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Verleumder haben Napoleon der Unmenschlichkeit gegen seine Brüder und der verbrecherischen Beziehungen zu seinen Schwestern beschuldigt. Das eine wie das andere ist haltlos. Die letzte Behauptung ist nichts als skandalöse Verleumdung, deren Quelle in den Schmähschriften des Engländers Goldsmith und in den Memoiren der Rémusat zu suchen ist. Goldsmith schrieb nur zu dem Zwecke, den Kaiser der Franzosen zu beschmutzen, und Frau von Rémusat hat nicht einen gültigen Beweis für ihre Behauptungen. Andere Pamphlete während der Restauration trugen dazu bei, diese Gerüchte zu verdichten.
Napoleon war bisweilen streng und unerbittlich gegen seine Geschwister, aber das hatten sie sich selbst zuzuschreiben. Es herrschte nicht allein die größte Uneinigkeit unter ihnen, sondern jeder wollte tun, was ihm beliebte. Alle hielten sich für geborene Könige, die keines Lehrmeisters bedurften. Alle glaubten durch sich selbst, durch ihr eigenes Genie etwas geworden zu sein. Keins von den Geschwistern Napoleons, Pauline vielleicht ausgenommen, wußte dem Bruder später Dank für die Wohltaten, die er sie hatte genießen lassen. Bisweilen waren diese Wohltaten allerdings mit Wermutstropfen vermischt, aber Napoleon konnte nur durch energische Mittel zu jener Größe gelangen, die er erreicht hat. Ehe er jedoch gezwungen war, der Staatspolitik gewisse Familienrücksichten zu opfern, zeigte er sich stets als sorgender, hilfsbereiter Bruder. Immer lag ihm das Wohl der Familie am meisten am Herzen. Später hatte er mehr Not, »seine Familie zu regieren als sein ganzes Reich«.
Übrigens zeigte Napoleon gerade gegen seine Brüder bisweilen eine Schwäche, eine Nachsicht, die kaum begreiflich scheinen. Man kann sie nur durch den bei ihm stark ausgeprägten korsischen Familiensinn begründen. Als er infolge seiner Stellung und seines Ansehens das Haupt der Familie wurde, wollte er auch seine Brüder zu der Höhe erheben, auf der er selbst stand. Er verschaffte ihnen Ämter, Titel und Einfluß. Sein Genie trug ihn bis zum höchsten Gipfel des Ruhmes und der Macht. Da zertrümmerte er alte, auf den Überlieferungen der Geschlechter aufgebaute Throne und setzte seine Brüder als Herrscher ein. Sie hatten das weder durch ihre Fähigkeiten noch durch Taten verdient. Das wußte ein Mann wie Napoleon wohl. Er erkannte, wie unfähig zum Herrschen alle seine Brüder waren. Aber sie waren seine Brüder! Als solche hielt er sie gleichberechtigt mit sich selbst. Als solche durften sie nicht in irgendeinem weniger glänzenden Amte verdunkeln! Er glaubte jedoch keineswegs, ihnen Ruheposten verschaffen zu müssen. Im Gegenteil, er verlangte, daß sie etwas leisteten, wenn es auch nur vor den Augen der Welt war. Daher seine Strenge, die oft an Tyrannei grenzte. Seine große Erfahrung in allen politischen, diplomatischen und militärischen Angelegenheiten, sein Scharfblick und sein Genie hätten ihnen zur Richtschnur dienen müssen; aber seine Ratschläge wurden fast nie oder schlecht befolgt.
Alle Geschwister Napoleons, ohne Ausnahme, sorgten dafür, daß er sich über sie zu beklagen hatte. Nur mit Gewalt vermochte er auf sie zu wirken und seine Macht aufrecht zu erhalten. Wieviel Gutes hat er ihnen dennoch getan! Wie hat er für sie gesorgt, ohne einen egoistischen Zweck dabei zu verfolgen! Denn man kann einen jungen Leutnant, der von seinem Sold einen seiner Brüder erzieht, schließlich nicht der Selbstsucht bezichtigen! Ebensowenig kann man den Bruder herzlos nennen, der in seinen Jugendbriefen mit so großer Fürsorge und Zuneigung für Joseph und Lucien eintritt. Und später ist Napoleons Leben mit seiner Familie ein glänzender Beweis, daß er unaufhörlich bemüht war, die Einigkeit und Zufriedenheit unter den Seinen aufrecht zu erhalten. Aber er stieß fortwährend auf Widerstand, Neid, Habsucht und Selbstüberhebung. Und je höher er seine Geschwister erhob, desto anspruchsvoller, desto gehässiger, uneiniger und undankbarer wurden sie, desto mehr stellten sie ihn bloß. Viele Zeitgenossen Napoleons, wie Miot de Mélito, Girardin, Caulaincourt, Rapp, Bourrienne, Stendhal, Roederer, die Avrillon und andere, sind sich darüber einig, daß es für den Kaiser besser gewesen wäre, er hätte keine Familie gehabt.
Für die Familienmitglieder selbst erschien sein ungeheures Genie, dem allein sie ihren Glanz und ihr Emporkommen verdankten, eine Last und ein Hemmnis. Und wahrlich, ihr »Ich« mußte an der Seite eines solchen Übermenschen, der alles an sich riß, der nur seine Kraft, seine Macht und seine Größe gelten ließ, verschwinden! Wären sie aber etwas geworden, wenn Napoleon nicht gewesen wäre? Vielleicht hätte sich aus diesem Familienkreise nur Lucien hervorgehoben; die andern wären alle in Mittelmäßigkeit versunken.
Napoleon wurde von seinen Geschwistern jederzeit nur als Mittel zum Zweck betrachtet. War dieser erreicht, dann wuchsen ihnen die Schwingen. Keines von ihnen ist jemals mit seinem Los zufrieden gewesen. Joseph beklagt sich, König sein zu müssen. Er würde sich aber auch beschwert haben, wenn Napoleon ihn übergangen hätte. Louis spielt sich als Märtyrer auf, weil Napoleon seine Regierungsweise nicht billigt. Lucien jammert, daß er keine königliche Rolle spielt, steckt aber bei jeder Gelegenheit den Republikaner heraus und will sich durchaus nicht den Wünschen des mächtigen Bruders fügen. Jérôme mault über eine zu geringe Apanage; wäre sie jedoch auch zehnmal größer gewesen, sie hätte doch niemals seiner Verschwendungssucht genügt. Elisa ist ihr Herzogtum zu beschränkt; sie hält sich ihrem Bruder an Genie für ebenbürtig und fähig, ein großes Reich zu regieren. Karoline war das Königreich Neapel ebenfalls zu klein. Pauline endlich entrüstete sich, daß Napoleon ihr wegen ihrer genußsüchtigen und exzentrischen Lebensweise Vorstellungen machte.
Alle diese Bonaparte aber besaßen außerordentlichen Ehrgeiz, großes Selbstbewußtsein, oder besser, große Einbildungskraft. Nichts setzte sie in Erstaunen, nichts imponierte ihnen. Alle hielten sich berechtigt, die höchsten Ämter und Würden zu bekleiden. War eine Sprosse auf der Leiter des Ruhmes erreicht, so strebten sie bereits nach der nächsten. Keiner aber wollte anerkennen, daß er seine Macht und sein Ansehen nur Napoleon verdankte! Weder Joseph noch Louis noch Lucien gedenken in ihren Erinnerungen auch nur ein einziges Mal der Gunst des Bruders, die sie emporhob zu jener Größe, zu der sie gelangten. Im Gegenteil: Napoleon steht in ihren Augen weit tiefer als sie, die alles können und alle Fähigkeiten vereinen. Er ist weder ein guter Redner noch ein guter Schriftsteller noch ein Philosoph; er ist nur ein guter Soldat! Nach ihrer Ansicht ist das herzlich wenig.
Napoleon hingegen erhebt seine Brüder über ihre Verdienste; er beweist ihnen Nachsicht und Geduld. Weder gegen seine Schwäger noch gegen Eugen Beauharnais noch gegen seine Marschälle war er so blind wie gegen seine Brüder. Alle anderen mußten sich ihre Stellungen durch Fähigkeiten, Taten und Verdienste erwerben; seine Brüder erhielten sie, ohne daß sie etwas geleistet hatten! Sie konnten nur ihr außerordentliches Selbstbewußtsein in die Waagschale werfen. Das aber kam ihnen vortrefflich zustatten. Es setzte sie mit Leichtigkeit über alle Schwierigkeiten ihrer Stellungen hinweg. Es ließ sie sich in alle Lebenslagen mit schlangenartiger Geschmeidigkeit finden. In ihren Bedürfnissen, in ihrer Überzeugung, daß alles, was ihnen zufloß, von Natur aus und von Rechts wegen ihnen gebührte, waren sie wahrhafte Fürsten!
Den Typus der Brüder Napoleons hat Marmont mit der Beschreibung von Josephs Charakter vortrefflich getroffen. »Ich fand in ihm«, schreibt der Marschall, »stets dieselben Gefühle, dieselbe Liebenswürdigkeit. Aber man macht sich keinen Begriff, bis zu welchem Grade er seine Sorglosigkeit, die Schlaffheit seiner Sitten trieb. Die Sinnlichkeit beherrschte ihn vollkommen. Er vergaß ganz und gar seine Abkunft und fühlte nicht im geringsten das Bedürfnis, die Gunst, mit der ihn Fortuna auszeichnete, zu rechtfertigen. Er schien auf dem Throne geboren zu sein und war ganz damit beschäftigt, die Freuden, die eine solche Stellung mit sich bringt, auszukosten. Man hätte ihn für den schwachen Sprößling einer verbrauchten Dynastie halten können. Er, der noch vor einigen Jahren das Anerbieten der Königswürde als eine Erniedrigung betrachtete, hatte Fortschritte gemacht!
Joseph, der doch kein dummer Mann war, gab sich einem derartigen Wahne hin, daß er sich für einen sehr bedeutenden Feldherrn hielt. Er, der weder Neigung noch Verständnis für den Soldatenberuf hatte! Er, der nicht einmal die elementarsten Kenntnisse besaß, der nicht die einfachsten Anwendungen der Kriegskunst verstand! Er sprach oft von seinen militärischen Fähigkeiten und wagte zu behaupten, der Kaiser habe ihm nur das Kommando in Spanien entzogen, weil er neidisch auf ihn gewesen sei! Solche Behauptungen entschlüpften ihm mehr als einmal ... Joseph beklagte sich oft über seinen Bruder, kritisierte dessen Politik, dessen Widerspruch, sowie die Zuchtlosigkeit, die Napoleon in den spanischen Heeren herrschen lasse. Darin hatte Joseph ja recht. Aber es war zu komisch, ihn, der nur im Schatten der französischen Fahne ruhig schlafen konnte, sagen zu hören: »In der Armee werde ich auch ohne meinen Bruder König von Spanien sein, und das ganze Reich wird mich als solchen anerkennen!« – So waren sie alle, die Brüder Napoleons! Beginnen wir mit eben diesem Bruder, der in der Geschichte des französischen Kaiserreichs berufen war, eine Rolle zu spielen.
Joseph wurde am 7. Januar 1768 in Corte auf Korsika geboren, war also nur anderthalb Jahre älter als sein Bruder Napoleon. Lange Zeit war er dem Jüngeren der einzige Gespiele, der große Bruder, der überlegenere, der die Püffe und Kniffe des Kleinen nicht erwiderte. Ihm konnte Napoleon alle seine kindlichen Geheimnisse und Streiche anvertrauen, wenn er es nicht vorzog, sie mit ihm gemeinsam auszuführen. Bei den andern Geschwistern hingegen vertrat bereits der Knabe Napoleon Vaterstelle.
Mit Napoleon teilte Joseph auch seine ersten Unterrichtsstunden in Frankreich. Carlo Bonaparte hatte für beide in der Schule von Autun eine Freistelle erworben und führte die Söhne in den ersten Tagen des Januar 1779 persönlich dort ein.
Man konnte sich jedoch keinen größeren Gegensatz denken als die Charaktere dieser beiden Brüder. So herrschsüchtig und gewalttätig der junge Napoleon war, so sanft und liebenswürdig zeigte sich Joseph. Es lag in seinem gutmütigen Wesen, diejenigen seiner Kameraden zu beschützen, die angegriffen und geschmäht wurden. Neckte man ihn wegen seiner korsischen Abkunft, so nahm er es mit Gleichmut hin. Napoleon hingegen wurde bei der geringsten Anspielung zornig und böse. Da wirkte das sanfte Wesen des Älteren wie ein Blitzableiter auf das leidenschaftliche, unbändige Temperament des Jüngeren.
Joseph setzte seine Studien in Autun bis zum Jahre 1784 fort, während Napoleon nur drei Monate dort blieb, um dann nach Brienne zu übersiedeln. Man hatte die Absicht, den ältesten Sohn für die geistliche Laufbahn vorzubereiten. Zu diesem Beruf schien sich sein sanfter, ein wenig schüchterner Charakter am besten zu eignen. Er war auch durchaus kein mittelmäßiger Schüler. Er besaß vielmehr eine außerordentlich leichte Auffassungsgabe und interessierte sich besonders für Sprachen und Literatur. Obgleich er bei seinem Eintritt in die Schule kein Wort Französisch verstand, lernte er diese Sprache sowie die Grundzüge des Lateinischen so schnell, daß er einer der ersten Schüler der Klasse wurde und einen Preis erhielt. Nur hätte er etwas fleißiger sein sollen. Arbeiten und Lernen schien ihm wenig Freude zu machen.
Als er fünfzehn Jahre alt war, sollte er aus Unterprima ins Seminar von Aix versetzt werden, doch er hatte plötzlich ganz andere Zukunftspläne. Zum großen Erstaunen und freilich auch zur großen Betrübnis der Familie zeigte der sanfte, stille Jüngling sehr kriegerische Absichten. Mit einem Male sah man die schöne Laufbahn des Ältesten, die der Bischof von Autun so glatt zu ebnen versprochen hatte, in ein Nichts versinken! Joseph wollte also wie sein Bruder Napoleon Soldat werden. Der sonst so ergebene, sich in alles fügende Knabe entwickelte jetzt eine ganz ungewohnte Willenskraft, einen ganz unbegreiflichen Ehrgeiz und Egoismus. Er erklärte, Artillerie- oder Genieoffizier werden zu wollen, weil man bei diesen beiden Regimentern am meisten arbeiten müsse. Alle Einwände des Vaters und des Onkels Archidiakon Luciano sowie auch des jungen Napoleon halfen nichts. Joseph blieb bei seinem Entschluß. Nur eins setzte der Vater durch: daß der Sohn mit ihm im Jahre 1784, als Carlo seinen zweiten Sohn im Brienne besucht hatte, nach Korsika zurückkehrte. Joseph sollte in Ajaccio seine Ferien verbringen und erst später in die Militärschule von Metz eintreten. Er nahm es daher als eine besonders günstige Fügung des Geschicks auf, als er schon Ende desselben Jahres wieder mit dem Vater nach Frankreich reisen durfte.
Carlo Bonaparte sollte die Heimatinsel nicht wiedersehen. Das langjährige Magenübel, das er in Frankreich durch den Leibarzt der Königin Marie Antoinette, den Doktor de la Sonde, in Paris heilen zu lassen gedachte, raffte ihn vorzeitig dahin. Und so kniete Joseph am 24. Februar 1785 in Montpellier vor dem Sterbelager des Vaters. Carlo segnete den Sohn und legte ihm als dem Ältesten die Sorge um die Mutter und die jungen Geschwister ans Herz. Auch mußte Joseph dem Vater versprechen, auf den militärischen Beruf verzichten und ein Rechtsgelehrter werden zu wollen. So ward der Siebzehnjährige bereits dem Ernst des Lebens gegenübergestellt; seine soldatischen Zukunftspläne waren für diesmal vernichtet!
Nach kurzem Aufenthalte bei den Permons, den Eltern der späteren Frau Junot, Herzogin von Abrantes, sowie bei andern Freunden und Bekannten in Montpellier und Aix kehrte Joseph nach Ajaccio zurück, um den letzten Wunsch des Vaters, soweit es in seinen jungen Kräften stand, zu erfüllen. Viele Jahre später, 1826, schrieb er an seinen Onkel Fesch: »Wir haben unsere gute Mutter in den ersten Tagen ihrer Witwenschaft mit Rat und Tat unterstützt.« So war er, bis zu dem Augenblick, wo das Glück und das Genie Napoleons alles änderte, wenigstens der Form nach, das Oberhaupt der Familie.
Obgleich Joseph nur fünf Jahre zur Schule gegangen war, hatte er sich manches Wissen angeeignet. Er sprach und schrieb das Französische ebenso richtig wie später das Italienische, und da er von Natur aus intelligent war, zeigte er besondere Vorliebe für Literatur und Wissenschaften. Sein Geist war nicht gerade sprühend, aber das, was er sagte, war verständig und klug. Er überlegte jeden Satz, den er aussprach, und bemühte sich, stets einen reinen Stil zu schreiben. Seine Witze und Scherze waren mitunter schwerfällig, aber er wußte sie geschickt und im geeigneten Augenblick anzubringen. Joseph versuchte sich auch als Schriftsteller und machte anakreontische Verse.
Von neuem versuchte man, den so begabten Jüngling auf die Bahn des geistlichen Berufs zu bringen. Marbeuf, der Freund und Gönner der Familie Bonaparte, und auch sein Bruder, der Bischof Marbeuf, versprachen ihm ihre Hilfe zu einem schnellen Emporkommen. Aber Joseph zeigte keine Neigung, Priester zu werden. Er machte sich jetzt vor allem mit der Sprache und der Literatur seiner Heimat vertraut. Daneben stand er der verwitweten Mutter zur Seite, kümmerte sich um die Verwaltung der väterlichen Güter, auf denen die Landwirtschaft ziemlich vernachlässigt worden war. Er und die Tante Gertruda Paravicini unternahmen täglich weite Ritte nach den entlegenen Pachtungen. Und so erwarb sich Joseph durch sein Streben, der Mutter die Sorgen so viel wie möglich zu erleichtern, bald viele Freunde in der Heimat. Vor allem schloß er sich eng an den jungen Rechtsgelehrten Pozzo di Borgo, den späteren Todfeind Napoleons, an. Nicht im geringsten dachte er noch daran, des Königs Rock anzuziehen.
