M. Artzibaschew
Ssanin
M. Artzibaschew

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XXI

Sobald Jurii in sein Zimmer trat, das ihm nach der Freiheit und Kühle der Mondnacht eng und dumpf wie ein Gefängnis vorkam, begann er darüber nachzudenken, wie das Leben doch nichts als eine Kette von öden Banalitäten sei. – – – einen Kuß abgepflückt ... was für ein Glück, nein, wahrlich was für eine Heldentat, – – – denk einer an ... wie würdig und poetisch ... Es scheint der Mond ... der Held verführt die Jungfrau mit feurigen Reden und Küssen ... pfui Teufel welche Abgeschmacktheit, – – – in diesem verfluchten Nest merkt man garnicht, wie flach man wird.

Als Jurii noch in der Großstadt lebte, war er niemals über den Gedanken fortgekommen, daß er nur aufs Land zu gehen brauche, um in dem einfachen Leben der bäuerlichen, schwarzen Erde, voll echter, nicht erst mühsam konstruierter Arbeit, mit Feldern, Sonne und Bauern unterzutauchen, damit sein nutzloses Dasein endlich einen tiefen, wahren Sinn erhalte. Jetzt war er wieder ebenso fest überzeugt, daß er sein Leben sofort in die richtige Bahn bringen würde, wenn er anstatt in diesem Nest zu stecken, plötzlich in die Hauptstadt fliegen könnte.

Es lärmt die Stadt, es brausen Reden,
Es tobt der wüste Tintenkrieg,
Doch Rußland liegt in tiefem Schweigen,
Wie es Jahrhunderte lang schwieg.

deklamierte Jurii mit nachdenklichem Gesicht und unwillkürlichen Pathos.

Aber gleich ertappte er sich bei seiner knabenhaften Begeisterung und fiel automatisch wieder in die teilnahmslose Stimmung zurück.

– – – und übrigens, was hat das alles zu bedeuten ... Alles ganz gleich. – – – Politik, Wissenschaft, das ist Alles sehr gut und schön, aber nur aus der Ferne, im Ideal. – – – Im Allgemeinen und im Leben eines einzelnen Menschen ist es gradso gut ein Handwerk wie jedes andere. Kampf, titanische Krafteinsetzung, ja, – – – im gegenwärtigen Leben ist es doch unmöglich. – – – Gut ich leide aufrichtig, ich kämpfe, ich suche mich zu überwinden, – – aber was bleibt mir denn zu guter Letzt. Der endgültige Abschluß des Kampfes liegt außerhalb meines Lebens. Prometeus wollte den Menschen das Feuer bringen; er tat es auch wirklich. Das war sein Sieg! Wir aber, wir können nur Späne in das Feuer werfen, das wir nicht entfacht haben und das von uns ebensowenig einmal verlöscht werden wird.

Plötzlich stieg ihm der Gedanke auf, daß seine Schwäche nur daher käme, weil er kein Prometeus sei. Diese Erkenntnis war ihm unangenehm, und doch ergriff er sie mit krankhafter Selbstpeinigung.

– – – Was für ein Prometeus bin ich! Bei mir läuft alles sofort aufs persönliche Gebiet über; ich, ich ... für mich, mich ... Ich bin ebenso schwach und nichtig wie alle diese Leutchen, die ich von ganzem Herzen verachtete.

Die Parallele wirkte so niederschlagend auf ihn, daß er zusammenzuckte und eine Zeitlang stumpf vor sich hinstarrte, um nach einer Rechtfertigung für sich zu suchen.

– – – Nein, ich bin nicht wie die Andern, dachte er endlich mit Erleichterung ... Schon aus dem einfachen Grunde, weil ich mir hierüber Gedanken mache. Die Rjäsanzew, Nowikow, Ssanin, die kommen garnicht zum Nachdenken ... sie sind weit entfernt von tragischer Selbstkasteiung, wie die triumphierenden Schweine Zaratustras. Bei ihnen liegt das ganze Leben in ihrem eigenen, mikroskopisch kleinen Ich; sie sind es gerade, die auch mich mit ihrer Flachheit anstecken. Mit den Wölfen muß man heulen, das ist natürlich!

Jurii begann im Zimmer herumzulaufen, und wie es oft der Fall ist, änderten sich seine Gedanken mit dem Wechsel der Stellung.

– – – Nun gut, das ist so ... Aber ich habe noch mehr zu überlegen. Wie sind eigentlich meine Beziehungen zu Karssawina. Ob ich sie liebe oder nicht, das ist gleich ... Aber was kann daraus werden ... Wenn ich sie heiraten würde, oder einfach mit ihr für eine Zeit ein Verhältnis anfinge ... wäre das für mich wirklich ein Glück? Sie zu betrügen, ist ein Verbrechen, und – falls ich sie liebe ... nun gut, sie bekommt Kinder, – – –Jurii errötete plötzlich ohne Grund. – – – Das ist noch nichts Schlimmes, aber dennoch wird es mich binden, und für immer meiner Freiheit berauben ... Familienglück, Spießerfreuden, nein, das ist nichts für mich.

