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Achtzehntes Kapitel

Punkt fünf Uhr traf ich in Formosa Mansions 1 ein und wurde sofort zur Gräfin geführt.

Ich will mich nicht mit einer Beschreibung ihrer Vorzüge aufhalten. Als sie sich erhob und auf mich zukam, um mir die Hand zu reichen, war ich überzeugt davon, daß sie das lieblichste Geschöpf auf Erden sei.

Sie bewillkommnete mich auf die liebenswürdige, unkonventionelle Art der feineren Amerikanerinnen, die den Gast schon im ersten Augenblick sich zu Hause fühlen läßt. Sie ließ mich einen Lehnstuhl ans Kaminfeuer rollen und setzte sich dann an meine Seite. Ich hatte zwar theoretische Vorkenntnisse von den Gefahren der körperlichen Nähe, lernte aber ihre verführerische Macht und ihre Bedeutung jetzt erst in ihrer ganzen Größe kennen. Insbesondere geschah das, als ihr kleiner Fuß ohne Erfolg einen Fußschemel herzuziehen versuchte, der sich unter einem Tisch verkrochen hatte, und ich auf den Knien den widerspenstigen Gegenstand aus seinem Zufluchtsort hervorholte und ihr unter die Füße schob.

Sie dankte mir und sagte dann: Wie froh bin ich, Sie zu sehen! Ihr Telegramm hat mich erst mit Verwunderung erfüllt. Ich war mit meinem Schwager im Haymarket-Theater gewesen, den Sie übrigens – nebenbei bemerkt – nicht zu ernst nehmen dürfen. Er ist ja recht liebenswürdig, aber ganz von der Würde seines Titels erfüllt, und meine Schwester, die in ihren ehelichen Beziehungen das Hauptgewicht auf männliche Eigenschaften legt, hat sich nach Boston in der Absicht begeben, sich die Sachlage noch einmal zu überlegen. Wie ich übrigens dazu komme, Ihnen all dies zu sagen, weiß ich mir um alles in der Welt nicht zu erklären.

Meine natürliche Keckheit kam mit einem Schlag zum Vorschein.

Ich könnte es Ihnen schon sagen, bemerkte ich lächelnd.

So, wirklich? erwiderte sie und wartete auf eine Erklärung.

Die Sache ist einfach genug, sagte ich. Wir beide sind ehrliche Leute und wir haben beide den wahren Sachverhalt erkannt. Ist das nicht richtig?

Ihre Augen trafen die meinigen.

Jawohl, sagte sie, das ist ganz richtig.

Und was mehr bedeutet, fuhr ich fort, wir haben ein gemeinsames Interesse, wie ich wenigstens glaube, an dieser kleinen Komödie oder Tragödie, in der Ihre Schwägerin, die alte Gräfin Frangipani, die Hauptrolle spielt.

Auch das, meinte sie, ist sehr richtig.

Verstehen Sie wohl, setzte ich hinzu, daß ich mich in die Geschichte nicht eingemischt habe, sondern vollständig ohne mein Zutun hineingezogen worden bin. Ich habe Ihnen die näheren Umstände ja neulich erzählt.

Gewiß, nickte sie und fröhlich lachend fuhr sie fort: Es ist nicht nötig, noch länger dabei zu verweilen. Wir sind jetzt Verbündete gegen einen gemeinsamen Feind.

Den Erbgrafen Frangipani? fragte ich.

Wen denn sonst? erwiderte sie. Da in diesem Augenblick der Diener mit dem Teebrett erschien, schwieg sie ein paar Momente; dann aber wiederholte sie:

Gewiß, wer denn sonst als der Erbgraf ist der Feind? Er haßt mich tödlich, ein Gefühl, das ich übrigens aus ganzem Kerzen erwidere. Er ist ein unausstehlicher Kerl, ein brutaler Mensch, und von den anderen Frangipanis in jeder möglichen Einsicht völlig verschieden.

Sie hielt inne, um mir eine Tasse Tee zu überreichen und fuhr dann fort:

Enrico, mein Gemahl, war ein vornehmer Charakter. Es war ihm darum zu tun, ein Geschäft zu machen, als er mich heiratete, das ist wahr, und wenn dabei auch die Liebe nicht in Frage kam, so war es doch ein fairer und loyaler Handel, den ich, soweit es seine Person anlangte, auch keinen einzigen Augenblick bedauert habe, würde ich einem der ältesten Fürstenhäuser Roms entstammen, so könnte er mich nicht mit größerer Ritterlichkeit, Ehrerbietung und Hochachtung behandelt haben. Ich achtete und schätzte ihn meinerseits, und im Lauf der Zeit würde ich ihn sicherlich auch lieben gelernt haben. Aber unsere Ehe war von so kurzer Dauer, daß ich über diesen Punkt nur Mutmaßungen anstellen kann. Aber Ihre Tasse ist leer, Doktor. Erlauben Sie mir!

