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Die Kindheit Louis Bonapartes, dieses unverstandenen Mannes, der sein ganzes späteres Leben ohne Glück und ohne Befriedigung verbrachte, den Enttäuschungen und körperliche Leiden mißtrauisch und verbittert machten, begann nicht, wie die der meisten seiner Geschwister, in den dunkelsten Verhältnissen der Familie Bonaparte. Im Gegenteil, als der kleine Louis am 2. September 1778 in Ajaccio zur Welt kam, waren seine Eltern im Begriff, wieder zu Vermögen zu kommen. War man doch damals die Sorge um die Erziehung der beiden ältesten Söhne los, die im Jahre darauf in Frankreich ihren Unterricht auf Staatskosten genossen. Um diese Zeit wurde der Vater als Adelsabgeordneter nach Versailles gesandt und erhielt für seine Reise 3000 Franken. In Paris gab ihm der König weitere 4000 Franken sowie 2000 Franken als Ehrengabe. Carlo kleidete sich nur in Samt und Seide. Er trug reiche, goldbestickte Röcke und mit kostbaren Schnallen verzierte Schuhe. Wäre seine verhängnisvolle Leidenschaft für den Luxus und für das Führen von Prozessen nicht gewesen, die Familie Bonaparte hätte zu jener Zeit sehr gut dagestanden. Dazu erbte sie zwei Jahre später von einem ihrer Verwandten, Joseph Buonaparte aus San Miniato, ein kleines Vermögen. Aber man führte gleich ein Leben im großen Stile. Letizia, die Sparsame, die bisher den Haushalt mit Hilfe einer einzigen Magd versehen hatte, mußte sich jetzt auf den Wunsch ihres Gatten eine Köchin und ein Stubenmädchen nehmen. Carlo spielte den großen Herrn und gab Feste in seinem Hause.
Die Zeit des Wohlstandes währte somit nicht lange. Bereits im Jahre 1784 ging es wieder so schlecht, daß sich Carlo 25 Louisdor vom Gouverneur du Rosel de Beaumanoir leihen mußte, damit er nach Frankreich reisen konnte, tun einen Arzt zu Rate zu ziehen. Durch den Tod des Vaters aber wurde die Not größer als zuvor.
Wie einst ihr Gatte, gab Letizia sich jetzt die größte Mühe, ihren Kindern eine gute Erziehung zu sichern. Fast immer jedoch scheiterte sie mit ihren Gesuchen um Aufnahme von einem ihrer Söhne in den Schulen Frankreichs. Mit Lucien bereits hatte sie kein Glück gehabt und die ersten Jahre seines Unterrichts bezahlen müssen. Jetzt ging es ihr mit dem vierten Sohne, der inzwischen das schulpflichtige Alter erreicht hatte, ebenso. Alle ihre Bittschriften, sowie die des jungen Napoleon Bonaparte, der ihr tatkräftig zur Seite stand, wurden abgewiesen. Jedes Jahr erneuerte man die Bitte, und jedes Jahr erfolgte dieselbe Antwort. Im Juli 1789 endlich erhielt Frau Bonaparte vom Unterrichtsministerium die Nachricht, daß ihr Sohn bereits das Alter überschritten hätte, bis zu welchem Freischüler aufgenommen werden könnten. Das Stipendium war einem andern korsischen Knaben gegeben worden. Welche Enttäuschung für die Familie Bonaparte!
Glücklicherweise befand sich Napoleon im Oktober desselben Jahres als Artillerieleutnant auf Urlaub in der Heimat. Während über Frankreich die ersten Stürme der Revolution brausen und das Königtum in seinen Grundfesten erschüttern, ist er in das Vaterland geeilt, um sich unter den großen Nationalhelden einen Platz zu erobern. Denn auch in Korsika griffen nach und nach die neuen Ideen um sich. Napoleon und seine Brüder, Joseph und Lucien, spielten keine unwichtigen Rollen in ihrer Heimat. Noch waren sie ganz Korsen. Noch hatten sie ihr Augenmerk allein auf die Unabhängigkeit der Insel gerichtet! In feurigen Worten erzählte der junge Leutnant seinen Landsleuten von der französischen Revolution, die er einen »Kampf zwischen der Freiheit und der Tyrannei« nannte. Ganz Ajaccio kam mit einem Male in Aufruhr! Das Haus der Familie Bonaparte ward der Sammelplatz der Patrioten. Hier unterrichteten sie sich über die herrschenden Zustände, hier besprachen und berieten sie, was zu tun sei. An der Spitze dieser tapferen Männer standen Napoleon und Joseph.
Für den jungen Artillerieleutnant bedeutete dieser Urlaub kein Ausruhen vom Dienst. Im Gegenteil, seine Tätigkeit fand hier das rechte Feld. War er doch der geborene Organisator. Und dennoch blieb ihm noch Zeit genug, sich mit seiner Familie zu beschäftigen. Letizia hatte einen Beistand nötig. Die Erziehung der jüngeren Geschwister war keine kleine Aufgabe. Joseph und Napoleon unterstützten die Mutter nach Kräften darin. Besonders spielte der zwanzigjährige Leutnant gern den Erzieher. Wie ein Vater sorgte er für Louis, Paoletta, Carlotta und den kleinen Girolamo. Sie wurden nach seinen Angaben erzogen; er bestimmte ihre Studien, ihre Spiele, ja er kümmerte sich sogar um ihre Körperpflege und ihre Nahrung! Es war alles aufs genaueste geregelt. Die Familie Bonaparte galt als eine der geordnetsten und einigsten Familien der Insel.
Nicht zum wenigsten hatte sie diesen guten Ruf Napoleon zu danken. Ein Jahr und vier Monate lang war er ihr beständiger Berater gewesen, denn er hatte seinen Urlaub eigenmächtig so lange ausgedehnt. Als er Ende Januar 1791 wieder nach seiner Garnison zurückmußte, entschied er sich, seinen kleinen Bruder Louis mitzunehmen. Da man dem Knaben nirgends eine Freistelle hatte gewähren wollen, und jetzt die Stipendien für junge Adelige aufgehoben waren, nahm er ihn mit nach Auxonne, um fernerhin sein Lehrmeister zu sein. Konnte Louis in eine bessere Schule gehen als bei Napoleon? Und mit welcher Zärtlichkeit, mit welcher Fürsorge umgab Napoleon den Bruder! Er betrachtete ihn von nun an als seinen Sohn, für dessen Zukunft er verantwortlich war.
Zu Fuß durchwanderten die beiden Brüder die Dauphiné. Auf diese Weise konnten sie sich mit eigenen Augen von dem Geiste überzeugen, der damals in Frankreich herrschte. Napoleon war von der Kraft der neuen Ideen entzückt. Louis war dreizehn Jahre alt. Seinem kindlichen Sinn mochte manches, was er sah, unverständlich sein, aber Napoleon erklärte ihm alles, und der kleine Bruder war wißbegierig. Als sie Anfang Februar 1791 in Auxonne beim Regiment La Fère eintrafen, stellte der Leutnant Bonaparte den jungen Louis seinen Kameraden mit den Worten vor: »Dieser junge Mann hier möchte ein Volk beobachten, das geneigt ist, seinem Untergang entgegenzugehen oder wieder neu zu erblühen!«
Napoleon liebte den willigen, sanften Jungen, der frühzeitig vortreffliche Anlagen zeigte. Als er schon nach kurzer Zeit bemerkte, welche Früchte seine Erziehung trug, schrieb er sehr stolz und glücklich an Joseph: der kleine Bruder sei sehr fleißig und lerne gut Französisch. Er habe viel Urteilskraft, kurz, er sei entzückend und ein ausgezeichneter Charakter. Sicherlich wäre er der hervorragendste der Söhne der Signora Letizia. Und stolz fügte Napoleon hinzu: »Wer von uns hat aber auch eine so gute Erziehung genossen wie Louis?«
Allerdings ließ es Napoleon nicht an Strenge fehlen. Louis sollte wie er selbst einmal Artillerieoffizier werden; er hatte die feste Absicht, einen tüchtigen Soldaten aus ihm zu machen. Da mußte er fleißig Mathematik studieren. Oft hieß es, von morgens früh bis abends spät hinter den Büchern sitzen, denn auch die andern Fächer, besonders Geschichte, Literatur und Religion, durften nicht vernachlässigt werden. War der Knabe faul oder unwillig, dann sparte Napoleon nicht mit harten Strafen. Ja, er verschonte ihn sogar nicht mit körperlichen Züchtigungen. Oft hatten die Freunde des Leutnants Mitleid mit dem Jungen, der schon so früh und so ernst arbeiten mußte. Besonders die Damen verwöhnten den liebenswürdigen, wohlerzogenen Knaben. Schrieb doch Napoleon selbst einmal von Valence aus nach Hause: »Louis hat bereits einen ganz französischen Ton angenommen. Er tritt mit Anstand in eine Gesellschaft ein. Er grüßt anmutig und stellt die üblichen Höflichkeitsfragen mit einem Ernst und einer Würde, als wäre er dreißig Jahre alt. Alle Damen hier sind in ihn verliebt.«
Der junge Louis scheint in der Tat allgemein angesprochen zu haben. Er war ein gutes, stilles, liebenswürdiges Kind. Selten widersetzte er sich den Wünschen seines Bruders. Geschah es doch bisweilen, dann blieb die Strafe nicht aus. Als ihm Napoleon eines Tages wegen Ungehorsams einen Schlag versetzte, rief ein beobachtender Nachbar empört: »Vilain Marabou!« Dies galt dem Leutnant Bonaparte, der sich erlaubt hatte, seinen kleinen Bruder zu bestrafen. Wer aber seine Kinder lieb hat, der züchtigt sie. Und so war es auch bei Napoleon. Er liebte Louis aufrichtig. Hätte er sonst um seinetwillen alle die Entbehrungen gelitten, die er sich auferlegte, nur um dem Knaben eine anständige Erziehung angedeihen zu lassen? Hätte er sonst die 92 Franken seines Leutnantssoldes mit ihm geteilt? Gewiß ein armseliges Einkommen für einen Offizier, wieviel mehr für einen, der davon noch einen andern Menschen ernähren muß!
Um seine Einkünfte zu verbessern, hegte Napoleon allerhand schriftstellerische Pläne. Er ließ seinen »Lettre à Matteo Buttafoco« drucken. Der dreizehnjährige Louis mußte ihm beim Lesen der Druckbogen behilflich sein. Um aber das Geld für die Reise zu dem Drucker zu sparen, der in Dôle wohnte, machte er sich mit dem Bruder um vier Uhr morgens zu Fuß auf den Weg. Dann legten sie denselben Marsch noch vor Tisch wieder zurück.
Außerdem trug sich der Leutnant Bonaparte mit dem hoffnungsvollen Gedanken, seine »Lettres sur la Corse« zu veröffentlichen, die er Paoli widmen wollte. Louis war sein Sekretär. Er hatte bereits eine ganz nette Handschrift und schrieb das Manuskript dieser Geschichte Korsikas ins reine. Napoleon selbst arbeitete damals täglich oft 15 bis 16 Stunden. Er tat es teils aus Neigung, teils um Geld zu verdienen. Schlaf brauchte er wenig.
Dabei lebten die Brüder dürftig genug. Bonaparte hatte in der Rue Vauban bei der Familie Bauffre zwei bescheidene Räume gemietet: ein kahles Zimmer und einen Alkoven. Er wohnte also nicht, wie man sagt, in der Kaserne. Ein schlechtes Bett ohne Vorhänge – ein Zeichen großer Armut für die damalige Zeit –, in der Fensternische ein gebrechlicher Tisch, der über und über mit den Papieren des Leutnants bedeckt war, und zwei ebenso wackelige Stühle bildeten die ganze Einrichtung dieser Junggesellenwohnung. Der kleine Louis mußte im Alkoven auf einer Matratze schlafen.
Nie vergaß Napoleon jene Zeit, da er sich mit seinem Bruder durchgerungen hatte durch Not und Entbehrungen. Es war ihm schmerzlich, als er im Jahre 1810 zum Herzog von Vicenza sagen mußte: »Was! mein Bruder Louis will mir schaden anstatt beistehen? Dieser Louis, den ich mit meinem Leutnantssold erzogen, und Gott weiß unter welchen Entbehrungen erzogen habe? Ich fand sogar Mittel, um seine Pension (bei Fräulein Bou in Valence) zu bezahlen. Und wissen Sie, wie ich das angefangen habe? Ich habe niemals den Fuß in ein Kaffeehaus gesetzt, bin niemals in Gesellschaft gegangen, habe trockenes Brot gegessen und meine Kleider selbst gebürstet, damit sie länger hielten ... Um meinen Kameraden keine Schande durch meine Armut zu machen, lebte ich wie ein Bär, immer allein in meinem kleinen Zimmer, mitten unter meinen Büchern, meinen einzigen Freunden! Und durch welch harte Ersparnisse konnte ich mir diese Bücher verschaffen! Um diesen Genuß zu haben, mußte ich mir das Nötigste versagen. Wenn ich dann alles entbehrt und zwei Taler erspart hatte, begab ich mich in kindischer Freude nach dem Laden eines Buchhändlers, der sich neben dem Hause des Bischofs befand. Oft betrachtete ich sehnsüchtig seine Bücherbretter und erwog lange, ehe mein Geldbeutel mir gestattete, etwas zu kaufen. Das waren die Freuden und Ausschweifungen meiner Jugend! Als ich noch ganz jung war, lernte ich bereits Armut und Entbehrungen einer zahlreichen Familie kennen. Meine Eltern haben schlechte Tage gesehen. Acht Kinder ...!«
Es war in der Tat bitter für Napoleon, gerade bei Louis Undankbarkeit zu finden. Als Kind gab er ihm indes keinerlei Grund zur Unzufriedenheit. Er liebte Napoleon, der sich soviel Mühe mit ihm gab. Ohne Murren saß er tagelang in klösterlicher Abgeschlossenheit hinter den Büchern. Auf diese Weise verbrachte der Knabe sein Leben in Auxonne mit Lernen und Arbeit.
Glücklicherweise wurde Napoleon am 2. Juni 1791 zum Oberleutnant befördert, was eine Gehaltszulage und infolgedessen eine Aufbesserung der Verhältnisse bedeutete. Gleichzeitig aber ward er auch zum 4. Artillerieregiment von Grenoble, das in Valence in Garnison lag, beordert. Diese Ortsveränderung kam ihm höchst ungelegen. Er hatte sich nicht allein beim Regiment La Fère wohlgefühlt, sondern die Versetzung stürzte ihn in Unkosten, mit denen er nicht gerechnet hatte. Außerdem fürchtete er, daß er sich bei einem andern Regiment nicht mehr so eingehend mit Louis' Erziehung beschäftigen könnte. Die neue Gliederung im Heere hatte jedoch bereits stattgefunden, und so nützte sein Gesuch nichts, worin er gebeten hatte, bei La Fère bleiben zu dürfen.
Am 14. Juni 1791 siedelte Louis mit dem Oberleutnant Bonaparte in die neue Garnison über. Wie einst, während seines ersten Aufenthaltes in Valence, quartierte Napoleon sich auch jetzt wieder bei Fräulein Bou ein. Sie empfing ihn und den kleinen Louis aufs herzlichste und nahm sich des Knaben wie eine Mutter an. Er ward zu ihr in Pension gegeben, während der Leutnant Bonaparte seine Mahlzeiten in Gemeinschaft seiner Kameraden im »Hôtel des trois Pigeons« einnahm.
Es schien den Brüdern ein wenig besser zu gehen als in Auxonne. Louis hatte ein eigenes Zimmer, und sie besuchten gemeinsam die Gesellschaften, die Napoleon von früher her kannte. Er stellte seinen Bruder auch der Frau du Colombier vor, der Mutter jenes jungen Mädchens, mit dem der achtzehnjährige Leutnant Bonaparte zur Kirschenzeit seinen ersten Flirt erlebt hatte.
Während eines Besuches bei Madame du Colombier kam Louis einst in schreckliche Verlegenheit. Er befand sich in einem Zimmer im ersten Stock und aß Kirschen, die man ihm ohne Teller gebracht hatte. Da er sehr wohlerzogen war und nicht wagte, eigenmächtig das Fenster zu öffnen, um die Kerne hinauszuwerfen, sie aber auch nicht verschlucken oder auf dem Tisch liegen lassen konnte, war er in großer Bedrängnis. Er hielt alle Kerne krampfhaft in den Händen und stand dabei tödliche Angst aus, jemandem die schmutzige Rechte reichen zu müssen. Schließlich befreite ihn sein Bruder, der ins Zimmer trat, aus dieser Verlegenheit.
Die Zeit in Valence gehört sicherlich zu der schönsten in Louis' ernster Jugend. Hier schloß er auch die einzige Freundschaft, die ihn je mit einem Menschen verband. Es war der Sohn des Notars Mésangère-Cleyrac. Louis spielte täglich mit dem jungen François entweder im Garten der Familie Mésangère oder im Weinberge des Fräulein Bou. Beide Knaben schlossen sich eng aneinander an. Später füllte der Briefwechsel mit diesem Freunde einen großen Teil des Lebens Louis Bonapartes aus. Mésangère war der einzige Mensch, der sein ganzes Vertrauen besaß. Niemals vergaß Louis diesen Freund. Dabei war Mésangère nicht gerade ein angenehmer Charakter. Er war verschlossen und griesgrämig. Dennoch hing Louis mit unveränderlicher Zuneigung an ihm. Er überschüttete ihn mit Wohltaten. Sobald er Oberst war, ernannte er ihn zu seinem Adjutanten. Als er den holländischen Thron bestieg, machte er aus seinem Jugendfreunde einen Kammerherrn, einen Schatzmeister der Krone und bestimmte ihn zum Verwalter seiner Güter in Frankreich. Das alles tat er in der Erinnerung an jene glückliche Kinderzeit in Valence.
Bald jedoch sollte sie vorüber sein. Napoleon hatte um einen Urlaub nachgesucht und ihn vom 1. Oktober 1791 an auf drei Monate erhalten. Die Nationalversammlung hatte die Aushebung von 100.000 Nationalgardisten beschlossen, und der Leutnant Bonaparte sah eine Laufbahn offen, die ihm Glück versprach. Er hoffte bestimmt auf eine Befehlshaberstelle in der Heimat. Ferner drängte es ihn, zur Mutter zu kommen, deren Verhältnisse sich in den letzten Jahren nicht gebessert hatten. Durch die Wirren der Revolution kamen die Erträge der Güter nur spärlich ein. Dazu war der alte Onkel Luciano seinem Ende nahe. Letizia bedurfte eines Beistandes.
Mitte September – als Korse hatte der Leutnant Bonaparte einen Vorsprung von vier Wochen – kamen beide Brüder in Ajaccio an. Einen Monat später hauchte der Onkel sein Leben aus und überließ seinen Platz als Familienoberhaupt nun endgültig dem jungen Napoleon. Es fiel ihm nicht schwer, diese Rolle förmlich zu übernehmen, hatte er sie in Wahrheit doch seit Jahren gespielt. Der Wunsch, sich und seine Familie hochzubringen, war die treibende Kraft seiner Handlungen. Und er setzte energisch seinen Willen durch. Er und die Seinen mußten indes noch manche bittere Not erfahren.
Unter vollkommen veränderten Umständen sollte Louis zwei Jahre später das Land wiedersehen, das für ihn zur zweiten Heimat geworden war. Als armer korsischer Flüchtling betrat er mit seiner Familie im Jahre 1793 wieder Frankreichs Boden! Von neuem erlebte er Entbehrungen und Not. Sie waren wohl noch größer, zum mindesten erniedrigender als die in Auxonne. Aber Louis war jung, und in der Jugend vergißt man schnell. Bald kam auch jetzt wieder Napoleons rettende Hand zu Hilfe und machte wenigstens der größten Armut ein Ende.
Er hatte die Erziehung seines Bruders Louis, die er so glücklich begonnen, nicht aus den Augen gelassen. Während der letzten zwei Jahre hatte er sich freilich wenig um ihn kümmern können, denn die Ereignisse nahmen ihn ganz in Anspruch. Sobald aber die Familie in Marseille einigermaßen wieder in die Höhe kam, hielt es Napoleon für geeignet, daß auch Louis den Ernst des Lebens kennen lerne. Er sollte die begonnene militärische Laufbahn weiter verfolgen und ein tüchtiger, brauchbarer Offizier werden. Auf alle Fälle sollte er in diesem gefährlichen, allen verderblichen Einflüssen leicht zugänglichen Alter nicht untätig bleiben, zumal er sehr geneigt war, sich einer allzu empfindsamen Lektüre hinzugeben. Mutter und Sohn beschlossen daher, daß der Fünfzehnjährige die Artillerieschule von Châlons-sur-Marne besuche, um dort die Offiziersprüfung zu bestehen.
Von den Volksvertretern, den Freunden der Brüder, mit guten Pässen ausgerüstet, machte sich Louis auf den Weg. Zu jener Zeit des Schreckens und der Greuel war es nicht leicht, sich als Reisender auf die unsicheren Landstraßen zu wagen, zumal nicht für einen, der fast noch ein Kind war. Als Louis nach Lyon kam, hatten dort furchtbare Metzeleien stattgefunden und die Volkswut auf die Spitze getrieben. Der junge Mann geriet in die größte Gefahr. Nur dank seiner Pässe und Empfehlungen vermochte er aus der im hellen Aufstand befindlichen Stadt zu entkommen. Erschreckt und eingeschüchtert setzte er seinen Weg fort. Zu seiner großen Enttäuschung aber erfuhr er bereits in Châlons-sur-Saône, daß die Artillerieschule von Châlons-sur-Marne aufgelöst worden sei. Es entsprach jedoch nicht der Wahrheit. Louis aber glaubte es und kehrte um. Noch einmal mußte er alles Schreckliche erleben, was er auf seiner Hinreise durchgemacht hatte.
Als er endlich glücklich wieder bei seiner Familie in Marseille gelandet war, ging Toulon seinem Fall entgegen. Napoleon hatte sich bei der Belagerung besonders ausgezeichnet und bereits damals Proben seines Genies abgelegt. Jeder war des Lobes voll über den jungen Offizier, der so große militärische Fähigkeiten besaß. Nach der Eroberung Toulons wurde er am 22. Dezember zum Brigadegeneral ernannt und erhielt den Oberbefehl über die Artillerie der Küstenarmee.
Auch für den jungen Louis, der seine Studien in der Artillerieschule nicht hatte fortsetzen können, wurde ein Posten gefunden. Saliceti nahm es auf sich, den Jüngling zum Artillerieadjunkten mit dem Grade und dem Einkommen eines Regimentsadjunkten zu ernennen! Louis war fünfzehn Jahre alt! »Die Volksvertreter«, hieß es in dem Beschluß vom 28. Frimaire des Jahres II, »die vom Konvent zum Heere von Italien und in das Süddepartement geschickt worden sind, beschließen die Ernennung des Bürgers Louis Bonaparte, Artillerieaspiranten, zum Artillerieadjunkten mit dem Grade und dem Einkommen eines Regimentsadjunkten. Er ist für diesen interessanten Teil der Kriegskunst besonders befähigt. Er soll den mit der Besichtigung der Küsten beauftragten General begleiten und ihm bei dieser wichtigen Arbeit behilflich sein, um neue Kenntnisse in der Artillerie zu erwerben.«
Diese Ernennung eines so jungen Mannes wie Louis zum Offizier überstieg selbst das Mögliche während der Revolution. In der Familie Bonaparte hingegen sah man darin nichts Außergewöhnliches. General Bonaparte nahm den jungen Adjutanten mit sich und weihte ihn in die Geheimnisse jener Kunst ein, die er selbst so meisterhaft verstand. Noch am Abend nach der Einnahme von Toulon hatte er Louis in die eroberte Stadt geführt. Er erklärte ihm alles aufs genaueste und machte ihn auf die Fehler aufmerksam, die Belagerer sowohl wie Verteidiger begangen hätten. Dabei geriet er immer mehr in Feuer und sagte: »Wenn ich hier den Oberbefehl gehabt hätte, so würden alle diese tapferen Leute noch am Leben sein! Junger Mann, lerne durch dieses Beispiel, wie nötig Bildung und Wissen sind für diejenigen, die danach streben, andere zu befehligen.«
Das war allerdings eine gute Lehre und ein vortrefflicher Rat. Der gleichen Ansicht schien auch die Artillerieverwaltung zu sein, denn im Jahre 1795 weigerte sie sich, die seltsame Ernennung und die daraus folgende noch seltsamere Beförderung Louis Bonapartes zu bestätigen. »Er hat nicht ernannt werden können, da er nicht zum Artilleriekorps gehört«, bemerkte man sehr lakonisch an den Rand des Gesuches, das Louis einreichte, damit man seine Ernennung bestätige. Und so mußte er doch noch die Lehrzeit in Châlons durchmachen.
Einstweilen jedoch begleitete er seinen Bruder zur Seealpenarmee. War er auch nicht theoretisch vorgebildet, so lernte er doch sehr viel praktisch, was ihm später von großem Nutzen war. Hätte er ein besseres Vorbild haben können als den General Bonaparte?
Bei der Einnahme von Oneglia, am 7. April 1794, erhielt Louis die Feuertaufe. Einige Tage später, am 28. April, war er bei der Übergabe von Saorgio zugegen, und am 21. September nahm er am Gefecht von Cairo teil. Wie er behauptet, erhielt er im Feldzug von Piémont mehrere Wunden. Seine Angaben über jene Zeit aber sind außerordentlich widersprechend. Gerade über den Beginn seiner militärischen Laufbahn hat er viel Unrichtiges verbreitet. Die Verzeichnisse, die er von seinen Dienstjahren aufstellt, sind zahlreich und grenzenlos wirr. Bald gibt er sich am 15. Januar 1790 als Artillerieaspirant, bald als Adjutant im 4. Artillerieregiment während des Jahres 1795 aus. Ein andermal will er am 5. September 1776 geboren und im Jahre 1791 Aspirant im Artilleriekorps gewesen sein. Außerdem nennt er sich in den Jahren 1792 und 1793 »Beamter« des Heeres. Als solcher will er an der Belagerung von Toulon teilgenommen haben! Er befand sich aber, wie wir wissen, zu jener Zeit auf der Reise nach Châlons!
Es ist unglaublich, wie alle Bonaparte Daten und Tatsachen entstellen. Sie tun es nur, um ihrem Emporkommen einen Schein des Rechts zu verleihen. Sie wollen nicht, daß man ihnen einmal Vorwürfe mache, der Zufall und das Glück seien ihrem Ruhme günstig gewesen. Das läßt ihr Stolz und ihre Einbildungskraft nicht zu. Sie wollen wenigstens so scheinen, als hätten sie sowohl dem Alter als ihren Fähigkeiten und Leistungen nach alle Auszeichnungen verdient, die ihnen zuteil wurden.
Mit hartnäckiger Ausdauer verschwieg Louis auch später noch seinen nachträglichen Aufenthalt in der Artillerieschule von Châlons. War er doch bereits in diesem Jahre in Saint-Tropez Leutnant einer Kompagnie freiwilliger Kanoniere gewesen! Das theoretische Studium von Mathematik, Waffenlehre und Befestigungskunst war ihm also nicht besonders angenehm. Aber er wagte dem Bruder Napoleon, seinem Lehrer, nicht zu widersprechen. Er verdankte ihm ja so viel! Und so trat Louis nun endlich, am 13. Juli 1795, in die Militärschule ein.
Da er ein williger Mensch war, machte er sich, ohne daß er gerade Sinn für den Soldatenberuf oder Ehrgeiz besessen hätte, fleißig ans arbeiten. Der General Bonaparte war glücklich, daß sein ehemaliger Zögling so gute Fortschritte machte. Ein Vater hätte nicht stolzer auf seinen Sohn sein können wie Napoleon auf seinen Bruder. »Mit Louis bin ich außerordentlich zufrieden«, schrieb er an Joseph; »er entspricht ganz meinen Erwartungen und ist ein ausgezeichneter Schüler. Das hat er aber auch nur mir zu verdanken! Er besitzt Feuer, Geist, Gesundheit, Talent, Güte, ist zuverlässig im Umgang, kurz, er vereint alles!«
Und diesem Manne der so schrieb, hat man Selbstsucht und Grausamkeit gegen seine Brüder vorgeworfen! Die Trennung von Louis fiel ihm so schwer, daß er ihn, sobald dessen Zeit in Châlons abgelaufen war, wieder zu sich rief. Louis war für ihn der Inbegriff alles Guten. Er war ja seine Schöpfung! In ihm glaubte er alle Eigenschaften vereint, die er an einem Menschen wünschte. Er ernannte ihn zu seinem Flügeladjutanten.
Als solcher begab sich der junge Louis im Februar 1796 über Paris zu dem General der Italienischen Armee nach Nizza. Ihm aber leuchtete nicht die Kriegs- und Siegesfreude auf dem Antlitz. Sein menschlicher, sanfter Charakter verabscheute den Krieg, von dem er bereits Proben gekostet hatte. Auch besaß Louis nicht den Ehrgeiz und die Ruhmessucht seiner Brüder. Sie taten alles in der Hoffnung, einmal zu Ehren und Ansehen zu kommen. Louis hingegen kümmerte sich wenig um seine Berühmtheit. Sohlachten zu gewinnen und über Tausende von Menschen einen blutigen Sieg zu erringen, war für ihn ein trauriger Ruhm. Er Wäre viel lieber Gelehrter geworden.
