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Zwei Tage später saßen Ariane und Konstantin Michael nebeneinander auf dem Diwan in einem Separeé des berühmten Restaurant Eremitage. Ariane war wunderbarer Laune, Konstantin ließ sie plaudern und hörte mit großem Vergnügen die Geschichten, die sie erzählte. Er kannte schon Varwara Petrowna, er wußte auch schon von dem halbverlobten Nikolaus Iwanow und den bitteren Erfahrungen, die er bereits vor der Hochzeit hatte machen müssen; weder die Soupers im Hotel London, noch die stattliche Anzahl der Anbeter, die die strahlende Ariane dort umgeben hatten, blieben ihm unbekannt. – Der Alexanderpark erschien ihm als der verlockendste Garten Rußlands; er sah die dunklen Alleen vor sich, die im Lichte der grellen Bogenlampen blendenden Terrassen und die fröhlichen Besucher, zwischen denen sich tausend Fädchen spannen. Mit wenigen treffenden Worten hatte Ariane die Umgebung und die Hauptpersonen ihres vergangenen Lebens gezeichnet. Als hätte er sie mit eigenen Augen gesehen, kannte er Varwara Petrowna mit ihrem leichten Gang und ihrem unwiderstehlichen Lächeln; der arme Nikolaus bildete eine bedauernswerte Figur in diesem Bilde, manche Personen blieben in einem geheimnisvollen Halbdunkel und Ariane, die sonst ihren Stolz darein setzte alles plastisch zu beschreiben, begnügte sich mit Andeutungen und überließ es dem Scharfsinn ihres Zuhörers daraus das Weitere zu erraten.
Wie unterhaltend Konstantin Michael dies alles auch fand, sein Staunen war noch viel größer. Was war eigentlich dieses junge, eigensinnige, überlegene Mädchen voll sprühenden Geistes und lebhafter Intelligenz für ein Wesen? Sie kannte das Leben wie eine reife Frau, sie hatte in manchen Augenblicken einen Ausdruck voll ernsten Sinnens, der nicht zu ihrer Jugend passen wollte; die Stirn war eigensinnig und doch nachdenklich. Manchmal wieder, wie damals, als sie, in ihrem Mantel verkrochen, diesen kleinen schwarzen Filzhut aufgestülpt hatte, den sie zu den Vorlesungen trug, sah sie wie ein Mädel von sechzehn Jahren aus.
»Sie kommt zwar aus dem Süden,« sagte er sich, »aber wie frühreif dort auch die Mädchen sein mögen, es brauchte doch jahrelange Erfahrungen, um soviel Lebensklugheit anzusammeln, die sie jetzt prahlend vor mir ausbreitet.«
Bei diesem Punkt seiner Überlegungen unterbrach er sich, um rasch zu fragen:
»Dabei fällt mir ein, wie alt sind Sie eigentlich?«
»Wobei fällt Ihnen das ein?« war die erstaunte Gegenfrage, denn seine Worte paßten gar nicht zu dem, was sie eben erzählt hatte.
Er erklärte:
»Wenn ich Sie ansehe, halte ich Sie für höchstens sechzehn, wenn ich Ihnen zuhöre aber für dreißig und gut ausgenützte dreißig Jahre. Also ich begreife nicht –«
»Ist es denn nötig eine Frau zu begreifen? Man will sie besitzen, das ist doch viel einfacher!«
Er war sprachlos und schaute sie einen Augenblick ganz verdutzt an. Dann, sich dem Ton anpassend, den ihre rasche Bemerkung angeschlagen hatte, setzte er ihr auseinander, daß er vom ersten Augenblick an in dieser Unsicherheit über ihr Alter sei, da sie ihm zugleich wie ein halbwüchsiges Mädchen und auch wie eine junge Frau vorkomme, der kein Erlebnis mehr fremd sei.
Sie behielt ihr ironisches Lächeln und nur, als er geendet hatte, warf sie wie ein Kenner, der ein nicht allzu seltenes Stück beurteilt, hin:
»Nicht schlecht.«
»Und also? Ich würde je nachdem ebenso auf sechzehn, wie auf fünfundzwanzig wetten.«
»Wie immer ist die Wahrheit zwischen beiden.«
Und das Gespräch schweifte ab.
Als später durch die Wand die Takte einer Zigeunerweise herüberklangen, neigte sich Konstantin zu ihr, legte seinen Arm um ihre weiche Gestalt und zog sie an sich. Sie wehrte ihm nicht. Als er jedoch seine Lippen ihrem Munde näherte, wandte sie den Kopf weg und sein Kuß traf nur ihren kühlen Hals, dort wo das Ohr ansetzt, nahe bei den Haaren.
Sie blieb steif und unbeweglich in seinem Arm und schließlich war er selbst es, der sie freiließ.
»Was für ein Parfüm benützen Sie? Es ist wundervoll.«
Ariane schien erstaunt und antwortete bloß:
»Auch das ist mein Geheimnis.«
Es entstand ein Schweigen.
