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Es war einmal ein armer Tagelöhner, der besaß drei Söhne. Jeder hatte ein Handwerk erlernen dürfen, und so war der eine Weber, der andere Schneider und der dritte Schuster geworden. Der Schuster war der jüngste, aber auch der gescheiteste, und darum wurde er von allen nur »der kluge Martin« genannt. Als die Lehrzeit um war, schickte der Vater sie auf die Wanderschaft. Weil er aber so arm war, konnte er ihnen außer seinem Segen nichts mitgeben als Messer, Gabel und Löffel, die in einem einfachen Ledertäschchen beisammen steckten. Doch die drei Brüder waren mit diesem wenigen zufrieden und zogen frohgemut in die weite Welt hinaus.
Am Abend nach ihrem ersten Reisetage kehrten sie in einem Dorfwirtshaus ein. Ehe sie aber am andern Morgen weiterwanderten, beschlossen sie: »Wir wollen nun ein jeder einen andern Weg einschlagen, heute über fünf Jahre aber hier an diesem Tische wieder zusammentreffen.« Dann wünschten sie sich gegenseitig viel Glück und nahmen herzlich Abschied voneinander.
Als der kluge Martin eine Weile gewandert war, kam er an eine steinerne Brücke, und wie er gerade den Fuß auf sie setzen wollte, trat ihm ein Mann in den Weg und fragte mit finsterem Gesicht: »Was suchst du hier und wo willst du hin?« Sprach der kluge Martin: »Ich bin ein Schuhmacher, bin auf Wanderschaft und suche Arbeit.« – »Soso«, brummte der Fremde. – »Ja«, nickte Martin; »aber nun sag mir auch, wer du bist und was du hier treibst.« – Da grinste der andere ganz unheimlich unter seinem breitrandigen Schlapphut hervor und antwortete: »Ich? – Ich bin ein Räuber.« – »So«, sagte der kluge Martin; »ein seltsames Handwerk. Ist es auch einträglich?« – »Das will ich meinen! Mehr als das deine!« – »Ei, was!« rief da der kluge Martin verwundert aus. »Meinst du, daß ich es auch erlernen könnte?« – »Das kommt ganz darauf an, wie du dich anläßt«, meinte der Räuber. – »Weißt du was? – Behalte mich hier. Ich will auch ein Räuber werden!« sagte Martin. – »Gut. Ich will dich einstweilen dabehalten. In die Schar der Kumpanen aufnehmen kann dich aber nur mein Meister, und der ist gerade nicht zu Hause.« Da wartete der kluge Martin drei Tage lang, bis der Räuberhauptmann zurückkehrte und er ihm seinen Wunsch vorbringen konnte. Der Hauptmann hörte den Burschen an und sagte dann: »Gut, ich will dich aufnehmen. Du mußt aber erst eine Probe ablegen und deine Geschicklichkeit zeigen.« – »Daran soll`s nicht fehlen! In ein paar Stunden bin ich wieder hier; dann sollst du sehen, daß ich wohl zu brauchen bin«, sagte der kluge Martin und schritt über die Brücke davon, dem Walde zu.
Wie er nun in den Wald hineinkam, sah er einen Metzger des Weges ziehen, der führte ein Kalb mit sich. Der kluge Martin schlich seitwärts durchs Unterholz und gewann so ungesehen auf einem Fußpfad einen Vorsprung. Dann bog er wieder auf die Straße ein, die der Metzger mit dem Kalb daherkommen mußte, nahm Messer, Gabel und Löffel aus dem Ledertäschchen und warf die leere Hülle mitten auf den Weg. Nachdem er eine Strecke gegangen war, ließ er die Gabel fallen. Und wieder nach einer Weile den Löffel und das Messer zusammen. Drauf versteckte er sich in der Nähe und wartete, bis der Metzger mit seinem Kalbe zwischen den Bäumen auftauchte. Jetzt war er bei dem Ledertäschchen angekommen, hob es auf und besah sich`s genau. Er dachte aber wohl: »Was kannst du mit diesem nichtsigen Lederzeug anfangen? Ist ja des Aufhebens nicht wert«, – warf es wieder auf den Weg und zog weiter. Nun kam er an die Stelle, wo die Gabel lag. Er sah sie nur von obenher an und ging weiter, ohne sich nach ihr zu bücken. Als er aber danach den Löffel und das Messer fand, hob er beide auf und steckte sie in die Tasche. »Jetzt wäre es doch gut, wenn ich das ganze Besteck beisammen hätte!« überlegte sich der Metzger, band das Kalb an einen Baum und lief zurück, um die Gabel und die Lederhülle zu holen. Inzwischen sprang der kluge Martin aus seinem Versteck hervor, band das Tier los und trieb es in den Wald hinein. Dabei blökte er beständig wie ein Kalb. Als der Metzger wieder an die Stelle kam, wo er das Vieh angebunden hatte und es nicht mehr vorfand, dachte er: »Es wird sich losgerissen und verlaufen haben« und ging dem Blöken nach, das er aus dem Walde hörte.
