andern Geschwister, aber stets folgte bei ihm die Versicherung vollkommener Unterwerfung. Allerdings blieb es meist bei der Versicherung. Er kannte Napoleon nur als Machthaber und empfand in seinem Innern immer eine gewisse Achtung, eine gewisse Furcht vor ihm. Weder bei Joseph noch bei Lucien, nicht einmal bei Louis war dies der Fall. Sie hatten mit Napoleon alle Stufen des Glanzes und der Macht erklommen; für sie war er ihresgleichen.
Als der Erste Konsul aus seinem zweiten italienischen Feldzug zurückkehrte, reihte er seinen jüngsten Bruder in die Konsulargarde der reitenden Jäger als Offizier ein. Dort blieb Jérôme indes nicht lange. Auf Befehl Napoleons mußte er bald wieder das Regiment verlassen, weil er sich mit dem jungen Davout, dem Bruder des Generals, duelliert hatte – natürlich wegen einer Frau! –, der Sechzehnjährige!
Ob aber 16 oder 60, Jérôme ist immer der gleiche. Die beherrschende Leidenschaft seines Lebens waren und blieben die Frauen. Schon im Salon Josephines hatte er gelernt, mit ihnen umzugehen. Und er gefiel allen, die ihn sahen. Das zweite Laster, das er gewissermaßen mit auf die Welt gebracht hatte, war die Verschwendungssucht. In dem einen wie in dem andern kannte er keine Grenzen. Rechnen konnte er nicht, weil er es nie gelernt hatte. Da er von der kümmerlichen Lage, in der sich einst seine Familie befunden hatte, nichts mehr wußte, hielt er sich für den reichen Sprößling eines alten Patriziergeschlechtes, bei dem Verschwendung und leichte Sitten zum guten Ton gehören. Seine unmäßige Neigung zu Prunk und Luxus, seine fortwährenden Schulden führten später mehr als einmal zu heftigen Auseinandersetzungen mit Napoleon. Immer wieder verbesserte er seines Bruders Lage, und selbst dann glaubte er noch nicht genug getan zu haben, als er ihm einen Königsthron schenkte. Es nützte alles nichts. Noch später, als die lustige Königskrone längst dahin war, stürzte sich Jérôme in die unsinnigsten Schulden – für die Frauen. Es genügten ihm weder die 40.000 Franken Rente, die ihm unter der Präsidentschaft Napoleons III. von seiner Tochter Mathilde ausgesetzt wurden, noch die Einkünfte als Gouverneur des Invalidendoms.
Jederzeit wirkte der weibliche Einfluß berauschend auf Jérôme. Er hatte wohl nie Ideale besessen, nicht einmal als Sechzehnjähriger. Ihm genügte es nicht, wie seinem Bruder Napoleon, als Jüngling mit jungen Mädchen auf einsamen Spaziergängen Kirschen zu essen. Vergil, Rousseau, Corneille interessierten ihn nicht, und Paul und Virginie, Louis' Lieblingsroman, war keine Lektüre für ihn. Man sah ihn nie, wie Joseph, Napoleon, Lucien und Louis eifrig über ein Buch gebeugt.
Anders war es mit dem Militär, das die ganze Anziehungskraft des zweierlei Tuch auf ihn ausübte. Aber auch nur aus diesem Grunde. Seine Eitelkeit verlangte leidenschaftlich nach dem Soldatenberuf. Es fehlte ihm ja nicht an Mut, wie er zu verschiedenen Malen bewiesen hat, aber auch als Soldat leistete er nichts Besonderes. Stets blieben ihm die Armee und ihr Organismus verschlossene Tore.
Obgleich Jérôme gern in dem abwechslungsreichen Paris geblieben wäre, kam ihm doch der Entschluß seines Bruders, ihn bei der Marine unterzubringen, nicht ungelegen. In seiner Einbildungskraft malte er sich bereits ein Leben voll Abenteuer und Gefahren aus, was ihn außerordentlich reizte. Als Napoleon den Admiral Ganteaume nach Ägypten schickte, um den dort weilenden Truppen über die mit englischen Schiffen bedeckten Meere Verstärkungen zu bringen, gab er dem Geschwader auch den jungen Jérôme als Aspiranten zweiter Klasse bei. Damals schrieb der Erste Konsul dem Admiral: »Ich schicke Ihnen, Bürger General, den Bürger Jérôme Bonaparte, damit er seine Lehrzeit bei der Marine verbringe. Wie Sie wissen, muß er sehr streng gehalten werden und die bereits verlorene Zeit wieder einholen. Fordern Sie von ihm, daß er die Verrichtungen seines Berufs mit Genauigkeit erfülle.«
Infolge allerlei unglücklicher Zufälle hatte Ganteaume nicht den erwünschten Erfolg, obwohl er sich die größte Mühe gab. Auch Jérôme war, wenigstens nach den Aussagen des Admirals, zum erstenmal ernsthaft bei einer Sache gewesen. Er wußte, die Augen Europas richteten sich auf den Bruder des Ersten Konsuls. Bereits in dem ersten Seegefecht hatte er sich durch kühne Unerschrockenheit bemerkbar gemacht. Am 26. August 1801 kehrte er mit Auszeichnungen und einer sehr lobenden Empfehlung seines Vorgesetzten nach Paris zurück. Was der Erste Konsul jedoch nicht erfuhr, war, daß sein Bruder den Dienst nur dann versehen hatte, wenn es ihm beliebte. Auch wußte er nicht, daß Jérôme das Geschwader, als es an Elba vorüberfuhr, verlassen hatte und nach Florenz gesegelt war, wo Murat für die Zerstreuung seines jungen Schwagers mit schönen Frauen zur Genüge gesorgt hatte.
Ungefähr vier Wochen später, am 29. November, wurde Jérôme für seine »Verdienste« in die erste Klasse seiner Charge befördert. Gleichzeitig erhielt er den Befehl, sich in Rochefort an Bord des »Foudroyant« der zweiten Division zum Zuge nach Santo Domingo unter dem Konteradmiral Latouche-Tréville einzuschiffen. Die Expedition wurde von dem Gatten Paulines, dem General Leclerc als Oberstkommandierenden geführt.
Napoleon lag viel daran, daß sich sein leichtsinniger Bruder so kurze Zeit wie möglich in dem verführerischen Paris aufhielt. Er schickte ihn daher bis zur Abfahrt des »Foudroyant« auf eine Reise an die Küste. Während Jérôme indes in Brest auf den Befehl zur Abseglung wartete, führte er dort ein ebenso lustiges Leben, als er es in der Hauptstadt getan hätte. Endlich lichtete der »Foudroyant« die Anker, und Ende des Jahres 1801 landete der Aspirant erster Klasse am Kap, wo er mit seiner Schwester Pauline und deren Gatten zusammentraf.
Bezeichnend für die eitle Phantasie des jungen Seeoffiziers ist, daß er in Santo Domingo in der glänzenden Uniform eines Rittmeisters der Husaren von Berchiny einherging! Offenbar war seinem prachtliebenden Sinne die einfache Marineuniform zu unscheinbar. Nur seinen siebzehn Jahren konnte man es verzeihen.
Jérôme blieb bis zum 4. März 1802 in der Kolonie. Um diese Zeit nämlich hielt es sein Schwager Leclerc für geeignet, ihn auf dem »Cisalpin« mit Depeschen wieder nach Frankreich zu befördern. Wahrscheinlich befürchtete er, Jérôme könne das gelbe Fieber befallen, das ihn selbst kurze Zeit darauf hinraffte.
Als Fähnrich – der Admiral Villaret-Joyeuse hatte ihn am 15. Januar vorläufig dazu ernannt – landete Jérôme am 11. April 1802 mit seinem Freunde Halgan, dem späteren Admiral, in Brest. Über Nantes begab er sich zu seinem Bruder nach Paris und traf dort am 14. April ein. Napoleon empfing ihn freundlich, denn er hatte nur Gutes von ihm gehört. Jérômes vorläufige Ernennung zum Schiffsfähnrich wurde sofort bestätigt.
Zwei Monate blieb der junge Jérôme Bonaparte in Paris, das ihn wie einen Helden feierte und verwöhnte. Das Leben in der Weltstadt mit den verfeinerten Genüssen war für einen so leichtsinnigen, haltlosen Charakter wie Jérôme mehr als Gift. Er kam von einer gefährlichen Sendung zurück, hatte lange jedes Vergnügens entbehrt und genoß nun in vollen Zügen das, was sich ihm bot. Er brauchte das Vergnügen nicht erst zu suchen. Es flog ihm alles zu. Und er nahm alles wie ihm gebührend hin. Da sich ein jeder vor seinem Bruder beugte, glaubte Jérôme auch vor ihm müsse sich alles beugen. Er fühlte sich bereits als geborener Prinz!
Der Erste Konsul hielt es daher für besser, dem zügellosen Leben seines Bruders durch eine neue Expedition ein Ende zu machen. Es lag ihm sehr viel daran, aus Jérôme einen tüchtigen Seemann zu bilden. Vielleicht würde er einst in der Marine die gleiche Rolle spielen können wie er im Landheere. Vielleicht würde er einmal ein großer Admiral werden! Und so bestimmte ihn Napoleon für eine Sendung nach den Antillen. Der Hauptzweck seiner Mission war, dort alle festen Plätze zu besichtigen.
Jérôme begab sich daher am 7. Juni 1802 nach Nantes, wo er seinen Freund Halgan zurückgelassen hatte, um dort den Befehl zur Abfahrt zu erwarten. Gleichzeitig konnte er dem Freunde die frohe Botschaft bringen, daß dieser zum Befehlshaber der Brigg »L'Epervier« ernannt worden sei. Auf diesem Schiff sollten sie beide absegeln. Natürlich hatte Halgan die Ernennung hauptsächlich der Fürsprache Jérômes bei seinem Bruder zu verdanken. Da Halgan sonst ein tüchtiger Offizier war, hatte Napoleon ihn zu diesem Posten um so lieber ernannt. Jérôme konnte sich dazu nur beglückwünschen, denn er blieb der wahre Befehlshaber des Schiffes, zumal nicht allein Halgan ihm nichts zu sagen wagte, sondern auch die übrige Schiffsbesatzung aus seinen Freunden bestand.
Wie man sich denken kann, ließen sich die beiden Freunde in Nantes die Zeit nicht lang werden. Sie schoben die Abfahrt so lange wie möglich hinaus. Sie stürzten sich in Vergnügungen, an denen es in einer Hafenstadt nie mangelt. Aber dazu reichten nicht immer ihre Mittel. Jérôme war oft genötigt, Wechsel auszustellen, die er meist von Bourrienne girieren ließ. Es ist mehr wie ein Brief von ihm an Bourrienne vorhanden, in dem es heißt: »Ich benachrichtige Dich, mein lieber Bourrienne, daß ich auf Dich einen Kreditbrief von 20.000 Franken gezogen habe. Dem Konsul habe ich es mit dem letzten Schiff mitgeteilt. Er wird Dich zweifellos davon in Kenntnis gesetzt haben...«
Napoleon rechnete der Jugend seines Bruders viel zugute. Besonders war er in den ersten Jahren sehr nachsichtig gegen ihn. Jérôme aber machte sich diese Nachsicht zunutze und sagte sich bei jeder neuen Tollheit: ach was, mein Bruder wird mir schon verzeihen. Manchmal jedoch lief auch Napoleon die Galle über. So schrieb er dem jungen Luftikus, von dem ihm täglich neue Streiche zu Ohren kamen, nach Nantes am 6. August 1802: »Wenn ich Sie nur erst auf Ihrer Korvette wüßte, wo Sie sich einem Beruf hingeben können, der einst Ihren Ruhm ausmachen soll. Sterben Sie jung, so werde ich mich trösten; während ich das nicht könnte, wenn Sie 60 Jahre lebten, ohne Ruhm, ohne dem Vaterland nützlich gewesen zu sein, ohne Spuren einer glorreichen Tätigkeit hinterlassen zu haben. Dann wäre es freilich besser, Sie hätten nie gelebt.«
Endlich, nach fast zwei Monaten des ausschweifenden Lebens in Nantes, schickte sich Jérôme zur Abfahrt an. Die Segel des »Epervier« schwellten sich, und nach einem ersten mißglückten Versuch und einem weiteren vierzehntägigen Aufenthalt in dem lustigen Nantes stach die Brigg am 18. September in See. Am 30. Oktober sah die Besatzung des Schiffes die Küste von Martinique vor sich liegen.
Kaum war der achtzehnjährige Fähnrich in der Kolonie angelangt, so wurde er auch schon vom Admiral Villaret-Joyeuse zum Leutnant befördert. Gleichzeitig überredete man den augenblicklich etwas kränkelnden Leutnant Halgan, seinen Posten als Kommandant der Brigg dem neuen Leutnant Jérôme zu überlassen. Und so befand sich der unerfahrene Jüngling an der Spitze eines nicht unbedeutenden Fahrzeugs. Denn jetzt war er nicht nur dem Namen nach der Befehlshaber, sondern er trug die ganze Verantwortung eines solchen. Zwar hieß es, dieser Posten sei ihm nur vorläufig übertragen worden, aber offenbar wollte man dem Bruder des Ersten Konsuls Gelegenheit geben, sich auszuzeichnen.
Er erhielt Befehl, am 29. November nach Santa-Lucia in der Guyana zu segeln. Kaum aber war er zwei Tage unterwegs, so zog er sich durch Unvorsichtigkeit ein Fieber zu, das alle Merkmale des gelben Fiebers aufwies und ihm beinahe verhängnisvoll geworden wäre. Der Schiffschirurg Rouillard wandte indes ein Radikalmittel an. Er steckte nämlich Jérôme zwei Stunden lang in ein 50 Grad Celsius heißes Bad und ließ ihm stark zur Ader. Das rettete den jungen Mann nach einer Krankheit von zwei Tagen, aber es schwächte ihn außerordentlich.
Da er sich auf Martinique ausgezeichnet unterhielt, spürte Jérôme jetzt keinerlei Lust mehr, das Kommando seiner Brigg weiter zu führen. Auf dem Schiffe waren Krankheit und Fahnenflucht unter der Mannschaft ausgebrochen, so daß es ihn keine Ehre dünkte, der Befehlshaber zu sein. Natürlich war der Erste Konsul anderer Meinung. Jérôme mußte seine Kreuzerfahrt fortsetzen. Nach Santo Domingo, wohin er Befehl hatte, ging er jedoch nicht. Dort war vor kurzem Paulines Gatte am gelben Fieber gestorben. Jérôme hatte offenbar genug davon.
Anfang April beendete er seine Fahrt nach den Kolonien und kehrte nach Martinique zurück. Er hatte weit mehr Geld gebraucht, als sein Gehalt und seine Rente (30.000 Franken) betrugen. Immer und immer wieder war er gezwungen, seine Zuflucht zu Wechseln zu nehmen, die oft nicht unter 30-40.000 Franken waren. Dazu blieb er einen ganzen Monat lang in Martinique liegen, ohne Anstalten zur Weiterfahrt zu machen. Als er endlich dazu bereit war, hatte der Friedensbruch von Amiens stattgefunden.
Vorher beging er die fürchterliche Dummheit, ein englisches Handelsschiff, das er für ein französisches Fahrzeug hielt, untersuchen zu lassen. Als er seinen Irrtum gewahr wurde, schrieb er in seiner Angst an Villaret-Joyeuse. Der Admiral machte dem Bruder des Ersten Konsuls sanfte Vorwürfe und riet ihm, sofort nach Frankreich abzusegeln. Jérôme aber hatte nicht Lust, sich von den Engländern auf dem Meere gefangen nehmen zu lassen. Er begab sich lieber nach der Guadeloupe, wo er vierzehn Tage verweilte.
Die Brigg »L'Epervier« segelte zwar endlich auf dringendes Ersuchen des Admirals Villaret-Joyeuse von Martinique ab, aber ohne Jérôme. Wirklich wurde sie am 27. Juli von den Engländern gekapert, die lange Zeit glaubten, den Bruder des Ersten Konsuls gefangen zu haben. Wenigstens verbreiteten sie diese Nachricht mit Windeseile in Paris. Napoleon schenkte ihr keinen Glauben. Er soll zu Chaptal gesagt haben: »Wenn die Engländer etwa meinen, daß ein Ereignis wie dieses etwas an meiner Politik ändern kann, so irren sie sich. Und wenn meine ganze Familie vor den Feuerschlund einer Kanone gestellt würde, ich änderte doch nicht das Geringste an meinen Bedingungen.«
Jérôme war also in Amerika geblieben. Er glaubte sich eben alles erlauben zu können, sogar eine Flucht von seinem Schiff. Darüber machte er sich nicht die geringsten Gedanken. Sein Charakter war derart, daß er keine Unehre in solchen Dingen sah. Es kam ihm vor allen Dingen darauf an, seine teure Person zu retten. Was mit seinem Schiff geschah, war ihm höchst gleichgültig. Er war außerordentlich selbstsüchtig und eitel, obwohl er auch bisweilen kühne Verwegenheit zeigen konnte.
Ende Juli 1803 finden wir ihn in Baltimore in Maryland auf dem Wege nach Frankreich wieder. Aber eine Reihe von Abenteuern hielt ihn zwei Jahre zurück, ehe er die Heimat erreichte. Er hatte sich auf einem amerikanischen Handelsschiff in den Hafen von Norfolk im Staate Virginia gerettet, um von Washington oder Baltimore aus bessere und sichere Gelegenheit zu finden, nach Frankreich zu gelangen. In seiner Gesellschaft befanden sich unter anderen der Schiffsfähnrich Meyronnet, der gleichfalls vom »Epervier« weggelaufen war, sowie der junge Lecamus, seit der ersten Seereise Jérômes unzertrennlicher Begleiter.
Pichon, der französische Generalkonsul und Geschäftsträger in Washington, tat die nötigen Schritte, um ein Schiff zu werben, das Jérôme unversehrt nach der Heimat zurückbringen könne, und war so glücklich, für 10.000 Dollar den »Clothier« zu finden. Inzwischen aber waren auch die Engländer nicht untätig geblieben. Sie hatten ihre Wachsamkeit in den amerikanischen Häfen und an der Küste verdoppelt und schworen, den Bruder des Ersten Konsuls tot oder lebendig in ihre Hände zu bekommen. Jérôme mußte also warten, bis der Augenblick gekommen sein würde, wo er ihnen unbeschadet entschlüpfen konnte, übrigens hatte er gar keine Eile, Amerika zu verlassen. Daß der »Clothier« bereits für so viel Geld erworben worden war, das störte ihn nicht: die Kasse des Bruders mußte es ja bezahlen!
