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Zweites Capitel.
Vom September 1819 bis October 1822.

Ankunft in Kopenhagen. – Mein erster Gang ist nach dem Theater. – Ich suche Frau Schall auf. – Besuch des Theaterchefs. – »Paul und Virginie.« – Ich suche eine Lehrlingsstelle. – Mein Besuch bei den Componisten Sidoni und Weyse. – Sidony's Charakter. – Der Dichter Guldberg wird mein Beschützer. – Ich wohne unbewußt in einem verdächtigen Hause. – Mein erstes Auftreten auf der Bühne. – Der Neujahrstag und sein Omen. – In der Chorschule. – Minister Colbjörnsen und seine Tochter. – Professor Thiele. – Fabrikant Urban Jörgensen's Mutter. – Mein erstes Trauerspiel »Assol«. – Admiral Wulff. – Conferenzrath Jonas Collin. – Man schickt mich in die Schule.


 

Am Montag Morgen, dem sechsten September 1819, erblickte ich von dem Friedrichsberger Schloßhügel aus, zum ersten Male Kopenhagen; da draußen stieg ich mit meinem kleinen Bündel vom Wagen herab und schritt durch den Garten, die lange Allee und die Vorstadt in die Stadt hinein. Am Abende vor meiner Ankunft war gerade die sogenannte » Judenfehde« ausgebrochen, dieselbe Judenhetze, die sich damals durch mehrere Länder Europa's zog; die ganze Stadt war in Aufregung, auf den Straßen großes Gewühl von Menschen; doch all' dieser Lärm und Tumult überraschte mich nicht, er entsprach gerade dem Bilde des Lebens und Treibens, welches ich mir als stets vorhanden in Kopenhagen, meiner Weltstadt, gedacht hatte. Mit kaum zehn Reichsthaler in der Tasche logirte ich mich in eins der kleineren Gasthäuser, » Gardergaarden« genannt, in der Nähe des Westerthors ein, durch welches ich in die Stadt gelangt war.

Meine erste Wanderung in die Stadt war nach dem Theater, ich umschritt es zu wiederholten Malen, schaute die Mauern hinan und betrachtete das ganze Gebäude als eine Heimat, die mir noch nicht erschlossen war. Ein Billethändler an der Ecke hielt mich an und fragte, ob ich ein Billet haben wollte; ich war damals mit der Welt und den Sitten und Gebräuchen in Kopenhagen unbekannt, so daß ich meinte, der Mann wollte mir das Billet schenken; ich dankte ihm auf's Herzlichste, er glaubte, ich verhöhne ihn und wurde darob so erbost, daß ich erschreckt davon lief und einer Stätte enteilte, die mir die liebste war; am wenigsten dachte ich damals, daß hier zehn Jahre später meine erste dramatische Arbeit aufgeführt werden und ich somit doch in diesem Hause vor das dänische Publikum treten sollte. Tags darauf zog ich den Confirmationsanzug an, die Stiefel wurden natürlicherweise nicht vergessen und die Schäfte über die Beinkleider gezogen; so in meinem größten Staat und einen Hut auf dem Kopfe, der mir ganz über die Augen hinabglitt, begab ich mich zu der Tänzerin, Frau Schall, um ihr mein Empfehlungsschreiben zu überreichen. Bevor ich den Klingelzug zog, kniete ich vor der Thür nieder und betete zu Gott, daß ich hier Hülfe und Schutz finden möchte; in diesem Augenblick kam ein Dienstmädchen, den Marktkorb am Arm, die Treppe hinauf, sie lächelte freundlich, steckte mir ein Sechsschillingstück zu und hüpfte weiter; ich schaute das Mädchen und das Geldstück an, hatte ich doch meinen Confirmationsanzug an, und wie mir schien, mußte ich ja sehr fein aussehen; wie kam sie also auf den Gedanken, daß ich betteln wollte; ich rief sie daher zurück; »behaltet es nur!« entgegnete sie mir darauf und war verschwunden.

