Unbekannte Verfasser
Schwäbische Volksmärchen
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Das irdische Paradies

Vor langer Zeit lebten einmal drei Gesellen: der lange Veit, das Dickerle und der Klughansel; die gingen miteinander auf Wanderschaft in die weite Welt hinaus. Sieben Jahre waren sie nun schon unterwegs und hatten viele fremde Länder mit ihren Seltsamkeiten und Wundern gesehen. Am meisten erstaunt waren sie aber, als sie eines Tages plötzlich vor einem mächtigen, steilen Berg standen. »Was für ein Land mag wohl auf der andern Seite des Berges liegen?« sagte der lange Veit. »Wir wollen die Leute fragen, die in der Nähe wohnen. Die werden's bestimmt wissen«, sagte Klughansel. »ja, fragt doch mal die Leute«, meinte auch das Dickerle, das nicht bloß beim Marschieren, sondern auch mit seinen Gedanken immer hintendrein kam. Es dauerte gar nicht lange, bis sie einigen Männern begegneten. Der erste, den sie anhielten und nach dem Land hinter dem hohen Berge fragten, wußte nichts darüber, schüttelte den Kopf und tappte weiter. Der zweite legte bloß den Zeigefinger über den Mund und schlüpfte um die nächste Ecke. »Das muß schon was ganz Besonderes sein, Gesellen!« meinte Klughansel. »Hinter dem Berg liegt das Paradies! Ihr mögt mir's glauben oder nicht!« – »ja, das glauben wir auch«, sagten die beiden andern. Weil sie nun aber schon so viel Herrliches und Verlockendes vom Paradies hatten erzählen hören, wollten alle drei es auch einmal mit ihren eigenen Augen sehen.

Nun ging dies aber nicht anders, als daß zwei unten blieben und schoben und so dem dritten, nach Kräften auf den steilen Berg halfen. Weil der Klughansel es gewesen war, der hinterm Berg das Paradies vermutete, sollte er auch als erster hineinsehen dürfen. Endlich war er oben, und die beiden Kameraden riefen ihm zu, er solle erzählen, was er alles sehe. Doch er lächelte nur herab und ging rasch über den Berg. Dann machte sich der lange Veit an den Aufstieg. Er mußte aber dem Dickerle für seine Hilfe hoch und heilig versprechen, daß er ihm sagen werde, was es drüben im Paradies alles zu sehen gebe. Der versprach's. Als er aber oben angelangt war, machte er es wie der Klughansel – er lächelte nur herab und verschwand hinter dem Berge.

Inzwischen war eine Menge Leute aus den Dörfern herzugeströmt und hatte dem Treiben voller Neugier und Spannung zugesehen. Und weil der Hansel und der Veit so sonderbar herabgelächelt hatten und so rasch hinter dem Berg verschwunden waren, glaubten alle, daßjenseits wirklich etwas Wunderbares, ja nichts anderes als das Paradies liegen müsse. Darüber wollten sie nun Gewißheit haben. »So helft mir auf den Berg«, sagte das Dickerle; »ich werde euch bei meiner ehrlichen Gesellenseele, sobald ich droben bin, Rede und Antwort stehen, so gut ich's vermag.« Da halfen sie ihm alle auf den Berg; banden ihm aber, ohne daß er es merkte, ein Seil an den Fuß, damit sie ihn sogleich herabziehen könnten, falls auch er sein Wort nicht halten und 'hinterm Berg verschwinden wollte. Das Dickerle kraxelte und prustete mehr als drei Stunden an dem steilen Felshang hinauf; endlich aber war es droben. Kaum hatte es einen Blick ins jenseits getan, fing es,an zu lächeln und wollte ins Paradies hinüberspringen. Die drunten aber zogen ihn an dem Seil gerade noch rechtzeitig vom Berg herab. Alle stürmten nun auf ihn ein und wollten wissen, was Schönes er geschaut und wie es im Paradies drüben aussehe. Der arme Geselle öffnete den Mund und versuchte' zu reden – aber er war plötzlich stumm geworden. So erfuhren die neugierigen Menschen – wie schlau sie's auch angestellt hatten – doch nichts vom Paradies und haben auch bis auf den heutigen Tag kein Sterbenswörtchen darüber erfahren.

 


 


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