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Erzählung von Helene von Hülsen.
Vor garnicht langer Zeit führte mich einmal wieder eine freundliche Einladung auf das Besitztum alter Freunde, mit denen ich in meiner frühesten Jugend bekannt, und sogar in vertrautem Umgang gewesen war. Dorf Frebach lag in der Nachbarschaft des Gutes eines lieben, schon längst verstorbenen Onkels, der mich damals gastlich in Jachthal aufgenommen und mir seine besondere Zuneigung gewidmet hatte. Onkel Luithold und Tante Margarete waren mit der Familie des Obersten Tarram, dem damaligen Besitzer von Frebach, in den freundlichsten Beziehungen. Seine beiden Söhne, Emil und Bernhard, von denen der erstere ein flotter Dragoneroffizier, der andere ein Studiosus Juris war, verkehrten häufig in Jachthal, und der erstere schickte sich während eines herbstlichen Urlaubes an, mir, dem damals kaum sechszehnjährigen Mädchen, ein wenig den Hof zu machen. Es schmeichelte mir dieses nicht wenig, und da ich mit der Gesellschaft der Provinzialhauptstadt, in der meine Eltern lebten, noch garnicht in Verkehr getreten, und in bezug auf die üblichen Freuden erwachsener junger Mädchen der aristokratischen Kreise noch eine völlige Novize war, so entzückte mich die Aussicht eines ersten Balles, den Oberst Tarram zu Ehren seiner einzigen Tochter Editha zu geben beschlossen hatte, auf das Lebhafteste. – Die junge Dame war soeben aus einer Berliner Pension auf das Elterngut zurückgekehrt, und Tante Margarete, die eine Freundin ihrer früh verstorbenen Mutter gewesen war, konnte nicht genug von ihrer Liebenswürdigkeit und Schönheit erzählen. Das war damals, vor mehr denn dreißig Jahren, gewesen, als ich hier an der Seite dieser Tante, unter denselben uralten Eichen und Linden wandelte, deren Wipfel heute zu meinen Häupten rauschten, und deren buntschattiertes Laubwerk hin und her ein welkes Blatt zu mir hernieder sandte. Alles war noch wie in jenen, längst entschwundenen Jugendtagen. Und dennoch! – Wie anders blickte das Auge der durch das Leben frühzeitig gereiften Matrone auf die domartige Hallen bildenden Alleen des das Schloß Frebach umgebenden Parkes! – Ja, anders erscheint die Welt, erscheint das Leben wohl dem erwartungsvollen Blicke der Hoffnung als dem über so manche herbe Prüfung schweifenden Rückblick der Erinnerung! –
Ich erhob mich von der Bank unter einer der vielhundertjährigen Eichen, auf der ich mich einige Augenblicke niedergelassen, und mich in diese und ähnliche Betrachtungen zu versenken begonnen hatte. Dann schritt ich, nachdem ich diese ganze, mich so heimatlich anschauende Szenerie nochmals betrachtet hatte, über den, noch immer in leuchtendem Grün schimmernden Wiesenweg in die Waldesnacht der sich vor mir erhebenden Föhren, Eichen und Schwarztannen. Kein Laut, kein Ton menschlicher Thätigkeit ließ sich vernehmen, und mit einer, mir selbst peinlichen Beklommenheit, eilte ich durch das wirre Dickicht der sich zunächst meinen Blicken zeigenden Lichtung zu, der ein schmaler, offenbar wenig betretener Fußpfad entgegenführte. Jetzt war der Ausgangspunkt erreicht, aber befremdet und erschreckt stand ich still, da ich von dem Endziel meiner Wanderung nicht die entfernteste Ahnung gehabt, und mir dieses sonst heute sicher auch schwerlich erkoren haben würde. Ein halbrunder, von Trauereschen und Cypressen nach der Rückseite abgeschlossener, vorn durch ein eisernes Gitter begränzter Begräbnisplatz dehnte sich vor mir, dessen Denksteine und mit Inschriften gezierte Kreuze in dem fahlen, gelbrötlichen Lichte eines Herbstabends zu mir herüberblinkten. Halb neugierig, halb zaghaft trat ich näher, und öffnete die knarrende Eingangspforte. – Gleich vorn, zu meiner Rechten, erhob sich über einem besonders reich geschmückten Hügel ein stattliches Kreuz von weißem Marmor.
Editha Gräfin Wallhof
geborne
von Tarram
las ich mit schmerzlichem Anteil, während das Bild der einstigen Jugendgefährtin sich in strahlender Schönheit vor mir erhob, und ich seufzend der früh Geschiedenen, und ihres, nur zu beweinenswerten Geschickes gedachte. Eine Welt der verschiedenartigsten Gefühle und Erinnerungen flutete durch meine Seele, und letztere drückten mir, heimgekehrt, den Griffel in die Hand, mit dem ich versuchen will, das mir Bekannte aus dem Lebensschicksale eines der lieblichsten, anscheinend nur für Glück und Frohsinn geschaffenen Wesens zu erzählen, denen ich jemals begegnet bin.
Ich zählte, wie ich schon oben gesagt, kaum sechszehn Jahre, als ich damals, vor mehr als einem Menschenalter, begleitet von Onkel Luithold und Tante Margarete, dem nachbarlichen Schlosse von Frebach entgegenfuhr, um dort mein erstes Tanzfest mitzumachen. Nur ein lebhaft empfindendes, bisher von allen solchen Freuden fern gehaltenes junges Mädchen, kann sich von dem Schlagen meines Herzens eine Vorstellung machen, mit dem ich in die festlich erleuchteten Räume des Schlosses und unter die, mir unglaublich groß und glänzend erscheinende Gesellschaft trat, zu der sich ungefähr fünfzig Personen vereinigt hatten. Editha war gleich die Erste, die mir an der Seite ihres Vaters entgegentrat, und mir mit bezauberndem Lächeln ihre zarte Hand entgegen streckte. Es befanden sich mehrere auffallend hübsche junge Damen in ihrer Nähe, obgleich keine unter ihnen auch nur entfernt mit der Tochter des Hauses in Vergleich zu ziehen war. Der Baron, ihr Vater und ihre Brüder, stellten mir eine Anzahl junger Offiziere und Civilisten vor, und Editha suchte mich in der anwesenden Damenwelt möglichst schnell bekannt zu machen. Man engagirte mich zum Tanze, zeichnete mich durch verschiedene, mir sehr schmeichelhafte Aufmerksamkeiten aus, und so fühlte ich mich bald in einem, nie zuvor gekanntem Taumel von Glanz und Frohsinn dahingerissen. Aber immer, zwischen diesem Allen hindurch, suchte mein Auge erneut Editha, die jugendlich strahlende Königin des Festes, und ich wähnte in ihr eine der Prinzessinnen aus meinen, so sehr von mir geliebten Feenmärchen, gefunden zu haben.
»Wer ist denn der Herr in der Husarenuniform, der schon zum zweiten Male mit Ihrem Fräulein Schwester tanzt?« – fragte ich schüchtern Baron Emil, der mich soeben zu dem Beginn einer Française holte. Er lachte heiter, streifte Editha mit stolzem Blicke, und begann mit mir zu tanzen.
»Eine Art von Vetter, obgleich ich den Grad unserer Verwandtschaft momentan nicht genau zu definieren weiß, meine Gnädigste! – Ein hübscher Mensch, nicht wahr, und er scheint noch zudem bis über die Ohren verliebt zu sein!«
»Was ich ihm nicht verdenken könnte!« sagte ich, in mir selbst überraschender Unerschrockenheit. »Ihr Fräulein Schwester ist so wunderschön, und so liebenswürdig zugleich. Ich meine noch niemals einer so reizenden Erscheinung begegnet zu sein!«
Baron Emil wurde ernst.
»Ja, Editha ist ein Liebling Gottes, wie sie es von meinem Vater, von uns Allen ist!« – entgegnete er fast bewegt. »Sie ist schon seit dem Tode unserer unvergeßlichen Mutter des Hauses Sonnenstrahl, und bleibt nur zu wünschen, daß ihre Zukunft einmal nicht minder Glück für sie birgt, als sie es um sich zu verbreiten weiß!« – – –
Die Musik intonierte laut, und so wurde unsere weitere Unterhaltung abgeschnitten. Erst bei dem, bald nach vollendeter Française stattfindenden Souper, zu dem mich Baron Emil an einen kleinen runden, dem von Editha schräg gegenüber befindlichen Tische führte, konnte sie wieder aufgenommen werden.
Es giebt Personen, welche behaupten, daß Alles, was die Netzhaut des Auges einmal klar und gründlich in sich aufgenommen habe, sich dem Betreffenden auch unauslöschlich einzuprägen pflege. Ich stelle die Richtigkeit dieser Behauptung im allgemeinen dahin, weiß aber, – was meine Wenigkeit betrifft, – daß ich sie zutreffend gefunden habe. Jedenfalls sehe ich Editha von Tarram und ihren sogenannten »Vetter« an jenem Ballabende, und zumal an dem zuvor erwähnten Tische so deutlich vor mir, daß ich sie augenblicklich malen könnte.
