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Eine Rose.

Von Jaroslaw Vrchlicky.

Es war im Monat des Osterfestes. Fast gerade in der Mitte der Straße del Corso, welche zu jener Zeit – gegen das Ende des dreizehnten Jahrhunderts – das Herz von Florenz bildete, stand dem Hause des Bäckers Folco Portinari gegenüber, ein Jüngling von schlanker Gestalt, in einen engen schwarzen Mantel gehüllt, wie er in jener Epoche von den Baccalaureen der hohen Wissenschaft allgemein getragen wurde.

Er stand hier schon lange – offenbar erwartete er Jemand. Die goldene Frühlingssonne tauchte die Straßen in ein Meer von Licht. Die ungewöhnlich frische Luft schimmerte noch nicht in dem tiefen Azur des Sommers; aber es lag etwas ungemein Traumseliges in den weichen Wogen, mit welchen sie die spitzen Giebel der Patrizierhäuser, den Turm und die Kuppeln der zauberhaften Stadt übergoß.

Der Jüngling stand wie ein Steinbild da und starrte unverwandt auf einen Strauch blühender Rosen vor dem Hause hin. Es waren volle, große Rosen von märchenhafter Schönheit und berauschendem Duft.

Indessen näherte sich mit bedächtigem Schritt, das Haupt zur Erde geneigt, ein Mann, ebenfalls schwarz gekleidet, in Gewändern eines reichen Patriziers. In der Hand hielt er eine Pergamentrolle. Bald las er mit halber Stimme, bald lächelte er. Etwa zwei Schritte von dem Jüngling entfernt blieb er stehen, legte die Hände kreuzweise über die Brust und schaute ihm aufmerksam zu. Der Jüngling empfand lange Zeit gar nicht, daß er der Gegenstand der Beobachtung eines anderen sei. Endlich aber erwachte er aus seinem Hinbrüten, streckte die Arme aus und schritt dem Nahenden entgegen.

»Mein Guido!« rief er aus und griff unwillkürlich nach der Rolle, aus welcher dieser vor einer Weile gelesen hatte.

»Nicht so ungestüm, Durante«, antwortete der Angesprochene ausweichend und hob die Rolle über seinen Kopf, als wollte er seinen Freund necken, »nicht so ungestüm!«

»Du weißt, ich glühe vor Sehnsucht«, bemerkte der Jüngling.

»Sehr begreiflich: Wer liebt, glüht immer vor Sehnsucht –« sagte Guido langsam, als wären seine Worte ein Citat.

»Du verspottest mich!«

»Nein, Freund, aber ich weiß nicht, ob Dich meine Antwort befriedigen wird. Ich habe in der Frage der Liebe meine eigene Anschauung, eine andere, als Du und Cino.

»Und Dante da Majano«, warf der Freund ein. »Ich weiß wohl, ich weiß. Aber gieb mir das, ich beschwöre Dich. Gerade an Deiner Antwort ist mir am meisten gelegen. Hier hast Du – dabei griff er in die zur Seite hängende Tasche – »die Antwort Dante da Majanos; ich bin fast beleidigt durch die Art, in der er von der Liebe spricht. Seine Worte sind so niedrig, wie der Gesichtskreis seiner Seele. Um so mehr begehre ich Deine Antwort zu wissen. –« Und wieder streckte er die Hand nach der Pergamentrolle aus.

Aber Guido Cavalcanti hielt das Pergament mit starker Hand über seinem Kopfe und sagte mit verdüstertem Antlitz:

»Laß ab, Durante, laß ab. Auch meine Antwort wird Dich nicht befriedigen. Wie viele von uns sind treu in der Liebe, und wie faßt sie jeder anders auf! Cino findet sie nur in Eindrücken, Dante da Majano in der Sinnlichkeit, Du – im glühenden Herzen und ich – im kalten Verstande. Für mich ist der höchste Gegenstand der Liebe die Philosophie. Sie ist die süße Göttin, die mich beherrscht. Ecce deus fortior me! – Wer von uns hat Recht?« –

»Gieb mir Deine Antwort! gieb her – ich glühe vor Ungeduld«, rief der Freund.