Konstantin unterbrach es entschlossen; seine Absicht stand fest. Und in einem Ton, der anders war, als in ihrer bisherigen Unterhaltung, erklärte er, daß er ein fanatischer Freund der Offenheit wäre, daß seine einfache und klare Art alle Dinge frei herauszusagen ihm bisher am meisten genützt habe und daß er auch diesmal, selbst auf die Gefahr hin alles aufs Spiel zu setzen, davon nicht abgehen wolle. Er sei zum mindesten davon überzeugt, daß sie, die er als klug und vorurteilslos schätzen gelernt habe, ihn nicht mißverstehen werde; ja vielleicht werde sie ihm sogar dankbar sein.
»Es steht einfach so, daß ich Sie gewinnen möchte ... Ich bekenne es ohne Umschweife. Wie kann ich das erreichen? Soll ich bei Ihnen jene Mittel anwenden, die Männer gewöhnlich brauchen, um eine Frau zu verführen? Soll ich Ihnen vielleicht erzählen, daß Sie die erste Frau sind, vor der ich in die Knie sinke? – Sie würden mir ins Gesicht lachen! Nehmen wir die Dinge, wie sie sind. Sie gefallen wir maßlos. Vielleicht bin auch ich Ihnen angenehm, da Sie doch hier sind. Es ist mir undenkbar, daß ich in Ihrer Gegenwart Langeweile, das einzige, wovor ich Furcht habe, fühlen könnte. Daher möchte ich Sie öfter und länger und jeden Tag sehen.«
Er schwieg. Ariane machte keinerlei Bemerkung. Etwas unsicher geworden sagte er:
»Aber helfen Sie mir doch, Ariane Nikolajewna, ich bin nicht gewohnt Reden zu halten.«
»Ich warte auf das Ende, das ein so schöner Beginn verspricht!«
»Gut denn, ich fahre fort. Kennen Sie die Reisebilder von Heinrich Heine?«
Sie schüttelte den Kopf, sie schien zerstreut.
»In den Reisebildern erzählt Heine, wie er einmal in eine Stadt kam, in der er übernachten sollte. Er sah ein schönes Mädchen an einem Fenster Blumen begießen und sprach etwa: ›Gestern war ich noch nicht hier, morgen werde ich nicht mehr hier sein, aber heute gehöre ich dir.‹ Und das schöne Kind reichte ihm eine Blume. – Ich werde nicht lange in Moskau bleiben, aber diese kurze Zeit möchte ich mit Ihnen gemeinsam verleben. Ich bin nicht frei, Ariane Nikolajewna. – Eines Tages werde ich verreisen und nicht wiederkehren. Das Leben ist eine unfreundliche Angelegenheit; es braucht Erfindungsgeist, viel guten Willen und Wagemut, um ihm einige Stunden, ich sage nicht des Glückes, aber der Freude abzuringen. Wollen Sie mit mir gemeinsam eine so unsichere Sache unternehmen, wie es die Suche nach der Freude ist? – Ich fühle, daß ich zu Ihnen in dieser Weise sprechen darf und daß Sie vielleicht das Ungewöhnliche und Verwegene dieses Vorschlages, den ich bei keiner anderen wagen würde, zu locken vermag, denn Sie sind ohne Vorurteil und nehmen die Dinge, wie sie sind, davon habe ich mich schon überzeugt. Was kann uns geschehen? – Gar nichts. Sie verstehen doch wohl. – Ach, Verzeihung, ich vergesse eine große Gefahr. Vielleicht werden Sie mich lieben? Vielleicht verliebe ich mich in Sie? Die Liebe, die wir bei unserer Rechnung außer acht gelassen, wird sich vielleicht einschmuggeln? Sollen wir vor dieser eingebildeten Gefahr zurückschrecken? Sie haben Mut und auch mir fehlt er nicht. Ich stürme gegen den Feind.«
Er nahm das junge Mädchen in die Arme, sie wehrte sich nicht und über sie gebeugt sprach er weiter:
»Verzeihen Sie meine Offenheit, Ariane Nikolajewna, aber in diesem Augenblick wäre mir eine Lüge gräßlich. Was immer geschehen mag, wir wollen einander nicht getäuscht haben.«
Sie wollte erwidern. Er verschloß ihr den Mund mit einem Kuß und setzte fort:
»Sagen Sie nichts, ich bitte Sie darum.«
Sie befreite sich, reckte sich auf, nahm eine dunkelrote Nelke von ihrem Gürtel, führte sie an ihre Lippen und warf sie nach kurzem Zögern achtlos ins Zimmer.
»Ich hörte schon früher einmal Männer, die dasselbe wollten, wie Sie. Sie fingen es anders an. Man lernt immer noch zu. Aber es ist spät und die Vorlesung von heute abend war lang genug. Ich muß nach Hause. – Richtig, erzählte ich Ihnen schon, daß mein Onkel, bei dem ich wohne, mir nachstellt? Ich werde mein Zimmer zusperren müssen und, es ist lächerlich, aber ich ersticke in einem versperrten Zimmer.«
Er führte sie im Wagen nach Hause. Beim Verlassen sagte er zu Ariane:
»Auf morgen also. Wollen Sie mit mir abendessen?«
»Aber nein, ich esse zu Hause um sieben Uhr.«
»Also gut, dann erwarte ich Sie um halb neun hier vor dem Hause und Sie werden die Güte haben, eine Tasse Tee bei mir zu nehmen.«
»Oh, ich schwöre Ihnen, daß ich das nicht tue.«