Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Übertragung von Walther Petry

Agnolo Firenzuola

Doppelte Täuschung

Zu unserer Väter Zeiten lebte in Florenz ein sehr reicher Kaufmann, Matteo del Verde mit Namen, dessen Frau im Urteil Aller für die schönste Dame unserer Stadt galt. Aber von allen ihren Tugenden war keine größer als ihre Ehrbarkeit; indem sie darzulegen schien, daß neben dieser Zierde ihres Geschlechtes alles andere gering ward, ließ sie weder in der Kirche noch auf der Straße, weder bei der Tür noch beim Fenster seitwärts einen verbotenen Blick fallen, bemerkte keinen Mann, es sei denn ihr eigener, und schlug auch zu ihm die Wimpern nur in Züchten auf. Daher es dann kam, daß alle die ob ihrer wunderbarstrahlenden Schönheit sich an sie hingaben, binnen Kurzem alles Werben ließen, ohne nur durch einen Blick sich gelohnt fühlen zu können, und dies ging so lange, wiederholte sich so oft, daß ich glaube, die Legion Klagen die aus dem Munde dieser Verschmähten auf zum Himmel stieg, vermochten es endlich, Amor aus seiner Ruhe zu scheuchen und ihm die Rache für alle ungestillten Peinen als sein besonderes Werk anzubefehlen. Zur selben Zeit war nämlich in Florenz ein Jüngling vornehmen Geschlechts, Messer Pietro degli Anastagi, der Geistlicher, und Inhaber, außer anderen Pfründen, auch einer schönen Abtei war, weswegen man ihn den Abate nannte. Ich erinnere mich, daß, ein noch kleines Mädchen Diese Novelle hat Firenzuola seine Schwägerin Bianca erzählen lassen., ich ihn als einen trotz seines Alters schönen Mann gekannt habe. Dank dieses Begnadeten großer Schönheit konnte nun die Dame nicht anders als alle herbe Hoffart aus ihrem Herzen zu verscheuchen und sich ihm in entschiedenster Liebe zuzuwenden: immerhin ließ sie sich, getreu ihren Grundsätzen, nichts davon merken und genoß seine Schönheit nur in schuldloser Sphäre des Geistes, oder in sehr heimlichem Gespräch mit einer Dienerin, die, gleichen Alters mit ihr und mit ihr erzogen, als ihre getreue Freundin sich oft erwiesen hatte; und so ertrug sie das heimliche Feuer ihrer Liebe denn, wie Zeit und Umstand es eben schicken wollte. Als sie nun diese Qual viele und wieder viele Tage erduldet hatte, kam ihr der glückliche Gedanke, sich ihrer Liebe auf so heimliche und ebene Weise zu erfreuen, daß weder der Abate noch irgend jemand davon auch nur den Schatten einer Ahnung gewinnen sollten. Zu diesem Zwecke erteilte sie Laldomine, dies war der Name des Mädchens, den Befehl, sie möge, so oft sie nur den Priester sähe, mit Augenwink und heimlichen zarten Gebärden ihm zu verstehen geben, daß sie in ihn verliebt sei; auf diesem Wege, war ihre Meinung, müßte es leicht sein, den Abate in Laldomine verhebt zu machen, die nicht nur hübsch, gewandt und zierlich war, sondern in ihrer besonderen Kleidung, die aus der einer Dame und der einer Dienerin sich eigentümlich mischte, auch einen wunderbaren Geschmack dartat.

Als nun die beiden Frauen in eines Morgens reiner Frühe – ich weiß nicht, welcher Festtag gerade war – in Santa Croce wandelten und hier den Abate trafen, setzte das folgsame Mädchen die Befehle ihrer Herrin unauffällig und emsig ins Werk, wiewohl, wie sie bald merkte, umsonst, weil jener unschuldige Priester entweder noch zu jung, und erfahrungslos in derlei verborgenen Dingen war, oder weil er wirklich nichts sah oder nichts sehen wollte. Indessen war in der Gesellschaft des Abate ein anderer Jüngling, Carlo Piombini, auch Florentiner, der schon seit einiger Zeit sein Herz an Laldomine verloren hatte, dieser nun sah ihre Blicke, deutete sie richtig und entwarf, zwischen Augensenken und -heben einen Anschlag, den er bei nächster Gelegenheit auszuführen sich vornahm.