Ein himmelblaues Kreppkleid umwallte ihre mittelgroße, ätherisch zarte Gestalt, und ein duftig weißer Tüllshawl war als Verwahrung gegen die herrschende Zugluft um die blendenden Schultern geworfen. In dem blauschwarzen, sich in sanften Wellen um die hohe Stirne kräuselnden Haare, glänzte eine weiße Rose. Das klassisch geschnittene, von jungfräulichem Liebreize übergossene Gesicht aber erglühte förmlich vor Glück und innerer Befriedigung, sobald es sich auf ihren Vetter, den Grafen Leo Wallhof, richtete. Dieser schien seinerseits auch nur Augen und Ohren für seine schöne Nachbarin zu besitzen. Jedenfalls sprach er so lebhaft und ausschließlich mit ihr, daß mehr als ein Blick sich mit bedeutungsvollem Lächeln zu diesen Beiden wandte.
»Dieser Gräfliche Husarenoffizier scheint ein artiger Kavalier und interessanter Mensch zu sein!« bemerkte eine ziemlich häßliche, schon etwas ältliche Blondine, die sich mir schräg gegenüber befand, indem sie ihre Lorgnette erhob, und das betreffende Paar mit nicht eben wohlwollenden Blicken streifte.
»Gewandt und pfiffig, aber leichtsinnig und unberechenbar, wie es, Gottlob, doch nur wenige sind!« lautete die von ihrem Tischnachbar, einem ehrbaren Major, gegebene Erwiderung.
»Nun, solche Wildfänge sollen ja, wie häufig behauptet wird, gerade meistens die besten Ehemänner werden!« entgegnete die Blondine spöttisch.
»Ja, wenn sie die Rechte finden und ihnen eine wahre, und glücklich zu Hymens Altar führende Neigung die Flügel stutzt!« rief lebhaft der Major.
Baron Emils Stirne runzelte sich.
»Ich glaube nicht sehr an solche Umwandlungen, wenigstens nicht, wo der Leichtsinn mehr als ein flüchtiges Überschäumen ungezügelter Lebenslust, und gar schon ein, sich von Kindheit an zeigender, zu berechtigten Besorgnissen Anlaß gebender Charakterfehler ist!« sagte er scharf, und sah von den Sprechenden zu mir hin.
Ich blickte erneut bewunderungsvoll auf Editha.
»Aber wenn irgend ein weibliches Wesen eine Sinneswandlung bei ihrem Gatten zu vollbringen befähigt sein sollte, so müßte dieses, wie mir scheint, Ihrem Fräulein Schwester gleichen!« wagte ich einzuschalten.
Mein Tischnachbar blickte ernst vor sich hin, und seufzte vernehmbar. –
»Wer weiß es?« entgegnete er nach kurzem Schweigen. »Editha ist in Wahrheit ein so reich begabtes, seelenvolles Wesen, daß ihr Einfluß auf einen Mann, der ihre Neigung besitzt, und sie seinerseits wahrhaft liebt, vielleicht ein ausnahmsweise großer sein dürfte. Doch was Graf Leo betrifft, – gegen den ich vielleicht mehr als billig eingenommen bin, – so traue ich ihm weder die Tiefe des Gemütes, noch die Festigkeit des Charakters zu, ohne welche ein Mädchen, wie meine Schwester, unmöglich ein dauerndes Glück zu finden vermöchte. Hoffen wir also, daß der Vetter seine ernsthaften Heiratsprojekte im Schilde führt, und daß die derselben augenblicklich so offenbar dargebrachte Huldigung nichts als eine jener gewöhnlichen Galanterieen ist, mit denen er jedes hübsche Mädchen zu überschütten liebt!«
Das Musikchor im Nebensaale intonierte den Cotillon und die Gesellschaft erhob sich, um ihren lockenden Tönen zu folgen. Der Graf hatte Edithas Arm ergriffen, und drängte sich so geschickt und eifrig als möglich der zum Ballsale führenden Thüre zu, um den beliebten Schlußtanz mit der Tochter des Hauses zu eröffnen, während ich von Baron Emil geleitet schüchtern folgte.
»Welch schönes Paar!« dachte ich unwillkürlich, als der schmucke Husarenoffizier, Editha fest umschlingend, nun von neuem an mir vorüberflog. »Es wäre doch schade, wenn sie nicht auch die Reise durchs Leben mit einander anzutreten berufen sein sollten!«
Wochen und Monde waren seit jenem soeben geschilderten Ballfeste in Frebach vorübergezogen, und sie waren für mich besonders inhaltsreich, ja von nachhaltigem Einfluß auf die Gestaltung meines Lebens und meiner Zukunft gewesen. Meine Eltern, die mir eine möglichst frohe, in jeder Hinsicht angeregte Jugendzeit zu bereiten wünschten, hatten mich in dem verflossenen Winter in die geselligen Kreise der Provinzialhauptstadt eingeführt, und es war mir dort mancher unerwartete Triumph, manche Befriedigung meiner mädchenhaften Eitelkeit beschieden gewesen. Ich hatte viel getanzt, manche Anbeter gehabt, und sogar einige » Körbe« ausgeteilt. Bei einer, für den Preußischen Hof arrangierten Festlichkeit hatte ich im lebenden Bilde figuriert, und war sogar bei einer italienischen Quadrille beteiligt gewesen. Ich hatte vornehme, und mich höchlich interessierende Bekanntschaften gemacht und war in vieler Hinsicht vor der Mehrzahl meiner Altersgenossen und Bekannten ausgezeichnet worden. Auch mancher, sich bis in die Gegenwart bewährende Freundschaftsbund war zwischen mir und der, mich dazumal umgebenden Mädchenwelt geschlossen, und eine Quelle stets erneuter Freude und Förderung für mich geworden. Aber nicht Eine, unter diesen allen, hatte mir einen Eindruck gemacht, der sich entfernt mit der Erinnerung an Editha hätte messen können. Sie, die ich doch nur ein einziges Mal gesehen, und für die ich trotzdem ein so tiefempfundenes, außergewöhnliches Interesse hatte. Editha sollte nicht nur dazumal, sondern noch auf Jahre hinaus das Ideal meiner Mädchenschwärmerei, und ein Vorbild für mich selber werden. –
Es war an einem schönen Spätsommernachmittage, als ich an dem Fenster meines Zimmers in Breslau saß, und über den hübsch begrünten Taunzienplatz in die allmählich immer dunkler erglühende Abendröte blickte. Meine Gedanken schweiften in den vergangenen Winter, und den hübschen Badeaufenthalt des Sommers zurück, und ich fragte mich soeben, wann wohl Tante Margarete von Landeck heimkehren, und ob dieselbe ihres Versprechens, uns auf der Rückreise in Breslau aufzusuchen, eingedenk bleiben werde, als ein Pochen an meiner Zimmerthür warnehmbar ward und sie in Person vor mir stand.
»Tante Margarete! Bist Du es wirklich, an die ich in diesem Augenblick so lebhaft gedacht, daß es mir scheinen möchte, als hätte ich Dich mit meiner liebenden Erinnerung herbeigerufen!« rief ich aufspringend, und schlang die Arme um ihren Hals.
»Wirklich und leibhaftig!« entgegnete Tante Margarete heiter, und streichelte zärtlich meine Wange. »Und gut ist es, daß ich sogleich hierher gegangen bin, und Dich, meine liebe Marie, wenigstens daheim antreffe. Deine Eltern sind, wie mir der Diener soeben sagte, für den heutigen Abend zu einem Besuche bei dem Fürsten X. aufs Land gefahren!«
Ich bejahte, nahm dem unverhofften lieben Gast eiligst Hut und Umhang ab, und wies den Diener an, den Thee und Abendimbiß auf meinem Zimmer zu servieren, damit ich den Besuch der Tante recht in Behaglichkeit genießen könne. Und so saßen wir denn bald in einer, von dem Getriebe der Stadt gänzlich ungestörten Gemütlichkeit beisammen, die das Summen des Theekessels und das zierlich bereitete Mahl noch zu verschönern geeignet war.
»Wie geht es bei den Tarrams? Was treibt Editha?« begann ich, sobald die ersten Begrüßungen und Fragen nach Onkel Luithold, der von einem Augenleiden heimgesucht worden, vorüber waren.
»Hast Du denn ihre Verlobungsanzeige mit dem Grafen Leo von Wallhof nicht erhalten?« lautete die, von einem erstaunten Blick begleitete Antwort.
»Also doch!« rief ich, und schlug freudig die Hände zusammen. O, wie nett das ist! Ich habe gleich, von jenem Ballabende an gemeint, daß die Zwei expreß für einander bestimmt sein, und sehr glücklich mit einander werden müßten, und ich mag nicht zählen, wie oft ich es seitdem gedacht, wie sehr ich diese Verbindung herbeigewünscht habe!«
»Nun, walte Gott, daß Editha an der Seite dieses Mannes so glücklich werde, als ich für sie hoffe und erbitte!« sagte Tante Margarete innig und blickte wie flehend nach oben. »Denn Kämpfe genug hat es dem armen Dinge gekostet, bis der Herr Papa endlich seine Zustimmung gab, und hätte sich nicht Baron Bernhard ins Mittel gelegt, die Sache wäre dennoch niemals zu Stande gekommen!«
»Baron Bernhard? Nicht Emil?« warf ich betroffen ein, indem ein nicht ganz behagliches Gefühl mich beschlich, wie es der Zweifel an einer Begebenheit, die wir für ein Glück gehalten, oftmals in uns hervorzurufen pflegt.