Er ließ sich die Zeit des Wartens nicht lang werden. In Baltimore, wohin er sich von Washington und Philadelphia aus begeben hatte, unterhielt er sich großartig, so daß er über die Verzögerung seiner Reise durchaus nicht ungehalten war. Bald genug wurde es bekannt, daß der Bruder des Ersten Konsuls von Frankreich in der Stadt weile. Ein gewisser Kapitän Joshua Barney, bei dem Jérôme in Washington gewohnt hatte, führte ihn auch in Baltimore in die reiche, lebenslustige Gesellschaft ein. Man riß sich förmlich um seine Person. Dem kaum Zwanzigjährigen wurden Huldigungen dargebracht, als wäre er der gefeiertste Held des Jahrhunderts. Das schmeichelte den eitlen jungen Mann nicht wenig. Jetzt dachte er gar nicht mehr an die Rückkehr. Er verliebte sich in ein schönes amerikanisches Mädchen. Es war die Tochter eines durch Spekulationen reich gewordenen schottischen Kaufmanns, der 1766 aus England in Amerika eingewandert und in Baltimore infolge seines Reichtums zu großem Einfluß gelangt war. Der Name des Mädchens war Elisabeth Patterson. Sie war 18 Jahre alt. Jérôme hatte sie bei dem Schwiegersohn Barneys, Samuel Chase, kennen gelernt, und ihre wunderbar reine Schönheit hatte Eindruck auf ihn gemacht. Elisabeth war eine schlanke, anmutige blonde Erscheinung mit blauen, tiefblickenden Augen. Mehr bedurfte es nicht, um das leichtentzündbare Herz Jérômes zu entflammen. Und er fand seine Liebe erwidert.
Eine Verbindung ihrer Tochter mit dem Bruder des damals berühmtesten Mannes Europas konnte der Familie Patterson nicht unangenehm sein. Schon sah man sich in Ämtern und Würden. Besonders hoffte der General Smith, Frau Pattersons Bruder, amerikanischer Gesandter in Paris zu werden. Und doch traute man sich nicht so recht, die Einwilligung zur Heirat zu geben. Der französische Geschäftsträger Pichon hatte nämlich in einem Brief vom 28. Oktober 1803 den Vater William Patterson darauf aufmerksam gemacht, daß Jérôme Bonaparte nach den französischen Gesetzen minderjährig sei und der Einwilligung seiner Mutter bedürfe, wenn seine Ehe in Frankreich für gültig anerkannt werden solle. Nach dem Code civil mußte der Mann 25 Jahre alt sein, wollte er sich ohne Erlaubnis der Eltern verheiraten. Außerdem ständen dieser Heirat noch andere, unüberwindliche Hindernisse entgegen.
Auf diesen Brief hin verzichtete William Patterson auf eine Verbindung seiner Tochter mit dem jungen Bonaparte. Auch Jérôme teilte am 6. November dem Geschäftsträger Pichon mit, daß er seinen Heiratsplan aufgegeben habe. Er solle jedoch darüber nichts seinem Bruder, dem Ersten Konsul, berichten. Die Warnung kam zu spät. Pichon hatte bereits alles dem Minister Talleyrand geschrieben.
Plötzlich aber besann sich der hin- und herschwankende Jérôme eines andern. Am 13. November erhielt Pichon wiederum einen Brief von ihm. Er war gleichzeitig die Einladung zu Jérômes Hochzeit mit Fräulein Patterson! Sie sollte bereits am 15. November, also zwei Tage später, stattfinden. Aber noch am Abend des 14. schickte der Bräutigam seinen Freund Lecamus abermals zu dem Geschäftsträger mit der Nachricht, er habe nun doch die Verlobung aufgehoben. Diesmal hatte nämlich der Vater Einspruch erhoben. Er schickte seine Tochter eine Zeitlang nach dem Süden Nordamerikas, während Pichon den jungen Sausewind zu einer Reise nach dem Norden bewog. Ihm schauderte vor dem Gedanken, was der Erste Konsul zu den ungeheuren Schulden, die sein Bruder in Baltimore gemacht hatte, sagen würde. Denn in drei Monaten hatte Jérôme nicht weniger als 80.000 Franken, ungerechnet die 10.000 Franken für den »Clothier«, ausgegeben und noch obendrein gewaltige Schulden bei Lieferanten gemacht. Soeben hatte er Pichon wieder um eine Anleihe von 50.000 Franken gebeten, die dieser ihm, da seine Kasse leer war, nur unter den größten Schwierigkeiten verschaffen konnte. Er bezahlte auch die Reise Jérômes nach New York. Daß inzwischen dessen Jahrgeld durch den Ersten Konsul von 30.000 Franken auf 60.000 erhöht worden war, wußte weder der eine noch der andere.
Durch die Trennung hoffte man also die Leidenschaft der Liebenden zu dämpfen. Man täuschte sich. Elisabeth war überspannt und liebte das Abenteuerliche ebensosehr als Jérôme. Kaum waren sie nach einer Trennung von 14 Tagen wieder in Baltimore, so stand ihr Entschluß fester denn je. Sie mußten sich verbinden, koste es was es wolle! Pichon versuchte alles, Jérôme von seinem Vorhaben abzubringen und ihn zur Rückkehr nach Frankreich zu bewegen. Er trieb die letzten 4000 Dollar auf, die er zusammenbringen konnte, um Jérôme Bonaparte endlich auf einem Schiffe zu sehen. Er rief sogar den Fregattenkapitän Willaumez, Kommandanten der »Poursuivante«, zu Hilfe, damit er seine Autorität als Vorgesetzter dem Schiffsleutnant gegenüber geltend mache. Umsonst! Jérôme bestand auf seinem Entschluß, und Willaumez segelte ohne ihn nach Frankreich.
Unter der größten Verschwiegenheit wurde die Trauung des jungen Paares am 24. Dezember 1803 durch den katholischen Bischof von Baltimore, John Carroll, vollzogen. Trauzeugen waren Jérômes Vertrauter Lecamus und der französische Agent Sotin. Dieser verlor bald darauf infolge des Dienstes, den er dem Bruder des Ersten Konsuls erwiesen hatte, seine Stellung.
Endlich also hatte sich der Vater Elisabeths zu dieser Verbindung überreden lassen. Er hatte vor allem den Machenschaften eines Feindes Napoleons, nämlich des spanischen Gesandten in Washington, Marques d'Yrujo, nachgegeben, der auch bereitwilligst den Geistlichen verschaffte, der die Handlung vornahm. Aber ein Vater, der so leichtsinnig seine Tochter preisgab, obgleich er wußte, daß diese Heirat ein Glücksspiel war, mußte unbedingt auf einen Glückswurf gehofft haben. Und betrachtet man den Ehekontrakt genauer, so kommt man unwillkürlich zu dem Schluß, daß Spekulation eine große Rolle in dieser Eheintrige spielte. Besonders der vierte Artikel des Vertrags ist bezeichnend. Er lautet:
»Im Falle, daß aus irgendeinem Grunde von Seiten Jérôme Bonapartes oder einem seiner Verwandten eine Trennung zwischen Jérôme Bonaparte und Elisabeth Patterson eingeleitet werden sollte, sei es nun eine Trennung a vinculo oder a mensa et toro, oder auf irgendeine andere Art, was Gott verhüten wolle, so hat Elisabeth Patterson das Recht auf das Eigentum und den vollen Genuß eines Drittels des ganzen gegenwärtigen und zukünftigen Vermögens Jérômes Bonaparte. Dies gilt sowohl für sie als auch für ihre Erben, Testamentsvollstrecker, Verwalter usw.«
Es war also offenbar, daß die Patterson spekulierten. Jérôme hingegen zweifelte in seinem Leichtsinn nicht einen Augenblick, daß seine Heirat, die nun eine Tatsache war, vom Ersten Konsul und der ganzen Familie anerkannt werde. Wenn man seine reizende, elegante Frau erst persönlich kennen werde, würde man besiegt sein. Hatte doch Elisabeth selbst gesagt, sie wolle lieber für eine Stunde Jérômes Frau als die Gattin eines andern fürs ganze Leben sein! Der junge Ehemann rechnete vor allem auf die Güte seiner Mutter. Sie hatte ihm ja von jeher nichts abschlagen können und würde ihn und seine Gemahlin auch jetzt mit offenen Armen empfangen. So wandte er sich, als der erste Rausch seines Glücks vorüber war, auch zuerst an Letizia. Sie sollte die Vermittlerrolle bei Napoleon spielen. In seinem Brief an sie vom 29. März 1804 tat Jérôme listigerweise so, als habe er ihr seine Heirat bereits in einem früheren Schreiben angekündigt. Das war nur ein Trick, um die Mutter desto leichter zu gewinnen. Aber ganz wider Erwarten stand Frau Letizia der Verbindung ihres jüngsten Sohnes energisch entgegen. Man lebte ja nicht mehr in den Zeiten, da eine jede, sogar eine Christine Boyer, als Schwiegertochter willkommen geheißen ward!
Anstatt Letizias Antwort traf von der Hand Decrès', des Marineministers, an Pichon ein kategorischer Befehl Napoleons ein, daß Jérôme sofort Amerika verlassen und nach Frankreich zurückkehren solle. Unter keinen Umständen solle man ihm noch fernerhin Geld vorschießen. Außerdem, schrieb Decrès, sei es jedem Kapitän eines französischen Fahrzeuges aufs strengste untersagt, »die junge Person« an Bord zu nehmen, mit der sich Jérôme verbunden habe. Sie werde in Frankreich nicht aufgenommen werden.
Von jeher hatte Napoleon auf Jérôme die Gewalt eines Vaters ausgeübt, und er betrachtete den älteren Bruder als einen solchen. Er schien doch eine gewisse Furcht vor ihm zu haben, daher gab er sich wenigstens den Anschein, zu gehorchen. Und zwar schickte er sich so bereitwillig an, die Befehle des Kaisers auszuführen, daß man hätte meinen können, er habe sich niemals den Wünschen Napoleons widersetzt. Nur bestand der Unterschied, daß er die Fahrt, anstatt allein, mit Elisabeth antrat, und daß er sich 14 Tage später, als es sein Bruder wünschte, an Bord begab. Jedenfalls aber schiffte er sich am 16. Juni 1804 mit der jungen Gattin endlich nach Europa ein. Damals wußte der Schlaue sehr wohl, daß die Anwesenheit zahlreicher englischer Fahrzeuge sie am Auslaufen verhindern würde. Und so geschah es. Das junge Paar hatte also einen guten Vorwand, wieder nach Baltimore zurückzukehren.
Etwa vier Monate später versuchten sie es noch einmal auf dem amerikanischen Schiff »Philadelphia«. Der gleiche Erfolg. Diesmal war das Meer so stürmisch, daß sie Schiffbruch erlitten und sich nur mit großer Mühe retten konnten. Jérôme verlor dabei einen großen Teil seines Gepäcks und 7200 Dollars. Außerdem mußte er das Schiff bezahlen, das in der Eile nicht versichert worden war. Um alle diese Ausgaben machte er sich gar keine Sorgen.
Nach einem nochmaligen erfolglosen Versuch im Dezember gelang es ihnen schließlich am 3. März 1805 auf der Brigg des Herrn Patterson »The Erin«, dem schönsten Segler Amerikas, der Aufsicht der französischen und englischen Agenten nach Lissabon zu entkommen. In ihrer Begleitung befand sich, außer dem Gefolge Jérômes, noch der Bruder Elisabeths.
Jetzt, da Napoleon Kaiser war, mochte er noch weniger denn als Konsul eine Verbindung gutheißen, die gegen seine Politik und seine Pläne war. Seine Geduld mit Jérôme war zu Ende. Er machte kurzen Prozeß mit dem Widerspenstigen. Durch einen Senatsbeschluß ward Jérôme nicht als kaiserlicher Prinz anerkannt und von der Erbfolge ausgeschlossen. Außerdem war am 12. Oktober 1804 auf Befehl des Kaisers in den Zeitungen eine Notiz veröffentlicht worden, die den Skandal voll machte. Darin hieß es unter anderem: »Die amerikanischen Zeitungen sprechen oft von der Gattin des Herrn Jérôme Bonaparte. Es ist wohl möglich, daß Herr Jérôme Bonaparte, ein kaum zwanzigjähriger Mann, eine Geliebte, aber es ist unmöglich, daß er eine Frau hat. Denn die französischen Gesetze schreiben einem jungen Manne unter 20, ja unter 25 Jahren vor, daß er sich nur mit der Einwilligung seiner Eltern, und nachdem er die in Frankreich vorgeschriebenen Förmlichkeiten erfüllt hat, verheiraten kann. Aber Herr Jérôme Bonaparte ist im Dezember 1784 geboren, und die amerikanischen Zeitungen geben ihn bereits als seit einem Jahre verheiratet aus.«
Als daher Jérôme am 8. April 1805 in Lissabon landete, stieß er auf Hindernisse, mit denen er nicht gerechnet hatte. Allen französischen Geschäftsträgern und Konsuln in dem Hafenstädten war auf kaiserlichen Befehl verboten worden, dem Ehepaare Pässe nach Frankreich auszustellen. Der Generalkonsul von Portugal teilte Jérôme mit, er habe Auftrag, nur dem Bruder des Kaisers einen Paß zu geben, nicht aber »Fräulein Patterson«. Sie müsse nach Amerika zurückkehren.
Ferner erfuhr jetzt Jérôme, daß der Kaiser im den obenerwähnten Beschlüssen vom 2. und 11. März 1805 seine Ehe für nichtig und die daraus hervorgehenden Kinder für unehelich erklärt habe. Fräulein Patterson sollte eine Pension von 60.000 Franken jährlich erhalten, wenn sie niemals den Namen Bonaparte trüge. Er selbst solle sich schleunigst zum Kaiser begeben, der sich aus Anlaß der Krönung in Italien befände. Die Polizei- und Marineminister hätten Auftrag, ihn sofort festzunehmen, wenn er sich nur im geringsten den Wünschen Napoleons widersetzte.
Jérôme war schwach. Er hat niemals Charakter besessen. Bei dieser Gelegenheit aber zeigte er ihn am wenigsten. Er gehorchte. Ob er wirklich nach all dem Vorgefallenen noch auf Vergebung des Bruders hoffte, als er von seiner jungen Frau, die ein Kind von ihm erwartete, in Lissabon Abschied nahm? Wohl schwerlich. Die Trennung war fürs Leben. Die Gatten sollten sich nicht wiedersehen.
Frau Elisabeth Bonaparte nahm die Pension an, die ihr bis zum Jahre 1815 regelmäßig ausgezahlt wurde. Während sie sich über Amsterdam nach England begab, wo sie am 7. Juli 1805 im Camberwell, in der Nähe von London, einen Sohn gebar, Erst neun Jahre später ließ sie das Kind in Amerika auf den Namen Jérôme Napoleon taufen. reiste Jérôme zu dem erzürnten Bruder nach Alessandria. Dort weilte Napoleon seit dem 1. Mai. Fünf Tage später, am 6., kam Jérôme bei ihm an. Der Kaiser empfing seinen Bruder sofort und hatte wenig Mühe, den haltlosen Charakter von der Unzweckmäßigkeit und Torheit seiner Handlung zu überzeugen. Napoleon fand hier nicht den Widerstand wie bei Lucien. Entweder liebte Jérôme Elisabeth weniger glühend als Lucien seine Alexandrine, oder er hatte mehr Ehrsucht, mehr Berechnung für das, was er verlor und was er eintauschte. Kurz, er willigte in den Bruch mit seiner Gattin.
Um ganz sicher zu sein, ließ Napoleon die Heirat Jérômes durch den Erzkanzler Cambacérès von der klerikalen Behörde in Rom für nichtig erklären. Bei dieser Gelegenheit schrieb der Kaiser folgende sonderbare Worte von Mailand aus an den Erzkanzler: »Im Ausland verheiratet, seinen Heiratsvertrag in keinem Register eingetragen, unmündig, ohne irgendwelche Bekanntmachung des Aufgebots, ist das ebenso wenig eine Ehe wie zwischen zwei Liebesleuten, die sich in einem Garten vor dem Altar der Venus, angesichts des Mondes und der Sterne vereinigen. Sie sagen, sie wären verheiratet, aber wenn die Liebe vorbei ist, dann merken sie, daß sie es eben nicht sind.«
Der Papst verweigerte indes die Nichtigkeitserklärung, und das hat Napoleon ihm nie verziehen.
Zur Ehre Jérômes muß allerdings erwähnt werden, daß er lange noch, als er längst mit Katharina verheiratet war, mit Elisabeth im Briefwechsel stand und auch einige Monate lang ihr Bild auf seiner Brust trug. Mit der Zeit aber verwischte sich die Erinnerung an diese Frau und an das Kind, das er nie kennen lernte, vollständig aus seinem Herzen. Wie hätte das bei ihm auch anders sein können!
Über die Liebe sollte Jérôme der Krieg trösten. Napoleon war zufrieden mit seinem Bruder und ernannte ihn am 2. Juni 1805 zum Fregattenkapitän. Als solcher begab sich Jérôme nach Genua zur Flotte. Er hatte den Auftrag, als Kommandant der »Pomone« nach Algier zu segeln, um vom Dey die Befreiung der in Sklaverei gehaltenen Franzosen und Italiener zu fordern.
Zu dieser Expedition brach Jérôme, der es wie immer nicht eilig hatte und sich erst ausgiebig in Genua amüsierte, am 7. August auf. Aber der Titel Fregattenkapitän schien ihm zu gering. Er nannte sich einfach Linienschiffskapitän und nahm Befugnisse eines solchen an.