Nachdem er an einem der nächsten Tage dem Gatten Agnolettas – so hieß die junge Dame – als dieser auf einige Tage von Florenz wegritt, begegnete, begann Carlo, der eben dieses Eintreffen für seinen Plan abgewartet hatte, allabendlich zwischen neun und zehn Uhr die Straße hinabzuspazieren, wo die beiden Frauen wohnten. Da erblickte er einmal Laldomine, die mit einem Licht in der Hand in dem niedrigen Fenster eines nebengelegenen Stiegenhauses sichtbar wurde, sie war für ihre Herrin Wasser holen gegangen und stieg zur Wohnung nun wieder empor. Kaum hatte Carlo sie erspäht, als er sich schon ans Fenster drückte und sie mit ganz leiser Stimme bei ihrem Namen rief. Verwundert darüber verbarg sie zunächst das Licht, und kam, statt den Flügel zu schließen und ihren Pflichten zu folgen, wie für ein Frauenzimmer, das Scherzen nicht gewillt war, es sich geschickt hätte, dicht zum Fenster und flüsterte: »Wer ist da?« Unverzüglich antwortete Carlo, ihr Freund, den sie ja wohl kenne, stehe da unten und wolle mit ihr ein paar Worte reden. »Was für ein Freund?« entgegnete sie. »Ihr tätet klüger, Eure Geschäfte zu pflegen; daß Euch die Scham versenge! Beim Kreuz Gottes, wenn unsere Männer daheim wären, würdet Ihr so etwas nicht wagen; es scheint Euch recht zu sein, daß wir allein sind. Schert Euch zum Kuckuck, Ihr windbeuteliger Patron, der Ihr seid, sonst lasse ich diesen Krug hier auf Euren zierlichen Scheitel fallen.« Carlo durch solche Abweisungen, deren Art und Wesen er kannte, nicht im Geringsten entmutigt, nahm die Schroffheit dieser Rede für das was sie wert war und bat sie mit den süßesten Wörtchen der Welt, ihm doch zu öffnen; zum Schluß noch anfügend, er sei der Abate. Als das gute Mädchen hörte, er nenne sich den Abate, wurde sie etwas geneigter und erwiderte, weniger unerbittlich wie vordem: »Und was denn für ein Abate? Was soll ich mit Abaten, Mönchen oder ähnlichem weibergerocktem Haufe anfangen? Macht das einer Anderen weiß! Ihr stündet, wäret Ihr Priester, um diese Stunde nicht hier, ehrwürdige Männer schweifen nicht in der Nacht herum, um im Hause anständiger Leute Frauen zu stellen und ihnen lästig zu fallen.« »Meine Laldomine,« gab Carlo zur Antwort, »die übermäßige Liebe, die ich für Euch hege, zwingt mich, Dinge zu unternehmen, die vielleicht verboten und nicht recht sind. Wenn ich dir also jetzt Verdruß bereite, habe darüber kein Verwundern, meine Sehnsucht, Liebe, mein ganzes Herz vor dir auszubreiten, läßt mich alles versuchen, dir, wie es nur eben geht, zwei Worte zu sagen. Sei also gütig, Madonna, mir ein wenig zu öffnen, denn das Gewähren solcher Geringheiten ziert jedes menschliche Herz.« Auf diese liebenswürdigen Worte hin erwachte das Mitleid in Laldomine, und nunmehr überzeugt, es sei der Abate, war sie ihm zu öffnen schon bereit, als ihr einfiel, daß es zur größeren Sicherheit doch gut wäre, ein sicheres Zeichen dafür, daß er der Abate sei, zu verlangen. So entschloß sie sich denn die Sache um vierundzwanzig Stunden hinauszuschieben, und sagte, ihre Rede durch mutwilliges Gelächter immerfort belebend: »Ah, Schäker, geht nur, geht nur, Ihr meint, daß ich den, für den Ihr Euch ausgebt, nicht kennte? So ich es gewiß wüßte, daß Ihr der Abate seid, würde ich ja öffnen, und dies nicht wegen irgendwelcher unschicklicher Dinge, sondern nur aus Neugier, zu hören, was Euch so dringlich am Herzen liegt, und um unserm Matteo später von den Streichen zu berichten, die Ihr anhebt, wenn er den Rücken wendet. Aber wenn Ihr es dann nicht wäret! O ich Beklagenswürdige! Ich müßte mich für das getäuschteste Frauenzimmer in Borgo Allegri halten! Kommt also morgen um drei Uhr Nachmittag hier vorüber, ich werde unter der Tür warten, und zum Zeichen, daß Ihr der seid den Ihr vorgebt zu sein, putzt Euch, wenn Ihr gerade vorbeigeht, Eure ehrwürdige Nase mit diesem Tuch« – damit ließ sie ein rein schwarz Seidentüchlein in seine Hand fallen und fuhr fort – »wenn Ihr das tut, so verspreche ich Euch, so Ihr morgen Abend zu dieser Stunde wieder herkommt, Euch einzulassen, damit Ihr kürzlich sagen könnt was Ihr wollt, in Ehren freilich und nichts anderem.« Damit schloß sie das Fenster, ohne ihm nur einen Finger zum Abschied zu reichen, lief auf dem kürzesten Weg zu ihrer Herrin, um ihr alles, wie es sich zugetragen hatte, zu berichten. Die Frau hatte eitel Freude über diese Sache und hob, zur Danksagung, und wie es aller frommen Frauen Gebärde ist, die Hände zum Himmel, da sie nunmehr sicher war, am morgigen Abend ihre Gedanken zur Tat umwandeln zu können; sie küßte und umarmte das Mädchen ein übers andere Mal und dankte ihr herzlich.