Endlich wurde ich zu der Tänzerin eingelassen, die mich mit großer Verwunderung ansah und anhörte; sie kannte den alten Iversen, von dem der Brief war, ganz und gar nicht; meine ganze Persönlichkeit und mein Auftreten schienen ihr höchst absonderlich. Ich sprach in meiner Weise die innige Lust aus, die ich fühlte, beim Theater anzukommen, und auf ihre Frage, welche Partien ich auszuführen gedachte, antwortete ich » Cendrillon«, den liebe ich so sehr!« Dieses Stück war in Odense von den königlichen Schauspielern gegeben worden, und die Hauptrolle desselben hatte mich in dem Grade angezogen, daß ich sie aus dem Gedächtniß ganz und gar spielen konnte. Ich wollte ihr eine Probe derselben geben, und da sie Tänzerin war, mochte ich es wahrscheinlich für sie am interessantesten finden, daß ich ihr die Scene vorspiele, in welcher Cendrillon tanzt; ich erbat mir indeß die Erlaubniß, meine Stiefeln ausziehen zu dürfen, da ich sonst für die Rolle nicht leicht genug sein würde, und nun nahm ich meinen großen Hut als Tambourin zur Hand, schlug auf denselben los, begann zu tanzen und zu singen:

»Was hat wol Reichthum zu sagen,
Was ist wol Glanz und Pracht!« –

Meine seltsamen Geberden, meine ganze sonderbare Beweglichkeit machten, daß die Tänzerin, wie sie mir selbst lange Zeit nachher sagte, glaubte, ich sei verrückt, und sich beeilte, mich wieder zum Fortgehen zu bewegen.

Nun begab ich mich zum Theaterchef, Kammerherr von Holstein, um Anstellung zu suchen; er sah mich an und sagte, ich sei zu mager für's Theater. »O«, antwortete ich, »wenn ich nur mit hundert Reichsthaler Gage angestellt werden könnte, würde ich schon fett werden!« Der Kammerherr wies mich ernstlich ab und fügte hinzu, daß man nur Menschen engagire, die Bildung hätten.

Innig betrübt, stand ich nun da; ich hatte keinen Menschen, der mir Trost und Rath spendete; da dachte ich daran, sterben zu wollen, als das Beste für mich, und meine Gedanken flogen zu Gott mit der ganzen Zuversicht eines Kindes zu seinem Vater; ich weinte mich recht aus und sagte dann zu mir selbst; »wenn erst Alles recht unglücklich geht, dann sendet er Hülfe, das habe ich gelesen; man muß viel leiden, und dann kommt man zu Etwas!« – Ich ging nun hin und kaufte mir ein Galleriebillet zu dem Singspiel » Paul und Virginie.« Die Trennung der Liebenden ergriff mich in dem Grade, daß ich in heftiges Weinen ausbrach; ein paar Frauen, die neben mir saßen, trösteten mich auf's beste und sagten, es sei nur Komödie und habe gar nichts zu bedeuten, die eine gab mir sogar ein großes Stück Butterbrod, das mit Wurst belegt war. Wir saßen da so recht gemüthlich beisammen; ich hegte das größte Zutrauen zu allen Menschen und daher erzählte ich ihnen ganz offenherzig nun in der Gallerie-Loge, in der wir waren, daß es eigentlich nicht um Paul und Virginie sei, weshalb ich weine, sondern weil ich das Theater als meine Virginie betrachtete, und daß ich, müßte ich mich von demselben trennen, ebenso unglücklich werden würde, wie Paul. Sie sahen mich an, es schien als verständen sie mich nicht, und ich erzählte ihnen nun, weshalb ich nach Kopenhagen gekommen und wie einsam ich war – und die Frau gab mir noch mehr Butterbrod, Obst und Kuchen.