Plötzlich, gerade in dem Augenblick, da Guido Cavalcanti dem Freunde seine poetische Antwort auf sein Sonnett hinreichte, öffnete sich das Pförtchen des Gartens, der an Folco Portinaris Haus stieß, und heraustraten zwei Matronen mit ernsten, strengen Gesichtszügen, schon ergrautem Haar, in reichen, aber einfachen Gewändern. Ihnen folgte die Straße herauf ein Mädchen von schlanker Gestalt, in ein schneeweißes Kleid gehüllt, den Kopf leicht zur Erde geneigt, mit einem zarten Rot auf dem blassen, durchsichtigen Antlitze. Sie trat zwischen die beiden Matronen und schritt mit ihnen die Straße weiter.

» Tanto gentile e tanto onesta pare la donna mia« (So schön bist Du und so edel, meine Herrin!) sprach leise, vor Rührung und heiliger Scheu fast bebend der Freund Guido Cavalcantis. Dieser, obwohl älter und kühler, war nicht minder gerührt. Er legte seine Hand auf den Arm des Freundes und wiederholte traurig die letzten Worte eines seiner Sonnette: » Che va dicendo all' anima: sospira!« (Der zur Seele sagt: seufze!) Dann wandte er sich in eine Seitenstraße.

» Ecce deus fortior me, qui veniens dominabitur mihi,« sprach Dante Alighieri leise vor sich hin, wie in Ekstase, immer noch an demselben Orte stehend, den Blick auf das Ende der Straße geheftet.

»Ah, Messer Durante«, wurde hinter ihm eine Stimme laut – »zu welcher Canzone sucht Ihr gerade den letzten Reim?« –

Der Angesprochene wandte sich schnell um, wie Einer, der plötzlich aus dem Schlafe geweckt wird.

Vor ihm stand das Muster eines vollendeten Elegants jener Zeit. In der einen Hand hielt er einen großen Blumenstrauß, mit der andern schaukelte er leichthin seinen Degen, der an einer reich gestickten Schärpe herabhing.

»Gott mit Euch, Messer Simone! Einen Reim habe ich wirklich nicht gesucht. Das ist nicht meine Gewohnheit: er kommt selbst, und noch früher als man ihn braucht, und mehr als einer, glaubet mir.«

»Wer kennt Euren Stolz nicht: Ihr werdet's Wort nicht haben; und doch weiß ich, daß Ihr ganze Nächte hinbringt über einem Sonnett.«

»Das mag wahr sein, aber über einem vollendeten Sonnett.«

»Vollendeten? – Das verstehe ich bei Gott nicht. Wenn es vollendet ist, so ist es vollendet; was fehlt da noch? Ich würde eher ein ganzes Leben hinbringen über einem unvollendeten.«

»Das begreife ich sehr wohl, Messer Simone. Ihr seht, unsere Wege gehen auseinander.«

»Ihr habt Recht. Ihr sucht hier Reime und ich bin gebeten worden, Bice aus der Kirche abzuholen.«

»Ihr – gebeten worden? – Und von wem?«

»Von ihr, von Bice, der Tochter Folco Portinaris. Ich habe schon ihr Wort, Messer Trovatore, ich hole sie ab als Verlobter – – als Verlobter! Lebt wohl, Sinore, lebt wohl! Wenn Ihr diesen Reim gefunden habt, so laßt's mich wissen.«

Dante hörte nicht mehr. Ein Ozean von Finsternis hüllte ihn ein.

Der Widerhall von Schritten, Gespräch und Lachen scheuchten ihn auf. Sie war es, die aus der Kirche heimkehrte, nachdem der fromme Akt vollendet war.

»Welches Glück, mit Ihnen zu gehen«, schmeichelte Messer Simon, – »mein Leben gäbe ich dafür hin!«

»Ich weiß nicht, ob es wirklich ein so großes Glück ist,« antwortete sie bescheiden.