Unterdessen war Carlo nach Hause gekommen und hatte sich zum Schlaf gelegt, indessen, voll von der Unruhe, wie er es morgen anstellen sollte, die ihm auferlegte Probe zu erfüllen, konnte er kein Auge schließen. Von denselben Überlegungen gepeinigt, erhob er sich am Morgen und ging um die Stunde der Messe in die Nunziata, wo er einen seiner Freunde antraf, der den ganzen Tag mit dem Abate zusammen zu sein pflegte. Diesem Freunde erzählte er sein ganzes Erlebnis in der verflossenen Nacht, von ihm in dieser schwierigen Sache Rat und Beistand erbittend. Sofort sagte ihm der, er solle guten Mutes sein, diese Sache würde er selbst zur angegebenen Stunde zu gutem Ende führen. Er ließ sich das Erkennungstüchlein geben und empfahl sich. Als es dann an der Zeit war, ging dieser hilfreiche Freund zum Abate und holte ihn unter dem Vorwande eines abendlichen Spazierganges ab; von einem Thema zum andern übergehend führte er ihn unmerklich zum Hause Agnolettas, ohne daß der würdige Priester die geheime Absicht seines Begleiters auch nur erahnte. Eben als sie an der fraglichen Tür waren, reicht dieser ihm das Tuch mit den Worten: »Putzt Euch ein wenig die Nase, Freund, sie ist schmutzig.« Weit entfernt etwas dabei zu denken, nahm der Ábate das Tuch, säuberte sorgsam seine Nase und mit einer Gründlichkeit, daß Laldomine und Agnoletta, die es sahen, fest überzeugt waren, er habe diese umständliche Geste nur des Zeichens wegen getan. Beide waren sie davon höchlichst befriedigt. Als die beiden jungen Männer unter weiteren Gesprächen bis auf die Piazza de San Giovanni gekommen waren, verabschiedete sich der Freund vom Abate und ging Carlo aufsuchen, der ihn an der Ecke der Pupilli erwartete. Er berichtete ihm den Hergang und verließ diesen Jüngling völlig zufriedengestellt.