Dennoch tat er sich, soweit es seine große Jugend gestattete, im Italienischen Feldzug durch Mut und Unerschrockenheit vor so vielen seiner älteren Kameraden hervor. Ja, er schonte sich ebensowenig wie sein genialer Bruder, der keine Ermüdung kannte. Standhaft erwartete der achtzehnjährige Adjutant die Kugeln, die ihm in den Laufgräben um die Ohren pfiffen. Er wandte nicht einmal den Kopf, wenn eine dicht an seiner Seite niederschlug. Der General Bonaparte war entzückt und stolz zugleich, seinen Bruder so tapfer zu sehen. Er strahlte vor Genugtuung, als er Louis einmal vor einem Kreise erfahrener Offiziere fragte, warum er denn gar keine Angst habe, während doch oft sogar die Verteidiger eines Geschützes sich duckten, um den feindlichen Kugeln aus dem Wege zu gehen, und darauf die Antwort erhielt: »Mein Bruder, ich habe von Ihnen gehört, daß ein Artillerieoffizier die Kanone nicht fürchten darf; sie ist unsere Waffe!«
Eine nicht unangenehme Unterbrechung für den jungen Adjutanten war seine Sendung nach Paris am Tage vor dem glorreichen Siege von Castiglione. Der Obergeneral wollte das Direktorium über die Lage des Heeres beruhigen und glaubte keinen andern mit dieser Mission beauftragen zu können als Louis. Zwar ist es für einen Soldaten keine Empfehlung, am Tage vor einer Schlacht vom Heere weggeschickt zu werden, aber Louis war froh, nichts von dem Kriegsgetümmel sehen zu müssen. Außerdem versprach sein Bruder ihm eine doppelte Entschädigung. Im Vertrauen auf sein Genie und sein Glück sagte Napoleon zu dem jungen Louis: »Ehe du von Paris zurückkehrst, sollst du dem Direktorium die Fahnen überreichen, die wir morgen erobern werden!« Von der Siegesgewißheit Napoleons erfüllt, reiste der Adjutant in dem Gedanken ab, daß sein Bruder wohl wissen müsse, was er da sage. Und der italienische Sieger hielt Wort. Einige Tage, nachdem Louis sich seines Auftrages beim Direktorium entledigt hatte, und er dafür zum Hauptmann des 5. Husarenregiments ernannt worden war, In der Artillerie konnte er aus dem oben erwähnten Grunde nicht zu diesem Grade ernannt werden. trafen die versprochenen Trophäen ein. Der Adjutant du Taillis war ihr Überbringer. Louis überreichte sie den Direktoren.
Bereits im Februar, als er von Châlons aus nach Nizza gereist war, hatte er in Paris die Bekanntschaft seiner Schwägerin Josephine gemacht. Sie gefiel ihm nicht. Dennoch trat er ihr damals nicht so gehässig entgegen wie Lucien. Sein Haß gegen sie entwickelte sich erst später. Auch Josephines liebliche Tochter Hortense lernte er kennen. Sie war sechzehn Jahre alt und befand sich in Saint-Germain in der berühmten Erziehungsanstalt der Frau Campan. Louis besuchte dort seine jüngste Schwester Annunziata (Karoline), die Napoleon, ehe er nach Italien reiste, ebenfalls Frau Campan anvertraut hatte. Bei dieser Gelegenheit sah Louis Hortense de Beauharnais zum ersten Mal. Da er ihr aber mit der Voreingenommenheit der Familie Bonaparte gegen Josephine entgegentrat, konnte er weder die Anmut noch die vielen Vorzüge und trefflichen Eigenschaften bemerken, die das junge Mädchen wirklich besaß. Er sah Hortense überhaupt nicht. Sie war nicht für ihn vorhanden. Ein anderes Fräulein, auch eine Beauharnais, eine arme Nichte Josephines, deren Pension der General Bonaparte bezahlte, nahm sein ganzes Denken in Anspruch. Emilie erschien dem jungen Offizier damals als das schönste, klügste und edelste Mädchen, das er je gesehen. Eine Vereinigung mit ihm dünkte ihn das höchste Glück. Aber sie war die Tochter eines Emigranten, des Marquis de Beauharnais! Als Napoleon durch einen Freund, den ehemaligen Marineoffizier Casablanca, von dieser Liebe erfuhr, faßte er sofort den Entschluß, die Verliebten voneinander zu trennen. Erstens hielt er seinen Bruder für zu jung, um eine Ehe einzugehen, und zweitens glaubte er, daß ihm diese Verbindung nachteilig sein könne.
Vorläufig mußte Louis ja wieder nach Italien zurück. Dort war er Augenzeuge des dritten Aktes jenes Kriegsdramas, das sich vom Po bis zur Brenta abspielte. Er selbst übernahm manche Rolle darin und stellte den jungen Helden zur Zufriedenheit des großen Schlachtenlenkers dar. Bei Arcole benahm sich Louis besonders tapfer. Vereint mit Marmont rettete er den General Bonaparte aus den schlammigen Fluten des Flusses, in dem Napoleon zu versinken drohte.
Alm nächsten Morgen, dem zweiten Schlachttage, wurde Louis von seinem Bruder mit einer gefährlichen Sendung zum General Robert betraut. Es gab nur einen Weg zu ihm, und der führte mitten durch die feindlichen Kugeln. Louis war allein zu Pferd und unaufhörlich dem Feuer ausgesetzt. Napoleon stand Qualen um ihn aus. Er, der so viele Tapfere an seiner Seite hatte sterben sehen, den der Krieg hart gemacht hatte, fürchtete für das Leben dieses Jünglings, den er erzogen hatte, den er fast als seinen Sohn betrachtete! Als der junge Adjutant unversehrt zurückkam, war Napoleon überglücklich. Freudig drückte er ihn an seine Brust und rief mit einem Seufzer der Erleichterung aus: »Ich glaubte, du seiest tot!« In diesen Worten liegt die ganze Zuneigung Napoleons zu Louis.
Leider ließ Louis' Gesundheit, die bis dahin ganz ausgezeichnet gewesen war, jetzt zu wünschen übrig. Die Anstrengungen eines solchen Feldzuges waren für den jungen Mann zu groß. Seine physischen Kräfte wären den Strapazen nicht gewachsen. Wie ein alternder Mann spürte er bereits eine bleierne Müdigkeit in seinen Gliedern. Dazu hatte er verschiedene Unfälle. Er war mehrmals mit dem Pferde gestürzt und hatte über dem Auge eine Wunde erhalten, die nie ganz vernarbte. Als er dann mit seinem Bruder von Campoformio zurückkehrte, gingen ihm bei Saint-André in Savoyen die Pferde durch. Beim Abspringen vom Wagen verrenkte er sich das Knie.
Alle diese kleinen Gebrechen machten ihn bereits im Jünglingsalter kränkelnd, mürrisch und verdrießlich. Napoleon, der sein Leben im Felde verbrachte, achtete natürlich solcher Kleinigkeiten wenig. Um keinen Preis hätte er seinen Bruder deswegen vom Kriegsdienst befreit. Wäre Louis nicht von einem schlimmeren Leiden heimgesucht worden, das er in jugendlichem Leichtsinn vernachlässigte, er würde sicher nicht von dem Feldzug gegen den Erzherzog Karl freigekommen sein. Aber am 4. Februar 1797 wurde er in Forli krank. Er hatte in Brescia das Unglück gehabt, die Bekanntschaft einer zwar hochgestellten, aber gewissenlosen Frau zu machen.
Das bestätigt auch Napoleon im Memorial de Sainte Hélène, in dem es heißt: »Die schönen Italienerinnen boten alles auf, um ihre Reize zu entfalten. Aber ich blieb gegen ihre Verführungskünste unempfindlich. Sie hielten sich darauf an meinem Gefolge schadlos. Eine von diesen Damen, eine Gräfin C.... ließ Louis, als wir durch Brescia kamen, ein Andenken ihrer Gunst zurück, dessen er sich noch lange erinnern wird.«
Jedenfalls mußte Louis schleunigst nach Bologna und dann nach Mailand zurückkehren, um sich von einem Arzt behandeln zu lassen. Von dieser Zeit an verfiel er einem krankhaften Trübsinn, beständig mit der Pflege seines Körpers beschäftigt.
Napoleon hielt jedoch den Zustand des Bruders für ungefährlich. Um ihn seiner traurigen Stimmung zu entreißen, suchte er ihn fortwährend zu beschäftigen. Als er noch obendrein gewahrte, daß sich nach der Rückkehr aus Italien der Roman zwischen Louis und Emilie weiterspann, sandte er seinen Bruder geschwind nach Toulon. Dort sollte er ihn erwarten, um mit ihm den Feldzug nach Ägypten anzutreten. Inzwischen verheiratete der General Bonaparte in Paris in aller Eile, binnen acht Tagen, seinen Adjutanten Lavalette mit der jungen Emilie de Beauharnais. Auf diese Weise war die Gefahr von Louis abgelenkt, aber auch sein Glück war zerstört. Wie es scheint, bildete diese unglückliche Liebe auch einen Grund zu seiner später so unharmonischen Ehe mit Hortense. Noch nach Jahren gedenkt er der Geliebten und legt seine Empfindungen in dem dreibändigen Roman nieder, den er im Jahre 1812 unter dem Titel »Marie ou les peines de l'amour« in Graz veröffentlichte.
Zu Beginn des ägyptischen Feldzuges litt Louis schwer unter dem erwähnten Leiden. Er war ein hochgradiger Hypochonder. Seine müden traurigen Stimmungen, die Unzufriedenheit mit sich selbst und seinen Leistungen, das Mißtrauen, das er allen Menschen entgegenbrachte, wie auch sein nervöses Wesen waren gewiß eine Folge seiner frühzeitig zerrütteten Gesundheit. Dazu stellten sich die ersten Anzeichen der Gicht ein, die er sein ganzes Leben lang vergebens zu bekämpfen suchte. Später litt er unsäglich unter der Gewißheit, daß er ein gebrochener Mann sei.
Die anstrengende lange Seereise im Jahre 1798 und die darauffolgenden Entbehrungen und Strapazen des Krieges in Ägypten waren für Louis' Zustand nicht förderlich. Er litt außerordentlich, begleitete aber trotzdem die Division Kleber bis nach Kairo. Jetzt hatte der General Bonaparte Mitleid mit dem Kranken und benutzte eine passende Gelegenheit, ihn wieder nach Frankreich zu schicken. Als Napoleon im Begriff war, nach Syrien zu marschieren, brauchte er eine zuverlässige Person, welche die Regierung von dem Stande der Dinge unterrichten und zugleich um Truppenverstärkungen bitten sollte. Da Louis schon einmal eine ähnliche Aufgabe zur Zufriedenheit erfüllt hatte, eignete sich niemand besser als er zu dieser Sendung. Er lief ja jetzt auch keine Gefahr mehr, in Emilies Stricke zu fallen, da sie verheiratet war. Napoleon konnte ihn also getrost nach der Heimat segeln lassen.
Es war kein leichtes Unternehmen, auf einem schlechten Kanonenboot den englischen und russischen Fahrzeugen zu entgehen. Dennoch glückte es Louis, wie später auch seinem Bruder Napoleon, nach zwei Monaten der stürmischsten Seereise bis nach Korsika, und somit aus dem Bereiche der Feinde, zu entkommen. Von Ajaccio aus schrieb Louis sofort an das Direktorium, aber seine Bitten um Geld und Truppen für die Ägyptische Armee hatten keinen Erfolg. Er gab sich wirklich die redlichste Mühe, seinem Bruder nützlich zu sein, fand indes kein Gehör. Von allen Geschwistern Napoleons war er damals derjenige, der am meisten auf das Wohl des Generals und seiner Armee bedacht war. »Seit die Welt besteht«, schrieb er an Joseph, »ist eine solche Gleichgültigkeit, die die Regierung den 20.000 Franzosen und einer so reichen Kolonie wie Ägypten zeigt oder zu zeigen scheint, noch nicht dagewesen ... Aber warum sich Illusionen hingeben! Ich habe es Ihnen, den Direktoren und auch dem Minister gesagt: sobald die Belagerung von Akka aufgehoben ist, befindet sich das Heer in einer äußerst kritischen Lage. Wie man sagt, kann man augenblicklich für dieses Heer nicht viel tun; das heißt mit andern Worten: es bietet den gegenwärtigen Angelegenheiten keine Vorteile. Wenn es aber zugrunde geht, dann wird man ja sehen, welche Wirkung das in Europa und Frankreich hervorbringt. Mein lieber Bruder, sagen Sie das dem Direktorium und dem Minister. Sprechen Sie eindringlich und mit Feuer zu ihnen, und lassen Sie sich nicht von dem beirren, was sie Ihnen darüber sagen, nämlich, daß sich Ihr Bruder schon aus der Verlegenheit ziehen werde. Obgleich sie so reden, so wissen sie doch nur zu gut, daß der Macht des Menschen ein Ziel gesetzt ist. Außerdem versuchen sie dadurch die ganze Schuld auf ihn (Napoleon) zu wälzen. Lucien und Sie sollten nicht früher ruhen, als bis man Ihnen das Versprechen gegeben hat, sich mit dieser Armee beschäftigen zu wollen.« Aus diesen Zeilen merkt man die Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit von Louis' Charakter heraus. Weder Lucien noch Joseph sorgten sich um jene Zeit um das Geschick ihres Bruders, des Generals Bonaparte. Sie hatten mit ihren eigenen Zielen genug zu schaffen.
So wenig Erfolg Louis aber mit seinen Forderungen für das Heer hatte, so sehr war er hinsichtlich seiner eigenen Beförderung vom Glück begünstigt. Am 2. August 1799 wurde er vom Direktorium zum Schwadronschef des 5. Dragonerregiments ernannt. Da es mit seiner Gesundheit immer mehr abwärts ging, bat er um Urlaub und begab sich zur Kur in die Pyrenäen.
Am 3. Oktober war Louis wieder in der französischen Hauptstadt. Dort traf sechs Tage nach seiner Ankunft, wie ein Blitz aus heiterm Himmel, die unerwartete Nachricht ein, daß der General Bonaparte von Ägypten in Fréjus gelandet sei. Sogleich machte Louis sich in Begleitung Josephs und des Generals Leclerc, Paulines Gatten, auf, um seinem Bruder entgegenzugehen. In Autun aber wurde Louis von neuem krank und konnte seinen Weg nicht fortsetzen. Erst in Paris sah er Napoleon wieder, bei dem er nach wie vor Adjutantendienste versah. Er war ihm in jener ereignisschweren Zeit beständig zur Seite. Aber ganz im Gegensatz zu seinen Brüdern war Louis' Herz nicht von jenem Ehrgeize erfüllt, der sie nach den höchsten Stellen streben ließ. Er stellte keinerlei Ansprüche, als Napoleon das Staatsruder an sich gerissen hatte und ihm Macht, Ansehen, Einfluß und Reichtum zur Verfügung standen.
Nach dem 18. Brumaire wurde Louis Oberst seines Regiments. Zu seinem großen Bedauern mußte er es in der Garnison Verneuil aufsuchen, wo es hingesandt worden war, um zur Pazifikation der Normandie beizutragen. Die Unruhen im Innern, der Bürgerkrieg, sagten ihm noch weitweniger zu als der Krieg im offenen Felde. In der Vendée waren Greueltaten begangen worden, die seinen ganzen Abscheu erregten. Als eines Tages in Verneuil vier Gefangene, darunter der Anführer Frotté, hingerichtet wurden, für deren Befreiung Louis sich zu spät an den Ersten Konsul gewendet hatte, schloß er sich einen ganzen Tag lang aus Kummer darüber ein. Ein gleiches befahl er auch seinen Offizieren. Daß er jedoch dem Kriegsrat hätte vorstehen sollen, der Frotté zum Tode verurteilte, er sich aber energisch dagegen gesträubt habe, ist Legende. Diesem Rat präsidierte ein Bataillonschef und kein Brigadechef, der Louis damals war. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte man einen Älteren im Range gewählt, nämlich den Oberst Bisson vom 43. Regiment. Louis liebt es sehr, sich in seinen Aufzeichnungen einen gewissen Widerspruchsgeist gegen Napoleon zu verleihen. In Wirklichkeit widersetzte er sich zu jener Zeit durchaus nicht den Wünschen seines Bruders.
Wenige Tage nach diesem Ereignis verließ er übrigens wie man sich denken kann, leichten Herzens Verneuil, um seine neue Garnison in Versailles und etwas später in Paris zu beziehen. Dann erhielt er vom Ersten Konsul den Auftrag, die Festungen Brest, Nantes und Lorient zu besuchen. Als er diese Aufgabe erfüllt hatte, traf er im August wieder in Paris ein.
Dort hatte man inzwischen für den Zweiundzwanzigjährigen Heiratspläne geschmiedet. Anfangs schwebte dem Ersten Konsul für Louis eine reiche, einflußreiche Frau aus dem Faubourg Saint-Germain vor. Er gedachte ihn mit einer Nichte des Ministers Talleyrand-Périgord zu verheiraten. Josephine aber hatte andere Absichten und Pläne! Ihre Tochter Hortense war, obwohl sie mehrere Anträge gehabt hatte, mit neunzehn Jahren noch nicht verheiratet! Früher hatte die Mutter für sie den Sohn des Direktors Gohier bestimmt. Als aus dieser Heirat nichts wurde, lenkten sich Frau Bonapartes Blicke auf den jungen Reubell. Auch er war der Sohn eines der Direktoren. Dieser Plan scheiterte ebenfalls. Als dann die Spaltung zwischen den Bonaparte und den Beauharnais immer deutlicher wurde, glaubte Josephine sehr klug zu handeln, wenn sie durch eine andere Heirat in der Familie das lockere Band zu befestigen suchte. Das Gespenst der Scheidung schwebte ihr bereits damals vor Augen. Joseph und Lucien hatten keine Söhne, unter denen Napoleon seinen Erben hätte bestimmen können. Eine Heirat zwischen Hortense und Louis belebte ihre Hoffnung. Wenn beide einen Sohn hätten, dann würde alle Sorge für Josephine zu Ende sein, denn dann könnte Napoleon dieses Kind zu seinem Nachfolger bestimmen. Kurz, es war nach und nach bei ihr zur fixen Idee geworden, daß Hortense unbedingt einen Bonaparte heiraten müsse. Das liebenswürdige Mädchen würde gewiß bald alle Herzen sowohl als Schwiegertochter als auch als Schwägerin zu gewinnen wissen.
Eine Zeitlang hatte Josephine sogar für ihre Tochter den jungen Witwer Lucien im Auge. Der aber entzog sich einer ihm so verhaßten Verbindung. Nun fiel die Wahl auf Louis. Es ist unendlich zu beklagen, daß Josephine, die Hortense wirklich sehr liebte, deren persönliches Glück nicht mehr in Betracht gezogen hat. Es konnte ihr unmöglich verborgen bleiben, daß diese beiden Menschen ganz und gar nicht für einander geschaffen waren und nicht das geringste Interesse aneinander nahmen. Louis trug zwar zu jener Zeit nicht mehr die unglückliche Liebe zu Emilie im Herzen, aber er liebte Hortense nicht. Sie war ihm, wenn nicht gerade unangenehm, so doch keineswegs angenehm, obgleich er niemals die Höflichkeit gegen sie außer acht ließ. Als man ihm die ersten Vorschläge einer Heirat mit ihr zu verstehen gab, war er in ein junges Mädchen verliebt, das er eines Tages im Tuileriengarten bemerkt hatte. Er kannte ihren Namen nicht, aber er sah sie täglich, wenn er am Arme seines Freundes Mésangère spazieren ging. Lange Zeit wollte er nicht wissen, wer sie war und woher sie kam.
Er fand seine Liebe so viel poetischer. Sie sprachen sich auch nie, nur Blicke tauschten sie. Vier Jahre später erst schrieb Louis am seinen Jugendfreund, er solle sich nach dem Schicksal des Mädchens, das sich inzwischen verheiratet hatte, erkundigen. Es war die Tochter des Oberinspektors der Brücken und Chausseen Lefebvre; sie hatte sich mit einem Herrn Arsenne in Troyes vermählt.
Auch Hortenses Herz war nicht frei. Sie liebte den General Duroc und wurde wieder geliebt. Duroc war damals ein schöner schlanker Mann von neunundzwanzig Jahren. Er hatte ein sehr angenehmes Gesicht mit feinen, ausdrucksvollem Zügen. Sein Charakter war edel und ritterlich. Es war ihm ernst um seine Liebe. War es so erstaunlich, daß sich diese beiden Menschen gefunden hatten? In dem geselligen Malmaison beim Barren- oder Theaterspiel, oder bei sonstigen Unterhaltungen war Hortense immer die Lustigste, die Tonangebende, und Duroc der vornehmste Kavalier. Der Erste Konsul hätte nichts lieber gesehen als eine Heirat zwischen seiner Stieftochter und einem seiner liebsten Generale. »Habe ich doch auch Karoline mit Murat und Pauline mit Leclerc verheiratet«, sagte er, »warum sollte ich dem General Duroc nicht Hortense zur Frau geben? Ich liebe ihn, er ist ein tapferer Kerl.«
Napoleon tat daher alles, um Duroc auszuzeichnen. So schickte er ihn im Jahre 1801 an den Hof nach Petersburg, um Alexander I. zur Thronbesteigung im Namen der Französischem Republik zu beglückwünschen. Zu einer solchem Sendung konnte der Erste Konsul keinen bessern wählen als diesen wohlerzogenen, vornehmen Offizier. Niemand von den republikanischen Generalen wußte so wie Duroc den guten Ton zu treffen. Daß ihn Napoleon nur nach Rußland geschickt habe, um ihn von Hortense zu entfernen, ist nicht wahr. Ehe Duroc nach Petersburg ging, schrieb er Hortense ein paar Abschiedsworte und legte seinen Brief in ein Buch, das sie ihm geliehen hatte. Als sie dann den Brief fand, wagte sie ihn nicht zu öffnen und legte ihn in ihren Schreibtisch. Josephine fand ihn und machte ihr Vorwürfe. Auch der Erste Konsul schalt Hortense aus, als er davon erfuhr. Der Brief wurde Duroc uneröffnet zurückgesandt, und seitdem glaubte sich der General zurückgewiesen. Aber es ist unwahr, daß er eine Weigerung von Seiten Napoleons empfangen habe. Ebensowenig hat Duroc sich mit einer groben Äußerung, wie Bourrienne erzählt, dieser Heirat entzogen.
Während Duroc sich in Rußland befand, träumte die blonde Hortense in Paris von dem zukünftigen Gatten, den sie sich, ihrem Grundsatz gemäß, ganz allein nach ihrem Herzen gewählt hatte. Sie dachte immer an Duroc. Schon als Sechzehnjährige sagte sie, daß eine Frau nur glücklich und treu sein könne, wenn sie einen Mann heirate, den sie leidenschaftlich liebe. Bei einer andern Gelegenheit sprach sie gleichfalls ihre Ansichten über die Ehe aus. Unter ihren Freiern hatte sich nämlich auch ein ehemaliger Emigrant, ein Graf von Mun, um ihre Hand beworben. Obgleich er eine sehr wünschenswerte Partie für das junge Mädchen gewesen wäre, weigerte sich Hortense hartnäckig, seine Gattin zu werden. Eines Tages wurde sie schließlich von ihrer Mutter aufs Gewissen gefragt, was sie denn eigentlich gegen Herrn von Mun, der doch ein Ehrenmann sei, einzuwenden habe. Da erwiderte Hortense stolz: »Mama, haben Sie denn nicht jüngst bei Tisch gehört, daß er, als er in Deutschland war, sich in Frau von Staël verliebte? Ich will keinen Mann heiraten, der schon eine andere Frau geliebt hat. Mein Gatte soll nur in mich verliebt sein und es immer bleiben.« Wie anders gestaltete sich ihre Ehe!
Die Familienpolitik ihrer Mutter war stärker als der Wille des jungen Mädchens. Weder Hortense noch Louis vermochten ihrem Schicksal zu entgehen. Louis tat alles, um Hortense aus dem Wege zu gehen. Er, der alles Militärische vom Grunde seines Herzens aus haßte, verlangte jetzt sehnlichst, nach Potsdam reisen zu dürfen, um dort den Manövern beizuwohnen. Von da aus wollte er sich nach Dänemark, Schweden und Rußland begeben, nur um möglichst lange von Paris entfernt zu sein. Er hoffte, daß man inzwischen die Heiratsabsichten auf ihn vergessen würde.
In Berlin kam Louis zu spät an; die Manöver hatten bereits stattgefunden. Der König, besonders aber die reizende Königin Luise empfingen den Bruder des Ersten Konsuls aufs liebenswürdigste. Auch Prinz Louis Ferdinand war sehr freundlich zu ihm und lud ihn für acht Tage auf sein Schloß Rheinsberg ein.
Die Anstrengung der Reise hatte indes wiederum nachteilig auf Louis' Gesundheit gewirkt. In Danzig, wohin er von Dresden aus seine Schritte gelenkt hatte, um sich dann nach Petersburg zu begeben, wurde er krank und mußte drei Wochen das Zimmer hüten. Ende Januar 1801 kehrte er wieder nach Paris zurück.
Dort hatte man noch immer die gleichen Hoffnungen auf ihn. Josephine wandte alles auf, um den Schwager für sich zu gewinnen. Ihr schmeichlerisches, über alle Maßen liebenswürdiges Wesen ließ Louis befürchten, daß er doch einmal unterliegen werde. Er suchte sich deshalb auch jetzt wieder ihrem verhängnisvollen Einfluß zu entziehen. Am 29. Januar hatte er das Gut Baillon, ein abgelegenes, stilles, allen äußeren Einflüssen des Weltgetriebes schwer zugängliches Fleckchen Erde erworben. In diese Einsamkeit zog er sich zurück. Hier lebte er abgeschlossen von allem Verkehr; es führten nicht einmal richtige Fußwege zu dem Schlosse.
Noch einmal zog er den abscheulichen Krieg einer Ehe mit einer ungeliebten Frau vor. Mit nie gekanntem Eifer bot er Napoleon seine Dienste im portugiesischen Feldzug an. Der Erste Konsul tat ihm den Gefallen. Louis' Regiment ward in das Beobachtungsheer Leclercs eingereiht, zur großen Freude des Obersten, dem vor allem daran lag, fortzukommen. Als er sich aber in Malmaison sehen ließ, um Abschied zu nehmen, hielt ihn Josephine noch 14 Tage dort zurück, wahrscheinlich in der Absicht, ihn für ihre Pläne geschmeidig zu machen. Der arme Louis wußte sich keinen andern Rat, als heimlich davonzuschleichen. Und so machte er sich in der Nacht vom 3. zum 4. April ohne Abschied auf und davon.
Den Dienst hat Louis während dieses kurzen Feldzugs nicht lange versehen. Bereits im Juli war er des Lebens im Felde müde. Er benutzte die Gelegenheit eines Waffenstillstandes und bat um die Erlaubnis, die Bäder von Barèges besuchen zu dürfen. Sein krankes Bein und eine beginnende Lähmung der rechten Hand nötigten ihn dazu.
Drei Monate lang, vom Juli bis zum September, blieb er zur Kur in dieser öden, traurigen Gegend. Wie es scheint, verbrachte er dort angenehme Tage mit einer jungen Schönen des Landes. Auch seine Schwester Elisa besuchte ihn für kurze Zeit. Im Oktober war der Krieg in Portugal zu Ende und Louis wieder in Paris.
Jetzt vermochte er sich nicht mehr den Bitten seines Bruders und seiner Schwägerin zu entziehen. Denn auch der Erste Konsul hatte schließlich die Meinung Josephines angenommen, daß es sowohl für Hortense als auch für Louis ein Glück sei, wenn sie sich heirateten. Im übrigen konnte niemand am Konsularhofe die Abneigung Louis' gegen das junge Mädchen begreifen. Besaß Hortense doch alles, was eine Frau anziehend und begehrenswert macht. Ihre Gesichtszüge waren zwar nicht blendend schön, aber so reizend im Ausdruck, daß man darüber die Unregelmäßigkeit der einzelnen Teile, wie der Nase und des Mundes, vergaß. Sogar die schlechten Zähne vergab man dem süßen Gesicht. Die wundervollen aschblonden Haare, in die sie sich wie in einen Mantel hüllen konnte, die großen sanften blauen Augen, die zarte rosige Haut verliehen ihr einen so unschuldsvollen reinen Ausdruck, der alle Herzen im Sturme eroberte. Dazu hatte sie eine feine, anmutige Gestalt, zierliche Füße und Hände. Von ihrer Mutter hatte sie den geschmeidigen kreolischen Körper, nur war Hortense etwas größer und voller als Josephine. Ihre Bewegungen waren biegsam und ungezwungen. Wenn sie tanzte, und sie tanzte entzückend, waren alle Blicke auf dieses reizende, von Jugend und Anmut umflossene Mädchen gerichtet. Alle ihre Glieder boten ein wundervolles harmonisches Spiel von Grazie und Schönheit dar.
Und wie Hortenses Äußere, so war auch ihr Inneres. Sie war sanft, edelmütig, hingebend, aufopfernd, gut und leicht verträglich. Bisweilen konnte sie ein wenig eigensinnig sein, namentlich wenn sie sich unverstanden, glaubte. Ihr Bruder Eugen, den sie zärtlich liebte und hoch verehrte, sagte oft: »Hortense, du bist ein kleiner Eigensinn.« Sie war allem Guten zugänglich, das Schlechte verabscheute sie. Sie hatte viele Fähigkeiten. Auf manchen Gebieten der Kunst war sie mehr als Dilettantin. Sie besaß die einschmeichelnde süße Stimme Josephines und sang sehr angenehm zur Harfe oder zum Klavier. Auch als Malerin zeigte sie Talent, ebenso als Dichterin. Mitunter machte sie ganz hübsche Verse. Ihre Romanzen sind in ganz Frankreich bekannt.
Zu vielen Liedern komponierte Hortense auch die Weisen. Sie war weit gebildeter als die meisten der jungen Mädchen ihrer Zeit. Bei Madame Campan, die ihr auch später noch eine treue Ratgeberin und Freundin geblieben ist, war sie immer eine der besten Schülerinnen.
