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Abu Haschïscha Altunbûri war ein großer, viel gefeierter Sänger. Wenn reiche Leute in Bagdad ein Fest veranstalteten, wurde Abu Haschïscha eingeladen. Er sang der Gesellschaft nach der Mahlzeit seine schönsten Lieder vor und versetzte sie allemal in das höchste Entzücken. Die reichlichsten Honorare waren sein Lohn. Was für ein Abenteuer ihm eines Tages seine Kunst zugezogen, erzählt er mit folgenden Worten:
Ich saß ruhig in meinem Hause, als plötzlich heftig an meine Tür geklopft wurde. Der Postdirektor von Bagdad in eigener Person trat bei mir ein und sprach zu mir in barschem Ton: Folge mir! Ich mußte mir sagen, daß es sich wohl um etwas sehr Wichtiges handle, Widerstand war aussichtslos, so warf ich meinen Mantel um und folgte ihm. Wir gingen durch die engen Gassen Bagdads, bis wir zum großen Palast des Stadtpräfekten kamen. Dort verließ mich der Postdirektor, aber ein Diener trat an mich heran, führte mich durch einen langen Korridor, eingefaßt auf beiden Seiten von schönen Zimmern, aus denen ein köstlicher Duft von Speise und Trank hervorströmte. Ich wurde eingeladen, in eines dieser Zimmer einzutreten, und dort setzte man mir ein fürstliches Mahl vor. Ich aß und trank drei Becher edlen Weines. Nachdem ich mein Mahl vollendet, brachten dann mehrere Diener einen großen Kasten herbei, in dem sich einige Gitarren befanden. Ich wählte mir eine davon aus, stimmte sie vorschriftsmäßig, und darauf führte man mich in einen großen Saal von blendender Schönheit.
Dort saßen an der Wand gegenüber der Tür zwei würdige Männer, der eine bekleidet mit einer hohen Mütze aus Zobelpelz und Gewändern aus persischer Seide, der andere in Gewändern aus Brokatseide, und neben ihnen war ein großer Vorhang aufgeschlagen, der vom Fußboden bis zur Decke reichte, hinter dem nach der Sitte jener Zeit die Damen des Hauses sich aufzuhalten pflegten, wenn sie hören sollten, was in dem Saale vorging, ohne selbst von den Personen im Saal gesehen zu werden. Ich machte meine devoteste Verbeugung, worauf der Mann mit der Zobelmütze mich aufforderte, Platz zu nehmen.
Dann sprach er: »So, jetzt singe uns eins deiner schönsten Lieder vor.« Darauf sang ich das Lied, dessen Anfang lautet:
Laß mich deine Liebe genießen,
Hab' Vertrauen zu meiner Treue.
Treue hat noch niemals geschadet.
Als ich geendet hatte, trank der Mann mit der Zobelpelzmütze einen Humpen Wein, klopfte dann gegen den Vorhang und sprach zu den hinter dem Vorhang sitzenden Damen: »Nun singt ihr dasselbe Lied.« Zu meinem größten Erstaunen wurde nun mein Lied von einer Anzahl der schönsten Stimmen gesungen, und zwar in einer so vollkommenen Weise, daß ich wähnte, als ob das Haus nach meiner Melodie tanze. Da sprach der Mann mit der Zobelpelzmütze: »Nun, Abu Haschïscha, was sagst du dazu?« Ich erwiderte: »Bei Gott, o Herr, deine Sängerinnen haben so wunderbar gesungen, daß meine eigene Kunst daneben ganz minderwertig erscheint.« Darüber freute sich jener mächtig und lachte vergnügt. Dann befahl er mir, ihm das Lied noch dreimal vorzusingen und trank dazu drei volle Humpen.
Als ich geendet hatte, sprach der Mann mit der Zobelpelzmütze: »Weißt du, wer ich bin?«
worauf ich erwiderte: »Nein.« Darauf er: »Ich bin Isaak Ibn Ibrahim, der kaiserliche Stadtpräfekt von Bagdad, und der Herr neben mir ist Prinz Mohammed Ibn Raschid. Ich wünsche, daß dies unser tête-à-tête unter uns bleibt. Merk dir das. Wenn du es ausplauderst, laß ich dir 300 Peitschenhiebe versetzen. Jetzt kannst du dich erheben und gehen.«
Sofort stand ich auf und eilte davon, er aber schickte mir einen Diener nach und ließ mir einen Geldbeutel mit 300 Denaren überreichen. Ich wollte dem Boten ein Trinkgeld geben, aber der großherrliche Lakai lehnte es stolz ab.