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Dreizehntes Kapitel

Warum mich in diesem Augenblick ein Gefühl überkam, das mit Eifersucht eine große Aehnlichkeit besaß, ist eines jener psychologischen Probleme, das ich zu lösen mich nicht vermessen möchte, aber das Gefühl war nichtsdestoweniger da und es verstärkte sich noch, als die Gräfin in einem beinahe liebevoll familiären Ton hinzufügte:

Dieser Herr, Alfons, steht seltsamerweise in einer gewissen Hinsicht mit den Frangipanis in Beziehung. Sein Vater, ein Arzt in Rom, verlor sein Leben in einem Duell mit Vittorio.

Der Marquis hob etwas müde seine Augenlider nach meiner Richtung und sagte, als ob die Sache ihn nicht weiter berühre:

So, wirklich?

Ich konnte das nicht ganz ertragen. Ich fühlte, daß sein Benehmen beleidigend war und erhob mich plötzlich.

Ich hoffe, gnädige Frau, sagte ich, daß Ihnen mein Rezept Erleichterung bringen wird.

O, sicherlich wird es das, sagte sie und nahm es von dem Tische. Da, Alfons, sei so gut und besorge mir das morgen vom Apotheker, lieber Junge. Dann, wahrscheinlich rasch gewisse Gedanken auf meinem Gesicht lesend, fügte sie mit schelmischem Lächeln hinzu: Apropos, Herr Doktor, ich habe ganz vergessen, Ihnen zu sagen, daß dieser Herr mein Schwager ist und er mir, während der Abwesenheit meiner Schwester in Boston, die Gastfreundschaft dieses Hauses angeboten hat. So spiele denn ich die Schloßherrin, solange sie verreist ist.

Als sie mir bei diesen Worten fest ins Auge blickte, fühlte ich einen Moment Beschämung darüber, daß sie meine schlechten Gedanken so genau gelesen hatte; diese Beschämung war indes, wie ich fürchte, mit einem dankbaren Gefühl der Erleichterung vermischt.

Als ich mich empfahl, bot sie mir ihre Hand, die ich keineswegs zimperlich ergriff. Ich machte dem Marquis meine Verbeugung und im nächsten Augenblick war ich im Freien, – ein anderer als zuvor. Daran war nicht zu rütteln. Ich war dem Zauber dieses Weibes verfallen. Es war die tollste aller Vernarrtheiten, aber ich wußte, daß mich fortan das schöne Gesicht und die herrliche Gestalt Tag und Nacht heimsuchen würde. An der Ecke der Knightsbridge Road bestieg ich eine Droschke und ließ mich in Davenports Klub führen.

Zum Glück traf ich ihn dort noch an.

Na, Perigord, rief er mir entgegen, wie steht's? Hast du deine Gräfin gefunden?

Jawohl, und ebenso den Marquis de Brinvilliers. Das kleine Geheimnis war bald aufgeklärt: er ist ihr Schwager.

Die Lösung ist sehr prosaisch. Ich dachte, es könnte möglicherweise einen etwas romantischeren Anstrich haben.

Keine Spur. Sie und ihre Schwester sind reiche Amerikanerinnen, wie ich verstand, aus Boston. Die eine hat einen italienischen Grafen, die andere einen französischen Marquis geheiratet. Warum tun dies denn die Amerikanerinnen auch nur?

Ich weiß nicht. Es kommt indes jetzt nicht mehr so häufig vor, als früher. Man beginnt, einzusehen, daß es nicht das richtige ist. Neuerdings haben die Amerikanerinnen der englischen Aristokratie ihre Gunst geschenkt. Vielleicht sehen sie endlich ein, wie verdienstlich es ist, das gute, alte angelsächsische Blut rein und unvermischt zu bewahren. Was ist der Marquis für ein Mensch oder genauer, was hältst du von ihm?

Nicht viel, erwiderte ich lachend und läutete dem Kellner. Sie nennt ihn Alfons. Verfluchter Name das. Hat bei mir beinah' Uebelkeit hervorgerufen.

Bis sie wohl die Verwandtschaft aufklärte? meinte Davenport, seinerseits lachend.

Na, ich weiß nicht so genau, erwiderte ich und zündete mir eine Zigarre an. Möglicherweise. Offengestanden ist es eine der schönsten Frauen, die ich je gesehen.

