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Zwei Tage nach diesem Abend kam während des Mittagessens ein Telegramm. Konstantin öffnete es und reichte es Ariane. Es war eine dringende Zurückberufung nach Moskau. Ohne Zögern und ohne Ariane zu fragen – sie vermerkte dies besonders – bestellte er telegraphisch in Sebastopol ein Coupé für den zweitnächsten Tag. Ariane sprach kein Wort des Bedauerns und war am Abend ebenso heiter und gesprächig wie sonst.
Am nächsten Tage nahmen sie Abschied von dem kleinen Häuschen am Meer und auch von der bloßfüßigen Tartarin, die ihr Automobil mit Blumen anfüllte; am Abend stiegen sie in den Moskauer Expreß und kamen sechsunddreißig Stunden später an. Konstantin hatte Ariane überredet vor ihrer Trennung noch einen Tag und eine Nacht mit ihm zusammen zu sein und so fuhren sie beide in sein Hotel.
Konstantin fürchtete die Abschiedsstunden. Er hatte eine lange Reise vor sich, da er in schwierigen Geschäften nach New York berufen war. In anderen Zeiten hätte er mit Freuden eine solche Mission begrüßt, die ihn wie der »deus ex machina« aus der zukunftslosen Tragödie seines Abenteuers befreite. Denn wie reizvoll auch immer eine Geliebte sein mag, sie muß ja doch einmal verlassen werden. Das Schicksal selbst brachte ihm die Lösung und kam Konstantin zu Hilfe, der allein nur schwer die Kraft zum Abschiednehmen gehabt hätte. Ariane hatte ihm die schönsten Blüten ihrer Jugend und ihres Geistes geschenkt; konnte er ihr wegen der übertriebenen Offenheit, die bei Frauen so selten ist, zürnen? Sollte er ihr deswegen böse sein, weil sie ihn nicht so sentimental liebte, wie viele Frauen ihn geliebt hatten? War er wirklich so dumm, daß er bedauerte, sie beim Abschied nicht in Tränen aufgelöst zu sehen? Und doch fand sich dieser Genußmensch in den letzten Stunden ihres Verhältnisses in einer bewegten Stimmung, die er sich nicht nur eingestand, sondern über die er sich sogar freute. Auch eine Unruhe vor dem was geschehen werde, mischte sich darein, gleich der Furcht eines Tieres vor Schlägen. Er fühlte sich als der Schwächere, der Verwundbare.
Nachmittags durchzogen sie gemeinsam Moskau. Ariane verlebte scheinbar einen Tag ihres Lebens, der sich in nichts von allen anderen unterschied. Am Abend fand er sie ebenso zärtlich und leidenschaftlich wie in den unvergeßlichen Stunden der Krim.
Aber am Morgen, während er sich ankleidete und sie noch im Bett lag, kam plötzlich der gefürchtete Überfall mit ungeahnter Stärke. Wie immer, so brach er auch diesmal aus einer gleichgültigen Unterhaltung hervor.
»Also morgen bin ich zu Hause. Nun, du liebst es doch so sehr zu befehlen, sag' mir also, wie lange du mir vorschreibst dir treu zu bleiben?«
Konstantin lief zu ihr, verschloß ihr mit der Hand den Mund und sprach flehend:
»Ich bitte dich, Ariane, bei allem was uns teuer ist, verdirb nicht die letzten Augenblicke, die wir zusammen sind. In wenigen Tagen sind wir weit auseinander gerissen. Keiner weiß, was das Leben ihm bringt. Aber ich beschwöre dich, schweige davon, der Gedanke, daß du jemals einem andern angehören könntest, ist mir unerträglich. – Ja, ja, es ist widersinnig, aber es ist nun nicht anders. Ich flehe dich an, zerstöre mir meine notwendigen Illusionen nicht. – Ich weiß, ich weiß. Du bist frei, ich habe keinerlei Rechte ... Aber laß das ruhen. Für später. Sprechen wir nicht darüber. Warten wir; die Zeit wird uns darüber weghelfen. Sei still davon, kleines Mädchen, man muß auch schweigen können.«
Und er bedeckte sie mit Küssen und preßte sie in seine Arme. Aber als er sie freigegeben hatte und sich weiter ankleidete, begann sie unbarmherzig von neuem:
»Ich habe einen Geliebten, der auf mich wartet. Ich hatte dir's nicht verheimlicht.«
Diesmal blieb er wie erstarrt, er schien nicht gehört zu haben. Sie sprach mit leiser, weicher Stimme, die zu dem Sinn ihrer Worte gar nicht paßte:
»Kaum werde ich angekommen sein, wird er mich rufen. Ich habe um vierzehn Tage das verabredete Rendezvous überschritten. Wie kann ich mich ihm versagen? Unter welchem Vorwand? Nehmen wir an, ich gewinne noch einige Tage Zeit, sagen wir eine Woche der Läuterung, aber mehr kannst du wirklich nicht verlangen. Er hat Rechte an mich, ältere als du. Und dann weißt du doch, wie das Leben bei uns ist; leichter, soviel leichter – ganz anders als hier. Aber schließen wir ein Kompromiß. Ich verspreche dir eine Woche lang dem zu leben, was du ›unsere teuren Erinnerungen‹ nennst. Aber verlange nicht mehr von mir, denn schließlich, was soll diese nachhinkende Treue?«
Konstantin war, die Tür hinter sich zuschmetternd, fortgerannt, und fluchte und schimpfte noch auf der Straße.
Beim Mittagessen, am Nachmittag und bis zum Abend, selbst noch als Konstantin, Ariane begleitend, mit ihr vor dem Zuge stand, blieb sie so aufreizend und verletzend.
»Es scheint, daß du mir den Abschied leicht machen willst,« sagte Konstantin, »du willst offenbar, daß ich dir nicht nachtrauern soll!«
Sie küßten sich nur hastig, wie man einer lästigen Pflicht genügt.
Konstantin blickte grübelnd dem langen, fortdampfenden Zug nach. Er fühlte sich bedrückt, er sehnte sich nach Ruhe.
»Wieder ein Abschnitt meines Lebens, der zu Ende ist und sicher keiner von den schlechtesten. Aber es war schon an der Zeit ...«