»Emil? Wo denkst Du hin Marie! Er allein war es, der sich, trotz aller Thränen und Beteuerungen Edithas: »Daß sie den Grafen Leo oder niemand sonst jemals zu ihrem Gatten nehmen werde«, niemals wankend machen ließ und des Vaters Zustimmung energisch zu vereiteln suchte.«
»Das that er, Tante Margarete! Und er will die Schwester lieben?« fiel ich ihr ins Wort. »O, wie schlecht, wie unfreundlich war das! Fürwahr, das hätte ich ihrem, Editha angeblich vergötternden Bruder, denn doch niemals zugetraut!«
»Wie thöricht, wie kindisch Du sprichst, Marie!« entgegnete die Tante streng. »Es ist wahrhaftig ein großes, nur leider zu oft verkanntes Glück, daß wir Frauen und Mädchen, neun Mal unter zehn, den Mann unserer ersten Herzensneigung, das Ideal unserer jugendlichen Mädchenträume nicht zum Ehemann erhalten oder uns von ihm zum Traualtare führen lassen dürfen. Denn, glaube mir mein Kind, unser eheliches Mißgeschick würde sicher in den meisten Fällen dadurch besiegelt sein. Was weiß eine Sechszehnjährige wohl von Männerwert oder Manneswürde? Sie kennt das Leben, den Ernst und die heiligen Pflichten, welche die Ehe dem Weibe auferlegt, meistens ebenso wenig, als ich und wir Bürger dieser Welt die Bedingungen, unter denen man auf dem Monde existiert. Und dabei wird sie eigenmächtig und ohne Rücksicht auf den Rat derer, die ihr Gott als Leiter und Berater zur Seite gestellt, nur zu oft in ihr Verderben laufen!«
»Aber welchen berechtigten Einwand konnte denn Baron Emil gegen den Grafen Wallhof haben?« forschte ich, von Teilnahme und Neugier zugleich bewegt, ohne mich durch Tante Margaretens ersichtlich verfinstertes Gesicht einschüchtern zu lassen.
»Daß seine Vergangenheit nicht eine derartige ist, die für die Zukunft eines Mädchens, wie Editha, irgend welches dauernde Glück erwarten läßt. Die Abenteuer, welche der Graf mit mehreren und zwar sogar mit verheirateten Frauen hatte, sowie die Spielschulden, die selbst einen Teil seiner Kameraden zu lebhafter Mißbilligung veranlaßten, haben seinem guten Rufe selbstverständlich viel Nachteil gebracht. Doch – laß uns davon abbrechen, liebes Kind! – Editha ist verlobt. Sie liebt den Grafen mit einer, sie gegen alle wohlgemeinten Einwürfe und Warnungen wappnenden Leidenschaft. So haben wir denn nichts mehr zu thun als zu hoffen, daß manches, von Graf Leo Gesagte, übertrieben, und die Macht einer so reinen und innigen Neigung groß genug ist, um ihn dauernd an dieses engelhafte Wesen zu fesseln und ihn zu einem würdigen Leben, an Edithas Seite, zurückkehren zu lassen!«
Einige Jahre lagen zwischen dem Tage, an dem uns Tante Margarete in Breslau aufgesucht, und mir jene Verlobung Edithas mit dem Grafen Wallhof und ihre mich sehr niederschlagenden Bedenken über den Charakter ihres Erwählten, mitgeteilt hatte. – Ich hatte mich noch oft mit dem Gedanken gequält, wie traurig es wäre, wenn die nachteiligen Gerüchte über den Grafen Wahrheit, und nicht nur eine jener, hauptsächlich auf Bosheit und Verläumdung gegründeten Klatschereien gewesen sein sollten, welche bisweilen einem beneideten, und durch die Erhörung seiner Wünsche vielfach mißgünstig betrachteten Bräutigam nachgeredet werden. Dann war mir aber zu vieles Andere, namentlich auch meine eigene Verlobung, dazwischen getreten, als daß ich noch mehr als vorübergehende Gedanken an das holde Mädchen gehabt, oder mich besonders viel mit ihr beschäftigt hätte. Onkel Luithold und Tante Margarete hatten der Hochzeit in Frebach beigewohnt, und letztere schilderte in beredter Weise die dortigen, ebenso glänzenden als gemütlich ansprechenden Feierlichkeiten. – Oberst Tarram und selbst ihre Brüder Emil und Bernhard, schienen nunmehr vollständig mit der Herzenswahl ihres Lieblinges ausgesöhnt, und der, dem Grafen Leo einst so abgeneigte Emil, jetzt sogar mit dem immerhin besonders liebenswürdigen Schwager eng befreundet zu sein.
»Man sagt, Graf Wallhof habe eine sehr eingehende Aussprache mit dem Obersten, seinem jetzigen Schwiegervater, gehabt«, schrieb Tante Margarete, – »und derselbe sei durch die offene Darlegung seiner jugendlichen Verirrungen, und sein festes Gelöbnis, dieselben durch die zarteste Sorge um das Glück seiner heißgeliebten Editha zu sühnen, vollkommen von ihm eingenommen worden. – In jedem Falle«, – schloß Tante Margarete, – »hat dieser Graf Leo wohl abermals gezeigt, daß er ein hochbegabter Mensch, und von fast unwiderstehlich einnehmendem Wesen ist. Und was nun Deine, von Dir so sehr bewunderte Editha betrifft, so sah dieselbe im wallenden Brautgewande, die blühende Myrtenkrone im dunklen Wellenhaare, und mit ihrem, von Wonne strahlenden Angesicht, wirklich feenhaft lieblich aus, so daß sie junge und alte Pulse höher schlagen, und manches Herz von Eifersucht gegen den glücklichen Bräutigam entbrennen machte.
Sie schaute mit einem Ausdruck von Glück und Zuversicht zu demselben empor und legte mit einer solchen demütig seligen Ergriffenheit ihre Hand in die seinige, daß ich nur Gott bitten konnte, den Grafen Leo dieses Kleinodes würdig zu machen!«
Daß auch ich mit diesem Wunsche das Schreiben Tante Margaretens zusammenfaltete, bedarf wohl keiner Worte. Aber ich war gerade in jener Zeit allzusehr durch mich selber und, meine eigene Herzensgeschichte abgezogen, als daß ich mich noch lange mit Edithas, nunmehr glücklich besiegeltem Geschicke beschäftigt hätte.
Herr von Serbius, Direktor eines bedeutenden Kunstinstitutes, mein jetziger Gemahl, hatte mir durch seine edle Persönlichkeit imponiert, und ich erwiderte seine mir warm entgegengebrachte Zuneigung auf das Innigste. So fand denn meine Verlobung bald nach der Nachricht von Edithas Vermählung mit Graf Leo Wallhof statt, und nach kaum Jahresfrist ward ich, unter der vollsten Zustimmung meiner gleichfalls durch meine Wahl beglückten Eltern, seine Frau.
Gesegnet sei der Tag, wo ich diesem, meinem geliebten Manne zuerst begegnete, – gesegnet die heilige Stunde, die mich ihm für Zeit und Ewigkeit verbunden hat! – An keinem anderen Herzen hätte ich wohl eine so volle Befriedigung, eine so gesicherte Zukunft finden können.
In Breslau war es, wo sich unser junges Eheglück entfaltete, und ich mich zuerst in jene künstlerischen Kreise eingeführt sah, denen mein Mann, nicht minder aus Neigung als durch seinen Beruf, mit voller Seele angehörte. Daß auch ich, in der Berührung mit Künstlern und Berühmtheiten aller Art, bald eine ungemein fördernde, mich höchlich befriedigende Anregung fand, und die Kunstinteressen meines Edmund allmählig völlig zu teilen und in ihnen zu leben begann, konnte wohl niemand Wunder nehmen.
»Ich werde am Ende selber noch Künstlerin!« – sagte ich eines Nachmittags scherzend zu meinem Manne, nachdem ich mich stundenlang für eine der musikalischen Soireen abgemüht, deren häusliches und wirtliches Arrangement er mir ein- für allemal übertragen hatte. »Immer nur Kunst und wiederum Kunstinteressen! – Es wäre nicht eben erstaunenswert, wenn ich mein, selbst von Dir anerkanntes musikalisches Talent auch einmal öffentlich zu produzieren wünschte!« – »Eine sehr von mir gefürchtete Perspektive, Marie!« – entgegnete mein Gatte lachend, und legte zärtlich seinen Arm um mich. »Ich sehe Dich wahrlich schon im Geiste Haus, Mann und Heimat verlassen, und unter der Ägide irgend eines, für Schönheit und Talent nicht unempfänglichen Impressario über das Weltmeer, vielleicht gar zu den Antipoden segeln. Ach, es wird eine trostlose, für mich kaum auszudenkende Vereinsamung!« – Ich legte schmollend den Finger auf seine Lippen.