Zugegeben – aber wie zum Teufel gelang es ihr, dich auszugraben? Es gibt ja bekanntlich soviele Modeärzte in deiner Gegend – Lambeth, nicht wahr?

Sofort sah ich ein, daß ich nicht zuviel sagen durfte. Ich kannte Davenport schon lange und wußte, daß die Neugierde seine größte Schwäche ausmachte.

O, sagte ich, solche Geschichten sind, wie du doch eigentlich wissen solltest, in unserem Beruf alltäglich. Sie hat sich nicht darüber ausgesprochen, und ich hielt es nicht für der Mühe wert, mich darnach zu erkundigen.

Ich möchte allerdings nicht neugierig erscheinen, erwiderte er, sich rechtfertigend, und freilich geht es mich im Grunde nichts an, aber sie sah nicht krank aus, als ich sie heute mittag vor den Mansions halten sah. Ich sagte mir sogar, sie sei in prächtiger Verfassung. Weißt du, ich sah sie heute, als ich den Hof verließ, und konnte nicht umhin, das zu bemerken.

Ich streifte die Asche meiner Zigarre ab und lachte ihm aufgeräumt ins Gesicht.

So, du bist gar nicht neugierig, was, Meister Davenport? Du weißt ganz genau, daß du alle Hebel in Bewegung setzest, mich auszupumpen, du Erzheuchler. Aber es ist nichts zu machen, alter Junge. Vielleicht ist sie krank, vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall hab' ich ein Rezept für sie ausgefertigt, das sie Alfons morgen früh zu besorgen bat. Soweit bin ich gerne bereit, deine Neugier zu befriedigen. Vielleicht habe ich mit der Gräfin andere Dinge besprochen, vielleicht auch nicht.

In Alfons' Gegenwart?

Du bist doch unverbesserlich.

Aha, sagte er, du hast sie schon früher getroffen?

Niemals, erwiderte ich rasch. Das hättest du aus meinem Benehmen vor einer Stunde entnehmen können.

Entnehmen und wissen ist zweierlei.

Allerdings, und nun weißt du es auch. Ich habe tatsächlich bis zum heutigen Abend keine Ahnung von der Existenz dieses Weibes gehabt. Bist du jetzt befriedigt?

Das vertieft nur das Geheimnis.

Was für ein Geheimnis? Sei doch kein solcher Narr!

Darum handelt sich's gerade. Ich bin kein Narr. Ich habe heute abend ein paar Erkundigungen eingezogen und erfahren, daß die Gräfin Frangipani eine riesig feine Dame ist und im Gelde schwimmt.

Das gebe ich zu. Sie hat mir selber heute abend diese Eröffnung gemacht.

Gut also. Du hast mir nun gesagt, daß du eine kleine Praxis in Lambeth draußen ausübst und daß deine Patienten einfache, arme Leute seien.

Ganz richtig, antwortete ich, da ich schon genau voraussah, wohin seine Worte zielten.

In jenem Viertel sprechen keine Gräfinnen vor.

Ich lächelte ein wenig geheimnisvoll.

Nun ja, nicht viele, erwiderte ich nach einer angemessenen und nicht wirkungslosen Pause, als er mit einem Male seine Augen zu den meinigen erhob.

Nicht viele, wiederholte er.

Das ist's, was ich gesagt habe.

Aber ich verstehe nicht ganz, was du damit sagen willst.

Das ist mein Fehler nicht. Ich habe mich deutlich genug ausgedrückt.

Ja, ich habe deine Worte auch deutlich vernommen. Aber was bedeuten sie, mein Junge?

Er glühte nun vor Neugierde.

Mir scheint das ziemlich klar zu sein, erwiderte ich.

Aber mir nicht, willst du mir glauben machen, daß Gräfinnen wirklich in Lambeth vorsprechen?

Ich sagte: »nicht viele«, lieber Davenport. Was du doch für ein hartnäckiger Kerl bist!

Sagen wir z. B. eine.

Vielleicht.

Kaum war das Wort meinem Mund entflohen, da erkannte ich, wie unklug ich gehandelt hatte.

Potztausend! sagte er. Das ist eine verflixt seltsame Geschichte. Ist mir auch gleich aufgefallen. Eine verdrehte alte Dame, die ganz Europa durchzieht, um vor ihren Leuten sich zu verstecken und sich mit irgendwelchen Familienpapieren oder dergleichen aus dem Staub gemacht hat – ist das die Dame?