Am 31. war er schon wieder in Frankreich. Ohne besondere Mühe war es ihm gelungen, 231 Europäer zu befreien! Napoleon belohnte ihn für diesen »Sieg«, der bei Jérômes Ankunft mit den üblichen Feierlichkeiten begrüßt wurde, mit der Ernennung zum Befehlshaber des »Véteran«. Außerdem bezahlte er einen großen Teil der Schulden seines Bruders und erhöhte dessen Jahrgeld wiederum auf 150.000 Franken. Alles flog diesem Glückskinde zu, ohne es verdient zu haben.
So sehen wir Jérôme Ende des Jahres 1805 auf dem Geschwader des Admirals Willaumez als Kommandanten des 74 Kanonen führenden »Véteran«. Den so lang ersehnten Titel Linienschiffskapitän aber erhielt er erst später.
Zuerst richtete er seinem Weg nach dem Kap der Guten Hoffnung. Dann segelte er nach Brasilien und von da nach den Antillen. Seine Abwesenheit sollte sich wenigstens auf ein Jahr lang ausdehnen, dann hoffte man, werde er seine Ehe mit Elisabeth Patterson vergessen haben.
Auch jetzt war dem verwöhnten Kinde des Glücks Fortuna hold. Am 18. August 1806 gelang es ihm ganz allein in den westindischen Gewässern, sich zehn englischer Schiffe mit einer auf fünf Millionen geschätzten Ladung zu bemächtigen und sie nach Frankreich zu bringen. Dank des Wagemuts eines seiner Matrosen, namens Furic, entkam Jérôme mit dem »Véteran« der tollen Jagd, die die Engländer nun auf ihn machten. Er rettete sich in den Hafen von Concarneau an der bretonischen Küste. Das rief sogar die Bewunderung seiner Verfolger hervor, denn eine englische Zeitung schrieb: »Jérôme Bonaparte hat alle Vorsichtsmaßregeln und alle Anstrengungen unserer tapferen Matrosen zunichte gemacht. Seine glückliche Rückkehr ist ein neues Beispiel des unglaublichen Glücks, das sich an jeden Schritt, den diese Familie tut, heftet.«
Mit welcher Begeisterung der junge Held in Paris, besonders von den Damen, empfangen wurde, kann man sich denken. Daß er auf dieser Reise wiederum eine Unmenge Geld gebraucht, nämlich außer den 150.000 Franken seines Jahrgeldes auch noch 600.000 Franken Schulden auf den Kronschatz gemacht hatte, sah man ihm gern nach. Josephine, die in diesem Schwager einen geringeren Feind hatte als in den übrigen Mitgliedern der Familie Bonaparte, heftete ihm das Großkreuz der Ehrenlegion an die Brust. Napoleon, der sehr geneigt war, die Verdienste dieses Lieblings zu übertreiben, weil er gewisse Absichten mit ihm hatte, ernannte ihn bald darauf, am 24. September 1806, zum Konteradmiral. In diesem Monat erschien auch ein Senatsbeschluß, der Jérôme wieder als französischen Prinzen anerkannte und ihn und seine Nachkommen, im Fall weder Joseph noch Louis männliche Erben hinterließen, zum Thronfolger bestimmte. Nun durfte er sich endlich ungestraft »Kaiserliche Hoheit« nennen, was er übrigens bisher auch ohnedies getan hatte.
Aber seine Taten zur See ließen ihn auch nach solchen auf dem Lande streben. Der Krieg gegen Preußen rief in ihm den Wunsch wach, in die Armee einzutreten. Auch das gewährte ihm Napoleon, und zwar übergab er ihm am 8. Oktober 1806 den Oberbefehl über die bayrischen und württembergischen Divisionen mit dem Titel eines Brigadegenerals. Als solcher leitete Jérôme die Belagerungen von Groß-Glogau, Glatz, Breslau, Schweidnitz, Neisse und Silberberg. Meist war er bei diesen Unternehmungen vom Glück begünstigt. Mehr jedoch als ihm, dem unerfahrenen Befehlshaber im Landheere, waren alle diese Erfolge seinen kriegserprobten Unterfeldherren zu danken. Er selbst sammelte in diesem Kriege keine große Erfahrung.
Nichtsdestoweniger ernannte ihn Napoleon am 15. März 1807 schon zum Divisionsgeneral. Jérôme war 22 Jahre alt! Also war er noch rascher emporgekommen als sein berühmter Bruder, denn Napoleon war 24 Jahre alt, als er Brigadegeneral wurde. Und dabei wurde des Kaisers Gunst für Jérôme von Tag zu Tag größer.
Nicht nur das Kriegsglück war in diesem Feldzuge dem jungen General hold gewesen. Auch bei den Frauen hatte er überall Erfolg. Seine Umgebung, seine Adjutanten, ebenso leichtsinnig wie er, unterstützten ihn in seinen Vergnügungen nach Kräften. Der Hang nach Frauen, der bei Jérôme im Alter zum wahren Laster ward, war schon damals in ihm sehr ausgeprägt. Er hatte immer mehrere Maitressen, fünf oder sechs. Nach der Übergabe von Breslau knüpfte er unter anderen Liebesabenteuern eine enge Verbindung mit einer hochgestellten Dame an. Diese Frau war die Veranlassung, daß Jérôme seinen Aufenthalt in der Stadt bis zum Juni ausdehnte. Sie gab dann in Paris einem Mädchen das Leben, das der Exkönig von Westfalen später mit einem westfälischen Edelmann verheiratete.
Nach dem preußischen Feldzug hielt es Napoleon für geraten, den Bruder Leichtfuß, für den er eine unbegreifliche Schwäche zeigte, in eheliche Fesseln zu legen. Zwar hatte die Kirche die erste Ehe Jérômes noch nicht geschieden, aber das kam nicht in Betracht. Es war ja eine protestantische Frau, die der Kaiser für seinen Bruder in Aussicht hatte! Ein katholischer Hof hätte ihm sicherlich auch keine Prinzessin für Jérôme gegeben.
Seit 1805 schon wiegte sich Napoleon in dem Traume, Frankreichs und Deutschlands Vereinigung durch Heiraten seiner Familie mit denen deutscher Fürstenhäuser zu befestigen. So hatte seine Adoptivtochter Stephanie Beauharnais den Erbprinzen von Baden geheiratet, und Eugen hatte die Tochter des Königs von Bayern heimgeführt. Für Jérôme nahm der Kaiser bereits seit dem Preßburger Frieden Prinzessin Katharina von Württemberg in Aussicht. Er hatte ihren Vater, den Kurfürsten, zum König erhoben. Als dann durch den Frieden von Tilsit das neue Königreich Westfalen entstand, setzte er auf diesen Thron seinen 24 jährigen Bruder Jérôme. Zu diesem Reiche hatte Napoleon alle von Preußen abgetretenen Länder zwischen Rhein und Elbe, nebst Braunschweig und Kurhessen vereinigt. Anfangs war die Rede davon gewesen, Jérôme den sächsischen oder den polnischen Thron zu verleihen, aber schließlich hatte man sich für den westfälischen entschieden. Der neue König erhielt eine Apanage von 5 Millionen, die später auf 6 Millionen erhöht wurde.
Katharina von Württemberg war 1 3/4 Jahre älter als Jérôme. Anfangs hatte sie sich geweigert, ihn zu heiraten. Einesteils hoffte sie auf einen andern Mann, andernteils wußte sie, wie Jérôme sich gegen seine erste Frau benommen hatte, was sie sehr mißbilligte. Später jedoch mußte sie sich, wie Marie Luise von Österreich, aus politischen Gründen dem Willen des Vaters fügen. Und doch wäre diese Verbindung beinahe nicht zustande gekommen. Napoleon hatte nämlich inzwischen noch eine andere Partie für seinen Bruder in Aussicht genommen: die einzige Tochter seines Freundes, des Königs von Sachsen. Diesen Heiratsplan ließ der Kaiser aber, wahrscheinlich wegen der kirchlichen Frage der Scheidung Jérômes, bald wieder fallen. Er kam aufs neue auf die württembergische Prinzessin zurück.
Schon am 12. August 1807 fand in Stuttgart die Prokuratrauung mit dem Erbprinzen als Stellvertreter Jérômes statt. Zwei Tage später verließ die Braut ihre Heimat, um sich zu ihrem künftigen Gatten nach Paris zu begeben.
Der neue König von Württemberg versprach seiner Tochter eine Mitgift von 100.000 Gulden, sowie Schmucksachen in gleichem Werte. Katharina selbst aber schrieb damals in ihr Tagebuch, daß ihr Vater wohl schwerlich in der Lage sein würde, seinen Verpflichtungen nachzukommen. »Trotz aller Bedeutung«, fügte sie hinzu, »die mein Vater dieser Verbindung beimessen mußte, ließ er mich für die üblichen Geschenke Schulden machen und gab mir eine Ausstattung, deren ich mich schämen mußte.« Das war freilich wahr. Die Ausstattung Katharinas war sehr dürftig. Napoleon selbst ließ ihr die nötige fehlende Wäsche anfertigen. »Ich habe vom Kaiser meine Hemden erhalten«, vermerkte sie in ihr Tagebuch.
Die junge Braut war von ihrem Vater mit 100 Louisdor in der Tasche, wovon sie alle Ausgaben bestreiten mußte, nach Paris geschickt worden. Ihre Angst und ihre Zweifel, welchen Eindruck sie auf den eleganten, von Frauen verwöhnten Jérôme machen würde, waren groß. Darüber aber hätte sie sich am wenigsten zu sorgen brauchen. Sie war, abgesehen davon, daß sie ein wenig zu rundlich war, eine anziehende Erscheinung, und ihr edler Charakter spiegelte sich in ihrem ganzen Wesen wider. Wenn Katharina auch nicht mit der sieghaften Schönheit Elisabeth Pattersons wetteifern konnte, so war sie doch hübsch. Jérôme selbst schrieb an Lucien: »Die Prinzessin scheint besonders sehr gut zu sein. Ohne daß sie gerade schön ist, ist sie doch nicht übel.«
Katharina traf zum erstenmal mit Jérôme am 21. August in Junots Schloß Raincy bei Paris zusammen. Es war nur eine kurze Begrüßung der beiden jungen Leute. Die offizielle Vorstellung fand am Abend in den Tuilerien statt. Hier erwartete der Kaiser Napoleon die Braut an der großen Freitreppe. Er empfing sie wie ein Vater. Als Katharina sich ihm zu Füßen werfen wollte, wehrte er sie ab, schloß sie zärtlich in seine Arme und führte sie zu seiner Mutter. Frau Letizia lernte die Schwiegertochter bald schätzen und lieben. Katharina selbst vergaß unter rauschenden Festen, die man ihr zu Ehren täglich veranstaltete, den Trennungsschmerz von der Heimat.
Am 22. August wurde in den Tuilerien die Ziviltrauung und am 23. die kirchliche Trauung des jungen Paares vollzogen. Katharina fand ihren Gatten sehr schön, sehr begehrenswert mit seiner hohen, schlanken Gestalt, dem nachlässig vornehmen Gang, dem feinen glattrasierten Gesicht, den sanften Augen, dem weichen, reichen Haar und seinem immer gewählten Anzug. Auch sie hatte Jérôme bald ganz für sich erobert. Und bei den übrigen Familienmitgliedern fiel es ihr nicht schwer, sich beliebt zu machen. Von Napoleon war sie ganz eingenommen. Er wiederum bewies ihr die größte Aufmerksamkeit und väterliche Zuneigung. Bald wurde Katharina das »enfant gaté« in den Tuilerien, wie sie eines Tages ihrem Vater schrieb.
Die Stunde, da Jérôme und seine junge Frau Paris verlassen mußten, um von ihrem neuen Reiche Besitz zu nehmen, rückte immer näher. Am 22. November 1807 traten sie die Reise nach Westfalen an. Selbstverständlich umgab sich der neue König mit einem reichen Gefolge, als wäre er der Kaiser der Franzosen selbst. Wäre er länger in Paris geblieben, so hätten die Westfalen sehr tief in die Tasche greifen müssen, um den Aufenthalt ihres Herrschers dort zu bestreiten. Schon jetzt kam er ihnen teuer zu stehen, denn Jérôme hatte in den zwei Monaten in Paris drei Millionen verbraucht!
Die jungen Leute hielten sich noch eine Woche in Stuttgart bei dem Vater Katharinas auf, ehe sie ihre Hauptstadt Kassel betraten. Anfangs nahmen sie ihren Aufenthalt in dem alten Schlosse Wilhelmshöhe, das man zu Ehren des französischen Kaisers jetzt Napoleonshöhe nannte. Es sah in diesem Schlosse nicht gerade königlich aus. In den meisten Zimmern fehlten selbst die nötigsten Möbel. Genau so wüst und leer war es im Kasseler Schlosse, wo das Königspaar am 10. Dezember feierlichen Einzug hielt. Kaum zwei Räume waren darin einigermaßen wohnlich eingerichtet.
Schlimmer aber als alles war die vollkommene Leere der Staatskassen! Schon jetzt hatte der junge König, der eigentlich nur ein Herrscher in partibus war, mit harten finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Gleich am Anfang seiner Regierung, die offiziell am 1. Dezember 1807 begonnen hatte, lieh er von seinem Bruder Napoleon 1.800.000 Franken auf Wechsel, die er im nächsten Jahre nicht einlöste und sich dafür scharfen Tadel von Seiten Napoleons zuzog. Der Staatsschatz hatte ein Defizit von neun Millionen aufzuweisen. Seit Monaten waren weder die Gehälter noch die Pensionen der Beamten, noch der Sold der Soldaten bezahlt worden; gar nicht davon zu reden, daß der Staat die Apanage des Königs aufbringen konnte. Von den 49 Millionen, die Napoleon den westfälischen Provinzen als Kriegssteuer auferlegt hatte, waren erst 13 Millionen bezahlt. Wovon die übrigen 36 Millionen zu nehmen waren, das wußte niemand. Außerdem war das Land durch die durchmarschierenden Truppen, für deren Unterhalt es zu sorgen hatte, zugrunde gerichtet. Marburg allein hatte in vier Monaten 100.000 Mann ernähren müssen! Dazu hatte Jérôme sich verpflichtet, seinem kaiserlichen Bruder die Hälfte des Ertrags der Kammergüter abzutreten und in seiner Eigenschaft als Mitglied des Rheinbundes ein Truppenkontingent von 25.000 Mann, die zur Hälfte von Frankreich bewaffnet, aber vollkommen von Westfalen ernährt und besoldet werden mußten, für die kommenden Kriege zu stellen.
Unter solchen Verhältnissen bestieg Jérôme, der verschwenderischste und leichtsinnigste aller Bonaparte, den Thron Westfalens. Wie hätte er, der nicht einmal für seine eigene Person rechnen konnte, die pekuniäre Lage dieses zerrütteten Staates bessern können? Wie hätte er, der bis dahin als französischer Prinz für sich allein eine Million bezogen hatte, jetzt haushälterisch mit dem Einkommen und den Ausgaben seines Staates umgehen können? Seine Prachtliebe und Eitelkeit vereinbarten sich schwer mit diesen Anforderungen. Da nahm er seine Zuflucht zu den Wucherern. Sie waren bereitwillig genug, dem König so viel Geld zu leihen, als er nur wollte. Aber unter welchen Bedingungen! Nun, Jérôme hatte in diesen Dingen ja Erfahrung und wußte Bescheid. Es fiel ihm nicht schwer, besonders mit dem berüchtigten Jakobson Geldgeschäfte zu machen.
Das erste, was er tat, war, seine Residenz, seinen Hof so reich und prachtvoll wie nur möglich zu gestalten. Alle Schlösser wurden wahrhaft königlich eingerichtet; nicht eins der alten Möbelstücke durfte beibehalten werden. Es wurden die glänzendsten Feste gegeben, und der König warf, im Kleinen wie im Großen, mit dem Golde um sich, als wenn er einer der reichsten Sardanapale sei. Der Glanz der Tuilerien hatte seine Augen geblendet. Sein Hof sollte in nichts dem Kaiserhof von Paris nachstehen. Er bezahlte die Beamten des Hofstaats besser als Napoleon die seinen. In jedem Lande hatte der König von Westfalen seine Gesandten, die ebenso kostspielig waren wie die eines großen Hofes. Mehr als einmal kam der Kaiser darauf zu sprechen, daß Jérôme seine Minister und Beamten viel zu gut bezahle. »Es ist ein Wahnsinn«, schreibt er einmal, »daß Sie Ihren Ministern 60.000 Franken Gehalt bewilligen; sie dürfen nicht mehr als 20.000 bekommen. Meine Minister in Italien, einem Staate von 120 Millionen Einkommen, dessen Hauptstadt Mailand eine sehr teure Stadt ist und 140.000 Einwohner hat, bekommen nur 30.000 Franken. Sie stellen Ihr Land auf einen Fuß der Verschwendung, die es zu Fall bringen wird.«
Auf solche Vorwürfe antwortete Jérôme meist mit Ergebenheit und vollkommener Unterwerfung, aber er tat dann doch, was er wollte. Immer wieder wußte er Napoleon zu versöhnen. Wenn der Kaiser das verwöhnte Kind noch so sehr getadelt hatte, schloß er doch seine Briefe mit den Worten: »Mein Freund, ich liebe Sie, aber Sie sind entsetzlich jung!«
Jérôme hielt sich geradezu verpflichtet, Prunk zu entfalten. Besonders glaubte er dadurch dem westfälischen Adel und der reichen Bürgerklasse Achtung einzuflößen. Eines Tages, als er bei dem reichen Bankier Jordis in dessen Landhause zu Mittag gegessen hatte, sagte der König beim Abschiede zu ihm: »Dieses Haus gehört mir!« Und sofort stellte er einen Wechsel auf 90.000 Franken aus für ein Besitztum, das kaum 21.000 gekostet hatte. Außerdem verausgabte er später 150.000 Franken, um es vorzurichten.