Als diese notwendige kleine Formalität erledigt war, fuhr sie fort:

Ja, ich habe meinen Gatten sehr geschätzt. Denn wie im Leben, so betrug er sich auch im Tode noch ritterlich gegen mich, indem er mir in seinem Testament jeden Pfennig zurückgab, den ich ihm zugebracht hatte.

Ich blickte einigermaßen erstaunt auf. – Ist das nicht die Regel? fragte ich.

Nein, wie ich gehört habe, erwiderte sie, und der gegenwärtige Erbgraf, Vittorio, hat ihm das übel genommen. Er besaß sogar die Frechheit, im Namen der Familie dagegen Einspruch zu erheben. Er sagte, ich habe – für den Fall, daß ich nicht wenigstens einen gewissen Betrag auf die Familie übertragen würde, womit er seine eigene Tasche meinte – einen berühmten Titel unter falschen Vorspiegelungen erschlichen. Die Frechheit des Menschen überstieg alle Grenzen, und ich ließ ihn kurzerhand hinauswerfen.

Bravo! rief ich. Das läßt sich eine Amerikanerin nicht gefallen.

Keine Frau, die den Namen Frau verdient – sei es nun eine Amerikanerin oder Engländerin oder sonst eine Frau –, würde sich das bieten lassen, entgegnete sie. Seitdem hat er noch einen oder zwei zaghafte Versuche gemacht, Geld von mir zu erhalten, aber da ich weiß, daß er ein Spieler, ein Roué und ein Lump ist, habe ich seine Anzapfungen mit verachtungsvollem Schweigen beantwortet. Er ist mir nichts als ein Verwandter, der das auf rein zufällige Weise geworden ist, und ich kümmere mich keinen Pfifferling um ihn. Aber diese Verfolgung der armen alten Gräfin, die vor mir den Titel führte, ist eine Schande, der ein Ende gesetzt werden muß, und unsere – Ihre und meine – Aufgabe ist's, das Ende herbeizuführen.

Der Vorschlag war entzückend für mich. Er erforderte einen gewissen Grad von Vertraulichkeit, der angenehme Aussichten eröffnete.

Das werden wir auch tun, sagte ich, da Sie es so unverblümt aussprechen. Es ist doch Ihr fester Entschluß?

Anstatt einer Antwort hielt sie mir die reizendste kleine Hand der Welt hin.

Der Handel ist abgeschlossen, fügte sie hinzu.

Vollkommen, sagte ich; und nunmehr müssen wir offen reden. Ich bin in einer für Sie, wie ich glaube, erstaunlichen Lage, aber ich bin über verschiedene Punkte noch im Zweifel, worüber Sie mich aufklären können, verzeihen Sie mir meine Frage, aber was hat der Erbgraf für einen Beweggrund, die arme alte Dame so erbittert zu verfolgen?

Unsere Augen trafen sich, und zwei ehrliche Blicke wurden zwischen ihnen ausgetauscht.

Meine Kenntnisse darüber, sagte sie, sind sehr einfacher Natur und können ganz wertlos sein. Aus Ihrem Benehmen ersehe ich, daß Sie wohl mehr wissen als ich.

Nein, nein, entgegnete ich rasch. Ich weiß nichts außer einigen unbestimmten Andeutungen, die die alte Gräfin in meiner Gegenwart fallen ließ. Ich habe aber einen kleinen Umstand noch nicht erwähnt, der Sie, wie gesagt, zweifellos überraschen wird, wenn Sie auch nur eine Vermutung haben, wie ich glaube, so teilen Sie sie mir bitte mit, und dann werden wir vielleicht mit vereinten Kräften in der Lage sein, die einzelnen Stücke zu einem Ganzen zusammenzusetzen.

