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Da mir die Nachricht keineswegs unerwartet kam, sagte ich nur: »Die arme Seele!« und folgte der Gräfin schweigend und, wie ich hinzufügen darf, unter großen Schmerzen, in das Boudoir, wo ich mich sehr schwach fühlte, mich daher in einen Lehnstuhl fallen ließ und um Branntwein bat.
Jetzt erst bemerkte die Gräfin, daß mein Vorhemd von Blut gerötet war. Sie stieß einen Schreckensschrei aus. Gleichzeitig begann das Gemach und alles, was darin war, sich vor meinen Augen rundum zu drehen, bis ich in Ohnmacht fiel. Als ich wieder zu mir kam, sah ich von neuem das weiße, erschreckte Gesicht der Gräfin; ich selber lag auf einem Diwan, und der römische Arzt war über mich gebeugt. Mit besorgtem Blicke suchte er das Blut zu stillen, das mir aus der gerade unter meiner Achselhöhle befindlichen Wunde, über der das Hemd weggeschnitten war, herausdrang. Die englische Wärterin kniete an meiner Seite und hielt ein Wassergefäß in den Händen.
Oh, sagte ich, jetzt erinnere ich mich an alles wieder. Ich bin wohl ohnmächtig geworden. Ist die Wunde ernst, Doktor?
Ich denke nicht, sagte er. Wie durch ein Wunder scheinen die empfindlichsten Gefäße nicht verletzt zu sein. Aber Sie haben viel Blut verloren, und die Wunde ist nicht ganz harmlos. Sie müssen sich daher für ein paar Tage ganz ruhig verhalten und das Bett hüten.
Das kann ich aber unter diesem Dache auf keinen Fall tun, erwiderte ich.
Nein, unter gar keinen Umständen, pflichtete mir die Gräfin bei. Der Doktor wird Sie sofort mit meinem Wagen in Ihr Hotel führen. Aber was bedeutet all das? Sie haben mich fast zu Tode erschreckt, wie hat sich denn das zugetragen?
Pasquale, sagte ich, zeigte mir den Garten, und den Ort, wo mein Vater getötet wurde. Kennt der Doktor die Geschichte?
Gewiß, ich weiß alles, sagte er.
Gut also, dort begegnete ich dem Erbgrafen. Wir wechselten ein paar Worte, und ich war im Begriffe, eine alte Rechnung mit ihm auf englische Art zu erledigen, als er einen Dolch zog und mich damit traf, ehe ich Zeit fand, dem Stoß ganz zu entgehen. Aber ich habe ihm den heimtückischen Arm in Stücke gebrochen und den Schurken selber in den Brunnen geschleudert. Dort habe ich ihn schlammschluckend sitzen lassen. Ich denke, Pasquale wird ihn herausfischen, und Sie, Doktor, können ihm den Arm einrichten.
Das geht in einem hin, sagte er. Und nun reden Sie nicht weiter! Ich werde Sie sofort in Ihr Hotel begleiten und zu Bett bringen. Dort kann ich Sie dann besser behandeln.
Aber, sagte ich, die arme Gräfin Elena ist gestorben und vielleicht wird diese Dame da das Bedürfnis –
Sie hat nur ein Bedürfnis, sagte die Gräfin, daß Sie sofort mit dem Doktor weggehen und sich um nichts weiter kümmern sollen. Ich werde mit der Wärterin zurückbleiben und mit Herrn Onellis Hilfe alles Nötige selber anordnen. Jetzt, bitte, tun Sie mir den Gefallen und gehen Sie! Ich bin überzeugt davon, daß Sie mir nicht auch noch Kummer bereiten wollen, indem Sie meinem ernstesten Wunsch nicht Folge leisten!
Jetzt blieb mir nichts mehr übrig, als zu gehorchen. Eine Stunde später lag ich in meinem Bett im Hotel »Minerva«.
*
Zwei Tage später, als ich mich den Umständen entsprechend wieder einigermaßen erholt hatte, ließ sich Signor Onelli bei mir melden. Es fiel mir auf, daß er mich mit sehr großer Ehrerbietung behandelte; vor allen anderen Dingen erklärte er mir, daß alle Vorbereitungen für das stille Begräbnis der Gräfin Elena in der Familiengruft der Frangipani, das am nächsten Morgen stattfinden sollte, getroffen seien; daß die Gräfin Maria an dem heutigen Tage den Palast verlasse, um in das Hotel »de Russie« überzusiedeln; daß sie mit dem Erbgrafen keinerlei Mitteilungen ausgetauscht habe; letzterer liege, wie es heiße, schwerkrank in einem anderen Flügel des Palastes darnieder und leide sowohl an allgemeiner Schwäche und an Erbrechen, wie an einem Armbruche.