Zu jener Zeit unterhielt Joseph mit seinem Bruder Napoleon einen lebhaften Briefwechsel, der nicht ohne Einfluß auf das Sichnäherkommen dieser beiden so grundverschiedenen Charaktere blieb. Joseph wenigstens verdankte diesen Jugendjahren manche Einwirkungen Napoleons. Damals waren sie nicht nur Brüder, sondern auch Freunde. Erst in späteren Jahren lockerte sich dieses Freundschaftsband von Seiten des Älteren. Napoleon aber hat dem Bruder stets die gleichen Gefühle bewahrt. Wie er besonders in jenen Jugendtagen an ihm hing, geht aus dem Briefe hervor, den er ihm einige Jahre später, als Joseph sich nach Genua begab, schrieb. Es heißt darin: »Du weißt wohl, mein Freund, daß Du keinen besseren Freund, dem Du teurer bist, und der aufrichtig Dein Glück wünscht, haben kannst als mich ... Wenn Du weggehst und glaubst, es sei auf längere Zeit, dann schicke mir Dein Bild. Wir haben so viele Jahre in engster Gemeinschaft miteinander gelebt, so daß unsere Herzen eins geworden sind. Du weißt besser als irgend jemand, daß das meinige ganz Dir gehört. Während ich diese Zeilen schreibe, bin ich so bewegt, wie ich es nie in meinem Leben gewesen bin. Ich fühle, daß wir uns so bald nicht wiedersehen werden ... Ich kann nicht weiterschreiben ...!« Und sobald Napoleon in der Lage war, seinem Bruder von Nutzen zu sein, hat er es getan.
Joseph hatte sich endlich doch für die juristische Laufbahn entschieden. Auf den Rat des alten Onkels Luciano hin ging er nach Pisa, um die Rechte zu studieren und, wie er selbst schreibt, um sich im Italienischen weiterzubilden. Als korsischer Patriot knüpfte er dort viele Bekanntschaften mit Leuten an, die wie er für die Befreiung seiner Landsleute vom französischen Joche entflammt waren. Clemente Paoli, Savelli, Saliceti, Pietri und andere junge Patrioten bildeten Josephs Freundeskreis. Mit großem Eifer verfolgte der junge Student auch die Vorlesungen des berühmten Lampredi über die Volksherrschaft, wodurch sein Republikanertum zu immer größerer Begeisterung angefacht wurde. So entstand schließlich in Pisa die von wahrer Freiheitsliebe durchglühte Flugschrift »Briefe Pasquale Paolis an seine Landsleute«, die Joseph zum Verfasser hatte. Er widmete dieses Werkchen dem Generalsekretär der korsischen Stände Giubega, einem Freunde seines Vaters. Der erste Brief behandelte die Zustände in Korsika und die durch die Lage der Insel hervorgerufenen Nachteile. Der zweite wies auf die Mittel hin, womit Korsikas Wiedergeburt erlangt werden könne.
Nicht lange darauf, im Jahre 1788, promovierte Joseph zum Doktor »in utroque jure« des kanonischen und bürgerlichen Rechts. Dieser Titel und seine vaterländische Schrift genügten, um ihm bald eine Anstellung in der Heimat zu verschaffen. Er ward Advokat am Obergerichtshof in Bastia. Seine glänzende Verteidigung – übrigens die einzige, die er jemals hielt – eines als Mörder angeklagten Mannes, der aus Notwehr gehandelt hatte, verschaffte dem jungen Rechtsgelehrten mit einem Schlage Ansehen und Würden. Es wurden ihm daraufhin verschiedene Ehrenämter angetragen. Man wählte ihn in den Gemeinderat, machte ihn zum Präsidenten des Distrikts von Ajaccio und schickte ihn im Jahre 1791 mit einer Abordnung nach Lyon, um Paoli nach Ajaccio zurückzurufen. Paoli aber begab sich zuerst nach Bastia, nachdem er Joseph, den Sohn seines alten Freundes Carlo Bonaparte, aufs herzlichste begrüßt hatte. Einige Tage zuvor hatte er ihm sogar sein Bild, das Josephs Vater einst, im Jahre 1766, auf eine Spielkarte gezeichnet hatte, zum Geschenk gesandt, als Beweis, wie sehr er ihn schätzte. Joseph fühlte sich außerordentlich geschmeichelt, von dem vielgefeierten Helden so ausgezeichnet zu werden, und kehrte mit einem erhabenen Gefühl von Stolz nach Korsika zurück.
In Ajaccio fand er seinen Bruder Napoleon vor, der seinen Urlaub in der Heimat verbrachte. Mit ihm und dem jungen Lucien unternahm Joseph des Abends lange und weite Spaziergänge nach den Salinen der Umgebung. Auf diesen Wanderungen wurde viel geredet, viel gestritten. Die Politik bildete natürlich den Hauptstoff der Unterhaltungen der jungen Feuerköpfe. Napoleon schätzte besonders die politischen Ansichten seines älteren Bruders und trieb ihn fortwährend an, eine führende Rolle zu spielen. »Laß Dich nicht verblüffen«, schrieb er ihm eines Tages, »Du mußt bei der nächsten Gesetzgebenden Versammlung dabei sein, oder Du bist nur ein Tropf ... Bestehe darauf, Abgeordneter zu werden, oder Du wirst in Korsika immer nur eine alberne Rolle spielen.« Ein andermal aber empfahl er ihm, sich vor allem bei seinen Landsleuten sehr volkstümlich zu machen und sich Paolis Gunst zu erhalten.
Was für Zukunftspläne Joseph selbst schmiedete und welche Ansichten er über die damaligen politischen Ereignisse hegte, geht deutlich aus einem Briefe hervor, den er von Ajaccio aus an seinen Freund, den Kaufmann James in Frankreich, schrieb. Unter anderem hieß es darin: »Mir ist es ein leichtes, die Dinge mit der Kaltblütigkeit des Philosophen zu betrachten.« (Er meinte damit die französische Revolution.) »Ich bin durch das Meer von dem Schauplatz der Ereignisse getrennt; wir selbst haben hier Zusammenbrüche erlebt, die man nicht mit den Euren vergleichen kann ...
Du sprichst zu mir so offen über die Lage Deiner Familie, daß ich ebenfalls nicht länger zu schweigen brauche ... Seit wir in Korsika sind, haben wir uns mit den ersten Familien der Insel verbunden, als da sind die Ornano, die Colonna usw. Seit unserer Unterwerfung unter die französische Herrschaft war mein Vater Abgeordneter des korsischen Adels. Das war der Glanzpunkt in dem Zustand der Erniedrigung, in dem sich Korsika befand. Aber trotz all dieses Weihrauches muß ich Dir gestehen, daß ich eifriger Anhänger der Revolution und der Veränderung der Dinge bin. Wir sind sehr viele Kinder. Drei von ihnen kennst Du, und eine ist in Paris (Elisa). Mein Bruder, der Offizier, nimmt einen andern Bruder (Louis) mit sich, der auch Artillerist werden soll. Was nun mein Vermögen betrifft, so gibt es gerade keine Reichtümer in Korsika. Die reichsten Bürger haben kaum 20.000 Franken Rente im Jahr. Da jedoch alles relativ ist, so ist mein Vermögen eins der bedeutendsten der Stadt ... Du weißt, wie alt ich bin; ich bin jünger als Du (22 Jahre). Dennoch war ich Wähler in der letzten Versammlung von Orezza. Ich hätte Mitglied der Departementsverwaltung werden können; ich habe das meinen Freunden überlassen und mich mit der Distriktsverwaltung begnügt, in der ich zum Präsidenten ernannt worden bin ... Binnen kurzem werde ich Dir sagen können, ob ich mich um die Abgeordnetenstelle in der Nationalversammlung bewerbe ...«
Es fehlte den Bonapartes während der Revolution allerdings nicht an Eifer und Tätigkeit für die nationale Sache. Joseph hatte als Präsident des Distrikts nicht weniger Einfluß auf die Einwohner Ajaccios wie sein Onkel Fesch als Geistlicher und Napoleon als Befehlshaber der Nationalgarde.
Das Jahr 1792 brachte Joseph neue Ehren. Mit Mario Peraldi, Philippo Ponte, Tartaroli, Colonna und Rossi ward er Deputierter von Ajaccio in der Konsulta Paolis in Orezza, die am 9. September eröffnet wurde. Napoleon und Fesch begleiteten ihn. In Pontenuovo hatten sie das Glück, mit Paoli selbst zusammenzutreffen und setzten nun ihre Reise an der Seite des von ihnen hochverehrten Helden fort.
Als Deputierter beschwor Joseph in Orezza die französische Verfassung von 1791 und ergriff dreimal das Wort. Aber die Rückkehr der Brüder nach Ajaccio war vonnöten. Besonders bedurfte es der Anwesenheit Napoleons, denn es waren in Ajaccio Unruhen ausgebrochen. Mehr wie je arbeitete er jetzt darauf hin, Josephs Einfluß zu erhöhen. Zu seinem großen Bedauern wurde der Bruder aber nicht, wie er gehofft, hatte, zum Abgeordneten für die Nationalversammlung gewählt; ja, es wurde nicht einmal über ihn abgestimmt. Die Korsen entschieden sich für den Priester Multedo, einen Freund Josephs. Joseph wurde jedoch bald darauf mit mehreren seiner Landsleute Mitglied des Direktoriums von Corte und etwas später Richter von Ajaccio. Das söhnte Napoleon einigermaßen mit dem Mißgeschick des Bruders aus. Nun hatte doch Joseph wenigstens eine einflußreiche Stellung in der Heimat. Und Napoleon verfehlte nicht, ihn von Ajaccio aus mit guten Ratschlägen zu versehen. Joseph war sehr stolz auf alle diese Auszeichnungen. Als echter Korse bildete er sich viel darauf ein, nicht allein das Oberhaupt einer großen Familie zu sein, sondern auch in den politischen Angelegenheiten des Landes ein Wort mitreden zu dürfen, einer von der »Autorität« zu sein!
Paolis Verbindung mit den Engländern entfernte jedoch die Brüder Bonaparte immer mehr von der nationalen Sache, für die sie so sehr geglüht hatten. Auch der eifrige Patriot Joseph, der Verfasser jener vaterländischen Flugschrift, stellte sich auf die Seite der Franzosen. Bald brannte zwischen ihm und den Paolisten die Flamme der bittersten Feindschaft lichterloh. Selbst sein vertrauter Freund Pozzo di Borgo wandte sich von ihm ab. Als Ersatz knüpfte Joseph enge Freundschaft mit dem französischen Volksvertreter Saliceti und begab sich im geheimen zu ihm nach Bastia. Währenddessen unterhielt er einen eifrigen Briefwechsel mit Napoleon und unterrichtete ihn von allem, was vorging. Aber Josephs französisch-revolutionäre Ideen streiften sozusagen nur den Verstandesmenschen in ihm. Im tiefsten Innern seines Herzens blieb er Korse, obwohl er fest überzeugt war, daß die Theorien, die er zu jener Zeit kundgab, die eines Frankreich aufrichtig ergebenen Republikaners seien. Sein korsischer Patriotismus war indes weniger begeistert als der seines Bruders Napoleon. Joseph war an und für sich ein ruhiger, fast phlegmatischer Charakter, der die Ereignisse nicht aufsuchte, sondern an sich herantreten ließ.
Von den wütenden Patrioten, die sich an den Abtrünnigen rächen wollten, hartnäckig verfolgt, war Joseph im Frühjahr 1793 gezwungen, sich mit den Volksvertretern auf französischen Schiffen nach Ajaccio zu begeben, um gemeinsam mit Napoleon der in großer Gefahr schwebenden Familie zu Hilfe zu eilen. Lucien hatte bereits glücklich Marseille erreicht. Unter mancherlei Gefahren gelang es schließlich den beiden Brüdern, Letizia und die jüngeren Geschwister nach Frankreich zu bringen. Darauf eilte Joseph mit seinem Landsmann und Freund Meuron nach Paris und überreichte dem ausübenden Rat am 9. Juli eine Denkschrift, die im allgemeinen dem Memoir Napoleons vom 1. Juni glich.
Die französische Regierung empfing Joseph Bonaparte aufs freundlichste und versprach, seinem dringenden Ansuchen, Korsika wieder unter französische Herrschaft zu bringen, Folge zu leisten. Als echter Bonaparte vergaß er natürlich neben der Politik auch die Interessen der Familie nicht. Auf sein eifriges Bemühen hin stimmte der Konvent für eine Unterstützung von 600.000 Franken der eingewanderten korsischen Familien, worunter die Bonaparte sich als erste befanden.
Inzwischen war auch Josephs Freund Saliceti nach Frankreich zurückgekehrt und hatte den Einfluß der Paolisten in Paris vollständig untergraben. Paoli wurde als Verräter und für »vogelfrei« erklärt, und Saliceti erhielt den Auftrag, den korsischen Seestädten mit 4000 Mann zu Hilfe zu eilen. Er nahm Joseph mit in sein Gefolge.
Währenddessen gestalteten sich die Ereignisse in Toulon immer ernster. Jeder Plan hinsichtlich Korsikas mußte vorläufig aufgegeben werden. Auf Umwegen und nicht ohne Gefahr, denn Lyon stand in hellem Aufstand, gelangten Joseph und Saliceti nach Toulon. Dort nahm Joseph als Bataillonschef und Mitglied des Generalstabes Carteaux' wenigstens als Augenzeuge an der Belagerung teil und wurde während des Angriffs auf das Cap Brun leicht verwundet. Da er bei Carteaux Adjutantendienste verrichtete, war er oft genötigt, sich zu den Volksvertretern nach Marseille zu begeben, wo sich seine Mutter und die Geschwister aufhielten. Seine am 4. September 1793 erfolgte Ernennung zum Kriegskommissar erster Klasse hatte er allein den Volksvertretern Escudier, Albitte, Gasparin und Saliceti zu danken. Sie setzte ihn endlich in die Lage, seine Familie zu unterstützen, deren Unterhalt bis dahin fast allein auf Napoleon gelastet hatte. Joseph wurde dem Zahlungsanweiser Chauvet beigeordnet und bezog ein Jahrgehalt von 6000 Franken, außerdem erhielt er freie Wohnung, Beköstigung und eine Bureauentschädigung. So stand er sich zu jener Zeit weit besser als sein Bruder Napoleon.
In Marseille sollte ihm noch größeres Glück beschieden sein. Er machte dort die Bekanntschaft einer angesehenen Kaufmannsfamilie, deren Oberhaupt, Francois Clary, sich als Seidenhändler ein bedeutendes Vermögen erworben hatte. Wie sich die Beziehungen der armen Bonaparte zu den reichen Clary angeknüpft haben, ist auf die verschiedenste Weise dargelegt worden. Die einen behaupten, Napoleon sei, als die Konventsoldaten in Marseille einzogen, bei den Clary einquartiert gewesen. Das ist jedoch unwahrscheinlich. Andere sagen, Marianna und Paoletta seien beide in der Familie Clary Erzieherinnen (!) gewesen. Das ist aber noch viel unwahrscheinlicher. Die jungen Damen hätten sich nicht allein sehr wenig zu einer solchen Stellung geeignet, sondern sie befanden sich auch zu jener Zeit mit ihrer Mutter in Antibes. Außerdem wäre Pauline, die damals 14 Jahre alt war, eine recht junge Erzieherin gewesen. Sie mußte selbst noch erzogen werden. Es wird vielmehr der Zufall eine Rolle gespielt haben, den die Clary nicht unbenutzt vorübergehen ließen, um sich in jener bewegten revolutionären Zeit Joseph und Napoleon Bonaparte, die doch immerhin einflußreiche Posten bekleideten, zu Beschützern zu gewinnen. Waren doch gerade in Marseille eine Menge Leute hingerichtet worden, die dem reichen Kaufmannsstande, ja zum Teil der Familie Clary angehörten. Außerdem war Frau Clarys Bruder, ein Genieoffizier, wegen seiner Beteiligung an dem föderalistischen Aufstand emigriert. Ein Sohn der Familie war neapolitanischer Konsul in Marseille und durch das Verhalten der Neapolitaner in Toulon der französischen Regierung gleichfalls verdächtig; nicht weniger waren es die Töchter infolge ihrer Ehen mit adligen Männern. Gründe genug, daß sich die Clary besonders mit dem Kriegskommissar Joseph Bonaparte befreundeten. Er war ja auch der Intimus des allmächtigen Saliceti, der Bruder des Generals Bonaparte, der Freund des jüngeren Robespierre! Ein Mitglied der Familie Clary, Etienne Clary, der auf Befehl des Revolutionsgerichts verhaftet worden war, hatte seine Freiheit nur dem Eingreifen Josephs zu danken.
Der Preis für alle diese Gefälligkeiten war die ältere Tochter Julie. Sie stand in ihrem 23. Lebensjahre und war weder schön noch anziehend. Die kleine, unentwickelte Gestalt, das viel zu kurze Gesicht mit der lederartigen ungesunden Haut gaben ihr den Anschein einer kränklichen Person. Dazu hatte sie eine sehr unförmige Nase und große runde Augen, die ungewöhnlich hervortraten. Äußerlich also war Julie kein anziehendes Geschöpf. Wenn man sie aber näher kennen lernte, so entdeckte man in ihr viele gute Eigenschaften, die sie liebenswert machten. Sie war sanft, wohltätig und fromm und konnte, wenn sie wollte, sehr lebhaft und geistreich sein.