Gut also, erwiderte sie. Was ich weiß oder vielmehr annehme, ist Folgendes: Die Familie Frangipani ist sehr alt und läßt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Im dreizehnten Jahrhundert war z.+B. eines ihrer Mitglieder ein Papst Clemens der Soundsovielte. Aber ich will nicht weiter zurückgehen, als auf Ugo, den Vater Giovannis (der unsere alte Dame geheiratet hat), Enrico, meinen Gatten und Vittorio, den Unaussprechlichen, den wir jetzt bis aufs Messer zu bekämpfen übereingekommen sind. Ugo nun war ein guter Freund des Kardinals Antonelli und des Papstes Pius IX. und soll in den sechziger Jahren große Geldsummen für die päpstliche Sache ausgegeben haben. Er war mit einer steinreichen österreichischen Erzherzogin verheiratet. Ihr Lieblingssohn war Giovanni und, wie man sich zutuschelt, hat sie ihm privatim gewisse Gelder, Besitztümer, Juwelen, irgend etwas nicht näher Bestimmbares, vermacht. Vittorio scheint nun zu vermuten, daß diese Wertgegenstände von Giovanni wiederum seiner Gemahlin, die er sehr liebte, hinterlassen worden seien. Das ist alles, was ich davon weiß, und es ist, wie ich Ihnen versichert habe, sehr wenig. Doch glaube ich, daß etwas Wahres daran sein muß. Vittorios Ausdauer und der alten Dame Hartnäckigkeit und grimmiger Entschluß, ihm nicht zu weichen und nachzugeben, bestärkt mich in dieser Ansicht, und ich gestehe ehrlich, daß ich sehr neugierig bin, wie sich die Geschichte aufklären wird. Das ist meine ehrliche Beichte, fügte sie lächelnd hinzu. Und nun, Doktor, rücken Sie mit Ihren Kenntnissen heraus!

Nun, sagte ich, bevor ich dazu komme, – Sie waren über die kleine Episode von gestern abend höchlich erstaunt?

Gewiß, noch jetzt verstehe ich sie nicht, warum wurde die Botschaft in meinem Namen ausgefolgt? Und wenn Sie nicht geargwöhnt hätten, daß etwas nicht in Ordnung sei, wohin würde der wagen Sie entführt haben?

Wohin? was meinen Sie? Können Sie sich's nicht denken?

Jawohl, ich kann mir's denken; aber zu welchem Zwecke? Der Erbgraf hat die Gräfin in seiner Gewalt, aber warum sucht er denn nun Sie in eine Lalle zu locken? Das ist mir völlig unverständlich.

Das glaube ich schon. Es würde auch anderen unverständlich vorkommen, wie könnte man verstehen, daß neulich nachts Diebe in mein Haus eindrangen, das Oberste darin zu unterst kehrten und nichts von irgendwelchem werte mit sich nahmen, als einen Zettel, den sie in einem geheimen Fache entdeckten?

Ist das möglich? Glauben Sie, daß der Erbgraf der Anstifter dazu gewesen ist?

Zweifellos. – Und nunmehr erzählte ich ihr mit wenigen Worten meinen Besuch in Balham und sein Ergebnis.

Sie folgte meinem Berichte voller Interesse, und ihre Pupillen dehnten sich immer mehr aus, je weiter meine Erzählung fortschritt.

Das ist ja wirklich unbegreiflich, bemerkte sie, als ich zu Ende war, und der Zettel, der entwendet wurde, was war das?

Der Schlüssel zu dem Geheimnis, oder – und dabei lachte ich aus vollem Herzen – wenigstens glaubten sie, er sei es. Und nunmehr will ich Sie nicht mehr länger auf die Folter spannen, sondern Ihnen von der Rolle erzählen, die ich in der Geschichte spiele.

Hierauf berichtete ich ihr in wenigen Worten all das, was ich hier ausführlich niedergeschrieben habe.

Ihr Erstaunen kannte keine Grenzen mehr.

Dann sind Sie, Doktor, gegenwärtig der Herr der Situation?

Gewiß bin ich's, und ich bin auch fest überzeugt davon, daß, wenn ich nicht gestern abend Lunte gerochen hätte – verzeihen Sie gütigst den etwas gewöhnlichen Ausdruck! –, ich irgendwelchen Gewaltmaßregeln unterworfen worden wäre, um das Paket mit den gelben Siegeln herauszugeben.

Na, Sie haben Glück gehabt! wie froh bin ich, daß es so abgelaufen ist! rief sie mit strahlendem Gesichte. Und, Doktor, denken Sie daran, daß ich nunmehr zu Ihnen halte, und daß jetzt die arme alte Gräfin gefunden und befreit werden muß, koste es, was es wolle!

In diesem Augenblicke betrat der Diener das Zimmer. Er brachte auf einem Präsentierteller eine Karte. Die Gräfin warf einen Blick auf die Karte und händigte sie mir ein. Es standen die Worte darauf:

Il Conte di Frangipani.

Wollen Sie sich in ein anderes Zimmer verfügen? fragte sie, oder –

Ich bleibe da, antwortete ich.

Führen Sie den Herrn herein! wandte sie sich an den Diener.

Im nächsten Augenblick erhob ich mich und stand dem – Mörder meines Vaters gegenüber.


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