Wie ich die Kontrolle über meine Gesichtszüge nicht verlor, während ich diese erstaunlichen Worte äußern hörte, weiß ich nicht, aber daß es mir gelungen sein muß, ergab sich klar aus dem Folgenden.

Was ist das für eine Salbaderei? fragte ich etwas ernst. Wovon faselst du denn da? Ich plaudere in aller Harmlosigkeit und Unschuld von Lambether Gräfinnen, und mit einem Male überfällst du mich mit wer weiß was für einem verdammten Blödsinn. Was für ein Dämon reitet dich denn heute nacht? Lassen wir das Thema und trinken wir ein Glas! Ich muß übrigens in wenigen Minuten weg.

Aber er ließ sich nicht aus der Fassung bringen.

O, das nützt nichts, Perigord, sagte er.

Was nützt nichts?

Daß du die Frage einfach barsch beiseite schiebst und Unwillen und weiß Gott was noch markierst.

Willst du mich denn wirklich ärgern? fragte ich.

Nein, selbstverständlich nicht, aber wirklich –. Damit unterbrach er sich, als er bemerkte, daß mein Auge zornige Blitze schoß.

»Wirklich«? Was »wirklich«? fragte ich. Worauf steuerst du denn zu? Heraus damit, aber dann laß mich in Frieden! Ich verliere meine Geduld: seit einer Viertelstunde frägst du mich über eine Angelegenheit aus, die dich nichts angeht, um's deutlich zu sagen. Also, was willst du sagen?

Herrgott im Himmel, Mensch! rief er, brause doch nicht so auf! Ich möchte nicht von einem so großen Menschen gefressen werden, wie du einer bist. Vielleicht irre ich mich – ich glaube sogar, ich tu's – aber es kam mir wirklich so merkwürdig vor.

Was?

Bevor du hereinkamst, wurde ich einem Herrn vorgestellt, der lange in Rom gelebt hat. Ich erinnerte mich an unsere Unterhaltung von heute abend und fragte ihn daher, ob er vielleicht zufällig etwas von einer gewissen Gräfin Frangipani wisse.

Jetzt war ich wieder ganz Ohr.

Ja, und?

Er schien mit all ihren näheren Verhältnissen bekannt zu sein, wann sie sich verheiratet hat und wann ihr Mann gestorben ist. Sie ist scheint's eine Witwe.

Das hat sie mir heute abend gesagt.

So? Gut also, er wußte jede Kleinigkeit von der ganzen Familie. Ich glaube, er war ein wenig angeheitert, sonst würde er nicht so redselig gewesen sein. Er schien auch mit den Verhältnissen des Erbgrafen bekannt zu sein – wenigstens sprach er von ihm, als wäre er mit ihm befreundet.

Erinnerst du dich an seinen Namen? fragte ich.

Nein. Ich habe ihn nicht deutlich gehört. Bolster, ein Freund von mir, hat uns vorgestellt; sie sind zusammen weggegangen, und von ihm kann ich seinen Namen leicht erfahren, wenn du ihn wissen willst. Nun, unter anderem sprach er auch von dieser alten Dame. Ich glaube, mich zu erinnern, daß er auch von ihr sagte, sie sei eine Gräfin. Sie hatte gewisse Familienpapiere mitgenommen, und der Erbgraf hat ganz Europa nach ihr abgesucht und sie schließlich aufgestöbert, in irgend einem windigen Loch überm Flusse drüben. So kommt es, daß ich, als du von Lambether Gräfinnen sprachst, dachte, du redest vielleicht von ihr. Verstehst du jetzt?

Gewiß, erwiderte ich, und ich kann dir auch gleich mitteilen, daß mich deine kleine Erzählung nicht im entferntesten interessiert. Das wird ein für allemal genügen. Du scheinst heute in sehr mitteilsamer Stimmung zu sein, wer brachte denn das Thema aufs Tapet?

Ich.

Anknüpfend an meinen Besuch bei der Gräfin?

Nun – hm – ja.

Du hast also diesen Umstand erwähnt?

Ja. Ich – hm –

Gut – und meinen Namen im Zusammenhang damit erwähnt?

Nun ja, ich dachte, es könne nichts schaden, wenn ich es täte, alter Junge.

Ich sprang vom Stuhl auf.

Höre, Davenport, sagte ich, du bist der größte Esel auf Gottes Erdboden.

Damit eilte ich wütend aus dem Zimmer.


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