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»Der Vogel im Birnbaum.« – Bournonville. – Weyse's Tod. – Reise nach Paris. – Breitenburg. – Hamburg nach dem Brande. – Der Maler Speckter. – Carneval in Düsseldorf. – Der Maler Achenbach. – Cöln. – Brüssel. – Paris. – Marmier. – Martin. – Victor Hugo. – Madame Ancelot. – L. Blanc. Rellstab. – Martinez de la Rosa. – Lamartine. – Alexander Dumas, Vater und Sohn. – Mademoiselle Rachel. – Alfred de Vigny. – Der Bildhauer David. – Madame Renbaud. – Balzac. – Heinrich Heine. – Der Dichter Ampere. – »Nur ein Geiger« in Deutschland. – Heimreise – Am Rhein. – Freiligrath. – Moritz Arndt in Bonn. – Emanuel Geibel. – Würdigung meiner Werke im Auslande. – Herr Boas. – Meine Märchen und deren Aufnahme – Der Kritiker P. L. Möller. – Julian Schmidt. – Dr. A. Meyer.
Im Sommer 1842 übergab ich dem Sommertheater ein kleines Stück » Der Vogel im Birnbaum«. Es wurde mit großem Beifall aufgenommen, so daß die königliche Theaterdirection es in ihr Repertoire aufnahm; ja sogar Frau Heiberg zeigte dem kleinen Stücke das Interesse, daß sie darin die Rolle der Liebhaberin übernahm. Man hatte sich bei demselben amüsirt, die Wahl der Musiknummern vortrefflich gefunden; ich wußte also, daß das Stück seine Probe bestanden hatte, als es plötzlich bei einer der Wintervorstellungen ausgepfiffen wurde. Einige junge Leute, die damals das Wort führten, pfiffen, sie sollen zu Anderen, die sie nach der Ursache ihres Benehmens fragten, geantwortet haben: »Die Bagatelle mache zu viel Glück und Andersen bekäme zu großen Muth!«
Ich selbst war an dem Abend, als sie pfiffen, nicht im Theater gewesen und hatte keine Ahnung davon. Am Tage darauf erschien ich in einem Familienkreis; ich litt an Kopfschmerzen und sah daher etwas ernster als gewöhnlich aus, und da die Frau des Hauses vollkommen überzeugt war, daß der Ausdruck in meinem Gesicht von der Begebenheit des vorigen Abends herrühre, trat sie mir entgegen, ergriff theilnehmend meine Hand und sagte: »Das sollten Sie sich nicht so zu Herzen nehmen. Es waren ja nur Zwei, die pfiffen, das ganze übrige Haus nahm Ihre Partei!« – »Pfiffen? meine Partei nahmen!« rief ich. »Bin ich denn ausgepfiffen worden?« – Da entstand ein großer Schrecken darüber, daß sie mir die erste Nachricht davon auf diese Weise mitgetheilt hatte.
Bei der nächsten Vorstellung blieb ich zu Hause und nachdem das Stück aus war, hatte ich in meinem Zimmer eine komische Scene. Mein teilnehmender Freund – der erste, der sich bei mir einfand – versicherte, daß das Pfeifen, das auch an diesem Abend stattgefunden habe, wie er sich ausdrückte, ein wahrer Triumph für mich geworden sei! Alle hätten sie dem Stücke jubelnden Beifall gespendet, und es wäre nur das Pfeifen eines Einzigen gehört worden. Dann kam ein zweiter Bekannter, den ich nach der Zahl der Pfeifenden fragte, »Zwei!« antwortete er, und der Folgende sagte: »Drei, bestimmt nicht mehr!« Endlich kam einer meiner eifrigsten Freunde, der tüchtige, naive, prächtige Hartmann. Er wußte gar nicht, was die Anderen gesagt, und da ich ihn jetzt bei seinem Gewissen bat, mir zu sagen, wie Viele er pfeifen gehört habe, legte er die Hand auf's Herz und sagte: »Höchstens waren es fünf!« – »Nein, nein«, brach ich aus, »nun frage ich Niemand mehr; die Zahl wächst ja gleichsam wie bei Falstaff, denn da steht Einer, der sogar behauptet, nur einen Einzigen pfeifen gehört zu haben!«
Um nun seine Mittheilung wieder gut zu machen, sagte Hartmann in all' seiner Ehrlichkeit: »Ja, es ist leicht möglich, daß nur ein Einziger gepfiffen hat – aber jedenfalls war es eine ganz verdammte Flöte!«
Balletmeister Bournonville sandte mir am Tage darauf ein von ihm verfaßtes Gedicht, » Der Traum des Dichters«, das in einer Beilage zu seinen Erinnerungen abgedruckt ist. Der Schluß derselben lautet folgendermaßen: Wörtlich übersetzt. Der Uebers.
– In des Sommers Hitze erquickten Deine Birnen,
Jetzt wirft man sie, als überreif hinweg,
Nach Jahren vielleicht der Baum trägt Trauben,
Und erquickt durch seine Frucht uns wieder.
Deshalb laß' Mißmuth nicht Deinem Herzen nahen,
Laß' die Sorge nicht abzwingen Dir ein
Ach!
Wie viele glaubst Du, die Gottes Gaben kosten,
Gedenken des Wohlthäters wol mit
Dank?
Sei selbst nicht undankbar gegen den Schöpfer!
Du erhieltst sehr viel aus seiner Hand,
Für den Dichter geht keine That verloren,
Er stirbt niemals, denn aus ihm spricht der Geist!
Reimbrief an meinen Freund H. C. Andersen von seinem
treuen und aufrichtigen
August Bournonville.
Kopenhagen den 13. November 1842.
*
In mehreren Zeitungen wurde » der Birnbaum« lächerlich gemacht, sogar der » Bazar« wurde wieder hervorgezogen, um ihn zu bespötteln. Bei der Gelegenheit erinnere ich mich, daß Oehlenschläger Beides sehr lobte und hervorhob; Heiberg dagegen schrieb in seinem Intelligenzblatt über meine dramatische Bagatelle:
– »Das Stück gehört zu der Art von kleinen Kreaturen, deren Abweisung zur Aufnahme in unser Theaterbauer zu pedantisch sein würde, denn man kann von demselben sagen, wenn es auch nichts Gutes bringt, so verursacht es wenigstens nichts Böses, dazu ist es zu klein, zu unbedeutend und zu unschuldig; als Lückenbüßer eines Abends, dessen das Theater oft bedarf, kann es vielleicht Viele interessiren, aber gewiß Niemanden erbittern, ja, es ist sogar nicht ganz von einzelnen naiven und lyrischen Schönheiten entblößt.«
Ungeachtet Heiberg damals weder mein Freund noch der meiner Arbeiten war, ließ er, wie jeder Angreifer, der selbst Tüchtiges geleistet hat, mir doch darin etwas Gerechtigkeit widerfahren, und, im Grunde genommen, litt ich eigentlich nur durch Parteilichkeit.
Zehn Jahre später gab Heiberg als Director des königlichen Theaters, dessen Eigenthum das Stück geworden war, dem Casino-Theater die Erlaubniß, es aufzuführen. Ich war damals in ein mir wolwollenderes Geschlecht als früher hineingewachsen. Die kleine Arbeit wurde mit großem und lebhaftem Beifall aufgenommen und ist dort später oft wiederholt worden.
Den 8. October 1842 starb Weyse, er, mein erster edler Beschützer. Wir kamen in früherer Zeit im Wulff'schen Hause zusammen, arbeiteten gemeinsam am » Kenilworth«, und dennoch wurden wir nie ganz vertrauliche Umgangsfreunde. Sein Leben war einsam gleich dem meinigen, und dennoch sah man ihn gern, wie Viele, das darf ich glauben, mich gern sahen. Aber ich besaß die Natur des Zugvogels und flog über Europa hinaus; Weyse's größter Ausflug war bis Roeskilde, wo er in einer bestimmten Familie sich heimisch fühlte, wo er auf der schönen Orgel der Domkirche phantasiren konnte, und bei Roeskilde befindet sich sein Grab. Weiter in die Welt hinauszugehen, konnte er gar nicht fassen. Ich erinnere mich seiner Laune, als ich bei meiner Heimkehr aus Griechenland und Constantinopel ihn besuchte. »Sehen Sie, jetzt sind Sie doch nicht weiter als ich!« sagte er; »Sie sind nach der Kronprindsesse Gade gekommen und schauen über den Königs-Garten Der Königsgarten ( Kongens Have), der an die mit nur einer Reihe Häuser versehenen Kronprinzessin-Straße stößt, umschließt das von Christian IV. erbaute gothische Schloß Rosenborg, in dem die chronologische Sammlung der dänischen Könige sich befindet. In diesem Garten, wo er oft promenirte und welcher der Tummelplatz der Kinder ist, wird dem Dichter ein Denkmal, aus freiwilligen Gaben zusammengebracht, demnächst errichtet werden. Der Uebers. hinaus; das thue ich auch; Sie aber haben viel Geld fortgeworfen. Wollen Sie reisen, dann reisen Sie nach Roeskilde, das genügt. Warten Sie, bis wir die Reise nach dem Monde und den Planeten antreten!«
Aus der ersten Zeit, als » Kenilworth« aufgeführt wurde, habe ich noch einen charakteristischen Brief von ihm, dieser beginnt:
» Carissime domine poeta.«
»Die schwer zu begreifenden Kopenhager können nicht verstehen, wie es mit dem Finale des zweiten Actes unserer Oper zusammenhängt u. s. w.«
Zum Trauerfest im Theater sollte » Kenilworth« aufgeführt werden; es war vielleicht Weyse's letzte und vielleicht deshalb seine liebste Arbeit, denn er hatte ja selbst das Sujet dazu gewählt, selbst einige Stücke in den Text hineingeschrieben. Aber dieser Gedanke wurde wieder aufgegeben und man wählte Shakespear's Tragödie » Macbeth«, wozu Weyse die Musik geschrieben hatte, die jedenfalls nicht die charakteristische seiner Compositionen war.
*
Durch die letzten Arbeiten und eine vernünftige Oeconomie hatte ich eine kleine Summe gesammelt, die ich zu einer Reise nach Paris anzuwenden bestimmt hatte. Ende Januar 1843 verließ ich in Folge dessen Kopenhagen.
Der Jahreszeit wegen führte mich mein Weg über Fyen, durch Schleswig und Holstein. Der Winterreise, der schlechten Landwege und ihrer sogenannten Poesie, die man so oft beklagt, durch die segensreichen Eisenbahnen verloren zu haben, wurde ich bald überdrüssig; es war eine ermüdende, beschwerliche Reise, bevor ich Itzehoe erreichte und von dort aus das mir lieb gewordene Breitenburg.
Geheimrath Graf von Rantzau empfing mich auf höchst liebenswürdige Weise, und ich brachte dort einige herrliche Tage bei ihm zu. Die Frühlingsstürme rasten, aber die Sonne brach mit warmen Strahlen hervor; die Lerchen sangen im jungen Grün der Felder. Ich besuchte alle mir bekannten Orte der Umgebung; Mittage und Abende vergingen wie ein Fest.
Ich, der ich niemals an Politik und an politische Verhältnisse dachte, merkte jetzt zum ersten Mal, daß hier bei Einzelnen eine Art Spannung zwischen den Herzogthümern und dem Königreich herrschte; ich hatte so wenig über die Verhältnisse dieser Länder zu einander nachgedacht, daß ich ohne Weiteres im » Bazar« die Dedication schrieb: »Meinem Landsmann, dem Holsteiner, Professor Roß«; aber wie ich später bemerkte, verhielt es sich mit dieser Landsmannschaft nicht so, wie ich es mir gedacht hatte. – » Unser Herzog«, hörte ich eine Dame sagen, indem sie von unserem König sprach. – »Weshalb nennen Sie ihn nicht König?« fragte ich in meiner politischen Unwissenheit. – »O, er ist nicht unser König, sondern nur unser Herzog!« antwortete sie. In Folge dessen entstanden kleine politische Reibungen; aber Graf Rantzau, der den König, Dänemark und die Dänen liebte, war ein viel zu aufmerksamer Wirth und glitt scherzend und freundlich verdeckend hin über das, was gesprochen wurde. – »Es sind närrische Leute«, flüsterte er mir zu, und ich dachte, es seien ein paar Originale, auf die ich zufällig gestoßen sei und achtete nicht auf die hier im Lande sich ausbreitende Stimmung.