Bald fand er in seinem Lande Nachahmer, die das Geld ebenso hinauswarfen wie ihr Fürst. Zivil- und Militärbeamte führten das ausschweifendste Leben, wobei oft die staatlichen Kassen, da fast gar keine oder eine sehr geringe Kontrolle geübt wurde, arg ausgeplündert wurden. Vom König selbst erzählte man sich die unglaublichsten Geschichten von wahnsinniger Verschwendungssucht, Prachtliebe und Leichtsinn. Die einen behaupteten, er bade sich täglich in Champagner, andere meinten, es seien Milch- oder Rumbäder, in die Jérome täglich seinen königlichen Leib tauche. Das änderte je nach der Einbildungskraft des Erzählers. Sicher aber ist, daß der König ein gewisses Unterkleidungsstück nie zweimal anzog, sondern seine Beine stets nur mit ganz neuen Stoffen bekleidete. Die Folge davon war, daß er beim Wäschelieferanten ungeheure Schulden hatte und in einen sehr unangenehmen Prozeß verwickelt wurde. Und daß Seine Majestät einen Hermelinmantel im Werte von 13.600 Franken und die schönsten Bilder berühmter Meister in seiner Galerie hatte, war bekannt.
Auch von seinen Offizieren und allen, die ihn umgaben, verlangte der König große Prachtentfaltung. Er hielt seinen Willen für das höchste Gesetz; diejenigen, die sich ihm nicht fügten, wurden verabschiedet. Und so war es nicht nur in bezug auf private Wünsche. Hatte er einmal ein Gesetz oder einen Beschluß erlassen, und mochten diese noch so verhängnisvoll für sein Land sein, so ging er trotz aller Vorstellungen seiner Minister nicht wieder davon ab.
Er gründete kostspielige Orden, verlieh Titel und Schenkungen, Renten und Fürstentümer, als wäre er einer der reichsten Fürsten Europas. Seinem Bruder Lucien zum Beispiel setzte er 200.000 Franken aus und seiner ersten Gattin die gleiche Summe Rente mit dem Fürstentum Schmalkalden. Seinen Sekretär und unzertrennlichen Freund Lecamus machte er zum Grafen von Fürstenstein mit 40.000 Franken Rente. Dieser Lecamus wurde bald eine der einflußreichsten Persönlichkeiten am westfälischen Hofe. Er wurde Minister der Auswärtigen Angelegenheiten und, zum großen Ärger Napoleons und der Westfalen, verlangte Jérôme für ihn das Großkreuz der Ehrenlegion, das ihm schließlich auch vom Kaiser bewilligt wurde.
Mit all diesen Ehrungen und Auszeichnungen seiner Günstlinge machte sich der König von Westfalen nur lächerlich. Aber er ließ sich in nichts dreinreden. Alles, was er tat, war unfehlbar. Sehr bezeichnend für seine Eitelkeit ist der Ausspruch, den er eines Tages tat: »Ich will lieber zwei Millionen verlieren, als einen meiner Befehle zurücknehmen!« Er war ganz vom Schlage der Bonaparte. Vom ersten Tage seiner Herrschaft an drückte er seinem Hofe den Cäsarenton auf, aber leider gelang es ihm nicht wie seinem genialen Bruder Napoleon; es fehlte allen den andern Bonaparte die wahre Größe und vor allem das Genie!
Jérômes Verschwendungssucht und Leidenschaft für das weibliche Geschlecht boten bald den einzigen interessanten Gesprächsstoff der westfälischen Gesellschaft. Besonders fiel es auf, daß er, auch in Abwesenheit der Königin, wenn er sich von einem Schlosse zum andern oder auf Reisen begab, immer ein zahlreiches Gefolge von den schönsten, jüngsten und vornehmsten Hofdamen mit sich führte. Diese Damen mußten den König überall hin begleiten. Sie folgten ihm auf seinen Spazier- und Inspektionsfahrten, zur Jagd, ja sogar in die Sitzung des Staatsrates nach Kassel. Dann erledigten sie, während der König sich im Rate befand, ihre persönlichen Angelegenheiten, ihre Einkäufe usw. in der Stadt. Sie mußten auch den genußsüchtigen Jérôme von den Mühen der Regierungsgeschäfte zerstreuen, ihn unterhalten und ihm die Sorgen von der Stirn lachen, wenn er schlecht gelaunt war.
Da er selbst wenig gebildet war und sich nicht durch geistige Beschäftigung Zerstreuung verschaffen konnte, suchte er sie im Theater und beim Ballett. Stets begleiteten ihn auf seinen Reisen alle Schauspieler und Schauspielerinnen des königlichen Theaters und auch die Kammermusiker und eine Menge Tänzerinnen von der Oper. Seine Eitelkeit und seine Selbstsucht waren außerordentlich.
Ein Charakter war Jérôme gewiß nicht. Stets ließ er sich von denen leiten, die es vermochten, die Oberhand über ihn zu gewinnen. Am besten gelang das natürlich den Frauen. Er war immer ihr Sklave. Mit ihnen gestattete er sich übrigens sogar in der Öffentlichkeit Freiheiten, die weder seine Stellung noch seine Verwandtschaft mit dem größten Mann der Zeit noch sein großer Leichtsinn entschuldigen können. Die Leidenschaft für die Frau hat ihn bis ins hohe Alter nicht verlassen. Er war dreimal rechtmäßig verheiratet und hatte zahllose Maitressen. Keine Frau an seinem Hofe oder in seiner Umgebung war sicher vor ihm. Mehrmals war die Königin genötigt, ihre Hofdamen wegzuschicken, weil deren Beziehungen zu Jérôme zu auffällig wurden. Aber der König fand immer gefällige Kreaturen, die für seine Vergnügungen sorgten. Lecamus zum Beispiel wußte ihm stets schöne Frauen zu verschaffen. Wurde der Skandal zu groß, dann nahm der Sekretär und Kammerherr die Maitresse selbst für sich. Mochten sie nun Blanche Carréga, Thérèse Bourgoin, Frau von Löwenstein, Fräulein Delaitre, Fräulein Jaegermann oder sonstwie heißen, sie alle wurden vom König begehrt, und die Kinder, die sie zur Welt brachten, verrieten königliche Züge. Des Aufsehens war nie ein Ende.
Dennoch war seine zweite Gemahlin Katharina nicht unglücklich an seiner Seite. Das liebenswürdige, herzgewinnende Wesen, die äußere Schönheit Jérômes, seine Fürsorge und Aufmerksamkeit gegen Katharina hatten ihm ihre ganze Zuneigung und Liebe bald und dauernd erworben. Sie liebte ihn leidenschaftlich, und diese Leidenschaft machte sie nachsichtig. Aus dem Briefwechsel mit ihrem Vater, der mehr wie einmal die Ehe der Tochter zu trüben suchte, besonders aber aus ihrem interessanten Tagebuch geht hervor, wie sehr und aufrichtig sie Jérôme trotz aller seiner Fehler liebte. Ihr Gefühl für ihn ging so weit, daß sie es sogar auf seine außerehelichen Kinder ausdehnte, deren Beschützerin sie wurde. Vielleicht liebte sie ihren Gatten gerade, weil sein Charakter so ganz anders war als der ihrige. Er liebte das Prunkvolle, den Luxus, Feste und die Öffentlichkeit, Abwechselung im Leben und in der Liebe. Katharina hingegen war treu und beständig. Sie fühlte sich am wohlsten, wenn sie fern von allem Trubel, wenn sie allein mit ihrer Familie, mit ihrem Mann oder mit ihren Gedanken war. Im vertrauten Kreise war sie eine ganz andere als in der Öffentlichkeit. Auf ihrem Schlosse Katharinental, ehemals Wilhelmstal, war sie glücklich. Hier war sie sanft, freundlich, hingebend, liebend. In Kassel, zu öffentlichen Gelegenheiten, trug sie ein stolzes, kaltes, fast hochmütiges Wesen zur Schau.
Über Jérômes Familie und deren Emporkommen war die Königin sehr ungenau unterrichtet. Ihr Gemahl hatte für sie eine Geschichte zusammengestellt, die sie unbedingt glaubte, weil sie aus seinem Munde kam. Sie selbst schrieb darüber in ihr Tagebuch: »Ganz im Anfang der französischen Revolution wurde der Kaiser der Franzosen nach Korsika geschickt, um Herrn von Marbeuf, den Gouverneur, zu unterstützen. Als er sich der Insel näherte, nahmen die Korsen meinen Mann, der damals fünf Jahre alt war, und die damals siebenjährige Königin von Neapel, setzten sie vor die Mündung einer Kanone und ließen dem Kaiser sagen, daß sie beim ersten Schuß, den er abfeuere, seinen Bruder und seine Schwester in die Luft sprengen würden. Dennoch gab der Kaiser einige Schüsse ab, die jedoch nicht trafen, und so ließen auch die Korsen die Kinder leben.« Und etwas später fährt sie ebenso naiv fort: »Wie man weiß, waren die Herren Paoli und Bonaparte seit undenklichen Zeiten Rivalen. Die Paoli hatten zwar mehr Vermögen, aber wir, wir genossen mehr Achtung. Besonders waren die Truppen auf unserer Seite, was in allen Ländern das Übergewicht verleiht.«
Man sieht, sie vertraute Jérôme blind. Aber sie verstand es auch, wie keine andere Frau, ihn zu behandeln und das Gute, das in ihm war, herauszufinden und zu entwickeln. So hat er auch keiner andern als Katharina wahres Vertrauen und aufrichtige Zuneigung entgegengebracht. In der Familie Bonaparte war gewiß seine Ehe die glücklichste. Vielleicht schon deswegen, weil Katharina eine Prinzessin war und nicht die bürgerlichen Ansprüche an ihren Mann stellte wie Julie, Hortense und Josephine. Sie war im Gegenteil von Jugend auf in dem Grundsatze der Höfe erzogen, daß Könige und Fürsten ihre Schwächen, besonders in punkto Frauen, haben dürfen. Und deshalb war eben ihr Einfluß nicht stark genug, ihm seine Verschwendungssucht und übrigen Laster abzugewöhnen. Sie selbst war auch nicht gerade sparsam und hatte sich mit der Zeit das Geldausgeben ebenso angewöhnt wie ihr Mann. Außerdem war sie zu gut. Aber sie hat Jérôme in den meisten Staatsangelegenheiten mit klugem Rate beigestanden. Immer war sie es, die zuerst die Staatsgeheimnisse aus dem Munde ihres Mannes erfuhr, noch ehe die Minister davon Kenntnis erhielten.
Katharinas großer Charakter und ihr echt weibliches Empfinden überzeugten Jérôme trotz seiner Leichtfertigkeit, daß er in ihr einen echten Edelstein gefunden habe, den all die anderen, mit denen er zu spielen liebte, nicht zu ersetzen vermochten. Und dessen war sich auch die Königin bewußt. Deshalb war ihre Ehe mit dem flatterhaften Mann keine unglückliche. Dies bestätigen sowohl der Minister Reinhard als auch der preußische Gesandte von Küster.
Während aber der Hof dieses Königs Lustig zu den glänzendsten und reichsten der Zeit gehörte, war sein Land das ärmste und verschuldetste. Zwischen den verschiedenen kleinen Staaten, aus denen es gebildet war, herrschten weder Einigkeit noch Vaterlandsliebe noch Neigung und Anhänglichkeit an das neue Königshaus. Die Westfalen liebten ihren Herrscher nicht und bewiesen ihm wenig Achtung. Wenn er sich in den Straßen zeigte, grüßte man ihn kaum. Seine Verschwendungssucht und die Weibergeschichten schadeten ihm unendlich. Er schuldete aller Welt. Abgesehen davon, daß der Staatsschatz ein gewaltiges Defizit, das nie gedeckt wurde, aufzuweisen hatte, daß weder Gehälter noch Kriegssteuern bezahlt wurden, schuldete der König persönlich verschiedenen Pariser Privatpersonen anderthalb Millionen, den westfälischen Wucherern ebenfalls anderthalb Millionen, der Amortisierungskasse in Paris anderthalb Millionen und seiner eigenen Amortisierungskasse in Kassel dreieinhalb Millionen! Von Lieferanten und kleineren Gläubigern gar nicht zu reden. Jedes Jahr war er genötigt, Anleihen aufzunehmen. Jedes Jahr war er zu Opfern gezwungen, die noch die Folgen des Krieges bildeten. Und in dieser Beziehung kannte sein Bruder Napoleon kein Erbarmen. Obwohl er gerade Jérôme persönlich sehr gern hatte, forderte er von ihm unaufhörlich Geld und Truppen, die das kleine Land und sein verschwenderischer Fürst nicht aufbringen konnten. Der Briefwechsel der beiden Brüder ist ein stetes Fordern auf der einen, ein Flehen um Nachsicht und Einsehen auf der andern Seite. Selten wagte Jérôme seinem Bruder energisch zu widersprechen. Und tat er es, so geschah es in höflicher Weise, die die Achtung vor dem Älteren verriet. Als er sich eines Tages gegen Reinhard beschwerte, daß er feindselige Berichte nach Paris sende, sagte er: »Brüder können sich zwar einen Augenblick lang entzweien, und vielleicht ist das schon zwischen Napoleon und mir vorgekommen, aber sie versöhnen sich immer wieder. Ich liebe und achte den Kaiser wie meinen Vater. Er kann mir in einem heftigen Augenblick Vorwürfe machen, aber nachher spricht man sich aus, und wehe dem, der die Ursache des Zwistes gewesen ist!«
Daß der Kaiser seinem jüngeren Bruder Vorwürfe machte, war übrigens meist berechtigt, denn sie gründeten sich immer auf die maßlose Verschwendungs- und Vergnügungssucht Jérômes. Napoleon wußte, was am westfälischen Hofe vorging. Dafür sorgten im reichlichen Maße die Berichte seiner Vertrauensmänner Reinhard und Jollivet. So wußte er, daß die Mütter hübscher Töchter in Kassel diese nur mit Angst und Sorgen an den Hof Jérômes gehen ließen. Ferner war ihm bekannt, daß dort fast nie Ehepaare zusammen eingeladen wurden, sondern immer entweder die Frau oder der Mann. Er wußte auch, daß die jungen Frauen der Offiziere und Beamten reiche Geschenke von Jérôme erhielten, die wirklich eines Königs würdig waren. Kurz, der ganze Hofklatsch aus Kassel kam dem Kaiser Napoleon zu Ohren.
Wenn er daher seinem Bruder pekuniäre Unterstützung verweigerte, so geschah es, weil er ihn zur Sparsamkeit zwingen wollte. Beliefen sich doch bereits Jérômes persönliche Schulden, trotz seiner hohen Zivilliste, auf mehr als zehn Millionen! Und beklagte sich Jérôme, daß der Kaiser nicht das geringste Mitleid mit dem armen Lande habe, so hätte Napoleon ihm nur immer wiederholen müssen, daß der König als erster mit gutem, haushälterischem Beispiel vorangehen solle.
Aber Jérôme konnte nicht rechnen und hat es auch nie gelernt. Für Napoleon hingegen waren Geschäfte Geschäfte. Darin verstand er keinen Spaß. Ob es nun sein Bruder oder ein Fremder war, er bestand auf seinen Forderungen, übrigens machte er oft Zugeständnisse. Nicht immer waren seine Briefe so streng wie jener, den er Jérôme im Januar 1808 schrieb, als der König wieder einmal seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen war. »Ich leide nicht, daß man mir das Wort bricht«, schrieb er; »verkaufen Sie Ihre Diamanten, Ihr Tafelgeschirr, machen Sie nicht so unsinnige Ausgaben, die Sie zum Gespött Europas machen und schließlich die Empörung Ihrer Untertanen herausfordern werden. Verkaufen Sie Ihre Möbel, Ihre Pferde, Ihre Schmucksachen, und bezahlen Sie Ihre Schulden. Die Ehre über alles! Es steht Ihnen schlecht an, Ihre Schulden nicht zu bezahlen, während man Sie Geschenke machen und den unglaublichsten Luxus entfalten sieht. Er empört Ihre Untertanen. Sie sind jung, leichtsinnig und wissen nicht, was Geld ist, besonders in einer Zeit, wo Ihr Volk noch unter den Folgen des Krieges zu leiden hat.«
Und dennoch hatte Napoleon höhere Pläne mit diesem unbedeutenden König. Jérôme, der nicht einmal ein so kleines Reich wie das westfälische zu regieren verstand, sollte einen Thron besteigen, der unter allen, die Napoleon an seine Brüder verteilte, der schwierigste war; nämlich den spanischen. Glücklicherweise besaß der König von Westfalen, oder besser seine kluge Gemahlin so viel Scharfsinn und Verstand, ein solches Anerbieten auszuschlagen.
Inzwischen wurde die Lage Westfalens und seines Königs immer haltloser. Das fühlte Jérôme selbst. In seinen Briefen an den Kaiser kehrt die Bitte um Abberufung beständig wieder. So schrieb er in seiner unterwürfigen, schmeichlerischen Weise auch am 30. Oktober 1809: »Sire, trotzdem mich Eure Majestät vollkommen im Stich gelassen haben, und ich nichts getan habe, was mir Ihre Ungnade zuziehen konnte, bitte ich Sie, über meine Lage zu entscheiden. Sie ist für mich als König von Westfalen vollkommen falsch. Geruhen Sie, zu bestimmen, Sire, ob ich mich als Untertan oder als Souverän verhalten soll. Die Wahl meines Herzen ist und wird immer bleiben, Eurer Majestät Untertan zu sein ... Gewiß habe ich gewünscht, ein Volk zu regieren, aber ich gestehe es Eurer Majestät: ich würde vorziehen, als Privatmann in Ihrem Reiche zu leben, als ein Herrscher ohne Volk zu sein. Nur Ihr Name allein, Sire, gibt mir den Anschein der Macht. Und diesen Anschein finde ich sehr schwach, wenn ich bedenke, daß es mir unmöglich ist, Frankreich von Nutzen zu sein. Im Gegenteil, ich werde stets genötigt sein, 100.000 Bajonette zu unterhalten, um einen unbedeutenden Thron zu stützen.
Ich schließe, Sire, mit der inneren Überzeugung, daß, wie man mich auch anschwärzen mag, Eure Majestät bei richtiger Überlegung nicht auf der Meinung bestehen können, ich wäre der Gleichgültigkeit und Undankbarkeit fähig.«
Napoleon wußte ihn ebenso zu beschwichtigen wie einst Joseph. Als Jérôme im November 1809 in Paris gewesen war, tröstete er ihn mit der Einverleibung Hannovers, die Westfalen große Vorteile bringen sollte. Statt der erhofften Erleichterung jedoch zog diese neue Provinz dem Staate nur noch neue Bürden und Opfer zu. Der König mußte bald einsehen, daß diese Gabe ein Danaergeschenk gewesen war. Und doch wollte er Hannover nicht wieder hergeben, als es 1811 mit Frankreich vereinigt werden sollte.