Der Grundton ihres Charaktere war Frohsinn und Lebenslust, vermischt mit zarter Empfindsamkeit. Sie war der Sonnenschein in Malmaison und steckte mit ihrer übermütigen Schalkhaftigkeit die Gesellschaft an. Die ganze Jugend scharte sich um sie. Eugen, Duroc, Bourrienne, der Maler Isabey, der Schauspieler Talma, der junge Jerome und viele andre junge Männer des Konsularhofes gehörten zu dem fröhlichen Kreise Hortenses; denn wo es etwas zu lachen und zu scherzen gab, war sie dabei. Ihr Köpfchen steckte immer voll übermütiger Streiche. Gelegentlich konnte sie auch spöttisch und witzig sein, jedoch niemals in beleidigender Weise. Immer behielt das weibliche Zartgefühl in ihr die Oberhand. Sie selbst war sehr empfindlich und schien nicht geschaffen zu sein, des Lebens rauhe Wirklichkeit oder gar Leiden zu ertragen, zumal sie eine zarte Gesundheit hatte. Aber sie liebte das Leben und seine Freuden. Hortense war eine leidenschaftliche Tänzerin und vorzügliche Schauspielerin. Vielleicht könnte man ihr den Vorwurf machen, daß sie auch im Leben zu viel Komödie gespielt hätte. Ihr Wesen war nicht immer der Spiegel ihrer Seele. Sie konnte ganz anders erscheinen, als es in ihrem Innern aussah. Wie oft verbarg sie Kummer und Leid unter dem Deckmantel einer ausgelassenen Fröhlichkeit, so daß jedermann meinte, sie wäre das glücklichste Geschöpf auf Erden. Man hat sie deshalb sehr oft falsch beurteilt. Man hat ihr Leichtfertigkeit und oberflächlichen Sinn vorgeworfen. Im Grunde aber war Hortense nur ein Opfer Ihrer Erziehung. Madame Campan, der ehemaligen Kammerfrau Marie Antoinettes, schienen die gezierten Sitten des alten Hofes immer als die vollendetsten und vornehmsten. Sie schärfte den Schülerinnen von Saint-Germain ausdrücklich ein, daß eine Dame im Beisein anderer niemals ihren Gefühlen freien Lauf lassen dürfe; sie müsse in jeder Lebenslage unterhaltend, fröhlich und liebenswürdig, kurz, immer die Dame sein. Hortense de Beauharnais hat sich ihr ganzes Leben lang nicht von diesen Erziehungsgrundsätzen befreien können. Sie blieb stets die kleine Pensionärin von Saint-Germain. Sogar in den Stunden der höchsten Gefahr, im Jahre 1815, als sie heimlich aus ihrem Hause fliehen mußte, hing sie am Förmlichen. Sie weigerte sich nämlich hartnäckig, in den Kleidern ihrer Vorleserin, Fräulein Cochelet, am Arme des Bruders derselben ihr Haus zu verlassen, und nur, weil sie es für unschicklich fand, mit einem jungen Manne allein auf der Straße zu gehen. Und damals war Hortense eine Frau von 32 Jahren!
Alle Zeitgenossen ohne Ausnahme stellen ihr übrigens das glänzendste Zeugnis über ihren Charakter aus. Jeder lobt ihre Herzensgüte, ihre unvergleichliche Liebenswürdigkeit. Alle sind begeistert, wie reizend und taktvoll sie als junge Frau in Malmaison die Honneurs machte, wenn Josephine abwesend war. Man beneidete allgemein diese Mutter um eine solche Tochter.
Hortense liebte ihre Mutter abgöttisch. Sie verehrte in ihr ein höheres Wesen, obgleich Josephine nicht immer, besonders nicht während der leichtsinnigen Zeit des Direktoriums, die Interessen ihrer Kinder im Auge gehabt hatte. Von dem Vorleben ihrer Mama aber wußte die junge Hortense nichts. Sie würde jeden bitter gehaßt haben, der ihr gesagt hätte, Josephine de Beauharnais habe keine einwandfreie Vergangenheit, sie sei die Geliebte Barras' und anderer gewesen. Hortense war ja während der Revolution noch ein Kind, und nach dem 9. Thermidor kam sie in das Institut der Frau Campan.
Die Erinnerung an noch fernere Zeiten waren fast aus ihrem Gedächtnis ausgelöscht. Obwohl sie als Kind oft Zeuge des wenig herzlichen Zusammenlebens ihrer Eltern gewesen war, blieb das Andenken an ihren Vater ein ungetrübtes. Und es muß Josephine nachgesagt werden, daß sie ihre Kinder stets dazu angehalten hat, den Namen ihres Vaters zu ehren. Für Hortense war Alexandre de Beauharnais der Träger eines alten Namens, auf den sie sehr stolz war. Er war für sie der Märtyrer, der sein Leben fürs Vaterland auf dem Schafott geendet hatte. In ihrem Herzen war sie ganz Royalistin. Die Revolution, in der sie aufgewachsen war, hatte ihr nur Schrecken und Grauen eingeflößt. Mit Schaudern und Ekel erinnerte sie sich noch des schmutzigen Karmelitergefängnisses, wo ihre liebe Mutter so lange eingesperrt gewesen war. Noch gedachte sie mit Wehmut und Zagen jener Handwerkerfamilien, wo sie und ihr Bruder Eugen wenigstens der Form wegen in die Lehre getan worden waren. Oh, Hortense hatte jene Zeit nicht vergessen! Aber dann, dann kam die Erlösung. Der 9. Thermidor machte allem Schrecken ein Ende.
Bei Frau Campan lebte Hortense eine glückliche, sorglose Mädchenzeit. Nur als sie erfuhr, daß ihre Mutter eine zweite Ehe eingehen wollte, war sie sehr unglücklich. Sie glaubte dadurch das Andenken ihres Vaters beschmutzt. Was war denn der General Bonaparte? Ein Mann der abscheulichen Revolution; ihrer Meinung nach ohne Namen, ohne Vermögen. Man erzählte sich sogar im Mädchenpensionat von ihm, er sei so arm gewesen, daß er Madame Tallien um eine neue Uniform gebeten habe! Hortenses Vater hingegen, der Marquis de Beauharnais, war einer der ersten Edelleute Frankreichs!
Die Ansicht des Kindes über den zukünftigen Stiefvater wurde nicht besser, als sie den General persönlich kennen lernte. Sie begegnete ihm freilich nur einmal bei Barras. Sein ärmliches Äußere, seine fahle Gesichtsfarbe, die eingefallenen Wangen, die straffen, bis auf die Schultern herabhängenden braunen Haare, seine ganze eigenartige Person mißfielen Hortense. Bei Tafel saß sie zwischen ihm und ihrer Mutter. Der General sprach fortwährend über Hortense gebeugt zu Josephine hinüber, so daß das junge Mädchen sich beständig zurücklehnen mußte. Sie fand das taktlos. Außerdem schien er ihr den Frauen gegenüber linkisch und schüchtern. Nur sein alles beherrschender Blick flößte ihr Achtung oder vielmehr Furcht ein.
Nachdem sich Frau von Beauharnais mit dem General Bonaparte verheiratet hatte, sah Hortense ihren Stiefvater nicht wieder. Ihm blieben ja nur zwei Tage kurzen Glücks mit der leidenschaftlich geliebten Frau. Dann mußte er, mit Josephines Bild im Herzen, hinaus in den Krieg. Aber er schrieb beiden Kindern, sowohl Eugen als auch Hortense, sehr herzlich von Italien aus. Ja, im Schlachtenlärm und Flammenschein fand er noch Zeit und Muße, für sie Geschenke zu schicken!
Es schmeichelte Hortense übrigens jetzt, daß sie die Tochter jener Frau war, der Gemahlin des berühmtesten Feldherrn seiner Zeit, des gefeierten italienischen Siegers! Im Mädchenpensionat von Saint-Germain schwärmte man nur noch für den Helden von Millesimo, Montenotte und Castiglione. Karoline, die kleine Schwester des Generals Bonaparte, und Hortense waren die umworbensten Mädchen in der Schule.
Ganz frei von Mißtrauen war das junge Mädchen aber auch jetzt noch nicht. Zwei Monate nach der Heirat Josephines schrieb Hortense an diese wie ein eifersüchtiger Liebhaber: »Meine liebe Mama, ich glaube, die Siege des Generals sind die Ursache, daß Du mich gar nicht mehr besuchst. Wenn das mich des Vergnügens beraubt, meine liebe kleine Mama zu sehen, dann möchte ich lieber, er siegte nicht so oft. Denn dann würde ich Dich nicht so selten sehen.«
Als der Sieger von Italien heimkehrte, sah Hortense ihn nur wenige Tage. Damals befand sie sich noch immer bei Madame Campan und konnte ihre Eltern nur bisweilen besuchen oder deren Besuch empfangen. Es war also nicht gut möglich, daß sie sich schon jetzt persönlich von dem Werte des Mannes überzeugen konnte, den die Mutter sich zum Gatten erkoren hatte. Hortense wußte von dem General Bonaparte nur, was Josephine ihr von ihm erzählte. Sie wußte, wie sehr er seine Frau liebte, wie er sie anbetete und mit welcher Güte und Zuneigung er auch ihre Kinder ins Herz geschlossen hatte. Sie waren eben Josephines Kinder!
Nie aber hat Hortense in seiner Nähe ein Gefühl der Beengung bekämpfen können. War das nicht ganz natürlich? Sah sie denn nicht, daß der General oft die Ursache der Tränen ihrer Mutter war? Sah sie nicht, daß er energisch seine Rechte als Gatte und Vater geltend machte? Daß er nichts duldete, was seinem Namen und seiner Ehre hätte schaden können? Ihr schien Napoleon tyrannisch. Das siebzehnjährige Mädchen konnte noch nicht alle Gründe der Szenen zwischen ihm und ihrer Mutter erfassen. Hortense wußte nicht, daß Napoleon aus leidenschaftlicher Liebe Josephine die schrecklichsten Eifersuchtsauftritte machte; sie wußte nicht, daß sie meist begründet waren! Als der General Bonaparte aus Ägypten zurückgekehrt und fest entschlossen war, sich von der Ungetreuen zu trennen, da waren Hortense und Eugen die Vermittler der beiden Gatten. Drei Tage lang hatte Josephine geweint und vor ihren Kindern ihre Unschuld beteuert; nur Eugen wußte, daß seine Mutter die Anklagen des Generals verdiente. Hortense hingegen war überzeugt, daß Josephine ein Opfer blinder Eifersucht sei. In diesem Glauben kniete sie damals vor dem General und flehte mit tränenerstickter Stimme um Vergebung für ihre Mutter. »Ich beschwöre Sie«, rief sie, »verlassen Sie unsere Mutter nicht! Es wäre ihr Tod!« Und Napoleon verzieh Josephine um ihrer Kinder willen.
Hortense wußte auch nicht, daß er recht hatte, wenn er Josephine wegen ihrer Verschwendungssucht Vorwürfe machte. Hatte sie doch die Mutter beständig viel Geld für ihre Kleidung ausgeben sehen. Sie kannte den Wert des Geldes ebensowenig wie Frau Bonaparte. Ferner konnte das junge Mädchen nicht finden, daß ihre Mutter sich mit schlechter Gesellschaft umgab, was ihr der General untersagte. Hatten nicht Frau Tallien, Frau Henguerlot, Frau de la Boucharderie, Frau von Châteaurenauld immer die ersten Rollen in der Gesellschaft des Direktors Barras, des ersten Beamten des Staates, gespielt? Hortenses Meinung nach mußten sie doch dessen würdig gewesen sein. Auf den öffentlichen Bällen im Hotel Tivoli, Hotel Richelieu, Hotel Marbeuf, Hotel Thélusson, Hotel Biron usw., wohin sie Josephine schon als ganz junges Mädchen führte, konnte Hortense unmöglich den Unterschied zwischen der guten und schlechten Gesellschaft kennen lernen. Die gute Gesellschaft benahm sich weniger einwandfrei als die schlechte. Außerdem waren alle Klassen in grenzenloser Vermengung.
Erst später, als ihr Verstand gereift war, mußte Hortense sich überzeugen, wie sehr Napoleon in allem recht hatte. Und sie war ihm dankbar für die Liebe und Fürsorge, die er ihr und ihrem Bruder entgegenbrachte. Er wurde ihnen ein zweiter Vater und behandelte sie wie seine eigenen Kinder. Nur die Schüchternheit ihm gegenüber konnte Hortense nie überwinden.
Wie aber soll man dieses schüchterne Wesen des jungen Mädchens in Einklang mit den Gerüchten bringen, die verbreiteten, Hortense wäre ihres Stiefvaters Geliebte? Fouché behauptete sogar, Josephine selbst habe die Tochter in die Arme Napoleons gestoßen, um vor der Scheidung sicher zu sein. Eine solche Verleumdung empörte selbst diejenigen Zeitgenossen, die Napoleon am wenigsten geneigt waren. Bourrienne sagt gerade heraus, daß das eine ganz infame Lüge sei. Frau von Rémusat, die sonst gern dem Kaiser am Zeuge flickt, schreibt darüber: »Die Art, wie der Kaiser von Hortense sprach, widerlegt ganz förmlich die Anklagen, die auf ihm lasten.« Auch die Palastdame Durand ist dieser Meinung. Constant, die Avrillon, Roederer, Caulaincourt, die Junot und andere haben nur eine Stimme: die der Entrüstung über eine so gewissenlose Beschuldigung!
Ganz abgesehen davon, daß Napoleon durchaus kein unmoralischer oder in der Liebe perverser Mensch war, würde er niemals Hortense als Frau begehrt haben. Sie war für ihn seine Tochter; er brachte ihr eine rein väterliche Neigung entgegen. Er war Korse und fühlte sich den beiden Kindern Josephines so sehr als Vater, daß ihn der Gedanke der Liebe für Hortense eher abgestoßen als gereizt haben würde. Brachte er übrigens nicht auch Eugen die gleichen Gefühle entgegen? Einst sagte er zu Roederer: »In meinem Familienleben bin ich der Mann des Herzens. Ich spiele mit den Kindern, plaudere mit meiner Frau, lese ihnen vor usw.«
War die Zuneigung Napoleons zu seinen Stiefkindern übrigens nicht vollkommen berechtigt? Entschädigten ihn Hortense und Eugen nicht auch mit ihrer Liebe, ihrer Anhänglichkeit, ihrer Zuvorkommenheit und Dankbarkeit? Nie haben sie ihm, wie seine übrige Familie, zu ernstlicher Unzufriedenheit Veranlassung gegeben. Nie hatte er durch sie derartige Unannehmlichkeiten und Verdrießlichkeiten zu erleiden, wie durch seine Brüder. Nie widersetzten sie sich seinem Willen auf eine Weise, die ihn erbitterte und empörte. Die Wohltaten, die er ihnen erwies, wurden ihm reichlich belohnt. Und waren sie nicht die Kinder der Frau, die er am meisten auf der Welt geliebt hat? Sie waren ein Stück von ihr. Das Gefühl der Eifersucht gegen diese Beweise einer ersten Liebe Josephines kam bei Napoleon nicht auf. Er liebte ihre Kinder wie alles, was ihr gehörte, was sie umgab.
Es betrübte ihn darum tief, daß sein Bruder die junge Hortense nicht zur Frau wollte. Er betrachtete Louis wie seinen Sohn, da er ihn erzogen hatte. Gerade diese beiden Menschen hätte er so gern glücklich gesehen! Was den Ersten Konsul bestimmte, kein Machtwort zu sprechen, um diese traurigste aller Verbindungen zu verhindern, ist nicht aufgeklärt. Josephines Einfluß muß in dieser Hinsicht jedenfalls sehr stark gewesen sein. Denn daß Napoleon mit seinem Scharfblick das Unglück nicht vor Augen gesehen hätte, ist nicht recht verständlich. Er selbst konnte nicht annehmen, daß durch diese Heirat die allerdings auch von ihm ersehnte Einigkeit zwischen den beiden Familien hergestellt werden würde. Vielleicht hegte er die Hoffnung, daß beide Charaktere sich in der Ehe bilden, daß beide Gatten, wenn auch nicht Liebe, so doch wenigstens keine Abneigung für einander empfinden würden. Waren deren geistige Interessen doch so übereinstimmend! Beide liebten die Kunst und Literatur. Beide besaßen Fähigkeiten sowohl des Herzens als auch des Geistes. Beide waren gut, klug und sanft. Napoleon und Josephine waren sicherlich überzeugt, daß Louis' kopfhängerischer Charakter sich in der Ehe ändern würde.
Endlich, während eines Balles im Oktober 1801, als Louis aus Portugal zurückgekehrt war, hatte er den Bitten und Drängen seiner Schwägerin nachgegeben und in die Verbindung mit Hortense gewilligt. Ohne Frage besaß er nicht den Mut, seinen Bruder durch längeren Widerstand noch weiter zu reizen. Hortense gab ihr Jawort aus demselben Grunde; sie hat nie gewagt, ihrem Stiefvater zu widersprechen. Vielleicht tat sie es auch ein wenig aus Trotz, weil sie Duroc nicht haben konnte.
Bei beiden war indes die gegenseitige Abneigung groß. Louis besaß zwar kein unangenehmes Äußere, aber sein eigenartiger Charakter, den nur eine liebende Frau hätte verstehen können, machte ihn weniger angenehm. Dazu wurde sein Aussehen immer krankhafter. Der junge Körper schien bereits dem Verfall nahe zu sein, und diese Gewißheit trug viel zu Louis' Seelenstimmung bei.
Durch die regelmäßigen Züge und den länglichen Schnitt des Gesichts ähnelte er sehr seinem Bruder. Während sich aber auf Napoleons Gesicht jede Empfindung, jede innere Erregung widerspiegelte, war Louis' Ausdruck müde und tot. Obgleich er schöne große Augen hatte, war ihr Blick wie erloschen. Von Gestalt war er mittelgroß. In Ton und Haltung verriet er Vornehmheit und Takt. Auch hatte er, wie Hortense, einen gebildeten Geist. Ganz im Gegensatz aber zu diesem fröhlichen Mädchen war er zum Trübsinn und zu einer Überempfindlichkeit geneigt, die ihm manche traurige und bittere Stunde kosteten. Er liebte es nicht, sich unter die scherzende Jugend zu mischen. Er suchte die Einsamkeit und zog vor, über sentimentale Romane heiße Tränen zu vergießen. Er war durch und durch Neurastheniker.
Die Hochzeit wurde auf den 4. Januar 1802 festgesetzt. Louis möchte uns in seinen Aufzeichnungen glauben machen, man habe alles überstürzt, man habe ihn mit Gewalt zum Altar geführt und ihm keine Zeit zur Überlegung gelassen. Das entspricht jedoch nicht ganz der Wahrheit. Wußte er doch lange vorher, daß er Hortense heiraten sollte, übrigens hätte er auch dann noch, als er schon zugesagt hatte, zurücktreten können. Denn zwischen jenem Ball und der Hochzeit lagen drei Monate! Ferner hatte ihn seine Familie, die über die Verbindung mit den Beauharnais außer sich war, genug vor einem solchen Schritt gewarnt. Lucien hatte sich sogar nicht gescheut, dem Bruder die empörendsten Verleumdungen über seine Braut zu hinterbringen. Gewissenlos sagte er Louis ins Gesicht, daß Hortense längst in alle Geheimnisse des Lebens und der Liebe eingeweiht sei, und zwar durch ihren eigenen Stiefvater! Ja, er behauptete sogar, man beschleunige die Heirat nur deshalb, um den zu erwartenden Beweis der Schande Hortenses zu verbergen und dem Kinde einen Vater zu geben. Was lag Lucien an der Ehre des jungen Mädchens! Es war ja eine Beauharnais! Weit gerechter war Letizia. Zwar sah sie in der Heirat ihres Sohnes den »Sieg einer fremden Familie über die ihrige«, aber sie sagte doch, »Louis verheiratete sich ehrenhaft, wenn er vielleicht auch später eine bessere Partie hätte machen können.«
An guten Ratschlägen hat es Louis also nicht gefehlt. Er schien sich übrigens selbst mit seinem Schicksal aussöhnen zu wollen. Während der drei Monate seiner Verlobungszeit war er höflich und liebenswürdig gegen Hortense, ja er fand sogar manche Vorzüge an ihr. Er soll auch zu Lucien gesagt haben, als dieser ihm von der Heirat abriet, daß er in seine Braut verliebt wäre. Man kann jedoch Lucien nicht trauen. Louis liebte Hortense nicht. Hat er im Anfang seiner Verlobung wirklich irgend etwas für sie empfunden, so ist es ein sehr flüchtiges Gefühl gewesen. Aber sein ehrenhafter, gewissenhafter Charakter versuchte es wenigstens, sie nicht unglücklich zu machen.
Hortense nahm sich ebenfalls vor, eine pflichtgetreue, verständige Gattin zu sein. Liebe konnte sie für ihn nicht fühlen, aber das Vertrauen, das ihr Louis entgegenbrachte, ehrte sie. In einem langen Brief hatte er ihr sein ganzes Vorleben offenbart. Nicht die geringste Liebelei blieb Hortense verborgen. Seinen eigenartigen Charakter kannte sie ja genügend aus dem engeren Familienleben.
So schlossen beide den Bund, der sie zu den unglücklichsten Menschen auf Erden machen sollte. Sie ahnten, daß ihnen Mißgeschick und Leiden nicht erspart bleiben würden. Ihr Hochzeitstag war unendlich traurig. Hortense weinte von früh bis abends, und Louis, durch das trostlose Gebaren seiner Braut gekränkt, war kalt und mürrisch.
Die ersten Wochen der Ehe verbrachte das junge Paar in jenem kleinen Hause der Rue de la Victoire, ehemaligen Rue Chantereine, wo auch Josephine und Napoleon ihren ersten Liebesrausch erlebten. Der Erste Konsul hatte es seinem Bruder einstweilen zur Verfügung gestellt. Welcher Unterschied aber zwischen den beiden Paaren! Während Josephine die glücklichste aller Frauen gewesen war und ihren Gatten in anbetender Verehrung vor ihrer Schönheit und Anmut zu ihren Füßen gesehen hatte, weinte die arme Hortense ungestillte Tränen. Kaum war sie ein paar Tage verheiratet, so stellte sich bei Louis das Mißtrauen ein, das die schlimmen Gerüchte in ihm erweckt hatten. Schon setzte er Zweifel in Hortenses Treue. Immer mehr wurde er darin bestärkt, wenn er daran dachte, daß auch Josephine ihren Mann in den ersten Jahren der Ehe betrogen hatte. Er haßte diese Schwiegermutter um so mehr, als in seinem eigenen Charakter Offenheit und Ehrenhaftigkeit lag. Ihm war es klar, daß bei einer solchen Mutter auch die Tochter böse Pfade wandele. Um seine Ehre zu wahren, sah er nur einen Ausweg: Hortense von dem Einfluß dieser gefährlichen Mutter zu befreien! Louis war keiner von jenen Männern, die sich von den äußeren Vorzügen, von der Anmut und Koketterie einer Frau betören lassen und ihr alles vergeben. Er konnte Josephine die Fehler nicht um ihrer Reize und ihrer Liebenswürdigkeit willen verzeihen. Und so entschloß er sich, seiner Gattin die Augen über die Vergangenheit ihrer Mutter zu öffnen. Wenn Hortense tugendhaft und ehrbar wäre, dann würde sie selbst sich von ihr entfernen. So rechnete Louis. Vielleicht war dieses Gefühl der einzige Ausdruck einer beginnenden Zuneigung für seine Frau.
Da er jedoch wenig Erfahrung im Umgang mit Frauen hatte, wußte er es nicht recht anzufangen, Hortense diese heikle Angelegenheit auf zarte, schonende Weise beizubringen. Vielleicht hätte sie, wenn er dabei geschickter vorgegangen wäre, eingesehen, daß er nur in einem achtenswerten Gefühl handelte, um sie selbst vor ähnlichen Fehltritten, wie sie Josephine begangen hatte, zu bewahren. Louis aber ging zu schroff, zu unvermittelt, in seinem Haß gegen Josephine ja sogar roh dabei vor. Er sparte nicht mit beleidigenden Äußerungen, ja mit Schimpfworten und Schmähungen gegen die Schwiegermutter, die Verhaßte. Dachte er nicht daran, daß er Hortense in dem Liebsten, was sie besaß, tödlich verletzte? Er wagte diese Mutter, die sie anbetete, die sie vergötterte, an der kein Makel haften sollte, zu beschmutzen? Konnte er in einem Frauenherzen eine tiefere Wunde schlagen als diese? Wie hätte er sie jemals wieder heilen können? Gebieterisch befahl er Hortense: »Sie sind jetzt eine Bonaparte; die Angelegenheiten der Familie Beauharnais gehen Sie nichts mehr an!«
Diese Taktik Louis' verfehlte vollkommen ihre Wirkung. Hortensie glaubte nicht nur nicht die Aussagen ihres Mannes, sondern sie verabscheute ihn jetzt vom Grunde ihres Herzens aus. Er verscherzte sich für immer ihre Liebe. Sie aber trug ihre Sorgen in sich. Erst zwanzig Jahre später schrieb sie an ihre ehemalige Palastdame, die Gräfin d'Arjuzon: »Das Unglück einer schlecht zusammenpassenden Verbindung zieht alles Elend nach sich.«
Nach wie vor erschien Hortense in Malmaison, den Tuilerien, in Saint-Cloud und in den Schlössern ihrer Schwägerinnen. Nach wie vor nahm sie an den Bällen und Festen des Ersten Konsuls teil und war nach außen hin heiter. Sie ließ sich sogar Schmeicheleien über ihre junge Ehe und ihren Gatten sagen. Jedermann meinte, Hortense und Louis seien sehr glücklich. Josephine selbst ahnte die Wahrheit nicht. Oder wollte sie sie nicht ahnen? Wollte sie sich ein reines Gewissen schaffen und sich einreden, ihr Kind, das sie einem ungeliebten Manne gegeben hatte, sei zufrieden? Auf alle Fälle schrieb sie an ihre Mutter, Frau de La Pagerie auf Martinique, daß sich Hortense und Louis »leidenschaftlich liebten«! Welche Ironie! Und von Lyon aus grüßte sie einst den Schwiegersohn in einem Briefe an Hortense mit den Worten: »Küsse mir Deinen Mann und sage ihm, daß ich ihn wahnsinnig liebe!«
Der junge Ehemann bewies seine »leidenschaftliche« Liebe zu seiner Gattin dadurch, daß er sich wenige Wochen nach der Hochzeit, im Februar, allein auf sein Gut Baillon zurückzog, um, wie er vorgab, es für seinen jungen Haushalt vorrichten zu lassen. Ende des Monats erschien er dann wieder in Paris, aber nur um zu sagen, er müsse zu seinem Regiment nach Joigny. Das alles war reiner Vorwand. Im April besuchte er Hortense für Augenblicke und kehrte so schnell wie möglich wieder in seine Garnison zurück. Von dort aus begab er sich am 8. Mai nach den Bädern von Bagnères-de-Bigorre und nach Barèges. Die Gliederlähmung, die er für Rheumatismus nahm, machte sich von neuem bemerkbar. Er brachte mit seiner Kur sechs Monate zu.
Die politischen Ereignisse, die während dieser Zeit in Frankreich vor sich gingen, berührten ihn nicht im geringsten. Er kümmerte sich weder um die Erblichkeit, noch um das Konsulat auf Lebenszeit noch um irgendwelche Senatsbeschlüsse. An Hortense schrieb er nicht, dafür aber um so mehr an seine Freunde Louis Cuvillier-Fleury und François Mésangère aus Valence. In einem dieser Briefe an den Jugendfreund kennzeichnet Louis selbst seinen seltsamen, schwerverständlichen Charakter zur Genüge. »Deine beiden Briefe bereiten mir Schmerz«, schreibt er, »mein Charakter, der Kummer, den man erleidet, die Lage, in der man sich befindet, haben mir vielleicht ein Ansehen verliehen, das Dich überrascht hat. Es hat jedoch nicht lange angehalten, und Du mußt mir verzeihen ... Du hast meine Lage erraten; sie macht mir oft schlechte Laune. Ist dann mein Herz froh, an einen Freund schreiben zu können, so lassen mich meine griesgrämigen Gedanken in einem traurigen Ton schreiben. Aber nur meine Mutter, Fleury und Du können sich darüber beklagen; den andern zeige ich mein Inneres nicht.«
Er hatte Hortense mit der Gewißheit zurückgelassen, daß sie Mutter würde. Welch traurige Entdeckung! Was in jeder jungen Ehe als namenloses Glück begrüßt wird, erfüllte diese junge Mutter nicht mit Seligkeit. Der Mann, dessen Kind sie unter dem Herzen trug, war ja von ihr geflohen! Sie konnte ihm nicht erzählen, wie glücklich sie war. In rauschenden Festen suchte Hortense Zerstreuung und Vergessenheit ihrer kläglichen Lage. Das hat man ihr bitter vorgeworfen und sie der Leichtfertigkeit geziehen. Am Hofe des Konsuls lebte sie ihr Leben wie früher, schloß doch das kleine Haus in der Rue de la Victoire für sie nur häßliche Erinnerungen in sich. So sehr gehörte sie jetzt wieder zur Familie des Ersten Konsuls, daß die Dienerschaft sie gewohnheitsgemäß immer noch »Mademoiselle Hortense« nannte.