Eine große Feuersbrunst hatte, wie bekannt, in Hamburg Am Himmelfahrtstage 1842, am 5. Mai, brach das Feuer aus und erst am 8. Mai Abends wurde man Herr desselben, nachdem ganze Stadttheile und mehrere Kirchen vernichtet worden waren. Die erste Unterstützung der Hülfsbedürftigen ging von König Christian VIII. von Kopenhagen ein. Der Uebers. gewüthet; die ganze Strecke der Stadt gegen die Alster zu war bis auf den Grund niedergebrannt; einzelne Gebäude hatte man bereits wieder neu aufzuführen begonnen, allein das Meiste lag noch in Schutt mit verkohlten Balken; mehrere Thürme waren Ruinen; auf dem Jungfernstieg und der Esplanade Schöne Promenaden an der belebten Alster. Der Uebers. standen Reihen gemauerter kleiner Boutiken aufgeführt, wo die vielen Kaufleute, die vom Brande heimgesucht worden waren, jetzt ihren Ausverkauf hielten. Es war schwierig für Fremde, unter Dach zu kommen. Ich kam indeß gerade dadurch unter das heimischeste und beste. Graf Holck, der damals dänischer Postmeister in Hamburg war, empfing mich in seiner Familie als einen lieben Gast.
Ich verlebte herrliche Stunden mit dem genialen Spekter Otto Spekter, geboren 1807 in Hamburg, Bruder des genialen Malers Erwin Sp., war Landschafts- und Thiermaler. Namentlich sind seine Radirungen zu Andersen's Märchen, zum gestiefelten Kater (1844) u. s. w. bekannt geworden. Er starb im April 1871 in Hamburg. Der Uebers.; er begann gerade einige vorzügliche Bilder zu meinen Märchen zu zeichnen. Diese waren so genial, daß sie alle, die ich später in einer englischen Ausgabe wiedergefunden habe, sowie in einer weniger glücklichen deutschen Uebersetzung, übertrafen; hier war das Märchen, »das häßliche Entelein« Siehe Band III. Seite 494. Der Uebers. mit »grüne Ente« übersetzt worden, von wo es wieder in eine französische Uebersetzung als » Le petit canard vert « überging.
Es gab damals noch keine Eisenbahn über die Lüneburger Haide, und daher ging es langsam dahin im Postwagen auf den schlechten Wegen von Harburg über Osnabrück nach Düsseldorf, wo ich gerade am letzten Carnevalstage ankam und daher in deutscher Gestalt das Leben, das ich bisher nur von meinem Aufenthalt in Rom kannte, kennen lernen sollte. Indessen soll Cöln unter allen deutschen Städten der Ort sein, wo man die am prächtigsten arrangirten Züge in den Straßen veranstaltet. In Düsseldorf wurde die Heiterkeit, wie es in Zeitungsbesprechungen wol heißen würde, von dem schönsten Wetter begünstigt. Ich sah einen ganz amüsanten Aufzug, eine Kavallerie von Knaben, die auf ihren eigenen Beinen gingen, anscheinend die Pferde, auf denen sie zu reiten schienen, lenkten, ferner eine komische »Narrenhalle«, ein Gegensatz zur » Walhalla« Walhalla ist nach der nordischen Götterlehre der Himmel, oder der selige Wohnort für die im Kampfe gegen den Feind gefallenen Helden. Der Uebers., welche den Besuchenden offen stand. Man sagte, daß das Festarrangement von dem Maler Achenbach Es gibt zwei Brüder Achenbach, welche beide Landschaftsmaler sind und Professoren an der Düsseldorfer Maler-Akademie. Andreas ist den 29. September 1815 in Kassel und Oswald den 2. Februar 1827 in Düsseldorf geboren. Der Uebers., den ich kennen und schätzen lernte, herrühre.
Unter den Meistern der Düsseldorfer Schule fand ich mehrere alte Bekannte von meinem ersten Aufenthalt in Rom wieder; auch traf ich einen Landsmann, einen Odenseer hier, es war der Maler v. Benzon. Daheim bei uns hatte er, als er zu malen anfing, mich porträtirt. Ich bin niemals stark gewesen, aber dieses erste Bild zeigte mich ganz entsetzlich mager; ich sah wie der Schatten eines Menschen aus, der stark illuminirt war, oder wie Jemand, der während Jahr und Tag in der Presse zwischen Folianten gelegen hatte und nun mumientrocken herausgenommen und aufgestellt worden war. Mein Verleger, der Buchhändler Reitzel in Kopenhagen, kaufte ihm das Portrait ab. Hier in Düsseldorf hatte Benzon sich zu einem wirklichen Künstler erhoben und kürzlich ein schönes Bild, Knut der Heilige, der in der St. Albanikirche in Odense ermordet wird Siehe Band II. Seite 216. Der Uebers., vollendet. Ich vermißte indeß auf dem Bilde eine Figur, die nothwendig zu demselben gehört und ihm gewiß einen malerischen Schatten verliehen haben würde, nämlich den » falschen Blake« Siehe ebendaselbst. Der Uebers.; wunderbar genug, daß er diese Bezeichnung, welche in Fyen in der Sprachweise verkörpert worden ist, nicht gekannt hatte. Aber jetzt war es zu spät, diese Figur noch anzubringen.
Ueber Cöln und Lüttich bald mit der Diligence, bald mit der Eisenbahn, welche nur stellenweise vollendet war, erreichte ich Brüssel, wo ich den berühmten Sänger Alizard in Donizetti's Gaetano Donizetti, der berühmte Componist, dessen Opern sich fortwährend auf dem Repertoire der hervorragendsten Bühnen Europas befinden, ist am 25. September 1797 in Bergamo in Italien geboren und starb am 8. April 1848 in seiner Vaterstadt, die ihm ein Denkmal setzte. Der Uebers. » La Favorita« hörte, wo ich mich in der Galerie bei Rubens' fetten, blonden Frauenzimmern mit den simplen Gesichtern und verblichenen Kleidern gelangweilt hatte, mich aber in den herrlichen Kirchen in eine sonntägliche Stimmung versetzt fühlte und im Anschauen und in geschichtlicher Erinnerung vor dem alten Rathhause verweilte, in dessen Schatten hier aus dem Platze Graf Egmont Graf Egmont, geboren 1522 in Flandern, war ein tüchtiger Reitergeneral, der an vielen Schlachten in Deutschland und Frankreich theilnahm. Vom Könige Philipp II. von Spanien zum Statthalter in Flandern ernannt, kam er bei Herzog Alba in Verdacht, mit dem gegen die spanische Herrschaft aufständigen Adel in Verbindung zu stehen; ihm wurde in Folge dessen der Hochverrathsprozeß gemacht und er mit Graf Horn am 5. Juni 1568 auf dem Marktplatz in Brüssel hingerichtet. Der Uebers. hingerichtet worden ist. Der Thurm erhebt sich mit Schnörkeln und Spitzen, eine märchenhafte, großartige Brüsseler Spitze.
Auf der Eisenbahn von hier nach Mons Mons (sprich Mong) ist eine befestigte Grenzstadt Belgiens mit ca. 30,000 Einw., die Wollen-Fabrikation und Handel mit Getreide betreiben. Der Uebers. lehnte ich mich an das Thürfenster, um hinauszusehen; allein die Thür war nicht geschlossen, sie sprang auf, und hätte mein Nachbar das nicht bemerkt und mich nicht augenblicklich mit aller seiner Kraft festgehalten, dann wäre ich kopfüber hinausgestürzt, so kam ich glücklicherweise mit dem bloßen Schrecken davon.
Es war bereits Frühjahr in Frankreich, die Felder grün, die Sonne warm; ich erblickte St. Denis Saint Denis ist eine kleine Stadt, etwa eine Stunde im Norden von Paris, mit ca. 20,000 Einwohnern, die nur durch die Abtei-Kirche und ihre Königsgräber einen europäischen Ruf erlangte. Der Uebers., kam an den neuen Verschanzungen um Paris vorüber und bald saß ich in meinem Zimmer im Hôtel Valois in der Rue Richelieu , der Bibliothek gegenüber.
In der » Revue de Paris« hatte Marmier Xavier Marmier, geboren 1809 in Pontarlier, machte viele Reisen, namentlich in Dänemark, Schweden, Norwegen, Island, und war wenigstens der dänischen Sprache mächtig. Er war Professor der ausländischen Literatur (1837) in Rennes und 1839 Bibliothekar des Marineministeriums in Paris; er gab sowol Beschreibungen seiner Reisen, als literaturgeschichtliche Werke über Deutschland, namentlich über Goethe (1835) und über Skandinavien (1839) heraus. Der Uebers. früher einen Artikel über mich » La vie d'un poète« geschrieben.
Martin Von Louis Henri Martin, der berühmte Historiker, ist am 20. Februar 1810 in Saint Quentin in Nordfrankreich geboren; er studirte ursprünglich Jura, verfaßte aber, kaum 20 Jahr alt, historische Romane und übersetzte etwas von Ludwig Tieck. Dann widmete er sich ausschließlich der Geschichtsforschung, und auf diesem Gebiete hat er Großes geleistet, namentlich durch seine » Histoire de France« (1833-36, 15 Bände). Als Politiker war er nie der deutschen Einheit abgeneigt (nur nicht auf Kosten seines Vaterlandes) und opponirte stark gegen Kaiser Napoleon. Unter der neuen Aera, der Republik, welcher er sich stets zuneigte, erhielt er Platz im Senat, und im Juni 1878 wurde er an Thiers' Stelle als Mitglied der französischen Academie erwählt. Der Uebers. hatte ein paar meiner Gedichte in's Französische übersetzt, ja mich mit einem Gedicht beehrt, das in der oben gedachten » Revue« abgedruckt worden war; mein Name war also gleich einem Klange an dem Ohre der literarischen Welt vorübergegangen, und ich fand daher diesmal in Paris bei derselben einen überraschend freundlichen Empfang.