Auch im Krieg von 1809, während welchem Jérôme das 10. Armeekorps befehligte, gab er seinem Bruder oft Gelegenheit zur Unzufriedenheit. Dieser geborene König hielt es nämlich nicht für nötig, dem Fürsten von Neuchâtel, Generalstabschef des Kaisers, über den Stand, die Lage und die Stellung seiner Truppen Bericht zu erstatten. Oft wußte Napoleon nicht, wo sich sein 10. Armeekorps befand. Ferner hielt es Jérôme unter seiner Würde, ohne ein großes Gefolge ins Feld zu ziehen. Gewöhnlich führte er beinahe seinen ganzen Hof mit sich: Kammerherren, Minister, Würdenträger, Günstlinge und Hofdamen. Auch die Gesandten auswärtiger Staaten, die an seinem Hofe beglaubigt waren, mußten ihn begleiten. Natürlich fand Napoleon, dem es ernst um den Krieg war, diese Art, ins Feld zu ziehen, höchst seltsam und unangebracht. Immer von neuem wiederholte er in den Briefen an Jérôme, daß es im Kriege weder einen Bruder des Kaisers, noch einen König von Westfalen gäbe, sondern nur einen General, der seine Truppen befehlige.
Außerordentlich erniedrigend fanden es Jérôme und seine Gemahlin, daß Katharina, die Königin von Westfalen, am Tage der Hochzeit Napoleons mit Marie Luise, der Kaiserin der Franzosen die Schleppe tragen mußte. Sie waren nur einigermaßen darüber ausgesöhnt, als Napoleon Katharina für die Würdigste hielt, die Marie Luise auf ihrer Reise mit dem Kaiser nach Antwerpen begleiten sollte.
Als das Königspaar wieder in seine Staaten zurückgekehrt war, sah es dort trübe aus. Aber während Westfalen seinem Bankerott entgegenging, warf Jérôme um so verschwenderischer mit Geschenken und Stiftungen um sich. Auch die Königin, die an die Ausgaben Jérômes gewöhnt war, wußte sich nicht einzuschränken. Im Frühjahr 1812, gerade in der höchsten Not des Landes, kaufte sie in einem einzigen Monat in Paris bei dem berühmten Modehändler Leroy für 10.000 Franken Kleider. Jérôme wiederum verschenkte Häuser: eins an den Grafen Löwenstein, den Gatten seiner Geliebten, im Werte von 80.000 Franken; ein anderes an den Grafen Bochholtz für 100.000 Franken; ein drittes an den Grafen Simeon für 168.000 Franken. Dann regnete es Belohnungen. Hier nur einige: 50.000 Franken für Frau Morio; 200.000 für Lecamus; 100.000 für den Finanzminister Malchus; 100.000 für den Dr. Roullano usw. Der Königin schenkte er einen Diamantschmuck im Werte von 100.000 Franken; der Prinz von Hessen erhielt als Hochzeitsgeschenk 400.000 Franken und außerdem noch Besitzungen.
So wenig Jérôme aber sonst Weisheit und Scharfsinn verriet, einmal zeigte er sich doch wirklich weitblickend. Er riet nämlich Napoleon ernstlich von dem unheilvollen Feldzug nach Rußland ab und warnte ihn vor der Rache der Völker, besonders der deutschen. Aber auch dieser kluge Rat wird wohl von Katharina und den westfälischen Ministern beeinflußt gewesen sein, denn sie kannten das deutsche Volk besser als der König. Sie wußten, was die Bewegungen zu bedeuten hatten, die sich überall seit 1811 in Deutschland bemerkbar machten. Sie waren besser darüber unterrichtet als Napoleons Gewährsmänner, die ihm durch beruhigende Angaben zu schmeicheln suchten. Damals jedoch lachte der Welteroberer über den Rat des jüngeren Bruders und sagte ihm – so berichtet wenigstens die Königin –: »Sie tun mir leid. Das ist gerade, als wenn der Schüler Homers den Meister lehren wollte, Verse zu machen.« Und doch hatte diesmal der Schüler recht.
Auch darin beging Napoleon einen großen Fehler, daß er seinen Bruder Jérôme zum Befehlshaber des rechten Flügels der Großen Armee ernannte. Er sollte das Großherzogtum Warschau gegen den ersten Anprall der Russen verteidigen. Wie konnte ein Feldherr wie Napoleon einen so verantwortungsvollen Posten einem Manne anvertrauen, der nicht die geringste Erfahrung im Landkriege besaß? Es genügte nicht, tollkühn zu sein und persönlichen Mut zu besitzen, wie es Jérôme in der Tat im Feldzug von Waterloo bewiesen hat, sondern bei einem solchen Posten war vor allem die Erprobtheit erforderlich, die nur die ältesten Marschälle des Kaisers besaßen. Es ist keine leichte Aufgabe, 80.000 Mann ins Feld zu führen, ohne daß der Befehlshaber strategische und taktische Kenntnisse besitzt. Und so war es kein Wunder, daß Jérôme in diesem Feldzug Fehler beging. Napoleon hätte sie voraussehen müssen. Er hätte seinen leichtfertigen Bruder, der es mit keiner Sache ernst nahm, besser kennen müssen.
Statt dessen erzürnte er sich über die Unfähigkeit und die Nachlässigkeit Jérômes und stellte ihn, gleichsam zur Strafe, unter die Befehle des als tüchtigen Feldherrn allseits anerkannten Marschalls Davout. Im Kriege kannte Napoleon keine Entschuldigungen, kein »Unmöglich«. Das aber war eine große Demütigung des Königs vor der ganzen Armee, zumal Davout nicht zu Jérômes Freunden gehörte. Er empfand es als tiefe Schmach und verließ, eigenmächtig wie immer, am 16. Juli 1812 das Heer.
Vier Wochen später, in der Nacht vom 11. zum 12. August, traf er in Kassel ein, wo inzwischen Katharina, allerdings gegen ihren Willen, die Regierungsgeschäfte mit großer Klugheit erledigt hatte. Reinhard schrieb darüber in seinem Bericht vom 30. Juni 1812: »Die Königin hört mit großer Aufmerksamkeit den Berichten zu, die man ihr erstattet. Sie zeigt viel Fleiß bei der Arbeit. Sie scheint mit Scharfblick den Kern der Angelegenheiten zu erfassen. Ihre Einführung in die Regierungsgeschäfte kann nur die glücklichsten Folgen haben. Alles, was ich darüber erfahre, bestätigt nur die hohe Meinung, die ich immer von ihren geistigen Fähigkeiten gehabt habe.« Leider sollte Reinhard nicht recht haben, denn die Lage Westfalens verschlimmerte sich dennoch immer mehr. Die Königin machte sich die größte Sorge um ihren »Fifi«, wie sie Jérôme nannte, und glaubte, sobald er einmal nicht schrieb, er sei verwundet oder gar tot. Zum Dank für ihre Fürsorge brachte er aus Polen als einzige Trophäe eine neue Geliebte mit und erhöhte so die Zahl seiner öffentlichen Favoritinnen auf drei. Die beiden andern waren zu jener Zeit Madame Escalon und die Gräfin Löwenstein-Wertheim.
Seinen Bruder Napoleon sah der König erst während des Feldzugs von 1813 in Dresden wieder. Dort weilte Jérôme unter dem Inkognito eines Grafen von Hartz eine Woche lang beim Kaiser, denn, was auch zwischen ihnen vorgefallen sein mochte, der Jüngere bewahrte dem Älteren stets eine gewisse Anhänglichkeit. Jérôme blieb seinem Bruder durch alle Stürme hindurch treu. Den Gedanken der Unabhängigkeit wie Lucien, Louis oder Murat, kannte er nicht. Napoleon brauchte nur zu winken, und Jérôme war zur Stelle. Auch jetzt bot er dem Kaiser wieder seine Dienste im Heere an. Da ihn Napoleon aber wiederum unter den Befehl eines Marschalls stellen wollte, verzichtete der König von Westfalen auf ein Kommando und sandte nur seine Hilfstruppen.
Um jene Zeit lag das westfälische Reich in den letzten Zügen. Im September 1813 bereits versetzte ihm der General Tschernitscheff mit seinen Kosaken den Todesstoß. Der König, den der russische Feldherr beinahe im Bett überrascht und gefangengenommen hätte, mußte fliehen. Er brachte sich und seine Minister anfangs in Wetzlar, dann in Koblenz und endlich im Schlosse Montabauer in Sicherheit. Die Königin war schon früher nach Frankreich gereist. Das diplomatische Korps hingegen, mit Ausnahme des französischen und des bayrischen Gesandten, die in Düsseldorf die Ereignisse abwarteten, zog sich nach Arolsen zurück. Zwar gelang es Jérôme noch einmal, am 16. Oktober, die Russen aus seiner Hauptstadt zu vertreiben und sich selbst wieder darin festzusetzen, aber zehn Tage später, nachdem die große Völkerschlacht stattgefunden hatte, war er aufs neue gezwungen, und diesmal für immer, sein Reich zu verlassen.
Mitten in der Nacht vom 23. Oktober meldete der Kurier des Generals Lefebvre-Desnouettes dem König, daß eine bedeutende russische Kolonne auf Kassel im Anmarsch sei. Schon war der immer näherkommende Kanonendonner vernehmbar. Es galt zu fliehen, ehe der Rückzug gänzlich abgeschnitten war.
Umgeben von einigen Getreuen, verließ Jérôme sein Schloß Napoleonshöhe auf Nimmerwiedersehen, jenes Schloß, wo er so viele Träume von ungeahnter Größe geträumt hatte! Er war ein König und sein Reich nur von kurzer Dauer gewesen! Es war nicht anders zu erwarten. Das Königreich Westfalen wäre auch ohne die vorhergehenden politischen Ereignisse zusammengebrochen. Denn es hätte, da der Staat keine Mittel mehr besaß, über kurz oder lang Bankerott gemacht. Wenigstens hätte es nie eine Stellung unter den europäischen Mächten einnehmen können, solange Preußen bestand. Sogar Jérôme sah das ein und sagte einmal im Jahre 1808 zum holländischen bevollmächtigten Minister, dem General Dedem de Gelder: »Wenn ich nicht in Berlin regieren werde, wird mich der König von Preußen aus meinem Reiche jagen. Und dieses wird mit dem Leben des Kaisers zu Ende sein.«
Bei dem allgemeinen Zusammenbruch zeigte die Königin Katharina ihren edlen, über alle Not und alle Schmach erhabenen Charakter im schönsten Lichte. Nur ihrem Vater gestand sie, wie es in ihrem Herzen aussah. »Aber ich habe wenigstens den Trost«, schrieb sie ihm, »daß Sie so unbehelligt bleiben, als es die traurigen Umstände erlauben. Mein Mann und ich hingegen werden nun in der Welt umherirren, ohne daß wir etwas Bestimmtes über unser gegenwärtiges oder späteres Schicksal wissen. Es ist gewiß nicht die Größe, die ich bedaure. Ich persönlich könnte alles ertragen, aber um des Königs willen vermag ich nicht ohne Schrecken in die Zukunft zu blicken. Kein Hoffnungsschimmer scheint mir für ihn in den kommenden Ereignissen zu leuchten. Und wie auch die Dinge sich wenden mögen, ich habe keine Hoffnung, daß irgend jemand ihm die Opfer dankt, die Ehre, Familie und Erkenntlichkeit ihm auferlegt haben.« Katharina vermutete allerdings nicht, daß dieser liebenswürdige Gatte sie hauptsächlich auf Veranlassung der Gräfin Löwenstein nach Paris geschickt hatte. Denn Frau von Löwenstein hoffte, daß der König sich von seiner Gemahlin scheiden lassen würde, um sich mit ihr morganatisch zu vermählen. Sie erwartete ein Kind. Jérôme, den jede Frau beherrschen konnte, wenn sie nur wollte, war im ersten Augenblick unterlegen. Er hatte seiner Geliebten gehorcht und seine Frau von sich entfernt. Glücklicherweise aber fehlte noch viel an der Ausführung des Planes, denn auch Katharina fühlte sich Mutter.
Vollkommen niedergeschlagen hatte sich der aus seinem Reiche vertriebene König zuerst mit einigen tausend Mann nach Köln geflüchtet. Von da begab er sich nach Aachen. Hier war seine Kasse so leer, daß er froh war, aus den sechs prächtigen weißen Rossen, die sein Stolz gewesen, als er mit ihnen in Kassel durch die gaffende Menge gefahren war, 1900 Franken zu schlagen. Mit all der Herrlichkeit hatte es nun ein Ende!
Anfangs erteilte Napoleon seinem Bruder nicht die Erlaubnis, sich nach Paris zu begeben. Er wünschte den entthronten König nicht als lebendes Zeichen seiner Niederlage in Frankreichs Hauptstadt zu sehen. Schließlich aber gab er nach und gestattete ihm, nach Frankreich zurückzukehren.
Zuerst begab sich dieser König ohne Thron und Reich zu seiner Mutter in das Schloß Pont-sur-Seine. Trotzdem Napoleon sehr ärgerlich auf ihn war, wies er ihm das schöne Schloß Compiègne zum Aufenthalt an. Dort traf Jérôme am 14. November 1813 ein. In der folgenden Nacht langte auch die Königin an. Sie, die sechs Jahre lang vergebens auf einen Thronerben gehofft hatte, konnte ihrem Mann jetzt, da ihr Thron in Trümmer lag, sagen, daß sie einem Kinde das Leben geben würde. Und diese glückliche Hoffnung setzte sie über die Unbill hinweg, die das Leben ihr bestimmte.
Jérôme glaubte Napoleon in einer Audienz versöhnen zu können. Sie ward ihm versagt. Er hatte sich die Gunst des Kaisers seit 1812 verscherzt. Sein sehnlichster Wunsch, wieder ein Kommando zu erlangen, ward nicht erfüllt. Bereits am 3. November hatte Napoleon ihm durch Maret schreiben lassen: »Der Kaiser ist sehr unzufrieden mit dem gewesen, was der König getan und was er nicht getan hat ... Da der König niemals den Ratschlägen des Kaisers hat folgen und auch niemals etwas hat tun wollen, was so wichtig für das Interesse seiner Krone gewesen wäre, würden die Zusammenkünfte mit Seiner Majestät nach solchen Maßnahmen nur peinlich und gegenstandslos sein ...
Unter diesen Umständen ist es am besten, wenn weder der König noch die Königin von sich reden machen. Je weniger sie Aufsehen erregen, desto besser ist es. Der König ist in einem Departement, das nahe bei seinen Staaten gelegen ist, an seinem Platze. Es wäre zum Beispiel sehr gut, wenn er sich im Schlosse Brühl aufhielt. Die einfachste Lebensweise und das bescheidenste Auftreten sind augenblicklich unbedingt erforderlich.« ...
Wenn jedoch der Kaiser glaubte, Jérôme richte sich in seiner Lebensweise nach seinem Unglück, so irrte er. Compiègne war ihm lange nicht gut genug zum Aufenthalt. Er wollte ein eigenes Schloß haben. Als Vorwand gab man an, Katharinas Zustand sei der Aufenthalt in Compiègne nicht zuträglich. Noch im Herbst 1813, als es in Westfalen schlimm um die Finanzen stand, hatte der König von seinem Freunde Hainguerlot das wunderschöne Schloß Stains bei Paris erworben. Dorthin zogen sich Jérôme und Katharina zurück, um, während Frankreich in Not und Trauer lag, mit rauschenden Festen und in königlicher Umgebung die Geburt des langersehnten Nachkommen zu erwarten. Aber das Geschick wollte es anders.
Der Feind stand vor den Toren von Paris. Jetzt zeigte sich wieder die Anhänglichkeit Jérômes an Napoleon. Er meinte, nur in Paris sei er am Platze. Bis zuletzt hat er seine Pflicht als Bruder des Kaisers getan. Obwohl er von Napoleon nicht mit in den Regentschaftsrat gewählt wurde, nahm er doch an jener Sitzung teil, in der man beschloß, Marie Luise und den König von Rom aus der Hauptstadt zu entfernen. Mit Katharina vereint, versuchte Jérôme die Kaiserin von diesem Entschlusse abzubringen, denn er glaubte fest an das Genie des Bruders, der mit seiner Garde noch rechtzeitig in Paris eintreffen könnte. Marie Luise aber dachte mehr an ihre eigene Person als an den Thron des Gatten und Sohnes. Sie ging. In Blois versuchten es Jérôme und Joseph noch einmal, sie zu bestimmen, sich mit dem kleinen Napoleon hinter die Loire zurückzuziehen, wo des Kaisers Truppen noch bereit waren, für ihn und die Seinigen zu sterben. Jérôme soll die Kaiserin sogar etwas unsanft am Arme gefaßt haben, um sie mit Gewalt fortzubringen. Darauf habe Marie Luise ihre Leute gerufen und geantwortet, sie wäre ebenso sicher unter den deutschen oder österreichischen Truppen. Und so verließ sie am 9. April in Begleitung des russischen Grafen Schuwaloff Blois, um sich nach Orléans zu begeben.