Nachdem dieser Teil der Unterhaltung beendet war, nahm die Stimme des Notars unmerklich einen mehr beruflichen Charakter an; er zog aus seiner Brusttasche ein zusammengefaltetes Schriftstück heraus und sagte:
Das da ist die letztwillige Verfügung der verblichenen Gräfin Elena di Frangipani. Ich habe es vor wenigen Tagen im Palaste aufgesetzt, und es wurde in aller Form von der Gräfin Maria und Ellen Hyde, der englischen Wärterin, als Zeugen, unterzeichnet. Der Wortlaut ist sehr einfach und lautet dahin, daß das gesamte Eigentum der Verstorbenen an Sie übergeht. Dieses Eigentum besteht aus wertvollen Gütern in Rom, verschiedenen Landhäusern und Grundbesitz in Frascati, Albano und anderwärts, außerdem Wertpapieren, die auf verschiedenen Banken niedergelegt sind. Eine besondere Klausel bezieht sich auf ein gewisses, versiegeltes Paket, das sie, so viel ich weiß, Ihnen zur Verwahrung übergeben hat. Nun hat mir die Gräfin Maria vorgeschlagen, ich solle Ihnen die gesetzlich vorgeschriebene Ermächtigung erteilen, dieses Paket zu öffnen und mit seinem Inhalt nach Gutdünken zu schalten. Das da, Herr Doktor, ist das Dokument, von dem ich rede.
Damit legte er ein Papier, das zum größten Teil aus Stempelmarken zu bestehen schien, auf den Nachttisch, der neben meinem Bette stand.
Der Grundbesitz wird sobald als tunlich flüssig gemacht werden, fuhr er fort, aber wenn Sie in der Zwischenzeit Geld –
Ich unterbrach ihn.
Heiliger Gott, nein! Diese Nachricht ist ja betäubend. Warum hat denn die alte Dame all das mir vermacht?
Sie sagte etwas von Ihrem Vater.
Ah so!
Und sie sagte auch, daß Sie ein Sohn seien, der seinem Vater alle Ehre gemacht habe, und daß Sie sehr freundlich gegen sie gewesen seien.
Ehe ich noch etwas erwidern konnte, fuhr er fort: Die Gräfin Maria hat mich gebeten, Ihnen mitzuteilen, daß sie nach dem Begräbnis bei Ihnen vorsprechen wird, und daß sie wünscht, Sie möchten nach England zurückkehren, sobald es Ihnen der Arzt erlaubt.
Damit drückte er mir warm die Hand und empfahl sich.
*
Wie sie es versprochen, kam mich die Gräfin Maria besuchen. Sie war sehr liebenswürdig und freundlich, aber es fiel mir ein gewisser, undefinierbarer und fast unmerklicher Unterschied gegen früher in ihrem Benehmen auf, den ich nicht recht verstehen konnte, trotzdem ich Diplomat genug war, ihn scheinbar nicht zu bemerken. Von dem langen Gespräch, das zwischen uns beiden stattfand, brauche ich nicht viel zu berichten.
Der Tod der alten Gräfin war mit überraschender Plötzlichkeit eingetreten. Sie hatte den Finger erhoben, um Maria zu sich her zu bitten. Diese näherte sich ihr und beugte sich über sie, um ihre Worte zu vernehmen. Kaum hatte sie sie ausgesprochen, als sie mit einem einzigen Seufzer verschied.
Was waren diese Worte? fragte ich.
Ihr Antlitz überzog sich plötzlich mit tiefem Rot.
Das ist ein Geheimnis zwischen der Toten und mir, das ich Ihnen nicht mitteilen kann, antwortete sie und lenkte hierauf rasch das Gespräch auf den Erbgrafen. Pasquale hatte, wie es schien, seinen Herrn erfolgreich aus dem Wasserbecken herausgefischt. Seine erbgräfliche Würde war verschwunden; er war mit Schlamm überzogen, von seinem Haar troff das Wasser, und vom Schlucken des faulen Wassers war er todkrank.
Er hat Pasquale auf der Stelle entlassen, fügte sie hinzu, ich werde den Alten nach England zu mir nehmen, und das bringt mich auf den Hauptpunkt. Ich wünsche, daß Sie nach London zurückfahren, und zwar sofort. Der Arzt erlaubt es Ihnen. Vittorio wird von unversöhnlichem Hasse gegen Sie erfüllt sein. Er wird vor nichts zurückschrecken, und Sie sind jetzt nicht mehr so stark wie vor einer Woche. Wollen Sie mir den Gefallen tun, es mir zu versprechen?
Wenn Sie mit mir fahren wollen, antwortete ich.