Bei Victor Hugo Victor Marie Hugo ist geboren den 26. Februar 1802 in Besançon. Sein Vater, Graf Joseph Hugo, war einer der hervorragendsten Generale der Revolutionskriege, wogegen seine Mutter, nach Einigen die Tochter eines Schiffsrheders in Nantes, nach Anderen die eines Capercapitains aus der Vendée, welche dem Könighause ergeben war und an den Gefahren des Aufstandes der Vendée theilnahm. Die verschiedenartigen Sympathien seiner Eltern wirkten auf ihn ein, und diese blieben nicht ohne Einfluß auf seine zukünftige Wirksamkeit als Dichter. Seine umherstreifende, an Abenteuern aller Art reiche Kindheit war ganz dazu angethan, sein poetisches Gemüt zu entwickeln. Kaum zwei Monate alt kam er mit dem Vater nach der Insel Elba, wo er drei Jahre blieb, dann zwei Jahre bei der Mutter in Paris, folgte ihr nach Neapel, spielte am Fuße des Vesuv und hörte von dem berüchtigten Räuber Fra Diavolo, den sein Vater als Gouverneur der Provinz verfolgte. 1809 kam er wieder nach Paris. Hier lernte er früh durch die Ereignisse die Tyrannei Napoleons hassen und daher kam es wol, daß er sich 1814 der Sache der Bourbonen anschloß. Indessen kam er nach Spanien, wo sein Vater am Hofe des Königs Joseph eine hohe Stellung einnahm, und sein Aufenthalt entflammte seine Phantasie. 13 Jahre alt schrieb er sein erstes Gedicht über Roland und seine Ritter. Das Kaiserthum fiel und die Rückkehr der alten Dynastie trat ein, bevor Victor Hugo noch seine Studien vollendet hatte – und bald trennten sich seine Eltern. Obgleich vom Vater zur militärischen Laufbahn bestimmt, blieb er der Poesie treu und schrieb nun sein erstes klassisches Trauerspiel »Irtamene«, in dem er unter ägyptischem Namen die Wiedereinsetzung der Bourbonen verherrlichte, und von 1818 an zog er durch seine Gedichte und dramatischen Arbeiten die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Die Jahre 1819 und 20 waren die entscheidenden in seinem Leben. »Liebe, Politik, Unabhängigkeit, Ritterlichkeit und Religion, Armuth, Ehrenhaftigkeit und Fleiß, fester Wille und harter Kampf gegen das Geschick, alle diese Eigenschaften offenbarten und entfalteten sich gleichzeitig bei ihm mit einer Stärke, die nur das Kennzeichen des Genies sind.« Ihm auf der ehrenreichen Laufbahn als Dichter zu folgen, würde uns hier zu weit führen, und das, was wir anführten, charakterisirt ihn vollkommen, um ihn sowol als Dichter wie als Politiker zu verstehen und zu begreifen. Aber seine Werke, die eine ganze Bibliothek ausmachen, sichern ihm für immer einen der hervorragendsten Plätze unter allen europäischen Autoren, und gilt er unter den französischen Dichtern der Gegenwart als Hauptvertreter der romantischen Schule. – 1830 schloß er sich der Julirevolution an und wurde 1841 Mitglied der französischen Academie; er hielt bei seinem Eintritt in dieselbe eine solche politische Rede, daß er dadurch verrieth, eine politische Rolle in der Zukunft spielen zu wollen. 1840 wurde er auf Betrieb des Herzogs von Orleans zum Pair von Frankreich ernannt. Obgleich er am 24. Februar 1848 auf dem Bastilleplatz die Herzogin von Orleans zur Regentin ausrief, schloß er sich dennoch bald der Republik an und plaidirte für die Rückkehr der Napoleoniden nach Frankreich. Von einem System zum andern schwankend, trat er bald dem Präsidenten Louis Napoleon bekämpfend gegenüber und mußte 1851 nach Belgien fliehen, um der Verhaftung zu entgehen; er lebte bis zum Sturze Napoleons III. in England im Exil, seitdem in Auteuil bei Paris weilend. – Seine hervorragendsten und gelesensten Romane sind: »Glöckner von Notre-Dame« und » Les misérables«; am meisten Aufsehen machten seine politischen Schriften »Napoleon der Kleine« (1852) und »das Verbrechen des 2. December« (1877). – Die von Andersen erwähnte Gattin, die Jugendliebe Victor Hugo's, war eine geborne Mademoiselle Foucher, die er 1822 ehelichte. Der Uebers. war ich mehrmals und genoß die große Freundlichkeit, auf die ich um so mehr Gewicht legen konnte, als Oehlenschläger sich in seinen Lebenserinnerungen darüber beklagt, solche hier nicht gefunden zu haben. Auf Victor Hugo's Einladung und Billet sah ich seine damals neueste und besonders verfolgte Tragödie » Les Burgraves« im Théatre français, die jeden Abend ausgepfiffen und in den kleinen Theatern applaudirt wurde. Seine Frau war sehr hübsch und besaß die Liebenswürdigkeit französischer Damen, die dem Fremden so wohl thut; ein kleines Gedicht von mir, das ich dänisch schrieb und das, glaube ich, Marmier übersetzt hatte, war damals wol das Einzige, was sie von mir als Dichter kannte.
Herr und Madame Ancelot Jacques Arsène Polycarpe François Ancelot, geboren in Havre am 9. Januar 1794, war ein bekannter Dichter, seit 1841 Mitglied der französischen Academie; er starb den 8. September 1854 in Paris. Seine Gattin, die wie er Dramen schrieb, hieß Marguerite Louise Virginia, geborne Chandon, und erblickte den 15. März 1792 das Licht der Welt. Der Uebers. öffneten mir ihr Haus, wo ich nicht blos französische Künstler und Schriftsteller, unter Anderen auch Louis Blanc Jean Josephe Louis Blanc, der als Historiker und Socialdemokrat sich einen Namen gemacht hat, ist am 28. October 1813 in Madrid geboren, kam 1834 nach Paris und war Mitarbeiter mehrerer der hervorragendsten Zeitungen. Schon 1838 begann er seine Theorie »der Organisation der Arbeit« zu veröffentlichen und ward 1848 Mitglied der provisorischen Regierung und wirkte als solches für die »Nationalarbeiterwerkstätten«, mußte aber wegen Theilnahme an einer Verschwörung gegen den Rechtsstaat im Mai desselben Jahres sich durch die Flucht der Verhaftung entziehen und lebte dann in Brüssel und in England. 1870, nach Napoleons Fall, kehrte er nach Paris zurück und gehört jetzt der Partei der gemäßigten Republikaner an. Seine historischen Werke sind alle in's Deutsche übersetzt worden. Der Uebers., antraf, sondern auch Fremde, wie den deutschen Schriftsteller und Kritiker Rellstab Ludwig Rellstab, geboren den 13. April 1799 in Berlin, gestorben daselbst den 27. November 1860, hat sich durch Kunst- und Theaterkritiken, die er für die »Vossische Zeitung« schrieb, einen weithin geachteten Namen erworben. Außerdem schrieb er seiner Zeit viel gelesene historische Romane, Dramen, Gedichte u. s. w. Der Uebers. und den Spanier Martinez de la Rosa Francesco Martinez de la Rosa, geboren am 10. März 1789 in Granada, gestorben in Madrid am 7. Februar 1862. Er wurde 1820 Ministerpräsident, 1823, als die Franzosen in Spanien einrückten, verbannt, 1834 übernahm er wieder den Vorsitz im Ministerium und kam 1840 als Gesandter nach Paris, ging in gleicher Eigenschaft 1842 nach Rom; 1844 wurde er auswärtiger Minister und 1847 wieder Gesandter in Paris. Er kehrte 1852 in sein Vaterland zurück und starb als Präsident des Staatsraths. Er schrieb Nationaldramen und lyrische Gedichte, die zum Theil deutsch erschienen sind. Der Uebers.. Mit Letzterem sprach ich lange Zeit, ohne zu wissen, wer er sei; seine ganze Persönlichkeit und der Eindruck, den seine Conversation auf mich machte, brachten mich dazu, Madame Ancelot zu fragen, wer dieser Herr sei. »Habe ich Sie einander nicht vorgestellt?« fragte sie. »Es ist der Staatsmann und Dichter Martinez de la Rosa.« Sie führte uns nun zusammen, und nachdem sie mich vorgestellt hatte, fragte er mich nach dem alten Grafen Yoldi in Kopenhagen und erzählte den Anwesenden, wie hübsch und theilnehmend König Frederik VI. sich des Spaniers angenommen habe, als er ihn um Rath fragte, welcher Partei er sich in seiner Heimat anschließen solle, und da diejenige, an welche er sich angeschlossen, dann die verlierende wurde, fand er Stellung und Heimat bei dem dänischen Könige.
Bald drehte sich das Gespräch nur um Dänemark, und da gerade ein junger Diplomat, der in Veranlassung der Krönung Christian's VIII. dort gewesen, anwesend war, hörte ich eine für mich als Däne eigenthümliche, wenn auch wolgemeinte Schilderung des Schlosses Frederiksborg Das Schloß Frederiksborg – nicht zu verwechseln mit dem oft gedachten Schlosse Frederiksberg bei Kopenhagen – liegt 4½ Meilen fern von der Residenz in herrlicher Gegend, wurde im Jahre 1603-24 von Christian IV. in der Mitte eines See's im gothisch-byzantinischen Styl erbaut. Dieses Schloß war der Lieblingsaufenthalt des verstorbenen Königs Frederik VII., der hier mit seiner dritten Gemalin, der Gräfin Danner, in größter Zurückgezogenheit lebte. Auf bisher unerklärliche Weise brach in der Nacht zum 17. December 1859 Feuer aus, das dasselbe mit fast allen hier angesammelten Schätzen – die Privatsammlungen des Königs, die unersetzliche Sammlung von Portraits berühmter Männer, die prachtvolle Schloßkirche, den unübertrefflichen Rittersaal etc. – gänzlich zerstörte, nur die nackten Mauern schonend. Dies war ein herber Verlust für den König, der sich nur schwer selbst von den Trümmern der schönen Burg trennte; aber auch die Nation war von dem Unglück mitbetroffen worden. In Folge dessen kamen in kurzer Zeit so große Summen durch freiwillige Beiträge aus allen Theilen des Landes zusammen, daß man sofort zum Neubau des Schlosses, mit Benutzung der alten starken Mauern, schreiten konnte. Jetzt steht das Schloß, dem Aeußeren nach, in seiner alten Pracht fertig da, wie auch das Innere der Schloßkirche bereits seit 1862 vollendet ist und, ganz in ihrer früheren Gestalt, zu den schönsten Hofkapellen in Europa zu zählen sein dürfte. Außer den, aus dem Brande geretteten prachtvollen Kirchenstühlen von eingelegter Arbeit, sind die Canzel und der Tauffond besonders hervorzuheben. Die Perle des Schmuckes dieses Gotteshauses ist jedoch die sogenannte Betkapelle, die durch das Feuer gänzlich vernichtet, aber in ihrer alten Pracht wieder hergestellt wurde. Die dort befindlichen 23 Bilder, »die Leidensgeschichte Christi« sind mit wahrhaft künstlerischer Vollendung vom Professor Carl Bloch gemalt. Nach und nach wird auch das Innere des Schlosses seiner Vollendung entgegen geführt werden. Zunächst gedenkt man den Rittersaal wieder herzustellen, wozu ein Privatmann bereits 40,000 Kr. hergegeben hat. Auch viele adlige Gutsbesitzer haben zu dem Zwecke ihre Unterstützung zugesagt. – In dieser Kapelle, wo auch die Wappenschilder der hohen Ritter der dänischen Orden aufgehängt sind, fanden die Krönungen der Könige statt. Christian VIII. war der letzte König, der sich dort krönen ließ. Der Uebers. und der Feste daselbst. Er sprach von den mächtigen Eichenwäldern, von dem alten gothischen Schloß mitten im Wasser, von der vergoldeten Kirche – und, was sehr komisch klang, da er vermeinte, daß es alltäglicher Gebrauch sei, daß all' die hohen Beamten in gelb- und weißseidenen Trachten mit Federn im Barett und mit langen, schleppenden Sammetmänteln, die sie auf den Straßen über den Arm werfen mußten, einherschritten; er hatte es selbst gesehen, und ich muß gestehen, daß das, was er erzählt hatte, nur aus Veranlassung des Krönungsfestes stattgefunden hatte.
Lamartine Marie Louis Alphonse de Lamartine, der berühmte französische Dichter und Staatsmann, wurde den 21. October 1790 in Maçon geboren und starb am 1. März 1869 in Passy bei Paris. Schon früh lenkte er durch die Sinnigkeit seiner Dichtungen die Aufmerksamkeit auf sich. 1832 bereiste er den Orient und trat 1834 in die Deputirtenkammer ein, in der er als Redner einen hohen Ruf erlangte. 1847 erschien (auch in deutscher Sprache) sein berühmtestes Werk »Geschichte der Girondisten«, das ihn sehr populär machte. 1848 trat er in die provisorische Regierung ein als auswärtiger Minister und schied 1851 aus dem politischen Leben, mit dessen Gestaltung in Frankreich er wenig zufrieden war. Seine Werke, die 1843-53 in Deutschland, herausgegeben von Herwegh, erschienen, umfassen 40 Bände, Gedichte, Dramen, Memoiren etc. Der Uebers. kam mir in seinem Heim und in seinem ganzen persönlichen Auftreten als Fürst unter Allen vor, und als ich mich entschuldigte, daß ich seine Muttersprache so schlecht spreche, antwortete er zuvorkommend mit französischer Höflichkeit, er sei zu tadeln, daß er die nordischen Sprachen nicht verstehe, in welchen, wie er erfahren, eine so frische und emporblühende Literatur vorhanden und wo der poetische Boden so fruchtbar sei, daß man sich nur herabzubeugen brauche, um ein altes Goldhorn aufzunehmen. Er befragte mich über den »Trollhätta-Canal« und sprach die Absicht aus, über Dänemark Stockholm besuchen zu wollen; er entsann sich unseres damals regierenden Königs Christian VIII., dem er in Castellammare Stadt am Meerbusen von Neapel mit ca. 30,000 Einw. Der Uebers. seine Aufwartung gemacht hatte. Er besaß übrigens eine Namensbekanntschaft der Personen und Orte in Dänemark, die mich bei einem Franzosen außerordentlich überraschte. Seine Gattin schien mir eine der herzigen und doch bestimmten Charaktere zu sein, an die man sich bald und vertrauensvoll anschließt; es war etwas Treues und Kluges in ihren Augen. Vor meiner Abreise schrieb Lamartine folgendes kleine Gedicht an mich:
Cachez vous quelque fois dans les pages d'un livre
une fleur du matin cueillie aux rameaux verts,
quand vous rouvrez la page après de longs hivers,
aussi pur qu'au printemps son parfum vous enivre,
après les jours bornés qu'ici mon nom doit vivre
qu'un heureux souvenir sorte encore de ces vers!