Nach außen hin war Hortense heiter, aber im Innern nagte der Kummer über ihr verfehltes Leben. Niemand konnte sie die Wahrheit sagen, nicht einmal ihrem Bruder Eugen. Was aber Josephine bei der Tochter als den Ausdruck ihres Glücks nahm, bemerkte der Erste Konsul richtigerweise als Deckmantel ihrer Lage. Napoleon fühlte, daß Hortense Komödie spielte. Er sah ihre innere Traurigkeit so gut wie die Leute ihrer Umgebung. Frau von Rémusat schrieb später: »Hortense duldete die Ansprüche ihres Mannes und litt schweigend. Viele Jahre lang verriet sich ihr Leid nur durch eine innere Traurigkeit und durch die Aufreibung ihrer Gesundheit.« Napoleon selbst sagte einmal zu Bourrienne: »Hortenses Ehe ist nicht glücklich; das bekümmert mich, denn ich liebe sie beide.«
Hortense hätte zu ihrem Stiefvater Vertrauen haben und ihm ihr trauriges Herz ausschütten sollen. Aber sie wagte es nicht. »Ich getraute mich nur mit ihm zu sprechen, wenn er das Wort an mich richtete«, gestand sie später, »seine persönliche Größe flößte jedermann Ehrfurcht ein, sogar mir, seiner Tochter!« So konnte Napoleon sie nur im stillen bemitleiden. War er doch teilweise an ihrem Mißgeschick schuld, denn er hatte die Heirat befürwortet, obgleich er den schwerverständlichen Charakter seines Bruders kannte, obgleich er wußte, daß Louis, ein kranker, unzufriedener, mißtrauischer Mensch, nicht zu einer lebenslustigen jungen Frau paßte. Er vermochte Hortense nur dadurch einigermaßen zu entschädigen, daß er sie mit noch größerer Zärtlichkeit und Fürsorge umgab als früher. Ließ sie ihm nicht auch die Hoffnung auf einen Erben? Denn da weder Joseph noch Lucien Söhne hatten, konnte das Kind Louis', wenn es ein Sohn war, zum Nachfolger Napoleons bestimmt werden. Soeben war ja das Konsulat auf Lebenszeit zustande gekommen, das ihm das Recht gab, seinen Nachfolger zu bestimmen. Er war daher sehr glücklich, die liebenswürdige Tochter um sich zu haben. Aus seinen Briefen an Josephine in Plombières geht hervor, wie väterlich er Hortense liebte. Alles, was sie tat, um ihm das Leben ohne Josephine angenehm zu machen, gefiel ihm. Besonders aber lobte er an ihr den feinen Takt, mit dem sie alle ihre Handlungen ausführte.
Böse Zungen legten aber gerade diese Fürsorge des vierunddreißigjährigen Napoleon für die zweiundzwanzigjährige Hortense anders aus. Lucien und Elisa Baciocchi, vor allem aber das Ehepaar Murat, das mit Hortense und Louis gleichzeitig den kirchlichen Segen ihrer Ehe empfangen hatte, trieb der Neid zu den abscheulichsten, oben erwähnten Behauptungen. Sie waren außer sich, das Kind einer Beauharnais gegebenenfalls an der ersten Stelle zu sehen. Bald verbreiteten sich die Gerüchte in der Öffentlichkeit. Englische Zeitungen und Flugschriften hatten nichts Eiligeres zu tun, als sie nachzudrucken. Sie fügten noch hinzu, daß die einige Monate verheiratete Madame Louis Bonaparte im geheimen eines Sohnes genesen und daß der Erste Konsul der Vater sei. Als Napoleon eine so schändliche Schmähung der Frau erfuhr, die beinahe seine Tochter war, fühlte er sich aufs tiefste als Ehrenmann verletzt. Die Beleidigung, die man ihm selbst als Staatsoberhaupt zufügte, spielte in diesem Falle eine weit geringere Rolle. Nur ein Gedanke beherrschte ihn: die Ehre Hortenses, die von alledem nichts ahnte, wieder herzustellen.
Er befahl sofort am 15. August, zu seinem Geburtstag, in Malmaison einen großen Ball mit Theater. Es war ein glänzendes Fest, zu dem sich viele schöne Frauen in prächtigen Toiletten einfanden. Die kleine Schauspielertruppe von Malmaison leistete ihr Bestes. Hortense spielte wie immer die Hauptrolle in einem Lustspiel von Duval. Alle waren entzückt, mit welcher Anmut sie trotz ihres Zustandes ihre Aufgabe löste. Der Erste Konsul war an diesem Abend äußerst vergnügt. Er forderte mehrere Damen zum Kontertanz auf, unter anderen auch Madame Louis. Da sie aber im siebenten Monat guter Hoffnung war, weigerte sie sich, zu tanzen. Außerdem wußte sie nur zu gut, welchen Abscheu Napoleon empfand, schwangere Frauen tanzen zu sehen. Er wurde jedoch immer dringender. Sie sollte durchaus mit ihm tanzen. Endlich gab sie nach. Einige Tage später war sie sehr erstaunt, im »Journal de Paris« ein Gedicht zu lesen, in dem es hieß, Madame Louis habe trotz ihres Zustandes sehr anmutig einen Kontertanz mit dem Ersten Konsul getanzt.
Hortense ahnte den wahren Grund der Angelegenheit nicht. Sie war empört, daß man sie zum Gespött machte und ihren Zustand an die Öffentlichkeit zerrte. Um sich darüber Aufschluß zu holen, lief sie zu Bourrienne. Dieser verhehlte ihr nicht, daß die Verse auf Befehl des Ersten Konsuls gedruckt worden waren, ja, daß der ganze Ball nur veranstaltet worden sei, um der Welt zu beweisen, wie unbegründet die Gerüchte wären, die Frankreichs Feinde über den Ersten Konsul ausstreuten.
Als dann die Geburt des kleinen Napoleon Louis Charles am 10. Oktober 1802 wirklich erfolgte, wurde sie im Moniteur vom 21. Vendémiaire öffentlich bekannt gegeben. Es war das erste Mal, daß das Regierungsblatt eine private Angelegenheit der engeren Familie des Ersten Konsuls zur Kenntnis brachte. Dieses erste Kind Hortenses kam in dem Hause der Sängerin Dervieux, das Napoleon damals für seinen Bruder und Hortense erworben hatte, zur Welt.
Mitte September noch weilte Louis zur Kur in Barèges. Acht Monate war er bereits von seiner jungen Gattin abwesend, die einer schweren Stunde entgegensah. Und hätte Napoleon es ihm nicht ausdrücklich befohlen, er wäre gewiß nicht zur Geburt des Sohnes zurückgekehrt. Welches Feld aber hätte die Abwesenheit des Vaters den Verleumdungen offen gelassen? So war Louis doch Ende September wieder in Paris.
Es schien, als wenn das Kind die beiden Gatten ein wenig näher brächte. Louis liebte seinen Sohn. Würde er das gekonnt haben, wenn er Zweifel wegen seiner Vaterschaft gehegt hätte? Seinem Charakter nach zu urteilen, wäre es ihm gewiß unmöglich gewesen, ja er hätte in diesem Falle sicher einen öffentlichen Skandal herbeigeführt.
Jetzt wäre für Hortense die Gelegenheit günstig gewesen, Louis' Neigung auch für sich zu gewinnen. Aber sie ließ diesen Augenblick vorübergehen, denn in ihrem tiefsten Innern fühlte sie sich verletzt, daß ihr Mann sich in den ersten Monaten ihrer Ehe so wenig um sie gekümmert hatte.
Der kleine Napoleon Charles wurde ihre einzige Sorge, der Gegenstand ihrer ganzen Liebe und Zärtlichkeit. Hortense war ganz Mutter und betrachtete die Erziehung ihrer Kinder als ihre höchste Pflicht. Auch als Königin war sie es immer, die für die geistige und leibliche Pflege ihrer Söhne Sorge trug. Sie wollte, daß sie zu gesunden und starken Menschen heranwüchsen, nicht wie Prinzen verweichlicht würden.
Immer waren die Kinder um die Mutter herum. Jede freie Minute widmete sie ihnen. Sogar wenn sie sich ankleidete, waren sie bei ihr. Kämmte der Friseur ihr wundervolles Haar, dessen schwere aschblonde Massen er über eine Stuhllehne hängen mußte, damit sie sich nicht verwirrten, so krochen Hortenses kleine Söhne vergnügt unter diesem goldenen Dach hinweg, zum großen Ärger des Haarkünstlers, der auf diese Weise keine richtige Frisur zustande brachte. Aber Hortense war glücklich, die Kinder um sich herum spielen zu sehen. Ging sie aus, dann trugen sie ihr wie zwei kleine königliche Pagen die Handschuhe und den Schal bis an den Wagen. Mitunter faßten sie auch mit den kleinen Händen die Schleppe der Mutter.
Den Ersten Konsul erfüllte die Geburt des ersten Sohnes Hortenses mit Freuden. Nun hatte er einen Erben, und die Frage der Nachfolgerschaft war somit gelöst. Er brauchte sich nicht von seiner geliebten Josephine scheiden zu lassen. Auch sie war glücklich. Sie konnte jetzt ruhig in die Zukunft blicken; ihr Platz an der Seite Napoleons war gesichert.
Louis selbst interessierte sich für den Fortschritt seines Söhnchens. Eifersüchtig wachte er darüber, daß die Beauharnais keinen Einfluß auf die Erziehung des Kindes gewännen. Nie wäre er einverstanden gewesen, daß Napoleon den Kleinen adoptiert hätte, wie er eine Zeitlang beabsichtigte. Gegen Hortense schien Louis mehr gleichgültig als feindlich gesinnt zu sein. Geduldig saß er ihr Modell zu einer Zeichnung, die sie von ihm in der Oberstuniform seines Regiments machte. Im übrigen führte er das Leben eines Kranken. Er verbrachte einen großen Teil des Tages in seinem Schlafzimmer, das damals von dem seiner Frau durch ein Stockwerk getrennt war. Hier lebte er, mit seinen Büchern und der Pflege seines kranken Körpers beschäftigt. Gestattete es ihm sein Zustand, dann besuchte er wissenschaftliche Vorträge und ließ seine Krankheit durch Elektrizität behandeln, Versuche, die so gewagt waren, daß sie selbst die Männer vom Fach erstaunten.
Ende November hatte er die Absicht, den nahenden Winter im Süden zu verbringen. Diesen Plan gab er jedoch bald auf, da er es für notwendig hielt, sich zu seinem Regiment nach Joigny zu begeben. Dort hatte ihm der Dr. Corvisart eine Traubenkur verordnet, die seiner Gesundheit förderlich sein sollte. Louis konnte aber weder die Reise unternehmen noch die Kur gebrauchen, da er viel zu schwach war. In Ermangelung dessen versuchte er alle möglichen anderen Mittel gegen seine Lähmung. Unter all den Quacksalbereien, die er anwendete, fanden sich gar seltsame Kuren, wie Bäder in tierischen Eingeweiden und das Tragen von Hemden eines Krätzekranken. Auch ließ er sich in Bettücher einhüllen, in denen vorher ein solcher Kranker gelegen hatte. Man sagt sogar, er habe Hortense gezwungen, dieses Lager mit ihm zu teilen, um zu sehen, ob sie eines Opfers für ihn fähig wäre!
Erst im März 1803 gestattete es ihm sein Zustand, sich nach Montpellier zu begeben, um dort die berühmten Männer der Wissenschaft zu Rate zu ziehen. Sie konnten ihm keine Heilung verschaffen. Nicht einmal Milderung brachte ihm die sechsmonatige Kur.
Aufs neue war Hortense sich selbst überlassen, diesmal mit einem Kinde. Wieder verbrachte sie die meiste Zeit am Konsularhofe. Das öde Schloß Baillon hatte Louis glücklicherweise an Napoleon für 90.000 Franken verkauft, sonst hätte er gewiß seine Frau gezwungen, ihr Leben dort zu fristen. Zur Freude aller entwickelte sich ihr kleiner Sohn prächtig. Napoleon besonders liebte das reizende Kind über alles. Er spielte und scherzte mit ihm wie später mit dem König von Rom. Als das Kind sprechen konnte, nannte es seinen Onkel »Oncle Bibiche«. Diesen Kosenamen verdankte Napoleon dem Umstande, daß er öfter mit seinem Neffen die jungen Rehe (biches) und Gazellen im Parke von Saint-Cloud fütterte. Man hörte den Kaiser fröhlich lachen, wenn er den Knirps mit seinem Hut auf dem Kopfe herumstolzieren sah. Kam der Kleine auf seinen täglichen Spaziergängen mit der Erzieherin an den Grenadieren der Garde vorbei, so rief er ihnen mit dem dünnen Kinderstimmchen zu: »Vive Nonon le soldat!« (Vive Napoléon, le soldat!). Und die alten Schnauzbarte verfehlten nie, in diese Aufforderung einzustimmen.
Inzwischen war man der Zeit immer näher gekommen, da aus dem Ersten Konsul der Kaiser der Franzosen wurde. Louis war während der zwei Jahre seiner Verheiratung fast immer von Hortense abwesend gewesen. Meist hielt er sich in Bädern, oder bei seinem Regiment auf. Er schien sich gar nicht zu erinnern, daß er eine Frau hatte. Weder in den Briefen an seine Freunde noch an die Mitglieder seiner Familie findet man Hortenses Namen erwähnt. Und dennoch wurde dieser seltsame Mensch von einer Art Eifersucht geplagt. Die geringsten Verdächtigungen seiner Frau, die ihm durch lose Zungen zu Ohren kamen, versetzten ihn in die wahnsinnigste Wut. Unbarmherzig ließ er seinen grundlosen Zorn an Hortense aus. Tyrannisch beobachtete er auch in der Ferne alle ihre Handlungen, eine jede ihrer Bewegungen. Er verbot ihr sozusagen alles. Sie durfte weder zu oft nach Saint-Cloud noch zu Lucien nach Plessis-Chamant gehen. Vor allem sollte sie nie die Nacht unter dem Dache ihres Vaters zubringen. Nur Mortefontaine, Josephs Schloß, schien dem Mißtrauischen ungefährlich. Er verbot Hortense jedes Vergnügen, jede Freundschaft, selbst die mit Frauen. War er in Paris, dann öffnete er ihre Briefe, horchte an den Türen, dingte die Diener zu Spionen. Auf diese Weise kamen Gerüchte in die Öffentlichkeit, die nicht allein durch die neugierige und geschwätzige Dienerschaft aufgebauscht waren, sondern aller Begründung entbehrten.
Ferner beschuldigte er Hortense, sie verschwöre sich mit Josephine und Napoleon gegen ihn, weil sie sich zugunsten der Adoption ihres Sohnes ausgesprochen hatte. »Wenn Sie fortfahren, die Interessen Ihrer Mutter auf Kosten der meinigen zu verfolgen«, drohte er, »so erkläre ich Ihnen, daß Sie dies einst bereuen werden. Ich werde Sie von Ihrem Sohne trennen, Sie in irgendeinen unbekannten Ort einkerkern lassen, woraus Sie keine menschliche Gewalt wird erretten können. Dann werden Sie Ihre Nachgiebigkeit gegen Ihre eigene Familie mit dem Unglück Ihres ganzen Lebens bezahlen. Hüten Sie sich aber, daß irgendeine meiner Drohungen zu den Ohren meines Bruders komme! Seine Macht wird Sie nicht vor meinem Zorne schützen!« Und das sagte er zu einer Frau, die sich zum zweiten Male Mutter fühlte. Sein krankhaftes Mißtrauen trieb ihn zum Äußersten. Sah er doch sogar darin einen Betrug, wenn Hortense sich liebenswürdig und entgegenkommend zeigte. Dann meinte er, sie wolle durch Katzenfreundlichkeit irgendeine Untreue desto besser vor ihm verbergen. Die junge Frau war nur noch ein mechanisches Wesen. Sie tat alles, was der tyrannische Gatte von ihr verlangte. Keine Klage kam aus ihrem Munde. Aber von Tag zu Tag wurde sie blasser und magerer. Die Jugendfrische, eigentlich der größte Reiz ihres Gesichts, verschwand von den Wangen, und ihre natürliche Fröhlichkeit machte einer tiefen Traurigkeit Platz. Alle, die sie kannten, gewahrten die Veränderung, nur Louis schien gleichgültig dafür zu sein.
Trotzalledem zeigte eich Napoleons Vorliebe für diesen Bruder in einer jeden seiner Handlungen. Ende des Jahres 1803 bereits hatte er ihm den Titel eines Brigadegenerals angeboten. Der ehrliche Louis aber hatte ihn ausgeschlagen. Er wollte ihn nur annehmen, wenn er das Kommando seines Regiments behalten könnte. Auch darin machte der Erste Konsul mit ihm eine Ausnahme und überließ ihm, kurz ehe er den Thron bestieg, am 24. März 1804 den Befehl über das 5. Dragonerregiment mit dem Titel eines Brigadegenerals und 30.000 Franken Gehalt. Kaum einen Monat später, am 10. April, wurde Louis Divisionsgeneral. Außerdem wählte man ihn in den Staatsrat, und zwar in die gesetzgebende Abteilung. Nach der Errichtung des Kaiserreichs erhielt er wie die andern Mitglieder der Familie den Titel »Kaiserliche Hoheit«. Ihm und seinen männlichen Nachkommen wurde das Recht auf die Thronfolge zugesprochen. Gleichzeitig ernannte ihn sein Bruder zum Konnetabel von Frankreich mit einem Einkommen von 333.333 Franken. Diese Würde war seit dem späten Mittelalter nicht mehr unter den französischen Königen verliehen worden. Endlich machte ihn der Kaiser noch im Juli 1804 zum Generaloberst der Karabiniers.
Am meisten aber kam Napoleons Gerechtigkeit und Fürsorge für Louis, der ihm von Jugend auf ans Herz gewachsen war, in den Gesprächen zur Geltung, die er kurz vor seiner Thronbesteigung mit dem Staatsrat Roederer und Stanislas Girardin hinsichtlich der erblichen Staatswürde pflegte. Zu Roederer sagte er damals, als dieser ihm verschiedene Namen nannte, deren Träger als Nachfolger in Betracht kamen: »Sie erwähnen mit keinem Wort meinen Bruder Louis? Warum diese Ungerechtigkeit gegen ihn? Er hat mir mehr Dienste geleistet als die andern.« Und zu Girardin äußerte er: »Wir brauchen uns nicht mehr den Kopf wegen eines Nachfolgers zu zerbrechen. Ich habe einen gefunden: Louis! Er hat keinen der Fehler seiner Brüder, besitzt aber dafür alle guten Eigenschaften.« Mit einem Wort: wo sich die Gelegenheit bot, sprach Napoleon nur lobend von seinem Bruder Louis.
Wenige Monate vor der Krönung, am 11. Oktober 1804, gebar Hortense ihren zweiten Sohn Napoleon Louis und konnte dann, völlig hergestellt, an den Feierlichkeiten teilnehmen. Es war für sie eine große Genugtuung den übrigen Bonapartes gegenüber, daß Napoleon ihre Mutter ebenfalls krönte. Louis freilich sah diesen Triumph der Beauharnais mit scheelem Auge. Als Konnetabel des Reichs trug er die Schleppe des Purpurmantels des Kaisers, ohne jedoch diese Auszeichnung besonders zu würdigen. Auch daß ihm der Kaiser im Jahre 1805 die italienische Krone zugunsten seines ältesten Sohnes vorschlug, berührte Louis nicht. Sein ganzes Interesse galt den Wissenschaften und Künsten; vielleicht interessierte ihn außerdem noch der Verkauf von Häusern und Schlössern, denn er war fortwährend damit beschäftigt, alte gegen neue einzutauschen. Im Jahre der Krönung verkaufte er sein Haus in der Rue de la Victoire und erwarb dafür das schöne Hotel Saint-Julien in der Rue Cerutti, jetzt Rue Laffitte. Wenige Wochen später wurde er Eigentümer der großen Besitzung Saint-Leu, die fünf Stunden von Paris in dem reizenden Tale von Montmorency gelegen ist. Alle diese Wohnstätten stattete er mit dem größten Reichtum und den wertvollsten Kunstgegenständen aus. In dieser Beziehung gab er seinen verschwenderischen Brüdern und Schwestern nichts nach. Wie sie liebte er die Pracht, nur wußte er in allem, was er tat, mehr Maß zu halten als sie.
Schon seine schwächliche Körperbeschaffenheit hielt ihn davon ab, ein allzu genußsüchtiges, ausschweifendes Leben zu führen. Auf welchem Posten er sich auch befinden mochte, immer war er auf seine Gesundheit bedacht. Als der Kaiser die längst geplante Landung in England zur Ausführung bringen wollte, übergab er Louis das Kommando über die Reservearmee. Der junge Befehlshaber schlug anfangs sein Hauptquartier in Lille auf, da aber nicht weit von dieser Stadt sich das Schwefelbad Saint-Amand befindet, so lenkte der Kranke bald darauf seine Schritte nach der berühmten Heilquelle. Er hoffte auf Besserung seiner jetzt fast ganz gekrümmten rechten Hand. Ein Jahr vorher hatte er es mit den Bädern von Plombières versucht, aber sein Zustand hatte sich dort eher verschlimmert als gebessert.
Nach Saint-Amand ließ er auch Hortense und seinen ältesten Sohn kommen. Für sie wäre es gewiß ein öder Aufenthalt gewesen, wenn sie nicht täglich den Kaiser in dem nahen Pont-de-Briques besucht hätte. Eine Zeitlang wohnte sie sogar in Boulogne im Hause Karolines, die ebenfalls mit ihrem Gatten dort war.
Aber die Landung in England scheiterte, und der Feldzug in Deutschland begann. Der Kaiser glaubte während seiner Abwesenheit den Kommandantenposten von Paris niemand anderem anvertrauen zu können als Louis. Es war ein sehr verantwortungsreiches Amt, das Louis an Stelle Murats übernahm. Dieser war zum Marschall ernannt worden und befehligte im Feldzug gegen Österreich die Reserve. Der Kommandant von Paris hatte nicht allein einen Teil der Kaisergarde, die Pariser Nationalgarde und die Nationalgarde der Städte der ersten Division unter seinen Befehlen, sondern er kommandierte auch die Pariser Munizipalgarde und alle anderen Truppen der ersten Division. Damals leistete Louis alles, was man von einem gewissenhaften, pflichtgetreuen Menschen erwarten kann. Ohne viel Aufhebens, ohne viel von sich reden zu machen, erfüllte er seine Aufgabe zur größten Zufriedenheit des Kaisers. In wenigen Wochen gelang es ihm, unter der Anleitung Napoleons die Nordarmee zu bilden, die den Norden Frankreichs und Holland vor dem Einfall der Engländer schützen sollte. Alle Schwierigkeiten, die der Ministerrat für unüberwindlich erklärte, räumte Louis durch kluge Umsicht aus dem Wege. Täglich erstattete er seinem kaiserlichen Bruder über die Fortschritte dieses Heeres Bericht. Dabei ging er mit unermüdlicher Ausdauer auf die geringsten Einzelheiten ein. Der großen Armee schickte er fortwährend Verstärkungen. Leichtfertigkeit oder Pflichtvergessenheit, wie sie Jérôme bei jeder Gelegenheit zeigte, kann man Louis gewiß nicht vorwerfen. Napoleon wußte das sehr wohl. Deshalb war er stets des Lobes voll, wenn das Gespräch auf diesen Bruder kam. Nicht nur in seinen Briefen erkannte er Louis' Tätigkeit und kluges Handeln an, sondern er ließ ihn auch öffentlich in einem Kriegsbulletin das größte Lob zuteil werden. Louis hatte das um so mehr verdient, als er ganz und gar keine Neigung zu einem Beruf zeigte, der ihm nur Widerwillen einflößen mußte.
Nach dem Frieden von Preßburg ging der junge Kommandant von Paris dem kaiserlichen Sieger bis Straßburg entgegen. Aber Napoleon empfing ihn kalt. Er war ärgerlich, daß Louis, sobald der Sieg von Austerlitz bekannt geworden war, die zur Verstärkung der holländischen Divisionen gesandten Pariser Truppen wieder nach der Hauptstadt zurückmarschieren hatte lassen. Louis hingegen glaubte als Kommandant recht zu handeln, wenn bei der Rückkehr des Kaisers die Truppen der Hauptstadt auf ihren Posten wären.
Ein weiterer Grund zu seinem schnellen Rückmarsch waren die Gerüchte, die ihm während seines Aufenthaltes in Holland zu Ohren gekommen waren. Man raunte sich zu, die Stadthouderregierung solle eine Veränderung erfahren und der Prinz Louis zum König von Holland erhoben werden. Für Louis war das Grund genug, das Land so schnell wie möglich zu verlassen. In seinem gerechten Sinn sagte er damals in Straßburg zu seinem Bruder: »Solche Gerüchte sind diesem freien und achtenswerten Volke nicht angenehm und gefallen auch mir nicht.«
Er mußte sich jedoch bald überzeugen, wie sehr sie begründet waren. Napoleon fragte ihn gar nicht darum, ob er König sein wollte oder nicht, und der schwache Louis konnte sich dem Throne ebensowenig entziehen wie früher der Heirat mit Hortense. Es widersprach vollkommen seinem Charakter, ernstlichen Widerstand zu leisten. Der große Menschenkenner Goethe sagte von dem Exkönig, als er ihn im November 1810 in Teplitz gesehen hatte: »Ludwig ist die geborene Güte und Leutseligkeit, sowie sein Bruder die geborene Macht und Gewalt ist. Sonderbar überhaupt sind die Eigenschaften unter diesen Brüdern gemischt und verteilt, die doch als Zweige einer und derselben Familie angehören... Milde und Herzensgüte bezeichnen jeden seiner Schritte... Er ist einer der sanftmütigsten, friedfertigsten Charaktere, die ich im Laufe meines Lebens kennen lernte...«
Daraus erklärt sich, daß Louis alles, was man von ihm verlangte, fügsam tat, ohne gerade Interesse für eine Sache zu zeigen. So bestieg er auch den holländischen Thron ohne Ehrgeiz, ohne Stolz und ohne Eifer. Napoleon befahl es ihm, und er gehorchte. Er machte zwar einige schwache Versuche, sich der Königswürde zu entziehen, aber die Gründe, die er anführte, waren nicht stichhaltig. Auch jetzt wieder stellte er seine Gesundheit in den Vordergrund, Er meinte, das holländische Klima wäre ihm nicht zuträglich. Darauf ließ sich Napoleon natürlich gar nicht ein. Es sei besser, erwiderte er, auf einem Throne zu sterben, denn als französischer Prinz zu leben. Es hieß also gehorchen! Louis tat es mit der gewohnten Ergebenheit. »Mein Leben und mein Wille gehören Ihnen, Sire«, sagte er, »ich werde in Holland regieren, da es das Volk wünscht und Eure Majestät es befehlen.« Sich selbst legte er das Gelübde ab, die Wahl seiner Untertanen zu rechtfertigen und ihnen ein milder Fürst zu sein.
Am 5. Juni 1806 wurde er zum König von Holland ausgerufen. Napoleon selbst gab zu, daß sein Bruder mit der Thronbesteigung einen uneigennützigen Schritt getan hatte. In der Botschaft des Kaisers an den Senat war ausdrücklich bemerkt: »Der Prinz Louis, den keinerlei persönlicher Ehrgeiz beherrscht, hat uns einen Beweis seiner Zuneigung und der Achtung für das holländische Volk gegeben. Er nimmt diesen Thron an, der ihm so große Verpflichtungen auferlegt!«
Am 18. Juni hielt der neue König mit seiner Familie Einzug in seine Residenz im Haag. Obgleich gezwungenermaßen, bestieg Louis den Thron mit den besten, edelsten Absichten eines gerechten Menschen. Sicher war es keine leichte Aufgabe, es mit einem Volke aufzunehmen, das gar nicht nach einem Herrscher verlangte, sondern dessen aufgedrungene Person mit bösen Blicken betrachtete. Nur Louis' ehrliches, einfaches Auftreten versöhnte die Holländer mit diesem Gebieter. Besonderen Eindruck machte es auf sie, daß der neue König auf seiner Reise nach dem Haag die französische Bedeckung ausgeschlagen hatte und nur von seinen Untertanen begleitet sein wollte. Auch die Abschiedsworte, die er zu Napoleon sprach, wurden bald im Lande bekannt und schufen ihm viele Freunde. »Ich will nach meinem eigenen Willen regieren«, hatte er gesagt. »Gewähren Sie mir dies oder lassen Sie mich hier bleiben. Ich will kein Land beherrschen, das mich nur durch das Unglück kennen lernen würde.«
Als der König dann von seinem Reiche Besitz ergriffen hatte, äußerte er zu den Abgeordneten der Hoogmogenden: »Seien Sie überzeugt, daß ich von dem Augenblick an, da ich den Fuß auf den Boden des Königreichs setzte, Holländer geworden bin.« Alle diese Beweise seiner redlichen Absichten schmolzen die dicke Eisschicht, die sich anfangs um die Herzen seiner Untertanen gelagert hatte. Als sie sahen, daß es dem König ernst um seine Versprechungen war, daß er alles tat, um die Verhältnisse, besonders die zerrütteten Finanzen zu bessern, kurz sein Volk zufrieden und glücklich zu machen, da strömten ihm alle Herzen zu.
Louis wurde ganz Holländer. Er umgab sich fast ausschließlich mit Leuten des Landes, biederen Männern von Verdienst. Er wollte auch, daß die holländische Sprache wieder zu Ansehen käme und in den vornehmen Salons gesprochen würde, wo sie durch die französische verdrängt worden war. Von Anfang an nahm er seine Rolle als Herrscher ernst. Wäre er ein wenig weitblickender gewesen, seine Regierung würde sicher eine der segensreichsten in der Geschichte Hollands gewesen sein.
Anfangs suchte Louis auch im Sinne des französischen Kaisers zu handeln. Bald aber mußte er sich überzeugen, wie schwer es war, die Interessen Napoleons mit denen des Landes zu, vereinigen, das ihm anvertraut war. Es lasteten ungeheure Kriegssteuern auf Holland. Der Kaiser war aber hinsichtlich der Bezahlung derselben ebenso unerbittlich wie gegen Westfalen. Dort wie hier waren die Kassen leer. Der einst blühende Handel und Fischfang Hollands lagen darnieder, und das Land war durch die Kriegsjahre am Ende des 18. Jahrhunderts verödet.