Zwei Tage später erfolgte die Abdankung des Kaisers der Franzosen. »Welches Unglück! Welche Trauer, einen solchen Mann auf eine solche Weise sich überleben zu sehen!« rief Jérôme aus, als er es erfuhr. Jetzt blieb dem Exkönigspaar nichts weiter übrig, als aus den Trümmern ihres Vermögens das zu retten zu suchen, was zu retten war. Obgleich Katharina bereits im fünften Monat guter Hoffnung war, fuhr sie doch nach Paris, um ihre Habe zusammenzuraffen. Gleichzeitig hatte sie die Absicht, ihren Bruder Wilhelm wiederzusehen. Dieser aber weigerte sich, sie zu empfangen. Dann sollte sie mit ihrem Gatten in La Mothe-Beuvron zusammentreffen, um sich darauf gemeinsam in der Schweiz eine Zuflucht zu suchen. Der eigene Vater hatte ihr eine solche in seinen Staaten verweigert. Obwohl die Tochter einer schweren Stunde entgegenging und ihre Ehe mit Jérôme durch die Geburt eines Kindes fester verknüpft werden sollte, schrieb Friedrich von Württemberg an Katharina: »Wenn der König Jérôme aus eigenem Antriebe bereit ist, sich von der Königin, meiner Tochter, zu trennen, so verspreche ich, mich bei den Kaisern und Königen, meinen Verbündeten, wirksam zu verwenden, um ihm eine Zukunft zu sichern, die der Würde, die er bekleidet hat, sowie der Stellung seines älteren Bruders gleichkommt. Ich verpflichte mich, für den Aufenthalt und die Lage meiner Tochter sowohl als auch des Kindes, dem sie das Leben geben wird, vollkommen zu sorgen. Wenn hingegen der König Jérôme diesen Vorschlag nicht annimmt, oder wenn meine Tochter nicht damit einverstanden ist, so muß ich zu meinem Bedauern erklären, daß ich dann nicht in der Lage wäre, in Zukunft irgendwelches Interesse an ihrem Geschick zu nehmen.« Und vier Tage später heißt es in einem andern Brief von ihm: »Man muß sich den Beschlüssen der Vorsehung fügen ... Folgen Sie dem Beispiel, das Ihnen die Tochter des Kaisers Franz gegeben hat. Sie steigt tiefer hinab als Sie! Auch sie ist Mutter, wie Sie es werden, und doch kehrt sie zu ihrem Vater, in den Schoß ihrer Familie zurück.«
Glücklicherweise besaß die westfälische Königin mehr Charakter und mehr Edelmut als die österreichische Erzherzogin. Katharina hielt treu zu ihrem Mann, den sie liebte, trotzdem er ihr so oft Grund zur Unzufriedenheit gegeben hatte. Marie Luises Handeln konnte sie nicht begreifen, aber sie ließ kein Wort des Tadels über sie fallen. Nur ihrem Vater schrieb sie: »Werfen Sie bitte einen Blick auf die Vergangenheit. Als man mich mit dem Könige von Westfalen verheiratete, ohne daß ich ihn kannte, da war ich ein Opfer der großen politischen Interessen. Seitdem aber habe ich mich eng an ihn angeschlossen und trage jetzt sein Kind unter meinem Herzen. Sieben Jahre lang ist er durch sein liebenswürdiges, zärtliches Wesen mein Glück gewesen. Und selbst, wenn er für mich der schlechteste aller Männer gewesen wäre, wenn er mich unglücklich gemacht hätte, so würde ich ihn im Unglück doch nicht verlassen. Wäre ich zu einer solchen Handlung fähig, dann würde ich weder Ihre noch seine Achtung verdienen. Niemals werde ich meine Interessen von den seinigen trennen. Mein Entschluß in dieser Beziehung steht felsenfest, denn er ist mir von der Liebe und von der Ehre eingegeben. Wohin auch das Schicksal Jérôme verschlagen mag, ich werde ihm überallhin folgen und mit ihm von dem mageren Einkommen leben, das wir noch gerettet haben, wenn ich für ihn und seine Kinder keine Entschädigung erlangen kann. Denn Geld, eine Pension von Frankreich, werden wir niemals annehmen!«
Vorläufig fehlte es Katharina nicht am Nötigsten. Jérôme hatte seiner »lieben Trinette«, wie er seine Gemahlin nannte, von den 500.000 Franken, die ihm Marie Luise beim Abschied übergeben hatte, 60.000 Franken schicken können, womit sie die schreiendsten Schulden in Paris deckte. Mehr Verständnis als bei dem politisch denkenden Vater fand diese wunderbare Frau bei Fremden. Der Kaiser Alexander von Rußland, ein Vetter Katharinas, bot ihr und Jérôme eine Zuflucht in seinem Lande an und erwirkte von den Bourbonen für beide eine Rente von 500.000 Franken. Katharina aber lehnte, wie sie vorausgesagt hatte, diese Unterstützung ab. Ebenso dankte sie dem Zaren für seine Einladung. Ihr Zustand war zu weit vorgeschritten, als daß sie eine so weite und beschwerliche Reise hätte unternehmen können.
Die Ablehnung des Jahrgeldes aber war um so charaktervoller, als Friedrich seine Tochter endlich durch Abschneidung aller Unterhaltsmittel zur Scheidung von Jérôme zwingen wollte. Katharinas Tagebuch erzählt von den geradezu unbegreiflichen Gesinnungen des württembergischen Königs. Als er erfuhr, daß die Bourbonen seinen Kindern eine Unterstützung aussetzen wollten, versuchte er es mit Hilfe Metternichs zu hintertreiben. »Ich hoffe«, sagte er eines Tages zu dem österreichischen Minister, »daß man ihnen die 500.000 Franken Rente nicht bewilligen wird. Dann werden sie hungern und wohl genötigt sein, um Brot bei mir zu betteln. Nun, wir werden ja sehen!«
Aber nichts vermochte Katharina von ihrem Entschluß abzubringen. Furchtlos begab sie sich zu Jérôme, der sich mittlerweile, da ihm in Orléans der Boden zu heiß wurde, nach Bern begeben hatte. So gut sie es vermochte und verstand, hatte Katharina in Paris alles zu Geld gemacht, was sie für nötig hielt. Ihre Wagen und Pferdegeschirre hatte sie für beinahe 10.000 Franken, die Pferde für 79.558 Franken verkauft. Ferner hatte sie einige Bankaktien in 52.000 Franken bares Geld umgesetzt. Die beiden Schlösser Stains und Villandry in der Nähe von Paris hatte sie der Verwaltung des Sekretärs Filleul übergeben und nahezu alle persönlichen Schulden in der Hauptstadt bezahlt. Dann war sie zur Reise zu ihrem Gatten aufgebrochen. Ehe sie zu ihm gelangte, sollte sie jedoch noch ein Abenteuer erleben, das sie in großen Schrecken versetzte. Möglicherweise hatte auch dabei ihr Vater die Hand im Spiele.
Der Sturz Napoleons hatte die Rache der Royalisten noch nicht völlig befriedigt. Beinahe schien es, als würde sie durch das Unglück des gefallenen Kaisers noch mehr angefacht. Sie fühlten sich keineswegs vor einem Napoleon sicher. Er war für die Franzosen die Verkörperung der Freiheit und würde sich immer wieder zwischen die Bourbonen und das Volk stellen. Nur sein Tod konnte dem Throne Ludwigs XVIII. festen Halt verleihen. Wer aber sollte der Mörder des Titanen sein?
Auf Bitten Caulaincourts hatte der König Jérôme einst einen ehemaligen Emigranten und Chouan, den Grafen Marie Armand de Guerry de Maubreuil, Marquis d'Orvault, an seinem Hofe als Stallmeister der Königin und Jagdhauptmann aufgenommen. Da jedoch unliebsame Geschichten hinsichtlich einer königlichen Geliebten vorkamen, wurde dieser Maubreuil im Jahre 1813 entlassen und aus Westfalen ausgewiesen. Er hatte darauf in Paris durch alle möglichen unsauberen Börsengeschäfte versucht, sich eine Existenz zu gründen, aber immer ohne Erfolg. Sein Elend machte ihn zum wütendsten Gegner der ganzen Familie Bonaparte.
Durch Zufall kam dieser Maubreuil eines Tages mit den Vertrauten des Grafen Artois sowie mit dem Geheimsekretär Talleyrands, einem gewissen Roux-Laborie, zusammen. Noch ehe die Übergabe von Paris stattgefunden hatte, ward Maubreuil zu dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten beschieden. Talleyrand machte ihm goldene Versprechungen. Er stellte ihm den Herzogstitel, 200.000 Franken Pension und die Ernennung zum Generalleutnant in Aussicht, wenn er »einen bedeutenden Auftrag« übernehmen würde. Zur Ausführung ständen ihm nicht allein die Hilfe aller Polizei-, Post- und Militärbehörden, sondern auch die russischen Truppen zur Verfügung. Dieser Auftrag bestand in nichts geringerem, als Napoleon auf seiner Reise nach der Verbannung zu ermorden und ihn auf diese Weise für immer unschädlich zu machen.
Mit mächtigen Vollmachten ausgerüstet und in Begleitung einiger sicherer Männer, schlug Maubreuil, als der Augenblick gekommen war, die Straße von Fontainebleau ein. In seiner Denkschrift, die der ehemalige westfälische Offizier fünf Jahre später an den Kongreß zu Aachen richtete, erklärte er, der Graf von Artois habe von diesem Plane gewußt und die Ermordung das Kaisers gebilligt. Sie scheiterte allein an der Furcht, vielleicht auch an der Reue des Verbrechers. Denn mitten auf dem Wege begann Maubreuil sich plötzlich eines Besseren zu besinnen. Zum mindesten ließ er seine Leute unter dem Vorwand eines aus Paris erhaltenen Gegenbefehls einen andern Weg einschlagen. Und Napoleon war der Gefahr entronnen!
Dennoch sann Maubreuil auf Rache gegen die verhaßten Bonaparte. Sie mußte sich auf irgendeine Weise aus diesem verbitterten Menschenherzen Luft machen. Es ist ferner nicht ausgeschlossen, daß der König von Württemberg ihm einen Wink hat geben lassen, seine Tochter auf ihrer Reise nach der Schweiz aufzuhalten, sie zum Schein ihres Vermögens und ihrer Schmucksachen zu berauben, damit sie gezwungen sei, in die Heimat zurückzukehren.
Katharina hatte in der Nacht vom 17. zum 18. April das Schloß des Kardinals Fesch, wo sie bis dahin gewohnt hatte, verlassen. Sie schlug die Richtung nach Orléans ein, weil sie Jérôme dort vermutete. In ihrer Begleitung befanden sich der Graf und die Gräfin von Fürstenstein (Lecamus) und die Gräfin von Bochholtz. Erst in Etampes erhielt sie Nachricht von Jérôme, daß er sich, von den Royalisten bedroht, nach Bern begäbe. Katharina setzte daher ihre Reise eiligst fort. Man sagt, sie habe in Dijon oder in Nemours noch einmal den Kaiser Napoleon gesehen und sein letztes Lebewohl empfangen. Aber weder die Begleiter des großen Verbannten noch zeitgenössische Memoiren erzählen von dieser Zusammenkunft. Napoleon hatte sich mit seinem jüngsten Bruder noch nicht ausgesöhnt, denn er konnte ihm seine letzten Taten in Westfalen, in Compiègne und den Kauf des Schlosses Stains nicht verzeihen. Auch hatte er seinerzeit Marie Luise verboten, weder Jérôme noch die Königin zu empfangen. Es lag daher kein Grund vor, daß Katharina ihrem Schwager entgegenging. Sie hatte es im Gegenteil eilig, zu ihrem Mann zu kommen.
Als sie jedoch im Begriff war, am 21. April in Fossard die Pferde zu wechseln, wurde plötzlich ihr Wagen von einer Abteilung Reiterei angehalten, die Maubreuil, als Husar verkleidet, befehligte. Katharinas ehemaliger Stallmeister befahl ihr »im Namen des Königs« auszusteigen, um ihr Gepäck untersuchen zu lassen. Sie sei angeklagt, die der Krone gehörigen Schmucksachen mitgenommen zu haben. Als die Königin sich weigerte, ihren Wagen zu verlassen, zog er sie roh am Arme heraus. Darauf wies er einen vom Kriegsminister General Grafen Dupont unterzeichneten Befehl vor, der ihn zu dieser Handlung berechtigte.
Man nahm der Königin nicht allein ihre Diamanten, die ihr Eigentum waren und die sie in elf kleinen Kisten bei sich führte, sondern Maubreuil und seine Helfershelfer, der Schwadronschef Dasies, beraubten sie auch all des Geldes, das sie bei sich hatte: 84.000 Franken! Während man ihr Gepäck untersuchte, ließ man Katharina in einem Hofe vor einem großen Stall auf einem schlechten Rohrstuhl sitzend warten. In dieser Lage verbrachte sie sechs volle Stunden. Dann endlich durfte sie unter Bedeckung von zwei Soldaten ihres Weges weiter ziehen.
In den Besitz ihrer Diamanten gelangte sie erst wieder während der Hundert Tage durch Napoleon. Einen Teil davon fand man nach vielen fruchtlosen Forschungen in der Seine. Maubreuil wurde auf Veranlassung des Kaisers Alexander verhaftet und ins Gefängnis gesetzt. Kurz vor der Rückkehr Napoleons ließ man ihn jedoch wieder frei.
Unterdessen wartete Jérôme in Bern ungeduldig auf seine Trinette. Schon war er im Begriff, nach Paris zu reisen, weil er glaubte, es sei ihr etwas zugestoßen. Endlich langte ein Bote von ihr an. Das erste Wort Jérômes war: »Befindet sich die Königin wohl?« Und als der Bote bejahte, schrieb er sofort an Katharina: »Gott sei Dank! Das übrige ist mir gleichgültig. Der Kaiser von Rußland wird einen solchen Angriff bestrafen lassen. Ich konnte nicht begreifen, warum Du nicht kamst. Mein einziger Gedanke war, daß meine gute Katharina nicht krank sei! Ich sage Dir, Du darfst mich nie wieder verlassen.«
Als sie endlich am 30. April mit ihm in Bern vereinigt war, war ihr Zustand soweit vorgeschritten, daß man einen sicheren Zufluchtsort suchen mußte, wo sie dem Kinde das Leben geben konnte. Sparen hatten sie auch jetzt, trotz der ungeheuren Verluste, noch nicht gelernt. Sie waren fast ihres ganzen Vermögens beraubt worden, denn die Diamanten und das Geld stellten einen Wert von vier bis fünf Millionen vor. Aber sie lebten nicht sohlecht, sondern wie es ihren Bedürfnissen und ihrem königlichen Range zukam. Jérôme hätte in dieser Hinsicht um keinen Preis Einschränkungen in seiner Lebensweise gemacht. So unternahmen sie eine schöne, aber auch teure Reise durch die Schweiz, besuchten Joseph in Prangins und setzten sich dadurch dem Verdachte der Behörden aus. Endlich ließen sie sich im Schlosse Eckensberg bei Graz in Steiermark nieder, das sie für sechs Monate gemietet hatten. Aber bereits nach zweimonatigem Aufenthalt in diesem Schlosse entschieden sie sich für Triest. Hier gab Katharina vier Tage nach ihrer Ankunft, am 24. August 1814, ihrem Sohne Jérôme Napoleon das Leben. Zum Paten dieses ersten Sprößlings wählte sie ihren Schwager auf Elba. Auf diese Weise stellte sie das gute Einvernehmen zwischen ihrem Gatten und dem Kaiser wieder her, denn ihrer echt weiblichen Eingebung konnte Napoleon nicht widerstehen. Sie schrieb so natürlich, so einfach und gut: »In der Zeit, da ich im Begriff bin, Mutter zu werden, und die infolgedessen die interessanteste meines Lebens ist, würde ich glauben, eine meinem Herzen teure und heilige Pflicht zu versäumen, wenn ich Eure Majestät nicht bäte, der Pate meines Sohnes zu sein. Glauben Sie, Sire, mit dieser Gunst werden Sie den Vater und auch die Mutter sehr glücklich machen.« Und Napoleon nahm die Gevatterschaft an.
In Triest bewohnten Jérôme und Katharina anfangs eine gemietete Villa am Hafen. Das schien dem Exkönig jedoch zu bürgerlich. Er kaufte daher für 200.000 Franken das ganz neue Palais des griechischen Bankiers Antonopulo sowie die Villa Casa Santa Romana in der Umgegend von Triest. Derartige Wohnungen beanspruchten natürlich auch den nötigen Luxus in der Einrichtung und Dienerschaft. Und daß ein König nicht ohne kostspielige Frauen leben konnte, war für ihn selbstverständlich. Er glaubte sich auch dieses Vergnügen gestatten zu können.
Aber das Königspaar wurde in Triest außerordentlich scharf beobachtet. Italien war zu nahe, als daß man ein Einvernehmen zwischen Murat und Jérôme nicht befürchten mußte. Aller Briefwechsel mit den übrigen Mitgliedern der Familie Bonaparte war ihnen untersagt. So erfuhren sie auch die Rückkehr Napoleons von Elba durch französische, in Triest gelandete Kaufleute. Erst einen Tag später gelang es Elisa, der ehemaligen Großherzogin von Toskana, ihrem Bruder einen Boten zu senden, der diese Nachricht bestätigte.
Sofort traf Jérôme die nötigen Vorbereitungen zu seiner Reise nach Paris. Doch es mußte alles mit der größten Vorsicht und Verschwiegenheit geschehen, denn die Späher hatten ein wachsames Auge. Da griffen Katharina und Jérôme zu einer List, die ihnen vortrefflich gelang.
Man benachrichtigte nämlich den Gouverneur von Triest, daß der Graf von Hartz – unter diesem Namen lebte das Exkönigspaar in Österreich – schwer erkrankt und dem Tode nahe sei. Es könne niemand vorgelassen werden, als der Arzt und einige Getreue. Im Hause herrschte das Schweigen des Todes.
Währenddessen war es Jérôme gelungen, für goldene Versprechungen den Kapitän eines neapolitanischen Fahrzeuges zu gewinnen, und dieser führte ihn mit einigen seiner Begleiter unter den größten Schwierigkeiten und Gefahren bis nach Sinigaglia. Dort landeten sie am 28. März 1815.
Der Zufall führte Jérôme hier mit seinem Schwager Murat zusammen, an dessen Seite er glücklich nach Bologna gelangte. Dann begab er sich nach Portici, traf hier mit seiner Mutter, dem Kardinal Fesch und Josephs Gemahlin, der Königin Julie, zusammen, und alle vier schifften sich bald darauf nach Frankreich ein. Nach einem kurzen Aufenthalt in der korsischen Heimat kam er endlich am 27. Mai in Paris mit beinahe königlichem Gefolge an. Letizia traf erst später in der Hauptstadt ein.