Paris. 3 Mai 1843.
Lamartine.
In wörtlicher Uebersetzung:
Bergen Sie einmal zwischen den Blättern eines Buches
Eine Blume, die des Morgens frisch gepflückt vom grünen Zweig,
Und Sie öffnen dann wieder die Seiten nach langer Zeit,
Dann wird sie herrlich wie im Lenz ihren Duft Ihnen entfalten.
Nach der begrenzten Zeit, in der mein Name mag leben,
Mögen diese Zeilen eine liebe Erinnerung sein. Der Uebers.
Den jovialen Alexander Dumas Alexander Dumas, geboren den 24. Juli 1803 in der Picardie, gestorben den 8. December 1870 bei Dieppe, machte sich zunächst als Theaterdichter bekannt. 1829 gelangte sein erstes Drama zur Aufführung und begründete bald seinen Ruf als begabten Dichter. Von 1843 bis an sein Lebensende schrieb er dann Epoche machende Romane, die ihn als Vater der modernen, realistischen Richtung der französischen Literatur kennzeichnen. Alle seine Dramen sind in Deutschland zur Aufführung gelangt, wie auch alle seine Romane in's Deutsche übertragen worden sind. Die Anführung dieser eine ganze Bibliothek umfassende Werke würde uns hier zu weit führen. D. Uebers. fand ich gewöhnlich im Bett, wenn es auch schon über Mittag geworden war. Er lag hier mit Papier, Feder und Tinte und arbeitete an seinem neuen Drama » Gabrielle de Belle-Isle.« Eines Tages fand ich ihn wieder so vor; er nickte mir freundlich zu und sagte: »Setzen Sie sich eine Minute; meine Muse besucht mich gerade jetzt. Aber sie entfernte sich bald!« und er schrieb und sprach laut, rief dann ein Viva, sprang aus dem Bette und sagte: »Der dritte Act ist fertig!« Er wohnte im Hôtel des Princes in der Rue Richelieu; seine Gattin befand sich in Florenz. Der Sohn, der junge Dumas Alexander Dumas fils (Sohn) wurde am 28. Juli 1824 geboren und nimmt neben seinem Vater einen ehrenvollen Platz in der Romanliteratur ein. Auch als Dramendichter hat er seine Begabung bekundet, nur schade, daß er sein Talent an sogenannte Pariser Sittenbilder verschwendete. In letzterer Zeit scheint er in dieser Beziehung in sich gegangen zu sein. Der Uebers., der später in die literarischen Fußstapfen seines Vaters trat, hatte seine eigene Wohnung in der Stadt. »Ich lebe ganz als Garçon«, sagte Dumas, »daher müssen Sie fürlieb nehmen, so wie ich es habe!«
Eines Abends führte er mich in verschiedene Theater, damit ich das Leben hinter den Coulissen sehen könne. Wir befanden uns im Palais Royal, sprachen mit Dejazet und Anais Namen zweier berühmter Schauspielerinnen jener Zeit, die dem Theater des Palais Royal angehörten. Der Uebers., wanderten dann Arm in Arm auf dem wogenden Boulevard hin nach dem Theater St. Martin. »Jetzt befinden sie sich gerade in kurzen Röcken!« sagte Dumas. »Wollen wir hinaufgehen?« Und das thaten wir. Hinter Coulissen und Vorhängen schritten wir durch das Meer in » mille et une nuits.« Es war ein Gewimmel von Menschen, Maschinisten, Choristen und Tänzerinnen. Dumas führte mich in die lärmende Menge hinein.
Als wir wieder heimkehrten, begegneten wir auf dem Boulevard einem ganz jungen Manne, der uns anredete. »Es ist mein Sohn!« sagte Alexander Dumas. »Ich hatte ihn schon, als ich achtzehn Jahre alt war, und er ist bereits in demselben Alter und hat noch keinen Sohn!« Dies war der später wolbekannte Dumas fils .«
Alexander Dumas habe ich die Bekanntschaft mit Mademoiselle Rachel Elisabeth Rachel-Felix, geboren am 24. März 1820 im Canton Aargau, gestorben den 4. Januar 1858 zu Canet bei Toulouse, war die Tochter eines israelitischen Hausirers und kam mit ihm nach Paris, wo sie als kleines Mädchen in den Café's für Geld sang, dabei aber großes Talent an den Tag legend. Kunstfreunde nahmen sich ihrer an und ließen sie ausbilden. Sie trat, 17 Jahre alt, im »Theater Gymnase« auf und schon im folgenden Jahre kam sie an das »Theater français.« Ihr Spiel war meisterhaft, namentlich in den klassischen Dramen. Sie machte große Kunstreisen in Europa und trat mehrfach in Wien und Berlin auf. Der Uebers. zu verdanken. Ich hatte sie noch nie spielen sehen, als er mich eines Tages fragte, ob ich nicht Lust hätte, ihre Bekanntschaft zu machen. Das war natürlich mein höchster Wunsch. Eines Abends, als sie in » Phädra« Phädra ist eins der bedeutendsten Dramen Racine's und wurde 1677 zum ersten Male aufgeführt. Der Uebers. auftrat, führte er mich auf die Bühne im Théâtre français. Bei den anderen Theatern hatte er mich ohne Weiteres sofort mit hinter die Coulissen genommen, hier bat er mich jedoch, eine Weile draußen zu warten; er kam dann zu mir zurück, um mich zu der Königin der Scene zu führen. Das Stück hatte begonnen. Er ging mit mir zu einer der ersten Coulissen, hinter welcher durch eine Art spanische Wand gleichsam ein kleines Zimmer eingerichtet war, wo ein Tisch mit Erfrischungen und einige kleine Stühle standen.
Hier saß das junge Mädchen, das, wie ein französischer Verfasser gesagt hatte, lebende Statuen aus Racine's und Corneille's Marmorblöcken zu meißeln versteht. Mademoiselle Rachel war sehr mager, aber zart gebaut und sah sehr jung aus; später in ihrem Heim erschien sie mir als ein Bild des Kummers. Sie schien ein junges Mädchen zu sein, das gerade ihren Schmerz ausgeweint hat und jetzt Gedanken über das Vergangene ruhig an sich vorüberziehen läßt. Sie sprach uns freundlich an; es war eine tiefe, fast männliche Stimme. Im Laufe des Gesprächs mit Alexander Dumas vergaß sie mich, und als er dies bemerkte, wendete er sich an mich, indem er zu ihr sagte: »Das ist ein wahrer Dichter und Ihr wahrer Bewunderer!« Wissen Sie, was er zu mir sagte, als wir die Treppe hinaufgingen? »Mir ist gar nicht wohl zu Muthe, so klopft mir das Herz, weil ich nun mit der Dame sprechen soll, die das schönste Französisch in Frankreich spricht!«
Sie lächelte, sagte einige freundliche Worte, und ich faßte den Muth, mich in das Gespräch zu mischen. Ich sagte, daß ich viel Interessantes und Schönes in dieser Welt gesehen hätte, aber daß ich noch keine Mademoiselle Rachel gesehen hätte, und daß es zunächst ihretwegen sei, daß ich die Reise nach Paris, zu der ich die ganze Einnahme meiner letzten Arbeiten verwandte, unternommen hätte. Ich entschuldigte indessen mein Französisch, das ich nur mangelhaft spräche. Sie lächelte und sagte: »Wenn man einer französischen Dame so etwas Galantes sagt, wie Sie es thaten, so wird sie stets finden, daß Sie gut sprechen!« Ich erzählte ihr, welchen Klang ihr Name im Norden habe. »Komme ich einst«, sagte sie, »von Petersburg nach Kopenhagen, Ihrer Heimat, dann müssen Sie mein Beschützer sein; denn Sie sind ja der Einzige, den ich dort kenne. Doch damit wir uns besser kennen lernen können, und da Sie, wie Sie behaupten, eigentlich meinetwegen nach Paris gekommen sind, so müssen wir uns öfter sehen! Sie werden mir stets willkommen sein! Ich sehe meine Freunde jeden Donnerstag bei mir. – Doch entschuldigen Sie – die Pflicht ruft!« brach sie aus, reichte uns freundlich die Hand und stand jetzt einige Schritte von uns auf der Bühne, größer, herrlicher und mit einem Ausdruck wie die tragische Muse selbst. Der Jubel, der Beifall des Publikums für sie tönte zu uns herauf.
Ich kann als Nordländer mich nicht an die Art und Weise, wie man Tragödien in Frankreich spielt, gewöhnen. Rachel spielte wie die Anderen, aber bei ihr scheint diese Art und Weise natürlich zu sein; es ist, als ob die Uebrigen sich nur bestrebten, ihr nachzuahmen. Sie ist die französische tragische Muse selbst, die Uebrigen sind nur arme bemitleidungswerthe Menschen. Wenn man Rachel sieht, glaubt man, daß alles Tragödienspiel so sein muß wie das ihrige; es ist Wahrheit, es ist Natur, aber in einer andern Offenbarung, als wir hier oben im Norden sie kennen.
In ihrer Wohnung fand ich Alles reich und prächtig, vielleicht etwas zu sehr gesucht. Das Vorzimmer war blaugrün mit matten Lampen und Statuetten französischer Schriftsteller; in dem eigentlichen Salon trat die Purpurfarbe der Wände, Gardinen und Bücherschränke vorherrschend hervor. Sie selbst war schwarz gekleidet, ungefähr so, wie man sie in dem bekannten englischen Stahlstich sieht. Die Gesellschaft bestand aus Herren, meist Künstlern und Gelehrten, auch ein paar Titel hörte ich. Reich gekleidete Diener riefen die Namen der ankommenden Fremden auf. Es wurde Thee getrunken, Erfrischungen gereicht, eher auf deutsche als auf französische Weise. Ich hörte Rachel auch deutsch sprechen; Victor Hugo hatte mir gesagt, daß er sie mit Rothschild Dieser Rothschild war der Chef des Pariser Bankhauses und hieß Jacob, Freiherr von Rothschild, geboren in Frankfurt a. M. den 15. Mai 1792, gestorben in Paris den 15. November 1868. Der Uebers. deutsch sprechen gehört habe. Ich befragte sie deshalb und sie antwortete mir deutsch: »Ich kann diese Sprache lesen; ich bin in Lothringen (?) geboren und besitze deutsche Bücher. Sehen Sie z. B. hier!« Und sie zeigte mir Grillparzer's »Sappho«, setzte dann aber das Gespräch französisch fort. Sie äußerte ihre Neigung, die Rolle der Sappho zu spielen, sprach darauf von Schiller's » Maria Stuart«, deren Rolle sie aufgeführt hatte. Ich sah sie darin, und unvergeßlich ist mir besonders der königliche Stolz, mit dem sie spielte; sie wurde fast höher und mächtiger dadurch, indem sie in der Scene mit Elisabeth sagte:
» Je suis la reine! – tu es – tu es – Elisabeth!« – Der Hohn, der in der Betonung des Wortes Elisabeth lag, gab mehr als lange Verse und viele Worte auszusprechen vermochten. Uebrigens war es besonders ihre Darstellung im letzten Akt, die mich überraschte; sie gab diese mit einer Wahrheit, einer Ruhe, wie eine nordische oder germanische echte Künstlerin sie geben würde. Aber gerade in diesem Akt gefiel sie den Franzosen am wenigsten. »Meine Landsleute«, sagte sie mir, »sind an diese Art und Weise nicht gewöhnt; aber nur auf diese Weise kann man diese Scene wiedergeben. Man kann nicht eine Wüthende sein, indem das Herz vor Kummer zu brechen droht und für immer von seinen Freunden Abschied nehmen soll!«
Ihr Salon war meist mit Büchern decorirt und diese, prächtig eingebunden, waren in reich ornirten Glasschränken aufgestellt. An der Wand hing ein Gemälde, das das Innere des Theaters in London darstellte, wo sie ganz vorn auf der Scene steht, und ihr Blumen und Kränze zugeworfen werden. Unter diesem Bilde hing ein kleines hübsches Bücherregal mit Büchern, die ich den » hohen Adel unter den Dichtern« nennen würde: es waren Werke von Göthe, Schiller, Calderon, Shakespeare u. s. w. Sie richtete viele Fragen an mich über Deutschland und Dänemark, über Kunst und Theater, und mit einem freundlichen Lächeln um den ernsten Mund und einem freundlichen Nicken mit dem Kopfe ermunterte sie mich, wenn ich in dem Suchen nach französischen Ausdrücken einen Augenblick innehielt, um mich zu sammeln und das rechte Wort zu finden.