Der kluge Martin aber war inzwischen an einen Teich gekommen, hatte dort schnell das Kalb geschlachtet und den abgeschnittenen Kopf ins Wasser geworfen. Dann hatte er sich im Gebüsch versteckt und blökte erbärmlich. Als der Metzger aus dem Walde heraus und ans Ufer trat, glaubte er nicht anders, als daß sein Kalb ins Wasser gelaufen sei und nur noch den Kopf herausstrecke. Deshalb zog er sich flink aus und sprang in den Teich, um es herauszuziehen. Während er aber im Wasser patschte, sprang der kluge Martin aus dem Versteck hervor, nahm die Kleider des Metzgers, samt allem was darin war, unter den Arm und machte sich wie der Wind davon. Dann brachte er alles dem Räuberhauptmann und erzählte ihm, wie er dazu gekommen war. Da war der Hauptmann mit dem Probestück des klugen Martin wohl zufrieden und nahm ihn unter seine Gesellen auf und es dauerte nicht lange, da war Martin der geschickteste und kühnste Räuber weit und breit.
Als die fünf Jahre um waren, dachte er an die Verabredung, die er mit seinen Brüdern getroffen hatte. Er zog vornehme Kleider an, bekam von seinem Hauptmann Kutsche und Pferde geliehen und fuhr vor das Wirtshaus. Da saßen seine zwei Brüder schon am Tische, erkannten ihn aber nicht wieder, bis er sich ihnen zuletzt zu erkennen gab. War das eine Wiedersehensfreude! Martin ließ Braten und Wein auftragen, und sie waren miteinander vergnügt bis in die späte Nacht hinein.
Gerade in dieser Nacht aber geschah es, daß der Räuberhauptmann mit seiner ganzen Bande gefangengenommen wurde. Der kluge Martin war der einzige, den die Schergen nicht erwischten. Da ließ der König durch einen Herold bekanntmachen, daß derjenige, der den klugen Martin lebendig oder tot herbei- schaffe, tausend Gulden zum Lohn erhalten solle. Das hörte der kluge Martin selbst ausrufen, als er am andern Morgen mit seinen Brüdern in der Wirtsstube saß. »Habt ihr`s gehört: Tausend Goldgulden ist dem König mein Kopf wert! Die soll kein anderer einstecken als ich selber, verlaßt euch drauf!« sagte er, verkaufte die Kutsche samt den schönen Pferden davor und kaufte sich dafür einen alten Krämerwagen. Darauf lud er ein Faß voll Branntwein, zog die lumpigsten Kleider an, die er auftreiben konnte, und fuhr so zum Tor hinaus, ohne daß ihn jemand erkannte.
Froh und guter Dinge fuhr er dahin. Wie er aber in die Nähe der Brücke kam, war diese von fünfundzwanzig Husaren umstellt, die ihn auf Befehl des Königs gefangen nehmen sollten. Martin besann sich nicht lange. Er tat, als wäre er betrunken, sang und schrie und taumelte hinter dem Wagen drein von einer Straßenseite zur andern. Gerade vor der Brücke aber trieb er das Pferd so heftig auf die eine Seite, daß ein Rad in den tiefen Graben geriet und der Wagen umfiel. »Ach , ich armer Mann! Ach , ich armer Mann!« jammerte er und versuchte den Wagen wieder aufzurichten. »Oh, jetzt ist alles hin! Alles und der gute teure Schnaps dazu! Helft mir doch, Soldaten! Soll mir auf ein paar Schoppen nicht ankommen!«. Da legten die Husaren wacker Hand an, und der kluge Martin schenkte zum Dank jedem ein großes Glas Branntwein ein und füllte nach, bis die Husaren so betrunken waren, daß keiner mehr lallen konnte und einer nach dem andern wie ein Sack in den Graben fiel. Da holte der kluge Martin aus seiner Höhle fünfundzwanzig Kapuzinerkutten, zog sie den Husaren an und fuhr die Kerle dann in der Nacht zur königlichen Schloßwache. Ihr könnt euch denken, was der König am andern Morgen für Augen machte, als er die Kapuziner in der Wachstube antraf! Er fragte alle Diener und Knechte und Hofleute, ob sie in der Nacht nichts Verdächtiges gesehen oder gehört hätten. Niemand konnte ihm eine Auskunft geben; jedoch die junge Königstochter sprach: »Das hat niemand anders als der kluge Martin getan!« – »Daß ich daran nicht gedacht habe!« sagte der König und schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Du bist klug, mein Kind. Rate mir: Wie, meinst du, kann man wohl den klugen Martin am besten fangen?« – »Mir dünkt, das dürfte nicht so gar schwer sein, lieber Vater«, antwortete die Prinzessin. »Laßt einmal einen öffentlichen Tanz im Schloß ausrufen und bald da, bald dort Goldstücke auf den Boden des Saales legen. Der kluge Martin wird bei dem Fest gewiß nicht fehlen, und wenn er das Gold sieht, so kann er es nicht liegen lassen, sondern wird es aufheben und in die Tasche stecken. Daran werdet Ihr ihn leicht erkennen und ihn dann festnehmen können.«