Napoleon war ganz der alte, wie Jérôme an seine Gattin schrieb; er sei durchaus nicht verändert und habe ihn mit offenen Armen empfangen. Katharina hätte keine bessere Nachricht empfangen können, als diese, denn sie wünschte die Versöhnung der Brüder sehnlichst. Sie selbst aber hatte inzwischen in Triest qualvolle Stunden der Angst und Sorge um ihren Jérôme ausgestanden. Dazu hatte sie von Seiten der österreichischen Behörden viele Scherereien erdulden müssen. Es war ihr zwar gelungen, den Gouverneur noch 24 Stunden nach der Abreise ihres Gatten zu täuschen, als er jedoch immer dringender forderte, den Grafen von Hartz zu sehen, mußte sie die Wahrheit gestehen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von der Flucht Jérômes durch die Stadt. Es wurden sofort die strengsten Maßregeln getroffen, daß niemand von der Umgebung des Grafen und der Gräfin von Hartz Triest verließ. Die arme Katharina wurde von Spionen umgeben und wie eine Verbrecherin bewacht. Nichtsdestoweniger aber ersannen die beiden Gatten Mittel und Wege, sich Nachrichten zukommen zu lassen.
Katharina versank in Bewunderung über die kühne Tat, die ihr großer Schwager vollbracht hatte. »Was mir Jérôme von dem Marsche des Kaisers, von seinen Erfolgen erzählt«, schrieb sie am 29. März in ihr Tagebuch, »grenzt ans Sagenhafte, ans Wunderbare! Niemals hat man Ähnliches erlebt! Welch ein Mann! Fast ist man versucht, zu sagen, er sei ein Gott! Nicht einen Tropfen Bluts vergossen! Seine Gegenwart allein hat alles getan, hat alles elektrisiert, hat dieses Wunder bewirkt!«
Aber es war Katharina nicht vergönnt, den von ihr so verehrten Mann wiederzusehen. Während Jérôme in Paris alle Ehren, die die Hundert Tage mit sich brachten, mit dem Bruder teilte und dann auf dem Schlachtfelde von Waterloo heldenmütig an seiner Seite focht, indem er seine Division und später den ganzen Rest der Trümmer des Heeres persönlich in den Kampf führte, war es Metternich und der österreichischen Polizei gelungen, die unglückliche Königin doch noch nach Württemberg zu bringen.
Im Schlosse von Göppingen hielt man sie in strengstem Gewahrsam, nicht wie eine Tochter des Königs, sondern wie eine Staatsgefangene. Ihre Diener und Freunde wurden von ihr entfernt, ihre Briefe geöffnet, jedes Wort, das sie sprach, jede Bewegung, die sie tat, wurde kritisiert und beobachtet. Trotz allem aber prallten jegliche Versuche von Seiten ihres Vaters und seiner Höflinge, sie zur Scheidung von Jérôme zu bewegen, an Katharina ab. Ja, sie verbat sich, daß man in ihrer Gegenwart und vor ihrem Sohne von ihrem Gatten, der Familie Bonaparte und von Politik sprach. Da traf sie wie ein Donnerschlag die Nachricht von der Vernichtung der französischen Armee bei Waterloo! Es verbreitete sich das Gerücht vom Tode des Kaisers. Katharina war niedergeschmettert und legte tiefe Trauer an. An ihren Gatten schrieb sie traurig: »Mein teurer Freund, ich kann Dir nur schwer beschreiben, was ich bei der Nachricht vom Tode des Kaisers empfunden habe, und wie sehr ich mit Dir trauere. Ach! es bleibt uns wenigstens der Trost, gemeinsam über das Mißgeschick zu weinen, das mich so tief betroffen. In diesen herzzerreißenden Augenblicken habe ich ein wenig Milderung meines Schmerzes durch eine gütige Regung meines Vaters erfahren, der sofort einen Boten abgesandt hat, um über Dich Erkundigungen einzuziehen. Ich hoffe, daß, wir bald wieder miteinander vereint sein werden. Das ist das einzige, was mein Herz begehrt ... Es bricht vor Weh bei dem Gedanken an die grausame Lage unserer armen Mutter. Sage ihr alles, was ich für sie empfinde. Wir selbst wollen uns unter den Schutz der Vorsehung stellen; sie wird uns leiten und uns die Kraft geben, noch neues Mißgeschick zu ertragen, wenn uns solches beschieden ist. Glaube mir, in einem so entscheidenden Augenblick wird das Herz meines Vaters uns nicht verlassen.
Unserm Sohn geht es gut. Er wird unser einziger Trost für den Rest unserer Tage sein.
Lebe wohl, mein Freund. Ich küsse Dich so zärtlich, wie ich noch nie empfunden. Mein Brief bringt Dir mein Herz, meine Seele, all mein Denken, in der Erwartung, daß ich bald selbst folgen kann. Sei überzeugt, daß ich in jeder Lebenslage stets die gleiche sein werde.«
Jérôme war es unter den größten Schwierigkeiten und mit Hilfe seines Freundes Fouché gelungen, aus Paris, wohin er sich nach der Schlacht von Waterloo begeben hatte, zu entkommen. Er eilte zu Katharina nach Göppingen. König Friedrich hatte es für besser gehalten, wenn er beide unter seiner Aufsicht habe und gestattete dem Schwiegersohn, zu kommen. Die Tochter war ihm dafür dankbar. Als Jérôme am 22. August 1815 bei ihr eintraf, schrieb sie dem König: »Mein herzlichstgeliebter Vater, soeben ist mein Mann eingetroffen. Dieser Augenblick ist einer der schönsten meines Lebens, zumal ich es Ihnen verdanke!«
Und doch war es eine harte Prüfungszeit, der beide entgegengingen! Sie wurden, besonders im Ellwanger Schlosse, nicht viel besser wie Gefangene behandelt. All ihr Hab und Gut, bis auf die notwendigsten Gegenstände der Einrichtung, ja sogar die Diamanten der Königin, ließ Friedrich von Württemberg in Stuttgart zu Spottpreisen versteigern. Nicht genug damit. Das dem Paare ausgesetzte Jahrgeld war so knapp bemessen, daß es kaum seinen Unterhalt davon bestreiten konnte. Wahrscheinlich wollte der König seinem Schwiegersohn eine Lehre der Sparsamkeit damit geben. Einen Vorteil aber hatte der Aufenthalt im Ellwanger Schlosse für Jérôme: der flatterhafte Mann mußte wenigstens in diesem einen Jahre seiner Gattin treu sein.
Nur der Fürsprache der jungen Kronprinzessin Wilhelm, einer Schwester des Zaren, hatten es Katharina und Jérôme zu verdanken, daß sie im August 1816 ihre Freiheit wiedererlangten. Sie durften wieder nach Österreich gehen, das vielen Verwandten und Anhängern Napoleons eine Zufluchtsstätte geworden war.
Aber Friedrich knüpfte an die Freilassung eine Bedingung. Jérôme mußte den Namen eines Fürsten von Montfort annehmen, während Katharina den Titel Prinzessin von Württemberg führen durfte. Fürst Metternich hatte nämlich Einsprache dagegen erhoben, daß der ehemalige König von Westfalen sich wie früher Graf von Hartz nennen wollte. Auch der Name Bonaparte erregte bei den Verbündeten Anstoß. Es sollte alles vermieden werden, was an frühere Zeiten erinnerte. Jérôme und Katharina waren damit einverstanden. Allerdings wußten sie nicht, daß eine Urkunde abgefaßt worden war, die den Fürsten von Montfort zum württembergischen Standesherrn und Untertanen machte. Zu ihrem Erstaunen fanden sie dieses Schriftstück in Augsburg vor, wohin sie sich einstweilen begeben hatten, um die Erlaubnis der österreichischen Regierung abzuwarten, ob sie sich in Graz niederlassen dürften oder nicht. Jérôme sandte die aufgedrungene Urkunde seinem Schwiegervater zurück. Nichtsdestoweniger wurde das ehemalige Königspaar von allen Höfen Fürst und Fürstin von Montfort genannt. Später gewöhnten sie und die Ihrigen sich daran.
Da der Kaiser von Österreich ihnen gestattete, in seinen Staaten zu leben, ließen sie sich zunächst bei Karoline Murat auf dem Schlosse Heinburg nieder. Die liebliche Schönheit Niederösterreichs gefiel Jérôme so gut, daß er von seinem Plane, in Graz zu leben, abkam und das Gut Wyld bei Sankt Pölten kaufte. Ein Jähr später strebte er danach, in der Nähe der Kaiserstadt zu wohnen und erwarb die dem Grafen Starhemberg gehörige Besitzung Erlau bei Schönbrunn. Dafür bezahlte er 250.000 Gulden. Aber die österreichische Polizei wünschte die Gegenwart dieses Bonaparte so nahe bei Wien nicht. Jérôme mußte wieder verkaufen, was er erstanden. Noch im selben Jahre erwarb er das Schloß Schönau des Barons Braun, der ihn gehörig damit übervorteilte.
Jérôme schien indes die Gewohnheit des Glanzes, in dem er früher gelebt hatte, nicht so leicht vergessen zu können. Da die verschiedenen Verluste bei den Käufen und Wiederverkäufen der Besitzungen ihm ein gutes Stück seines Vermögens kosteten, versuchte er durch Spekulationen wieder zu dem alten Reichtum zu gelangen. So streckte er der Flachsfabrik zu Hirtenberg 40.000 Gulden vor, und versprach ihr im Falle des Gedeihens noch weitere 160.000 Gulden. Dieses Unternehmen zog ihm überdies den Verdacht der Regierungen zu, und man hatte seine Pläne scharf im Auge. Aber die Einnahmen des fürstlichen Paares waren nicht glänzend, wenigstens nicht für einen, der wie Jérôme gewöhnt war, das Geld mit vollen Händen auszugeben. Von Katharinas Vater, der im Jahre 1816 gestorben war, hatten sie nichts geerbt, denn Friedrich hatte testamentarisch bestimmt, seine Tochter solle nichts erhalten. Nur das Erbe ihrer Mutter, 120.000 Mark, konnte sie beanspruchen. Auch ihr Bruder, König Wilhelm, vermochte bei den Verbündeten nichts, um ihre pekuniäre Lage zu verbessern.
So lebten sie in Schönau ziemlich zurückgezogen. Gern hätten sie dem gefangenen Helden auf Helena die Verbannung einige Monate erheitert, doch man verweigerte auch ihnen die Erfüllung dieses Wunsches. Katharina ließ sich nicht abhalten. Fast jedes Jahr erneuerte sie ihre Bitte bei den verbündeten Mächten. Als sich die Nachricht von der Krankheit Napoleons verbreitete, schrieb sie dem Prinzregenten von England in ihrer gefühlvollen Weise: »Seit langem gewöhnt, nur das zu wünschen, was der Fürst, mein Gemahl, wünscht, nur seinen Willen anzuerkennen, hätte ich es mir ersparen können, aus dem engen Kreise meiner Pflichten herauszugehen, um an Eure Königliche Hoheit zu schreiben. Aber es handelt sich um die Erfüllung einer heiligen Pflicht. Mein Schwager, der seit drei Jahren von allem, was ihm teuer ist, entfernt lebt, von der ganzen Welt ausgeschlossen und einem schmerzhaften Leiden verfallen, fordert unsere ganze Fürsorge. Ich kann die verwandtschaftlichen Bande, die mich mit ihm verknüpfen, ebensowenig vergessen, wie die Dankbarkeit für die Güte, mit der er mich in den Zeiten des Glanzes überschüttet hat. Die Zuneigung und die Achtung, die er mir stets einflößte, sind mit seinem Unglück noch größer geworden, und ich würde mich sehr glücklich schätzen, könnte ich durch meine Pflege dazu beitragen, die Strenge seiner Verbannung ein wenig zu mildern. Erlauben Sie daher, daß ich meine Bitten mit denen des Fürsten, meines Gatten, vereinige, und ich bei dieser Gelegenheit wage, mir auf die Abstammung vom Hause Braunschweig etwas zugute zu tun, das mich so nahe mit Eurer Königlichen Hoheit verbindet. Ich hoffe, Sie werden mir nicht den Schmerz einer Weigerung bereiten.«
Sie mußte sogar erfahren, daß man nicht nur nicht ihre Bitte erfüllte, sondern daß man ihren Brief überhaupt nicht beantwortete. Aber in demselben Jahre hatte Katharina die große Freude, in Dobel mit dem aus Helena kommenden Grafen Las Cases lange von dem großen Unglücklichen zu sprechen. Sie bewunderte und beklagte ihn, vermochte indes nichts zur Milderung seiner Lage. Jérômes Vergangenheit war zu verdächtig und zu abenteuerlich, als daß die Regierungen hätten Vertrauen zu ihm haben können. Mit seiner Familie stand er im geheimen Briefwechsel, sowohl mit den in Rom Lebenden als mit Joseph in Amerika. Man mußte immer gewärtig sein, daß er nach den Vereinigten Staaten entfliehen würde, um dort ungestörter das Befreiungswerk des Gefangenen in die Wege zu leiten. In dieser Beziehung jedoch traute man Jérôme mehr zu, als er vermochte. Es ist kaum anzunehmen, daß er eine wichtige Rolle in diesem Plane der Napoleoniden gespielt haben würde.
Was er am meisten wünschte, war eine Entschädigung für seine verlorene Krone. Er wäre gar zu gern wieder ein souveräner Fürst gewesen. Zu diesem Zwecke wandte sich Katharina an den Kaiser von Österreich, daß er auf dem Aachener Kongreß für ihre Ansprüche eintrete, die indes durchaus nicht berechtigt waren, da der König von Westfalen sein Land feig verlassen hatte. Infolgedessen kamen die Angelegenheiten Jérômes auf dem Kongreß überhaupt nicht zur Sprache.
Da das Klima von Schönau der Gesundheit der Königin, besonders aber ihrem Sohne, sehr nachteilig war, kamen sie bei der Regierung um die Erlaubnis ein, in die Nähe von Wien übersiedeln zu dürfen. Franz lehnte es ab. Die Bewachung des Fürsten von Montfort wäre dort zu schwierig geworden, zumal er gerade um diese Zeit verdächtig war, mit den Anhängern der jakobinischen Bestrebungen im Einvernehmen zu stehen. Ja, man hatte direkte Beweise dafür, denn der berüchtigte Felix Desportes hatte am 30. September 1818 an den Exkönig von Westfalen geschrieben. Dieser Brief, aus dem die Anteilnahme Jérômes für die Sache der Napoleoniden klar hervorging, war aufgefangen worden. Also hatte man Grund genug, ihn und seine Familie scharf zu bewachen.
Der Kaiser Franz gestattete ihnen jedoch, ihren Wohnsitz für einen Winter in Triest aufzuschlagen, wenn sie sich gewissen Überwachungen fügen wollten. Da Elisa Baciocchi wegen einer Nervenkrankheit dort weilte, nahmen Jérôme und Katharina diesen Vorschlag an und siedelten Ende des Jahres 1819 an das Mittelländische Meer. Erst später erhielten sie die Erlaubnis, für immer in Triest weilen zu dürfen.
Hier waren sie jedoch wieder den kleinlichsten Quälereien von seiten der Polizei ausgesetzt. Sie durften nichts tun, weder einen Kauf abschließen noch eine Reise planen noch Fremde bei sich empfangen, ohne die Regierung vorher davon benachrichtigt zu haben. Hätten sie in Triest, dem Freihafen, wo so viele Napoleoniden Zuflucht suchten, nicht alte Bekannte, Verwandte und Freunde gefunden, das Leben wäre ihnen dort zur entsetzlichen Last geworden. So konnten sie wenigstens mit Elisa von dem vergangenen Glanze und ihrer gewesenen Größe sprechen. Bald starb auch sie. Auch der ehemalige Polizeiminister Fouché, der ebenfalls in Triest weilte, und mit dem sie sehr befreundet waren, wurde ihnen durch den Tod entrissen. Katharina nannte diesen Mann, der die Verkörperung der Falschheit und Intrige war, einen »ausgezeichneten und würdigen Charakter«!
Großes Glück brachte den beiden Gatten die Geburt ihres zweiten Kindes, der Prinzessin Mathilde Letizia Wilhelmine. Sie kam am 27. Mai 1820 in Triest zur Welt. Ein Jahr später beschloß Napoleon auf Sankt Helena sein einsames Leben. Sein Tod ging Jérôme sowie Katharina sehr nahe. Jérôme hatte den Bruder von allen seinen Geschwistern am meisten geliebt, gleichzeitig aber auch am meisten gefürchtet. Katharina aber verehrte Napoleon in schrankenloser Bewunderung. Sie schrieb ihrer alten Schwiegermutter nach Rom einen trostvollen Brief und sagte, sie beweine den Verstorbenen wie einen Vater und Wohltäter. Gern hätte sie Letizia, die sie außerordentlich hochschätzte, persönlich über das unsägliche Leid, das sie getroffen, getröstet und ihre letzten Lebenstage verschönt. Aber auch jetzt noch, da Napoleon für immer unschädlich war, widersetzte sich die französische Regierung sowohl wie die österreichische hartnäckig dem Wunsche, daß sie nach Rom gingen. Nur einmal wurde es Jérôme und später auch Katharina gestattet, der alten Mutter einen vorübergehenden Besuch zu machen. Und zu jener Zeit war die Fürstin Montfort nicht in der Lage, die Reise zu unternehmen. Sie sah ihrer dritten Niederkunft entgegen. Am 9. September 1822 gebar sie ihren Sohn Napoleon Joseph Karl Paul, der später unter dem Namen Prinz Plon-Plon bekannt wurde.
Erst im März 1823 konnten beide ihre Absicht, für immer zur Mutter zu gehen, verwirklichen. Der Zar hatte im Jahre zuvor auf dem Kongreß von Verona die Erlaubnis für sie ausgewirkt. Noch ein Jahr vor seinem Tode hatte Napoleon auf Helena gesagt, es sei nicht ratsam, wenn Jérôme wegen der protestantischen Frau seinen Aufenthalt in Rom nehme. Er solle lieber nach Bern ziehen. Dort würde er ins goldene Buch kommen und seine Tochter vorteilhaft verheiraten können. Für die andern Familienmitglieder jedoch schien ihm Rom der einzig geeignete Ort, wo sie leben konnten. Mit der Zeit waren dort auch die meisten Angehörigen der Familie versammelt, in der, trotz allen Zwistes, die Zusammengehörigkeit stark ausgeprägt war. Niemand aber von den Kindern Letizias hat dieser großen Mutter in ihren letzten Lebenstagen so nahe gestanden wie ihr jüngster Sohn und ihre Schwiegertochter. In der ewigen Stadt bewohnten der Fürst und die Fürstin Montfort einen schönen Palast, den Palazzo Nunez in der Via Condotti. Ihre Einkünfte beliefen sich zu jener Zeit alles in allem auf 80.000 Franken im Jahr, zum großen Teil Katharinas Pensionen aus Rußland und Württemberg. Für einen ehemaligen »König Lustig« war das gerade kein großes Vermögen. Dennoch tat er auch jetzt seiner Verschwendungssucht keinen Einhalt. Er umgab sich wieder wie einst mit aller Pracht und allem Glanz, die einem König gebührt.