Den nächsten Morgen bezahlte ich im Wirthshause meine Rechnung und sah bei der Gelegenheit, daß mein ganzes Vermögen nur noch aus einem Reichsthaler bestand, ich mußte deshalb machen, daß ich entweder gleich mit einem Schiff wieder nach Hause käme oder in Kopenhagen bei einem Handwerker in die Lehre gehen; Letzteres fand ich, sei das klügste; käme ich nach Odense zurück, müsse ich ja doch auch in die Lehre, und ich sah schon im Geiste, daß man mich, wenn ich wieder nach Hause käme, auslachen und zum Narren haben würde; also am besten sei, so dachte ich, in Kopenhagen Lehrbursche zu werden. Es war mir durchaus gleichgiltig, welches Handwerk ich erlernte, wählte ich es doch nur, um das Leben hier zu fristen.

Eine Kopenhagener Frau, die, wie ich, als »blinder Passagier« mit dem Postwagen nach Kopenhagen gereist war, gab mir Obdach und Essen, ja, sie ging mit mir aus und kaufte mir das neueste Intelligenzblatt, und wir suchten und fanden in demselben, daß in der Borgergade (Bürgerstraße) ein Tischler wohne, der einen Knaben in die Lehre nehmen wolle, und zu ihm ging ich nun hin. Der Mann empfing mich freundlich, sagte aber, daß er, bevor er mich fest annehme, Bescheinigung aus Odense über meinen Lebenswandel haben und ferner etwas mehr von mir und meinen Eltern wissen müsse; ich sollte ihm meinen Taufschein beschaffen; doch bis dieses Alles in Ordnung ginge, könnte ich, wenn ich nicht einen besseren Ort hätte, zu ihm ziehen und gleich versuchen, wie mir die Profession gefiele.

Schon am nächsten Morgen um sechs Uhr betrat ich die Werkstatt des Tischlermeisters. Ich traf in derselben bereits mehrere Gesellen und Lehrlinge an; sie führten lustige Reden; der Meister war noch nicht aufgestanden; ihre Reden waren etwas leichtfertig, und ich war jungfräulich schüchtern; als sie dies bemerkten, wurde ich geneckt, endlich ging mir der Spaß zu weit, ich brach in Thränen aus und faßte den Entschluß, Handwerk und Werkstatt aufzugeben. Ich begab mich zum Meister und sagte ihm, daß ich die Reden und Späße nicht ertragen könne, daß ich keine Lust zu dem Handwerk habe und ihm nun Lebewohl und Dank sagen wollte; erstaunt hörte er mich an, er tröstete und ermunterte mich; das half nichts, ich war zu bewegt, zu beklommen und eilte hinweg.

Da ging ich nun draußen auf der Straße; Niemand kannte mich; ich war ganz verlassen. Plötzlich entsann ich mich, daß ich in Odense in der Zeitung von einem Italiener Namens Siboni gelesen hatte, welcher in Kopenhagen als Director des königlichen Musik-Conservatoriums angestellt worden war; alle Menschen hatten ja meine Stimme gelobt; ihn suchte ich also auf! Er gab gerade eine große Mittagsgesellschaft, der berühmte Componist, Professor Weyse Siehe die Note Band II. Seite 408., der Dichter Baggesen Siehe Band I. Seite 417. Der Uebers. und Andere waren dort. Der Haushälterin, die mir aufschloß, erzählte ich nicht allein, was ich wollte, nämlich als Sänger angestellt werden, sondern auch meinen ganzen Lebenslauf; sie hörte mich mit großer Theilnahme an und muß einen Theil davon wiedererzählt haben; denn ich hatte lange zu warten, bis sie zurückkehrte, und als sie dann kam, folgte ihr die ganze Gesellschaft. Alle betrachteten mich. Siboni zog mich in das Zimmer hinein, in welchem das Clavier stand, ich mußte singen; er hörte aufmerksam zu; ich deklamirte Scenen aus Holberg's »Komödien« und ein paar Gedichte, bei welchen letzteren mich das Gefühl meiner eigenen unglücklichen Lage dermaßen überwältigte, daß ich in wirkliche Thränen ausbrach, und die ganze Gesellschaft applaudirte.