»Fahren Sie nur fort!« sagte sie; »Sie sprechen nicht gut französisch, ich habe meine Muttersprache von Fremden besser sprechen hören, aber es hat mich oft nicht so interessirt, als gerade jetzt. Ich verstehe bei Ihnen vollkommen Ihren Gedankengang, und das ist mir die Hauptsache, das interessirt mich gar sehr bei Ihnen.« –
Als ich mich von ihr verabschiedete, schrieb sie in mein Album:
L'art c'est le vrai.
J'espère que cet aphorisme ne semblera pas paradoxal à un écrivain aussi distingué que Monsieur Andersen.
Paris le 28. Avril 1843.
Rachel
In wörtlicher Uebersetzung:
Die Kunst ist die Wahrheit.
Ich hoffe, daß dieser kurze Satz einem so ausgezeichneten Schriftsteller wie Herrn Andersen nicht paradox (sonderbar, seltsam) erscheinen werde. Der Uebers..
Eine liebenswürdige Persönlichkeit offenbarte sich mir in Alfred de Vigny Geboren am 27. März 1799, gestorben am 18. Sept. 1863. Von 1814-1828 diente er als Offizier und trat dann in's Privatleben zurück. Er schrieb Gedichte, die viele Auflagen erlebten, und Romane, die in's Deutsche übersetzt wurden. Der Uebers.; verheiratet mit einer englischen Dame, schien sich in seinem Heim und bei ihm das Beste beider Nationen ausgeprägt zu haben. Am letzten Abend, den ich in Paris verbrachte, kam er kurz vor Mitternacht zu mir die vier Treppen im Hotel Valois fast bis unter das Dach hinauf, er, der vermöge seines geistigen Ranges und irdischen Vermögens in den reichsten Salons zu dieser Tageszeit zu finden sein mußte; er trug unter dem Arm alle seine Werke, die er mir zum Abschied und zur Erinnerung überbrachte. Es lag so viel Innigkeit in seinen Worten, es leuchtete so viel Herzlichkeit aus seinen Augen, daß mir bei der Trennung Thränen in die Augen traten.
Auch den Bildhauer David Pierre Jean David, auch David d'Angers genannt, geboren den 12. März 1789 in Angers, gestorben in Paris den 5. Januar 1856. Er lebte von 1811-1816 in Italien und wurde 1826 Professor der Kunstschule in Paris. Er hat unter anderen berühmten Kunstwerken, 1828 die Kolossalbüste Goethe's in Weimar verfertigt. Der Uebers. sah und sprach ich oft; es war etwas in seiner Natur und Gradheit, die mich an Thorwaldsen und Bissen Hermann Wilhelm Bissen, geboren in der Stadt Schleswig 1798, gestorben in Kopenhagen den 10. März 1868, war ein Schüler Thorwaldsen's in Rom und hat viele hervorragende Werke geschaffen, darunter die Mosis-Statue an der Frauenkirche, Adam Oehlenschläger's sitzende Figur am königlichen Theater, Frederik VII. Reiterstatue auf dem Schloßplatz in Kopenhagen. Das unglückliche Grabmonument auf dem Kirchhofe in Flensburg über die in der Schlacht bei Idstedt gefallenen Dänen, welches im Kriege 1864 zerstört, hernach nach Berlin gebracht und endlich im neuen Kadettenhause in Lichterfelde bei Berlin einen Platz gefunden hat, ist von ihm modellirt. Bissen wurde 1850 Director der Kunstacademie. Der Uebers. erinnerte. Während der letzten Zeit meines damaligen Aufenthalts in Paris lernten wir uns erst kennen. Er beklagte, daß dies so spät geschehen sei und fragte mich, ob ich nicht länger bleiben wolle, er würde dann meine Büste in Medaillon meißeln.
»Aber ich fühle mich nicht als Dichter«, sagte ich; »ich weiß nicht, ob ich eine solche Ehre verdiene!« – Er blickte mich prüfend an und klopfte mir auf die Schulter: »Ich habe Sie selbst gelesen, bevor ich Ihre Bücher las!« erwiderte er lächelnd. »Ich weiß, Sie sind Dichter!«
Bei der Gräfin Bocarmé, wo ich mit Balzac Honoré de Balzac, geboren in Tours am 20. Mai 1799, starb in Paris am 18. August 1850. Er hat eine ganze Reihe von Romanen geschrieben, die sich namentlich durch Schilderung der Sitten und Personen auszeichneten und in Deutschland viel gelesen worden sind. Der Uebers. zusammentraf, sah ich eine ältere Dame, deren Angesicht, wenn ich den seelischen Ausdruck desselben so nennen darf, mich in hohem Grade anzog; es war bei ihr etwas so Gewecktes, so Herzliches; ihr Portrait, das in der Ausstellung im Louvre Name des Palastes, in welchem sich die reichen Kunstschätze Frankreichs befinden, derselbe war mittelst Anbauten mit der Residenz, dem Tuillerienpalast verbunden, der wie bekannt 1871 in der Zeit der Herrschaft der Commune niedergebrannt wurde. Die Sammlungen haben jedoch keinen Schaden genommen. Der Uebers. aufgestellt war, war mir bereits aufgefallen. Alle umringten sie. Die Gräfin stellte uns einander vor; es war Madame Reybaud, die Verfasserin von » Les epaves «, der kleinen Erzählung, die ich gerade zu meinem Drama » Der Mulatte« benutzt hatte. Ich erzählte es ihr und theilte ihr auch mit, welche Wirkung das Stück gehabt hatte. Das interessirte sie sehr, und von dem Augenblick an war sie meine besondere Beschützerin. Wir promenirten eines Abends zusammen und tauschten unsere Ideen aus; sie verbesserte mein Französisch, ließ mich wiederholen, was ihr nicht correct vorkam und war mir wahrhaft mütterlich gesinnt; sie ist eine hochbegabte Dame mit einem klaren Blick für die Welt.
Balzac, mit dem ich, wie gesagt, gleichzeitig Bekanntschaft gemacht, sah ich im Salon der Gräfin Bocarmé als einen eleganten, zierlichen Herrn; die Vorderzähne schienen weiß zwischen den rothen Lippen hervor; er schien jovial zu sein, sprach aber nur wenig, wenigstens in diesem Kreise. Eine Dame, die Verse schrieb, klammerte sich an ihn und mich an, zog uns nach einem Sopha und setzte sich zwischen uns, indem sie sich in Bescheidenheit balancirte, sprach sie davon, wie klein sie zwischen uns Beiden wäre. Ich wandte den Kopf weit zurück und begegnete hinter ihrem Rücken Balzac's satyrisch lächelndem Gesicht mit halb offenem Munde, den er künstlich verdrehend mir zuwandte. Das war eigentlich unsere erste Begegnung.
Eines Tages ging ich durch den Louvre und begegnete hier einem Manne, der in Figur, Gang und Gesichtszügen vollkommen Balzac glich; aber der Mann trug ganz schlechte, abgerissene Kleider, ja, diese waren sogar sehr schmutzig, die Stiefel ungebürstet, die Hosen unten mit trockenem Straßenschmutz besäumt und der Hut verbogen und zerschlissen. Ich staunte. Der Mann lächelte mich an. Ich ging vorüber, aber da mir die Aehnlichkeit zu unglaublich erschien, kehrte ich um und sagte: »Sie sind doch nicht Herr Balzac?« Er zeigte die weißen Zähne und sagte: »Morgen reist Balzac nach Petersburg!« Er drückte meine Hand, die seine war fein und weich; er nickte mit dem Kopfe und entfernte sich. Es mußte Balzac sein! Vielleicht war er in dieser Kleidung auf Entdeckung in Paris' Mysterien ausgegangen, oder war der Mann, den ich sah, ein ganz anderer, der, da er in hohem Grade Balzac ähnlich sah, oftmals für ihn angeredet wurde, sich über diese Mystification, dem Fremden gegenüber, amüsirte? Als ich ein paar Tage später mit der Gräfin Bocarmé sprach, brachte sie mir einen Gruß von Balzac – er war nach Petersburg gereist.
Mit Heinrich Heine Geboren den 12. October 1799 in Düsseldorf von jüdischen Eltern, wurde 1825 Christ. Lebte zeitweise in Berlin, Hamburg und München und ging 1830 nach Paris, wo er den 17. Februar 1856 starb. Seine Gesammtwerke sind in Hamburg erschienen. Der Uebers. traf ich wieder zusammen. Er hatte sich hier in Paris seit meiner vorigen Anwesenheit verheiratet. Ich fand ihn etwas leidend, aber so voller Energie und so herzlich gegen mich, so natürlich, daß ich diesmal keine Furcht fühlte, mich bei ihm zu geben, wie ich war. Eines Tages hatte er seiner Frau mein Märchen »Der standhafte Zinnsoldat« auf französisch erzählt, und indem er sagte, daß ich der Verfasser dieses Märchens sei, führte er mich zu ihr. »Werden Sie Ihre Reise nach Frankreich herausgeben?« fragte er. Da ich dies mit »Nein« beantwortete, fuhr er fort: »Nun, dann werde ich Ihnen meine Frau zeigen!« Sie war eine lebhafte junge Pariserin; eine Kinderschar – »wir haben sie bei den Nachbarn geborgt, denn wir selbst haben keine!« sagte Heine – spielte um sie im Zimmer umher; sie und ich spielten dann mit, während Heine im Nebenzimmer schrieb:
Ein Lachen und Singen! es blitzen und gaukeln
Die Sonnenlichter. Die Wellen schaukeln
Den lustigen Kahn. Ich saß darin
Mit lieben Freunden und leichtem Sinn.
Der Kahn zerbrach in eitel Trümmer,
Die Freunde waren schlechte Schwimmer,
Sie gingen unter im Vaterland;
Mich warf der Sturm an den Seinestrand.
Ich hab' ein neues Schiff bestiegen,
Mit neuen Genossen; es wogen und wiegen
Die fremden Fluten mich hin und her –
Wie fern die Heimath, mein Herz wie schwer!
Und das ist wieder ein Singen und Lachen –
Es peitscht der Wind, die Planken krachen –
Am Himmel erlischt der letzte Stern –
Mein Herz wie schwer! die Heimath wie fern!
Diese Verse, die ich hier in das Album meines lieben Freundes Andersen schreibe, habe ich den 4ten Mai 1843 zu Paris gedichtet.