Dem allen sollte der neue König abhelfen, ohne daß ihm irgendwelche Hilfsquellen zur Verfügung standen. Denn Napoleon hatte durchaus keine Lust, den Bankier seiner Brüder zu spielen. Sie sollten alles aus ihren Ländern selbst ziehen. Für Louis war das ganz unmöglich. Abgesehen davon, daß die Holländer sich zu der ungeheuren Bürde der alten Steuern keine neuen aufdrücken lassen wollten, war der König ein viel zu gerechter und gütiger Mensch, als daß er es über sich gewonnen hätte, sein Volk auszusaugen. Das einzige, was er tun konnte, war, Napoleon seine klägliche Lage zu schildern und ihn um Unterstützung zu bitten. Der Kaiser aber war anderer Meinung. Gleich anfangs mußte sich Louis durch die Antworten seines Bruders überzeugen, daß er von dieser Seite nichts zu erwarten hatte. »Die Forderungen, die Ihr Finanzminister an meinen Staatsschatz stellt«, schrieb Napoleon, »sind verjährt. Meine Ausgaben sind gemacht, und ich bin durchaus nicht in der Lage, Ihnen zu helfen, wie ich möchte.« Das nächste Mal aber wurde er schon deutlicher: »Sie müssen Ihrem Rate jede Hoffnung nehmen, daß ich Ihnen Geld schicke«, hieß es; »ich habe keins und kann selbst nur mit Mühe meine eigenen ungeheuren Ausgaben bestreiten.« Beklagte sich Louis aber, daß der Kaiser zu viele Truppen von ihm verlange, so erwiderte Napoleon: »Ihr Königreich ist mir heute noch weniger als früher von Nutzen. Sie sollten mir wenigstens 20.000 Mann liefern. Auch regieren Sie Ihr Land viel zu mild. Ich muß ganz allein alle Kriegskosten auf mich nehmen. Sie stellen mir nur die Hälfte der Truppen, die mir der König von Württemberg liefert. Sie haben Ihre Armee nicht nur organisiert, damit sie Schweden die Stirn biete. Das alles ist schlecht verwaltet. Ein Königreich kann nur dann gut verwaltet sein, wenn es mit Energie geschieht. Aber alle Ihre Maßnahmen tragen den Stempel einer außerordentlichen Gutmütigkeit.«
Dazu kam, daß Louis seine Soldaten unter die Befehle eines französischen Marschalls stellen sollte, denn der Kaiser hielt seinen Bruder nicht für fähig, ein Heer zu befehligen. So ungern Louis Kriegsdienste tat, so sehr fühlte er sich doch durch eine solche Maßnahme in seiner Eitelkeit verletzt.
Es mußte daher wohl oder übel zwischen beiden Brüdern ein Mißverhältnis entstehen, das sie bald vollständig entfremdete. Das Maß der Verzweiflung Louis' aber wurde voll, als der Kaiser der Franzosen am 21. November 1806 von Berlin aus jenes berühmte Dekret erließ, das England in den Blokadezustand erklärte. Es untersagte jede Beziehung und jeden Handel mit dem britischen Reiche. Dem Verbote folgte die strengste Ausführung. Sogleich traf Napoleon die nötigen Maßnahmen zur Kontinentalsperre.
Ein solches Vorgehen mußte nicht allein ein Land zugrunde richten, das wie Holland vom Handel lebte, sondern es mußte auch fortwährende Streitigkeiten mit Frankreich herbeiführen. Umsonst wandte sich Louis an seinen mächtigen Bruder, damit er wenigstens die schärfsten Gesetze der Kontinentalsperre zugunsten Hollands mildere. Napoleon konnte mit einem einzigen Lande keine Ausnahme machen. Sein Ziel war, den Erbfeind durch Abschneidung der Existenzmittel aufzureiben! Dies zu erreichen, galt es, jede Rücksicht auf ein anderes Land beiseite zu lassen. Louis hingegen behielt immer das Wohl seines eigenen Volkes im Auge. Trotz des Verbotes blieb Holland nach wie vor in Handelsbeziehungen mit England. Durch persönliche Güte gegen seine Untertanen suchte der König die traurigen Verhältnisse so viel wie möglich zu mildern. Die Holländer wußten ihm Dank für dieses Streben und ehrten ihn. Freilich war er schließlich doch gezwungen, ihnen neue Steuern aufzuerlegen, aber er tat es schweren Herzens.
So mild und fürsorglich Louis als Herrscher war, so tyrannisch zeigte er sich im Kreise seiner Familie. Die Sorgen und Regierungsgeschäfte hatten ihn noch mehr verbittert als er früher war, und diese Stimmung machte sich besonders in seinem Eheleben bemerkbar, wenn man überhaupt von einem solchen zwischen ihm und Hortense reden kann. Er war rücksichtslos, hart, ja oft grausam gegen die Königin. Sein Mißtrauen überschritt alle Begriffe. Es entsprang jedoch weit mehr dem Gedanken, daß diese Frau, die ihm aufgedrungen worden war, seinem Namen Unehre machen könne, als der Eifersucht. Er wußte, daß Hortense ihn nicht liebte, er hat auch niemals um ihre Liebe geworben. Er haßte sie und behandelte sie wie eine Feindin, um so mehr, da er in eine schöne Holländerin, Frau Huyghens, eine der Hofdamen, verliebt war. Sie war die Gattin des holländischen Gesandten in Dänemark. Im Frühjahr 1807 war das Verhältnis der beiden Gatten so zugespitzt, daß Napoleon sich veranlaßt fühlte, ein Wort mit dreinzureden. Er schrieb seinem Bruder am 4. April von Finckenstein aus:
»... Sie überhäufen Menschen mit Wohltaten, die sie gar nicht verdienen. Sie handeln viel zu schnell und ohne jemand zu Rate zu ziehen. Wie oft habe ich mich Ihnen angeboten, aber Sie antworten mir stets mit schönen Redensarten und lassen sich in Ihren Dummheiten nicht stören.
Auch Ihre Zwistigkeiten mit der Königin dringen ins Volk. Wenn Sie doch lieber in Ihrer Häuslichkeit jenes väterliche und sanftmütig-weibische Wesen hätten, das Sie als Regent an den Tag legen, und in Geschäften jene Strenge bewiesen, die Sie in Ihrer Familie kundtun! Sie behandeln eine junge Frau wie ein Regiment Soldaten. Mißtrauen Sie den Personen, mit denen Sie umgeben sind: es sind nur Adlige! Die Meinung dieser Leute steht immer im umgekehrten Verhältnis zu der des Volkes. Nehmen Sie sich in acht! Schon sind Sie in Rotterdam und Amsterdam nicht mehr beliebt ... Sie haben die beste und tugendhafteste Frau und machen sie unglücklich. Lassen Sie sie doch tanzen so viel sie will; das ist das Recht ihrer Jugend. Ich habe eine Frau, die vierzig Jahre alt ist, aber vom Schlachtfeld aus schreibe ich ihr, daß sie so viele Bälle als möglich besuchen soll. Und Sie wollen, daß eine Zwanzigjährige, die ihr Leben dahinschwinden sieht, und noch alle Illusionen der Jugend besitzt, wie in einem Kloster lebt und wie eine Amme sich immer nur mit ihren Kindern beschäftigt? Sie fühlen sich in Ihrer Familie zu sehr und in Ihrer Verwaltung zu wenig als Herr. Das alles sage ich Ihnen nur, weil ich Interesse an Ihnen nehme. Machen Sie die Mutter Ihrer Kinder glücklich! Dafür aber gibt es nur ein Mittel: ihr große Achtung und viel Vertrauen entgegenbringen. Unglücklicherweise haben Sie eine allzu tugendhafte Frau. Wäre sie eine Kokette, sie hätte Sie schon längst an der Nase herumgeführt. Aber Sie haben auch eine stolze Frau. Schon der Gedanke, daß Sie eine schlechte Meinung von ihr haben könnten, betrübt und empört sie. Sie müßten eine Frau haben, wie es deren viele in Paris gibt. Eine solche hätte Sie nach allen Regeln der Kunst betrogen, und Sie wären ihr dennoch zu Füßen gefallen. Ich kann nicht dafür, das habe ich schon oft zu Ihrer Frau gesagt.«
Mit diesem Brief erreichte Napoleon natürlich gar nichts. Die Liebe läßt sich nicht befehlen. Seine Ermahnungen trugen keine anderen Früchte, als daß Louis sich nur weiter von Hortense entfernte. Mußte er nicht eine schreckliche Bitterkeit empfinden, daß er überall, sowohl in der Politik als auch in seinem Privatleben die Eisenhand des Bruders fühlte? Hortenses Geschick verschlimmerte sich dadurch nur. Sie führte das traurigste Leben, fortwährend den Launen ihres Gatten ausgesetzt. Ihr einziger Trost waren ihre Kinder, denen sie wahrhaft eine Mutter war.
Da trat ein Ereignis ein, das diese beiden Menschen, die sich so wenig verstanden, für kurze Augenblicke ihres Lebens etwas näher brachte. Am 5. Mai 1807 starb im Haag an der Bräune der von beiden über alles geliebte Napoléon Charles, ihr ältester Sohn, der Sonnenschein des Hauses. Der Schmerz der Eltern war ungeheuer. Hortense war untröstlich und konnte sich lange Zeit nicht von diesem Schlag erholen. Tagelang lag sie fiebernd im Bett und schrie von Zeit zu Zeit laut nach ihrem toten Kinde. Dann verfiel sie wieder in starre Ruhe oder in stilles Weinen. Louis vergaß für Augenblicke den Haß gegen diese Frau, die so unendlich unter dem Verluste ihres Sohnes litt. Er pflegte sie aus Mitleid. In seiner Brust aber nagte fortwährend das Mißtrauen. In seiner ungeschickten Weise glaubte er jetzt die beste Gelegenheit zu haben, um der Schwerkranken das Geständnis ihrer Fehltritte zu entreißen. »Gestehen Sie mir Ihre Schwächen, ich will Ihnen alles verzeihen, und wir wollen ein neues Leben beginnen«, sagte er eines Abends zu ihr, als er an ihrem Bette saß. Die Königin antwortete ihm mit der feierlichen Überzeugung und Wahrheit einer Schwerkranken, daß sie ihm nie, nicht einmal in Gedanken untreu gewesen sei. Damit aber gab sich Louis nicht zufrieden. Hortense mußte es ihm bei Gott schwören. Erschöpft sank darauf die Kranke in die Kissen und verlor das Bewußtsein.
Als sie genesen war, lagerte tiefe Traurigkeit auf ihren Zügen. Ihr Schmerz war so groß, daß sie darüber alle anderen Menschen vergaß, die ihr nahe standen. Sie hatte für nichts mehr Interesse; sie antwortete nicht einmal dem Kaiser auf seine Beileidsbriefe. Napoleon hatte der Tod des geliebten Kindes, das er als seinen mutmaßlichen Erben betrachtete, gleichfalls tief erschüttert, aber als Mann der Tat glaubte er die Tochter aus ihrer geistigen Erschlaffung durch starke Worte aufraffen zu müssen. Von Danzig aus schrieb er ihr am 2. Juni 1807: »Meine Tochter, in Ihrem gerechten und großen Schmerze haben Sie mir noch nicht ein einziges Mal geschrieben. Sie haben über diesen ersten Verlust alles vergessen. Man sagt, Sie hätten an nichts mehr Gefallen, seien gegen alle gleichgültig. Das ist nicht schön, Hortense! Sie versprachen uns etwas ganz anderes. Ihr Sohn war Ihnen alles. Ihre Mutter und ich sind Ihnen also nichts? Wäre ich in Malmaison gewesen, so würde ich Ihren Kummer mit Ihnen geteilt haben. Aber ich würde auch verlangt haben, daß Sie sich wieder Ihren besten Freunden widmeten. Leben Sie wohl, meine Tochter. Seien Sie wieder fröhlich. Man muß sich fügen. Bleiben Sie gesund, damit Sie allen Ihren Pflichten nachkommen können. Meine Frau ist über Ihren Zustand ganz traurig. Machen Sie ihr doch keinen Kummer mehr.« Und am 16. Juni, als er den großen Sieg bei Friedland davongetragen hatte, ermahnte er die Tochter aufs neue durch die Worte: »Ihr Schmerz berührt mich tief, doch wünschte ich, Sie besäßen etwas mehr Mut. Leben heißt leiden, aber der ehrliche Mensch kämpft beständig, um schließlich doch Herr über sich selbst zu bleiben.«
Eine solche Natur war nun Hortense nicht; sie litt ohne zu kämpfen. Ein wenig Trost fand sie in der Zusammenkunft mit ihrer Mutter in Laeken. Später begleitete Hortense die Kaiserin für kurze Zeit nach Malmaison. Zu Josephines Schmerz über den Tod des Enkels gesellte sich jetzt wieder die Furcht vor der Zukunft, denn der Thron stand aufs neue ohne Erben da. Wie oft werden ihre Tränen damals ebenso ihrem eigenen Geschick als dem Verlust des kleinen Prinzen gegolten haben!
Für die Königin war es unbedingt nötig, daß sie zur Herstellung ihrer Gesundheit ins Bad reiste. Man wählte Cauterets in den Pyrenäen, weil dort auch die Schwefelquellen für Louis' Leiden in der Nähe waren, denn diesmal begleitete der König seine Gemahlin. Man schreibt dieser letzten Annäherung der beiden Gatten die ein Jahr darauf erfolgte Geburt Charles Louis Napoleons, des späteren Napoleons III. zu. Die Verhältnisse lagen jedoch dermaßen, daß man nicht so ohne weiteres eine solche Behauptung aufstellen kann.
Hortense und Louis lebten vom 28. Juni bis 6. Juli 1807 in Cauterets zusammen. Bereits einige Wochen nach dem Tode seines Sohnes suchte der König sich immer mehr von der Königin zu entfernen. Er hoffte sogar, daß die von diesem Augenblick an festgeplante Scheidung zwischen Josephine und Napoleon auch ihn vollkommen von Hortense befreie. Aber erst im Frühjahr 1810 schien der Kaiser bereit zu sein, dem Wunsche Louis' nachzukommen und die Trennung der beiden Gatten gesetzlich aussprechen zu lassen. Die politischen Ereignisse jedoch schoben diese Absicht in den Hintergrund.
Wenn auch die Daten des Zusammentreffens Louis' mit Hortense und der Geburt Napoleons III. im Zeitraume übereinstimmen, so ist es kein Grund, die Vaterschaft des Königs von Holland bei dem Kaiser der Franzosen aufrecht zu erhalten. Hortense war ihrem Gatten bis zum Tode des kleinen Napoleon Charles treu geblieben. In den Bädern bot sich ihr indes Gelegenheit, anders zu handeln. In Barèges, das nicht weit von Cauterets gelegen ist, befand sich um dieselbe Zeit auch der holländische Admiral, der spätere Marschall Carel Hendrik Verhuel Frédéric Masson erfindet, um Hortense von diesem Verdacht rein zu waschen, zwei Träger dieses Namens, nämlich den Admiral und den Marschall Verhuel. Aber der Admiral ist mit dem Marschall identisch, denn Admiral Verhuel wurde von Louis zum Marschall erhoben. zur Kur, von dem es bekannt war, daß er seiner jungen Königin eine außerordentliche Verehrung entgegenbrachte. Verhuel war dreiundvierzig Jahre alt, ein schöner und interessanter Mann. Hortense liebte Louis nicht. Sie war jung, begehrenswert und unglücklich. Sie fand Trost und Liebe bei dem Mann, der bereit war, sich ihr zu Füßen zu werfen? Sie war kein starker Charakter, der zu kämpfen vermochte. Eine zarte Neigung vermochte viel über sie. Die kreolische Rasse ihrer Mutter verleugnete sich auch bei ihr nicht. Hortense war temperamentvoll. Ihr Mann verschmähte sie. Ihr Herz verlangte nach Liebe und Zärtlichkeit. Besuchte sie selbst auch den Admiral nur einmal in Barèges, so wurde dieser doch des öfteren in Cauterets bemerkt. Man kann einwerfen, daß sie als Gattin Louis' Rücksichten auf diesen zu nehmen hatte. Sie fühlte sich indes schon lange nicht mehr als seine Frau, denn er vernachlässigte sie! Später sah sie auch in ihrer Vereinigung mit dem Grafen Flahault nichts Ungewöhnliches, obgleich sie nicht gesetzlich von Louis geschieden war.
Gewisse Anhaltspunkte für die Tatsache, daß der spätere Napoleon III. nicht der Sohn Louis' war, findet man ferner in dem Briefwechsel, den der König von Holland um jene Zeit mit dem Kaiser Napoleon führte. Im November 1807 hatte Louis die Absicht, den Marschall Verhuel von seinem Hofe zu entfernen, und zwar gedachte er ihn als Gesandten nach Petersburg zu schicken. Napoleon schrieb jedoch damals, es wäre ihm lieber, wenn Verhuel nach Paris käme. Am 26. Dezember antwortete der König von Holland seinem Bruder: »Sofort nach Erhalt des Briefes Eurer Majestät habe ich den Marschall zu meinem Gesandten am Hofe Eurer Majestät ernannt. Allerdings, Sire, hatte ich besondere Gründe, Herrn Verhuel einen anderen Posten zu geben: ... Mich zwingt sogar sein Privatverhalten dazu ...« Und als der König von Holland im Jahre 1810 die Krone niederlegte, hieß es in seiner Abdankung: »Ich danke zugunsten meines geliebten Sohnes Napoléon-Louis ab, und, wenn dieser nicht zur Regierung kommt, zugunsten seines Bruders Charles Louis Napoléon.« Er nannte also den Jüngeren nicht seinen Sohn! Zieht man noch in Betracht, daß Napoleon III. äußerlich durchaus keine Familienähnlichkeit mit den Bonapartes hatte, deren zähe Rasse sich sonst bei allen ihren Nachkommen bemerkbar macht, daß er ferner die schwermütigen Augen des holländischen Marschalls besaß und sonst in manchen Charaktereigenschaften mehr einem Holländer als einem Franzosen oder Korsen glich, so muß man zugeben, daß seine Abstammung von dem Marschall Verhuel dadurch bestätigt wird. Daß Napoleon III. dennoch ganz wie ein Bonaparte dachte und handelte war gewiß mehr die Folge seiner Erziehung und der Grundsätze, in denen er aufwuchs. Die Geschichte seines großen Onkels wiegte schon den Knaben in Träume, die er im späteren Leben zu verwirklichen suchte. Napoleon I., von dem ihm seine Mutter stets in höchster Bewunderung erzählte, wurde sein Vorbild.
Aber wenden wir uns wieder zu Hortense. Nachdem sie sich ein wenig in den Pyrenäen erholt hatte, begab sie sich sichtlich erheitert nach Fontainebleau. Sie begleitete den König nicht in den Haag, wohin sich Louis nach dem Frieden von Tilsit begeben hatte.
Der König war kopfhängerischer und verdrießlicher aus den Bädern zurückgekehrt, als er hingegangen war. Dieser unglückliche Mann schien wahrhaft vom Mißgeschick verfolgt zu sein. Nicht allein, daß er sich durch seine Abwesenheit während der kritischsten Zeit die Achtung seiner Untertanen ziemlich verscherzt hatte, denn sie meinten, er habe sich feig der Leiden entziehen wollen, die sie selbst durch die Kontinentalsperre erdulden mußten, sondern es hatten sich auch unangenehme Vorfälle in seinem Lande ereignet. In den festen Plätzen Berg-op-Zoom, Breda und Bois-le-Duc waren durch verkappte französische Gendarmen Verhaftungen an Holländern vorgenommen worden, die der Schmuggelei verdächtig waren. Darüber war der König aufs höchste empört und bekümmert. Ferner machte ihm der Vertrag, den er endlich auf inständiges Bitten mit Napoleon am 11. November 1807 in Fontainebleau abgeschlossen hatte, große Sorgen. Er schien ihm dermaßen entehrend für sein Volk, daß er lange zögerte, ehe er ihn ratifizierte.
Auch der Friede von Tilsit hatte keine Milderung im Kontinentalsystem herbeigeführt. Louis' Klagen gegen den Kaiser über die unglückliche Lage seines Landes fanden kein Gehör. Der Beherrscher der Welt ließ sich nicht im geringsten in seinen großen Plänen beeinflussen, mochten dadurch auch ein Land, ein Thron, ein Bruder zugrunde gehen! Seine Politik allem voran!
Als er jedoch sah, daß Louis in Holland so wenig im Einverständnis mit der französischen Politik handelte, glaubte er, daß er vielleicht auf einem andern Throne mehr Franzose sein und sich in einem südlicheren Klima wohler fühlen würde. Am 27. März 1808 machte er ihm daher den Vorschlag, die Krone von Spanien anzunehmen, die Karl IV. soeben niedergelegt hatte. Bei dieser Gelegenheit schrieb er die bemerkenswerten, aber unvorsichtigen Worte an seinen Bruder: »Hollands Zusammenbruch kann übrigens nicht aufgehalten werden, denn es vermag sich in dem Strudel der Welt nicht zu halten, mag nun der Frieden zustande kommen oder nicht!«
Louis fühlte sich durch dieses Anerbieten sehr beleidigt. Er betrachtete die Handlung des Kaisers als einen Raub an dem spanischen Herrscherhaus. »Ich bin kein Gouverneur von Provinzen«, erwiderte er Napoleon; »ein König kann nur durch Gottes Gnaden König sein... Mit welchem Rechte könnte ich den Treueid von einem Volke verlangen, wenn ich selbst den Schwur nicht hielte, den ich Holland geleistet habe, als ich den Thron bestieg?« Von diesem Augenblick an war er überzeugt, daß der Kaiser ihn und sein Land zugrunde richten wollte.
Durch alle diese Aufregungen und Zwischenfälle wurde des Königs Gesundheit nicht besser. Er war mürrischer denn je. In keiner seiner Residenzen hatte er Ruhe. Bald verlegte er sie vom Haag nach Utrecht, bald von dort nach Amsterdam. Er langweilte sich an seinem Hofe, dem die liebenswürdige Hortense nicht mehr vorstand, und der nun düster und ohne Leben zu sein schien. Denn ein jeder empfand die Abwesenheit der Königin als ein Unbehagen. Hatte sie doch alles mit ihrer lichten Erscheinung, ihrer Anmut und Liebenswürdigkeit belebt. Auch sehnte sich Louis nach seinem Sohn, der sich bei der Mutter befand. Mehrmals war der König bei Napoleon persönlich vorstellig geworden, daß man ihm den Knaben schicke, immer aber hatte sich Hortense geweigert. Sie hätte sich um alles in der Welt nicht von dem einzigen Kinde, das ihr geblieben war, getrennt. Glücklicherweise hatte sie Hoffnung, bald wieder Mutter zu werden. Ihre Stunde war nahe. Man vermochte sie jedoch nicht dazu zu bewegen, ihre Niederkunft in Holland im königlichen Schlosse zu erwarten. Sie bestand darauf, dem Kinde in Paris das Leben zu geben. Sollte man darin nicht auch einen Beweis sehen, daß dieses Kind nicht Louis' Sohn war? Es kam am 20. April 1808 in dem Hause in der Rue Cerutti zur Welt und war so schwach, daß es durch Weinbäder zum Leben erweckt und in Watte gehüllt werden mußte. Der Kardinal Fesch taufte es auf die Namen Charles Louis Napoléon im Beisein von Madame Mère, den Prinzessinnen der kaiserlichen Familie und des Marschalls Carel H. Verhuel, von dem man schon damals annahm, daß er der Vater war.
Hortense sehnte sich ebensowenig nach Holland wie Julie nach Spanien. Führte sie doch in Paris ein weit unabhängigeres Leben als in ihrem Königreich. Sie war sehr wohl gestellt, denn sie bezog nicht allein vom kaiserlichen Schatz, sondern auch von Holland ein Jahrgeld. Jeden Monat war sie in der Lage, wenigstens 10.000 Franken in Diamanten anzulegen, für die sie eine große Schwäche hatte. Sie war zwar nicht so verschwenderisch, wie Josephine, aber auch sie gab das Geld mit vollen Händen aus. Nur herrschte in ihren Rechnungsbüchern die größte Ordnung, und Schulden machte sie ungern. Ihr Vermögen suchte sie so viel wie möglich ihren Kindern zu erhalten, denn sie zog auch kommendes Unglück in Betracht.
Daß der Kaiser Napoleon seine Neffen als einstige Erben seines Thrones ansah, geht besonders aus dem Briefe hervor, den er der Königin am 8. Mai 1809 von Ebersdorf aus schrieb, als sie sich mit den kleinen Prinzen nach Baden zu ihrer Kusine Stephanie begeben hatte:
»Meine Tochter, ich bin sehr unzufrieden, daß Sie ohne meine Erlaubnis Frankreich verlassen, besonders aber, daß Sie meine Neffen mitgenommen haben. Da Sie sich in Baden-Baden befinden, so bleiben Sie. Aber eine Stunde nach Erhalt dieses Briefes müssen Sie meine Neffen nach Straßburg zur Kaiserin schicken; sie dürfen niemals Frankreich verlassen.«
Es war das erstemal, daß sie ihm Gelegenheit zur Unzufriedenheit gegeben hatte. Sein Unwille gegen sie währte übrigens nicht lange. In demselben Jahre noch machte er sie zu seiner Vertrauten. Nach dem Feldzug mit Österreich stand es bei ihm fest, das Band zu lösen, das ihn dreizehn Jahre lang mit Josephine verknüpft hatte. Er wußte, daß ihr das das Herz brechen würde und suchte ihr das Bevorstehende so schonend wie möglich beizubringen. Keinen glaubte er besser zur Vermittlerin geeignet als die Tochter. Aber Hortense hatte nicht den Mut, der geliebten Mutter diese furchtbare Botschaft zu überbringen. Im ersten Augenblick fühlte sie sich so verletzt, daß sie im Begriff war, mit ihrer Mutter Napoleon zu verlassen.
Als dann Josephine ihr Schicksal aus dem Munde ihres Sohnes und des Kaisers selbst erfuhr und untröstlich darüber war, rief Napoleon ihre Kinder Hortense und Eugen herbei. Die Tochter wich nicht von ihrer Seite und suchte sie so viel wie möglich zu erheitern. Schweren Herzens nahm Hortense darauf an den Hochzeitsfeierlichkeiten der neuen Kaiserin teil, zu denen auch Louis nach Paris gekommen war.
Ihn führte jedoch nicht nur die Hochzeit des Bruders an den Kaiserhof. Vor allem gedachte er von Napoleon mildere Bedingungen für sein Land zu erlangen. Außerdem wollte er seine Scheidung von Hortense erzwingen. Um gleich von vornherein seine feindliche Gesinnung gegen sie zu zeigen, tat er die Absicht kund, während seines Aufenthaltes in Paris bei seinem Gesandten zu wohnen. Ein Befehl des Kaisers indes gebot dem König von Holland, daß er in seinem Palais in der Rue Cerutti bei Hortense abzusteigen habe. Daran kehrte sich Louis nicht, sondern nahm im Palais de Brienne bei seiner Mutter Wohnung. Letizia war hocherfreut, der verhaßten Schwiegertochter gegenüber öffentlich eine feindliche Stellung einnehmen zu können. Der Skandal war vollständig. Triumphierend schrieb Madame Mère an ihren Sohn Lucien, daß Louis sich von seiner Frau trennen wolle. Jetzt endlich sah sie die Beauharnais für immer aus ihrer Familie scheiden. Hortense hingegen zeigte sich auch jetzt als taktvolle Frau. In Begleitung Madame Harels, der einzigen holländischen Hofdame, die sie bei sich hatte, machte sie den ersten Besuch beim König. Louis erreichte in seiner Eheangelegenheit nichts weiter, als daß Hortense in Paris bleiben durfte. Die beiden Schlösser, das in der Rue Cerutti und Saint-Leu, wurden ihr zum Aufenthalt angewiesen. Sie durfte auch ihre Kinder bei sich behalten. Das aber war es gerade, was der König durch eine Scheidung zu vermeiden hoffte. Er wollte wenigstens seinen älteren Sohn selbst erziehen. Später indes entschied der Kaiser anders und gebot Hortense, ihrem Gatten nach Holland zu folgen. Sie tat es am 11. April 1810 unter einem Strom von Tränen. Nur ihren Sohn Napoleon Louis, den Thronfolger, nahm sie mit. Den Jüngsten ließ sie in Paris. In dieser Zeit aber wohnte das Königspaar nie in einem und demselben Schlosse.
Der offizielle Bruch der beiden Brüder Louis und Napoleon stand bevor. Der König wollte kein Vasall seines Bruders Napoleon sein. Er wollte sein Reich allein regieren. Er wollte der holländischen Politik eine Unabhängigkeit sichern, die ganz im Gegensatz zu der französischen stand. Er kümmerte sich nicht darum, ob seines Bruders Riesenpläne dadurch bloßgestellt wurden. Von dem Augenblick an, wo er den Thron bestieg, war Louis Holländer. Sogar Letizia, die Gerechte, beklagte diesen Umstand und sagte in ihrem korsisch gefärbten Französisch: »Ce povero Luigi s'est fait Hollandais, et il n'est più Français du tout!« Napoleon hatte ihm bereits am 30. April 1807 seine Meinung darüber gesagt und geschrieben: »Eure Majestät werden in mir einen Bruder finden, wenn ich in Ihnen einen Franzosen finde. Wenn Sie aber die Gefühle vergessen, die Sie mit dem gemeinsamen Vaterland verknüpfen, dann dürfen Sie sich auch nicht wundern, wenn ich diejenigen vergesse, durch die wir von Natur aus miteinander verbunden sind.«
Louis achtete solcher Ratschläge nicht. Erst als Napoleon im Jahre 1810 den Wunsch ausdrückte, Holland Frankreich einzuverleiben, lenkte er ein und schrieb dem Kaiser am 4. Februar einen flehentlichen Brief, er solle ja alles beim alten lassen. Er, der so oft abzudanken wünschte, klammerte sich jetzt, da er seinen Thron in Gefahr sah, fest an ihn. »Ich beschwöre Eure Majestät«, flehte er, »alles zu vergessen! Ich verspreche Ihnen, allen Verpflichtungen, die Sie mir auferlegen, getreulich nachzukommen. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, sie treu und redlich zu erfüllen, sobald ich sie eingegangen bin.« Und Napoleon ließ sich erweichen! Seine Antwort vom 13. März lautete: »Meine ganze Politik drängt mich zur Vereinigung Hollands mit Frankreich... Da ich aber sehe, daß es Ihnen so großen Kummer verursacht, so beuge ich zum ersten Male meine Politik vor dem Wunsche, Ihnen einen Gefallen zu erweisen.«
Zwar hatte der König versprochen, alles zu tun, was der Kaiser verlangte, aber sein rechtlicher, gewissenhafter Charakter vermochte sich nicht immer den Forderungen zu fügen, die die Gewalt, das Genie und die weitgehenden Pläne des Welteroberers erheischten. Es fehlte Louis vollkommen das Verständnis für seines Bruders Weltpolitik. Er war wohl ein milder, aber kein kluger und befähigter Herrscher. Er sah nur Holland, alles übrige kam für ihn nicht in Betracht. Von seinem Menschenstandpunkte aus handelte er gewiß recht, denn er hatte stets das Wohl seines Landes und seiner Untertanen im Auge. Aber auch der Kaiser der Franzosen war nicht im Unrecht, denn die unvorsichtige Handlungsweise seines Bruders Louis machte ihn zum Gespött Europas.