»O Du böser, allzu böser Mann! – Verdient wohl Deine, nur für Dich, Deine Wünsche und Interessen lebende, Dich so unaussprechlich liebende Frau solchen Spott? – Ich müßte ihn Dir wirklich doch einmal durch eine, niemals von Dir für möglich gehaltene eigenmächtige Eskopade zu vergelten suchen!« – »Nur nicht heute Abend, wenn ich bitten darf!« entgegnete Edmund mit komischem Pathos, »da ich außer unserer Konzertsoiree für Dich noch eine besondere Ueberraschung habe. Siehe diese Visitenkarte! – Sollte mir dieselbe nicht außer Deiner, allerdings nicht leicht zu erwartenden Verzeihung, vielleicht noch einen Kuß eintragen?«
Er zog eine Visitenkarte aus seiner Brusttasche und hielt mir dieselbe hin.
» Graf Leo Wallhof und Gemahlin!« rief ich aufjubelnd, sobald ich die Karte erblickt, und überflogen hatte. »O wie würde ich mich freuen, Editha, von der ich Dir, bester Mann, ja so oft erzählte, endlich, – und nach Allem, was zwischen heute und unserer ersten Bekanntschaft liegt, – einmal wieder zu sehen!«
»Ich dachte mir das, Marie, und habe deshalb sofort nach dem Hotel zum » Kronprinzen« geschickt, um sie und den Herrn Gemahl in unsere Soiree zu laden. Ich hoffe, wir werden beiden nicht nur einen gastlichen Empfang, sondern sogar künstlerische Genüsse hervorragender Art zu bieten vermögen!«
»Prächtig, Du ahnst nicht, welche Freude Du mir bereitest!« rief ich und fiel meinem Edmund um den Hals. »O, wie gespannt ich auf den heutigen Abend bin! – Solche Überraschung hätte ich mir nicht träumen lassen!«
Die Lichter flammten in unseren hübschen Empfangsräumen. Die Spiegel derselben strahlten den Glanz der Kronleuchter und die Fülle der Blumen und exotischen Topfgewächse zurück, welche dieselben zierten, und sie mit ihren Wohlgerüchen durchzogen. – In unserem, mit Statuetten berühmter Meister umstellten Musikzimmer stand der geöffnete Flügel, neben dem ein elegantes Notenpult eine Anzahl von Liederheften, mit den Namen beliebter Komponisten der Gegenwart, wie Mendelssohn und Schubert, zeigte. Künstler und Künstlerinnen ersten Ranges hatten ihr Erscheinen für den heutigen Abend zugesagt, unter denen sich auch Fräulein Johanna Wagner, der neue Stern der Berliner Hofoper, Liszt und Tichaszek hören zu lassen versprachen. Ein Gastspiel der ersteren war mit glänzendem Erfolge eröffnet worden, und in Breslau sprach man von wenig Anderem, als von den Triumphen der schönen, hochgenialen Sängerin. Auch Tichaszeck stand im Zenithe seines Künstlerruhmes, und Liszt hatte noch nicht aufgehört, überall, wo er sich hören ließ, enthusiastische Bewunderung zu erwecken. Man kann sich also vorstellen, mit welcher Spannung und Aufregung ich diesen gefeierten Gästen in unserem Hause entgegensah.
Ich hatte den Thee aufzugießen, und dabei zugleich die Unterhaltung mit einigen der, sich jetzt allmälig anfindenden Gäste, zu eröffnen begonnen, als sich die, mit so großer Spannung Erwartete plötzlich auf der Thürschwelle zeigte.
» Editha, Gräfin Wallhof!« rief ich unwillkürlich, gab meinem Manne einen Wink und eilte der sich vornehm Verneigenden entgegen, der ihr Gatte, Graf Leo, auf dem Fuße folgte. Ein leises Gemurmel ging durch den Kreis der Umstehenden, während mein Mann Edithas Arm ergriff, und dieselbe, nachdem wir uns herzlich die Hand geschüttelt hatten, auf den Platz an meiner Seite führte.
»Welche Schönheit! Selten in meinem Leben sah ich eine Ähnliche!« flüsterte mir Liszt zu, der inzwischen gleichfalls eingetreten, und mit enthusiastischer Freundlichkeit bewillkommnet worden war.
»Ja, sie erinnert mich an das Bild einer Kleopatra, das ich vor einigen Jahren in der Münchener Kunstausstellung antraf!« bemerkte ein Freund meines Mannes, der des berühmten Virtuosen Worte gehört und Editha gleichfalls mit Bewunderung betrachtet hatte. Diese wandte, als sei sie von einer magnetischen Anziehungskraft berührt, ihr Antlitz mit halbem Lächeln dem Sprechenden zu, und ich mußte mir gestehen, daß dieses in voller Jugendfülle prangende Weib die Reize der Jungfrau nicht nur bewahrt, sondern sie sogar zu einer damals kaum geahnten Vollendung entwickelt hatte.
Der Kreis der Geladenen mehrte sich, und die Pflichten der Wirtin gestatteten mir also vorläufig keine ausschließlichere Annäherung an Gräfin Editha, um die sich außerdem die größere Anzahl von Celebritäten und Bekannten scharte. – Erst als das Konzert begann und man sich in engeren oder weiteren Kreisen um das Piano geschart und in einzelnen Gruppen zusammengefunden hatte, wurde mir Zeit und Muße, Editha näher zu beobachten und mir über den Unterschied ihrer Schönheit von damals und heute eine Art von Rechenschaft abzulegen.
Sie war nicht ganz so strahlend in ihrem Ausdruck, dem sich, – trotz aller vollen Entfaltung ihrer jetzt fast üppig zu nennenden Reize, – ein Zug tiefen Ernstes, um nicht zu sagen leiser Wehmut, beigemischt hatte. In diesem Augenblick, wo sie auf der einen Seite neben Tichaszeck, auf der anderen neben meinem Gatten saß, und mit einer fast atemlosen Aufmerksamkeit einem Vortrage seines » Ave Maria« von Liszt zu lauschen schien, hätte ich sie malen, und mir dieses Bild für immer einprägen mögen.
»Ihre Frau Gemahlin sieht in ihrem lichtgrünen Gewande, mit diesem Kranze von Lotosblumen in ihrem schwarzen Wellenhaar wirklich nixenhaft aus!« sagte ich zu Graf Leo, der einen Stuhl ergriffen, und sich zu mir gesetzt hatte.
Er lächelte mit stolzer Befriedigung. »Ja, sie ist eine Perle, ein Schatz, wie ich ihn niemals verdient, oder selbst nur annähernd zu heben geglaubt habe, gnädige Frau!« lautete seine Erwiderung.
»Das ist ein schöner Ausspruch von einem, doch fast ein halbes Decennium vermählten Ehemanne!« rief ich erfreut. »Wissen Sie noch, wie ich Ihnen und Ihrer holden Gattin auf jenem Balle in Frebach zuerst begegnete? – Ich war schon dazumals völlig von deren Liebreiz und Wesen gefesselt, und bemerkte wohl die Huldigung, die Sie Ihrer schönen » soi disant« Cousine angedeihen ließen!«
»Und die mir ihr derzeitiger Nachbar, mein jetziger Schwager Emil von Tarram, durchaus nicht gestatten, ja mich am Liebsten für immer aus Edithas Nähe verbannt sehen wollte!« fiel der Graf mir ins Wort, ergriff sein Lorgnon und blickte mit einer Art von dankbarer Zärtlichkeit auf seine Frau. Unwillkürlich errötete ich ein wenig, da ich mich Baron Emils heftiger Abneigung gegen denselben, und der, für den Grafen durchaus nicht eben schmeichelhaften Urteile erinnerte, die ich damals über ihn hatte vernehmen müssen.
»Nun, ich will es den Verwandten meiner Frau und besonders meinem, so hoch von mir geschätztem, Herrn Schwiegervater übrigens nicht verdenken!« fuhr Graf Leo in gedämpftem, eben nur mir vernehmbaren Tone fort, ließ das Lorgnon sinken und sah mir voll in das Gesicht. »Ich war in jener Zeit wirklich sehr leichtsinnig, und hatte mir mancherlei zu Schulden kommen lassen, was meine Patentierung für einen ehrenhaften und soliden Ehemann jedenfalls mehr als zweifelhaft machte. – Schulden, mehr als Haare auf meinem Kopfe, – durch leichtfertige Verbindungen und mannigfache Thorheiten berechtigter Weise in der Leute Munde, – kurz, – ich bin durchaus nicht der Mann, der dem Obersten Tarram seine, längere Zeit hindurch mit Energie aufrecht erhaltenen Einwürfe gegen die Herzenswahl seiner einzigen Tochter verdenken könnte. Aber » Tempi passati«, gnädige Frau! Das ist jetzt längst vorbei, und von der Stunde an, in der Editha die Meinige vor dem Altare ward, für immer hinter mich geworfen. Sehen Sie diesen Engel von Weib, Gattin und Mutter an, dem ich bereits ein holdes Knabenpaar, und ein fast zweijähriges Töchterchen verdanke, das einstmals ihr Ebenbild zu werden verspricht. Man unterschriebe doch wahrlich, – wie ich selber zugestehen muß, – sein Todesurteil für die achtbare Gesellschaft und in den Augen Aller, auf deren Meinung man Wert zu legen hat, wenn man durch die Liebe eines solchen Wesens nicht von seinen Jugendthorheiten geheilt, und das Glück desselben nicht das Ziel ehrlichen Strebens würde.«
Ein rauschender, dem unnachahmbaren Vortrage des berühmten Meisters geltender Beifallssturm unterbrach Graf Leos, mir ebenso erfreulich als überraschend gewordene Bekenntnisse, und ich erhob mich, um Liszt gleichfalls einige Worte lebhafter Anerkennung auszusprechen. Dann trat Johanna Wagner an den Flügel, und der Vortrag ihres » Erlkönig« von Schubert, sowie von dessen melancholisch wunderbarem » Ich komme vom Gebirge her«, machte die Herzen stocken, und die Pulse höher schlagen.