»Ich prophezeihe«, sagte Baggesen, »daß einmal Etwas aus ihm wird! Aber werde nur nicht eitel, wenn das ganze Publikum Dir Beifall zuklatscht!« Siboni versprach, meine Stimme ausbilden zu wollen und meinte, ich würde wol als Sänger auf der königlichen Bühne auftreten können. Ich war glückselig, weinte und lachte, und als die Haushälterin mich hinausließ und die Aufregung bemerkte, in der ich mich befand, streichelte sie mir die Wange und rieth mir, den nächsten Tag zu Professor Weyse zu gehen, er meine es mit mir gut, sagte sie, und auf ihn könnte ich bauen.

Ich kam zu Weyse, welcher selbst ein armer Knabe gewesen war und sich emporgearbeitet hatte; er hatte meine unglückliche Lage tief gefühlt und begriffen, und indem er die Stimmung des Augenblicks benutzte, hatte er 70 Reichsthaler für mich gesammelt; das war ein ganzer Reichthum! Jeden Monat konnte ich, wie er sagte, bei ihm bis auf weiteres zehn Thaler abholen. Ich schrieb nun sofort meinen ersten Brief nach der Heimat, einen wahren Jubelbrief. Meine Mutter zeigte in ihrer Freude allen Menschen den Brief.

Siboni sprach nicht Dänisch; damit er mich nun verstehe und ich wieder von ihm verstanden werde, wurde es nothwendig, daß ich ein wenig Deutsch lernte. Die Kopenhagenerin, mit welcher ich von Odense nach Kopenhagen gereist war, und die nach ihren Kräften mir gern Gutes thun wollte, überredete einen Sprachlehrer, Namens Brun, mir einige Stunden Unterricht in der deutschen Sprache unentgeltlich zu geben; ich lernte einige Glossen, und Siboni öffnete mir sein Haus, gab mir Essen und Trinken und sang einige Male Scala mit mir. Er hatte einen italienischen Koch und zwei lebhafte Dienstmädchen, eines derselben hatte bei Casorti Siehe die Note Band II. Seite 382. Der Uebers. gedient und sprach Italienisch; bei diesen Leuten verbrachte ich den Tag, besorgte mit Freude ihre Gänge in der Stadt, hörte ihre Plaudereien an; als sie mich aber eines Tages mit einer Schüssel zum Mittagstisch in die Speisestube sandten, erhob Siboni sich, trat in die Küche und sagte der Bedienung, daß ich kein »Cameriere« (Diener) sei, und von der Zeit an kam ich öfter als zuvor in die Wohnstube, wo die Schwestertochter des Maestro, Marietta, ein talentvolles Mädchen, den größten Theil ihrer Zeit mit Zeichnen verbrachte; sie zeichnete gerade Siboni's Bild als » Achilles« in der Oper »Die Rache des Achilles« von Paer; ich stand Modell, angethan mit der großen Tunica und Toga, die dem großen, stark gebauten, Siboni paßten, aber nicht mir, der ich hager und hoch aufgeschossen war; allein dieser Mangel an Uebereinstimmung amüsirte gerade die heitere Italienerin, die laut auflachte und dann weiter zeichnete.

Siboni konnte oft heftig sein, und wenn ich dann die Scala singen mußte, machte sein ernster Blick meine Stimme zittern und trieb mir die Thränen in die Augen; »nichts banke sein!« sagte er dann, und wenn er mich entließ und ich schon an der Thüre stand, rief er mich wieder zurück, steckte mir Geld in die Hand, »wenig amüsiren!« sagte er und lächelte mir herzensgut zu.