Eins, zwei, drei, dachte Jurii und bemühte sich mechanisch so zu gehen, daß er mit jedem Schritt über zwei Dielen fort, immer erst die dritte mit seinem Fuße berührte. – – – Wenn ich nur sicher wüßte, daß es kein Kind geben wird. Oder wenn ich meine Kinder so voll und ganz liebgewinnen würde, daß ich Ihnen mein Leben hingeben könnte. Nein, das ist auch banal, genau so wird auch ein Rjäsanzew seine Sprößlinge lieben. Wodurch werden wir uns dann voneinander unterscheiden. Leben und sich opfern, das ist das echte Leben. Ja, aber wem sich opfern. Wie? ... Auf welchen Weg ich mich auch stürzen werde, und was für ein Ziel ich mir auch vorstelle, wo gibt es jenes reine und zweifelsfreie Ideal, für das man nicht einen Augenblick zu bedauern brauchte, – – – zu sterben. Ja, nicht ich bin schwach, sondern das Leben ist keiner Opfer und Hingabe wert. ... Ist es aber so, ... dann lohnt es sich ja garnicht zu leben.

Diese Schlußfolgerung hatte sich noch niemals vorher so stark in Juriis Hirn festgesetzt.

Auf seinem Tisch lag stets ein Browning. Jetzt bekam er ihn zu Gesicht, sobald er beim Gehen am Tisch vorbeikam und kehrt machte; jedesmal fielen ihm dann die glänzenden Teile ins Auge, die gegen das Mondlicht spiegelten. Schließlich nahm er ihn in die Hand und betrachtete ihn aufmerksam. Er war geladen. Jurii spannte den Hahn und drückte ihn an die Schläfe. So, dachte er ... nur einmal abgedrückt und alles ist fertig. Ist es klug oder nur eine blödsinnige Dummheit sich niederzuknallen. Selbstmord ist Kleinmut. Auch gut, so bin ich feige.

Die vorsichtige Berührung des kalten Eisens mit der heißen Schläfe war angenehm und gleichzeitig bange.

– – – Und Karssawina? ... schwirrte es ihm mit einem Mal kalt durch den Kopf ... Ich werde sie also nicht besitzen und diesen Genuß, der mir vielleicht zufallen würde, irgend einem anderen überlassen müssen.

Bei dem Gedanken an Karssawina zitterte in ihm alles vor zarter Wollust. Aber mit scharfer Willensspannung zwang sich Jurii zu der Ueberlegung, daß Alles nur Kleinigkeiten seien, nichts im Vergleich mit jenen tiefen und wichtigen Ideen, die seinen Kopf durchwühlten. Doch das blieb Zwang und das unterdrückte Gefühl rächte sich, indem es den unbestimmten Gram und seine Abneigung gegen das Leben noch verstärkte.

– – – Warum soll ich es in der Tat nicht tun? ... fragte sich Jurii mit zitterndem Herzen.

Mit einer Bewegung, an die er selbst nicht glaubte und über die er sogar schamhaft lächelte, setzte er den Revolver nochmals an die Schläfe. Doch dann drückte er, ohne sich noch einen Augenblick über sein Vorhaben Rechenschaft abzulegen, den Hahn ab. Im selben Augenblick durchzuckte ihn eine kalte, schneidende Empfindung und riß sich plötzlich in ihm in entsetzlicher Angst los. Es rauschte in seinen Ohren, das ganze Zimmer brach hinter ihm fort. Doch es gab keinen Schuß, die Waffe hatte versagt; nur das schwache, metallische Klappern des Hahnes verklang deutlich in seinen Ohren.

Eine Schwäche erfaßte ihn vom Kopf bis zu den Füßen, sodaß er unwillkürlich die Hand mit dem Revolver sinken ließ. Alles bebte an ihm und schmerzte ihn, der Kopf schwindelte, der Mund trocknete plötzlich aus; als er den Revolver aus der Hand legen wollte, schlugen seine Hände nervös hin und her und klapperten einige Mal mit der Waffe gegen die Tischplatte.

– – – Ein schöner Kerl bin ich, dachte er.

Er bemeisterte seine Aufregung, trat vor den Spiegel und blickte in die dunkle Fläche.– – –

So bin ich also ein Feigling? ... Nein, dachte er mit einem Anflug von Stolz. Nein, kein Feigling! Getan hab ich's, – – – ist nicht meine Schuld, daß es versagte.

Aus dem dunklen Spiegel sah ihm wie immer ein bleiches Gesicht entgegen; Jurii aber schien es feierlich und streng. Befriedigt streckte er sich die Zunge heraus ... dabei gab er sich Mühe, sich selbst die Ueberzeugung beizubringen, daß er diesem Akte der Selbstbeherrschung keine Bedeutung beimesse und trat wieder zur Seite.

– – – Nicht mein Schicksal also, sagte er laut, und dieses Wort tröstete und ermunterte ihn. Was? ... wenn mich jetzt einer sähe, dachte er mit ängstlicher Verwirrung und schaute sich um.

Aber Alles blieb still. Hinter der geschlossenen Tür war nichts zu hören, es schien, daß es hinter den Grenzen dieses Zimmers kein lebendes Wesen mehr gäbe, daß Jurii ganz allein in unendlicher Leere existiere und leide. Er löschte die Lampe aus und wunderte sich, daß durch die Spalten der Jalousieen hellrosiges Morgenlicht ins Zimmer hereindrang.

Er legte sich schlafen, und im Traum fühlte er, daß sich eine Gestalt, die unheimlich rotes Feuer ausstrahlte, schwer und ungelenk auf ihn setze. Das ist der Teufel, zuckte es voll Entsetzen durch seine Seele.

Jurii machte krampfhafte Anstrengungen, frei zu werden. Aber der Rote ging nicht fort, sprach auch nicht, lachte nicht; er schnalzte nur mit der Zunge. Man konnte nicht erkennen, ob dieses Schnalzen spöttisch oder mitleidig klingen sollte ... Jurii verursachte diese Unsicherheit tiefe Qualen ...


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