Das ganze Gegenteil im Äußern war der sechsundzwanzigjährige Joseph. Er war groß, schlank und wohlgebaut, hatte ein regelmäßiges vornehmes Gesicht und überragte seinen Bruder Napoleon weit an Schönheit. Freilich trug Josephs äußere Erscheinung nicht die Merkmale des Genies und der Tatkraft, aber er sah seinem Bruder, besonders in späteren Jahren, sehr ähnlich.
Josephs patriarchalische Abstammung und seine Erziehung verhinderten, daß man in ihm etwas vom Sanskülottismus bemerkte, obwohl gerade er ein eifriger Republikaner war und sich nach dem Beispiele seines Bruders Lucien den römischen Beinamen »Scaevola« zugelegt hatte. Er sah doch immer aus wie ein Aristokrat. Und dieser Umstand trug viel dazu bei, daß Frau Clary – der Vater war am 20. Januar 1794 gestorben – ihre Einwilligung zur Verbindung ihrer Tochter mit Joseph Bonaparte gab. Die Hochzeit fand am 14. Thermidor des Jahres II. (1. August 1794) in der Nähe von Marseille, in Cuge, statt, wo die Clary einen Landsitz hatten. Unrichtigerweise gibt der »Almanach Impérial de 1806 à 1808« den 24. September 1794 als Datum der Heirat Josephs an. Einer der Trauzeugen des zukünftigen Königs von Spanien unterzeichnete die Urkunde als: Joseph Roux, Perückenmacher! Einige Tage später, am 16. August, wurde diese Verbindung ganz im geheimen durch die Kirche gesegnet, und zwar vollzog der Abbé Reimonet die Handlung ebenfalls in einem Landhaus bei Marseille, in Saint-Jean-du-Désert. Joseph war der Religion niemals entgegen und erfüllte daher nicht ungern diesen Wunsch seiner Braut. Aber er wagte viel mit dieser Handlung. Wäre sie an die Öffentlichkeit gekommen, so hätte er nicht allein seine Stellung und seinen Einfluß verloren, sondern er hätte seine Nachgiebigkeit mit dem Leben bezahlen müssen.
Im großen und ganzen war die Heirat für Joseph ein Glückswurf. Julie Clary brachte ihm eine Mitgift von ungefähr 150.000 Franken in die Ehe, ein Vermögen, das für korsische Verhältnisse ungeheuer war. Außerdem kam er durch diese Verbindung mit den reichsten und vornehmsten Familien der Marseiller Geldaristokratie in Berührung und gehörte mit einem Schlage zu ihrer Kaste. Napoleon bemerkte: »Dieser Kerl von Joseph ist ein Glückspilz!« Letizia besonders begrüßte die Ehe ihres Sohnes mit der sanften, reichen Julie mit Freuden. Sie hätte es gern gesehen, daß ihr Napoleon deren jüngere Schwester Désirée heiratete, die ebenso hübsch als Julie häßlich war. Ihr sollte jedoch eine andere Krone bestimmt sein.
Inzwischen war Toulon genommen worden. Die von Joseph langersehnte Expedition nach Korsika bereitete sich nur langsam vor. Am 11. Ventôse (2. März 1795) endlich ging Joseph, der sich inzwischen mit dem vom Direktorium nach Korsika gesandten Kommissar Miot de Mélito eng befreundet hatte, mit dem Kontreadmiral Martin unter Segel. Der Plan scheiterte jedoch diesmal an der Unerfahrenheit und an der geringen Mannszucht der Besatzung des Geschwaders.
Joseph begab sich daher mit Frau und Schwägerin Désirée nach Genua. Von da aus gedachte er Familienangelegenheiten zu regeln und die wenigen Habseligkeiten, die den Bonaparte in Korsika noch geblieben waren, zu retten. Außerdem wollte er den Aufstand in der Heimat zugunsten Frankreichs schüren, denn er hoffte bestimmt, die Insel unter französische Gewalt zu bringen. »Ich war überzeugt«, sagte er bei dieser Gelegenheit, »daß Korsika, sobald es der Trikolore ansichtig würde, sich in den Schoß der Republik begäbe!«
Um jene Zeit entspann sich zwischen den Brüdern Napoleon und Joseph wiederum ein interessanter Briefwechsel. Josephs Fortkommen lag Napoleon unleugbar am Herzen. Wo er konnte, stand er ihm mit seinem Rate zur Seite, auch die vorteilhafte Anlage des erheirateten Vermögens beschäftigte ihn. Am 25. Mai 1795 schrieb er dem Bruder von Semur aus: »Ich war gestern auf dem Gute Ragny, das Herrn von Montigny gehört. Wenn Du ein tüchtiger Geschäftsmann wärst, kauftest Du diese Besitzung mit acht Millionen Assignaten. Die Assignaten standen um diese Zeit so tief, daß sie nur noch 1 Prozent des Nominalwertes hatten.. Du könntest darauf 60.000 Franken von der Mitgift Deiner Frau anlegen. Dies wünsche und rate ich Dir ... Man findet Frankreich nicht in fremden Ländern. Von Stufe zu Stufe emporzuklimmen, ähnelt ein wenig dem Abenteurer und dem Manne, der sein Glück zu machen sucht.« Napoleon sprach aus Erfahrung. Er selbst hatte keine Anstellung und suchte einige Wochen später bei der Regierung darum nach, sich nach der Türkei begeben zu können, um die Artillerie des Sultans zu organisieren. Bald aber sollten sich die Dinge zu seinen Gunsten wenden! Bald sollte er wieder zu Ansehen und Einfluß gelangen! Dann tat er aber auch alles, um Joseph die Schritte in Genua zu erleichtern. Empfehlungsbriefe, Pässe, alles, was der Bruder verlangte und was ihm von Nutzen sein konnte, verschaffte ihm Napoleon. Joseph hätte damals fürs Leben gern eine Stelle als Konsul angenommen. Sofort war Napoleon bereit, ihm eine solche zu versprechen; vielleicht sogar in einer der Hafenstädte Italiens. Als er im September gesonnen war, nach der Türkei zu gehen, wollte er Joseph als Konsul auf die Insel Chio mitnehmen. Der Bruder mochte aber von einer Insel nichts wissen. Er hoffte auf etwas Besseres in Italien.
Und richtig, es fand sich bald etwas Besseres! Napoleon war am 2. März 1796 zum Oberbefehlshaber der Armee in Italien ernannt worden und hatte sich am 11. zum Heere begeben. Als Joseph in Genua erfuhr, daß sein Bruder in Italien angekommen sei, eilte er im April ins Hauptquartier nach Albenga und begleitete den General auf seinen ersten Siegeszügen. Er sollte es nicht bereuen, sich dem Bruder angeschlossen zu haben. Der einflußreiche General benutzte sein immer mehr wachsendes Ansehen, um auch Joseph seinen Teil davon abzugeben. Er war außerordentlich glücklich, den Lieblingsbruder bei sich zu sehen, der erst vor kurzem Vater geworden war. Das erste Kind Josephs starb jedoch wenige Tage nach der Geburt. Stand doch Napoleon selbst noch ganz im Zauberbanne seines jungen Eheglücks! »Mein Bruder ist hier«, schrieb er in seiner Freude an Josephine. »Er hat mit Freuden meine Heirat erfahren und brennt darauf, Dich kennen zu lernen ... Seine Frau ist von einer Tochter entbunden worden.«
Joseph war natürlich weit entfernt, über seine neue Schwägerin entzückt zu sein. Nicht allein, daß er viel Nachteiliges über Josephine de Beauharnais erfahren hatte, sondern er hatte ja auch in Napoleon bestimmt einen Gatten für Désirée Clary erblickt. Aber er machte gute Miene zum bösen Spiel, denn er wußte nur zu gut, daß es nur sein Vorteil war, wenn er mit seinem Bruder in gutem Einvernehmen blieb. Und er tat recht. Nicht lange darauf, am 25. April 1796, wurde Joseph eine große Auszeichnung in Paris zuteil. Er war mit Napoleons Adjutanten Junot dahin gesandt worden, um dem Direktorium die dem Feinde abgenommenen Trophäen und einen Bericht über die letzten Siege zu überreichen. In der Hauptstadt wurden sie sowohl vom Volke als auch von den Mitgliedern des Direktoriums mit unbeschreiblichem Jubel und großen Ehren empfangen. Während eines Diners bei Carnot, an dem Joseph teilnahm, riß der Direktor seine Weste auf und zeigte den zwanzig Gästen das Bild des Generals Bonaparte, das er auf dem Herzen trug. »Sagen Sie Ihrem Bruder«, wandte er sich an Joseph, »daß er sich an meinem Herzen befindet. Ich erblicke in ihm den Retter Frankreichs; er soll es wissen, daß er im Direktorium nur Bewunderer und Freunde hat.« Der Waffenstillstand wurde bewilligt, und Joseph war der Gegenstand allgemeiner Auszeichnung.
Währenddessen stand der General Bonaparte trotz aller Siege und Ehrungen in Italien die furchtbarsten Qualen der Eifersucht aus. Josephine war ihm untreu und zog vor, in Paris zu bleiben, anstatt zu ihrem Gatten zu eilen und ihm die Mühen des Feldzugs zu versüßen. Und da war es wieder Joseph, zu dem Napoleon seine Zuflucht nahm, bei dem er Trost und Gewißheit über die entsetzlichen Zweifel suchte. Ihn erkor er zum Beschützer seiner Frau. »Ich bin in Verzweiflung«, schrieb er ihm aus Tortona am 15. Juni; ... »ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Schreckliche Ahnungen beunruhigen mein Herz. Ich beschwöre Dich, ihr alle Deine Fürsorge zu widmen. Nächst meiner Josephine bist Du ja der einzige, der mir noch einiges Interesse einflößt. Beruhige mich, sprich offen zu mir ... Wenn Josephine wohl ist und die Reise unternehmen kann, wünsche ich sehnlichst, daß sie käme; ich muß sie sehen, sie an mein Herz pressen. Ich liebe sie bis zur Raserei und kann nicht ohne sie leben.« Wenige Tage später, am 24. Juni, traten die beiden Friedensboten in Begleitung der so sehnlichst Erwarteten die Rückreise nach Italien an. Und während sich Josephine zum Ersatz, daß sie das schöne Paris verlassen mußte, die Reise mit dem lustigen Adjutanten Hippolyte Charles verkürzte, und der kecke Junot dem hübschen Kammermädchen der Frau Generalin die Kur schnitt, vertrieb sich Joseph die Zeit mit der Abfassung seiner Novelle »Moïna, ou la Villageoise du Mont Cenis«. Am 21. Messidor (9. Juli) kamen sie in Mailand im Hauptquartier des Generals Bonaparte an.
Dank des Einflusses Napoleons, der seine Absichten auf Korsika nicht aufgegeben hatte, wurde Joseph zwei Monate später, im Oktober, von Modena aus mit Truppen nach der Insel geschickt, um sie der englischen Gewalt zu entreißen. In Bastia und auch in Ajaccio begrüßten ihn seine Landsleute mit Freuden und ließen ihm besondere Ehren zuteil werden. Überall wehte bereits die dreifarbige Fahne. Paoli war gezwungen, zum zweitenmal eine Zuflucht bei den Engländern zu suchen. Korsika war nun endgültig französisch!
Drei Monate hielt Joseph sich in der Heimat auf. Er ließ das arg beschädigte Elternhaus wieder ausbessern und bekümmerte sich um die übrigen Familienangelegenheiten. Als echter Bonaparte setzte er in die Ämter der neuen Verwaltung Korsikas alle seine Verwandten, alle seine Freunde, kurz die ganze Sippe ein. Sich selbst ließ er später zum Abgeordneten im Rate der Fünfhundert ernennen. Die Wahl erfolgte mit einer Stimmenmehrheit von 103 gegen 1 Stimme. Darauf kehrte er ins Hauptquartier des Bruders zurück, wo er gerade während des Abschlusses des Vorfriedens, am 17. April 1796, in Leoben eintraf. Hierauf begab er sich nach Mombello. Dort fand er die ganze Familie um den Sieger versammelt, der wie ein Herrscher Hof hielt.
Bereits im Oktober 1796 hatte Napoleon ihn dem Direktorium zum bevollmächtigten Minister am Hofe von Parma vorgeschlagen, und am 27. März 1797 erfolgte Josephs Ernennung zu diesem Posten. Er hat ihn jedoch niemals angetreten. Napoleon hatte höhere Pläne in bezug auf seinen ältesten Bruder. Josephs Fähigkeiten schienen ihm zu bedeutend, um nur einen so geringen diplomatischen Posten auszufüllen. So traf am 15. Mai, noch ehe Joseph daran dachte, sich nach Parma zu begeben, ein neuer Beschluß des Direktoriums ein, das ihn, anstatt zum bevollmächtigten Minister in Parma, zum Gesandten in Rom ernannte. Joseph bezog als solcher ein Einkommen von 60.000 Franken im Jahr. Es war doch vorteilhaft, einen so einflußreichen Bruder zu haben!
Erst am 31. August 1797 trat der Gesandte seinen schweren Posten an. Die Vorschriften des Direktoriums und die Weisungen seines Bruders verpflichteten ihn, »alles zu tun, um die parlamentarische Volksherrschaft ohne Gewalt, ohne Störungen in Rom einzuführen und Unordnungen zu verhindern, welche die Revolution in den Staaten des Papstes mit sich bringen könne«. Vor allem aber sollte er vom Heiligen Vater die Anerkennung der Zisalpinischen Republik fordern und ihn veranlassen, seinen kirchlichen Einfluß in der Vendée und Bretagne geltend zu machen, um die Unruhen der Royalisten zu unterdrücken.
Josephs Rolle als Gesandter in Rom ist nicht völlig klargestellt, denn man weiß nicht, ob er wirklich bei den Republikanern im Kirchenstaat den »Anstifter« gespielt hat, oder ob er von den römischen Patrioten mit ins Spiel gezogen worden ist. Sicher lenkten seine Stellung und Lage die Blicke der feindlichen Partei in Korsika auf ihn. Jedenfalls ging anfangs alles ganz gut. Joseph, Julie und Karoline, die mit ihnen gekommen war, wurden von der päpstlichen Regierung nicht allein taktvoll, sondern sogar mit gewisser Auszeichnung empfangen. Man gab ihnen Feste über Feste. Das Haus des französischen Gesandten glich fast einer kleinen Hofhaltung. Julie und Karoline wurden zu einer Privataudienz von Pius VI. empfangen, und diese dehnte sich länger als gewöhnlich aus. Auch Désirée Clary und deren Mutter, die etwas später in Rom eintrafen, wurden vom Papst ausgezeichnet. Beinahe fühlte sich Joseph im Palazzo Corsini, wie Napoleon in Mombello, als Fürst.
Es gelang dem Gesandten jedoch nicht, die Einigkeit und den Frieden zwischen der päpstlichen und der französischen Regierung aufrecht zu erhalten. Die ungeheuren Kriegssteuern, die Frankreich dem Kirchenstaat auferlegte, ferner die Ernennung des österreichischen Generals Provera zum Befehlshaber der päpstlichen Truppen und die Weigerung des Papstes, die Zisalpinische Republik anzuerkennen, trieben die Reibereien auf die Spitze und führten schließlich zu jenem Aufstand vom 7. Dezember 1797, der den Tod des tapferen Generals Duphot und die Abreise Josephs aus Rom zur Folge hatte.
Das Direktorium empfing den ehemaligen Gesandten mit großer Liebenswürdigkeit und bot ihm die Gesandtschaft in Berlin an. Joseph schlug jedoch das Angebot aus. Er zog es vor, in den Rat der Fünfhundert einzutreten. Dadurch war sein Ehrgeiz einigermaßen befriedigt. Er hätte es nicht über sich gewinnen können, wenn er weniger angesehen gewesen wäre als Napoleon, der durch sein Genie immer mehr die Blicke der Welt auf sich zog. Diese Berufsgleichheit schien für seine Ruhe unbedingt vonnöten zu sein.
Als Mitglied des Rates der Fünfhundert lebte Joseph, während Napoleon in Ägypten war, mit seiner Mutter in der Rue Rocher in Paris. Um diese Zeit erwarb er die schöne Besitzung Mortefontaine, deren wunderbar angelegte Gärten einen ganz besonderen Ruf bekamen. Joseph liebte diesen Aufenthalt sehr und zog sich nach der Arbeit gern dahin zurück. Er war ein sehr gemäßigtes Mitglied des Rates. Seinem Bruder Napoleon erwies er dadurch einen Dienst, daß er ihn, als man den General in einem Komitee der beiden Räte aufs heftigste angriff, glänzend verteidigte und schließlich die Stimmenmehrheit auf seine Seite gewann.
Da er der Älteste und Zuverlässigste der Familie war, hatte Napoleon ihn mit der Verwaltung seiner Gelder und der Ordnung der übrigen Familienangelegenheiten betraut. So trat Joseph jetzt wieder seine alten Rechte als Familienoberhaupt an, die ihm der Ruhm und die Stellung des Jüngeren für einige Zeit geraubt hatten. Er liebte es ungemein, den Herrn zu spielen, besonders seinen Geschwistern gegenüber. Sie mußten ihn alle, mit Ausnahme von Napoleon, mit »Sie« anreden. Für Napoleon hingegen war Joseph noch immer der einzige Freund, dem er sein Herz ausschütten konnte, wenn er sich um die treulose Josephine sorgte. »Ich lege Dir vor allem meine Interessen ans Herz«, schreibt er ihm am 25. Juli 1798 ganz verzweifelt. »Ich habe viel häuslichen Kummer, denn der Schleier ist vollkommen gehoben. Napoleon hatte durch Junot die Untreue Josephines erfahren. Du allein bleibst mir auf Erden. Deine Freundschaft ist mir sehr teuer. Es fehlte nur noch, daß ich sie verlöre, und daß auch Du zum Verräter an mir würdest, um einen vollkommenen Menschenhasser aus mir zu machen!«
Joseph vergalt Napoleons Anhänglichkeit damit, daß er den ärgsten Feind seines Bruders, den General Bernadotte mit Désirée verheiratete. Allerdings wandte er am 18. Brumaire, obgleich er nicht mehr Mitglied des Rates der Fünfhundert war, auch seinen ganzen Einfluß auf, um den Staatsstreich Napoleons gelingen zu lassen. Dabei stand aber das Glück der ganzen Familie auf dem Spiele, und das vergaß Joseph ebenfalls nicht. Eine Niederlage Napoleons hätte die Niederlage aller Bonaparte bedeutet.