»Wünschen Sie einen Beweis dafür?« sagte er herausfordernd.

»Glücklich zu sein, wenn das Glück entgegenkommt, vermag Jeder«, erklang ihre Stimme, – und der Dichter fühlte, daß in ihrem Auge eine zerdrückte Thräne zitterte – »aber im eignen Glück der Armen zu gedenken, ist eine größere Kunst.«

»Ich verstehe Sie nicht, Signora. Wessen sollte ich gedenken?«

Bei diesen Worten war sie vor dem Hause angekommen, bei dem Strauche, der von blühenden Rosen überdeckt war.

»Der Leidenden, Signore Bardi, der Leidenden«, sagte sie leise.

Dann pflückte sie die schönste Rose, und ehe Messer Simon es hindern konnte, reichte sie sie dem Dichter mit gesenktem und doch so ganz von der Süßigkeit unendlichen Mitleids erfülltem Blick.

Sie sprach kein Wort – auch er schwieg. Sie gingen in das Haus hinein, er aber auf der Straße drückte dies: üppig erblühte, feurige Rose, welche ihr Auge geweiht hatte durch Thränen himmlischer Milde und unendlichen Mitleids an seine Lippen.

Lange, lange noch stand auf der Straße vor dem Hause des Bäckers Folco Portinari, der junge Durante Alighieri. Unverwandt schaute er die Rose an, erst stumpf, gedankenlos von unendlichem Schmerz hingerissen, dann begann er ihre Blätter zu zerteilen, sah wie die einzelnen Blättchen in zarter Verschlingung sich mit einander verbinden; sein geflügelter Geist stieg an ihnen immer tiefer und niedriger herab. Seine tiefdüstere Stimmung wirkte auf ihn mit solcher Macht, daß die Rose ihm vor den Augen entschwand und nur diese Kreise übrig blieben, die beständig und immer schneller sich bewegten, in einen unbekannten, fürchterlichen, drohenden Abgrund hinabsteigend. Er schaute in dieser Rose in diesem Augenblick die Hölle; die Hölle der Leiden, die er durchlebte, nahm sichtbar Antlitz und Gestalt an und öffnete vor ihm in dieser Rose ihren Rachen. Und seine Thränen strömten auf die Rose herab, glühend, wie geschmolzenes Blei, brennend wie der Schwefelregen Sodoms und Gomorrhas, aber es waren auch Thränen, die reinigten und erhoben. In dem Widerschein der Thränen schien es ihm plötzlich als blühe diese blutige, feurige Rose in seiner Hand, als leuchte sie mit schneeigem Glanze und als hätte ein Sturmwind die Seufzer nach einer andern Seite verweht – sah er im Traum, wie die Rose wuchs, wie sie allmälig zu Riesenformen, wie sie zur leuchtenden Rose des Empyreums heranwuchs, wo jedes Blättchen der Thron eines Heiligen ist und deren Mittelpunkt ein feuriger Strudel, in dem die Liebe weilt, die alle Sterne in Bewegung setzt; und in der Nähe des Mittelpunktes, aus einem der Blättchen, erhebt sich jene Creatura bella bianco vestita und geht ihm entgegen. In der Hand hält sie einen Kranz aus unverwelklichem Lorbeer, dessen Blätter Sterne sind, und durch das Weltall fährt ein Donnerhall, wie das Brausen der Heerscharen und das Getöse stürzender Wasser: Heilig, heilig, heilig – Hosiannah und Hallelujah der unendlichen, ungezählten Engelscharen.

Indem er die Rose an die Lippen drückte, empfand er in der Seele die ersten Umrisse seines großen Gedichts, das allein ihm die Kraft gab, den Verrat der Liebe und des Vaterlandes zu ertragen, und er bemerkte nicht, daß ganz in seiner Nähe der junge Maler vorüberschritt, der, da er ihn mit der Rose in der Hand in tiefes Brüten versunken sah, stehen blieb, um sich seine große Gestalt ins Herz zu prägen und künftigen Geschlechtern zu übermitteln.

finis

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