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I
Omar war ein arger Heide. Einen Kopf größer als alles Volk in Mekka war er, obwohl gut von Natur und rechtschaffenen Sinnes, stürmisch und leidenschaftlich, und konnte leicht dazu kommen, eine Meinungsverschiedenheit anstatt mit Gründen, mit der Faust zum Austrag bringen zu wollen.
Unter der tropischen Sonne Mekkas hatte auf dem Markte der Stadt eine unruhige Versammlung heftig erregter Menschen stattgefunden. Eine ganz neue, unheimliche Geisterbewegung machte sich seit einiger Zeit bemerkbar, sie stiftete überall Unfrieden, trennte den Sohn vom Vater, den Bruder von der Schwester, den Freund vom Freunde, sie drang durch die Hintertüren, durch Sklaven und Mädchen in die Häuser, sogar in die Häuser der angesehensten Bürger, und man mußte damit rechnen, daß sie bald auch auf den Straßen und Plätzen erscheinen werde. Die Götter des Tempels sollten zerstört, ihr Kultus aufgehoben werden, und wenn der Tempel von Mekka nicht mehr das Zentralheiligtum vieler Völker Arabiens sein würde, dann würde man in Mekka verarmen usw. Der lange Omar redete eine wutentbrannte Rede gegen solch diabolisches Treiben und seinen Urheber, Muhammed.
Wie dann Omar mit langen Schritten nach Hause eilt, begegnet ihm auf der Straße ein Bekannter namens Nuaim. Es entspinnt sich ein Gespräch, in dem Omar gegen die neue Lehre wettert und erklärt sie vernichten zu wollen.
Darauf Nuaim: »Wirklich? Na ja, dann kannst du ja mal bei dir zu Hause nach dem Rechten sehen.«
Omar (beleidigt): »Was soll das heißen?«
Nuaim: »Na ja, ich meine man, du kannst ja mal in deiner eigenen Wirtschaft nachsehen. Gott befohlen.«
Omar stürmt nach Hause. Wie er in die Nähe kommt, tönt ihm aus seinem Hause ein eigentümliches Summen oder ein Reden mit gedämpften Stimmen entgegen, das ihm ebenso unbekannt wie unerklärlich war.
Was war die Ursache davon? Ein Sklave namens Chabbäb, der durch kriegerische Schicksale nach Mekka verschlagen war, frühzeitig sich Muhammed angeschlossen und deswegen schwere Mißhandlungen erduldet hatte, saß in einem der Zimmer des Hauses, neben ihm Fâtime, die verheiratete Schwester Omars. Chabbäb lehrte sie in Gegenwart ihres Gemahls ein Gebet von Muhammed, indem er es ihr vorsprach und sie es wiederholte. Als sie nun die Tritte Omars hörten, floh der Sklave, versteckte sich in einem Winkel des Hauses. Fâtime verbarg das Blatt, auf dem das Gebet geschrieben war, in ihrer Kleidung und sah nun ihren grimmen Bruder hereinstürmen.
Omar: »Was war denn das für ein Gesumme?«
Fâtime: »Nichts. Wir haben nichts gehört.«
Omar: »Doch. Ich weiß es schon. Ihr seid auch Ketzer geworden.«
Damit packte er ihren Gemahl, um ihn zu schlagen. In dem Moment springt Fâtime auf, fällt ihrem Bruder in den Arm, um den Gemahl zu schützen. Nun aber schlägt Omar ihr selbst so derb ins Gesicht, daß das Blut davon fließt. Fâtime (in stolzem Grimm): »Gut denn. Wenn du es wissen willst, wir, ich und mein Mann, haben den Glauben an den einen, gerechten Gott und seinen Boten angenommen. Und nun tu, was du nicht lassen kannst.«
Als Omar das Blut seiner Schwester sah, scheint er von seinem Zornesrausch ernüchtert worden zu sein. Tatsache ist, daß er kurz darauf Muhammed in dem Hause, wo dieser vor seinen Feinden Zuflucht gefunden hatte, aufsuchte, seine Lehre annahm und mit derselben Leidenschaft, mit der er ihn bis dahin bekämpft hatte, ein Paulus aus einem Saulus sich ihm anschloß. Von Omar beschützt, trat Muhammed von nun an öffentlich auf und verkündete auf den Straßen und Plätzen und im Tempel einem jeden seine Lehre, der sie hören wollte. Das Blut der Schwester hatte dem Islam den Mann gewonnen, der, nachdem Muhammed die Religion des Islams gegründet hatte, als zweiter Kalif das islamische Weltreich zimmern sollte.