Am klarsten offenbart sich Josephs Charakter bei der Ernennung seines Bruders zum Konsul. Nie war er damit zufrieden, was er besaß. Bald tadelte er offen, bald im geheimen die Handlungen Napoleons. Er hoffte jetzt bestimmt, zweiter Konsul zu werden. Als dies nicht erfolgte, und Cambacérès an seiner Stelle gewählt wurde, spielte Joseph den Beleidigten. Denn als ihm Napoleon das Ministerium des Innern anbot, schlug er dieses Angebot aus. Nicht lange darauf aber wurde er in die Gesetzgebende Körperschaft und etwas später in den Staatsrat aufgenommen.
Auch damit war Joseph nicht zufrieden. Er wollte stets, wie alle andern Geschwister, das Gegenteil von dem, was Napoleon wollte. In allem sah er mißtrauisch eine Falle gestellt, ihn zu vernichten. Worüber aber beklagte er sich? Napoleon hatte alles getan, um ihn bis zu seiner Höhe zu erheben. Bereits mit dreißig Jahren konnte Joseph auf eine glänzende Laufbahn zurückblicken. Er war Gesandter an einem der ältesten Höfe gewesen, hatte als Volksvertreter gewirkt, war im Besitze eines großen Vermögens, eines prachtvollen Besitztums in Paris und auf dem Lande. Nach alledem aber behauptete er nicht zu streben. Nur Napoleon zuliebe hatte er alle die Auszeichnungen und hohen Ämter angenommen! Nur um seinem Bruder aus der Verlegenheit zu helfen! Es war eine Gnade seinerseits, wenn er die Stellungen bekleidete, die Napoleon ihm verschaffte. In seinen Augen waren das alles nur Kleinigkeiten, viel zu niedrige Posten für einen Mann wie ihn, für das Oberhaupt einer großen Familie! Er war berufen, den ersten Platz im Staate einzunehmen! Daß Napoleon das nicht einsah, kränkte ihn bitter.
Er nahm an ihm seine Rache, denn er schien einen ganz besonderen Reiz darin zu finden, die Feinde Napoleons in seinen Kreis zu ziehen. Ganz offen und vor aller Welt erklärte er, daß Frau von Staël, Bernadotte, Benjamin Constant und andere zu seinen vertrautesten Freunden gehörten. Nur ihnen zeigte er seinen wahren, neidischen, ehrsüchtigen Charakter. Vor der Welt und besonders vor seinem Bruder spielte er den Bescheidenen, Anspruchslosen, der nie etwas forderte. Napoleon hatte es durchaus nicht leicht, mit Joseph gemeinsam an dem Staatswerke zu arbeiten. Später sprach er sich gegen Roederer darüber aus und sagte: »Wenn Joseph gewollt hätte, würde er mir beigestanden haben; aber er weigert sich, das zu tun, was ich will.«
So ruhig und gemäßigt das Verhältnis beider Brüder nach außen hin schien, so sehr bewiesen intime stürmische Auftritte, wie entgegengesetzt beide Charaktere waren. Unter anderem berichtet Lucien, daß Joseph eines Tages wegen der Abtretung Louisianas mit dem Ersten Konsul in so heftigen Streit geraten und dermaßen wütend geworden sei, daß er Napoleon ein Tintenfaß an den Kopf geworfen habe. Nachdem Napoleon sich zu Josephine geflüchtet, habe Joseph einen erneuten Wutanfall bekommen und in dem Zimmer, in dem er sich befand, alles kurz und klein geschlagen. Allerdings ist es fraglich, ob man Lucien in dieser Hinsicht unbedingt Glauben schenken darf. Vereinzelt steht dieser Fall jedoch keineswegs da. So sanft und ruhig Joseph im allgemeinen war, so wenig kannte er die Grenzen im leidenschaftlichen Ärger. Aber Napoleon schien ihm solche Zornesausbrüche nie nachzutragen. Im Gegenteil, Joseph übte, trotz allen Widerspruchs, doch auf Napoleon einen gewissen Einfluß aus. Alles, was den Bruder betraf, interessierte Joseph aufs lebhafteste. Er war sozusagen sein geheimer Agent. Die englischen Zeitungen sprachen von ihm immer als von dem »Influencer«. Da er jederzeit Napoleons vollstes Vertrauen und größte Zuneigung besaß, war er wie kein anderer geeignet, ihn über alles, was sich zutrug, zu unterrichten. Das vermochte Joseph um so leichter, als er viele und weitgehende Beziehungen hatte. Nicht immer gab er freilich Napoleon den besten Rat. So geschah die törichte Verabschiedung des Kriegsministers Carnot auf Veranlassung Josephs, der gemeinsam mit Lucien bei Napoleon dahin gewirkt hatte.
Obwohl Joseph nichts oder nicht viel vom Soldatenberuf verstand, nahm er doch am zweiten Italienischen Feldzug teil. Sein Ehrgeiz strebte ebenso nach militärischen wie nach diplomatischen Ehren. Ohne Frage hatte Napoleon damals eine hohe Meinung von den Fähigkeiten seines Bruders, denn noch vor dem Frieden von Lunéville, zu dem er als bevollmächtigter Minister gesandt wurde, unterzeichnete Joseph mit Roederer und Fleurien auf seinem Schlosse Mortefontaine, am 30. September 1800, mit dem amerikanischen Gesandten die Pariser Konvention, die Frankreich und Amerika zu Freunden machte. Darauf eilte er nach Lunéville, um dort mit Österreich Frieden zu schließen. Er erfüllte seine Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit Napoleons, der ihn zu solchen diplomatischen Sendungen am liebsten verwendete. Joseph spielte durch sein vornehmes Äußeres eine gute Figur; es fehlte ihm auch nicht an Verstand und an Geschick zu dergleichen Dingen. Seine versöhnende Liebenswürdigkeit, seine Höflichkeit und sein bereitwilliges Entgegenkommen bei bedeutenden diplomatischen Verhandlungen erwarben ihm jederzeit die Achtung und Zuneigung der auswärtigen Gesandten. So war Graf Ludwig Cobenzl nach dem Friedensschluß sein Freund und Gast.
Fast unmittelbar nach der Unterzeichnung des Friedens von Lunéville folgten die Unterhandlungen des Konkordats. Es wurde am 15. Juli 1801, diesmal in Josephs Wohnung in Paris, Rue du Faubourg Saint-Honoré, nachts zwei Uhr von Joseph, dem Abbé Bernier, dem Staatsrat Cretet einerseits und den Kardinälen Caselli, Spina und Consalvi andererseits unterzeichnet. Zur selben Nachtstunde soll Joseph eine Tochter geboren worden sein, zu welchem glücklichen Ereignis ihn die Gesandten beglückwünschten. So will es die Legende. Die Wirklichkeit ist etwas anders. Das Kind, Josephs zweite Tochter Zénaide Letizia Julie, kam acht Tage vor dem Abschluß des Konkordats, am 8. Juli, zur Welt.
Auch die Abschließung des Friedens von Amiens vertraute Napoleon seinem Bruder an. Joseph unterzeichnete diesen Frieden, der allerdings fast allein sein Werk war, mit Lord Cornwallis am 25. Januar 1802 und hatte dadurch die Genugtuung, die beiden Erbfeinde miteinander versöhnt zu haben.
Was jedoch Josephs unzufriedene Natur und seinen Ehrgeiz am meisten beschäftigte, war die Frage, wer die Stelle des Ersten Konsuls nach dessen zehnjähriger Amtstätigkeit einnehmen werde. Am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn Napoleon ihn zu seinem Nachfolger bestimmt hätte. Er betrachtete das, als Ältester der Familie, nur als sein gutes Recht. Aber dazu war der Erste Konsul durch die Verfassung nicht ermächtigt. Erst das Konsulat auf Lebenszeit setzte ihn in die Lage, seinen Nachfolger zu bestimmen. Vereint mit Lucien stimmte daher Joseph für diese Regierungsform, denn sie gab ihnen die Hoffnung, doch noch einmal eine Rolle als Staatsoberhaupt zu spielen. Vor der Öffentlichkeit freilich tat Joseph, als ob es ihm sehr unangenehm wäre, wenn Napoleon ihn als Nachfolger bezeichnen würde. Eines Tages sagte er sogar: »Ich will gar nicht sein Nachfolger werden; ich will frei sein!« Und bescheiden fügte er hinzu: »Ich bin nicht stark genug, um den Vergleich mit ihm auszuhalten und die Schwierigkeiten zu bekämpfen.« Das war allerdings ein wahres Wort, aber im Innern dachte Joseph ganz anders.
Die Präsidentschaft der Zisalpinischen Republik, die Napoleon ihm anbot, war ihm gleichfalls nicht gut genug: er strebte nach Höherem. Er lehnte daher ab, nahm aber die Senatorwürde mit einem Einkommen von 120.000 Franken jährlich an; gleichzeitig wurde er Mitglied der Ehrenlegion. Auch verschmähte er gewisse Gratifikationen von 200.000 und 300.000 Franken nicht, die sein Bruder ihm bewilligte. Noch aber waren es der Ehren und Auszeichnungen nicht genug! Napoleon hatte ihn noch nicht zu seinem Nachfolger bestimmt. Wie sehnsüchtig wünschte Joseph sich einen Sohn! Dann wäre alles anders gekommen. Aber eben jetzt, im Oktober 1802, hatte ihm Julie wiederum ein Mädchen Charlotte, geboren. Welche Enttäuschung! Und dazu der verletzende Spott Napoleons. »Sagen Sie Madame Joseph«, schrieb der Erste Konsul, »meine besten Glückwünsche. Sie bringt so schöne Mädchen zur Welt, daß man sich darüber trösten kann, daß sie Ihnen keinen Jungen schenkt.« Das war bitter für Josephs Ehrgeiz.
Vorläufig war es also mit der Nachfolgerschaft nichts. Er mußte sich ein anderes Feld suchen, wo er zu Ruhm und Ehren kommen konnte. Nach dem Beispiele Napoleons glaubte er das am schnellsten als Soldat erreichen zu können. Auch diesem Wunsche Josephs kam der Erste Konsul nach. Im Jahre 1803 bot er ihm den Posten eines Generaloberst des Schweizerregiments in französischen Diensten an. Joseph lehnte ab. Er wollte sich als Führer einer anderen, vornehmeren Truppe sehen. Bereitwillig schickte ihn Napoleon 1804 in das neugebildete Lager von Boulogne und übergab ihm das Kommando über das 4. Linienregiment. Er gedachte jedoch nicht nur Josephs Laune nachzugeben. Sein Bruder sollte im Gegenteil mit Leib und Seele bei der Sache sein und seine Rolle ernst nehmen. Wie jederzeit ging Napoleon auch hier von dem Grundsatz aus, daß seine Brüder, wenn sie ihren Ehrgeiz in einem Amte befriedigen wollten, dies durch umfassende Kenntnisse ihres Berufs zu erreichen suchen müßten. So schrieb der Erste Konsul am 14. April 1804 an den General Soult, den Befehlshaber des Lagers von Saint-Omer, über Josephs Ernennung: »Er ist wie ich mit Leib und Seele Soldat, denn in unserer Zeit heißt es, nicht nur dem Staate durch seine Ratschläge in den schwierigsten Unterhandlungen beistehen, sondern man muß auch, wenn die Umstände es verlangen, ihm mit seinem Degen dienen können... Joseph wird noch vor dem Ersten des nächsten Monats in Boulogne eintreffen. Er soll seinen Beruf mit dem größten Ernste ausüben. Sie können ihm zwar bei seiner Ankunft alle Ehren zuteil werden lassen, die man einem Großoffizier der Ehrenlegion, einem Senator und einer mir so teuren Person schuldig ist; er wird deshalb auch in meinem Hauptquartier absteigen. Sobald man ihm jedoch diese Ehren erwiesen hat, soll er seinen Oberstenrock anziehen und sich genau so unterordnen, wie es das Militärgesetz den Offizieren vorschreibt.« Und um dieser militärischen Laufbahn einen Schein des Rechts zu verleihen, stellte Napoleon seinem Bruder ein Dienstverzeichnis aus, das ihn folgendermaßen qualifizierte: »Im Jahre 1783 Artillerieschüler; im Jahre 1792 Stabsoffizier; im Jahre 1793 Generaladjutant und Bataillonschef.« Außerdem war darin bemerkt, daß Joseph die Feldzüge von 1793 und 1794 mitgemacht habe und bei der Belagerung von Toulon verwundet worden sei. So stand es auf dem Papier. In Wahrheit verhielt es sich folgendermaßen: Wenn Joseph auch 1793 den Titel »Bataillonschef« führte, so war es eben nur ein Titel, denn die Pariser Nationalgarde, der er angehörte, wurde niemals organisiert. Und welchen Anteil er an den Feldzügen genommen hatte, ist bekannt; als Soldat hat Joseph jedenfalls keine Taten vollbracht!
Da er nun niemals Soldat gewesen war, konnte er mit dem besten Willen in Boulogne nichts weiter als in seiner schönen weißen Uniform ein wenig paradieren, was übrigens seiner Eitelkeit schmeichelte. Im übrigen lebte er, wie er wollte, ohne sich viel um den Dienst zu kümmern. Er entfernte sich ohne Urlaub vom Lager, spielte gern den Oberbefehlshaber und mißbrauchte seine Stellung als Bruder Napoleons dermaßen, besonders später als er Prinz war, daß der Kaiser mehrmals gezwungen war, ihn zu tadeln. Unter anderm schrieb Napoleon am 20. Mai 1805, als Joseph sich zum zweiten Male in Boulogne aufhielt, an den Marschall Berthier: »Teilen Sie Soult meine Unzufriedenheit darüber mit, daß Prinz Joseph während der verschiedenen Paraden in seinem Lager in einer andern Eigenschaft als der eines Oberst erschienen ist. Nichts kann in einer Armee den Oberbefehlshaber verdunkeln! Der Prinz kann über sein Regiment die Paraden abnehmen, wie er will, aber am Tage einer Truppenschau gebührt es dem General und nicht dem Prinzen, ein Essen zu geben; das ist eng mit dem Dienst verknüpft! Der Hauptgrundsatz ist: ein prinzlicher Oberst ist bei der Truppenschau eben nur ein Oberst! Der Prinz kann Boulogne auch nur mit der Erlaubnis des Generals verlassen. Schreiben Sie an Joseph, daß ich erfahren habe, er hätte das Lager ohne Urlaub verlassen, worüber ich ihm nur meine Unzufriedenheit ausdrücken könne. Die militärische Disziplin duldet keine Veränderung! Eine Armee ist ein Ganzes! Derjenige, der sie befehligt, ist alles! Joseph soll sich sofort zu seinem Regiment begeben und im wahren Sinne des Wortes seine Pflichten als Oberst erfüllen. Sagen Sie ihm auch, daß er sich gewaltig irre, wenn er glaube, er besitze die nötigen Fähigkeiten, sein Regiment zu führen.«
Trotzalledem erhöhte Napoleon im Jahre 1804 Josephs Einkommen von 120.000 Franken auf 300.000 Franken. Mit allen Geschenken hatte Joseph in einem Zeitraume von elf Monaten von seinem Bruder 900.000 Franken, fast eine Million, zu seinem Unterhalt bekommen!
Sein erster Aufenthalt in Boulogne währte nicht lange. Bald kehrte er wieder nach Paris zurück, das um diese Zeit eine wahre Brutstätte von Verschwörungen gegen das Leben des Ersten Konsuls war. Pichegru, Cadoudal und Moreau waren bereits verhaftet. Bald kam die Reihe an den jungen Sprossen des Hauses Condé, den Herzog von Enghien. Joseph beklagte diese Maßnahme seines Bruders, ließ ihm indes insofern Gerechtigkeit widerfahren, daß er als Notwendigkeit dieser Handlung die Politik anführte.
Als das Kaiserreich errichtet wurde, fand Napoleon anfangs keinen größeren Widerspruch als bei Joseph. Er wollte weder den Titel »Kaiserliche Hoheit« noch »Prinz« annehmen und weigerte sich zuerst hartnäckig, zu den Krönungsfeierlichkeiten zu erscheinen. Nichtsdestoweniger wurde seine Eitelkeit einigermaßen befriedigt, als er und seine männlichen Nachkommen zu Thronerben bestimmt wurden. Es war ja nicht anzunehmen, daß Napoleon mit der alternden Josephine Kinder zeugen würde. Joseph führte nun den Titel »Kaiserlicher Prinz« und ward Großwahlherr. Das hinderte ihn jedoch nicht, Napoleons Monarchenwürde bei jeder Gelegenheit lächerlich zu machen. Seine Töchter nannten den Kaiser beharrlich »Erster Konsul«. Die Million Apanage verschmähte Joseph indes nicht. Auch ließ er sich die Einkünfte gefallen, die ihm seine Sinekure als Großwahlherr brachte; sie beliefen sich auf 333.000 Franken im Jahr! Ferner schenkte der Kaiser ihm wiederum 350.000 Franken und das Luxembourgpalais. Und wie gern sah sich der anspruchslose Joseph in dem prunkvollen Galakostüm des Großwahlherrn! Wie gern schmückte er sich mit der weißen, goldbestickten Atlastunika, dem langen, schleppenden, hochroten Mantel, der ebenfalls goldbestickt und mit Hermelin gefüttert war. Beinahe sah er wie ein Krönungsmantel aus!