Der Rat der Tochter gefiel dem König, und er ließ darum sogleich landauf, landab durch einen Herold den Tanzabend ausrufen. Ehe aber die ersten Gäste eintrafen, streute er eine Tasche voll Goldstücke im Saale aus, so wie die Prinzessin es ihm geraten hatte. Wahrhaftig – die Pforten des Schlosses waren kaum eine Weile geöffnet, so erschien der kluge Martin im Saale, mit dem allerfeinsten Gewand angetan und von einem Diener begleitet. Niemand aber wußte, wer dieser fremde Herr war. Wie er nun da die Goldstücke am Boden zerstreut liegen sah, dachte er bei sich: »Die lägen in meiner Tasche viel weicher und besser als hier auf den harten Dielen.« Und er überlegte sich, wie er die Goldvögel am besten einfangen könne, ohne dabei ertappt zu werden. Als der erste Tanz zu Ende war, ging er hinaus zu seinem Diener und befahl ihm, eilends Pech zu holen. Dann machte er das Pech warm, strich`s auf seine Schuhsohlen, ging wieder in den Saal zurück und tanzte, daß es eine Art hatte; einige Male ,sogar mit der schönen Prinzessin selber. Sooft aber ein Tanz zu Ende war, verließ er den Saal und hieß draußen seinen Diener die Goldstücke abnehmen, die an den Pechsohlen hängengeblieben waren. Ein dutzendmal, wenn nicht mehr, trieb er es so und trug manches blanke Goldstück hinaus, ohne daß die geheimen Späher des Königs ihn als Dieb hätten entlarven können. Im Gegenteil, der kluge Martin hatte noch einen viel kostbareren Fang als die paar Dutzend Goldvögelein gemacht. Die Prinzessin nämlich hatte ihn wohl erkannt und der stattliche, kühne Bursche hatte ihr so gut gefallen, daß sie den ganzen Abend mit keinem andern tanzen wollte. Als das Fest zu Ende ging, nahm sie ihn heimlich auf die Seite und sagte: »Nimm dich in acht, Martin; mein Vater will dir ans Leben. Aber sei ohne Sorge, ich werde alles schon zum rechten Ende bringen.«
Nun war also der Tanzabend aus, und der kluge Martin war weder erkannt noch gefangengenommen worden. »Es fehlen mehr als dreißig Goldstücke!« sagte der König am andern Tage zu seiner Tochter. »Also ist er dagewesen! Mir ist das ein Rätsel. Wenn ich nur wüßte, wie ich den Kerl in die Hand bekommen könnte! Kannst du mir nicht noch einen Vorschlag machen?« Da besann sich die Prinzessin eine Weile und sagte: »Laßt ein Turnier ausschreiben und versprecht mich dem Sieger als Preis. Der kluge Martin wird bestimmt an dem Kampf teilnehmen und ihn gewinnen. So erkennt Ihr ihn sicher und könnt ihn inmitten Eurer Ritter und Hofleute leicht gefangennehmen lassen.« »Ja, so will ich`s machen!« sagte der König, rief seinen Schreiber, hieß ihn ein großes Turnier ausschreiben und darin versprechen, daß er dem Sieger im Kampfe seine einzige Tochter zur Frau geben wolle.
Da zogen aus allen vier Enden der Welt Fürsten und Grafen und Ritter und Edelleute herbei, ritten in die Schranken und turnierten tapfer und hätten ein jeder gerne die schöne junge Königstochter gewonnen. Wer aber über alle den Sieg davontrug, das war der kluge Martin. Anstatt ihn aber mit seiner Tochter zu verloben, wollte der König ihn vor den versammelten Gästen binden und in den Kerker werfen lassen. Da aber schritt die Prinzessin auf den tapferen klugen Martin zu, küßte ihn und sprach: »Den will ich zum Manne haben und keinen andern! Das müßt Ihr wissen, Vater! Ich liebe ihn und Ihr haltet Euer königliches Wort!« – »So sei es!« riefen alle, kamen herbei und drückten dem glücklichen Paare die Hand. Nun trat auch der König freudig herzu und gab den beiden seinen Segen. Bald danach wurde die Hochzeit gefeiert; und also bekam der kluge Martin, der einst ein armer Schustergeselle war, eine Prinzessin zur Frau und wurde am Ende König in einem großen Reiche.