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Ein Hexenprozeß in Sindelfingen.

Im Spätsommer und Herbst des Jahres 1616 herrschte in dem sonst so ruhigen Sindelfingen eine sonderbare Aufregung. Auf den Straßen, in den Wirtschaften und Privathäusern unterhielt man sich fast nur über den neuesten Hexenprozeß. »Sie hat es verdient, die Walpurga, daß man sie in Sicherheit brachte,« war das einstimmige Urteil. »Schon vor 20 Jahren wäre dieser Schritt angezeigt gewesen; denn die schwarze Hanna, die damals als Hexe auf dem Scheiterhaufen endete, bezeichnete kurz vor ihrem Tode die Walpurga als ihre Gespielin. Und was ist seither alles in unserer Stadt und der Umgebung geschehen? Bei dem Hexentanz und dem wüsten Gelage im nahen Eichholz und zu Dagersheim fehlt die Walpurga nie; sie reitet auf der Ofengabel dorthin und trifft mit vielen anderen Hexen und dem leibhaftigen Teufel zusammen. Von letzterem hat sie ihre schwarze Salbe, mit der sie Menschen und Tieren Schaden zufügt. Ihr Mann, der Konrad Pfau, ist sicher keines natürlichen Todes gestorben. Als die vergiftete Suppe nicht wirken wollte, bestrich sie ihm Gesicht und Hals mit der Teufelssalbe, worauf der Tod nach wenigen Tagen eintrat. Das Kind des Michael Pfliger, das vor 3 Jahren so plötzlich starb, hat die böse Walpurga bei Nacht mit zwei vergifteten Salben eingerieben, und dem Kinde des Michael Laurer, welches die Mutter allein in der Wiege zurückließ, während sie auf dem Acker arbeitete, brachte die Salbe ebenfalls nach kurzer Zeit den Tod. Die zwei Kühe, die in den letzten Tagen dem Hans Sindlinger verendeten, sind sicher der Salbe zum Opfer gefallen. So ganz schuldlos ist der Bauer freilich nicht. Trotz der Warnung hat er es unterlassen, drei Kreuze über seine Stalltür zu machen und so der Hexe den Weg zu seinem Vieh zu sperren. Das verheerende Hagelwetter der letzten Woche ist ein Werk der Walpurga. Sie befand sich beim Anzug des Gewitters auf ihrem Acker zwischen Böblingen und Sindelfingen. Statt nun, wie andere Leute, nach Hause zu gehen und das Gebetbuch in die Hand zu nehmen, schickte sie die Magd allein nach Sindelfingen; sie selbst aber suchte die Rohrmühle bei Böblingen auf. Und wie hat sie's am Sonntag in der Kirche getrieben? Alle Zuhörer richteten sich nach dem furchtbaren Gewitter an den Trostworten des Pfarrers wieder auf, nur die Walpurga nicht. Sie schrie (weinte) so laut, daß es im ganzen Gotteshaus zu hören war. So ist auch ihr Jammern und Schreien im Gefängnis nichts weiter als eine Unterhaltung mit dem Teufel, dessen Rat sie schon oft eingeholt hat. Nur mit des Teufels Hilfe ist es der Walpurga möglich gewesen, einigen Männern und Weibern unserer Stadt durch Verabreichung gebackener Küchlein ihren lästigen Halsschmuck, den Kropf, abzunehmen mit den Worten: »Ich bitte dich, Herr, du wollest dies unnütz Fleisch wegnehmen und diesen Menschen recht nützlich Fleisch geben.«

So brachte der Hexenausschuß zu Sindelfingen aus menschenfreundlichem Tun und zufälligen Unglücksfällen gegen die Witwe des Konrad Pfau, Walpurga, eine Anklage zusammen, die das Sindelfinger Gericht mehrere Monate beschäftigte. Zuerst stellte Walpurga jede Schuld in Abrede. Die Zubereitung der Hexensalbe wußte sie ebensowenig anzugeben, als die Entstehung des Gewitters, bei dem sie auf dem Felde war. Über ein Bündnis mit dem Teufel und über geheime Zusammenkünfte konnte sie nichts sagen. Aber kein Mensch schenkte ihr Glauben. Der Vogt von Sindelfingen berichtete an die herzogliche Regierung nach Stuttgart. Der Bescheid von dort und die Antwort der Juristenfakultät der Hohen Schule zu Tübingen entsprachen ganz der Ansicht der Sindelfinger Richter. »Nur die Tortur ist imstande, die Zunge zu lösen,« hieß es. Und zu dieser ging man bei den nächsten Verhandlungen über. Zunächst wurden der »Hexe« nur die Folterwerkzeuge gezeigt, und der Henker band ihr Hände und Füße zusammen. Man suchte sie also auf gütlichem Wege zu einem Geständnis zu bringen und glaubte, die Angst vor den in Aussicht stehenden Qualen würde sie mürbe machen. Allein Walpurga behauptete fest, daß sie durchaus unschuldig sei, und daß ihr von den Leuten, welche gegen sie zeugen, großes Unrecht zugefügt würde. Sie bitte daher demütig, man möge die scharfe Anklage wider sie zurücknehmen. Der Henker gab die Antwort auf diese Bitte. Er band ihr aufs neue Hände und Füße zusammen und lehnte sie an die sog, Wippe (Leiter oder bankartiges Brett), worauf sie dann mittels eines Seils, das über Rollen lief, auf und ab gezogen wurde. Die Frau biß die Lippen krampfhaft zusammen und – schwieg. Der Henker hing nun einen 30 Pfund schweren Stein an die Füße und setzte seine Arbeit, ohne ein Geständnis zu erlangen, fort. »Nun zum dritten Grad!« hieß es vom Richtertisch her. Ein fast zentnerschwer Stein löste den vorigen ab und brachte nach kurzer Zeit den alten Gliedern schwere Verrenkungen und fürchterliche Schmerzen. Die Richter hatten ihr Ziel erreicht. Walpurga Pfau bekannte, was böse Zungen gesprochen. Der von allen Menschen verlassenen Frau war das Mal der Hexerei auch öffentlich aufgedrückt. Das Urteil lautete wie in vielen anderen Fällen zuvor und später: »Die Hexe ist wegen ihres schweren, sündigen Abfalls von Gott, ihrer teuflischen Werke und ihrer begangenen Mordtaten dem Nachrichter zu übergeben und den anderen zu einem abscheulichen Exempel mit dem Feuer vom Leben zum Tod zu verbrennen.« Walpurga rief mit schluchzender Stimme, sie bekenne und bereue ihren sündlichen Abfall von Gott von Grund ihres Herzens, wolle auch gerne willig leiden und sterben; doch soll man ein 70jähriges Weib nicht zum Feuertod, sondern zum Tod durchs Schwert verurteilen. Am 17. Oktober 1616 endlich verkündeten die Richter mit Genehmigung des Herzogs ihren Spruch: »Die Beklagte ist auf die gewöhnliche Richtstätte zu führen und daselbst mit dem Schwert vom Leben zum Tod zu richten und ihr Körper zu verbrennen.« Schon in den nächsten Tagen wurde diesem Urteil entsprochen.

Nur das hohe Alter rettete Walpurga Pfau vor dem schrecklichen Feuertod, dem vom 13. bis 18. Jahrhundert unzählige Menschen wegen angeblicher Hexerei zum Opfer fielen.

 

Nach den Sindelfinger Hexenprozeßakten von G. A. V.


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