Die größte Beleidigung aber sah Joseph darin, daß Napoleon Frau Julie zumutete, bei der Krönung mit den Schwestern des Kaisers die Schleppe Josephines zu tragen. Joseph meinte darüber zu Fouché, daß ein solcher Dienst für eine tugendhafte Frau »äußerst peinlich« wäre. Und als Fouché erwiderte, man habe nicht einmal bei Marie Antoinette solche Schwierigkeiten gemacht, sagte Joseph, das sei etwas ganz anderes gewesen. Er hielt also Josephine einer solchen Ehre nicht für wert.
Napoleon hingegen glaubte seinen Bruder groß genug, einer Krone würdig zu sein. Nach den Krönungsfeierlichkeiten bot er ihm die lombardische Königskrone an. Doch ein solcher Plan paßte nicht in Josephs Politik. Er wollte lieber der Erbe des französischen Kaiserreichs als ein lombardischer Fürst und seines Bruders Lehnsmann sein. Außerdem schien ihm die Verpflichtung, die er eingehen sollte, 30 Millionen Hilfsgelder an Frankreich zu zahlen, für die Lombardei zu ungerecht. Schließlich überwog bei ihm wohl auch die Furcht vor der Verantwortlichkeit. Joseph zog ein gemächliches Privatleben vor, in dem er ungestört seinen Neigungen nachgehen konnte. Es war ihm daher höchst unbequem, als nach der Erhebung Napoleons auf den Thron der vertrauliche Ton aufhörte, den der Erste Konsul im Verkehr mit seiner Familie aufrechterhalten hatte. Alles wurde jetzt dem Zeremoniell untergeordnet. Joseph sah sich anfangs eine Zeitlang sogar, infolge seines bescheidenen Ranges, in das entferntest gelegene Vorzimmer versetzt, während die Kinder der verhaßten Josephine, Eugen und Hortense, alle Vorteile kaiserlicher Sprossen genossen. Das kränkte Joseph tief, und er rächte sich dafür. Anstatt, wie Napoleon es wünschte, sich mit der alten Aristokratie zu umgeben, wählte er für seinen Haushalt meist Leute aus der Bürgerklasse oder aus dem einfachen Adel, seine Freunde von früher. Napoleon wußte genau, wo der Wind her wehte. »Sie (seine Familie) sind auf meine Frau, auf Eugen und Hortense, auf meine ganze Umgebung eifersüchtig!« sagte er eines Tages, »Nun, meine Frau hat Diamanten und Schulden, das ist alles. Eugen hat kaum 20.000 Franken Rente. Ich hebe diese Kinder, weil sie immer bemüht sind, mir zu gefallen ... Man behauptet, meine Frau sei falsch, der Eifer der Kinder sei einstudiert. Gut! Es sei. Sie behandeln mich wie einen alten Onkel, und das versüßt mir doch immerhin das Leben. Ich werde alt; ich bin 36 Jahre alt; ich will mich ausruhen.«
Nichtsdestoweniger bewahrte auch der Kaiser seinem ältesten Bruder, mit dem er die schönsten Jahre seiner Jugend verbracht hatte, die größte Zuneigung. Auf Josephs Haupte sollte, wenn nicht die lombardische, so eine andere Königskrone prangen!
Kurz nach dem glänzenden Siege bei Austerlitz und dem Vertrage von Preßburg, am 31. Dezember 1805, befahl er Joseph, an der Spitze einer Armee in das Königreich Neapel einzufallen. Der König Ferdinand IV. hatte den Vertrag gebrochen, der ihn mit Frankreich verband. Vor ganz Europa hatte Napoleon durch das berühmte Manifest von Schönbrunn am 27. Dezember 1805 erklärt, daß die Bourbonen von Neapel aufgehört hätten, über diesen Teil in Italien zu regieren. Das Manifest wurde jedoch erst einen Monat später veröffentlicht. Am 25. Dezember 1805 erschien aber auch das berühmte 27. Bulletin, das vorläufig nur gegen die Königin Marie Karoline gerichtet war, und in dem es hieß: »Und sollten auch die Feindseligkeiten wieder beginnen und das Volk einen dreißigjährigen Krieg erleiden, eine so grausame Treulosigkeit kann nicht verziehen werden. Die Königin von Neapel hat aufgehört, zu regieren. Dieses letzte Vergehen hat ihr Schicksal bestimmt usw.« Er war fest entschlossen, diesen Thron seinem Bruder zu verleihen. Denn bereits am 19. Januar 1806 schrieb er an Joseph: »Ich will auf diesem Thron einen Prinzen meines Hauses haben; am liebsten Sie, wenn es Ihnen zusagt; wenn nicht, dann einen andern.«
Vorläufig ernannte der Kaiser seinen Bruder Joseph zum Divisionsgeneral und zu seinem »Lieutenant général«, ein Titel, der ganz neu geschaffen wurde und ihm den Oberbefehl über Napoleons Marschälle verlieh. Masséna, der bis dahin das Kommando über die Armee in Italien geführt hatte, war über diese Maßnahme des Kaisers außer sich vor Ärger. Jetzt sollte er sich den Befehlen eines Mannes unterordnen, der noch bis vor kurzem Oberst eines Linienregiments gewesen war! Aber Joseph war diesmal so einsichtsvoll und folgte den klugen Ratschlägen eines so erfahrenen Soldaten wie Masséna; des Kaisers Bruder ließ es sich gefallen, nur dem Namen nach den Oberbefehl zu führen, übrigens erforderte auch der Marsch nach Neapel keine allzu schwierige Strategie. Es war mehr ein militärischer Spaziergang, den Joseph am 8. Januar mit 40.000 Franzosen in das Königreich unternahm. Der Papst unterstützte ihn dabei nach Möglichkeit. Joseph hatte Pius VII. am 25. Januar in Rom persönlich gesprochen und von ihm das Versprechen erhalten, seinen Truppen den Durchzug durch die römischen Staaten zu erleichtern. Auf diese Weise ging alles glatt von statten. Capua öffnete ihm nach schwachem Widerstand die Pforten. Nachdem Reynier bei San Lorenzo, Lago Negro und Campo Jenese gesiegt, und die königliche Familie sich nach Leerung aller öffentlichen Kassen nach Sizilien eingeschifft hatte, zog Joseph am 15. Februar 1806 unter den Klängen der Musik, dem Läuten aller Glocken und dem Donner der Kanonen in die neapolitanische Hauptstadt ein. Nur die Festung Gaeta hielt noch unter den Befehlen des tapferen Prinzen Ludwig von Hessen-Philippsthal stand.
Die Bewohner Neapels begrüßten Joseph wie einst die Italiener den General Bonaparte als den Befreier von fremdem Joche. Im Lande selbst waren die Meinungen geteilt. Die höheren Stände waren ihm günstig gesinnt, die Patrioten freuten sich auf die Repressalien, die sie nun ausüben konnten, und die Volksmenge zeigte sich entweder mißtrauisch oder gleichgültig.
Joseph hielt sich nicht lange in der Hauptstadt auf. Er wollte sich persönlich von dem Zustande des Landes überzeugen und gegebenenfalls einen Ausfall nach Sizilien unternehmen. Er setzte sich daher mit einem vom General Lamarque befehligten Korps in Marsch, überall aber mußte er Verfall und Elend sehen. Der reiche, fruchtbare Boden lag brach, und die Bewohner dieses sonnigen Landes waren in Lumpen gehüllt. Die Kassen waren leer, die militärischen Vorräte weggeschleppt und die Beamten entflohen. Es gab hier vieles zu ordnen, vieles besser zu machen. Joseph hatte jetzt wirklich den besten Willen dazu. Aber es fehlte ihm die große Tatkraft, die sein Bruder in so hohem Maße besaß, und die unbedingt nötig gewesen wäre, um wirklich Ordnung zu schaffen.
Während dieser Reise durch das eroberte Land erhielt Joseph den Beschluß vom 30. März, der ihn zum König von Neapel ernannte. Und diesmal weigerte er sich nicht, die Krone anzunehmen. Er verfehlte jedoch nicht, bei dieser Gelegenheit ganz besonders hervorzuheben, daß seine Neigungen viel mehr dem ruhigen Bürgerleben zustrebten.
Napoleon gab seinem Bruder mit dieser Krone, der besten, die er zu jener Zeit zur Verfügung hatte, einen neuen Beweis seines Vertrauens. »Ich gebe«, sagte er zu Miot de Mélito, »meinem Bruder eine schöne Gelegenheit, sich auszuzeichnen. Möge er weise und mit Festigkeit in seinen neuen Staaten regieren! Möge er sich allem, was ich ihm gebe, würdig zeigen!« Neapel nahm in der Tat damals einen Hauptplatz in den Plänen des Kaisers ein. Es sollte die Grundlage großer Projekte werden, die bereits seit Ägypten in dem Hirn des Eroberers gärten. Neapel sollte ihm die Möglichkeit verschaffen, das Mittelmeer zu beherrschen, um dann auf Ägypten, Persien und Indien zu wirken.
Es schien, als wolle der neue König sich die Ratschläge Napoleons ernstlich angelegen sein lassen. Als er am 11. Mai in seine Hauptstadt zurückgekehrt war, beschäftigte er sich vor allem damit, die Ordnung in der Verwaltung des Landes herzustellen und den Wohlstand zu fördern. Dabei gedachte er dies möglichst ohne Schädigung des Volkes selbst zu tun, indem er sich die nötigen Gelder von Napoleon vorschießen ließ. Der Kaiser war natürlich anderer Meinung und wollte, daß Joseph alle Hilfsquellen aus dem Lande selbst zöge. In seinen Augen verfuhr der neue König von Neapel viel zu milde und gutmütig als Herrscher. Napoleon kannte die Völker: wünschte man ihre Liebe zu erringen, so mußte man sie mit Strenge regieren. »Nicht mit Schmeicheleien und Sanftmut gewinnt man die Völker«, schrieb er ihm einmal; und ein andermal riet er ihm, alle widerspenstigen Lazzaroni niederschießen zu lassen. Damit aber war Josephs sanfter Sinn nicht einverstanden. Er wollte ein gütiger König sein und sich die Liebe seines Volkes durch Milde erringen.
Endlich hatte sich auch am 18. Juli die Festung Gaeta ergeben, aber von einer Expedition nach Sizilien mußte Joseph vorläufig absehen. An der Straße von Messina hatten sich alle feindlichen Kräfte gesammelt. Alle Fahrzeuge bis auf die kleinsten Boote, lagen dort kampfbereit. Ein Durchdringen wäre unmöglich gewesen. Er mußte daher dieses Unternehmen auf einen günstigeren Augenblick verschieben.
Im großen und ganzen war Josephs Regierung in Neapel, trotz mancher Fehler, die dem unerfahrenen König unterliefen, eine gute. Wenigstens zeigte er jetzt den besten Willen, zum Wohle seines Landes zu handeln. Er war in Neapel auch nicht ganz so abhängig von Napoleon, wie man es immer dargestellt hat. Er war weder ein Scheinkönig noch ein bloßer Präfekt. Er wählte stets seine Minister nach eigenem Gutdünken; niemals hat Napoleon ihm einen Beamten aufgedrungen. Der Kaiser hatte trotz manchen Tadels Vertrauen zu Joseph. Natürlich verlangte er auch viel von ihm. Immer wieder rüttelte er ihn aus seiner Güte und Nachsicht auf. Immer wieder warnte er ihn, seinen neapolitanischen Beamten zuviel Vertrauen zu schenken. So schrieb er ihm am 30. Juli 1806: »Ganz Europa wird Sie als König von Neapel und Sizilien anerkennen. Wenn Sie aber keine strengeren Maßnahmen treffen als die bisherigen, so werden Sie in dem ersten Kontinentalkriege schändlich entthront werden. Sie sind zu gut, besonders für das Land, in dem Sie sich befinden ... Wenn Sie sich zu einem schwachen König machen, wenn Sie nicht mit fester und entschlossener Hand die Zügel der Regierung führen, wenn Sie auf die Meinung des Volkes hören, das nur das weiß, was es wissen will, wenn Sie die alten Mißbräuche nicht auf eine Weise abschaffen, daß Sie dabei zu Reichtum gelangen, wenn Sie nicht derartige Auflagen erheben, daß Sie in ihren Diensten Franzosen, Korsen, Schweizer und Neapolitaner unterhalten können, so werden Sie im ganzen Leben nichts erreichen. Und in vier Jahren, anstatt mir nützlich zu sein, werden Sie mir schaden!« Leider beging Joseph sowohl in Neapel als auch in Spanien den Fehler, zu glauben, er habe mit dem Titel »König« schon seine Pflicht als solcher erfüllt. Napoleon hingegen wußte nur zu gut, daß das eben nur ein Titel war und man sich den Thron auf ganz andere Weise, durch Taten und Arbeit erhalten mußte.
In militärischen Fragen, die der Kaiser besser verstand als der unerfahrene Joseph, wollte Napoleon natürlich, daß seine Ratschläge unbedingt befolgt würden. Aber gerade darin maß der neue König sich Kenntnisse bei, die er nicht besaß, und richtete so die heilloseste Verwirrung an. Am meisten empörte es den Kaiser, wenn Joseph, der sich in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber zu Befehlen berechtigt glaubte, solche erteilte, die denen Napoleons oder seiner Politik entgegen waren. »Ich kann Ihnen nur meine Unzufriedenheit beweisen«, zürnte er am 31. Juli 1807, »daß Sie in meine Armee neapolitanische Offiziere einreihen ... Es ist eine seltsame Politik, meinen Feinden Waffen in die Hände zu geben!«
Den schlimmsten Tadel Napoleons zog sich Joseph zu, als er eines Tages die römischen Kardinäle wieder umkehren hatte lassen. In diesem Zornesbrief des Kaisers vom 25. März 1808, der sich weder in den Memoiren Josephs noch in der Korrespondenz Napoleons befindet, heißt es unter anderem: »Wenn Sie Europa Ihre Unabhängigkeit zeigen wollten, so haben Sie eine sehr dumme Gelegenheit dazu gesucht ... Sie können wohl König von Neapel sein, aber ich habe auch ein wenig das Recht dazu, da zu befehlen, wo ich 40.000 Mann stehen habe. Warten Sie, bis Sie keine französischen Truppen mehr in Ihrem Königreich haben. Dann können Sie Befehle erteilen, die den meinigen entgegen sind. Aber ich rate Ihnen, dies nicht oft zu tun!«
Nach solchen Wutausbrüchen könnte man allerdings meinen, Joseph habe immer die Knute des Bruders fürchten müssen. Aber gerade als er König von Neapel war, trifft diese Behauptung nicht zu. Joseph war kein selbständiger Charakter; er mußte in gewisser Beziehung geleitet werden. Und dennoch war er freier als irgendeiner seiner Brüder und Schwäger auf seinem Throne. Immer wieder gab der Jüngere und Mächtigere dem Älteren und Schwächeren nach. Man lese nur auch, was Napoleon Lobenswertes über die Regierung seines Bruders in Italien schreibt, und wie er seinen Tadel begründet. »Ich bitte Sie, überzeugt zu sein«, heißt es in einem Briefe aus dem Jahre 1806, »daß ich, wenn ich auch Ihre Handlungen bisweilen tadele, doch vieles anerkenne, was Sie getan haben. Mit Vergnügen sehe ich, welch großes Vertrauen Sie dem vernünftigen Teile des Volkes einflößen.« Oder, wenn Joseph sich beklagte, für ihn nicht mehr der Bruder von ehedem zu sein, so schrieb ihm Napoleon wohl: »Es ist sehr natürlich, daß man mit 40 Jahren nicht mehr so empfindet wie mit 12 Jahren. Aber ich habe für Sie jetzt echtere, stärkere Gefühle: meine Freundschaft für Sie kommt aus der Seele.«
Joseph hatte es in der Tat verstanden, sich das Vertrauen seiner Untertanen zu gewinnen. Sogar die vorher Bevorzugten, wie der Adel und die Geistlichkeit, waren über die mäßige und gerechte Regierung des Königs des Lobes voll. Sein erster Minister Roederer schrieb im Jahre 1808 an seine Gattin: »Das Ergebnis seiner Regierung wird ein für ihn ehrenvolles sein. Er hat in allen großen Dingen Festigkeit, in allen nützlichen Unternehmungen Beständigkeit gezeigt und hier den Keim zu neuem Gedeihen, zu neuer Größe gelegt!« Wenn auch ein wenig zu begeistert, so sind doch die Aussprüche Roederers zum Teil gerecht. Selbst Napoleon gab in jener stürmischen Unterredung mit diesem Minister vom 11. Februar 1809 zu, daß Joseph in Neapel sein Bestes geleistet hätte.