II
Verschwunden war er, verschwunden in das Nichts, der grimmig gehaßte Mann, der sich vermaß, etwas anderes sein zu wollen, als alle anderen Leute in Mekka, der unter ihnen aufgewachsen war als ein ganz gewöhnlicher armer Waisenjunge im Hause eines Onkels, später eine viel ältere, wohlhabende Witwe geheiratet hatte, dann aber als angeblicher Sendbote eines Gottes alle wichtigsten Interessen seiner Vaterstadt bedroht hatte, Muhammed, der Sohn des Abdallah. Als früh mit der aufgehenden Sonne einige Personen sein Haus betraten, fanden sie es öde und leer, nur in einem Winkel fanden sie einen unter einem Mantel Muhammeds schlafenden Jungen, der, unsanft geweckt und nach dem Hausherrn befragt, erklärte, er wisse von nichts. Mittlerweile hatten sich mehrere Leute angesammelt, darunter einige der heftigsten Feinde Muhammeds. Diese zogen nun weiter nach dem Hause seines Freundes Abu Bekr, aber auch dort fanden sie weder den gesuchten noch Abu Bekr, wohl aber ein kleines Mädchen, das kaum mehr als acht Jahre alt gewesen sein kann. Da auch sie erklärte, sie wisse von nichts, schlug ihr ein roher Patron unter den Feinden eine so derbe Ohrfeige, daß ihr Ohrring davon flog. Jener Knabe war Ali, Muhammeds Vetter und Adoptivsohn, das Mädchen war
Asmâ, die Tochter des Abu Bekr.
Beide Kinder wußten genau Bescheid, waren in alles eingeweiht, aber sie verstanden zu schweigen. Mitten in der Nacht hatten drei Kamele Mekka nach Süden hin verlassen, auf ihren Rücken kauerten Muhammed, Abu Bekr und zwei Heiden, ein Kamelknecht und ein Führer. Die Feindschaft seiner Gegner hatte eine solche Siedehitze erreicht, daß Muhammed sich entschließen mußte, seine Heimat aufzugeben. Es war dort nichts mehr für ihn zu holen, und seine Getreuen fürchteten sogar für sein Leben. Infolge einer Einladung angesehener Männer in Medina hatte er einen seiner Besten als Apostel dorthin vorausgeschickt, dann hatten im Laufe einiger Monate alle Bekenner des neuen Glaubens Tür und Tor hinter sich abgeschlossen, Hab und Gut im Stich gelassen und waren truppweise in die ungewisse Fremde hinausgezogen. Als die letzten folgten Muhammed selbst und Abu Bekr. Die beiden von ihnen zurückgelassenen Kinder hatten folgende Aufträge: Ali sollte einige unerledigt gebliebene Angelegenheiten Muhammeds regeln und dann mit dem Rest der Gemeinde, einigen Frauen, Kindern und Kranken nachkommen. Asmâ hatte den Auftrag, unter dem Schutze der folgenden Nacht nach einem bestimmten Punkte ihrer Route Lebensmittel nachzubringen. Als sie dieselben herrichtete, fehlte ihr ein Lederriemen, um den Wasserschlauch, einen gereinigten Ziegenbalg, zuzubinden. Sie zerriß daher ihr breites, längliches Gürteltuch in zwei Streifen, mit dem einen schnürte sie den Wasserschlauch zu und den anderen bestimmte sie zur Tischdecke für Muhammed, die auf dem Erdboden ausgebreitet werden sollte, damit seine Mahlzeit darauf serviert werde. Seitdem heißt Asmâ in der Chronik des Islams
das Mädchen mit den beiden Gürtelstreifen.
