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Während der Krise, die er durchlebte, besuchte Konstantin oft, wenn er erregt und unruhig war, seine Freundin Natascha. Er verließ die gewitterschwüle Stimmung des Hotel National und flüchtete in eine andere Welt, in der nur Sanftheit, Ruhe und Güte herrschten. Er meinte ohne das traurige Lächeln seiner Freundin Natascha nicht mehr leben zu können. In ihrer Nähe schien ihm der bevorstehende Abschied von seiner Geliebten, dessen Schmerz er fürchtete, leichter.
Er speiste abends öfter bei ihr und machte vor Ariane kein Geheimnis daraus. Seit er zum Bruch mit Ariane entschlossen war, hatte sich sein Benehmen gegen sie verändert; er sprach freimütiger zu ihr und verbarg auch nicht seine häufigen Begegnungen mit der jungen Frau. Ariane hörte ihm gleichgültig zu.
»Ich werde meine Freiheit benützen und mit einem Freund ins Theater gehen«, meinte sie.
Am Abend saß er neben Natascha auf dem Diwan und plauderte mit ihr, während der Samowar auf dem Tische summte. Oft blieb Natascha einsilbig. Sie beobachtete Konstantin. Manchmal kam er mit wutverzerrtem Gesicht zu ihr, nervös, ermüdet, zynisch in seinen Worten; oft wieder war er lächelnd, liebenswürdig, Herr seiner selbst. – Sie erriet, daß sich ein Drama in ihm abspielte, bei dem sie ausgeschaltet war. Sie sprachen niemals von Ariane; nach einem stummen Einverständnis durfte sie zwischen ihnen nicht genannt werden, aber in ihren Gedanken lebte sie unaufhörlich.
Im Laufe dieser ruhigen Stunden schloß Konstantin seine Freundin manchmal in die Arme und drückte seine Lippen auf ihre Schulter. Sie wehrte sich nicht; sie überließ sich seinen gefährlichen Zärtlichkeiten. Sie verlängerten mit Vergnügen eine zweideutige Situation, an der sowohl Konstantins Zögern, wie Nataschas Schüchternheit Gefallen fand.
Konstantins Erstaunen war groß, als Natascha einst direkt fragte:
»Lieben Sie Ariane Nikolajewna?«
Es war dies kurz nach dem Silvesterabend und nach Arianes Erzählung über ihren Besuch bei Wladimir Iwanowitsch. Konstantin war davon noch ganz verstört.
Bei der Frage, die ihm gestellt wurde, zuckte er zusammen. Es schien ihm, als wäre die Stimme, die er da gehört hatte, nur das Echo seines eigenen Gewissens. Er überlegte einen Augenblick und sagte dann mit ruhiger Gewißheit:
»Nein, ich liebe sie nicht. Ich habe mit ihr gelebt, ich habe sie ganz gern, denn sie ist unglaublich begabt, geistvoll und leidenschaftlich. Aber aus gewissen Gründen, die ich Ihnen nicht erklären kann, weil ich sie selbst nicht begreife, hat sie in hartnäckigster Weise und mit teuflischer Kunst zu verhindern verstanden, daß Liebe zwischen uns entstehen konnte. Vielleicht liebt sie mich. Aber sie würde lieber sterben, als es auch nur erraten lassen. Ich hätte sie lieben können, doch sie wollte es nicht. Darum habe ich mich entschlossen, sie zu verlassen. Unsere Trennung steht nahe bevor, deshalb erlassen Sie es mir, davon zu sprechen. Sie wird wieder ihr Leben der Abenteuer und der Erfahrungen aufnehmen, das ich nicht romantisch nennen kann, denn niemals gab es ein kälteres Herz, einen in seiner Tollheit verständigeren Kopf, verbunden mit so glühenden Sinnen. – Und ich werde frei sein ...« wobei er sich zu Natascha beugte. »Teure Freundin, fragen Sie heute nicht weiter. Ich werde nach Petersburg reisen und nach meiner Rückkehr erlauben Sie mir, mich bei Ihnen einzuladen.«