Nichtsdestoweniger aber schalt und tadelte er unaufhörlich den König; er wußte, daß Joseph, wenn er ihm die Zügel zu locker ließ, nicht mehr das gleiche leisten würde. Unaufhörlich drängte er ihn auch, sich Siziliens zu bemächtigen, sowie Korfu durch eine Flotte zu decken. Solche Rüstungen kosteten viel Geld, das der König nicht aus dem Lande erheben konnte. Dadurch war er immer wieder gezwungen, Napoleons Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der kaiserliche Schatz, der Kronschatz und die Amortisierungskasse Frankreichs bezahlten jährlich mehrere Millionen an Neapel. Dazu kam noch das eigene Luxusbedürfnis des Königs, das sich von Tag zu Tag steigerte. Er leistete sich eine äußerst kostspielige Leibgarde, stiftete aus Eitelkeit gern Orden und Schenkungen usw. Im Februar 1808 gründete er den Orden beider Sizilien mit einer Rente von 100.000 Dukaten, obgleich er Sizilien nie besaß. Er war allerdings ganz König und wußte vornehm aufzutreten. Nichts verriet an ihm den Emporkömmling. Sein Luxus, seine Prachtentfaltung waren nicht aufdringlich. Joseph selbst war von Natur aus liebenswürdig, huldvoll, nicht hochmütig; kurz er benahm sich so, als hätte er sein ganzes Leben lang auf dem Throne gesessen. Seine Ritterlichkeit den Frauen gegenüber war wie die der alten Könige von Frankreich: etwas gekünstelt und geziert, aber vornehm und taktvoll. Jeden Abend empfing er in seinem Salon die schönsten, jüngsten und anmutigsten Damen der alten Aristokratie von Neapel. Sie brauchten Seiner Majestät nicht, wie die Etiquette es vorschrieb, die Hand zum Gruße zu küssen, sondern der König selbst begrüßte sie zuerst mit einem huldvollen Neigen des Kopfes und ein paar liebenswürdigen Worten für eine jede. Er war ein großer Frauenliebhaber, aber seine Liebschaften entbehrten nicht, wie so oft bei Fürsten, des Idealen. Er wußte seine Gefühle in zarte Worte zu kleiden und seine Wünsche taktvoll zu umschreiben. Er befahl nicht wie ein König, sondern bat wie ein Mensch. So schreibt er an eine seiner Freundinnen, wahrscheinlich an die Herzogin von Atri: »Seit ich Dich kenne, sind ebenso viele Monate wie Tage vergangen. Seit gestern scheint mir jede Stunde aus 60 Monaten zu bestehen ... Es ist für meine Ruhe unbedingt nötig, daß ich Dich nicht sehe, ehe Du mir geantwortet hast. Ich muß, wenn ich zum erstenmal wieder die Augen zu Dir erhebe, mich unbefangen gegen die Beleidigungen und den Verdacht verteidigen können, und zwar ganz allein vor Dir, meine einzige, unumschränkte Herrin!«
Ein König, der so demütig mit den Frauen redete, mußte ihnen gefallen. Aber sie kosteten ihn auch viel Geld, denn Joseph war freigebig gegen seine Freundinnen. Nichtsdestoweniger war er ein guter Familienvater. Seine Ehe mit Julie war glücklich, und er liebte seine Kinder zärtlich. Die Königin war endlich im März 1808 mit ihren Töchtern zu dem Gatten gereist und erwarb sich bald die Liebe und Achtung der Neapolitaner. Leider ward ihre Ankunft in Neapel durch einen Mordanschlag auf den König, den zweiten während seiner Regierung, getrübt, der jedoch noch rechtzeitig verhindert wurde.
Julie war nicht geeignet, eine königliche Rolle zu spielen. Sie fühlte sich auf dem Throne nicht wohl. In der Öffentlichkeit war sie schüchtern und zaghaft, so daß manche sie für dumm und ungebildet hielten. Das aber war sie keineswegs; im Gegenteil, sie hatte einen sehr scharfen Geist, viel Witz und konnte außerordentlich lustig sein. Aber sie scheute die Etikette und das Hofzeremoniell. Sie wußte, daß sie in den prunkvollen, diamantenbehangenen Hofkleidern nicht gut aussah; sie fühlte sich unbehaglich darin. In der Jugend schon war sie nicht schön gewesen, jetzt aber, als 35jährige Frau, war sie es noch viel weniger. Ihre kleine unscheinbare Gestalt schien wie verwachsen. Um so besser und gütiger war ihr Herz. Sie gab den Armen jährlich aus ihrer eigenen Tasche 20.000 Franken. Ihrem Mann war sie herzlich zugetan. Sie übte einen guten Einfluß auf ihn aus. Trotz ihres häßlichen Äußern war sie doch immer die erste Frau in seinem Herzen, die Mutter seiner Kinder.
Es ist sicher, daß Joseph und Julie gemeinsam in Neapel viel Gutes hätten vollbringen können, wenn ihnen dieser Thron länger beschieden gewesen wäre. Schon begann der König die Früchte seines Wirkens zu ernten. Da rief Napoleon ihn nach Spanien.
Bereits im Dezember 1807 hatte Joseph während der Zusammenkunft mit seinem Bruder in Venedig erfahren, in welch politischer Verlegenheit sich das spanische Königshaus befand. Es war sogar von Napoleon die Möglichkeit ausgesprochen worden, daß Joseph diesen Thron bekommen sollte. Damals hatte sich jedoch der König von Neapel geweigert. Er wollte in seinem Königreich bleiben. Jetzt im Mai 1808, erhielt er von Bayonne aus, wo Karl IV. mit der Königin bei Napoleon weilte, von diesem den Befehl, sich sofort auf Bayonne in Marsch zu setzen. Schweren Herzens brach Joseph am 23. Mai auf. Er trennte sich nur ungern von seiner Familie, die er seit so kurzer Zeit erst wieder bei sich hatte. Wenige Stunden vor Bayonne traf er mit Napoleon zusammen. Der Kaiser setzte ihm die ganze politische Notwendigkeit, die spanische Dynastie vom Throne zu stürzen, auseinander und sagte ihm jetzt unumwunden, daß er ihn für diesen Thron bestimmt habe. Er sei der Junta und auch dem spanischen Volke willkommen. Er dürfe ein solches Angebot nicht abschlagen. Auf einem Thron wie dem spanischen wären zwar viele Hindernisse zu überwinden, aber man könne auch unendlich viel Gutes tun und große Ehren erwerben. Als dann auch die Mitglieder der Junta, die Joseph alle einzeln während seines Aufenthaltes in Bayonne empfing, ihn beschworen, die Krone anzunehmen, siegte des Königs schwacher, gutmütiger Charakter. Er willigte ein. Er gab den Thron von Neapel auf, um den spanischen zu besteigen. Eins, aber machte er sich zur Bedingung: seine Einrichtungen und Reformen in seinem ehemaligen Reiche mußten bestehen bleiben. Die Neapolitaner behielten die Verfassung bei, die der König Joseph ihnen gegeben hatte. Dieser selbst übte, obgleich er König von Spanien war, noch einen Monat lang die Funktionen des Königs von Neapel aus und verfügte über die neapolitanischen Kassen zu seinen Zwecken. Und Murat, der nach ihm diesen Thron einnahm, mußte sich das gefallen lassen!
Es wird oft behauptet, Joseph habe auf seinem Marsch nach Bayonne keine Ahnung gehabt, daß er den spanischen Königsthron besteigen sollte. Dem widerspricht jedoch nicht allein die Tatsache, daß er mit Napoleon, wie bereits erwähnt, schon in Venedig darüber gesprochen hatte, sondern auch eine Unterhaltung des Königs von Neapel mit Girardin in Italien. »Der Kaiser beabsichtigt, mir die spanische Krone aufs Haupt zu setzen«, sagte damals Joseph. – »Und werden Sie sie annehmen?« fragte Girardin. – »Ohne Zweifel. Warum nicht? Aber ich vertraue Ihnen das ganz im geheimen an. Sie dürfen es keinem Menschen verraten.«
Bereits am 6. Juni, obwohl Joseph noch nicht in Madrid angelangt war, hatte Napoleon ihn in der Hauptstadt zum König von Spanien und von Indien proklamieren lassen. Als aber der König am nächsten Tage eintraf, fand er die Bewohner Madrids wegen der Ereignisse des 2. Mai aufs höchste erregt. Das Volk verabscheute diesen aufgedrungenen Herrscher aus tiefstem Grunde seines Herzens. Es herrschte ein aufrührerischer Geist unter der spanischen Bevölkerung. Auf den Landstraßen ermordete man die Franzosen meuchlings. Am 14. Juli schrieb Joseph an seinen Bruder: »Es sind Mörder auf den Landstraßen.« Und einige Tage später, als er Besitz vom Escurial genommen hatte: »In den königlichen Marställen befanden sich 2000 Angestellte. Alle haben zur gleichen Stunde dieselbe Meinung abgegeben und sich zurückgezogen. (Sie wollten dem neuen Könige nicht dienen.) Von gestern morgen 9 Uhr an habe ich nicht einen einzigen Kutscher in allen Ställen auftreiben können. Die Bauern verbrennen die Räder ihrer Wagen, damit sie nicht zu irgendwelchen Transporten genötigt werden können. Sogar die Bedienten, Leute, von denen ich vermutete, daß sie bei mir bleiben würden, haben ihren Dienst verlassen ...« Napoleon wollte die Gefahr nicht sehen. Er tröstete den Bruder mit Phrasen. »Sie haben in Spanien eine große Anzahl Anhänger«, schrieb er ihm am 19. Juli 1808 als Antwort auf die Klagen; »nur sind sie noch zu sehr eingeschüchtert. Aber es sind alles rechtschaffene Leute ... Sie sollten es nicht so außerordentlich finden, Ihr Königreich zu erobern. Philipp V. und Heinrich IV. waren ebenfalls genötigt, das ihrige zu erobern. Seien Sie heiter und lassen Sie sich nicht betrüben. Zweifeln Sie nicht einen Augenblick, daß die Dinge schneller und besser enden werden, als Sie denken.«
Joseph konnte nur hoffen. Auf seine guten Absichten bauend, berief er gleich am nächsten Tage seiner Ankunft in Madrid eine Versammlung aller Stände zusammen. Es erschienen die Abgeordneten der spanischen Granden, die Oberhäupter religiöser Orden, die Mitglieder des Tribunals, die Befehlshaber des Heeres, Kapitalisten und Vertreter der arbeitenden Klasse. Alle Säle des Schlosses waren von einer ungeheuren Menschenmenge angefüllt. Der neue König sprach sich frei und offen über die Ereignisse aus, die ihn nach Spanien führten. Er machte den besten Eindruck auf die Versammelten, obgleich sie nicht alle mit den freundschaftlichsten Gefühlen zu ihm gekommen waren.
Leider wurde dieser erste günstige Eindruck bald darauf durch die Niederlage, die die Franzosen am 22. Juli bei Bailen erlitten, wieder vernichtet. Joseph war darüber wie zerschmettert. Er befand sich beim Heere Bessières', als der Rückzug auf Burgos unternommen wurde.
Inzwischen hatte General Junot Portugal räumen müssen. Nun, da alle englischen und portugiesischen Streitkräfte zur Verfügung standen, fluteten die spanischen Heere von allen Seiten gegen die französischen Armeen. Der König schrieb die verzweifeltsten Briefe an seinen Bruder und beklagte sich, daß er hier in Spanien mit Elementen zu kämpfen habe, die über seine Kraft gingen. Napoleon fand immer wieder Worte des Trostes; nie machte er Joseph wegen der Ereignisse Vorwürfe. Die Niederlagen des Heeres waren die Schuld der Führer; nur auf diese fiel der Zorn des Kaisers.
Erst im November konnten die Franzosen wieder die Offensive ergreifen. Napoleon war selbst Anfang dieses Monats nach Spanien geeilt, um den Oberbefehl über seine Heere zu übernehmen. Nachdem er mit seinem Bruder am 5. November in Vitoria zusammengetroffen war, wußte er, was er von ihm als Feldherrn zu erwarten hatte. »Ich habe den König vollkommen verändert gefunden«, sagte er. »Er hat den Kopf verloren. Er ist ganz König geworden. Er wünscht, daß man ihm schmeichle. Er hat Geist und schätzt mich sehr, das weiß ich; dennoch verzeiht er es mir nicht, wenn ich ihm die Wahrheit sage. Ich habe ihm gesagt, er wäre kein Soldat, und es ihm sogar bewiesen. Er konnte den Beweisen nicht standhalten, und doch ist er im Grunde seines Herzens beleidigt. Er ärgert sich über das, was ich ihm gesagt habe. Sein Generalstabschef Jourdan gibt ihm schlechte Ratschläge... Der König meint, daß man General ist, sobald man sich anschickt, es zu sein. Er spricht fortwährend von der Laienhaftigkeit des Kommandos ... Der König hat viel Verstand, aber er ist unentschlossen ... Er kennt nicht einmal die Anfangsgründe des Soldatenberufs. Er weiß nicht, was Situationspläne sind.« Hätte sich das der Kaiser nicht früher überlegen müssen, ehe er seinem Bruder einen so verantwortungsreichen Posten übergab?
Sobald Napoleon selbst die Angelegenheiten in die Hand genommen hatte, taten sich nach den Schlachten von Burgos, Judella und Somo Sierra die Tore Madrids wieder auf, und der König Joseph konnte am 22. Januar 1809 von seiner Hauptstadt wieder Besitz nehmen. Auf seine inständigen Bitten hin hatte ihm Napoleon von neuem das Kommando über das Heer erteilt, denn er selbst mußte sich eiligst nach Deutschland begeben, um den Österreichern die Spitze zu bieten.
Die ersten militärischen Ereignisse unter den Befehlen des Königs waren vom Glück begünstigt. Mit Generalen wie Victor, Soult, Sébastiani, Mortier, Junot, Ney, Gouvion Saint-Cyr, Lannes, Kellermann u. a. war es schließlich auch nicht schwer, Siege zu erringen. Lannes hatte Zaragoza erobert. Victor schlug den Feind bei Medelin, und Joseph selbst zwang die Spanier unter Venegas, hinter die Sierra Morena zurückzugehen. Dann folgte die blutige, aber unentschiedene Schlacht bei Talavera, der zufolge der Feind den Zug nach Madrid aufgab. Der Erfolg der Franzosen bei Almonacid am 11. August vernichtete noch vollends alle Pläne der Spanier.
Josephs Eitelkeit hatte jetzt den höchsten Grad erreicht. Er machte aus jedem Gefecht eine blutige Schlacht, aus dem geringsten Erfolg den glänzendsten Sieg. Nachdem er einen großen Teil der Provinz La Mancha durcheilt hatte, konnte er getrost in seine Hauptstadt zurückkehren. Den französischen Soldaten dankte er nach dem Vorbilde seines Bruders mit den Worten: »Soldaten! Ihr habt meine Hauptstadt gerettet. Der König von Spanien dankt euch dafür. Ihr habt mehr getan: der Bruder eures Kaisers sieht vor euren Adlern den Erbfeind der Franzosen fliehen!« Das war ganz napoleonisch.
Nichtsdestoweniger zeigte er die besten Absichten, wie einst in Neapel, so auch in Spanien Ordnung zu schaffen. Es lag ihm daran, die vielen geistlichen Orden zu unterdrücken, die allen Fortschritt und alle Aufklärung des Landes lähmten. Er beschäftigte sich mit dem stark in den Kinderschuhen steckenden öffentlichen Unterricht, suchte die zerrütteten Finanzen aufzubessern, den Handel und die Wissenschaften zu beben und traf viele Neueinrichtungen. Dabei vergaß er nicht, sein Augenmerk auf die Vorgänge in Österreich zu richten. Im Fall der Kaiser auf dem Schlachtfelde fiel, war Joseph der mutmaßliche Erbe. Ohne gerade offen zu wünschen, daß dieser Fall eintrete, verfolgte Joseph doch die Kriegsvorgänge sehr aufmerksam.
Aus diesen Betrachtungen wurde er durch die Nachricht gerissen, daß 55.000 Spanier unter Venegas und d'Arizaga von den Höhen der Sierra Morena herab La Mancha bedrohten. Der König entschloß sich, ihnen mit dem Heere Soults entgegenzutreten. Mit 34.000 Franzosen schlug der Marschall den Feind bei Ocana.
Fast zur selben Zeit trugen auch Kellermann bei Alba de Tormes, Suchet in Aragonien und Augereau in Katalonien Siege davon. Josephs Stellung in Spanien schien sich ein wenig zu bessern. Da beschloß der Kaiser durch ein Dekret vom 8. Februar 1810, in Spanien eine Militärregierung einzuführen, d. h. jede Provinz sollte durch einen General verwaltet werden. So regierte Suchet in Aragonien, Soult in Andalusien, Macdonald in Katalonien und Massena in Portugal. Der König selbst blieb gewissermaßen ohne Armee und ohne Macht. Nur in der kleinen Provinz Madrid hatte er noch etwas zu sagen. Das Heer, das er befehligte, belief sich auf kaum 19.000 Mann!
Wie vorauszusehen war, entstand aus einer solchen Regierungsweise die größte Mißwirtschaft. Die verschiedenen Gouverneure wollten sich weder gegenseitig beistehen, noch dem König gehorchen. Und da Joseph dem militärischen Beruf vollkommen fremd gegenüberstand, auch keine moralische Gewalt über seine Heerführer, alles erprobte Soldaten, besaß, so konnte er ihnen in keiner Weise seinen Willen auferlegen. »Ihre fortwährenden Uneinigkeiten legten den Grundstock zum Verluste seiner Krone«, sagt Marbot. Des Kaisers prophetische Worte zu Roederer: »Joseph glaubt, er sei bei der Armee beliebt ... Du lieber Gott! Man liebt ihn wie einen Mann, der jeden Monat 500.000 Franken ausgibt, um seine Bekannten zu bewirten«, gingen jetzt in Erfüllung. Des Königs Generale dachten nichts Gutes von ihm. Keiner seiner Befehle wurde ernst genommen, wenn er nicht vom Kaiser bestätigt war. Und die Streitigkeiten nahmen kein Ende. Die Generale gingen so weit, den König öffentlich zu beschimpfen und ihm das Geld zu stehlen, das Napoleon ihm schickte. Zu alledem mußte Joseph schweigen.
Auch in der Verwaltung der Provinzen kamen große Unterschleife vor. Die Gouverneure arbeiteten sich alle, so viel sie konnten, in die Tasche. Sie erhoben ungeheure Steuern, saugten das arme Volk aus und knechteten es entsetzlich. Nichts war ihnen heilig, weder Überlieferungen noch Religion. Sie waren die Herren. Ihr Wille war die Macht!