In der Nacht vom 2. zum 3. Juli 1810 verließ Louis Thron und Reich, ohne daß jemand wußte, wohin er sich wandte. In seiner Begleitung befanden sich nur der Konteradmiral Bloys van Treslong und der General Tavers; kein anderer Mensch war in das Geheimnis seiner Reise eingeweiht. Am nächsten Morgen fanden die Bewohner von Harlem die Proklamation des geflüchteten Königs an den Mauern angeschlagen. Louis nahm Abschied von seinem Volk, gleichzeitig aber ließ er auch die unglücklichste Zeit seines Lebens hinter sich. Das kurze Königtum hatte ihm nur Enttäuschungen gebracht. Er war sowohl in seiner Politik als in seiner Ehe gescheitert. Seine schwache Gesundheit hatte sich in dem Kampfe mit dem Bruder immer mehr zerrüttet, sein Charakter war immer verbitterter geworden. Niemals vermochte er diese furchtbaren Erinnerungen an sein Herrschertum aus dem Gedächtnis zu bannen. Nun ging er, um in den Ländern der Feinde des Kaisers Ruhe zu finden.
Den Thron, den er nicht länger glaubte mit Würde behaupten zu können, hatte er seinem Sohn Napoleon Louis überlassen und die Königin zur Regentin bestimmt. Hortense befand sich um diese Zeit in Plombières und mißte von der Flucht ihres Gatten nichts.
Selbst in den Tuilerien, wo man die Abreise des Königs aus Holland erst am 6. Juli erfuhr, hatte man lange Zeit keine Ahnung, wohin Louis Bonaparte seine Schritte gelenkt hatte. Louis hatte dem Kaiser nur mitgeteilt, daß er zugunsten seines Sohnes abdanke. Als Napoleon den Brief gelesen hatte, geriet er in die größte Wut. »Wenn ich wüßte«, schrie er den Überbringer der Hiobspost, den General Vichery, an, »daß Sie Kenntnis von der Nachricht hatten, die Sie mir soeben überbringen, so würde ich Sie erschießen lassen.« Sofort ließ er am 9. Juli die Einverleibung Hollands mit dem Reiche dekretieren. Auf diese Weise beraubte er seinen Neffen des Thrones. Später bereute Napoleon diese Tat um Hortenses willen, aber es war zu spät. So führte die Hartnäckigkeit des schwächsten der Brüder Napoleons zu einem Schritt, der schon damals als einer der größten politischen Mißgriffe des ersten Kaisers der Franzosen angesehen wurde!
Anstatt jedoch den flüchtigen König mit seiner Macht zu verfolgen, sorgte Napoleon sich um dessen Geschick und ließ überall Nachforschungen anstellen, wo sich Louis befinden könnte. Als er durch Lebrun, den er zum Gouverneur von Holland eingesetzt hatte, erfuhr, daß der König seinen Leibarzt Latour verlange, antwortete er sofort: »Teilen Sie dem Dr. Latour mit, daß ich ihm nicht allein erlaube, sich zum König zu begeben, sondern daß ich es sogar wünsche. Der König ist mir stets teuer gewesen. Mit Vergnügen werde ich sehen, daß Herr Latour beim König bleibe und ihn pflege. Stets werde ich die Dienste, die er meinem Bruder erweist, so betrachten, als wären sie mir selbst erwiesen worden.« Napoleon nahm sogar vor der Öffentlichkeit die ganze Verantwortung des unüberlegten Schrittes seines Bruders auf sich. Champagny, dem Minister des Auswärtigen, schrieb er am 21. Juli, nachdem er am 20. erfahren hatte, wo sich Louis befand: das Rundschreiben, das der Minister an die europäischen Höfe sende, solle sich ganz allein mit der Rechtfertigung des Königs von Holland befassen. Er sei zu entschuldigen, da er infolge einer chronischen Krankheit nicht der richtige Mann auf dem Throne gewesen sei. Da Napoleon selbst diesen unfähigen König eingesetzt hatte, maß er sich auch selbst alle Schuld der Ereignisse bei. Selbstverständlich verfolgte der französische Kaiser auch mit dieser Selbstanklage einen Zweck. Immerhin aber muß anerkannt werden, daß er seinen Bruder nicht im geringsten bedrohte, obgleich Napoleon gerade zu jener Zeit auf dem Gipfel seiner Macht und Gewalt stand. Er hätte Louis zerschmettern können, wenn er gewollt hätte!
Der König hatte sich nach dem Bad Teplitz in Böhmen geflüchtet. Dort war er am 11. Juli unter dem Namen eines Grafen von Saint-Leu so krank und schwach angekommen, daß er sich kaum aufrecht erhalten konnte. Zwei Männer mußten ihn beim Gehen stützen. Er nahm in demselben Hause Wohnung, in dem auch Goethe zu jener Zeit abgestiegen war. Der Dichter wollte sogleich ausziehen und dem König das ganze Stockwerk überlassen, aber der schlichte Louis litt es nicht, und so wohnten sie einige Zeit gemeinsam unter einem Dache. Damals überzeugte sich Goethe, daß dieser sentimentale und bescheidene Mann viel besser auf den westfälischen Thron gepaßt hätte als Jérôme. Ja, der Dichter beklagte es fast, daß Louis dort nicht herrschte. »Ernst mit Sitte verbunden«, sagte Goethe, »beide ohne die geringste Strenge; Frömmigkeit ohne allen Stolz und Dünkel, ohne irgendeine trübe Beimischung von Furcht und Aberglauben, grundredlich und grundgütig zugleich – sollte man nicht glauben, daß dieser Charakter gänzlich dazu geeignet war, mit allem, was der deutsche Charakter Vortreffliches oder Schätzenswertes an sich trägt, eine innige Verbindung, ja Durchdringung einzugehen? Aber auch in solchem, an sich so erwünschten Falle würde schwerlich so viele angeborene Herzensgüte, wenigstens auf keine Weise mit Beibehaltung von Ludwigs Verhältnis zur französischen Nation, sich auf die Länge frei und selbständig behauptet haben, und es würde nur allzubald wieder ebenso wie in Holland gegangen sein. Sein Reich ist nicht von dieser Welt und noch weniger von dieser Zeit.«
Als Napoleon erfahren hatte, wo sich Louis aufhielt, war es sein erstes, die besorgte Mutter, Hortense und Jérôme davon zu benachrichtigen. Anstatt Louis zu tadeln, ließ er ihm vorschlagen, er möge wieder nach Frankreich kommen und im Schlosse Saint-Leu seiner Gesundheit leben. Er solle sich um seiner Ehre willen nicht mehr dem Gespött der Welt aussetzen. Obgleich Louis anfangs geneigt war, entweder mit Letizia im Süden Frankreichs zu wohnen oder sich in Saint-Leu als Privatmann niederzulassen, überlegte er es sich doch schließlich anders und zog vor, als seine Kur in Teplitz beendet war, im Oktober 1810 nach Graz in Steiermark zu übersiedeln.
Gegen die Einverleibung Hollands mit Frankreich sträubte er sich energisch, da er den Thron nicht unbesetzt zurückgelassen, sondern zugunsten seines Sohnes abgedankt habe. Der Kaiser der Franzosen hingegen hielt es für mehr als genügend, wenn der Sohn desjenigen, der es gewagt hatte, seiner Politik entgegen zu sein, das Großherzogtum Berg zugewiesen erhielt.
Hortense fügte sich in alles, was Napoleon für sie und ihre Kinder anordnete. Sie lebte mit ihnen teils in Paris, teils in Saint-Leu, denn man hatte den jungen Großherzog von Berg sogleich nach seines Vaters Flucht nach Frankreich kommen lassen. Dort empfing ihn Napoleon, indem er ihn zärtlich küßte, mit den Worten: »Komm, mein Sohn, ich will dein Vater sein. Du wirst dabei nichts verlieren. Das Verhalten deines Vaters betrübt mein Herz. Nur seine Krankheit kann ihn entschuldigen. Wenn du groß bist, dann wirst du alles wieder gut machen, was er verschuldete. Vergiß niemals, in welche Lage du auch durch die Notwendigkeit meiner Politik und meines Staates versetzt sein wirst, daß deine ersten Pflichten mir gehören, die zweiten Frankreich; alle andern, selbst die gegen das Volk, das ich dir anvertraue, kommen erst nachher.«
Er hatte Hortense mit ihren Kindern eine Rente von zwei Millionen ausgesetzt. Obgleich er jetzt sehr erleichtert schien, daß die Tochter nun zufrieden in der Nähe von Paris leben konnte, warf er doch nicht alle Schuld auf Louis allein. Noch in Sankt Helena sagte er: »So gut, edel und aufopfernd Hortense war, so ist sie doch nicht ganz ohne Schuld gegen ihren Gatten gewesen. Das muß ich trotz meiner Zuneigung für sie und trotz der Anhänglichkeit, die sie mir beweist, gestehen. Wie seltsam, wie unerträglich Louis auch war: er liebte sie. Und in diesem Falle, besonders wenn so große Interessen auf dem Spiele stehen, muß jede Frau sich beherrschen können und ihrerseits lieben. Wenn sie sich hätte bezwingen können, würde sie sich viel Ärger erspart, ein glücklicheres Leben geführt haben und ihrem Mann nach Holland gefolgt sein. Dann wäre Louis nie aus Amsterdam geflohen, ich würde mich nicht gezwungen gesehen haben, sein Königreich mit Frankreich zu vereinigen, was sehr viel zu meinem Sturze beitrug. Kurz, vieles würde anders geworden sein.«
So weit hatte Napoleon ja ganz recht, aber die Liebe kann eben nicht erzwungen werden. Und daß Louis Hortense geliebt hatte, ist nicht der Wahrheit entsprechend. Sie war eine Beauharnais! Man hatte sie ihm aufgedrungen! Das genügte, um sie zu hassen.
Auch mit der Gesundheit der Königin Hortense ging es von Tag zu Tag abwärts. Es machte sich ein Brustleiden bemerkbar, das sie sehr schwächte. Sie war fast zum Skelett abgemagert. Dennoch machte sie mit unvergleichlicher Anmut die Honneurs in ihrem Hause und empfing in ihren Salons die höchste und geistreichste Gesellschaft Frankreichs. Ihre Beziehungen zu dem Marschall Verhuel hatte sie abgebrochen. Nachdem sie die Huldigungen verschiedener Höflinge angenommen hatte, verband sie sich in freier Ehe mit dem 26jährigen General Grafen Charles de Flahault de la Billarderie, einem Freunde ihres Bruders Eugen. Am 21. Oktober 1811 gebar sie ihm einen Sohn Charles Auguste Louis Joseph, den späteren Herzog von Morny. Er wurde von der edlen Mutter des Grafen Flahault, der Frau von Souza, erzogen. Jeder am Hofe Napoleons wußte von dieser Verbindung Hortenses, und jeder achtete sie, denn sie beruhte auf einer tiefen gegenseitigen Liebe. Endlich hatte die unglückliche Frau einen Menschen gefunden, dessen Herz ganz ihr gehörte, der sie ganz verstand.
Louis lebte in Graz sein einsames Hypochonderleben und kümmerte sich nicht im geringsten um das Geschick seiner Gattin. Mit einigen Getreuen bewohnte er das Haus des Grafen Jordis, eines Generals außer Diensten. Allen, die ihm näher traten, sagte er, daß er vergessen wolle, was hinter ihm liege. »Behandeln Sie mich wie einen Bürger«, sprach er zu dem Gouverneur der Stadt; »ich bin hier nur der Graf von Saint-Leu.« Vollkommen von der Welt abgeschlossen aber war sein Leben keineswegs. Er setzte sich mit der höchsten Gesellschaft in Verbindung, machte dem Erzherzog Johann, der in Graz lebte, einen Besuch und verkehrte mit verschiedenen hohen französischen Emigranten. Auch war er durchaus nicht aller Mittel bar. Zwar hatte Louis nicht, wie Jérôme und Joseph, sich während seiner Regierung bereichert und Schätze aus Holland mitgebracht, aber ein Wiener Bankhaus, wo er sein Geld und seine Diamanten niedergelegt hatte, zahlte ihm monatlich eine Pension von 2000 Gulden. Außerdem hatte er noch auf holländischen Banken Geld liegen, wovon er die Zinsen erhielt.
Von irgendeinem Ausgleich mit seinem Bruder Napoleon wollte er nichts wissen. Weder Karoline noch Murat noch Joseph, nicht einmal Madame Mère und Pauline, seine eifrigsten Briefschreiberinnen, erreichten in dieser Beziehung bei ihm etwas. Ja, er drohte, nach Amerika auswandern zu wollen, wenn sie ihn noch länger mit ihren Vorschlägen belästigten.
Erst Anfang des Jahres 1813, nach des Kaisers unseligem Feldzug in Rußland, bot Louis dem Bruder seine Dienste an. In seinem Brief an Napoleon, den das Mißgeschick tief betroffen hatte, strahlt Louis' gerechter und ehrlicher Charakter wieder im schönsten Lichte. Trotzdem er schwer leidend war, schrieb er am 1. Januar 1813: »Sire, von den Leiden und Verlusten der Großen Armee tief erschüttert, besonders nach all den Erfolgen, die den Ruhm der französischen Waffen bis zum Pole trugen, würde ich glauben, alle meine Pflichten zu vernachlässigen, wenn ich dem lebhaften Wunsche meines Herzens nicht folgte. Wie eilig Sie es haben, alle zur Verfügung stehenden Verteidigungsmittel zu vereinigen in einem Augenblick, wo ein schrecklicher Kampf fortgesetzt werden wird, ja, sich ein noch viel furchtbarerer vorbereitet, kann ich leicht begreifen, überzeugt, daß es für Frankreich, für Ihren Namen, für Sie selbst keinen kritischeren Augenblick gibt, komme ich Sire, dem Lande, in dem ich geboren bin, sowie Ihnen und unseren Namen die wenige Gesundheit, die mir noch bleibt, und alle in meinen Kräften stehende Dienste anzubieten, wenn ich sie nur mit Ehren erfüllen kann.«
Napoleon dankte ihm für sein Anerbieten, schlug es jedoch aus. Nur forderte er ihn auf, in den Schoß seiner Familie zurückzukehren. Louis fühlte sich durch die Antwort des Kaisers tief gekränkt und blieb in Graz. Er glaubte dem Kaiser Franz eine Erklärung für seinen Annäherungsversuch an Frankreich schuldig zu sein. Deshalb richtete er am 18. Januar an ihn eine Art Rechtfertigungsschreiben, das aber mehr einer Anklage gegen Napoleon glich. Erst als Fouché als Gouverneur der Illyrischen Provinzen durch Graz kam und den Exkönig von Holland aufsuchte, verließ dieser auf Anraten des ehemaligen Polizeiministers Österreich und begab sich am 2. August nach der Schweiz. Bereits in Ischl machte er am 4. August wiederum einen Versuch, um sich seinem Bruder zu nähern. Noch einmal stellte er Napoleon seine Dienste zur Verfügung. Jetzt war er schon nicht mehr so uneigennützig. Er sprach nämlich die Hoffnung aus, daß der Kaiser ihm nach dem Frieden den holländischen Thron zurückgäbe, auf den dieser gezwungene König niemals ganz verzichtete. Ließ er sich doch noch immer »Sire« und »Majestät« nennen. In diesem Brief von Ischl heißt es unter anderem: »Eure Majestät können unmöglich wollen, daß ich und meine Kinder den Thron Hollands nicht wieder erlangen, sobald alle Handels- und Schiffahrtsangelegenheiten geregelt sein werden.«
Diesmal blieb Louis' Schreiben unbeantwortet. Er wartete nun teils in Sankt Gallen, teils im Bade Schinznach, in Basel und in Yverdon die Ereignisse ab. Hortense vertraute inzwischen in Saint-Leu dem Genie des Kaisers. Als die Nachricht von dem Siege bei Lützen in Paris eintraf, rief sie voller Freude: »Nun ist endlich unsere nationale Ehre wiederhergestellt! Ich zweifle nicht mehr am Frieden, denn wir werden ihn erhalten.« Dann erfuhr sie noch einmal einen Sieg ihres Vaters, den bei Bautzen. Zugleich aber traf auch die Nachricht vom Tode Durocs ein, des Mannes, den sie einst geliebt hatte. Es schmerzte sie, daß der tapfere Mann, der dem Kaiser so sehr ergeben war, schon so früh in den Tod gehen mußte. »Niemand kann ihn ersetzen«, sagte sie traurig. »Der Kaiser verliert alle seine Getreuen.«
Da brach die Niederlage bei Leipzig über Napoleon herein. Louis war überzeugt, der Kaiser werde jetzt den holländischen Thron lieber in den Händen seines Bruders sehen als in der Gewalt der Verbündeten. In diesem Sinne schrieb er ein drittes Mal an Napoleon in Mainz. Aber er täuschte sich. Um sofort zur Verfügung zu stehen, wenn man seiner bedürfe, war er bis nach Pont-sur-Seine, dem Aufenthalt seiner Mutter, gereist. Dort empfing er die Antwort des Kaisers. Sie lautete: »Lieber möchte ich Holland wieder unter der Herrschaft des Hauses Oranien als unter der meines Bruders wissen.« Der Exkönig von Holland erhielt sogar Befehl, sofort Frankreich zu verlassen, wenn er nicht als französischer Prinz käme. Gekränkt zog sich Louis nach Solothurn zurück.
Alle diese Niederlagen aber hielten ihn nicht ab, noch ein viertes Mal sein Heil zu versuchen, diesmal aber in Holland selbst. Er, der sich fortwährend beklagt hatte, auf einem Throne sitzen zu müssen, strebte jetzt sehnsüchtig danach, die verlorene Krone wieder zu erlangen! Als Holland sich gegen Frankreich erhob, schienen ihm die Ereignisse für seine Zwecke günstig. Die französischen Truppen hatten das Land verlassen, und es war eine provisorische Regierung von holländischen Beamten eingesetzt worden. An diese wandte sich der ehemalige König mit einem langen Brief, den er am 29. November 1813 von Solothurn aus schrieb. Er stellte ihnen vor, daß er zwar die Krone gegen seinen Willen und nur auf Bitten der batavischen Abordnung angenommen, daß er aber, solange er König gewesen sei, stets das Interesse des Volkes im Auge gehabt und schließlich zugunsten seines Sohnes abgedankt habe. Er fordere nur für sich und seine Nachkommen das ihnen gebührende Recht. Immerhin überlasse er es dem holländischen Volke, sich für ihn oder für das Haus Oranien zu entscheiden.
Seine Freunde und auch Joseph schlugen ihm vor, sich persönlich nach Holland zu begeben, denn sie meinten, seine Anwesenheit würde das Volk für ihn bestimmen. Dagegen aber sträubte sich Louis' einfacher, allen Ränken ferner Charakter. »Ich kann nur auf den Wunsch der Holländer in mein Land zurückkehren«, sagte er; »es paßt weder zu meinem noch zu dem holländischen Charakter, daß ich durch Krieg oder Unfrieden in das Land eindringe. Ich muß mich darauf beschränken, die Holländer wissen zu lassen, daß meine Ergebenheit für sie noch immer die gleiche ist. Das übrige ist ihre Sache!« Das holländische Volk aber entschied sich für sein altes Herrscherhaus Oranien.
Napoleon mißbilligte die Schritte seines Bruders aufs höchste. Er konnte es ihm niemals vergessen, daß er ihm alle die Fürsorge von einst mit Kälte und Starrköpfigkeit vergalt. Auch im Jahre 1814 glaubte der Kaiser nicht an die Gefühle, die Louis ihm im Unglück bewies. Und doch meinte es Louis damals aufrichtig. Als nämlich die Verbündeten in die Schweiz eindrangen, machte er sich sofort über Lyon nach Paris auf, um dem bedrohten Bruder zu Hilfe zu eilen.
Louis reiste unter dem Namen eines Herrn von Taverny. Er stieg im Hause seiner Mutter ab, wo er am 27. Dezember 1813 eintraf. Der Kaiser wollte ihn anfangs nicht empfangen. Er schrieb ihm einen Brief ohne Herzlichkeit, aber auch ohne Bitternis und ohne Vorwürfe. Ruhig setzte er Louis auseinander, daß er nicht mehr holländischer König sei und keine Ansprüche mehr auf den Thron machen könne. Komme er als König, so solle er sich 40 Meilen von Paris entfernen, komme er aber als französischer Prinz und in seiner Eigenschaft als Konnetabel, dann wäre er herzlich willkommen.
Davon wollte der Exkönig nichts wissen; er hielt fest an seinem vermeintlichen Rechte. Endlich ließ Napoleon sich doch durch Vermittlung der Kaiserin erweichen, seinen Bruder zu empfangen. Die Begegnung fand am 10. Januar 1814 im Schlosse der Tuilerien statt. Aber das Wiedersehen der beiden Brüder war kalt und förmlich. Der Kaiser reichte Louis nicht, wie üblich, die Wange zum Kuß dar. Verletzt zog sich Louis wieder zu seiner Mutter zurück. Seine Gesundheit ließ mehr als zu wünschen übrig. Die Lähmung der Glieder hatte dermaßen überhand genommen, daß er sich kaum aufrecht erhalten und keinen Schritt ohne Unterstützung seines Kammerdieners tun konnte. Reiten konnte er überhaupt nicht mehr.
Obwohl Hortense sich über die Anwesenheit ihres Gatten in Paris nicht gerade freute, denn sie fürchtete wieder allerlei Quälereien von seiner Seite ausgesetzt zu sein, lobte sie doch seine Schritte zur Versöhnung mit dem Kaiser. »Ich bin sehr froh«, sagte sie; »mein Mann ist ein guter Franzose. Er kehrt in einem Augenblick zu Napoleon zurück, wo sich ganz Europa gegen ihn wendet. Er ist ein rechtschaffener Mensch. Wenn unsere Charaktere nicht miteinander übereinstimmen konnten, so kommt es daher, daß wir beide Fehler haben, die nicht zusammen passen... Aber unsere Interessen sind die gleichen. Es ist seiner würdig, daß er sich allen Franzosen anschließt, um zu der Verteidigung des Vaterlandes beizutragen.«
In Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, beschäftigte sich Louis mit literarischen Studien und suchte in der Frömmigkeit Trost für seine körperlichen und seelischen Leiden. Sehr oft besuchte er seine Kinder, niemals aber Hortense. Am 23. Januar 1814, ehe Napoleon sich zum Heere begab, sahen sich die Brüder zum letzten Male. Sie begegneten sich auch diesmal nicht herzlicher als zuvor. Dennoch schien der Kaiser nicht abgeneigt zu sein, Louis als »Kaiserlichen Kommissar« an die Spitze von Paris zu stellen, wenn der Fall eintreten sollte, daß die Feinde auf die Hauptstadt marschierten. Dieser Vorschlag war ihm von Joseph am 5. Februar gemacht worden, und da es Napoleon an zuverlässigen, tüchtigen Leuten gebrach, hätte er vielleicht mit dem kranken Louis vorlieb genommen. Aber die Antwort des ehemaligen Königs von Holland überzeugte ihn schließlich von dessen Unfähigkeit zu einem solchen Posten. Am 8. Februar schrieb er daher an Joseph: »Ich habe den Brief Louis' gelesen. Er ist nichts als eine Rhapsodie. Dieser Mann besitzt ein vollkommen falsches Urteilsvermögen und läßt stets die Hauptsache außer acht!... Ich glaube, es ist besser, er geht mit Ihnen an die Loire. Sein letzter Brief beweist mir, daß er ein viel zu schwacher Kopf ist und uns viel mehr schaden als nützen würde.«
Es verdroß den Kaiser hauptsächlich, daß ihm Louis fortwährend zum Frieden riet und ihm fast täglich darüber einen Brief sandte. Am 16. März schrieb der ehemalige König von Holland die prophetischen Worte an seinen Bruder: »Wenn Eure Majestät nicht den Frieden unterzeichnen, so können Sie überzeugt sein, daß Ihre Regierung nicht mehr länger als drei Wochen bestehen wird.« Eine solche Sprache konnte der Welteroberer nicht vertragen, aber das von Louis vorausgesehene Schicksal Napoleons erfüllte sich!
Er mußte dem Thron entsagen, den er sich mit der Spitze seines Degens erobert hatte. Das schöne große Reich fiel in die Hände der Verbündeten. Aller Glanz, aller Ruhm hatte ein Ende!
Am wenigsten von allen beklagte Louis den Verlust von Größe und Macht. Ihm hatten die Jahre, in denen seine Familie auf dem höchsten Gipfel des Ruhmes gestanden hatte, nur Unglück und Enttäuschung gebracht. Er wußte aus Erfahrung, daß die Fürsten nicht immer die vom Glück begünstigten Menschen sind. Auch mit seinem Bruder hatte er kein besonderes Mitleid. Wenn er jemand aus der Familie bedauerte, so war es Marie Luise, die Unerfahrene, die sich in ihrer Lage keinen Rat wußte. Er riet ihr, in Paris zu bleiben. Als sie trotzdem die Hauptstadt verließ, begleitete er sie bis nach Blois. Hortense hingegen, die die Ereignisse in ihrem Palais in der Rue Cerutti an sich hatte vorüberziehen sehen, begab sich nach Navarra zu ihrer Mutter. Vorher war sie noch einmal zu Marie Luise in die Tuilerien geeilt, um sie zu beschwören, Paris nicht zu verlassen. War sie doch selbst nur schwer zu bewegen, die Reise nach Navarra anzutreten, denn sie hatte unbedingtes Vertrauen zu dem Genie ihres Vaters. »Aber der Kaiser ist ja nicht weit von hier«, pflegte sie zu sagen; »Madrid hat sich mehrere Tage gegen unsere Heere gehalten, und es gibt deren noch tausend andere Beispiele. Ich will mit den Parisern alles Glück und Unglück teilen.« Erst ein Befehl Louis', der ihr bedeutete, daß, wenn sie bliebe, man ihre Söhne als Geisel behalten könne, brachte sie zum Entschluß. Anstatt aber nach Blois, wie ihr Gemahl annahm, eilte sie nach Navarra zu Josephine.
Als Anfang April die Ankunft der Bourbonen in Paris bekannt wurde, ging Louis, der vergebens gehofft hatte, in Frankreich leben zu können, wieder nach der Schweiz. Vorläufig ließ er sich in Lausanne nieder, wo er am 15. April ankam. Sobald er die Kaiserin verlassen hatte, traf Hortense bei Marie Louise in Rambouillet ein. Die Kaiserin wußte nicht recht, wie sie sich gegen die Tochter ihres Gatten verhalten sollte. Sie schien verlegen und linkisch. Hortense fühlte sich von diesem kalten Empfang tief verletzt, besonders aber kränkte sie es, daß Marie Luise nicht ein einziges Mal den Namen Napoleons erwähnte. Er war wie aus ihrem Gedächtnis gestrichen. Als sie sich mit ihrem Sohne nach Österreich begab, eilte Hortense aufs neue zu Josephine, die sich wieder in Malmaison aufhielt. Die geschiedene Kaiserin war von dem Unglück, das über Napoleon hereingebrochen war, tief erschüttert. »Ach! Hortense«, sagte sie zu ihrer Tochter und stützte sich weinend auf deren Schulter, »nun ist er unglücklich. Man hat ihn auf die Insel Elba verbannt. Ohne seine Frau! Ich will zu ihm gehen und mit ihm die Verbannung teilen!«
Bei ihrer Mutter sah die ehemalige Königin von Holland die verbündeten Herrscher, die Feinde ihres Vaters. Der Zar hatte soeben Josephine einen Besuch gemacht, als Hortense bei ihr eintrat. Man kennt das leichtentzündliche Herz des jungen Kaisers; die Anmut und Lieblichkeit Hortenses entzückte ihn. Sie aber empfing ihn als eine Bonaparte. Sie zeigte sich gegen den Besieger Napoleons zurückhaltend und würdig. Alle Angebote, die er ihr zugunsten ihrer Familie machte, schlug sie aus. Alexander fühlte sich anfangs in ihrer Gesellschaft ein wenig unbehaglich, während er mit Josephines Liebenswürdigkeit und Entgegenkommen außerordentlich zufrieden war. Man teilte Hortense später mit, welchen Eindruck sie auf ihn gemacht habe. Sie aber erwiderte: »Ich habe ihn empfangen, wie ich die Besieger meines Landes empfangen mußte. Ich weiß, der Kaiser Alexander hat sich gegen Napoleon als großmütiger Feind gezeigt, und ich habe ihm auch bewiesen, daß ich das zu schätzen weiß. Ich bin gegen sein edles Verhalten nicht unempfindlich. Aber im ersten Augenblick dachte ich nur an mein Land.«
Später machte auch des Zaren herzgewinnende Liebenswürdigkeit auf diese stolze Frau Eindruck. Ihm verdankte sie es, daß Ludwig XVIII. Saint-Leu zum Herzogtum erhob und ihr eine Rente von 400.000 Franken aussetzte, ohne daß sie darum gebeten hatte.