Noch einmal sollte Asmâ in der Geschichte uns begegnen. Mehr als sieben Jahrzehnte waren seitdem verflossen. Muhammed und Omar hatten ihre Welt aus den Angeln gehoben und eine neue Weltordnung an die Stelle gesetzt. Aus der kleinen verschüchterten Gemeinde zu Mekka war ein Weltreich geworden, aber das Szepter des Islams war gespalten, in Damaskus regierte ein Kalif, in Mekka ein anderer, und in ihrem Kampf um die Oberhand war viel Blut vergossen.
Unsere Asmâ hatte einen Vetter Muhammeds, den Zubair, geheiratet und ihm als ersten Sohn den Abdallah geboren. Dieser beherrschte später als Kalif während eines Jahrzehnts die Hälfte der islamischen Welt von seiner Residenz Mekka aus. Dann aber wurde das Glück ihm untreu: eine an Zahl weit überlegene Armee seiner Feinde belagerte ihn in Mekka, die Steine ihrer Wurfmaschinen fielen auf alle Teile der Stadt nieder, sogar auf das Dach des Tempels. Die Armee Abdallahs schmolz zusammen durch Desertion, sogar einige seiner eigenen Brüder gingen zum Feinde über, und es konnte daher weder für ihn noch für seine Getreuen ein Zweifel mehr bestehen, daß seine Sache verloren war, daß das bittere Ende bevorstand.
Nun suchte der Kalif seine Mutter auf, sie um ihren Rat zu bitten. Frau Asmâ war damals eine blinde Greisin von mehr als achtzig Jahren. Der Kalif küßt seiner Mutter die Hand und spricht:
»O Mutter, was denkst du?«
Asmâ: »O mein Sohn. Wenn du um irdischer Vorteile willen gekämpft, deine Getreuen in Kampf und Tod geführt hast, und jetzt dich deinem Feinde unterwirfst, dann wirst du zum elenden Gespött der ganzen Welt. Wenn du aber für Recht und Wahrheit gekämpft hast, dann rüste dich zur Schlacht, zieh mit deinen letzten Getreuen zum Tor hinaus und biete deinen Feinden die Stirn zum letzten Kampf. Gott wird dir lohnen.«
Der Kalif handelte nach dem Rat seiner hochsinnigen Mutter legte Helm und Panzer an und entbot seine arg zusammengeschmolzene Kriegerschar. Als er dann, um Abschied zu nehmen, bei seiner blinden Mutter eintrat, fühlte sie, daß er einen Panzer anhatte. »Mein Sohn,« sprach sie, »wozu der Panzer, wenn es gilt zu sterben?« Der Kalif entledigte sich seines Panzers, adjustierte seine Kleidung, küßte seiner Mutter in alter Liebe und Ehrfurcht die Hand und ging von dannen. Sofort zog er mit den Seinigen zum Tor hinaus, es entwickelte sich ein wilder Kampf mit den zehnfach überlegenen Scharen der Belagerer, in dem der Kalif und seine Mitkämpfer bald bis auf den letzten Mann erlagen.
Einen oder zwei Tage später verschied die müde, blinde Greisin aus diesem Leben,
Asmâ, die Tochter des Abu Bekr,
die Mutter des Kalifen Abdallah Ibn Zubair.
III
Umm Habïba war eine der Frauen des Propheten, ihm in der Fremde per procura angetraut. Sie gehörte zu den ältesten Mitgliedern seiner Gemeinde in Mekka, sie und ihr erster Gemahl. Da aber die Verfolgungen von Seiten ihrer heidnischen Verwandten und Landsleute unerträgliche Formen annahmen, verließen viele von ihnen, Mann, Weib und Kind ihre Heimat, fuhren über das Rote Meer nach einem unter einem christlich-abessinischen Machthaber stehenden Küstengelände, wo sie wenigstens Duldung fanden. Unter diesen befanden sich Frau Umm Habïba und ihr Mann. Letzterer wurde dort Christ und starb bald darauf. Nun stand Frau Umm Habïba als Witwe allein in der Fremde. In diesem Moment trat Muhammed von Medina aus als Bewerber um ihre Hand auf. Er ließ ihr seine Werbung durch einen besonderen Boten antragen, durch den er auch den abessinischen Landesfürsten bat, er möchte erlauben, daß Umm Habïba ihm per procura angetraut werde. Und nicht allein, daß der fremde Fürst dies bewilligte, sondern er schenkte sogar der künftigen Gattin des Propheten 400 Golddenare, damit sie nicht ohne Mitgift wie ein armes Bettelweib, sondern in allen Ehren, wie es einer Frau aus vornehmem Geschlecht, denn das war sie, gebührte, in den Hausstand ihres Gemahls eintrete.
