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Vor vielen, vielen Jahren war einmal im Gebirge ein Mann unterwegs. Da fand er zufällig, wie man ja manchmal etwas findet, einen kleinen Spiegel. Er hob ihn auf und blickte hinein. Aber, was Wunder! er sah drin nicht sich selbst, sondern einen steilen, felsigen Berghang, der voll goldener und silberner Zapfen hing. Die gleißten und funkelten in wunderbarem Glanze. Hoch oben an der Felswand aber krabbelte ein kleines Männlein herum, das emsig die goldenen Zapfen abbrach und in ein Säcklein steckte.
Der Mann konnte sich an alldem kaum sattsehen. Es dauerte aber gar nicht lange, da merkte das Männlein, daß jemand es durch sein verlorengegangenes Spiegelein beobachtete. Da wurde es ganz aufgeregt und fing an zu zappeln und ängstlich zu jammern und bat den Mann, doch den Spiegel wegzuwerfen. Es sei sonst verloren, könne sich nicht mehr an der Felswand halten und müsse herabstürzen und zu Tode fallen. Gerne wolle es ihm dafür von seinen Schätzen geben. Da hatte der Mann mit dem armen Wichtlein Mitleid und warf den Spiegel weg. Sogleich verschwand die Felswand und alle Pracht, die daran gefunkelt, und das Männlein stand vor ihm. Als der Mann fragte, woher es denn sei, sagte es: »Aus Venedig!«, gab ihm zum Lohn einen großen Goldzapfen und – war verschwunden.
Voller Freude wickelte der Mann den Zapfen in sein Sacktuch und machte sich auf den Heimweg. Unterwegs schmiedete er mancherlei Pläne: wie er seine Schulden bezahlen und Felder und Vieh kaufen könne; freute sich, daß ihm nun aus aller Not geholfen, und wie reich er mit einemmal geworden sei. In der halben Zeit war er zu Hause, so schnell lief er. Schon unter der Stubentür knüpfte er sein Taschentuch auf, um Weib und Kind seinen Schatz zu zeigen. Aber, O weh! – der Zapfen glänzte kein bißchen mehr, sondern war ganz schwarz und unansehnlich geworden. Da war der Mann tagelang traurig. Und weil er mit dem schwarzen Klumpen nichts anzufangen wußte, entschloß er sich, nach Venedig zu gehen, das Männlein aufzusuchen und es zu fragen, wie er das trügerische Ding behandeln müsse, damit es wieder seinen alten Glanz bekomme. Er wickelte den Zapfen ins Taschentuch und begab sich auf die Reise.
Nach langer Wanderung kam er endlich in Venedig an. Wie er so durch die Straßen ging und nach dem Männlein suchte, stand es plötzlich neben ihm. Es grüßte ihn überaus freundlich und fragte erstaunt, wie er denn hierherkomme. Da klagte ihm der Mann seine Not, erzählte, wie es ihm mit dem goldenen Zapfen gegangen sei und knüpfte sein Taschentuch auf. Da lächelte das Männlein, strich mit der flachen Hand darüber hin und – siehe da! der Zapfen war wieder eitel Gold und funkelte wie zuvor. Überglücklich bedankte sich der Mann und wollte gleich wieder die Heimreise antreten. Aber das Männlein ließ es nicht zu, sondern bat ihn, mit in sein Haus zu kommen und einige Tage sein Gast zu sein.
Es führte ihn in einen groß mächtigen Palast; bewirtete ihn mit köstlichen Speisen und Getränken und zeigte ihm alle seine Reichtümer. Da konnte der einfache Mann ob all der Pracht und Schätze nicht genug staunen und rief ein Mal übers andere »Ach, wenn nur auch meine Frau da wäre und all die Schönheit sehen könnte!« Das Männlein fragte ihn, ob er gerne wissen und sehen möchte, wie es seiner Frau zu Hause gehe und was sie gerade treibe. »Ei, freilich möchte ich das gerne sehen!« sagte er. Da holte das Männlein den Wunderspiegel herbei und ließ ihn hineinsehen. Und da sah der Mann wahrhaftig ganz klar und deutlich sein Haus und die Stube und drin sein Weib, wie es bei der Wiege saß und dem Kind den Brei gab. Voller Freude nahm er von dem guten Männlein Abschied, zog mit seinem blanken Goldzapfen wieder heimwärts und lebte fortan mit Weib und Kind in Glück und Reichtum.