Hortenses ganzes Verhalten den Verbündeten gegenüber aber war würdig und ihrer Lage angemessen. Sie bot den Ereignissen eine mutige Stirn. Selbst ihre Kinder, die sie stets bei sich hatte, wußte sie in gewisser Entfernung von den Feinden zu halten, ohne ihnen jedoch Gehässigkeit gegen diese einzuflößen. Als die jungen Prinzen den König von Preußen und den Zaren zum erstenmal in Malmaison sahen, fragten sie ihre Erzieherin im Beisein Hortenses, ob diese ihnen unbekannten Fürsten ebenfalls wie die anderen Könige der Familie ihre Onkels wären. Da setzte ihnen die Mutter ernst auseinander, diese Herrscher dürften von ihnen nicht Onkel genannt werden, sondern Sire. Sie wären die Besieger Frankreichs. Sehr verwundert schien darauf der kleine Louis, der spätere Kaiser der Franzosen, daß ihn die Feinde seines Onkels herzten und küßten. Besonders fiel es ihm vom Kaiser Alexander auf. Hortense erklärte ihrem Sohn, dieser Fürst sei ein großmütiger Feind. Er wolle ihnen im Unglück nützlich sein. Ohne ihn wäre das Geschick des Kaisers Napoleon noch viel bitterer.
Darauf ward der Prinz, ein stilles Kind, sehr nachdenklich. Einige Tage später sah er den Kaiser Alexander im Hause seiner Mutter wieder. Lange betrachtete Louis den Zaren, der sich mit Hortense unterhielt. Plötzlich zog der Prinz einen kleinen Ring von seinem Fingerchen und schlich sich behutsam auf den Zehenspitzen bis zu Alexander. Leise drückte er ihm den Ring in die Hand und ergriff dann eiligst die Flucht. Als Hortense ihn zurückrief und fragte, was er getan habe, stammelte er mit hochrotem Gesicht, er besitze nur diesen Ring, möchte ihn aber so gern dem Zaren aus Dankbarkeit dafür schenken, daß dieser so gut zu seiner Mama sei. Gerührt hob Alexander den Knaben zu sich empor und küßte ihn herzlich. Das Ringelchen aber hing er an seine Uhr und versprach es immer zu tragen.
In welch schönem mütterlichen Verhältnis Hortense zu ihren Kindern stand, machte sich besonders in den Tagen des Unglücks fühlbar. Immer war sie bemüht, ihren Söhnen zu zeigen, daß sie aus den Verhältnissen eine Lehre ziehen müßten. Eng aneinandergeschmiegt saßen beide Kinder auf den Knien der Mutter und lauschten ihren Worten. Selbst in der glücklichsten Zeit des Kaiserreichs hatte sie es nicht unterlassen, sie darauf aufmerksam zu machen, daß ein Tag kommen könne, an dem es mit allem Ruhme, allem Glanze und aller Größe ihres Onkels, des Kaisers, zu Ende sei. »Was würdest du dann tun«, fragte sie einst den Ältesten, jenen Prinzen, der in Forli vermutlich durch Mörderhand fiel. – Rasch und stolz erwiderte der Knabe:
»Ich würde Soldat werden und mich so tapfer schlagen, daß man mich zum Offizier ernennte.«
»Und du, mein kleiner Louis?«
Diesem kleinen Prinzen schienen doch wohl Tornister und Flinte zu schwer zu sein. Er suchte sich einen Beruf aus, der besser für ihn paßte.
»Ich würde Veilchen verkaufen wie der kleine Junge vor den Tuilerien, dem wir jeden Tag einige abkauften«, antwortete er bescheiden.
Die Vorleserin der Königin konnte sich bei dieser Antwort nicht enthalten, laut aufzulachen. Aber Hortense sagte ernst zu ihr:
»Lache nicht. Ich gebe den Kindern eine Lehre. Sie sollen lernen, nicht zu fest auf die Dauer ihrer Größe zu bauen. So werden sie daran gewöhnt, sich auf sich selbst zu verlassen.«
Wie Hortense ihren Kindern eine vortreffliche Mutter war, so war sie auch Josephine eine fürsorgliche Tochter. Die Kaiserin hatte sich auf ihrer Reise von Navarra nach Malmaison ein wenig erkältet. Hortense wollte, daß sie im Bett bliebe, aber Josephine achtete dieses Rates nicht und empfing die fremden Fürsten. Ja, sie ging sogar mit dem Kaiser Alexander am Abend einige Augenblicke in den Park hinab. Auf diese Weise verschlimmerte sich die Erkältung, und es wurde eine gefährliche Halsentzündung daraus. Die Tochter wich nicht vom Krankenbett der geliebten Mutter. Nur Eugen löste sie bisweilen ab.
Am Pfingsttage, dem 29. Mai, verloren die Geschwister alle Hoffnung auf Genesung der Kaiserin. Josephines sanfte Züge hatten sich schrecklich verändert. Noch einmal streckte sie verlangend die Arme nach ihren Kindern aus. Sie wollte sprechen – sie konnte nicht mehr. Man glaubte die Worte »Elba«, »Marie Luise«, »Napoleon« aus ihrem Munde zu hören. Da war es mit Hortenses Kräften zu Ende. Als sie ihre Mutter sterben sah, fiel sie ohnmächtig an deren Bett nieder. Eugen kniete nieder, umschlang die Mutter zärtlich, und einige Minuten später hauchte Josephine ihr Leben in den Armen des Sohnes aus. Es war, als wenn die Vorsehung diese Frau, die nur Ruhm und Macht mit Napoleon geteilt hatte, nicht seine ganze Erniedrigung und Schmach mit erleben lassen wollte! Josephine ging von der Welt, ehe er ganz unglücklich war.
Hortense war sehr krank. Sie zog sich mit ihren Kindern nach Saint-Leu zurück. Später, am 25. Juli, begab sie sich allein zur Erholung nach dem Bade Plombières und nach Baden-Baden.
Ehe der Zar Paris verließ, machte er der Kranken noch einen Besuch. Aber Hortense konnte ihn nicht empfangen. Er ließ ihr die Patentbriefe überreichen, in denen sie durch Ludwig XVIII. zur Herzogin von Saint-Leu erhoben wurde. Napoleon nahm es seiner Tochter sehr übel, daß sie diese Gunst von den Bourbonen angenommen hatte, noch mehr aber, daß sie in dem royalistischen Frankreich geblieben war. Sie umgab sich jedoch fast ausschließlich mit seinen Anhängern; war sie ja selbst die glühendste Bonapartistin. Eine Ausnahme machte sie allerdings mit einigen Engländern und Russen sowie mit Frau von Staël und Frau Récamier, die die Herzogin von Saint-Leu in ihrem Schlosse aufsuchten.
Am Hofe Ludwigs XVIII. sah man den Besuch Frau von Staëls in Saint-Leu ungern. Um nicht die Unzufriedenheit des Fürsten auf sich zu ziehen, von dessen Gnade sie abhing, fügte Hortense sich und empfing Frau von Staël nicht wieder. Ferner hielt sie es für ihre Pflicht, sich beim Könige für den Herzogstitel persönlich zu bedanken, obgleich der Zar ihr sehr abgeraten hatte, dies zu tun. Als sie im September von ihrer Reise aus Baden zurückkehrte, bat sie Ludwig XVIII. um eine Audienz. Sie wurde ihr sofort bewilligt. Das Herz klopfte ihr zum Zerspringen, als sie das erstemal wieder die Tuilerien betrat, wo ihre Familie so lange Herrscherin gewesen war. Ein Gefühl der Wehmut beschlich Hortense, als sie in das Kabinett des Königs eintrat. Dort war alles noch wie ehedem. Man hatte an der Einrichtung nichts verändert. Nur der Herrscher, der vor dem großen Schreibtisch saß, war ein anderer.
Ludwig XVIII. war anfangs ein wenig verlegen, als er die Tochter seines Usurpators vor sich sah. Die Herzogin von Saint-Leu mußte zuerst das Wort an ihn richten. Dann aber zeigte er sich auch sehr liebenswürdig gegen sie und war von ihrem Besuche, besonders aber von ihrer Persönlichkeit, entzückt.
Auch diesen Schritt mißbilligten sowohl Napoleon als Louis, und nicht mit Unrecht. Hortense hätte ihn um ihres Vaters willen nicht unternehmen sollen. Vor allem aber durfte sie niemals die Gunst der Bourbonen annehmen. Sie glaubte das ihren Kindern schuldig zu sein. Louis protestierte öffentlich gegen die Annahme des Herzogtitels; er hat ihn niemals getragen. Ebenso verwahrte er sich gegen den Vertrag von Fontainebleau, der den Geschwistern des Kaisers 200.000 Franken Jahrgeld zusicherte. Er wollte als einfacher Privatmann leben und keine Vorteile irgendwelcher Art genießen, besonders nicht aus den Händen der Feinde.
Bis zum September hielt sich der ehemalige König von Holland in der Schweiz auf. Trotzdem er sehr friedlich in Lausanne, Baden und Zürich lebte, wurde er scharf beobachtet. Man hatte ihn in Verdacht, mit Joseph im Briefwechsel wegen der Befreiung Napoleons zu stehen. Gerade aber bei Louis war dieses Mißtrauen unangebracht. Höchstens hätte er in seinem eigenen Interesse für Hollands Thron intrigiert. Übrigens war er entschlossen, für immer zu Letizia nach Rom zu gehen. Als er eben im Begriff war, diesen Plan auszuführen, bekam er in Payerne einen so heftigen Gichtanfall, daß er hilflos in einem Gasthof liegen blieb. Dort fand ihn ganz verlassen der Baron Méneval, der sich zu Joseph nach Prangins begab. Sie unterhielten sich über die letzten Ereignisse, die den Sturz des Kaisers herbeigeführt hatten. Besonders tief ergriffen schien Louis von dem Selbstmordversuch zu sein, zu dem sich Napoleon in Fontainebleau in jener fürchterlichen Nacht vom 12. zum 13. April hatte hinreißen lassen. Danach beurteilte Louis die ganze Tragweite des Unglücks, das seinen Bruder betroffen hatte.
Endlich konnte er seine Reise nach Italien fortsetzen. Am 24. September 1814 traf er in Rom ein und stieg im Hause Feschs ab. Seine Mutter war bereits zu ihrem Sohn nach Elba übersiedelt. Louis führte in der Ewigen Stadt ein stilles Leben, das nur durch tägliches Besuchen der Messe unterbrochen wurde. Darin übertraf er sogar noch den Kardinal, den man um jene Zeit sehr oft in weltlicher Gesellschaft bemerkte.
Unaufhörlich drängte Louis Hortense, daß sie sich von ihm scheiden lasse und ihm den älteren ihrer beiden Söhne sende. Sie vermochte sich nicht von ihrem Kinde zu trennen. Da forderte der Gatte sein Recht durch die Gerichte, und er erreichte, was er wollte. Am 7. März 1815 wurde ihm nach einem lebhaften Prozeß sein Sohn Napoleon Louis zugesprochen, während die Mutter den Jüngeren behalten durfte.
Einige Tage später jedoch, am 20. März, kehrte der Kaiser von Elba zurück. Die Familienstatuten traten wieder in Kraft; alles hing von neuem von der Macht Napoleons ab. Er widersetzte sich dem Wunsche seines Bruders sowohl in bezug auf die Scheidung als hinsichtlich der Übergabe des Kindes. Hingegen rief er Louis zu sich nach Paris.
Der Bruder leistete dieser Aufforderung keine Folge. Er war sehr krank und bedurfte der Ruhe; das Leben an einem Hof und die politischen Aufregungen würden seinen Zustand nur verschlimmert haben. Dennoch ernannte ihn der Kaiser während der Hundert Tage zum Pair von Frankreich und setzte ihm 500.000 Franken Jahrgeld aus.
Niemand war über die Rückkehr des Kaisers glücklicher als Hortense. Zwar hatte der heimkehrende Napoleon sie kalt empfangen und ihr in bitterem Tone gesagt: »Sie haben meine Neffen in eine recht schlechte Lage mitten unter meinen Feinden gebracht.« Aber sein Groll währte nicht lange. Bald wußte Hortense wieder sein ganzes väterliches Herz zu gewinnen. Gleich am nächsten Tag nach seiner Ankunft hatte sie ihre Söhne zu ihm geführt. Napoleon liebkoste die Knaben lange und zärtlich. Er schien auf sie alle Liebe übertragen zu wollen, die er für seinen eigenen fernen Sohn empfand. Stolz zeigte er sich mit den beiden Prinzen der jubelnden Menge. Das Gefühl, daß er dem Volke doch einen Erben werde geben können, trotzdem man den rechtmäßigen vom Throne entfernt hatte, befriedigte ihn außerordentlich.
Hortense machte jetzt wieder teilweise die Honneurs in ihres Vaters Hause. Jeden Abend um 7 Uhr begab sie sich nach dem Elysée. Oft mußte sie warten, ehe sie den Kaiser begrüßen konnte, denn er arbeitete ununterbrochen mit seinen Ministern. Dann nahm sie an seiner Tafel teil und zog sich gewöhnlich gegen 10 Uhr zurück, um noch in ihrem Hause ihre eigene Gesellschaft zu empfangen. Sie war ihm Trösterin und Ratgeberin. Mit dem Kaiser Alexander von Rußland stand sie im Briefwechsel, um Napoleons Stellung zu befestigen. Auch an Marie Luise schrieb sie und versuchte, sie zur Rückkehr zu ihrem Gatten zu bewegen. Sie verurteilte sie nicht um ihrer charakterlosen Handlung von 1814 willen. Nachsichtig schrieb Hortense alles der Jugend und Abhängigkeit Marie Luises zu. Aber ihre Schritte hatten ebenso wenig Erfolg wie der Brief des Kaisers an seine Gemahlin selbst.
Gewissermaßen als Ersatz für diese Frau, die ihn so leicht mit ihrem Sohne aufgegeben hatte, mußte Hortense ihm von der andern erzählen, deren letzter Seufzer ihm gegolten hatte. Er drückte auch den Wunsch aus, die Stätte, wo er das höchste Glück mit Josephine genossen hatte, das Schloß Malmaison, wiederzusehen. Hortense gab ihm das Geleite. Ihr Herz war schwer, als sie den Ort wiedersah, an dem sie die Mutter verloren hatte. Mutig überwand sie ihre Tränen um des Kaisers willen. Auch die starke Seele Napoleons war erschüttert. Nach Tisch hatte er das Verlangen, in das Zimmer Josephines zu gehen. Als sich Hortense erhob, um ihn zu begleiten, wehrte er sie ab und sagte:
»Nein, bleiben Sie, meine Tochter. Das würde Sie zu sehr aufregen. Ich gehe allein.« Seine Stimme war bewegt. Er ging.
Als er zurückkam, bemerkte man trotz aller Anstrengung, die er machte, um ruhig zu erscheinen, die innere Erregung. Seine Augen waren noch vom Weinen feucht, und es schien, als wolle er sich ein rauhes, undurchdringliches Äußere geben, nur um einer Schwäche zu entgehen, die er nicht zeigen mochte. Oft wiederholte er der Tochter, daß Josephine ihn im Unglück gewiß nie verlassen haben würde. Hortense mußte ihm ein kleines Bild von dem besten Porträt ihrer Mutter machen lassen, das er stets bei sich tragen wollte.
Der Feier auf dem Maifelde wohnte die Herzogin von Saint-Leu mit ihren Schwägern, Schwägerinnen und ihren Söhnen bei. Die blonden Haare der jungen Frau, ihre zarte Hautfarbe, die schlanke Gestalt und die Anmut ihrer Bewegungen zogen alle Blicke auf sie. Es sollte die letzte große Feierlichkeit des Kaiserreichs sein. Europa ließ dem Manne, der es so lange in Schach gehalten hatte, nicht mehr Rast noch Ruhe.
Traurig sah Hortense ihren Vater von neuem in den Krieg ziehen. Bange Ahnungen bedrückten sie. Und merkwürdigerweise war sie eine der ersten, die das Unglück von Waterloo aus dem Munde Savarys, des Herzogs von Rovigo, erfuhr! In diesem Augenblick war gerade eine glänzende Gesellschaft bei ihr versammelt. Ihren Gästen gegenüber ließ sie jedoch nicht merken, welch erschütternde Nachricht sie soeben empfangen hatte. Nur furchtbar bleich war sie. Als sie endlich allein war, brach sie zusammen. »Nun ist das Unglück doch hereingebrochen!« rief sie voller Schmerz. Aber in diesem zarten Körper lebte ein starker Geist. Die Worte, die sie einige Augenblicke später sprach, waren ganz einer Bonaparte würdig. »Der Kaiser ist geschlagen!« sagte sie; »Frankreich ist in Gefahr; die Verbündeten marschieren auf Paris! Nur eine letzte große Anstrengung kann uns retten: Einigkeit und Stärke können Wunder bewirken! Werden dies aber auch die Kammern verstehen!« – Noch in derselben Nacht kehrte der geschlagene Kaiser vom Schlachtfeld zurück. Am nächsten Tag bestätigte die Sitzung der Kammern die Befürchtung Hortenses.
Nach der zweiten Abdankung fand Napoleon gleichfalls eine treue Gefährtin in seiner Tochter. Wieder begleitete sie ihn nach dem stillen Malmaison, nachdem sie ihre Söhne in Sicherheit gebracht hatte. Ihre Freunde machten sie darauf aufmerksam, welcher Gefahr sie sich dadurch aussetze. Sie aber antwortete einfach: »Der Kaiser hat mich stets wie sein eigenes Kind behandelt; ich werde ihm eine dankbare Tochter sein. Je mehr er in Gefahr ist, desto glücklicher werde ich sein, ihm meine ganze Ergebenheit zu zeigen!«
Sie bedauerte unendlich das Geschick des großen Mannes und hätte gern die Verbannung mit ihm geteilt. Aber sie mußte ihren Kindern leben. Da sie jedoch nicht wußte, welchem Geschick der Kaiser entgegenging, bat sie ihn, ihr Diamanthalsband anzunehmen. Zuerst weigerte sich Napoleon, sie des kostbaren Schmuckes zu berauben, dann aber willigte er ein. Hortense nähte das Halsband in einen schwarzseidenen Gürtel ein, den Napoleon immer auf seinem Körper tragen sollte. Aber er brauchte den Schmuck nicht. Nach seinem Tode brachte Montholon ihn der Herzogin wieder zurück. Er sollte ihr im Jahre 1835 von Nutzen sein. Da sie sich damals in Geldverlegenheit befand, verkaufte sie ihn für 46.000 Franken an den König von Bayern; obgleich der Schmuck weit kostbarer war und einen Wert von 200.000 Franken darstellte.
Beim Abschied drückte Napoleon die geliebte Tochter zärtlich an sein Herz. Er sagte kein Wort, aber Hortense fühlte die Tränen, die aus seinen Augen ihre Wangen benetzten. Dann küßte er ihre beiden Kinder und ging schnell hinaus, um seine Bewegung zu verbergen.
Hortenses Bleiben in Paris war von diesem Augenblick an nicht mehr von langer Dauer. Ihr Verhalten während der Hundert Tage und nach dem Sturze des Gewaltigen mißfiel den Verbündeten. Die Herzogin von Saint-Leu schien ihnen höchst verdächtig. Alexander ließ sie ganz auffällig seine Ungnade fühlen, denn als er den Fürsten von Schwarzenberg besuchte, der in ihrem Hause in der Rue Cerutti sein Quartier aufgeschlagen hatte, fragte er nicht einmal nach ihr. Fouché ließ ihr den freundschaftlichen Rat geben, Paris so schnell wie möglich zu verlassen. Die öffentliche Meinung schien in der Tat sehr gegen die Tochter Napoleons zu sein, denn als Hortense eines Tages ausging, hörte sie die Vorübergehenden Drohungen gegen sie ausstoßen. Ihr Haus war mehrmals Angriffen von seiten der Bevölkerung ausgesetzt, so daß sie gezwungen war, eine kleine Wohnung zu mieten, wo sie unerkannt und unbelästigt leben konnte, bis sie bereit war, dem Rate des Polizeiministers zu folgen. Da sie jedoch vorher Geld flüssig machen mußte, verzögerte sich ihre Abreise. Um ihr aus der Verlegenheit zu helfen, kaufte Talleyrand ihr für 16.000 Franken Gemälde ab, ebenso veräußerte sie noch andere Kunstwerke, an denen ihre Schlösser so reich waren.
Hortenses Charakter war mit den Ereignissen gereift. Die Schwache, Willenlose, war jetzt eine energische, entschlossene Frau geworden. Sie überschaute die Umstände von der Höhe herab, auf die sie Mißgeschick und Unglück gestellt hatten. In ihrem Herzen war kein Haß, keine Rache gegen die Menschen zu finden, die der Parteigeist gegen sie hetzte. Nur Mitleid und Verachtung empfand sie für sie. Alle ihre Nerven waren gespannt wie die Saiten eines straffen Bogens; alle Verleumdungen prallten an ihr ab. Sie war gegen alle Eindrücke unempfindlich. Es ist zu verwundern, wie die kränkliche, zarte Frau alles an sich hatte vorüberziehen sehen, ohne selbst dabei zu unterliegen.
Hortense hatte es jedoch durchaus nicht eilig, sich aus der Hauptstadt zu entfernen. Es war ihr alles so gleichgültig geworden! Da traf am 19. Juli 1815 der formelle Befehl des Barons von Müffling, des Kommandanten von Paris, ein, daß sie binnen zwei Stunden abreisen müsse. Da es ihr unmöglich war, sich so schnell zur Reise vorzubereiten, gewährte man ihr eine Frist bis zum Abend. Als Begleitung bot man ihr eine Abteilung Soldaten an, aber sie schlug sie aus. Nur den Schutz eines jungen österreichischen Offiziers, der sie bis in die Schweiz geleiten sollte, nahm sie an. Es war Graf Woyna, Schwarzenbergs Flügeladjutant. Der neunzehnjährige Offizier nahm seine Aufgabe dermaßen ernst, daß er sich in seine anmutige Schutzbefohlene verliebte.
Vollkommen in ihr Schicksal ergeben trat die Herzogin von Saint-Leu mit ihren beiden kleinen Söhnen die Reise nach der Verbannung an. Zuerst lenkte sie ihre Schritte nach Genf. Während der Durchreise durch Frankreich aber lief sie so große Gefahr, daß sie mehrmals beinahe der Wut der Royalisten unterlegen wäre. Bei diesen Gelegenheiten zeigte ihr junger Beschützer einen Mut und einen Takt, die man von seinem Alter nicht erwartet hätte. Da Hortense glaubte, im Schlosse Prégny bei Genf, das ihre Mutter noch erworben hatte, eine sichere Zufluchtsstätte zu finden, stieg sie zuerst in Sécheron, unweit des Schlosses, im Gasthof Dejean ab. Dort wollte sie so lange verweilen, bis Prégny instand gesetzt sei. Sie hatte sich geirrt, wenn sie dachte, hier bleiben zu dürfen. Auf Veranlassung des französischen Gesandten in der Schweiz, des Grafen Talleyrand, fühlte sich die Genfer Regierung veranlaßt, die Herzogin von Saint-Leu aus ihrer eigenen Besitzung auszuweisen. Hortense hatte trotz allem ihren guten Humor nicht verloren. Lachend sagte sie zu Woyna, der sich keinen Rat wußte, was er nun mit ihr anfangen sollte: »Es bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als mich in den See zu werfen, denn irgendwo muß ich doch bleiben!«
Schon dachten sie daran, wieder nach Frankreich umzukehren Da erinnerte sich Hortense des schönen Badeorts Aix-les-Bains, wo sie so oft mit ihrer Mutter geweilt hatte. Dort hoffte sie Ruhe vor ihren Verfolgern zu finden, denn sie meinte, man würde sich in Aix der Wohltaten erinnern, die Josephine und sie seinerzeit dort gespendet harten. Aber sie hatte nicht mit den sardischen Behörden gerechnet, die sie allen möglichen Unannehmlichkeiten aussetzten. Dazu hatten die Aufregungen der letzten Monate ihr gesundheitlich sehr geschadet. Ihre Brust wurde immer schwächer. Manchmal meinte sie, ersticken zu müssen und ein bleiernes Gewicht in ihren Gliedern zu spüren. Kurz, sie war sehr krank. Sie hatte das erste beste Haus mieten müssen, das leer stand. Es war schlecht und ungünstig gelegen und hatte ein düsteres, trauriges Äußere. Dennoch war die Herzogin von Saint-Leu sehr froh, es gefunden zu haben, denn es besaß einen geräumigen Hof, in dem die beiden Prinzen ungestört ihren kindlichen Spielen nachgehen konnten. Aber sogar in dem harmlosen Soldatenspiel der Knaben sah die Obrigkeit Gefahr. Täglich glaubte Hortense den Augenblick nahe, daß man sie auch aus Aix verweisen würde. Und ihre Vermutungen täuschten sie nicht. Bereits am 28. November mußte sie sich einen andern Wohnort suchen.
In ihrer Bedrängnis hatte sie ihrer Cousine Stephanie von Baden geschrieben, daß sie sich sehr gern in Konstanz am Bodensee niederlassen möchte. Aber es bedurfte des ganzen Einflusses der Großherzogin, um ihren Gatten zu bestimmen, daß er der Herzogin von Saint-Leu diesen Wunsch gewährte. Auf ihrer Reise nach Konstanz hielt sich Hortense zwei Tage in Prégny auf, das währenddessen ängstlich von Genfer Gendarmen bewacht wurde. Man machte sogar eine Hausdurchsuchung im Schloß, denn man vermutete, Joseph, der nach Amerika entkommen war, habe sich bei Hortense verborgen. Auf diesen lächerlichen Verdacht war man gekommen, weil die Herzogin ein Kammermädchen mit sich führte, das ein sehr männliches Äußere hatte. Unter der weiblichen Hülle vermutete man den ehemaligen König von Spanien!
Von neuem begann das Wanderleben. Hortense verließ Sécheron am 30. November morgens bei großer Kälte, die die schreckliche Biese noch schneidender machte. Die brustkranke Frau mußte reisen; niemand fragte danach, ob sie krank war. Überall, wo sie sich zeigte, verfolgte man sie. In Payerne, Murten und Bern war sie fortwährend von Spionen umgeben. Wenn sie irgendwo eine Landschaft in ihr Skizzenbuch zeichnete, kamen sofort Gendarmen und geboten ihr, des Weges weiter zu ziehen. In Bern wurde sie von neuem wegen Joseph Bonaparte belästigt. Sie hatte in Payerne einen ehemaligen General Napoleons, namens Ameil empfangen. Dieser Offizier schien dem Berner Polizeichef, Herrn von Wattenwyl, verdächtig, denn man vermutete, er wäre der verkappte Joseph Bonaparte.
Endlich gelangte die Herzogin von Saint-Leu am 7. Dezember nach Konstanz. Dort machte ihr der Großherzog von Baden von neuem Schwierigkeiten, und nur ihrer Cousine verdankte sie es, daß sie bleiben durfte. Anfang Januar 1816 mietete sie an den Ufern des Bodensees von einem Herrn Zumstein eine kleine Villa, wo sie endlich ein wenig Ruhe und Pflege fand. Sehr glücklich war sie, daß München in der Nähe lag. Dort weilte Eugen, der sie öfters besuchte.
Eines Tages las Hortense in der »Gazette de Lausanne«, sie habe während ihrer Reise durch die Schweiz sehr geringschätzig vom Kaiser gesprochen. Darüber war sie außer sich und sagte: »Das ist stark! Diese Infamen! Mir eine Beleidigung gegen den Kaiser in den Mund zu legen.« Sie hegte für Napoleon jederzeit die größte Verehrung und wäre gewiß nicht fähig gewesen, ihn zu schmähen. Es kam ihr nicht einmal in den Sinn, ihn zu tadeln, daß er sie so unglücklich verheiratet hatte.
Inzwischen hatte der Graf von Saint-Leu in Rom alles versucht, um das Urteil des Seinegerichtshofes vom 7. März 1815 in Kraft treten zu lassen. Seine Schritte waren von Erfolg gekrönt. Als Hortense im November 1815 in Aix weilte, sandte er den Baron van Zuiten, einen seiner Vertrauten, zu ihr, um seinen ältesten Sohn holen zu lassen. Napoleon Louis war elf Jahre alt und ein schöner, außerordentlich intelligenter Knabe. Schon frühzeitig war er bestrebt, seine Fähigkeiten einst in den Dienst der Wissenschaft zu stellen. Die Mutter trennte sich mit großem Schmerz von ihm, aber sie mußte sich dem Gesetz beugen. Ihr Gatte begnügte sich nicht damit. Er wollte seine Ehe von der Kirche aufgelöst wissen. Diese Absicht teilte er Hortense am 14. September 1816 in einem interessanten Briefe mit.
»Ganz Frankreich weiß, daß unsere Ehe gegen unsern Wunsch geschlossen worden ist, und zwar aus politischen Gründen, durch den festen, unerschütterlichen Willen meines Bruders, ferner, weil Ihre Mutter nicht mehr hoffen konnte, Kinder zu bekommen.
Obgleich viele Personen Ihrer Bekanntschaft und Ihres Kreises tot sind, so gibt es doch immerhin noch einige, die beweisen können, daß wir, weder Sie noch ich, unsere Zustimmung nicht freiwillig gegeben haben, und daß wir beide die Opfer einer ungerechten, falschen Politik gewesen sind. Man weiß, daß ich Ihre Cousine Emilie ... schon lange vor meiner Abreise nach Ägypten im Jahre 1798 liebte, und daß ich aus diesem Grunde die Vorschläge Ihrer Mutter zu einer Verbindung mit Ihnen ausschlug ...