Am tiefsten ergriffen aber zeigte sich Editha, neben die ich mich jetzt an Stelle meines Edmund niedergesetzt hatte. Je mächtiger die Stimme der edlen, vom ersten Strahle glänzenden Künstlerruhmes beschienenen Sängerin durch die Versammlung drang, um so bleicher wurde Editha. »Wunderbar, einzig in seiner Art!« flüsterte sie mir zu. »O wie danke ich Ihnen, liebe Marie, daß Sie mir einen solchen Kunstgenuß geboten haben!«
»Da, wo du nicht bist, ist das Glück!« klang es wie geisterhaft durch den Saal. Ich blickte bewegt und verständnisinnig auf Editha, und es schien mir, daß eine verhaltene Thräne an ihren langen Wimpern zitterte.
Der Aufenthalt des Gräflich Wallhofschen Paares in Breslau war leider sehr kurz bemessen, und so wurde mir wenig Gelegenheit, mich mit Editha länger zu sehen oder gar ungestört auszusprechen. Zwar trafen wir uns im Theater und bei einem Diner des uns beiden genauer bekannten Oberpräsidenten. Allein Jedermann, der das konventionelle Leben kennt, weiß wohl zur Genüge, wie selten man in der Gesellschaft eine tiefere Berührung mit seinen Freunden hat, und wie völlig man von den Pflichten geselliger Höflichkeit in Anspruch genommen zu werden pflegt. Einmal nur trafen wir uns bei einem Morgenspaziergange in den reizenden Anlagen, und ich hatte die Möglichkeit mich – indessen sich unsere beiden Männer mit einer Cigarre und einem guten Frühstück zusammen fanden, – mit Editha auf eine der schattigen Banken der schönen Baumpartieen zurück zu ziehen. Sie schien nicht minder als ich selbst von diesem unverhofften Zusammentreffen erfreut zu sein, und bald löste die warme Sympathie, die wir von jeher einander entgegen gebracht, die Zunge zu warmen Freundschaftsergüssen. Von ihren Kindern, die sie mir mit mütterlichem Stolze und lebhafter Beredsamkeit schilderte, schweifte Editha alsbald zu ihrem Vater und Gatten hinüber.
»Es ist zu traurig, daß die zunehmende Kränklichkeit meines Papa ihn so selten zu uns nach Schloß Kantburg kommen läßt«, sagte sie, »denn seine Freude an dem Gedeihen seiner Enkelkinder wie auch unserer Landwirtschaft ist wirklich so groß, als sie nur ein liebevoller, fast ausschließlich für das Glück der Seinen lebender Vater zu empfinden vermag. Er ist immer so gut für mich, als es nur meine früh verstorbene, zärtlich geliebte Mutter hätte wünschen oder selber bethätigen können. Schade nur, daß Frebach und Kantburg doch fast so weit wie Breslau von Königsberg liegt, und wir also das Glück der Anwesenheit unseres teuren Vaters nur in jahrelangen Zwischenpausen genießen können!«
»Sie waren stets sein Liebling!« erwiderte ich lächelnd, »und es fällt mir daher nicht schwer, mir seine Freude an Ihrer Familie und Ihrer sicher tief befriedigten Häuslichkeit auszumalen. Uebrigens waren Sie, liebe Editha, in dieser Hinsicht wohl, – wie schon einst Ihr Herr Bruder Emil bemerkte – stets ein Sonntagskind, denn, wenn es auch viele einzige, vom Schicksale verzogene Töchter giebt, ein Wesen, das von den Kinderschuhen an das Herzblatt der Eltern und Geschwister, wie der Abgott des Gatten ist, habe ich, – außer in Ihnen, – doch noch nicht kennen gelernt!«
Ein eigentümliches, fast ironisches Lächeln flog über Edithas Antlitz. »Leo, ja, er ist recht gütig und aufmerksam für mich. Aber, – – nun ich denke oft, daß eine Andere ihn doch vielleicht mehr beglückt als ich, und seinen Neigungen und Lebensgewohnheiten mehr entsprochen haben würde!«
»Ist es möglich, Editha! – Scherzen Sie, oder soll ich Ihre Worte als eine jener hypochonderen Grillen nehmen, mit denen sich, – wie ich aus Erfahrung weiß, – junge liebende Frauen bisweilen abzumartern und sich das Leben schwer zu machen lieben? Ihr Gemahl, der noch heute in Sie wie am Hochzeitstage verliebt, der nur Augen für Sie, nur enthusiastische Bewunderung für alles, was Sie betrifft, im Herzen wie auf den Lippen hat! Hätten Sie ihn nur an jenem Konzertabende bei uns hören, ihn in seinen mir gemachten Bekenntnissen belauschen können!«
Eine tiefe Röte färbte Edithas Wangen, die aber, nicht minder plötzlich, einer merklichen Blässe wich. Dann ergriff sie meine Hand und umschloß sie innig mit der ihrigen.
»Gott gebe es, er gebe es, daß Dem so sei, – daß ich mich täusche, wenn ich Leos Liebe bisweilen erkaltet, ihn in seinen Gefühlen für mich verändert wähne!« – sagte sie mit leise vibrierendem, von mühsam verhaltener Erregung zitterndem Tone. »Denn, – glauben Sie es mir, Maria, – eine Täuschung, mir von diesem Manne bereitet, würde nicht nur mein Lebensglück unwiderruflich zerstören, – sie würde mir auch den Glauben an Treue und Ehre, – den Glauben an die Menschheit für immer rauben!« –
Erschreckt vor der fast vulkanisch hervorbrechenden Leidenschaftlichkeit dieser, anscheinend so sonnig klaren, harmonisch entwickelten Natur, – fuhr ich empor.
»Um des Himmels Willen, wie können Sie so sprechen, was kann Sie, liebe Editha, nur auf solche Gedanken bringen?« – rief ich lebhaft, und schlug die Hände zusammen. »Ward jemals eine Frau geliebt und in ihrem vollen Werte geschätzt, so sind Sie es, dessen bin ich gewiß, und möchte meine Hand dafür ins Feuer legen. Aber eben deshalb bin ich erschreckt, und beklage es tief, wenn fremde, und sicher nicht wohlmeinende Einflüsse und Personen, Ihr Vertrauen zu dem Manne Ihrer Wahl zu erschüttern, und Sie in Zweifel und Seelenkämpfe zu stürzen suchen die mir wahrlich nicht berechtigt, und weder Ihnen, noch Ihres Gatten würdig zu sein scheinen!« –
Editha blickte stumm und nachdenklich vor sich hin. Dann entrang sich ein tiefer Seufzer ihrer Brust.
»So meinen Sie wirklich, ich thäte Leo Unrecht, Marie?« – fragte sie zagend und unbeweglich.
»Das hoffe ich zuversichtlich, teure Editha! – Aber eben deshalb bitte, beschwöre ich Sie«, – fuhr ich eifrig und fast flehend fort, – »daß sie Ihrem Gatten Ihr Vertrauen nicht entziehen. Ungerechter Argwohn und thörichte, unberechtigte Eifersucht hat schon manches Eheglück zerstört, – manchen häuslichen Frieden für immer vernichtet! Also, – bleiben Sie fest, Editha! – Niemals, – so hoffe ich, – werden Sie dieses zu bereuen haben!« – Sie fiel mir mit stürmischer Bewegung um den Hals und preßte einen leidenschaftlich innigen Kuß auf meinen Mund.
»O, wie wohl Sie mir thun! – Welche hoffnungsfrohe Zuversicht Sie erneut in meine Seele senken!« – schluchzte sie in meinen, sie sanft umfangenden Armen. »Wüßten Sie, wie ich durch die, in mir durch einen fälschlich in meine Hand geratenen Brief erzeugte Vorstellung der Untreue Leos gelitten, – wie ich mich darüber im Geheimen gegrämt, und welche Qualen ich unter der Maske ungestörten Frohsinns und Herzensfriedens erduldet habe, – Sie würden meine Wonne, meine Dankbarkeit für das, was Sie mir soeben gesagt, – ermessen können!« –
»Marie, liebe Frau, ich bitte Dich, wo steckst Du denn nur?« – unterbrach meines Mannes volltönende Stimme die Sprecherin, und fast zu gleicher Zeit sah ich ihn, an Graf Leos Seite, um eines der von Jasmin und Heckenrosen strotzenden Gebüsche biegen. Eiligst erhoben wir uns, und ich trat, – mich mit neckischer Ehrerbietung tief vor Edmund verbeugend, – auf ihn zu.