Das berüchtigte Verhältnis des Exkönigs zu seiner Nichte, der Gräfin Camerata, der Tochter Elisa Baciocchis, war Tagesgespräch. Die junge Gräfin war eine äußerst überspannte und abenteuerliche Person. Sie war es auch, die den Plan zur Befreiung des Königs von Rom aus den Händen der österreichischen Regierung entwarf. Ob sie es mit oder ohne Hilfe Jérômes getan hat, ist nicht festgestellt worden. Er nahm sie im Jahre 1829 zu sich in seine Villa am Adriatischen Meer, wo er in der Nähe von Porto di Fermo während einiger Jahre den Sommer verbrachte. Sie gebar ihm einen Sohn, der unter dem zweiten Kaiserreich durch Selbstmord endete. Jérôme war und wurde der Vater noch vieler Kinder, sowohl ehelicher wie außerehelicher. Alle zeichneten sich durch hohe Intelligenz und große Fähigkeiten aus. Von seinen außerehelichen Nachkommen wurden einige ziemlich bedeutende Männer.
Die Idylle am Adriatischen Meer sollte nicht lange währen. Jérôme mußte die Besitzung bei Porto di Fermo, die er für 150.000 Franken erworben hatte, wieder verkaufen. Auf Drängen des Hofes von Neapel, dem die Nähe des ehemaligen westfälischen Königs gefährlich schien, mußte er auch diesen Ort verlassen. Ein neuer Verlust an Geld für ihn, denn das Gut wurde für 23.000 römische Taler verschleudert!
Nach der Julirevolution hoffte Jérôme nach Frankreich zurückkehren zu dürfen. Mit Freuden hatte er den Sturz der Bourbonen gesehen. Er täuschte sich aber, wenn er meinte, die Regierung Louis Philipps wäre in dieser Hinsicht den Bonapartes günstiger gesinnt. Dazu hatte er das Unglück, auch in Rom nicht mehr sicher zu sein. Denn ein Jahr später brach in der Romagna der Aufstand gegen die päpstliche Regierung aus, an der sich auch die Söhne Louis Bonapartes beteiligten.
Jérôme tadelte ihr Verhalten, das in der Tat unangebracht war. Fast die ganze Familie genoß die Gastfreundschaft des Papstes. Da hätte sie gewiß bei einer solchen Gelegenheit vollkommene Neutralität bewahren sollen. Aber Dankbarkeit kannten die Bonaparte nicht.
Für Jérôme und die Seinigen hatte dieser Vorfall ein unangenehmes Nachspiel. Der neapolitanische Hof benutzte die Stimmung, die augenblicklich gegen den Exkönig herrschte, und bestürmte den Papst, ihn aus Rom auszuweisen. Es geschah. Jérôme zog sich unter dem Schutz des Herzogs von Toscana nach Florenz, der Stadt seiner Ahnen, zurück. Hier bewohnte er anfangs den Palazzo Serristori und dann den Palazzo Orlandini, aufs neue von fürstlichem Gepränge umgeben. Da seine Mittel nicht ausreichten, um diesem vornehmen Leben zu genügen, waren seine Kassen bald wieder bei der Leere angelangt, wo sie sich stets befanden, als er noch König war.
Inzwischen ging es mit der Gesundheit der Fürstin Montfort immer mehr abwärts. Die fortwährenden Aufregungen der letzten Jahre, das unstete Wanderleben von Ort zu Ort hatten Katharina vorzeitig an den Rand des Grabes gebracht. Im Jahre 1835 mußte sie, weil sie das zu milde Klima von Florenz nicht vertragen konnte, in die Schweiz reisen. Sie kam nur bis in die Nähe von Lausanne und nahm in dem Landhaus »L'Avant poste«, das damals einem Herrn Perdonnet gehörte, Wohnung. Die Brustwassersucht hatte sich bei ihr im hohen Grade eingestellt.
Schon im November desselben Jahres verlor Jérôme die treue Lebensgefährtin, deren er kaum würdig gewesen war. Und dennoch hatte er sie glücklich gemacht. Katharinas liebendes Frauenherz hatte ihm alles verziehen. Als er in ihrer letzten Stunde die Kinder, von denen die beiden jüngsten 15 und 13 Jahre alt waren, zu ihr führte, damit sie sie segne, sagte sie zu Jérôme, indem sie seine Hand mit Küssen bedeckte: »Das, was ich auf der Welt am liebsten hatte, das warst du, Jérôme. Ich bin bereit. Aber ich hätte gewünscht, dir in Frankreich Lebewohl sagen zu können.«
Nach Katharinas Tode kehrte Jérôme nach Italien zurück. Jetzt bewohnte er meist seine wundervolle Besitzung Quarto bei Florenz. Er betrauerte seine Frau, deren letzte Worte die Versicherung ihrer unendlichen Liebe zu ihm gewesen waren, nicht lange. Einige große, wirkungsvolle Redensarten, wie sie den Bonapartes bei solchen Gelegenheiten eigen sind, und diese edle Frau war vergessen. Wie zuvor stürzte er sich wieder in den Strudel der Vergnügungen, des Lebens und der Liebe.
Sein Haushalt wurde von Tag zu Tag kostspieliger. Die heranwachsenden Kinder hatten vom Vater die Neigung zum Luxus und die Verschwendungssucht geerbt; sie brauchten viel Geld. Aber mit dem Tode Katharinas waren auch ihre Pensionen erloschen. Jérômes Finanzen standen schlecht, sehr schlecht! Hätte er nicht das Glück gehabt, eine Frau zu finden, die ihm gleichzeitig mit ihrer Person auch ihr Vermögen zur Verfügung stellte, er wäre seinem pekuniären Untergang entgegengegangen.
Diese Frau war eine schöne Florentinerin im gefährlichen Alter von 36 Jahren. Sie war Ehrendame bei der Königin gewesen und nannte sich Marquise Bartolini-Badelli. Schon zu Lebzeiten Katharinas hatte die dunkeläugige Frau ihre Blicke auf den galanten Jérôme gerichtet, und er hatte ihre Huldigung erwidert. Als sie daher dem bedrängten Witwer ihre Schätze anbot, damit er sein verschwenderisches Leben weiterführen konnte, nahm Jérôme das als echter Bonaparte wie eine Tat hin, die man ihm schuldig war.
Im Jahre 1837 wurde die Marquise ebenfalls Witwe und drei Jahre später, als sie glaubte, genug um ihren ersten Gatten getrauert zu haben, befestigten beide das Band, das sie seit langem vereinte, durch eine Ziviltrauung. Die Marquise – auch als Gattin Jérômes wurde sie stets so genannt – war trotz ihrer 40 Jahre noch reizend und anmutig. Sie hatte eine hohe, schlanke Gestalt, schöne, regelmäßige Gesichtszüge, ein sehr vornehmes, ganz königliches Auftreten. Aber sie war, wie die meisten Südländerinnen in diesem Alter, faul und nachlässig. Tagelang konnte sie auf der Chaiselongue liegen und im Nichtstun verharren. Nicht einmal sprechen brauchte sie. Sie war zu bequem, den Mund aufzutun. Wie ihr Gemahl, so rührte auch sie nie ein Buch an. Infolgedessen war sie unwissend und geistlos. Sie war zufrieden, wenn Jérôme sie mit pikanten Geschichten unterhielt und ihr von ihrem eigenen Gelde schöne Geschenke machte. Man hätte meinen können, diese Charaktere hätten wunderbar zueinander gepaßt. Nicht im geringsten. Trotzdem Jérôme den Sechzig nahekam, war er der Marquise ebensowenig treu, wie er es in jungen Jahren Katharina gewesen war. Aber diese Frau war nicht so nachsichtig und sanft wie die Königin; sie machte ihrem Gatten Vorwürfe und die schrecklichsten Szenen, obgleich sie selbst keine von den Treuen war. Sie war gleichzeitig die Geliebte des außerehelichen Sohnes ihres Mannes, des Barons Jérôme David!
So verrauschte für den alternden Fürsten von Montfort die Zeit in Genüssen und Vergnügungen. Ab und zu wurde dieses Leben von den politischen oder Familienereignissen, wie Geburten, Heiraten und Todesfällen unterbrochen, was Jérôme jedoch nicht besonders anfocht. Er war unaufhörlich bemüht, seine Rückkehr nach Frankreich zu erlangen. Die Verbannung wurde ihm immer unerträglicher. Nur in Paris hoffte der alte Herr noch Lebensgenuß zu finden. Er hatte ja weder die Gabe noch die Fähigkeiten, wie seine Brüder, die lange Zeit seines Privatlebens mit Studien, wissenschaftlicher, literarischer oder künstlerischer Art, oder mit der Abfassung seiner Erinnerungen angenehm auszufüllen. Jerome sehnte sich nach den raffinierten Zerstreuungen, nach dem hastenden, sinnberauschenden Auf und Nieder der Weltstadt.
Seine Gesuche, nach Paris zurückkehren zu dürfen, wurden jedoch immer wieder verworfen. Sogar bei seinem Freunde Thiers, der im Jahre 1840 Minister wurde, fand Jérôme keine Stütze. Thiers' Stellung war ohnehin allseits gefährdet, er hatte keine Lust, seine Lage noch schiefer zu gestalten. Und gerade in diesem Jahre hatte sich Jérômes Hoffnung am meisten belebt. War doch die Asche des Helden von Sankt Helena nach dem Invalidendome überführt worden, und die Stimmung war ganz für die Napoleoniden! Aber die verschieden mißlungenen Streiche seines Neffen, des Prinzen Louis Napoleon, machten alle Hoffnungen zunichte. Die Politik Frankreichs zeigte sich sogar gegen Jérômes kranken ältesten Sohn unerbittlich. Er diente als Oberst in der württembergischen Armee, wurde aber im Jahre 1846, wahrscheinlich infolge eines ebenso zügellosen Lebens, das er wie sein Vater führte, von einer schweren Nierenkrankheit heimgesucht. Zu deren Heilung sollte er die Bäder von Vernet in den Pyrenäen gebrauchen. Die französische Regierung gestattete jedoch den Aufenthalt des Kranken in Frankreich nicht. Er begab sich nach Florenz und starb dort in den Armen seines Vaters am 12. Mai 1847.
Als kurz darauf der einzige lebende Bruder des Kaisers Napoleon nochmals um die Erlaubnis bat, Frankreich wiedersehen zu dürfen, verwarf man die Bitte in der Pairskammer abermals. Nur Victor Hugo, der Dichter der Elenden und Bedrückten, stimmte dafür. In der Abgeordnetenkammer hingegen fand man den Wunsch des alten Jérôme berechtigt und hielt seinen Aufenthalt in Paris für ungefährlich. Jetzt traten auch Thiers und einige seiner Kollegen für den ehemaligen König von Westfalen ein. Besonders verwandte sich dessen einstiger Mitschüler, der Advokat Berryer für ihn.
Endlich, am 27. September 1847, wurde bekannt gemacht, daß König Louis Philipp dem Prinzen Jérôme Bonaparte, ehemaligem König von Westfalen, und dessen Sohn (Napoleon) gestatte, vorübergehend in Frankreich zu wohnen!
So kehrte Jérôme Bonaparte nach zweiunddreißigjähriger Verbannung als dreiundsechzigjähriger Mann nach der französischen Hauptstadt zurück. Aus dem Fürsten von Montfort wurde wieder ein Prinz Jérôme! Wie er selbst erzählt, soll er sich am ersten Tage seines Aufenthaltes in Paris gewohnheitsgemäß nach den Tuilerien begeben haben, als der einzigen, seiner würdigen Wohnung! Wer aber glaubt das so ohne weiteres einem König Lustig?
Den Staatsstreich seines Neffen ließ er ruhig herankommen, ohne persönlich daran beteiligt zu sein. Für ihn galt es, jetzt nur als Bruder des ersten Kaisers der Franzosen zu figurieren. Haftete doch an ihm noch immer ein gewisser Nimbus des Weltruhms jenes Großen! Das zweite Kaiserreich bedurfte eines solchen Schmucks. Und so schien der alte Jerôme noch berufen zu sein, eine bedeutende Stellung in dem neuen Staate einzunehmen. Man setzte ihn wieder in seinen Rang als General ein, und dieser letzte Sprosse der Familie wurde der Wächter der Asche desjenigen, der ihre Größe begründete; Jérôme wurde Gouverneur des Invalidendomes. Nur er erhielt den Titel des »ersten französischen Prinzen, eines Prinzen von Geblüt«. Alle übrigen Bonaparte waren nur Prinzen der kaiserlichen Familie.
Napoleon III. ernannte seinen Onkel zum Präsidenten des Senats. Jérôme aber wollte keine tätige Beteiligung an der Regierung haben; er amüsierte sich lieber auf seine Weise. Daher gab er seine Entlassung ein. Auf seinen beiden Schlössern: Villiers-le-Bel und Meudon sowie im Palais Royal, die ihm jetzt neben einer Zivilliste von einer Million zur Verfügung standen, begann er nun wieder das genußsüchtige Leben von ehedem. Von neuem erwachte in dem Greis die Erinnerung an seine glänzende ausschweifende Jugend. Jetzt meinte er alles nachholen zu müssen, was er in den Jahren der Verbannung versäumt hatte. Er liebte es sehr, wenn man ihn »König« und »Majestät« nannte. Der lustige Hof von Westfalen hatte zu angenehme Erinnerungen in ihm zurückgelassen, als daß er ihn vergessen konnte. Der Siebzigjährige war noch immer derselbe. Er hielt sich Maitressen, so viel er wollte. Noch vermochte er sich nicht dem Einflusse weiblichen Reizes zu entziehen.
Der größte Fehler dieses schwachen, haltlosen Menschen aber war seine grenzenlose Undankbarkeit. Sie war bei ihm außerordentlich ausgeprägt, ganz im Gegensatz zu Napoleon, der niemals jemanden, besonders nicht die Frauen vergaß, die einmal seinen Weg gekreuzt und ihm ihre Gunst bewiesen hatten. Dankbare Regungen kannte der alte Jérôme nicht. Seine Frau, die Marquise Bartolini-Badelli, die ihm einst, als er in Not war, all ihr Vermögen zur Verfügung gestellt hatte, wurde unbarmherzig nach Italien zurückgeschickt, als er ihrer überdrüssig war und nicht mehr bedurfte.
Am charakteristischsten für Jérômes Eigenart aber sind sicherlich die Worte, die er sprach, als er sich eines Tages mit dem General Ricard darüber unterhielt, daß er seine Rückkehr nach Frankreich dem König Louis Philippe verdanke. »Oh!« sagte Jérôme, »als Louis Philippe uns erlaubte, zurückzukehren, fühlte ich wohl, daß der arme Mann verloren war!« Und doch wäre der Exkönig von Westfalen, ebenso wie sein Sohn Napoleon, der großen Einfluß auf ihn hatte, nicht abgeneigt gewesen, die 100.000 Franken Pension anzunehmen, die Louis Philippe im Begriff war, ihnen auszusetzen. Da aber brach die Revolution von 1848 aus und verjagte die Julidynastie aus Frankreich.
Jérôme war gerade kein schlechter Mensch. Er war ein Schwächling, der sich von seinen eigenen Launen und denen anderer leiten ließ. Für seinen Sohn aus erster Ehe hegte er, obgleich er mit Elisabeth Patterson alle Beziehungen abgebrochen hatte, großes Interesse. Als dieser jedoch im Jahre 1827 mit den Ansprüchen hervorgetreten war, seinen legitimen Halbgeschwistern gleichgestellt zu werden, wies ihn sein Vater in einem Schreiben vom 29. Mai ziemlich barsch ab. Erst als das zweite Kaiserreich errichtet wurde, empfing Jérôme seinen Sohn aus Amerika in Paris. Patterson-Bonaparte war mit seinem ältesten, vierundzwanzigjährigen Sohn, der ebenfalls den Namen Jérôme führte, nach Frankreich gekommen, und der alte König war sichtlich bewegt, Sohn und Enkel umarmen zu können. Der Enkel trat, nachdem ihm und seinem Vater das französische Bürgerrecht zuerkannt worden war, in das Heer ein. Als Offizier machte er den Krimkrieg mit. Nichtsdestoweniger verloren die Patterson später den Prozeß, den sie wegen der Hinterlassenschaft Jérômes anstrengten.
In den letzten Jahren war der alte König des öfteren von schweren Krankheiten heimgesucht gewesen, noch aber hatte ihn der Tod verschont. Seine zähe Natur, die trotz aller Ausschweifungen wie von Eisen war, hatte immer wieder die Krise überstanden. Endlich, am 24. Juni 1860, hatte auch Jérômes Stunde geschlagen. Am Jahrestag der Schlacht von Solferino schloß er die Augen, die Glanz, Reichtum, Pracht, Größe und Ruhm, aber auch Verfall und Erniedrigung hatten an sich vorüberziehen sehen. Et starb auf seiner schönen Besitzung Villegenis bei Paris. An seinem Sterbelager standen sein Sohn Napoleon, seine Tochter Mathilde und seine liebenswürdige Schwiegertochter, die junge savoyische Prinzessin Clotilde. Im Dome der Invaliden, neben der Asche des Helden von Sankt Helena, fand dieser letzte der Brüder des ersten Kaisers der Franzosen eine Ruhestatt. Welch seltsame Laufbahn hatte er hinter sich! Zuerst Seemann, Feldherr, Prinz und König, und dann vom Herrscher wieder hinab zum General und noch einmal hinauf zum Marschall und Senator! Der zweite Sturz der napoleonischen Dynastie blieb ihm erspart.