Durch die vielen Personen, die ich hier genannt habe und zu denen ich noch eine Reihe hinzufügen könnte, wie den Komponisten Kalkbrenner Friedrich Kalkbrenner, geboren 1788 in Berlin, starb den 10. Juni 1819 in Enghien. Er war ebenfalls als Pianist berühmt und errichtete 1824 eine Pianofortefabrik in Paris. – Der Uebers., Gathy, Mitherausgeber der » Gazette musicale« und den Dichter Ampère Jacques Antoine Ampère, geboren in Lyon den 12. Aug. 1800, starb in Pau den 27. März 1864. Er war Professor der modernen Literatur am Collège de France in Paris und wurde 1847 Mitglied der Academie. Seine literaturgeschichtlichen Werke haben seinen Ruf begründet. Der Uebers., der Dänemark, Norwegen und Schweden bereist hatte, wurde mir der Aufenthalt in Paris reich und ermunternd; ich fühlte mich nicht mehr wie früher als Fremder, denn ich fand bei den hervorragendsten und besten Persönlichkeiten die freundlichste Aufnahme; es war gleichsam, als gäbe man mir eine Vorausbezahlung auf Werke, die man von mir zu erwarten berechtigt sei, und in diesen zu finden hoffe, daß man sich nicht in mir getäuscht habe. Hierzu kam, daß ich während meines Aufenthalts daselbst von einem Kreise von besonders begabten jungen Landsleuten umgeben war, die ich alle von früher her kannte, als Lässöe, der später in der Schlacht bei Idsted fiel, Orla Lehmann, Krieger, Buntzen, Schiern und einen meiner täglichen, lieben Umgangsfreunde aus der Heimat, Th. Collin Krieger war Assessor beim höchsten Gericht in Kopenhagen und war mehrere Male Minister und ist jetzt in sein altes Amt eingetreten. – Buntzen war Advokat beim höchsten Gericht (dem dänischen Obertribunal) und Schiern ist Professor der Geschichte an der Universität Kopenhagen. – Th. Collin, ein zweiter Sohn des Geheimraths Collin. Der Uebers..
Von Deutschland, wo bereits damals mehrere meiner Werke übersetzt und gelesen waren, erhielt ich auch hier in Paris einen freundlichen, ermunternden Beweis, der von größtem Interesse für mich als Dichter war. Eine deutsche Familie, die zu den gebildetsten und liebenswürdigsten gehörte, die ich kennen gelernt habe, hatte mit großer Freude meine übersetzten Schriften und dazu meine kurze Biographie in » Nur ein Geiger« gelesen; sie faßte das innigste Interesse für mich, den sie persönlich durchaus nicht kannte, schrieb an mich, sprach ihren Dank und ihre Freude über meine Arbeiten aus und bat mich, die Heimreise über ihre Stadt zurückzulegen und dort bei ihr als ein lieber Gast eine Zeit lang ein Heim zu finden, wenn ich mich in demselben wohlbefinden würde. Es war in diesem Briefe so viel Innigkeit und Natürlichkeit enthalten, dem ersten Briefe, den ich während dieser Reise erhielt und der mich in Paris gleich nach meiner Ankunft daselbst erreichte, daß er einen merkwürdigen Contrast zu jenem Briefe bildete, den ich im Jahre 1833 als ersten aus meinem Vaterlande erhielt. Hierauf war auch in dem jetzt empfangenen Brief hingedeutet; man kannte jenen ersten Gruß der Heimat an mich und man schrieb an mich diesmal: »Hoffen wir, daß dieses herzliche und wolgemeinte Schreiben, von deutschem Boden, Ihnen einen freundlichen Gruß bringen werde.«
Ich nahm die Einladung an und fand auf diese Weise durch meine Schriften mich in Deutschland in einem Hause gleichsam adoptirt, ein Haus, wohin ich später gern eilte, und wo ich weiß, daß es nicht blos der Dichter, sondern auch der Mensch ist, den sie dort lieb haben.
Wie viel ähnliche Beweise habe ich nicht später im Auslande erhalten! Einen will ich wegen seiner Eigenthümlichkeit hervorheben: Es lebt in Sachsen eine reiche, woldenkende Familie; die Frau des Hauses las meinen Roman » Nur ein Geiger«, und der Eindruck dieses Buches war, daß sie gelobte, wenn sie auf ihrem Lebenswege ein armes Kind mit großen musikalischen Anlagen finden würde, es nicht zu Grunde gehen solle, wie der arme Geiger in meinem Roman. Der Musiker Wieck, Clara Schumann's Geboren den 13. September 1819, berühmte Pianistin und Componistin, vermalte sich 1840 mit dem gleichberühmten Lieder-Componisten Robert Schumann (geboren den 8. Juni 1810 in Zwickau, gestorben im Irrsinn den 29. Juli 1856 bei Bonn) – einem Schüler ihres Vaters. Der Uebers. Vater hatte diese Aeußerung aus ihrem Munde gehört, und kurze Zeit darauf brachte er ihr nicht nur einen, sondern zwei arme Knaben, Brüder; er hob ihr Talent hervor und erinnerte sie an ihr Gelübde; sie sprach mit ihrem Mann darüber – und sie hielt Wort: beide Knaben kamen in ihr Haus, erhielten eine gute Erziehung und wurden in das Musikconservatorium gesandt. Der Jüngere hat vor mir gespielt; ich habe ein fröhliches, glückliches Gesicht gesehen. Ich glaube, er ist jetzt in einem Theaterorchester einer größeren Stadt Deutschlands angestellt. Man kann wol mit Recht sagen, daß dasselbe gewiß für diese beiden Kinder gethan worden wäre, und gerade von derselben vortrefflichen Dame, ohne daß mein Buch zu existiren nöthig gehabt hätte oder von ihr gelesen worden wäre; aber es ist doch nun einmal so geschehen und also ein Faktum, und daher ein Glied mehr in der Kette dessen, was mir Freude verursacht hat.
Auf der Heimreise von Paris ging ich den Rhein hinab. Ich wußte, daß in einer der Städte an diesem Fluß der Dichter Freiligrath Ferdinand Freiligrath, geboren am 17. Mai 1810 in Detmold, gestorben den 18. März 1876 in Cannstatt bei Stuttgart, war ursprünglich Kaufmann. Er lebte dann in der Schweiz und am Rhein und floh 1849 aus Deutschland nach England, weil er sich an den Freiheitsbestrebungen jener Zeit betheiligt hatte. Er lebte in London bis zum Jahre 1868 als Leiter eines Geschäfts, kehrte dann nach Deutschland zurück, und ließ sich in Stuttgart häuslich nieder. Seine Gedichte, die zuerst 1830 erschienen, sind in vielen Auflagen verbreitet. Seine politischen Gedichte (1849) und seine gediegenen Uebersetzungen Victor Hugo's und Longfellow's sind meisterhaft zu nennen. Der Uebers. wohnte, dem der König von Preußen eine Pension ausgesetzt hatte. Das Malende in seinen Gedichten hatte mich lebhaft angesprochen, und ich wünschte sehnlichst, ihn von Angesicht zu Angesicht zu sehen und zu sprechen; ich hielt mich deshalb in einigen rheinischen Städten auf und fragte nach ihm. In St. Goar St. Goar ist eine kleine Stadt am Rhein mit ca. 1500 Einwohnern und gehört zum Regierungsbezirk Koblenz. In der Nähe die Ruine der Burg Rheinfels. Der Uebers. zeigte man mir ein Haus als das, welches er bewohnte. Ich trat ein. Er saß an seinem Schreibtisch und schien unzufrieden darüber, von einem Fremden gestört zu werden. Ich nannte meinen Namen nicht, sondern sagte nur, daß ich an St. Goar nicht hätte vorüberfahren können, ohne Freiligrath zu begrüßen.
»Das ist sehr freundlich von Ihnen!« sagte er in ziemlich kaltem Tone, fragte, wer ich sei, und als ich antwortete: »Wir haben einen und denselben Freund: Chamisso!« sprang er jubelnd empor. » Andersen!« rief er; »sind Sie es?« Und er flog mir um den Hals, seine ehrlichen Augen leuchteten. »Jetzt bleiben Sie einige Tage bei uns!« sagte er. Ich erzählte, daß ich nur zwei Stunden bleiben könne, indem ich mich in Gesellschaft von Landsleuten befände, die weiter reisen wollten. »Sie haben viele Freunde in dem kleinen St. Goar!« sagte er. »Ich habe hier kürzlich in einem größeren Kreise Ihren Roman » O. T.« vorgelesen. Einen meiner Freunde muß ich doch herbeiholen, und meine Frau müssen Sie sehen! Ja, Sie wissen gar nicht, daß Sie schuld an unserer Verheiratung sind!« Und nun erzählte er mir, wie mein Roman » Nur ein Geiger« sie in Briefwechsel gebracht hatte und wie sie schließlich Mann und Frau geworden waren. Er rief sie herbei, nannte meinen Namen, und ich war wie ein alter Freund in ihrem Hause. Bevor wir uns trennten, nahm er ein Manuscript hervor. »Es war für Sie bestimmt, bevor wir einander sahen!« sagte er; »ich hörte damals, daß Sie sich auf Reisen befänden, und ich würde es Ihnen gesandt haben, allein es trafen Verhinderungen ein, und das Gedicht wurde bei Seite gelegt!« Nun schrieb er auf einem Blatte folgendes ab:
Erste Strophe eines unvollendeten Gedichts an H. C. Andersen, als er Ende 1840 seine Reise nach dem Orient antrat.
St. Goar, 18. Mai 1843.
F. Freiligrath.
Du bist gewiß den Störchen nachgegangen;
Daß Du sie liebst, ich wußt' es lange schon.
Sie schwirrten auf, sie sind davon geflogen.
Auf und davon – das ist ein lust'ger Ton!
Du sahst empor: die weißen Federn wallten;
Sie blitzten flüchtig in der Sonne Strahl;
Da stand es fest! »Was laß ich hier mich halten?
Fort nach dem Süden wiederum einmal!«
In Bonn, wo ich übernachtete, besuchte ich am nächsten Morgen den alten Moritz Arndt Ernst Moritz Arndt, geboren den 26. December 1769 in Schoritz auf der Insel Rügen, starb in Bonn den 29. Januar 1860, wurde 1806 Professor der Geschichte in Greifswald, mußte aber wegen seiner Angriffe auf Napoleon nach Schweden entfliehen, schloß sich 1811 der patriotischen Partei an und wurde 1817 Professor in Bonn, aber wegen Theilnahme an demagogischen Umtrieben suspendirt, 1840 jedoch wurde er von Friedrich Wilhelm IV. wieder in sein Amt eingesetzt. 1848 war er Mitglied der National-Versammlung, zog sich aber im folgenden Jahre in's Privatleben zurück und lebte bis zu seinem Tode in Bonn. Seine historischen Werke sind sehr verbreitet, aber am bekanntesten dürfte sein patriotisches Gedicht: »Was ist des Deutschen Vaterland?« sein. Man hat ihm auf Rügen ein prachtvolles Denkmal gesetzt. Der Uebers., der uns Dänen später »so grimmig« gesinnt war. Ich kannte ihn damals als den Dichter des schönen, kräftigen Gesanges:
»Was ist des Deutschen Vaterland?«
Ich traf einen kräftigen, rothwangigen Greis mit silberweißem Haar; er sprach schwedisch mit mir, die schwedische Sprache hatte er gelernt, als er als Flüchtling vor Napoleon Schwedens Gastfreundschaft in Anspruch nahm. Jugend und Raschheit waren Kennzeichen des alten Mannes. Ich war ihm nicht unbekannt, und es schien mir, als verleihe ihm gerade meine Abstammung aus den skandinavischen Ländern ein größeres Interesse für mich.