»Wenn die Herren der Schöpfung so rücksichtslos ihre eigenen Wege gehen, sollte dieses doch wohl billiger Weise auch deren besseren Hälften gestattet sein!« – sagte ich mit pathetischem Ernst.
»Ei sieh! – was man sogleich für einen Strafsermon bekommt, wenn man sich auch nur auf wenige Minuten sich selber überläßt!« – entgegnete mein Gatte lachend und bot mir den Arm. – Graf Leo und Editha stimmten ein, und letztere sah zu demselben so zärtlich vertrauungsvoll empor, daß er offenbar davon betroffen ward.
»Komm nach Hause, lieber Mann, Frau Marie und ich haben uns allerdings ganz ungewöhnlich verplaudert, und ich muß zur Mittagstafel noch Toilette machen!« – sagte sie unbefangen, nickte mir freundlich zu und, verabschiedete sich eilends von meinem Gatten, da die Wege zu unserem Hause und dem Hôtel, das Graf Leo Wallhof mit seiner Frau bewohnte, schnurstracks auseinander führten.
Unter allen, durch ihre Quellen und die Schönheit ihrer Lage und Umgebung bekannten deutschen Badeorten nahm Homburg wohl in jenen Tagen, von denen ich rede, eine der hervorragendsten Stellungen ein. Die freundliche Stadt am Fuße des alten Schlosses, mit seiner herrlichen Rundsicht, das stattliche Kurhaus mit seiner, – leider nur zu verlockenden Spielbank, – und der großartig schön, sich an dasselbe schließende Park, – alles dieses vereinte sich, Homburg zu einem Lieblingskurorte für ganze Schichten der Gesellschaft, und eines Teiles der Aristokratie von aller Herren Länder zu machen. Franzosen und Engländer, Russen, Holländer und selbst Italiener, fanden sich in den schattigen Alleen der Anlagen, oder auf der Terasse des Kurhauses zusammen, und wohl ihnen, wenn sie es sich an den geselligen Freuden, welche sich ihnen vor demselben boten, genügen ließen. Denn der Eintritt in dessen glänzende Säle, und weite innere Gemächer, war mehr als Einem jener reichen und vornehmen Kavaliere verhängnisvoll geworden. Mancher junge Herr und Erbe, der bisher der Stolz der Seinen und die Stütze seiner Familie gewesen war, fiel in Sünde und Schande, weil er dem Geklapper der Würfel und dem stundenweise ununterbrochenen Rollen des Geldes auf jenen Hazardspieltischen nicht Widerstand geleistet, und sich dem verlockenden Teufel des Roulettetisches in die Arme geworfen hatte. Vergeblich dann die Warnungen besorgter Eltern und ehrlicher Freunde! – Ehre, Gut und Leben wurden, – war das verführte Opfer einmal diesem Moloch verfallen, – nur zu oft an einem Tage verwirkt, und ein Pistolenschuß, von Reue und Verzweiflung abgefeuert, endete jählings ein Leben, das zu den höchsten Zielen irdischen Daseins berufen schien. –
Es war etwa ein Jahr nach dem oben erzählten Zusammensein mit Editha und ihrem Gatten, daß dem Meinigen der Gebrauch des Homburger Brunnens verordnet, und er mit mir dahin gegangen war. Wir hatten unseren holden, nun schon fast dreijährigen Knaben, der Obhut eines erprobten Freundes und einer zuverlässigen Wärterin anvertraut, da Homburg durchaus nicht für dessen Mitnahme geeignet, und auch mein Mann ein abgesagter Feind der Reisen mit einem, noch in so zartem Alter stehenden Kinde war. So hatte ich denn, in selbstverständlicher Pflichterfüllung, das Opfer der, sich zum mindesten auf sechs Wochen belaufenden Trennung von meinem kleinen Liebling gebracht, und wandelte nun allein, oder an der Seite meines Edmund durch die reizenden Parkanlagen des, mir über Erwarten reizvoll erscheinenden Weltbades. Durch den Tod meines lieben Onkel Luithold in Trauergewandung gehüllt, und den rauschenden Vergnügungen der damals zweimal allwöchentlich in Homburg stattfindenden Reunions, Konzerte und Tanzvergnügungen ohnehin nicht hold, widmete ich mich fast ausschließlich der Unterhaltung meines Mannes, ernsterer Lektüre, und anregenden Korrespondenzen, für die mir durch die Stellung Edmunds, und unsere mannigfachen geselligen und freundschaftlichen Beziehungen, ohnehin ein weiter Spielraum offen stand. Nur ein einziges Mal, – es war zur Feier des Geburtstages des Kurfürsten von Hessen, – ließen wir uns bereden, einem großartig geplanten Feuerwerke beizuwohnen, das vor der Terasse des Kurhauses abgebrannt, alles bisher in dieser Weise Gesehene übertreffen sollte.
Ein wundervoller Sommerabend hatte sich auf Bad Homburg herabgesenkt, und hüllte seine, durch Natur und Kunst gleich hervorragenden Reize, in immer tiefere Schatten. In photographischer Unbeweglichkeit standen die Bäume und Gebüsche vor uns, während ein Stern nach dem andern über unseren Häuptern zu erstrahlen, und das erste Viertel des Mondes sich an dem duftig klaren Himmelszelte zu erheben begann.
»Ein Abend, wie expreß für ein solches Unternehmen geschaffen!« – begann mein Mann, der sich mir gegenüber an eines der kleinen, stets auf der Terasse des Kurhauses befindlichen Tischchen gesetzt, und soeben seine Cigarette angezündet hatte.
»Herrlich, lieber Edmund, und wie amüsant ist außerdem noch dieses bunte Gewoge der Menge und der, allerdings für uns wenig Bekannte zählender Kurgäste. Schade nur, daß wir nicht Tante Margarete bei uns, oder irgend einen unserer lieben Breslauer Freunde heute hier haben können!« –
»Aber doch einen alten, hoffentlich noch nicht gänzlich aus Ihrem Gedächtnis entschwundenen Bekannten!« – erklang es hinter mir, und Baron Emil Tarrams elegante, in seiner Dragoneruniform noch vornehmer erscheinende Gestalt, stand an unserem Tische.
»Sie hier, Herr von Tarram?« – rief ich, freudig überrascht, meinen Kurmacher von ehemals und Edithas Bruder hier zu treffen.
»Ja, aber nur als Passant, denn ich will schon in den nächsten Tagen wieder die Anker für eine Tour in die Schweiz und nach Rigi-Kaltbad lichten. Aber, – bitte, stellen Sie mich vor, gnädige Frau! – Ich hatte leider noch nicht die Ehre, Ihrem Herrn Gemahl, von dem mir Fama schon so viel des Guten und Schönen gemeldet hat, auch persönlich bekannt zu werden!« –
Es ist etwas Eigenes um das Wiederfinden von Personen, mit denen man sich, – abgesehen von einer fröhlichen Erinnerung, – auch durch ein tieferes gemeinsames Interesse verbunden fühlt. Editha Wallhofs Bruder, und jener erste, für mich so unvergeßlich reizvolle Ballabend in Frebach, an dem ich beide zuerst erblickte, und von der Ersteren so unwiderstehlich angezogen worden war, – fürwahr, mir hätte an diesem, auch später für mich denkwürdigem Abend, kaum etwas Angenehmeres begegnen können! –
Die Raketen stiegen, die Feuergarben prasselten und entluden sich mit donnerndem Geknatter. Unablässig erhoben sich buntfarbige Leuchtkugeln zu dem nächtlichen Himmel, und zeigten den Garten des Kurhauses, mit seinen jubelnden Zuschauern, in immer wechselndem Farbenspiel. Mein Mann hatte natürlich die Bekanntschaft des Barons Emil, Bruders meiner lieben Editha, mit der ihm eigenen herzlichen Höflichkeit entgegen genommen. Er forderte ihn auf, sich uns zuzugesellen, und an unserem Tischchen Platz zu nehmen, das uns zugleich das glänzende Feuerwerk und das, in seiner Art nicht minder glänzende Publikum im besten Ueberblick zeigte. So saßen wir denn, zuerst durch das festliche Schauspiel, bald aber noch mehr durch gegenseitige Unterhaltung und gemeinsame Rückerinnerung gefesselt, vor dem Homburger Kurhause, und ließen Menschen, Dinge und Erlebnisse im bunten Wechselgespräche an uns vorüberziehen. Baron Emil zeigte sich als ein vollendeter Gesellschafter. Er verband mit einer ganz ungewöhnlichen Erzählungsgabe auch das, noch weit seltenere Talent, zuzuhören, und so war es mir ein besonderes Vergnügen, Ansichten und Gedanken mit ihm auszutauschen. Nur als ich auf unsere erste Bekanntschaft, jenen Ballabend in Frebach, Oberst Tarram und seinen Bruder zurück kam, und mich nach Allen, besonders aber nach Editha erkundigte, stockte der Baron plötzlich und runzelte die Stirn.