Das kann ich nicht, sagte sie, aber ich will Ihnen im Verlauf von ein oder zwei Tagen folgen und Sie rechtzeitig von meiner Ankunft in Queens Gate benachrichtigen.
Gut, sagte ich, ich fahre mit dem nächsten Zuge nordwärts.
*
Zwei Tage später war ich wieder in London. Mein erster Besuch galt meinem Bankier und hatte das Ergebnis, daß ich noch in derselben Stunde das Paket mit den fünf gelben Siegeln wieder in meinem Besitze hatte. Ich erbrach mit zitternder Hand den Umschlag und fand darin folgendes:
Erstens eine Urkunde auf Pergament, in lateinischer Sprache, mit schönen großen Buchstaben abgefaßt. Sie war mit dem päpstlichen Wappen versehen. Ein oberflächlicher Blick darauf belehrte mich, daß es eine Schenkungsurkunde irgendwelcher Art an die Gräfin Elena war.
Zweitens ein Kuvert, das einen Schlüssel und eine Quittung über den Inhalt des Safes Nr. 1305 bei der Safe Deposit Co., Chancery Lane, enthielt.
Daher fuhr ich eilends nach der Chancery Lane und befand mich alsbald in einem kleinen Gemach, mit einer wundervoll in Silber gearbeiteten Kassette aus dem 15. Jahrhundert vor mir. Ich schlug den Deckel auf, und ein blendender Anblick wurde mir nunmehr zuteil. Noch nie hatte ich so prachtvolle Juwelen gesehen, von denen das allerschönste ein großer, blutroter Rubin war, fast so groß wie ein Talerstück, dessen Fassung eine wahre Glut zu entströmen schien.
Das war die Lösung des Geheimnisses von Vittorios hartnäckigen Verfolgungen und dem verbissenen Widerstand der alten Gräfin, und darin lag und liegt noch heute ein tieferes Geheimnis, das zu lösen nicht meine Aufgabe ist. Ich will nur noch eines bemerken: als ich auf diese wunderbaren Edelsteine schaute, blitzte mir ein glänzender Gedanke, für mich so wertvoll wie die Edelsteine selber, durch den Kopf. Ich schlug den Deckel der Kassette zu, schloß sie wiederum im Panzerschrank 1305 ein und wandelte die Chancery Lane hinab, so stolz, als irgend ein König auf Erden.
*
Zwei Tage später erhielt ich ein Telegramm von der Gräfin, das in Queens Gate aufgegeben war, und worin sie mich bat, sie zu besuchen. Ich begab mich sofort nach der Chancery Lane, schlug die Silberkassette samt ihrem funkelnden Inhalt in ein Papier ein und fuhr wie ein Verrückter nach den Formosa Mansions.
Die Gräfin begrüßte mich herzlich, aber nicht ohne eine gewisse Zurückhaltung. Als ich das bemerkte, sprang ich sofort über alle Schranken hinweg. Ich riß das Umschlagpapier auseinander, schlug den Deckel der Kassette auf und sagte:
Hier ist die Erklärung für all das Unverständliche!
Mit weitgeöffneten Augen starrte sie den Schmuck an. Ihr Atem beschleunigte sich, als sie in sprachlosem Erstaunen nach dem großen strahlenden Rubin griff, um ihn zu betrachten.
Endlich sagte sie: Ich habe oft darüber nachgedacht, und es ist mir auch ein Verdacht gekommen. Vittorio muß es gewußt haben, muß es irgendwie ausfindig gemacht haben: dies ist der berühmte Esterhazy-Rubin! Sehen Sie nur! Die ganze Kassette scheint davon erleuchtet. Heiliger Gott! Doktor, diese Edelsteine sind wenigstens eine halbe Million Dollars wert!
Was sollen sie mir nützen? sagte ich. Ich kann sie nicht tragen. Ja, wenn ich einen Nacken hätte, wie Sie zum Beispiel! Ich habe eine gute Idee. Ich will sie Ihnen mitteilen. Ich möchte mit Ihnen einen Handel machen. Strecken Sie Ihre Hand aus!
Sie folgte meiner Aufforderung, bis zu den Haarwurzeln errötend.
Geben Sie mir diese kleine Hand und Ihr Herz dazu, und die Juwelen gehören Ihnen.
Da lachte sie fröhlich auf.
Oh, Sie guter Junge, das Zeug da – so wertvoll es sein mag – macht da keinen Unterschied mehr aus. Hätten Sie mich vor einer Woche gefragt, so wäre meine Antwort genau so ausgefallen wie heute!
Ich umarmte sie und zog sie an mein Herz, und damit hat die Geschichte von der Gräfin vom Pontifex Square ein Ende.
*