Unter solchen Umständen wurde die Regierung für den König zur wahren Last. Seine Lage ward immer mißlicher. Nichts konnte ihn, nicht einmal die Frauen, denen er sein ganzes Leben lang gehuldigt hat, darüber hinwegtäuschen. Er sehnte sich, das fanatische Land, wo er seines Lebens nicht sicher war, zu verlassen. Oft beklagte er es, sein schönes Neapel aufgegeben zu haben. »Niemals«, schrieb er bereits von Bayonne aus am 9. Juni 1808 an seinen Freund Roederer, »niemals hat man das Vaterhaus unter größerem Bedauern verlassen, als ich dieses schöne Land.« Und als er über seine wahre Lage in Spanien im klaren war, da verlangte er fest entschlossen, nach jenem Neapel zurückzukehren. Dort hatte er doch wenigstens eine gewisse Macht als Fürst und auch als General besessen, überdies hatte seine Gesundheit in Spanien infolge der Strapazen und Sorgen gelitten, so daß er im März 1811 bettlägerig wurde. Er war entschlossen, dem spanischen Throne zu entsagen.
Zu diesem Zwecke schickte Joseph zwei seiner Minister, den Herzog von Santa-Fé und den Marques d'Almenara, mit einem Briefe vom 25. April 1811 zum Kaiser. Er teilte ihm unumwunden seinen Entschluß mit, abzudanken, wenn keine Änderung in der Regierungsweise getroffen würde. Seine Bedingungen bestanden in folgendem: 1. Daß die französische Armee unter seine Befehle gestellt werde. 2. Daß er das Recht habe, diejenigen Offiziere zu verabschieden, die sich schlecht aufführten. 3. Daß es ihm erlaubt sei, die Nation über die Veränderung in der Regierung und über die Zerstückelung zu beruhigen. 4. Daß er dem Volke sagen dürfe, was er für dasselbe geeignet halte.
Die Abdankung seines Bruders Joseph lag natürlich nicht in den Plänen Napoleons. Sie kam ihm im Gegenteil höchst ungelegen. Seine Lage war um diese Zeit dermaßen kritisch, daß er auf dem spanischen Thron keinen andern als Joseph wünschen konnte, denn er war ihm am meisten von allen seinen Brüdern geneigt und am gefügigsten. Außerdem wußte Napoleon, daß der König nicht, wie er sagte, auf seinem Landgute Mortefontaine still und zurückgezogen leben, sondern so viel wie möglich gegen ihn im Kreise seiner Feinde intrigieren würde. Und dem wollte er vorbeugen. So vertröstete er Joseph, obgleich er seine schiefe Lage genau kannte, – dafür sorgte schon die Königin Julie, die immer noch in Paris weilte – auch diesmal auf bessere Zeiten, ohne ihm jedoch bestimmte Garantien zu geben. Napoleons Politik verlangte, daß Joseph in Spanien bliebe, und daran ließ er nicht rütteln. Der König war freilich nicht damit zufrieden. Da er nur von Schmeichlern umgeben war, hielt er sich für einen Märtyrer, der ein weit besseres Los verdient hätte. Er war fest überzeugt, daß er nicht allein ein großer General, sondern auch ein großer König von Gottes Gnaden sei, der auf einem andern Thron Wunder verrichtet hätte. Das sollte auch sein Bruder anerkennen. Napoleon aber war anderer Meinung.
Am 23. April 1811 begab Joseph sich nach Paris, um persönlich mit dem Kaiser wegen seiner Abdankung Rücksprache zu nehmen. Offiziell wurde bekannt gemacht, daß der König von Spanien nach der französischen Hauptstadt käme, um der Tauffeierlichkeit des Königs von Rom als Pate beizuwohnen. Das war indes nur ein nebensächlicher Grund zu Josephs Reise.
Am 16. Mai traf er in Rambouillet ein, wo der Hof sich befand. Während einer sechsstündigen Unterredung wußte Napoleon ihn zur Rückkehr in sein Land zu bewegen. Er versprach ihm, die Militärregierungen abzuschaffen. Sie hätten ihren Zweck erreicht, denn England sei gesonnen, Portugal zu räumen, sobald die französischen Truppen Spanien verließen. Es wolle auch den König Joseph anerkennen, wenn ihn das spanische Volk anerkenne und Frankreich seinerseits das Haus Braganza in Portugal gelten lasse. Ferner versprach Napoleon seinem Bruder Hilfsgelder von einer Million Franken monatlich bis Ende des Jahres.
So verließ der König von Spanien nach einem Aufenthalt von vier Wochen, am 16. Juni 1811, Frankreich voller Hoffnungen. Er glaubte bereits alles gewonnen zu haben. Aber es erwarteten ihn noch harte Schläge.
Massena war bereits im März 1811, nachdem er verschiedene Siege bei Almeida, Ciudad Rodrigo und Busaco davongetragen hatte, gezwungen gewesen, sich aus Portugal zurückzuziehen. Nun schürten die Engländer überall durch Truppen und Geldzufuhr den Aufstand. Schon hatten sich mit Hilfe des englischen Goldes neue, mächtige Guerillabanden gebildet. Dazu stand der Bruch Frankreichs mit Rußland bevor, was jede Hoffnung auf ein Abkommen mit England beseitigte. Das Elend in Spanien war ungeheuer. Durch die Rüstungen im Norden war Napoleon gezwungen, seine besten Kräfte, Offiziere wie Soldaten, aus Spanien herauszuziehen, so daß Joseph, als er wieder im April 1812 den Oberbefehl über die gesamten Heere erhielt, nur einen sehr zusammengeschmolzenen Teil brauchbarer Truppen zur Verfügung hatte. Ferner hatte der Kaiser ihm versprochen, ihn mit Geld zu unterstützen. Es ließ jedoch auf sich warten. Die erste Subsidie traf erst nach drei Monaten ein.
Und bei alledem beging der König ungeheure Fehler sowohl in der Heerführung als auch in der Verwaltung. Es war ihm unmöglich, das Land zu pazifizieren. Er vermochte sich weder in der Armee, noch – trotz seines Aufwandes – beim Volke Ansehen zu verschaffen. Joseph war eben nur König. Eines Tages sagte Napoleon zu Roederer: »Wenn der König befiehlt, so glaubt der Soldat nicht befehligt zu sein. Man hat zu ihm genau so viel Vertrauen, wie man in dieser Hinsicht zur Kaiserin haben würde.« Und darin hatte Napoleon recht. Joseph wollte das Herz der Spanier erringen, verlor aber dabei seinen Thron. Das Unglück, das er um sich herum sah, lähmte vollständig seine Willenskraft. Er konnte nur klagen und immer wieder klagen. »Heute bin ich nur noch auf Madrid beschränkt«, schrieb er am 24. Dezember 1811 an seinen Bruder nach Paris. »Das schrecklichste Elend umgibt mich. Meine ersten Beamten sind so weit, daß sie nicht einmal bei sich heizen lassen können. Ich habe alles hergegeben, alles verpfändet – in Paris für eine Million Besitztum, in Madrid die wenigen Diamanten, die mir geblieben. Ich selbst bin dem Elend nahe. Entweder gestatten mir Eure Majestät, nach Frankreich zurückzukehren, oder Eure Kaiserliche Majestät sorgen dafür, daß die Million, die mir vom 1. Juli an monatlich versprochen worden ist, pünktlich gezahlt werde. Mit dieser Unterstützung kann ich mich noch eine Zeitlang hinschleppen, aber ohnedem kann ich nicht länger hier bleiben. Ja, ich würde sogar in Verlegenheit sein, meine Reisekosten zu bestreiten, denn ich habe alle meine Hilfsquellen erschöpft.«
Alle diese Klagen rührten Napoleon wenig. Er wußte genau, daß es Joseph nicht darauf ankam, das Geld anderweitig zu verschwenden. Er wußte z. B., daß der König gewissen Personen in Paris Gehälter und Renten bezahlte, ohne daß sie ihm Dienste leisteten. Er ließ ihn also jammern, übrigens waren Napoleon die Angelegenheiten in Spanien ziemlich gleichgültig geworden; er sah ein, daß das Übel, an dem auch die Regierung seines Bruders ihren Anteil hatte, nicht wieder gut zu machen war. Noch mehr wurde er davon überzeugt, als die Spanier durch die Niederlage der Großen Armee im russischen Feldzug neuen Mut und neue Tatkraft gewannen. Jetzt begriff er, daß Joseph sich nicht mehr in seiner Hauptstadt halten konnte.
Am 14. Februar 1813 erteilte er ihm daher den Befehl, Madrid zu verlassen und sein Hauptquartier in Valladolid aufzuschlagen. Joseph, der es vor einigen Wochen so eilig hatte, wegzukommen, zögerte jetzt aus Widerspruch. Schließlich aber mußte er sich doch am 17. März dazu bequemen. Kaum war die Hauptstadt preisgegeben, als von allen Seiten die Feinde auf die französischen Truppen eindrangen. In Vitoria nahm der König am 21. Juni eine Schlacht an und erlebte seine letzte glänzende Niederlage. Spanien war für Napoleon und Joseph für immer verloren! Dem König blieb nur noch die Flucht. Ohne sich um das Geschick seiner Armee zu kümmern, nur darauf bedacht, sein eigenes kostbares Leben in Sicherheit zu bringen, reiste er, so eilig wie es die Mittel ermöglichten, nach Paris, oder besser nach seinem Schlosse Mortefontaine.
Napoleon weigerte sich, seinen Bruder zu empfangen, und befahl, ihn wie einen Staatsgefangenen zu behandeln. Der König durfte weder Würdenträger noch Staatsmänner noch Politiker bei sich empfangen. Es war ihm verboten, den Fuß nach Paris zu setzen. Der Kaiser hatte sogar an Cambacérès geschrieben: »Im Fall es nötig ist, können Sie zur Ausführung meiner Befehle Gewalt anwenden.« Diese Maßnahmen Napoleons gegen seinen Bruder mögen manchem hart erscheinen, richtig betrachtet aber sind sie es gewiß nicht. Joseph hatte als Oberbefehlshaber seine Armee im Stich gelassen und war in wilder Flucht nach Frankreich geeilt, ohne sich darum zu kümmern, was mit seinen Soldaten geschehen würde. Er hätte vor ein Kriegsgericht gestellt werden müssen. Einem General wäre das nicht erspart geblieben. Statt dessen lebte Joseph zwar streng beobachtet, aber doch ruhig in Mortefontaine im Kreise seiner Familie, spielte den Märtyrer und schob alle Schuld an seinem Unglück Napoleon in die Schuhe.
Erst die politischen Ereignisse in Frankreich sollten die Brüder wieder zusammenführen. Eben war der Kaiser im Begriff, sich an die Spitze seiner letzten Phalangen zu stellen, um sein Reich zu verteidigen. Jetzt zeigte Joseph sich als edler Bruder. Aller Groll, alle Zwistigkeiten waren vergessen; der bei allen Bonaparte so ausgeprägte Sinn der Zusammengehörigkeit, wenn die Interessen der Familie auf dem Spiele standen, verleugnete sich auch in diesem Augenblick bei Joseph nicht. »Sire, die Verletzung des Schweizer Gebietes hat dem Feinde Frankreich geöffnet«, schrieb er Napoleon am 29. Dezember 1813; »mögen Eure Majestät überzeugt sein, daß in solchen Lagen mein Herz ganz französisch ist. Die Ereignisse haben mich nach Frankreich zurückgeführt, und ich würde glücklich sein, wenn ich Ihnen in irgend etwas von Nutzen sein könnte. Ich bin bereit, alles zu tun, um Frankreich meine Ergebenheit zu beweisen.
Ich weiß auch, Sire, was ich Spanien schuldig bin. Ich kenne meine Pflichten und wünsche sie alle zu erfüllen. Rechte kenne ich nur, um sie dem allgemeinen Wohle der Menschheit zu opfern, und ich werde glücklich sein, wenn ich durch ihr Opfer zur Ruhe Europas beitragen kann. Es wäre mein Wunsch, daß Eure Majestät einen Ihrer Minister beauftragten, um sich über diesen Gegenstand mit dem Herzoge von Santa Fé, meinem Minister des Äußern, zu verständigen.«
Napoleon antwortete auf diesen Brief am 7. Januar 1814 ziemlich sarkastisch: »Ich habe Ihren Brief erhalten. In der Lage, in der ich mich befinde, ist er viel zu geistreich. Hier haben Sie in wenigen Worten die ganze Sachlage. Frankreich ist vom Feinde überfallen. Ganz Europa hat die Waffen gegen mich erhoben. Sie sind nicht mehr König von Spanien. Ich brauche Ihre Verzichtleistung als solcher nicht, weil ich Spanien weder für mich haben noch darüber verfügen will. Aber ich will mich auch nur in die Angelegenheiten dieses Landes mischen, um dort Frieden zu haben und über meine Armee verfügen zu können.
Was gedenken Sie zu tun? Wollen Sie sich als französischer Prinz dem Throne nähern? Dann sind Sie meiner Freundschaft gewiß. Sie werden Ihr Jahrgeld haben und mein Untertan als Prinz von Geblüt sein. Dann müssen Sie jedoch so wie ich handeln. Sie müssen Ihre Rolle bekennen, mir einen einfachen, zur Bekanntmachung geeigneten Brief schreiben, alle Befehle annehmen, sich eifrig für mich und den König von Rom bemühen sowie sich der Regentschaft der Kaiserin geneigt zeigen.
Ist Ihnen das nicht möglich? Haben Sie hiefür nicht das richtige Verständnis? Dann müssen Sie sich auf 40 Meilen von Paris in ein Schloß der Provinz in die Vergessenheit zurückziehen. Lebe ich, so werden auch Sie ruhig dort leben. Sterbe ich, so werden Sie dort getötet oder verhaftet werden. Sie werden mir, der Familie und Ihren Töchtern sowie Frankreich von keinem Nutzen sein, aber Sie werden mir auch nicht schaden oder hinderlich sein. Wählen Sie rasch und fassen Sie Ihren Entschluß. Jedes Gefühl des Herzens, sei es nun freundlich oder feindlich, ist unnütz und nicht am Platze.«
Der Brief war rauh, fast hart, aber den Umständen angemessen. Napoleon hatte keine Zeit mit Sentimentalitäten zu verlieren. Und Joseph beugte sich. Er eilte nach Paris und ward von Napoleon aufs herzlichste empfangen. Er sowie Julie führten von nun an den Titel König und Königin, jedoch ohne Benennung des Landes. Der Kaiser ernannte seinen Bruder zu seinem Generalleutnant und übergab ihm den Oberbefehl über die Truppen, die Paris verteidigen und die Kaiserin und den Thronerben schützen sollten. Zum zweitenmal bezog Joseph das Luxembourgpalais.
Unter seinen Befehlen standen der Marschall Moncey und die Generale Hulin und Caffarelli. Als Rat bei der Kaiserin-Regentin stand ihm der Erzkanzler Cambacérès zur Seite. Im übrigen waren es immer des Kaisers Befehle, die entschieden. Im Fall die Möglichkeit eintrete, daß jede Verbindung mit dem Hauptquartier und der Hauptstadt unterbrochen würde und der Feind sich den Toren nähere, sollte Joseph die Kaiserin und den König von Rom nach der Loire abreisen lassen, mit ihnen die Minister, Großwürdenträger, die Mitglieder des Senats, der Gesetzgebenden Körperschaft und des Staatsrats. Er selbst sollte versuchen, Paris bis zum letzten Augenblick zu halten. So hatte der Kaiser seinem Bruder mündlich und etwas später auch schriftlich befohlen, denn er wollte, wie er schrieb, seinen Sohn lieber tot in der Seine als in den Händen der Feinde wissen.
Joseph war nicht für die Entfernung der Kaiserin von Paris. Er sah darin verhängnisvolle Folgen für die Hauptstadt. Aber der Wille Napoleons gestattete keine Widerrede. Noch einmal hatte der Kaiser ihm geschrieben: »Die Kaiserin in Paris lassen, hieße Verrat.« Und somit war jede Unterhandlung von Seiten Josephs unnütz. Er konnte nur gehorchen. Seine Aufgabe war überdies keine leichte. Hätte er sie so ausgeführt, wie er sie hätte ausführen sollen, so müßte er ein Napoleon gewesen sein, denn nur dieser wäre ihr gewachsen gewesen. »Man gibt sich die größte Mühe, recht zu tun, aber man findet die Arbeit schwer«, schrieb zu jener Zeit der Polizeiminister Savary an den Kaiser. Mit dem »man« war Joseph gemeint. Er versagte in der Tat, als er die Dinge sich zum Schlechten wenden sah, und versuchte verschiedene Male, Napoleon zum Frieden mit den früheren Grenzen zu bewegen. Noch am 9. März riet er ihm: »Nach dem neuen Siege, den Sie soeben davongetragen haben (bei Craonne), können Sie einen ruhmvollen Frieden mit den früheren Grenzen schließen. Dieser Frieden wird Frankreich nach dem seit 1792 währenden langen Kampfe sich selbst wieder geben. Er wird nichts Entehrendes an sich haben, da Frankreich nichts von seinem Boden verliert und in seinem Innern die gewünschten Veränderungen vollbracht hat.« Napoleon aber hatte darüber seine eigene Meinung.
Unglücklicherweise sollte der von Napoleon vorhergesehene Fall, daß sich der Feind der Hauptstadt näherte, früher eintreten, als man vermutete. Joseph glaubte im Sinne seines Bruders zu handeln, wenn er Marie Luise und ihren Sohn so schnell wie möglich in Sicherheit brächte. Er hielt es für um so nötiger, da ihm der Kriegsminister Herzog von Feltre erklärt hatte, es seien keine Waffen zur Verteidigung in den Arsenalen, weil man sie täglich an die Truppen verteile. Joseph machte daher die Kaiserin und den Erzkanzler mit den Wünschen des Kaisers bekannt und berief einen Rat von 24 Männern, Ministern, Großwürdenträgern und Präsidenten der Sektionen zusammen. In diesem Rate wurde die Abreise Marie Luises am 29. März einstimmig beschlossen. Die Regierung jedoch sollte so lange in Paris bleiben, bis es ihr unmöglich sei, länger standzuhalten. Nur im äußersten Falle sollte sie der Regentin folgen. In diesem Sinne verfaßte Joseph jene berühmte Proklamation, die noch am selben Abend in ganz Paris bekannt wurde.