»Lassen wir dieses Thema fallen!« – sagte er, und fuhr sich durch sein reiches Lockenhaar. »Es nutzt nichts, sich an Dinge und Begebenheiten zu erinnern, die leider nicht mehr zu ändern, und Gegenstand schmerzlicher Sorgen und Kümmernisse sind. Wollte Gott, dieser Graf Leo wäre uns niemals in den Weg gekommen!« –
»Wie? – Ich meinte, daß Ihnen Ihre Frau Schwester noch immer so teuer, und Graf Leo Ihnen mehr als ein Schwager, sogar eine Art von Bruder geworden sei!« – fragte ich mit einer gewissen Befangenheit.
»Er ist ein Schurke, und wird nicht nur meinen alten Vater, sondern auch Editha unter die Erde bringen!« – entgegnete der Baron dumpf, und biß die Zähne aufeinander. » Solch' eine Frau, – solches Besitztum, und solche Kinder! – Oh, ich möchte, denke ich nur daran, vor Empörung und Ingrimm von Sinnen kommen!« –
Es war gut, daß der imponierende Schluß des Feuerwerkes und das damit verbundene Geprassel, Gejubel und Geknatter momentan jeden weiteren Erörterungen Einhalt gebot. Dann erhob sich mein Mann, verbeugte sich leicht gegen den Baron, und sagte freundlich zu mir gewendet:
»Ich will noch einen Augenblick in den Kursaal gehen, Marie, da ich einen von Breslau hier eingetroffenen Kapellmeister zu sprechen habe und denselben dort bei einer Flasche Wein und einem Abendimbiß sitzen sehe. Entschuldige mich daher! – Sicher werde ich sobald als möglich wieder zur Stelle sein!« –
»Darf ich vielleicht um die Erlaubnis bitten, Ihre Frau Gemahlin einstweilen nach Ihrer Wohnung zu geleiten?« – fragte Baron Emil verbindlich, indem er sich gleichfalls erhob, und fragend von einem zum andern blickte.
»Ich werde Ihnen dafür besonders verpflichtet sein, Herr Baron,« – entgegnete Edmund lebhaft, »denn es wird plötzlich kühl, und die Nachtluft ist hier, sogar an so milden Sommerabenden, gefährlich. Also – auf Wiedersehen daheim, Marie! – Jedenfalls hoffe ich, Dich nicht lange auf meine Rückkehr warten zu lassen!« –
Baron Emil bot mir seinen Arm, und so wandelten wir denn einige Minuten später durch die dunklen Alleen und reizenden Bosquets der Anlagen, auf die der Abendtau sich bereits herabgesenkt, und sein erfrischendes Aroma ausgegossen hatte. Anfänglich schwiegen wir Beide, denn ich scheute mich, um näheren Aufschluß in einer Angelegenheit zu bitten, die meinen Begleiter schon bei ihrer ersten Berührung so peinlich erregt, und ihn zu einer so leidenschaftlichen Äußerung hingerissen hatte. Endlich aber hob der Baron, als wenn er sich nicht nur vor mir, sondern auch vor sich selbst zu rechtfertigen wünschte, mit zwar gedämpftem, aber deshalb nicht minder erregtem, eindringlichem Tone zu sprechen an:
»Halten Sie mich nicht für lieblos oder allzu schroff in meinem Urteil, gnädige Frau, wenn ich von meinem Schwager, Graf Leo Wallhof, mit einem Ausdruck sprach, der unter Kavalieren gemeiniglich nur durch Blut gesühnt, oder mit Leben und Ehre bezahlt zu werden pflegt. Wüßten Sie indessen, was dieser, anscheinend so liebenswürdig harmlose Mensch bereits seit Jahr und Tag meiner armen lieben Schwester – und in Editha uns Allen angethan, – Sie würden es, – dessen bin ich gewiß – nur zu begreiflich finden!« –
Ein leiser Ausruf des Schmerzes und innigen Mitgefühls entfloh meinen Lippen.
»Ja, gnädige Frau«, fuhr Baron Emil wehmütig fort, »selten im Leben ist wohl eine Täuschung härter gebüßt, ein, – anfänglich schwer, aber doch schließlich schrankenlos errungenes Zutrauen, – schmählicher hintergangen worden!«
»So ist meine arme Editha wirklich unglücklich?« – fiel ich ein, und stützte mich unwillkürlich fester auf Baron Emils Arm.
»Unglücklich, gebrochen an Leib und Seele, und wahrscheinlich bereits in wenigen Monaten nebst ihren drei Kindern, auch noch an den Bettelstab gebracht!« – entgegnete er mit vor verhaltenem Zorn bebendem Tone. – »Denn, nicht nur daß dieses Ehrlosen längst offenkundiges Verhältnis zu einer ränkevollen Abenteurerin das Herz der armen Editha tief verwundet, ja sie dem Spott und Mitleid aller näher Eingeweihten preisgegeben hat, – auch Schloß Rautberg, mit deren mütterlichem Erbteil gekauft, – soll bereits durch Spiel- und Ehrenschulden völlig verloren und an Erhaltung desselben für sie und ihre Kinder kaum mehr zu denken sein!« –
Ich verstummte. Diese, sich nun in eingehendere Details verlierenden Eröffnungen Baron Emils, schnürten mir die Brust zu, und ich konnte die Größe der Herzenstäuschung, den Umfang des Mißgeschicks, der meine arme Editha, – freilich nicht ganz ohne ihre eigene Schuld, – betroffen hatte, kaum fassen. Also hatte sie doch damals bei ihren, mir nur als eifersüchtige Phantome erscheinenden Befürchtungen Recht gehabt! – Nicht sie, – die Ärmste, – sondern ich selbst hatte mich in diesem Unwürdigen geirrt, – mich durch seine bestrickenden Beteuerungen reinsten Eheglückes, treuster, bewunderungsvollster Liebe für Editha vollständig täuschen lassen.
»O, wer hätte das geglaubt, jemals für möglich gehalten!« – sagte ich endlich, und schüttelte den Kopf. »Und sind Sie wirklich gewiß, daß sich alles so verhält? – Ist keine Hoffnung vorhanden, daß Sie zu schwarz gesehen, daß Klatschsucht und Verläumdung, wie schon so oft, ihr böses Spiel getrieben, und mancherlei übertrieben haben?« –
»Leider nein, gnädige Frau!« – sagte er wehmütig. »Doch nichts mehr davon! – Es nutzt nichts, Dinge zu bereuen, die man in bester Absicht gethan, aber – trotz allen guten Willens – doch grausam verfahren hat. So ist es mit mir, und so ist es, – bei weit größerer Verantwortung, – mit meinem alten Vater, den Edithas, seines Herzenslieblings Geschick, wirklich an den Rand des Grabes zu bringen droht. Leben Sie wohl, und möchte die uns allen ja mehr oder minder verschleierte Zukunft, sich auch bezüglich meiner armen Schwester lichtvoller gestalten, als es jetzt den Anschein hat!« – Er verbeugte sich tief, und küßte ehrerbietig herzlich meine, ihm warm entgegengestreckte Hand.
»Gott mit Ihnen und meiner armen lieben Editha!« sagte ich seufzend, ergriff die Thürklinke unserer Wohnung und schloß sie hinter mir.
»Das also ist das Ende dieses, aus leidenschaftlicher Liebe geschlossenen Ehebundes!« – dachte ich wehmutsvoll, indem ich an das Fenster trat, und meine Gedanken in die weite Ferne, besonders aber zu derjenigen schweifen ließ, welche mir, von jeher so lebhafte Teilnahme eingeflößt, die sich nun aber in das innigste Mitgefühl verwandelt hatte.