Im Laufe des Gesprächs wurde ein Fremder angemeldet; Keiner von uns hörte den Namen ganz richtig. Es war ein junger, schöner Mann, mit sonnverbranntem, kühn dreinschauendem Gesicht; er setzte sich innerhalb der Thür, und erst als Arndt mich herausbegleitete und der junge Mann sich erhob, brach der Alte vergnügt aus: Emanuel Geibel! Geboren in Lübeck am 18. October 1815. Lebt jetzt in seiner Vaterstadt, nachdem er in München 1852-1868 Professor der Aesthetik gewesen war. Seine lyrischen Gedichte und Dramen sind in Deutschland allgemein verbreitet, bekannt und gewürdigt. Der Uebers. Ja, er war es, der junge Dichter von Lübeck, dessen frische, herzliche Gesänge in kurzer Zeit durch die deutschen Lande erklangen und dem auch der König von Preußen eine Art Pension gleich Freiligrath verliehen hatte; zu ihm, nach St. Goar wollte just Geibel und dort mehrere Monate verbringen. Begreiflicherweise kam ich nun nicht fort; die neue Dichterbekanntschaft wurde gemacht. Geibel war so schön, kraftvoll und frisch; so wie er dort stand neben dem kerngesunden Dichtergreis, sah ich die Beiden, die junge und die alte, gleich frische Poesie!
Es wurde Rheinwein aus dem Keller herbeigeholt; der grüne Bokar (Waldmeister) schwamm darin, es wurde » Maitrank« gebraut und an den Mai, zum Preis des Lenzes, gab der alte Barde mir einen Vers mit auf den Weg:
Drum mein Lenz sollst Du nicht schweigen,
Klinge, Mai, mit Freudenschall!
Kling' mit Pfeifen, Flöten, Geigen,
Kukuk, Lerch' und Nachtigall!
Deutschlands Frühling er wird kommen!
Für die Wälschen klingt's
Schaßab!
Allen Guten, Tapfern, Frommen,
Leg' ich diesen Wunsch auf's Grab.
Mit diesem meinem letzten Vers grabe ich einem frommen, kindlichen, nordischen Mann meine Erinnerungen ein.
Bonn, 19. Mai 1843.
E. M.
Arndt aus Rügen.
» The child of fortune« Das Kind des Glücks. Der Uebers., hat einmal ein englischer Verfasser mich genannt, und dankbar muß ich das viele Erfreuliche, das ich im Leben empfing, anerkennen: das Glück, den Edelsten und Besten meiner Zeit auf meinem Lebenswege zu begegnen und sie kennen zu lernen. Ich erzähle dies, wie ich früher die Armuth, die Demüthigung und das Drückende meiner Lage geschildert habe. Dieses Mittheilen von Freuden und Ehre haben Einige mir als Hochmuth und Eitelkeit vorgeworfen; es ist aber vollständig unrichtig, diesen Mittheilungen solche Namen beizulegen.
Es ist vom Auslande, daß all' die erwähnten Anerkennungen und Ehren mir gebracht worden sind. Man wird vielleicht daheim fragen, ob ich denn niemals im Auslande angegriffen worden bin? Und ich muß antworten: Nein! eigentliche Angriffe hatte ich damals noch nie erfahren. Man hatte mir daheim nie solche Angriffe gezeigt und da muß in der That nichts dergleichen vorgekommen sein, denn sonst hätte man es gewiß zu meiner Kenntniß gebracht.
Nur Deutschland hatte in dieser Beziehung eine Ausnahme gemacht, aber der Gedanke war in Dänemark geboren, gerade während der Zeit, als ich mich in Paris aufhielt. Ein Deutscher, Namens Boas Eduard Boas, geboren den 18. Januar 1815 in Landsberg an der Warthe, gestorben daselbst im Juni 1853, war ein tüchtiger Literatur-Historiker. Der Uebers., bereiste damals Skandinavien und schrieb ein Buch darüber; er gab in demselben eine Art Uebersicht über die dänische Literatur und ließ dieselben auch im »Grenzboten« Eine noch heute sehr angesehene Zeitschrift, die in Leipzig erscheint. Das harte Urtheil jener Zeit über Andersen scheint die jetzige Redaktion unter Dr. Hans Blum nicht geändert zu haben, denn sie hat in einer Recension meiner Ausgabe, den Dichter abermals wegen seiner Märchen getadelt. Der Uebers. abdrucken. In dieser Abhandlung wurde ich als Mensch und Dichter hart mitgenommen. Mehrere dänische Schriftsteller, z. B. Christian Winter hatten auch Ursache sich zu beklagen. Aus dem Schnickschnack des kleinstädtischen kopenhagener Lebens hatte Herr Boas sich informirt. Sein Buch erweckte dort Aufmerksamkeit, aber Niemand wollte dafür gelten, Herrn Boas die betreffenden Mittheilungen gemacht zu haben; ja, der Dichter H. P. Holst, mit dem er, wie man aus seinem Buche sieht, Schweden bereist und der ihn in Kopenhagen empfangen hatte, erließ in dieser Veranlassung in der Zeitung »Fädrelandet« eine Erklärung, daß er mit Herrn Boas in keiner Verbindung stände. Es ist mir erzählt worden, daß dieser junge Mann sich an einige junge Menschen angeschlossen habe, die damals zu einer bestimmten Clique gehörten, und was diese bei den heiteren Gelagen über allerlei Dinge, über dänische Dichter und ihre Schriften schwatzten, hat Herr Boas mit nach Hause genommen, aufgeschrieben und in seinem Buche wieder erzählt. Indessen befindet sich in demselben doch eine Wahrheit, indem er erzählt, daß das Urtheil, wenn auch nicht aller Dänen, doch wenigstens das der Menge, über mich als Dichter wie als Mensch damals ziemlich unliebsam und hart sei.
Daß es im Auslande wiederum Landsleute waren, welche mich zuerst auf das, was Herr Boas gesagt hatte, aufmerksam gemacht hatten, ist ja ebenfalls ein charakteristischer Zug; Deutsche, unter diesen Ludwig Tiek suchten hingegen die üble Stimmung, in welche die Boas'sche Veröffentlichung mich versetzt hatte, zu verwischen. Man versicherte, daß ich bereits ein großes Publikum in Deutschland zähle, daß die von mir gefaßte gute Meinung nicht durch die von Herrn Boas herabsetzende mit Attesten von Kopenhagen versehene Ansicht leiden könne. Ich habe in der kleinen Ausgabe » Das Märchen meines Lebens« mich darüber ausgesprochen und dort hinzugefügt, was ich auch hier wiederholen kann, daß ich sicher bin, wäre Herr Boas ein Jahr später nach Kopenhagen gekommen, dann würde sein Urtheil über mich vielleicht anders gelautet haben. Während eines Jahres wechselt viel, und gerade in dem Jahre nach seiner Anwesenheit im Norden stiegen meine Wogen, da gab ich » Neue Märchen« heraus, welche eine bis zu diesem Augenblick feste und ehrenhafte Meinung über mich in meinem Vaterlande hervorriefen, ja, von dieser Zeit an gerechnet, habe ich keine Ursache mich zu beklagen; ich habe nach und nach all' die Anerkennung und die Gunst erlangt, die ich vielleicht verdiente, ja, vielleicht mehr, als ich verdiente.
Unbedingt sind es meine » Märchen«, welche in Dänemark von Allem, was ich geschrieben habe, am meisten geschätzt werden. Ich werde daher ein wenig bei diesen Dichtungen verweilen, die bei ihrem ersten Erscheinen durchaus nicht ermunternd empfangen wurden, aber erst später, wie gesagt, ihre volle Anerkennung fanden.
In der » Harzreise« befindet sich eigentlich mein erstes » Märchen« unter der Abtheilung » Braunschweig«, wo es das Drama » Drei Tage aus dem Leben eines Spielers« ironisirt. In demselben Buch sieht man bereits die Elemente zu » Die kleine Meerjungfrau« Siehe Band III Seite 427. Der Uebers.; die Beschreibung der » Elfen auf der Lüneburger Haide« gehört ganz zur Märchendichtung, eine Ansicht, die der Kritiker des Buches in den »Jahrbüchern der Gegenwart 1846« schon bemerkte und hervorhob.
Nur ein paar Monate, nachdem » Der Improvisator« 1835 herausgekommen war, folgte das erste Heft » Märchen«, das man gerade nicht mit günstigen Augen ansah, ja, man beklagte, wie gesagt, sogar, daß ein Schriftsteller, der kürzlich einen Schritt zum Bessern mit dem » Improvisator« gemacht hatte, sobald zurücksinke und mit etwas so Kindlichem, wie diese Märchen, hervortrete. Hier, wo ich vielleicht am meisten Lob und Ermunterung verdiente, indem meine Productivität in einer neuen Richtung sich Bahn brach, erhielt ich nur Tadel. Mehrere meiner Freunde, auf deren Urtheil ich Gewicht legte, riethen mir gänzlich ab, noch mehrere Märchen zu schreiben. Man sagte allgemein, daß ich hierzu kein Talent habe, und daß es für unsere Zeit gar nicht passend sei, meinte ein Anderer. Wenn ich mich in diesem Genre versuchen wollte, dann müßte ich die französischen Märchen als Muster studiren. Die »Monatsschrift der Literatur« besprach meine Märchen gar nicht und hat es niemals später gethan.
Die Zeitschrift »Dannora« für Kritik und Antikritik, redigirt und herausgegeben von Johann Nikolaus Höst Vater des intelligenten Buchhändlers und Verlegers Andreas Ferdinand Höst in Kopenhagen, bei dem der spätere Professor Dr. A. F. Leo in den vierziger Jahren als Buchhändlergehilfe conditionirte. Der Uebers. war das einzige Blatt, das eine Kritik brachte, die heute ganz amüsant lautet, mich damals aber natürlich sehr betrübte. Der Kritiker sagt: »daß diese Märchen Kinder vergnügen könnten, aber daß sie darin durchaus keine Erbauung finden würden, daß der Kritiker nicht einmal für die Unschädlichkeit des Lesens derselben einstehen wolle; wenigstens dürfte Niemand behaupten wollen, daß der Takt des Kindes für Schicklichkeit geschärft werde, wenn es von einer Prinzessin liest, daß sie schlafend auf dem Rücken eines Hundes zu einem Soldaten reitet, der sie küßt, worauf sie selbst hell wachend dieses schöne Ereigniß als einen sonderbaren Traum erzählt u. s. w.«
Der Kritiker des Märchens » Die Prinzessin auf der Erbse« Siehe Band III Seite 18t. Der Uebers. findet, daß das Salz fehlt, und es erscheint ihm – »nicht bloß undelikat, sondern sogar unverzeihlich, weil das Kind daraus die falsche Vorstellung einzusaugen vermag, daß eine so hochgestellte Dame stets sehr empfindlich sein müsse.« Der Kritiker schließt mit dem Wunsche, »daß der Verfasser nicht ferner feine Zeit mit dem Schreiben von Märchen für Kinder vergeuden möge.«
Der Stoff dieser Märchen drängte sich indessen so lebhaft auf mich ein, daß ich sie zu schreiben nicht unterlassen konnte. Ich hatte in den zuerst beschriebenen Heften, wie Musäus Johann Carl August Musäus, geboren in Jena im Jahre 1735, gestorben in Weimar den 28. October 1787, war seit 1770 Professor am Gymnasium in Weimar. Unter seinen Schriften ragen » die Volksmärchen der Deutschen« (1782-86 erschienen) hervor. Der Uebers., die alten Märchen, die ich als Kind gehört hatte, in meiner Weise wiedergegeben. Um also diese aus einen Standpunkt zu stellen, nannte ich sie » Märchen, erzählt für Kinder« ungeachtet es meine Ansicht war, daß sie sowol für Kinder als auch für Aeltere geeignet sein sollten. Das erste Heft schloß mit einem Originalmärchen: » Die Blumen der kleinen Ida« Siehe Band II. Seite 104. Der Uebers.. Dieses hatte man am wenigsten bemängelt, obgleich es ziemlich mit Hoffmann Ernst Theodor Amadeus Wilhelm Hoffmann, geboren am 24. Januar 1776 in Königsberg i. Pr., gestorben am 24. Juli 1822 in Berlin, studirte Jurisprudenz und bekleidete verschiedene Aemter, bis er 1806 durch die französische Invasion brodlos wurde. Er führte dann ein unstätes Leben, lebte bald als Musikdirector, bald als Dichter und kam 1816 wieder nach Berlin, wo er erst beim Kammergericht, dann beim Appellationssenat als Rath eintrat. Seine Novellen und Schilderungen gehören zu den besten der deutschen Literatur, besonders aber seine »Lebensansichten des Katers Murr« (1821) und »Meister Floh« (1822) sind von klassischem Werth. Seine Gesammtwerke (18 Bände) sind in Stuttgart (1827-31) erschienen. Der Uebers. verwandt ist und bereits seine Wurzel in der » Fußreise« besaß.