Was Muhammed zu dieser Ehe bestimmt haben mag, ist aus den Geschichtsquellen nicht zu ersehen. Daß er kein Bedenken trug, seinen fünf oder sechs Gemahlinnen noch eine weitere hinzuzufügen, darf mit Sicherheit angenommen werden. Salomo hatte 700 Frauen und 300 Kebsweiber, David hatte viele Frauen usw., und Muhammed pflegte sich beständig und in bitterem Ernst mit den Größen des Alten und Neuen Testamentes zu vergleichen, auch sie in allem und jedem zum Muster zu nehmen. Daß aber Umm Habïba mit vollem Ernst in dieser Ehe stand, daß sie in unwandelbarer Treue zu ihm hielt und im festesten Glauben an sein Prophetentum alle anderen, sogar die heiligsten Rücksichten von sich warf, wenn das Interesse ihres Gemahls in Frage kam, ist ein ebenso bemerkenswertes Zeugnis für sie wie für ihn.
Als Umm Habïba in Medina eintraf, war Muhammed mittlerweile ein großer Mann geworden, der Kriege führte, offene Feldschlachten schlug und schon reiche Beute gewonnen hatte. Abgesehen von geringen Unterbrechungen stand er fortwährend in Fehde mit seiner Vaterstadt, und einer der angesehensten seiner dortigen Feinde, vielfach ihr Anführer im Kampf war Abu Sufjän, der Vater seiner Frau Umm Habïba. Also Schwiegervater gegen Schwiegersohn! – Die Umstände sekundierten dem letzteren, und im Verlaufe von ein bis zwei Jahren wurde es klar, daß Mekka unterliegen, daß der einst von dort vertriebene Prophet als Sieger in Mekka einziehen werde und daß nun seine Feinde damit rechnen mußten, er werde Vergeltung üben für so manches, was sie im Laufe der Jahre ihm angetan hatten. Daher kam es, daß die meisten von ihnen durch Vermittelung von Verwandten und guten Freunden sich unter dem Schutze der Dunkelheit zu Muhammed schlichen, um mit ihm ihren Frieden zu machen und ihre Köpfe in Sicherheit zu bringen. In diese Zeit fällt das folgende Ereignis: Abu Sufjän war vielleicht zu allen Zeiten der grimmigste und mächtigste Feind Muhammeds gewesen; er hatte am Berge Uhud die Feinde angeführt, wo bald Muhammed sein Leben verloren und der Islam sein Ende gefunden hätte. Ende 629 mußte dieser stolze Mann sich bequemen, nach Medina zu ziehen und Muhammed um Frieden für seine Vaterstadt anzubetteln. Muhammed lehnte schroff ab, und nun wußte Abu Sufjän, daß Mekkas letztes Stündlein geschlagen hatte. Verzweifelnd schlich er nach der Hütte seiner Tochter, Umm Habïba, vielleicht in der Hoffnung, durch ihren Einfluß auf ihren Gemahl noch einiges zu retten. Kaum eingetreten in die Hütte ließ er sich nieder auf einen Teppich, sofort aber sprang Umm Habïba herbei und riß ihm den Teppich unter dem Leibe weg.
Abu Sufjän: »O meine Tochter, ist dir der Teppich lieber als ich, oder bin ich dir lieber als der Teppich?«
Umm Habïba: »Der Teppich ist der Teppich des Boten Gottes, meines Gemahls. Auf dem darfst du nicht sitzen, denn du bist ein unreiner Götzendiener.«
So handelt doch wohl nur eine Frau, die, wenn auch nur eine von Neunen, ihrem Gemahl mit Leib und Seele ergeben ist.
Frau Umm Habïba überlebte ihren Gemahl um viele Jahre und starb, als ihr Bruder Muâwija Sohn des Abu Sufjän als Kalif in Damaskus die ganze muhammedanische Welt beherrschte.