Fast fünf Monate waren seit jenem, oben geschilderten Abende des Zusammentreffens mit Baron Tarram in Homburg vorübergezogen. Die Herbststürme waren in diesem Jahre mit besonderer Gewalt und nicht unerheblichen Verheerungen über einen Teil der Provinz Schlesien dahingebraust, und eine dichte Schneedecke hüllte bereits die Häuser und Türme unseres stattlichen Breslau in glitzernde Winterpracht. Ich hatte mich aber, trotz des eisig kalten Novemberabends, aus unserem gemütlichen Heim und von dem traulichen Kaminfeuer unseres Wohnzimmers auf den Bahnhof begeben, da ich meinen Gatten, mit dem Courierzuge von Cöln erwarten wollte. Derselbe hatte mir seine, etwas verfrühte Rückkehr von einer Kunstreise dorthin telegraphiert, und ich wünschte ihm die Überraschung meines Empfanges, sogleich bei dem Verlassen des Eisenbahn-Coupés, zu bereiten, und das ersehnte Wiedersehen somit möglichst zu beschleunigen. Es ist etwas Eigenes um solche Erwartung, und zumal, wenn eine liebende Gattin derselben mit Ungeduld entgegensieht! – Was kann nicht Alles noch zwischen Lippe und Kelchesrand liegen! – Welche wonnevollen und oftmals auch marternden Bilder und Vorstellungen schleichen sich in unsere Phantasie, während wir in dem, meistens recht ungemütlichen Wartezimmer sitzen, und dem Signale lauschen, das uns die Heimkehr des Geliebten verkünden soll! – Endlos dehnen sich die Minuten, wenn sie nicht durch irgend einen besonderen Zwischenfall verkürzt oder durch etwas Unerwartetes beschleunigt werden, und man kann und will sich nicht überzeugen, daß wirklich die, für das Eintreffen des Zuges festgesetzte Stunde noch nicht erreicht, oder gar überschritten worden ist. Fest in meinen, mir von meinem Mann zum letzten Christfeste geschenkten Zobelpelz gewickelt, die Hände in meiner Muffe, und einen dichten Schleier vor meinem Gesichte, saß ich in dem Wartezimmer, und zählte die Sekunden, die mich noch von dem Wiedersehen mit Edmund trennten, als plötzlich der Eintritt einer gleichfalls gut gegen die Kälte geschützten Dame meine Aufmerksamkeit fesselte. Sie hielt ein kleines Mädchen von wenigen Jahren an der Hand, und ihr müder, schleppender Gang, die ihre zarte Gestalt umwallenden Trauergewänder, und ihre ganze Erscheinung übten auf mich eine, mir selbst nicht gleich deutliche, aber jedenfalls außergewöhnliche Anziehungskraft. »Editha!« – entrang es sich mir in jähem Aufschrei, sobald ich meinen Schleier zurückgeschlagen und die Eintretende näher betrachtet hatte. Sie fuhr, wie erschreckt, zurück, ließ die Hand ihres Kindes fahren, und trat dann schnell auf mich zu.
»Frau von Serbius, liebe Marie!« – stammelte sie, indem eine glühende Röte ihr bleiches, fast zur Unkenntlichkeit verändertes Antlitz überflog, und sie sich an meine Seite niederließ. »Welches glückliche Ungefähr läßt mich Sie hier, und zu so später Abendstunde in diesem Zimmer finden?« –
»Ich warte auf meinen Mann, der binnen Kurzem von Cöln aus eintreffen muß. Aber, – wo ist der Ihrige, Editha! – Es ist doch hoffentlich dem Grafen nichts zugestoßen?« – Eine tiefe Bewegung flog über Edithas Gesicht, und das große, jetzt von dunklen Ringen umzogene Auge blickte starr vor sich nieder.
»Zugestoßen? – O nein! – Ich darf mir sogar mit der Hoffnung schmeicheln, daß mein Herr Gemahl sich recht wohl und in einer, seinem Geschmack auf das Äußerste entsprechenden Gesellschaft befindet!« – sagte sie, und ein herbes Zucken umspielte ihren Mund.
»Wie soll ich das verstehen?« entgegnete ich, indem mir Baron Emils Mitteilungen lebhaft vor die Erinnerung traten, und ich mich anteilvoll zu Editha niederbeugte.
»Gedenken Sie vielleicht noch unserer Unterhaltung?« erwiderte sie fast tonlos, indem jetzt zwei große Thränen in ihre Augen traten, und langsam über ihre eingefallenen Wangen rollten.
»Alles, was ich schon dazumal ahnungsvoll im Geiste sah, und mehr als den Verlust meines Lebens fürchtete, ist nunmehr auf das Grausamste in Erfüllung gegangen. Dieser Leo! – Dieser von mir so grenzenlos geliebte, gegen den Wunsch und Willen meines Vaters von mir erwählte Mann! – O, vergebe ihm Gott was er mir, was er uns allen angethan hat! – Ich, für meine Person, vermag es nicht!«
Es lag ein Ausdruck von Kummer, Reue und Verzweiflung auf Edithas, noch vor garnicht langer Zeit so rosig strahlendem Gesicht, daß es mir das Herz erschütterte. In tiefem, durch das Bewußtsein meines eigenen ehelichen Glückes noch gesteigertem Mitgefühl, ergriff ich ihre kleine schmale Hand, und hauchte einen Kuß auf ihre Stirn.
»Arme, liebe Editha!« sagte ich gepreßt. »Was müssen Sie erfahren, wie unsäglich müssen Sie gelitten haben, um so zu sprechen, um solcher Bitterkeit Raum zu geben. Aber verzagen Sie nicht! Wem Gott ein solches Kind, wie dort das Ihrige, in die Arme und an das Herz gelegt hat, der sollte den Muth nicht völlig sinken lassen!«
Ich sah mit innigem Wohlgefallen auf das holde kleine Mädchen nieder, das sich, sobald es die Thränen der Mutter bemerkt, an dieselbe geschmiegt, und sie, mit liebendem Aufblick seiner großen blauen Augen, umklammert hatte. Editha zog die Kleine innig an sich.
»Auch sie verlassen, auch sie verraten!« seufzte sie und schlang den Arm um ihr, sie mit ängstlicher Sorge betrachtendes Töchterchen. »Doch, Sie haben recht, Marie! Wem noch Etwas zu lieben und dafür zu leben gelassen ist, der sollte Mut und Hoffnung noch nicht für immer von sich werfen!«
Der schrille Pfiff der, in den Bahnhof laufenden Lokomotive, unterbrach die Sprechende, und ließ mich jählings emporfahren.
»Mein Mann! Ich muß hinaus, muß ihm entgegen eilen!« rief ich, freudig erregt. »O, lassen Sie mich Ihnen denselben, gleich nach seiner Ankunft, entgegenführen!«
Editha schüttelte den Kopf und erhob abwehrend ihre Hand.
»Nein, nein, nicht jetzt, nicht hier!« stammelte sie. »Ich kann und mag selbst ihn in diesem Augenblick nicht wiedersehen. Aber, – sagen Sie ihm einen herzlichen Gruß von Einer, der er freundlich begegnet, und die nunmehr sehr unglücklich ist. Möchte uns das Leben in einer besseren Zukunft wieder zusammen führen!«
*
Ich lege die Feder aus der Hand, mit der ich diese traurige, mir durch meinen Besuch auf dem Schauplatze meiner Jugend, und den Anblick des Grabhügels Edithas erneut vor die Erinnerung getretene Erzählung skizziert, und niedergeschrieben habe. Es bleibt auch wenig hinzuzufügen und selbst dieses ist mir nur spärlich, teils aus Berichten der Tante Margarete, teils durch lückenhafte Mitteilungen meines lieben, von mir mit jedem Jahre höher geschätzten Gatten, zugegangen. Bald nach jener Begegnung auf dem Bahnhofe zu Breslau schrieb mir Tante Margarete, daß Graf Leo Wallhof, den eine ganze Schar von Wechselgläubigern verfolgt, sich dem Arme der Gerechtigkeit und den betrogenen Opfern seines Leichtsinns durch die Flucht entzogen, und daß man ihm bisher vergeblich nachgespürt habe. Man vermute indessen, daß der treulose Mann und Gatte nach Amerika gegangen sei, und sich dort, unter fremdem Namen, eine Stellung in einem Redaktionsbüreau errungen habe. Editha, die mit ihren armen verlassenen Kindern eine Zuflucht in Frebach gesucht, sei dort in ihrem, einst für sie so glücklichem Vaterhause, an einem schweren Nervenfieber erkrankt, und längere Zeit hindurch von den Ärzten völlig aufgegeben gewesen. »Jetzt«, schrieb mir damals Tante Margarete, »ist die Ärmste indessen auf dem Wege sicherer, wenn auch langsamer Herstellung, und es steht zu hoffen, daß sie dem Leben und ihren Kindern erhalten, und an diesen letzteren Freude erleben werde.« Danach hörte ich Jahr und Tag nichts weiteres über das Ergehen meiner, noch immer mit gleichem Anteil geliebten Editha. Tante Margarete hatte wenige Tage nach dem Ableben ihres Mannes, – meines hochverehrten Onkels Luithold, – Jachthal verkauft und sich auf ein kleines, ihr von ihren Eltern vermachtes Besitztum in Westfalen zurückgezogen. So war auch diese Quelle der Mitteilung über Gräfin Editha versiegt und jede nähere Kunde über ihr und der Ihrigen Schicksal abgeschnitten. Erst nach Jahren, als ich einmal an einem sonnigen Herbstnachmittage neben meinem Gatten in der Veranda unseres Hauses zu Breslau saß und ihm den Kaffee servierte, während er in der Zeitung blätterte, wandte sich derselbe plötzlich zu mir, und sagte mit weichem, von Mitgefühl zitterndem Tone:
»Nun ist sie gestorben, Deine Editha! Der greise Oberst Tarram auf Frebach zeigt hier in seinem, und seiner, nun völlig verwaisten Gräflich Wallhofschen Enkel Namen den Tod der Tochter in tiefer Bekümmernis an. Möge Gott ihm verzeihen, der dieses holde Wesen so elend gemacht, – diese duftige Blume so vor der Zeit gebrochen hat!«