Man hat es Joseph bitter vorgeworfen, daß er die Hauptstadt preisgab. Aber sollte er in Paris bleiben und persönlich an der Absetzung seines Bruders teilnehmen? Seine Abreise und die Vereinigung der Behörden und Truppen an der Loire hätten Napoleon, wenn er dorthin gekommen wäre, vielleicht von Nutzen sein können. Sie hätten ihn vielleicht in den Stand gesetzt, sich mit den vorhandenen Hilfsmitteln zu verteidigen und sein Glück nochmals zu versuchen. Der größte Vorwurf, den man Joseph machen muß, ist, daß er erstens zu übereilt handelte, und vor allem, daß er Talleyrand noch in Paris ließ, nachdem die Kaiserin bereits vierundzwanzig Stunden unterwegs war. Das hieß allen Intrigen Vorschub leisten, um so mehr, da ihn Napoleon vor dem Minister gewarnt hatte. »Mißtrauen Sie diesem Manne«, schrieb er in einem seiner Briefe vom 8. Februar 1814; »ich verwende ihn seit 16 Jahren. Ich habe ihm bisweilen sogar meine Gunst geschenkt. Aber er ist sicher der größte Feind unseres Hauses, seitdem es seit einiger Zeit vom Glück verlassen ist.« Gerade Talleyrand aus Paris zu entfernen, wäre Josephs erste Pflicht gewesen. Auch hätte er alles versuchen müssen, die Pariser Bevölkerung zu den Waffen zu vereinigen. Statt dessen blieb er acht Tage lang untätig. Nicht eine einzige Maßnahme wurde getroffen, kein einziger militärischer Befehl zur Verteidigung der Stadt erteilt. Sie mußte ihrem Schicksal entgegengehen!
Nach der Abdankung seines Bruders zog sich Joseph in die Schweiz zurück. Dort kaufte er am Genfer See, in der Nähe von Nyon, das schöne Schloß Prangins und nahm den Namen Graf von Survilliers an. Er lebte ganz seinen literarischen Interessen und Arbeiten, die ab und zu durch einen Besuch in dem nahen Coppet bei Frau von Staël und Julie Récamier unterbrochen wurden.
Als Privatmann stand Joseph über jeden Tadel erhaben da. Freund wie Feind sind sich darüber einig, daß er ein sehr angenehmer und liebenswürdiger Mensch war. Schon seine äußere, vornehme Erscheinung verschaffte ihm überall Sympathie. Talleyrand sagte einmal zu Stanislas Girardin: »Joseph Bonaparte hat die Gabe, sich beliebt zu machen. Damit kommt man überall durch.« Sogar der Pamphletist Goldsmith, der an den Bonapartes sonst kein gutes Haar läßt, erkennt an, daß Joseph, »der älteste der heiligen Familie, ein sehr sanfter und friedlicher Charakter sei«.
Sein Aufenthalt in Prangins war jedoch keineswegs ungestört. Der Exkönig und seine Familie wurden sowohl von der Berner als auch von der Pariser Polizei mit allen möglichen Scherereien belästigt. Man verfolgte die Bonaparte, wo sie sich auch befanden, auf Schritt und Tritt. Die Beauharnais hingegen ließ man sogar in Frankreich in Frieden. Die einen sowohl wie die andern indes waren nach der ersten Abdankung weit entfernt, eine Revolution zugunsten der Napoleoniden herbeizuführen.
Als Joseph die Ankunft Napoleons von Elba in Grenoble erfuhr, machte er sich sofort in der Nacht des 19. März mit seinen beiden Töchtern Zenaïde und Charlotte nach Frankreich auf. Julie weilte bereits in Paris bei ihrer Schwester. Es war ihr gestattet worden, dort ihrer alten Mutter die Augen zuzudrücken. Wie man sagt, war er auf seines Bruders Rückkehr vorbereitet, denn er hatte schon einige Tage zuvor durch den waadtländischen Gendarmerieoffizier Cauderay Nachricht erhalten und einige Wertsachen und Papiere in Sicherheit gebracht. Er selbst war den Beobachtungen der Polizei über eine geheime Treppe, die noch heute den Besuchern des Schlosses gezeigt wird, entkommen. Am 22. März traf er in Paris ein.
Das Wiedersehen der beiden Brüder war ein sehr freudiges. Joseph ist immer der einzige gewesen, mit dem sich Napoleon als Bruder gefühlt hat. Die ersten Eindrücke der Kindheit verwischten sich nie ganz im Gedächtnis des Kaisers. Nie hat er Joseph für lange Zeit sein Vertrauen entzogen. Weder die Beziehungen zu seinen Feinden noch die fortwährenden unberechtigten Ansprüche Josephs auf den französischen Thron haben jemals ernstlich das gute Einvernehmen beider gefährdet. Als einst in Sankt Helena das Gespräch auf die schlechten Dienste kam, die seine Brüder ihm geleistet hätten, gedachte Napoleon Josephs mit den Worten: »Er war ein sehr guter Mensch und liebte mich aufrichtig.« Auch Joseph hat Napoleon im Unglück nicht vergessen. »Wie auch die Streitigkeiten beschaffen sein mögen«, schrieb er einmal an Julie, »die zwischen mir und dem Kaiser bestanden haben, er ist doch immer der Mensch, den ich am meisten auf der Welt liebe.«
Joseph bezog nun wieder in Paris das Luxembourgpalais und führte von neuem den Titel »Kaiserlicher Prinz«. Aber sein Leben war jetzt höchst einfach. Er war der Prachtentfaltung müde. Er hätte es gern gesehen, wenn Napoleon sich mit der konstitutionellen Partei verständigt haben würde, der auch Frau von Staël, Lafayette und Benjamin Constant angehörten. Es gelang ihm, wenigstens des Kaisers Abneigung gegen die Einberufung der Kammern zu besiegen, und sie kam für Ende Mai zustande. Joseph wurde Mitglied der Pairskammer. Leider konnte er auch jetzt noch nicht ganz die bonapartische Eitelkeit und Ehrsucht unterdrücken, denn er verlangte, daß man ihn zum Pair von Geburt und Rang und nicht durch Ernennung mache.
Im Juni ertönte wiederum die Kriegstrompete. Ehe Napoleon seinen letzten Feldzug antrat, ernannte er Joseph zum Präsidenten des Regierungsrates und übergab ihm die Abschriften aller Briefe, die Europas Fürsten an ihn geschrieben hatten. Später, von Sankt Helena aus, forderte er seinen Bruder auf, diese Briefe zu veröffentlichen, denn er meinte, das sei die beste Rechtfertigung aller Anschuldigungen gegen ihn. Als aber Joseph, der damals in Amerika weilte, seine Frau und seinen Sekretär Presle bat, ihm diese wichtigen Dokumente napoleonischer Geschichte zu senden, konnte man sie nicht mehr auffinden. Sie waren gestohlen worden. Im Jahre 1822 wurden die Originale in London versteigert, und Rußland erwarb die des Kaisers Alexander für 10.000 Pfund.
Waterloo machte allen Hoffnungen der Bonaparte ein Ende. Auf Befehl seines Bruders berief Joseph die Minister zusammen, um die nötigen Maßnahmen zu treffen. Er riet Napoleon dringend, nicht bedingungslos abzudanken, sondern nur im Sinne seines Sohnes. Aber die Kammern erkannten das nicht an. Joseph hatte die Absicht, sich mit seinem Bruder nach Amerika einzuschiffen und dort mit ihm in der Zurückgezogenheit zu leben. Er war bereits entschlossen, ein amerikanisches Schiff, die Brigg »The Commerce«, zu mieten, die unter dem Kapitän Misserrey Branntwein in die Charente geliefert hatte. Doch vergebens versuchte er Napoleon zu bestimmen, diese günstige Gelegenheit wahrzunehmen. War es Niedergeschlagenheit, oder Ungewißheit, oder gar die Hoffnung auf einen unvorhergesehenen Glücksfall, kurz, der Kaiser schlug seines Bruders Anerbieten aus. Er hoffte, auf offene und rechtliche Weise nach den Vereinigten Staaten zu kommen.
Das Geschick und die Verbündeten jedoch bestimmten es anders. Joseph verließ indes nicht früher Frankreich, als bis er wußte, daß auch der Kaiser sich an Bord seines Schiffes befände. Napoleon bestieg den Bellerophon am 15. Juli. Erst jetzt, da er den Bruder in Sicherheit wußte, verließ auch Joseph am 25. Juli auf dem vorher erwähnten Schiff den französischen Boden, in der festen Überzeugung, daß sie sich in Amerika wiedersehen würden.
Die Überfahrt Josephs war lang und stürmisch. Erst am 28. August landete er in New-York. Aber er war glücklich dem Geschick entronnen; alles, Leid und Sorgen, aber auch aller Glanz und Ruhm lagen hinter ihm. Wäre er aufgegriffen worden, so hätte man ihn nach Rußland in die Verbannung geschickt.
Zunächst wohnte der ehemalige König von Spanien bei einer Frau Powel. Mit Hilfe Fouchés hatte er sich einen Paß verschafft, der auf den Namen Bouchard ausgestellt war. Man hielt ihn anfangs in New-York für Carnot und wollte ihn als solchen begrüßen. Als aber sein Inkognito gelüftet war, hießen die Amerikaner den Bruder des gestürzten Titanen aufs herzlichste willkommen und boten ihm einen angenehmen Zufluchtsort an, wo er von niemand belästigt wurde. Zuerst ließ Joseph sich im Staate New Jersey nieder. Dort gestattete man ihm im Jahre 1816, sich Grundbesitz zu kaufen, ohne daß er Amerikaner wurde. Er erwarb die schöne Besitzung Point Breeze an den Ufern des Delaware, eine der reichsten Niederlassungen der Gegend. Leider war Josephs Gattin Julie gezwungen, wieder nach Europa zurückzukehren, da sie das Klima nicht vertragen konnte. Seine Töchter trafen erst später bei ihm in Amerika ein.
Es ist kaum anzunehmen, daß Joseph der Anstifter jener Verschwörung war, die sich im Jahre 1816 zur Wiederherstellung des Kaiserreichs Mexiko unter den Anhängern Napoleons in Amerika anzettelte. Wie Montholon behauptet, soll der ehemalige König von Spanien die ihm angebotene mexikanische Krone sogar ausgeschlagen haben. Weit begreiflicher scheint hingegen Josephs Mitwirkung an dem Plane der Befreiung des Gefangenen von Sankt-Helena. Englischen Nachrichten zufolge soll Joseph dem Befreier seines Bruders 8 Millionen versprochen haben. Er besoldete in den englischen Häfen Leute, die den Auftrag hatten, einen Kapitän zu gewinnen. Dieser sollte dann unter dem Vorwande, in Sankt-Helena Anker werfen zu müssen, in Jamestown einlaufen und den Kaiser der Franzosen durch List befreien. Aber England hatte ein wachsames Auge auf die einmal errungene Beute. Alle diese Versuche trugen nur dazu bei, die Gefangenschaft Napoleons zu verschärfen.
Im Jahre 1825 erlangte Joseph auch die Erlaubnis, sich im Staate New York niederzulassen, ohne daß er auf seinen Titel als französischer Prinz verzichten mußte. Hier, wie in der Schweiz, lebte er unter dem Namen eines Grafen de Survilliers. Jetzt endlich hatte er das ersehnte Privatleben gefunden. Sein Haus war der Sammelpunkt der amerikanischen Geistes- und Finanzwelt und stand jedem Freunde offen. Der Graf beschäftigte sich viel mit literarischen Arbeiten, besonders mit der Abfassung der Memoiren seines an Ereignissen so reichen Lebens. Da er außerordentlich stolz auf seine Regierung in Italien war, wollte er jetzt den längst beschlossenen Plan zur Ausführung bringen, besonders diesen Teil seines Lebens der Nachwelt zu überliefern. Und so schrieb er nach dem Beispiel des großen Gefangenen auf Sankt-Helena in seinen Mußestunden seine Lebenserinnerungen.
Der Tod Napoleons erschütterte ihn gewaltig. Er hätte seinem mächtigen Bruder einen ruhmvolleren Abschluß seines tatenreichen Lebens gewünscht, besonders ein würdigeres Menschendasein in den letzten Jahren. Aber was vermochten Wünsche gegen die Vorsehung des Geschicks!
Von da an betrachtete Joseph sich wieder als Oberhaupt der Familie. Als die Julirevolution ausbrach, glaubte er sich als Vormund Napoleons II. verpflichtet, einige Vertrauenspersonen nach Wien zu schicken, um für die Sache seines Neffen einzutreten. Es fiel ihm nicht schwer, solche Leute zu finden, denn er war mit fast allen seinen Freunden, wie Roederer, Miot de Mélito, Belliard, Méneval, Lamarque, Mathieu Dumas, Girardin, Jourdan u. a. in Beziehung geblieben. Gleichzeitig wandte er sich aus demselben Grunde mit einer Protestschrift an die Abgeordnetenkammer, denn er hatte die naive Hoffnung, daß man das Volk um das Geschick des Volkes befragen würde. Er schrieb auch an Metternich, den er ganz für das Wohl des kaiserlichen Enkels bedacht glaubte, sowie an Marie Luise in Parma. Vergebens. Alle diese Schritte Josephs beweisen, wie bonapartistisch zuversichtlich er auch jetzt die Lage der Dinge betrachtete. Besonders der Brief an Marie Luise zeigt ein unerschütterliches Vertrauen zu dieser Frau, die sich noch zu Lebzeiten Napoleons mit dem General Neipperg verbunden hatte. Er beweist ferner, daß Joseph sehr ungenau über die Lage und Gesinnung der Herzogin von Parma unterrichtet war. Der Graf von Survilliers schien gar nicht zu wissen, daß sich Marie Luise von allem, was mit Napoleon zusammenhing, losgesagt hatte. Sie erließ sogar ein Dekret, das jedem Franzosen den Aufenthalt in ihrem Herzogtum untersagte. Joseph schrieb ihr:
New York, 10. September 1830.
Gnädige Frau Schwester und Schwägerin! Die Ereignisse, die in Paris Ende Juli stattgefunden haben, und von denen wir hier durch englische Zeitungen nur bis zum 1. August unterrichtet sind, räumen die Hauptschwierigkeiten aus dem Wege, die bis jetzt der Rückkehr Napoleons II. auf den Thron seines Vaters entgegenstanden. Wenn der Kaiser, sein Großvater, mich nur ein wenig unterstützen und ihm erlauben wollte, daß er sich unter meiner Führung den Franzosen zeige, so würde schon seine Gegenwart genügen, um ihn wieder als Herrscher einzusetzen. Der Herzog von Orléans kann nur infolge der Abwesenheit des Sohnes Eurer Majestät einige Anhänger sammeln ...
Wenn es mir möglich wäre, Seiner Kaiserlichen und Königlichen Majestät, Ihrem Vater, die Gründe darzulegen, welche diesen Schritt Napoleons II. bedingen, so würde er keinen Augenblick mehr an seiner Notwendigkeit zweifeln. Sein Ministerium würde begreifen, daß das Glück seines Enkels, das Wohl Frankreichs, die Ruhe Italiens, ja vielleicht ganz Europas von der Wiedereinsetzung Napoleons II. in Frankreich abhängen. Er ist der einzige, den das Volk begehrt. Nur er allein wird eine neue Revolution verhindern, deren Folgen kein Mensch auf Erden voraussehen kann.
Ich hoffe, daß das lange Mißgeschick, das uns betroffen hat, im Herzen Eurer Majestät nicht die Zuneigung verwischt hat, welche Sie mir so oft erwiesen.«
Joseph sollte eine neue Enttäuschung erleben. Der Brief blieb unbeantwortet. Ihm ward das gleiche Schicksal zuteil wie vielen andern Schreiben der Familie Bonaparte: er wurde verbrannt. Aber die Hoffnung verlor Joseph doch nicht. Zwei Jahre später machte er sich selbst auf, um zu dem Jüngling zu eilen, den man in Schönbrunn von allen politischen Bewegungen fern hielt, dem man die Geschichte seines Vaters aufs ängstlichste verschwieg. Joseph kam zu spät. An demselben Tage, an dem er seine Reise nach England antrat, um sich in London mit Pässen nach Österreich zu versehen, hauchte der »Sohn des Mannes« sein junges Leben aus.
Joseph erhielt nicht die Erlaubnis, nach Frankreich oder nach Italien zurückzukehren, wo ihn die alte Mutter sehnsüchtig an ihre Seite wünschte. Noch ehe er sich nach England einschiffte, drückte er Letizia sein Bedauern aus, daß er sie nicht besuchen könne. Sein Brief ist eine bittere Anklage gegen die verbündeten Fürsten. »Es ist schmerzlich für einen Sohn und einen Gatten«, schrieb er, »sich von allen, die ihm lieb und teuer sind, getrennt zu sehen. Aber was ist zu machen? Ich bin ein grausamer Schuldiger: ich heiße Bonaparte! ... Ah! meine Herren Fürsten! die Nachwelt wird euch richten! Ihr seid sehr grausam.«
Er mußte sich zufrieden geben und harrte in London, der zweiten Etappe seiner Verbannung, auf eine günstigere Gelegenheit. Sie bot sich nicht oder kam zu spät. Denn erst im Jahre 1841 erhielt der Graf von Survilliers vom König von Sardinien die Erlaubnis, in Genua zu wohnen. Kurz darauf gestattete ihm auch der Großherzog von Toskana, sich in Florenz niederzulassen. Dort starb Joseph am 28. Juli 1844, umgeben von seiner Familie, von der er so lange Jahre getrennt gewesen war.