Meine Neigung und der Drang Märchen zu schreiben, nahm immer mehr zu; es war mir unmöglich, diese neue Richtung aufzugeben. Ter geringe Funke von Freundlichkeit, welche Einzelne meinem oben genannten, selbst erfundenen Märchen erwiesen, brachte mich dahin, meine Kräfte auch ferner zu versuchen und mehrere solcher zu dichten.
Ein Jahr später kam ein neues kleines Heft heraus und bald ein drittes, in welchem das größte der bisher erfundenen Märchen » die kleine Meerjungfrau« enthalten war. Durch dieses Märchen besonders wurde die Aufmerksamkeit erweckt und diese nahm mit den folgenden Heften zu, von denen gewöhnlich eins zur Weihnachtszeit erschien, und bald gehörte ein solches zum Weihnachten, denn auf dem Weihnachtsbaum durften meine Märchen nicht fehlen.
Der Schauspieler Phister und das Fräulein Jörgensen vom königlichen Theater machten sogar den Versuch, einzelne der Märchen von der Bühne aus zu erzählen. Es war etwas Neues und eine Abwechslung statt der zum Uebermaß gehörten Declamationsnummern. Diese Vorträge von der Bühne herab wurden, besonders in letzter Zeit, sehr wol ausgenommen, es geschah hingegen nicht gleich zu Anfang des Versuchs. Einer der bedeutendsten Aesthetiker Deutschlands sprach einmal über dieses Erzählen von der Bühne und schätzte es hoch, indem er gleichzeitig hinzufügte, daß das dänische Publikum ein sehr gebildetes, sinniges Publikum sein müsse, das den Kern ohne die glitzernde Schale zu genießen vermöge. Ich könnte ihm hierauf geantwortet haben – habe es aber nicht gethan –: Es waren kaum die Märchen, denen man dort Beifall zollte, sondern der Beifall galt dem hochgeschätzten Künstler und der Künstlerin, welche sie erzählten.
Um den Leser auf den rechten Standpunkt zu stellen, hatte ich, wie gesagt, die ersten Hefte » Märchen, erzählt für Kinder« betitelt. Ich hatte meine kleinen Erzählungen ganz in der Sprache und in den Ausdrücken niedergeschrieben, in welchen ich selbst sie mündlich den Kleinen erzählt hatte; ich war dadurch zu der Erkenntniß gelangt, daß die verschiedensten Alter auf diese Art und Weise eingingen. Die Kinder vergnügten sich am meisten durch das, was ich die Staffage nennen würde, der Aeltere interessirte sich hingegen für die tiefere Idee. Die Märchen wurden eine Lektüre für Kinder und Erwachsene, was, wie ich glaube, in unserer Zeit die Aufgabe für alle diejenigen ist, welche Märchen schreiben wollen.
Diese kleinen Märchen fanden gar bald die Thüren und Herzen geöffnet; infolge dessen ließ ich das » erzählt für Kinder« fort, und ließ drei Hefte » Neue Märchen« erscheinen, die ich alle selbst erfunden hatte und die auch daheim mit aller Anerkennung aufgenommen wurden. Obgleich ich bei jedem neuen Hefte in äußerster Angst schwebte, so war diese doch unbegründet, denn es wurde ihnen ein ermunterndes Urtheil zu Theil. Es war das Blatt » Fädrelandet« (das Vaterland), das erste aller dänischen Blätter und Zeitschriften, welches eine ehrenvolle, anerkennende Kritik brachte, als das erste Heft meiner neuen Märchen, worin » das häßliche Entelein«, » die Nachtigall« Siehe Band II. Seite 225. Der Uebers. u. s. w. enthalten war, herauskam. Ebenso war es »Fädrelandet«, das später das große Wolwollen des Auslandes für diese meine Dichtungen hervorhob; unter Anderem theilt es im Jahre 1846 Folgendes mit: »In dem Londoner » The Athenäum «, das wegen seiner Unparteilichkeit in seinen Kritiken über englische Schriften bekannt ist, wird die Uebersetzung von Andersen's Märchen auf folgende Weise besprochen: »Obwol es eine Grille zu sein scheint, können wir doch wol die Behauptung vertheidigen, daß die passendste Weise für eine Anmeldung dieses Werkes eine Elfenmelodie sein würde, so wie Weber Der berühmte Componist Carl Maria von Weber, geboren den 18. December 1786 in Eutin, gestorben den 7. Juni 1826 in London, starb als Hofkapellmeister des Königl. Theaters in Dresden. Seine romantischen Opern, darunter »Oberon«, gehören noch immer zu den beliebtesten des europäischen Repertoires. Der Uebers. sie für die Meerfrauen in seinem »Oberon« dichtete, oder wie Liszt sie in einer milden, begeisterten Stimmung zu improvisiren vermag. Eine allgemeine Cheapside Wolfeil. Der Uebers.-Anmeldung ist zu viereckig, zu scharf, zu ungraziös, um feinfühlende Leser zum Durchlesen von Blättern einzuladen, die so voll von Zauberei wie diese sind. Vermag die Welt alt zu werden, so kann der Dichter (worüber Viele klagen) zu einem Mondscheinwesen ausarten, welches seine Zeit damit verschwendet, in den Gräbern seiner Vorfahren nach ihren verborgenen Schätzen zu graben, wenn Schätze, die so ausgesucht wie diese sind, noch von Zeit zu Zeit an das Licht des Tages kommen u. s. w.«
Welcher Contrast zwischen dem ersten Urtheil der Heimat und dem ersten Urtheil der Fremde! Es war der tüchtige Kritiker P. L. Möller Ein begabter dänischer Kritiker und Literaturhistoriker, der in den 50er Jahren in Berlin und Leipzig lange lebte, dann nach Paris zog. Er starb arm und verlassen auf der Badereise nach Havre in Rouen im September 1863. Der Uebers., welcher hier in Dänemark warm und lebhaft sich über die Märchen ausgesprochen hatte; ja, er stand in dieser Beziehung so gut wie allein, der es zu jener Zeit wagte, sich im Druck lobend über mich als Dichter auszusprechen. In dem » Dänischen Pantheon«, wozu er die meisten Biographien schrieb, stellte er mich hoch und ehrenvoll hin; aber sein Urtheil über mich im Ganzen genommen wurde damals nicht sehr respektirt, weil man auch gegen ihn eingenommen war, der in so vielen Anschauungen durchaus nicht dem Strom des Augenblicks folgte. Indessen es war eine öffentliche Stimme zu meinen Gunsten und mir nicht feindlich. Ueber meine » Märchen« sprach man sowol daheim wie draußen Gutes, und dadurch gewann ich nach und nach Kraft, um den kleinen Hieben zu widerstehen, die noch kommen könnten, nachdem ich festen Fuß gefaßt hatte. Es strömte ein erquickender Sonnenschein in mein Herz; ich fühlte Muth und Freude, erfüllt von dem lebhaften Drange, mich immer mehr in dieser Richtung zu entwickeln, und drang in die Natur des Märchens immer tiefer ein; ich gewahrte die reiche Quelle in der Natur selbst, aus der ich zu schöpfen hatte, und man wird gewiß, wenn man auf die Reihenfolge Am Schlusse dieser Selbstbiographie werde ich die Entstehungsgeschichte der Märchen folgen lassen. Der Uebers., in welcher meine Märchen geschrieben sind, beachtet, den Fortschritt selbst herausfühlen, die immer klarer hervortretende Idee gewahren, eine größere Zurückhaltung der benutzten Mittel sehen, und, wenn ich mich so ausdrücken darf, mehr Gesundheit und Naturfrische finden können.
Wie man sich Schritt vor Schritt einen Weg an einem steilen Felsen hinauf bahnt, ebenso hatte ich mir in der Heimat von einer Seite den Weg geebnet und sah nunmehr, daß man mir einen bestimmten sichern Platz in der Literatur meines Vaterlandes einräumte. Diese Anerkennung und milde Beurtheilung daheim bewirkten bei mir viel mehr als alle harten, schonungslosen Kritiken. In meiner Seele wurde es klarer Tag; es überkam mich eine Ruhe, ein Erkenntniß dessen, daß selbst das Bittere im Leben für mich zu meiner Ausbildung und zu meinem Glück nothwendig gewesen sei.
Die Märchen gingen in die meisten europäischen Sprachen über, und in Deutschland erschienen mehrere Ausgaben und Auflagen, ebenso sind mehrere französische und englische, ja sogar schwedische, flämische, holländische u. s. w. erschienen, und es hat sich auf diese Weise gezeigt, daß ich, indem ich dem mir vom lieben Gott angewiesenen Weg folgte, einen richtigern eingeschlagen habe, als den, welchen die Kritik mir angewiesen: »französische Muster zu studiren.« Wäre ich diesem Rathe gefolgt, würde man meine Märchen wol kaum in's Französische übersetzt haben und schwerlich, wie in einer französischen Ausgabe geschehen, mit Lafontaine Jean de Lafontaine, geboren den 6. Juli 1621 zu Chateau-Thierry, gestorben den 13. April 1695 in Paris, machte sich durch die von Andersen erwähnten Fabeln und kleinen Erzählungen einen berühmten Namen in der französischen Literatur. Seine Werke sind in's Deutsche übersetzt worden. Der Uebers. und meine Märchen mit seinen » fables immortelles« verglichen haben. Ebensowenig würde ich, wenigstens in einer Richtung, erreicht haben, einen Einfluß auf die Literatur meines Vaterlandes auszuüben, was, wie ich hoffe, mir gelungen ist.
Das Ausland selbst legte meinen Dichtungen einen bedeutenden Werth für seine Literatur bei. Ich beziehe mich hier namentlich auf den tüchtigen Kritiker Julian Schmidt Heinrich Julian Schmidt, geboren am 7. März 1818 in Marienwerder, hat sich als Kritiker und Literaturhistoriker einen Namen gemacht. Lebt jetzt in Berlin, nachdem er längere Zeit in Leipzig gewohnt hatte, wo er in Gemeinschaft mit dem Dichter Gustav Freytag zeitweise die »Grenzboten« redigirte oder auch nur seinen Namen dazu hergab. Der Uebers. in seiner » Geschichte der deutschen Literatur. Leipzig 1853«, wo er meine Märchen bespricht und diese sowol als » das Bilderbuch ohne Bilder« hervorhebt.
Von 1834 bis 1852 folgten » Märchen« in verschiedenen Heften und mehreren Auflagen, dann erschienen sie gesammelt in einer illustrirten Ausgabe, und die spätere neue Reihe ist hervorgetreten unter der Benennung » Geschichten«, ein Name, den ich nicht willkürlich gewählt habe. Aber hiervon, wie über die » Geschichten und Märchen« noch später einige Worte.
Der Verfasser der Schrift » Neapel und die Neapolitaner«, Dr. A. Meyer, hat bereits im Jahre 1846 in einer ziemlich umfangreichen Anmeldung in den »Jahrbüchern der Gegenwart«, September- und Octoberheft, unter dem Titel: » Andersen und seine Werke« sich mit großem Interesse über meine Märchen ausgesprochen. Diese Abhandlung, die jedenfalls ehrend für die dänische Literatur ist, scheint daheim wenig bekannt oder bemerkt worden zu sein; sie schließt, indem sie meinen Märchendichtungen einen Platz in der deutschen Literatur anweist:
»Das Märchen Andersen's in seiner vollsten Entfaltung füllt die Kluft zwischen Kunstmärchen der Romantiker und den Volksmärchen, wie es die Gebrüder Grimm aufgezeichnet haben.«
Der Platz, den der Kritiker hier meinen Märchen auf diese Weise einräumt, ist so groß, so ehrenhaft, daß ich wünschen könnte, die Zeit werde dieselbe als wahr erweisen, doch darf ich glauben, man wird stets einräumen müssen, daß das, was der Kritiker hier andeutet, von mir angestrebt worden ist.
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