Der Abend kam und gegen neun Uhr machte sich Carlo auf den Weg zu dem Hause der zwei Frauen. Er postierte sich unter demselben Fenster wie am Vorabende, wartend auf Laldominens Kommen. Es dauerte auch nicht lange, so erschien sie, zur Eile getrieben von der, die noch begieriger auf die Begegnung war denn er, am Fenster; als sie ihn sah und als den Richtigen ihn zu erkennen glaubte, gab sie mit ihrer Hand einen Wink, zur Tür zu kommen. Er fand sie offen und trat ins Haus; eben drinnen, wollte er das gute Mädchen umarmen und küssen, sie aber, nach ihrer Herrin Willen, bedeutete ihm regungslos und ruhig zu warten, bis ihre Dame schlafen gegangen sei. Dann ließ sie ihn, als ob sie gerufen worden wäre, im Saale des Erdgeschosses stehen und eilte zu Agnoletta, die in Ungeduld nach dem Ende dieses Handels fast verging. Ihr Glück zu schildern, als sie erfuhr, daß der Abate im Hause sei, ist unmöglich; auch wird der weitere Verlauf der Novelle alles Nötige darüber sagen. Sie hatte schon vorher in einem Nebengemach des Saales ein gediegenes weichfederndes Bett mit feinstem Linnen verhüllt herrichten lassen, und befahl jetzt, den Wartenden dorthin zu geleiten, daß er sich niederlege. Laldomine kehrte zu Carlo zurück, führte ihn im völligem Dunkel und leise, daß niemand anderes etwas merke, zu dem bestimmten Gemach, hieß ihn sich auskleiden und zu Bette gehen; dann verließ sie ihn unter dem Vorwande, ein letztes Mal nachsehen zu müssen, ob ihre Herrin schon schlafe. Es dauerte nicht lange, so kam Frau Agnoletta, frisch, weich und angeregt aus einem Bade, duftend von Wohlgerüchen, und schlüpfte, ohne weiteren Aufenthalt, statt Laldominens an seine Seite. Und obwohl die Dunkelheit den wahren Glanz ihrer Schönheit ins Ungewisse hinein verhüllte, strahlte sie doch so sehr, daß die Finsternisse der Nacht ein wenig abwichen und sie sichtbar machten. Wie nun die beiden Liebenden, der eine, im Glauben er liege bei Laldomine, die andere, sie weile an des Abaten Seite, ängstlich vor dem Verrat ihrer Heimlichkeit vermieden, ein Wörtchen zu sagen, erwiesen sie sich doch in straffer Umarmung, hingebenden Küssen, nur erdenklichen Liebkosungen so viel zärtliches Glück, wie man es einem solchen Paare nur wünschen kann; und wenn dennoch dann und wann ein Liebeswort aus ihrem Munde drang, flüsterten sie es so leise, daß nichts zu erraten war, und sie betäubt von der sich gegenseitig steigernden Leidenschaft in Wonnen wie in feurigen Meeren sich verloren. Was mich am meisten, wenn ich daran denke, lachen macht, ist die Befriedigung, die sie alle beide empfanden, dadurch, daß sie beide durch eine hübsch eingefädelte List die Frucht ihrer Sehnsucht gepflückt hatten: ihre Freude, daß sie ihn betrog, war seiner Freude gleich, daß er sie hinterging, und sie betrogen einander mit so viel Innigkeit, daß jedes bei der süßen Täuschung das größte Glück empfand. Ohne einander also zu beargwöhnen, ging die Nacht unter den Spielen eitler Herzensfreuden zu Ende, begonnen in Entzücken und beschlossen in Lust, so reinen und starken Klanges, daß sie gewünscht hätten, sie hätte eines Jahres Dauer.

Wie dann der Morgen dämmerte, erhob sich Madonna Agnoletta, leise, und als ob sie nach ihren Dingen sehen müßte, und ließ in Kurzem Laldomine an ihre Stelle treten. Die hieß Carlo sich ohne Verzug ankleiden und führte ihn durch ein verborgenes Pförtchen auf die Straße. Daß dies aber nicht das letzte Mal sei, und das Glück ihrer Herzen nicht im Beginnen ende, verabredeten sie, so oft Matteo fern sei, sich wieder zu treffen; so fanden sie sich nach dem Willen eines geneigtem Schicksals noch oft zu ähnlich schönen Nächten zusammen, ohne daß einer des anderen Geheimnis je erraten hätte.

Bedenkt nun, oh schöne Damen, ob dieser Dame unternehmender und wagender Geist nicht groß war, die unter dem Namen einer anderen und ohne eigentliche Gefahr für ihre Ehre, mit etwas anderem als Worten ihres Herzens Begehren stillte.

*

 


 << zurück weiter >>