Als ich aus Preußen zurückkehrte, waren Sie noch nicht verheiratet. Ich aber fand Mittel, mich nochmals zu entfernen, da es mir geglückt war, mein Regiment in die Armee Leclercs einreihen zu lassen, die nach Portugal marschierte. Diese zweite Reise hatte von meiner Seite aus den gleichen Zweck, und ich hegte die gleichen Hoffnungen ... Einige Monate später kam der Frieden von Amiens zustande. Mein Regiment, das aus Spanien zurückgekehrt war, erhielt Befehl, nach Paris zu kommen. Ich hielt mich in Barèges auf. Von dort aus schrieb ich meiner Schwester Elisa, um zu wissen, ob ich nach Paris gehen könnte, ohne befürchten zu müssen, daß man mich aufs neue zu der geplanten Heirat dränge. Sie beruhigte mich vollkommen darüber und fügte hinzu, Sie seien einem der Generale Moreau, oder Macdonald, versprochen, die beide um Ihre Hand angehalten hätten.
Ich kam also nach Paris. Nichts schien mir unmöglicher als unsere Vereinigung. Zwei Monate später jedoch war ich mit Ihnen verheiratet! Es geschah am 2. Januar 1802!
An einem und demselben Abend wurde der Heiratsvertrag unterschrieben, die Zivil- und kirchliche Trauung vollzogen! Ich erinnere mich, daß ich Ihnen während der kirchlichen Weihe den Trauring zögernd und zagend überreichte, und Sie ihn ebenso zitternd und unentschlossen entgegennahmen.
Ihre Mutter und mein Bruder geleiteten uns in das Brautgemach. Die Heirat vollzog sich während des Monats, in welchem wir zusammen wohnten. Aber wieviel Tränen, wieviel Klagen und welche Traurigkeit schließt jene Zeit in sich! Und jeden Tag wurden wir gezwungen, weiter miteinander zu leben. Alle, die sich Ihnen näherten, und man kann sagen, der größte Teil des Pariser Volkes, wissen, daß wir zu dieser Handlung gezwungen wurden. Der herrische, unumstößliche Wille meines Bruders, des Oberhauptes des Staates und meiner Familie, versetzten mich lange Zeit in die schreckliche Lage, entweder zu gehorchen oder Frankreich zu verlassen! Dadurch aber hätte ich mich sowohl mit Frankreich als mit meiner Familie auf Kriegsfuß befunden. Ich hätte mich auf die Seite der Emigranten stellen müssen, und das fürchtete ich mehr als den Tod!
Seitdem sind mehr als vierzehn Jahre vergangen, und wir sind nicht ein einziges Mal miteinander einverstanden gewesen!
Während einer so ungeheuer langen Zeit haben wir kaum dreieinhalb Monate als Mann und Frau gelebt, und wenn, dann immer mit Zeichen der größten Abneigung oder wenigstens Entfremdung. Diese drei Monate waren in drei nicht allein sehr kurze Zeiträume eingeteilt, sondern diese wieder waren durch mehrere Jahre voneinander getrennt!
Während dieser drei Epochen hat ganz Paris, ja man kann sagen ganz Frankreich, Zeuge unserer gegenseitigen Abneigung, selbst in Gegenwart Ihrer Mama und meines Bruders, sein können.
Niemals haben wir in Holland ehelich miteinander gelebt, denn dort waren wir freier... Nach wie vor haben wir nicht aufgehört, unsere Trennung zu fordern. Ich wollte meine ganze und rechtmäßige Freiheit erhalten, das heißt die Scheidung durch die Kirche, und Sie wollten nur die Trennung.
Das sind, gnädige Frau, die Tatsachen, auf denen ich meinen Antrag zur Nichtigkeitserklärung unserer Ehe begründe. Ich bitte Sie, keinen Widerspruch zu erheben und den Skandal zu vermeiden, der entstünde, wenn wir gegenseitig in Streit liegen würden. Ich teile Ihnen meine Hauptgründe mit, damit Sie wissen, daß ich mich auf nichts berufe, was Sie verletzen könnte.
Wenn wir unsere Freiheit erlangen können, so werden wir endlich aufhören, unglücklich zu sein. Dann werden wir weniger feindlich gegeneinander gesinnt sein, als wir es früher waren. Unsere Kinder werden darunter nicht leiden. In einer Ehe geboren, stehen sie allem, was sich auf die Ursachen und Umstände bezieht, fremd gegenüber. Ich werde ihnen stets die Fürsorge und die Gefühle entgegenbringen, die ich bis jetzt für sie gehegt habe...
Glauben Sie, gnädige Frau, sobald ich dieses unerträgliche Joch nicht mehr fühle, werde ich vollkommen vergessen. Ich werde großes Interesse an Ihnen nehmen, an die mich unser gemeinsames Mißgeschick fesseln wird...«
Zwischen den Zeilen dieses Briefes liest man, daß Louis nicht alles sagte, was er auf dem Herzen hatte. Zu seiner großen Enttäuschung willigte der Papst jedoch nicht in die Scheidung dieser beiden unglücklichen Menschen. Alle die schwerwiegenden Gründe, die der Graf von Saint-Leu anführte, schienen dem Oberhaupt der katholischen Kirche nicht ernst und maßgebend genug, um das aufzulösen, was die Kirche zusammengefügt hatte! Auch jetzt noch waren Hortense und Louis verdammt, in einem gewesen Verhältnis zueinander zu stehen.
Die Gesundheit der Herzogin von Saint-Leu erforderte um diese Zeit einen Aufenthalt in den Bergen. So begab sie sich im Sommer 1816 nach dem reizend gelegenen Gais im Kanton Appenzell, um eine Molkenkur zu gebrauchen, die ihr die Ärzte verordnet hatten. Dort begegnete ihr ein sehr drolliges Abenteuer, an das sie sich, noch lange Zeit ihres Lebens erinnerte. Der Landammann des Kantons suchte seinem hohen Gaste den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen und verteidigte die Herzogin bei jeder Gelegenheit. Eines Tages tat er es auch in Gegenwart von Justus Gruner, des Geschäftsträgers des Königs von Preußen in Bern. Ein wenig ungeduldig, zugleich aber auch schelmisch sagte Gruner: »Nun, wenn Sie sie so bewundern, dann heiraten Sie sie doch.« Der biedere Schweizer nahm die Worte ernst. Da er unverheiratet war, schritt er wahrhaftig zur Tat. Er schrieb der ehemaligen Königin von Holland einen sehr ergebenen Brief und bat um ihre Hand. Dabei vergaß er nicht hinzuzufügen, daß in der Schweiz die Scheidung gestattet sei, und es ihr ein leichtes sein würde, sich von ihrem ersten Gatten zu trennen.
Man kann sich vorstellen, wie sehr der Heiratsantrag des braven Mannes die Herzogin amüsierte. Lange hatte sie nicht mehr so gelacht wie damals. Sie antwortete ihm jedoch so liebenswürdig, wenn auch ablehnend, daß der Landammann von Appenzell stets ihr Freund geblieben ist.
Im darauffolgenden Winter blieb sie noch in Konstanz. Bald aber forderte man energisch vom Großherzog von Baden, daß er seine Cousine aus seinen Staaten entferne. Hortense mußte sich also von neuem eine Wohnstätte suchen. Ihre Wahl fiel auf das schöne Schloß Arenenberg im Kanton Thurgau, ebenfalls am Bodensee gelegen. Sie hatte das Glück, es außerordentlich billig zu erstehen, denn sie kaufte es mit aller Einrichtung für nur 44.000 Franken! Im Sommer 1817 hielt die Herzogin von Saint-Leu dort ihren Einzug. Endlich war das unstete, aufreibende Wanderleben für sie zu Ende, endlich hatte sie einen Ort gefunden, wo sie ungestört und unbemerkt leben konnte! In Arenenberg fand sie Ruhe und Erholung. Mit feinem Geschmack und großem Kunstsinn verschönerte sie das Schloß, ganz ihren Erinnerungen hingegeben. Es wurde mit der Zeit ein reines Museum von Reliquien aus der Kaiserzeit. Alle Gegenstände, die Bezug auf ihre verstorbene Mutter hatten, sammelte sie mit wahrhaft kindlichem Eifer.
Ihr Leben in Arenenberg war still und einförmig. Die meiste Zeit widmete sie der Erziehung ihres Sohnes Louis Napoleon, des späteren Napoleon III. Sie unterrichtete ihn selbst im Zeichnen und Tanzen und war mitunter seine Reitlehrerin, denn sie selbst betrieb den Reitsport mit einer Kühnheit und Meisterschaft, die zu jener Zeit nicht ihresgleichen fanden. Im Jahre 1818 hatte sie auch die Freude, ihren ältesten Sohn Napoleon Louis in Arenenberg zu sehen.
Nur im Winter entschlüpfte Hortense der Eintönigkeit. Sie verbrachte ihn meist in Augsburg bei ihrem Bruder Eugen oder in Rom. Letizia hatte sich endlich mit der Schwiegertochter ausgesöhnt. Weilte die Herzogin von Saint-Leu in Italien, dann besuchte sie sehr oft die Matrone und las ihr die Bücher vor, die über den großen Gefangenen auf Sankt Helena veröffentlicht wurden. Hortenses Salon in Rom wurde bald einer der gesuchtesten und berühmtesten der Stadt. Fremde und Einheimische rissen sich um die Gunst, von der Tochter Napoleons und Josephines empfangen zu werden. Da sie mit großer Liebenswürdigkeit und feinem Takt auch viel Geist und manche Talente vereinigte, waren ihre Gesellschaften immer von bedeutenden Schriftstellern, Künstlern, Gelehrten und Weltleuten besucht. Sie gab viele Bälle und Feste, denn noch immer war der Tanz ihre Leidenschaft. Der Zauber, den diese Frau durch seltene Vorzüge des Geistes und des Herzens auf jedermann ausübte, war ganz außerordentlich. Sie war im Umgang sehr einfach, zuvorkommend, teilnehmend und anspruchslos. Ihre Unterhaltung war lebhaft und geistreich. Am liebsten lenkte sie das Gespräch auf Napoleon, dessen Andenken alle ihre Gefühle und Gedanken zu beherrschen schien.
Sein Tod erschütterte sie unendlich, gleichzeitig aber war sie glücklich, daß er nun allen Quälereien von Seiten seines Kerkermeisters enthoben sei. Sie hatte stets mit Abscheu und unendlichem Bedauern von den Entbehrungen gehört, denen er ausgesetzt war. Drei Jahre später, im Jahre 1824, riß ihr der Tod eine neue, ebenso große Wunde ins Herz. Sie verlor ihren geliebten Bruder Eugen. Von dieser Zeit an ging sie nicht mehr im Winter nach Augsburg, obgleich Eugens Schwiegervater Maximilian Joseph von Bayern sie sehr schätzte. Der Ort hatte für sie jetzt den Reiz verloren. Bald darauf starb auch ihre einstige Erzieherin und Freundin, Frau Campan, die ihr jederzeit eine treue Ratgeberin in allen Lebenslagen geblieben war. Hortense stand fast ganz allein, von allen ihren alten Freunden verlassen da.
Nun verlebte sie jeden Winter regelmäßig in Rom. Sie bewohnte dort die Villa Paolina, jetzige Villa Borghese, die Besitzung ihrer Schwägerin Pauline. Auch mit dieser verstand Hortense sich jetzt besser als während der Zeit des Glanzes. Nur Paulines Gatte wollte von der Tochter Napoleons nichts wissen. Im Jahre 1826 schrieb der Marschall de Castellane an seinen Vater, daß der Fürst Borghese niemals in Hortenses Salon erschiene, aus Furcht, er könne sich bloßstellen. Und doch sprach man bei der Herzogin von Saint-Leu nie öffentlich von Politik. Erst wenn die offiziellen Besucher verschwunden waren, wenn man sich unter sich fühlte, kam alles, was man auf dem Herzen hatte, zur Sprache. Dann sang auch Hortense mit ihrer schönen Stimme die selbst gedichteten und selbst in Musik gesetzten Romanzen.
Mit ihrem Gatten hatte sie zu jener Zeit keinerlei Beziehungen. Louis hatte im Jahre 1826 vom Großherzog von Toscana die Erlaubnis erhalten, in Florenz zu wohnen. Dort verheiratete er in demselben Jahre am 23. Juli seinen Sohn Napoleon Louis mit der Tochter Josephs, Charlotte Napoleone. Während der ersten zwei Jahre bewohnte der Graf von Saint-Leu den Palazzo Pandolfini-Nencini, in der Via San Gallo, darauf den Palazzo Gianfigliazzi. Außerdem besaß er als Sommeraufenthalt die Villa del Nero in Cammarata und in späterer Zeit die Villa Capponi. Er verabscheute den Luxus und hatte jetzt auch noch den Ehrgeiz abgeworfen, den er als König von Holland doch ein wenig besessen hatte. Sein Leben gehörte der Literatur und der Kirche. Er schrieb und dichtete viel, aber seine Poesie ist nicht die Frucht einer großen Dichterseele; sie ist weniger als mittelmäßig. Wäre er nicht ein Bonaparte gewesen, niemand würde sie gelesen haben. Seinen Sohn hatte er zu seiner eigenen Genugtuung vollkommen in religiösen Grundsätzen erzogen. Leider aber sollte er bald erfahren, welche Früchte seine Erziehung trug.
Die Revolution von 1830 hatte Hortense und ihre Söhne mit der Hoffnung belebt, daß ihnen nun wieder die Tore Frankreichs offen ständen. Um so größer war ihre Enttäuschung, als sie merkten, daß Louis Philipp den Bonaparte ebenfalls nicht mehr entgegenkam als die Bourbonen, und die Verbannung wurde aufrechterhalten. Aber in Italien begann der Boden zu zittern und zu beben. Es bedurfte nur eines Anstoßes, um die Bombe zum Platzen zu bringen. Als Pius VIII. gestorben war, kam der Aufstand zum Ausbruch. Die beiden Söhne des Grafen von Saint-Leu beteiligten sich persönlich an der Volkserhebung in der Romagna, und Hortense, ihre Mutter, war die Anstifterin ihrer Tat. Weder die religiöse Erziehung noch ein Gefühl des Dankes verhinderte Napoleon Louis, sich gegen die päpstliche Regierung aufzulehnen, der die Familie Bonaparte so viel schuldete. Er und sein jüngerer Bruder stellten nicht allein sich selbst, sondern auch mehrere andere Mitglieder der Familie bloß, denn einigen wurde darauf der Aufenthalt in Rom untersagt.
Für Louis und Hortense aber hatte die Tat ihrer Kinder noch ein trauriges Nachspiel. Der Älteste, auf den besonders der Vater alle seine Hoffnung gesetzt hatte, kam dabei ums Leben. Die Herzogin von Saint-Leu behauptet zwar, er sei an den Masern gestorben, wahrscheinlicher aber ist es, daß Napoleon Louis am 17. März 1831 in Forli von den Aufständischen, seinen eigenen Leuten, die er in den Kampf geführt hatte, ermordet wurde, noch ehe die Mutter mit ihm und dem jüngeren, der seit Juni 1830 Artillerieschüler in Thun war, nach England flüchten konnte. Sie, die ihren Söhnen selbst als glühende Bonapartistin die revolutionären Ideen eingeflößt hatte, war ihnen, als sie sah, daß die Sache der Aufständischen verloren war, von Angst und Sorge gepeinigt, entgegengereist, um sie, wenn möglich, aus der Gefahr zu retten. Zu spät! Ihr jüngster Sohn Louis kam ihr mit der Nachricht vom Tode seines Bruders bis Pesaro entgegen. Louis selbst war, und das entspricht der Wahrheit, mit allen Anzeichen der Masern behaftet. Aber jetzt galt kein Zaudern; die Österreicher waren nahe. Hortense hatte gerade noch Zeit, ihren ältesten Sohn zu bestatten. Dann mußte sie eiligst fliehen.
Die Pässe nach England, die sie sich schon früher verschafft hatte, lauteten auf eine Dame mit zwei jungen Leuten. Es mußte also noch ein junger Mann gefunden werden, der den Prinzen Napoleon Louis ersetzte. Sie durfte sich nicht lange ihrem Schmerze überlassen. Es galt zu handeln. Die Herzogin von Saint-Leu war nicht mehr die Königin von Holland, die im Jahre 1807 so unendlich unter dem Verluste ihres Kindes litt. Entschlossen wandte sie sich an den jungen Marchese Zappi, einen der Anführer der revolutionären Partei, daß er sie begleite. Zappi nahm den Vorschlag an, denn er kam ihm gelegen. Ihn führte eine politische Sendung nach Frankreich.
Dorthin lenkten die Flüchtenden zuerst ihre Schritte. Louis Napoleon und der Marchese mußten als Diener und Kutscher verkleidet auf Hortenses Wagen Platz nehmen. Auf diese Weise gelangten sie bis zur Grenze und dann unangefochten bis nach Paris. Niemand ahnte, daß von diesen drei Reisenden zwei die ehemalige Königin von Holland mit ihrem Sohne seien. Beide jungen Männer waren übrigens an den Masern krank und hatten einige Rasttage nötig.
Durch die Vermittelung Casimir Periers und des Flügeladjutanten des Königs, des Grafen d'Houdetot, verschaffte sich die Herzogin von Saint-Leu eine Audienz bei Louis Philipp. Der König empfing sie zwar freundlich, mußte ihr jedoch sagen, daß ihre Anwesenheit in Frankreich ganz geheim gehalten werden müsse. Sie solle so schnell wie möglich Paris wieder verlassen. Man befürchtete vor allem ihre Anwesenheit während der Kundgebungen, die sich für den 5. Mai, den Todestag Napoleons, vorbereiteten. Dennoch hielt Hortense sich länger als acht Tage in Paris auf, immer die Krankheit ihres Sohnes vorschützend, die jedoch kein Hindernis gewesen wäre, die Reise zu unternehmen. Endlich, Mitte Mai, verließen beide die französische Hauptstadt und begaben sich nach England.
Der Schmerz des Grafen von Saint-Leu über den Verlust des geliebten Sohnes war groß. Louis verfehlte nicht, die Mutter als Ursache anzuklagen. Er mißbilligte die Handlung seiner Söhne aufs höchste, war jedoch nicht imstande gewesen, sie zu verhindern. Um diese Zeit unterhielt er mit Joseph, dem Grafen von Survilliers, der im Begriff war, sich nach Europa einzuschiffen, um die Rechte des Sohnes Napoleons auf den Thron Frankreichs zu verteidigen, einen regen Briefwechsel. Selbst hat Louis indes nie etwas in dieser Angelegenheit unternommen. Er hatte vollkommen mit allem Politischen abgeschlossen.
Hortense und ihrem Sohne wurde der Aufenthalt in England nicht lange gestattet, obwohl man sie anfangs mit Auszeichnung behandelt hatte. Der französische Gesandte Talleyrand, der ehemalige Großwürdenträger Napoleons, sorgte dafür, daß die Tochter seines früheren Gebieters den englischen Boden so bald wie möglich verließ. Ihm war die Anwesenheit der Exkönigin von Holland in London unangenehm, und er verschaffte ihr daher in kürzester Zeit Pässe nach der Schweiz.
Am 1. August reisten Mutter und Sohn wieder über Frankreich nach Arenenberg. Ein längerer Aufenthalt wurde der Herzogin von Saint-Leu in Paris nicht gestattet. Man ließ ihr nur so viel Zeit, daß sie das Grab Josephines in Rueil besuchen konnte. Sie hätte ihrem Sohne gern Saint-Leu gezeigt, aber das wurde ihr nicht erlaubt. Nach Paris kamen sie nicht.
Einige Tage später waren sie wieder in ihrem schönen Schlosse in Arenenberg. Wie früher brachte Hortense den Winter in Rom und bisweilen in Genf zu, wo sie viele Beziehungen hatte. Ihr Sohn, der spätere Napoleon III., weilte fast beständig bei ihr. Obgleich sie behauptete, sie strebe jetzt, nach all den Enttäuschungen und Bitternissen des Lebens, nur nach Ruhe und Abgeschlossenheit, war sie doch fortwährend bemüht, ihre Familie wieder zu Ruhm und Ansehen zu bringen. Sie liebäugelte anfangs mit dem Throne Polens für ihren Sohn, und es ist gewiß nicht ausgeschlossen, daß sie die Kundgebungen zugunsten des polnischen Volkes in Paris, im September 1831, mit ihrem Gelde unterstützte. Die Einnahme Warschaus machte allen ihren Hoffnungen ein jähes Ende. Hortense und ihr Sohn aber blieben stets den unterdrückten Polen hilfreiche Freunde. Jeder verbannte Pole, der durch Konstanz kam, wurde auf Kosten der Herzogin von Saint-Leu beherbergt und beköstigt.
An den französischen Thron dachte Hortense erst nach dem Tode des Herzogs von Reichstadt. Von diesem Augenblick an aber hörte sie nicht auf, ihrem Sohne immer wieder ins Gedächtnis zurückzurufen, daß er das Haupt der Familie sei, daß es ihm zukäme, einst auf dem Throne seines Onkels zu sitzen, zum mindesten sich des Staatsruders zu bemächtigen. Von dieser Zeit an war er den Mächten höchst verdächtig. Sie hatten ein wachsames Auge auf ihn. Im ganzen Kanton Thurgau wimmelte es von diplomatischen Agenten, die die Herzogin von Saint-Leu und ihren Sohn beobachteten. Dennoch gelang es Louis Napoleon, ihren Späherblicken zu entgehen. Als er aber das Unglück hatte, bei seinem ersten Versuch in Straßburg, Ende Oktober 1836, zu scheitern, litt seine Mutter die entsetzlichsten Qualen der Angst um dieses letzte Kind, das ihr geblieben. Sie setzte alles ins Werk, damit Louis nicht zu hart bestraft würde. Sie war sogar bereit, sich dem König Louis Philipp zu Füßen zu werfen, um Gnade für ihren Sohn zu erbitten. Aber sie konnte ihre Absicht nicht ausführen. Ihre Gesundheit und die Aufregung gestatteten ihr nicht, bis nach Paris zu gehen. Sie kam nur bis Viry. Von dort aus, dem Schlosse der Herzogin von Ragusa, nahm es Hortenses Gesellschafterin, Frau Salvage, auf sich, die nötigen Schritte am Hofe zu tun. Sie schrieb direkt an die Königin Amelie und hatte eine Unterredung mit dem Grafen Molé, dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten. Ihre Schritte waren von Erfolg gekrönt. Louis Napoleon wurde nicht weiter bestraft, sondern nur nach den Vereinigten Staaten verbannt. Ja, der menschenfreundliche König gab ihm noch 10.000 Franken mit auf den Weg, damit derjenige, der ihn vom Throne hatte stoßen wollen, für die erste Zeit in dem fremden Lande mit Geld versorgt sei.
Hortense war sehr traurig, daß sie sich nun auch noch von diesem Sohne trennen mußte, den sie mit so großer Sorgfalt und Liebe erzogen hatte. Immerhin war sein Geschick ein milderes, als sie anfangs angenommen hatte; und das tröstete sie ein wenig. Sie sprach den Wunsch aus, die Verbannung mit ihm zu teilen, er aber wehrte ab. »Wenn Sie meinen Schmerz nicht vergrößern wollen«, schrieb er der Mutter, »so folgen Sie mir nicht, meine teuere Mama. Der Gedanke, meine Mutter die Verbannung aus Europa mit mir teilen zu lassen, wäre ein Fleck, den ich vor den Augen der Welt niemals wieder reinwaschen könnte, und meinem Herzen würde es brennend weh tun.« Dennoch bereitete sich die Herzogin von Saint-Leu auf eine Reise nach Amerika vor und suchte ihr Schloß Arenenberg zu verkaufen. Hätte sie einen Käufer gefunden, so wäre sie gewiß dem geliebten Sohne gefolgt. Die Ärzte aber würden ihr vielleicht die Überfahrt nicht gestattet haben, denn ihr Brustübel hatte sich durch die letzte Reise durch Frankreich mitten im Winter sehr verschlimmert. Hortenses Ende war nicht mehr weit. Das fühlte sie und schickte sich an, ihr Testament zu machen. Es schloß mit den Worten:
»Möge mein Gatte sich meiner erinnern und wissen, daß es mein größter Kummer gewesen ist, ihn nicht glücklich gemacht zu haben. Meinem Sohne habe ich keinen politischen Rat zu geben. Ich weiß, er kennt seine Lage und alle Pflichten, die ihm sein Name auferlegt. Ich vergebe allen Herrschern, mit denen ich in freundschaftlichen Beziehungen gestanden habe, ihr leichtfertiges Urteil über mich. Ich verzeihe allen Ministern und Geschäftsträgern der Mächte die falschen Berichte, die sie fortwährend über mich erstattet haben. Ich verzeihe auch einigen Franzosen, denen ich einst von Nutzen war, die Verleumdungen, mit denen sie mich überhäuft haben, um sich rein zu waschen. Ich vergebe denjenigen, die diese Gerüchte, ohne zu prüfen, geglaubt haben, und hoffe, ein wenig in der Erinnerung meiner teuren Landsleute fortzuleben!«
Als der Graf von Saint-Leu die Tat seines Sohnes erfuhr, lag er krank in Florenz. Es konnte ihn kein größerer Kummer treffen als dieser. Vollkommen gebrochen schrieb er an seinen Vetter, den Herzog von Padua (Arrighi), am 15. November 1836: »Vertrauensvoll wende ich mich an Sie in dem neuen Unglück, das wie ein Donnerschlag über mich hereinbricht. Trotz des Mißgeschickes, das ich vor sechs Jahren durch den Tod meines ältesten Sohnes erlitt, der durch Intrigen und durch eine höllische Verführung verursacht wurde, hat sich sein Bruder, der sich damals auch bloßstellte, von neuem zu einer Handlung hinreißen lassen, die ebenso wahnsinnig wie schwerwiegend ist.« – Und ein Jahr später, am 20. Januar 1837, sagte er ebenfalls in einem Schreiben: »Ich habe mich entschlossen, nicht mehr daran zu denken. Jedesmal, wenn ich Briefe oder Schriften erhalte, die sich auf meinen unglücklichen Sohn beziehen, verbrenne ich sie, ohne sie gelesen zu haben. Das habe ich soeben mit zwei Druckschriften getan, die von ihm handelten. Ohne Zweifel läßt seine unglückliche Mutter diese Hefte verfassen.«
Diese unglückliche Mutter hatte in Arenenberg ängstlich das Leben ihres verbannten Sohnes verfolgt und hatte die Gewißheit, daß es ihm wenigstens nicht schlecht ging. Aber die guten Nachrichten aus Amerika vermochten ihre Gesundheit nicht zu bessern. Seit Ende Juli 1836 litt Hortense außerordentlich. Sie konnte keinerlei Nahrung mehr zu sich nehmen, und die Magerkeit ihres Körpers war erschreckend. Man hielt es für geeignet, Louis Napoleon den Zustand seiner Mutter zu schreiben. Sofort machte er sich von Amerika nach England auf und begab sich von dort nach Arenenberg. Hier konnte man ihm nichts anhaben, denn er war seit dem Jahre 1832 Schweizer Bürger.
Es war, als wenn Hortense auf ihn gewartet hätte, ehe sie ihren letzten Seufzer aushauchte. Das Glück des Wiedersehens verlängerte noch um einige Tage ihr Leben, bis sie es am 5. Oktober 1837 in den Armen ihres Sohnes beschloß. Ihr Vetter, Graf Tascher de la Pagerie, war von München herbeigeeilt, um den letzten Willen der Verstorbenen zu erfüllen. Unter anderen hatte sie gewünscht, in Rueil neben ihrer Mutter beigesetzt zu werden. Und diesen Wunsch versagte Frankreich der ehemaligen Königin von Holland nicht. Am 14. Oktober wurde die sterbliche Hülle der Tochter Napoleons von Arenenberg nach Frankreich überführt. Ihrem Sohne aber wurde es nicht gestattet, den Trauerzug seiner Mutter zu begleiten. Sie wurde am 19. November in der Kirche von Rueil neben Josephine beigesetzt. Neun Jahre später errichtete der Sohn, der Kaiser der Franzosen, seiner Mutter ein Denkmal.
Ehe der Graf von Saint-Leu, der ehemalige König von Holland, sein Leben voll Leiden und Unglück beschloß, sollte er noch zwei Schicksalsschläge erleben, die ihn dem Rand des Grabes näher brachten. Louis war ein völlig kranker, seelisch und körperlich gebrochener Mann. Er konnte weder seine Füße noch seine Hände gebrauchen und litt die schrecklichsten Schmerzen. Geistig hingegen war er noch frisch und rege. Aber es sollte ihm nichts erspart bleiben. Als Louis Napoleon im Jahre 1840 den unglücklichen Boulogner Putsch unternahm, glaubte der Graf von Saint-Leu diesen neuen Schlag nicht überleben zu können. Der Sohn wurde zu lebenslänglicher Festungshaft verbannt. Sechs Jahre später aber entfloh er, als Maurer verkleidet, aus der Festung Ham. Nun glaubte der Graf von Saint-Leu, ihn ein letztes Mal umarmen zu können, aber vergebens. Louis Napoleon konnte sich keine Pässe nach Italien verschaffen. Der ehemalige König von Holland starb einsam und verlassen in Livorno am 25. Juli 1846 an einem Gehirnschlag. Niemand von seiner Familie stand an seinem Sterbelager, um ihm die Augen zuzudrücken. So war dieser Mann bis zu seinem Tode unglücklich und einsam. Er wurde vorläufig in der Kirche Santa Catharina in Livorno beigesetzt. Aber im Jahre 1848 war es eine der ersten Handlungen Napoleons III., den letzten Wunsch des Vaters zu erfüllen und seine sterbliche Hülle in der Kirche von Saint-Leu-Taverny beisetzen zu lassen, neben der Grabstätte Carlo Bonapartes, dessen Reste einst Louis aus Montpellier hatte überführen lassen.