Siboni war, nach Allem, was ich später verstanden und erfahren habe, ein ganz vortrefflicher Gesanglehrer und der Schöpfer einer guten Schule und eines guten dramatischen Gesanges, wurde aber vom Publikum im Ganzen nicht seinem Verdienste nach geschätzt. Die Menge sah in ihm nur einen Ausländer, der eine Gage verzehrte, die einem Eingeborenen hätte zugute kommen können, und dachte nicht daran, daß unter den Eingeborenen nicht Einer so tüchtig sei, wie er es war; die italienischen Opern, die damals durch Europa tönten und durch Siboni auf die Kopenhagener Bühne gebracht wurden, nahm man gehässig auf, und zwar nur weil sie italienische und Siboni ein Italiener. » Gazza ladra« wurde ausgepfiffen, » la straniera« gleichfalls, und als Siboni, welcher contractmäßig jährlich eine Benefiz-Vorstellung hatte, zu derselben Paer's Oper » Die Rache des Achilles« mit deutschem Texte wählte, und selbst in der Hauptrolle, einst in Italien seine Glanzrolle, auftrat, wurde er in Kopenhagen ausgepfiffen. Dieses Unrecht und die besonderen Verdienste Siboni's, sind nach seinem Tode von Vielen erkannt worden, die damals Compositionen von Rossini und Bellini verachteten und übersahen, aber in späteren Jahren Verdi und Ricci huldigten, ja, es kam zu der Extravaganz, daß außer der italienischen keine Musik, kein Gesang von Werth erachtet wurde, allein Siboni erlebte diesen Umschwung nicht.

Ungefähr drei Vierteljahr kam und ging ich bei Siboni aus und ein; da verlor ich meine Singstimme; sie befand sich im Uebergange, und ich war während des ganzen Winters und Frühlings von der Noth gezwungen gewesen, mit schlechtem Fußzeug zu gehen, und holte mir daher täglich nasse Füße; die Stimme verschwand, und es war nunmehr keine Aussicht vorhanden, daß ich, wie man gesagt hatte, ein ausgezeichneter Sänger werden würde. Siboni rief mich zu sich, sagte es mir ehrlich und offen, und rieth mir, da der Sommer nahe, zurück nach Odense zu reisen und dort ein Handwerk zu erlernen.

Als ich so wieder einsam und verlassen da stand, darüber grübelnd, was ich nun thun, an wen ich mich wenden sollte, erinnerte ich mich, daß in Kopenhagen der Dichter Guldberg lebte, ein Bruder des Obersten in Odense, der mir so viel Freundlichkeit erzeigt hatte. Bald erfuhr ich, dass er draußen in der Nordervorstadt, dicht beim Friedhofe wohne, den er so schön besungen hatte; ich schrieb an ihn, denn ich fühlte wieder wie früher große Verlegenheit, den Leuten gegenüber zu stehen und von meiner Lage und Noth zu reden. Nachdem der Brief in seine Hände gelangt war, ging ich zu ihm und fand ihn zwischen Büchern und Tabakspfeifen vergraben; er war damals noch ein kräftiger Mann. Herzlich und freundlich empfing er mich, und da er aus meinem Brief ersehen hatte, wie schlecht ich buchstabirte, versprach er, mir Unterricht in der dänischen Sprache zu geben, und als er mich darauf ein wenig im Deutschen examinirte, fand er mit Recht, daß ich auch in dieser bedeutender Nachhülfe bedürfe. Er wendete mir auch die Einnahme einer kleinen Schrift zu, die er herausgab; ich glaube, es war eine Rede am Geburtstag des Königs Frederik VI., und es kamen, da man den Zweck kannte, glaube ich, über hundert Reichsthaler ein. Auch Weyse fuhr fort, mir Interesse zu erzeigen; er und Andere zeichneten eine kleine Summe für mich, und dasselbe, das muß ich besonders hervorheben, thaten aus eigenem guten Herzen die beiden Dienstmädchen bei Siboni. Sie zeichneten für sich vierteljährlich jedes neun Mark ca. 3,33 deutsche Reichsmark. Der Uebers. von ihrem Lohn. Auch der Componist Kuhlau, den ich weder damals noch später kennen lernte, zeichnete ebenfalls einen Jahresbeitrag. Kuhlau war auch ein armes Kind gewesen, im Hause der Armuth aufgewachsen.

Als die Hausbesitzerin, bei der ich wohnte, von dem Gelde erfuhr, welches mir durch Guldberg und Weyse gesichert worden, war sie gern bereit, mich in »Pension« zu nehmen, und da sie mir auseinandersetzte, wie zur sie um mich Sorge tragen könnte und wie böse die meisten anderen Menschen in der Stadt seien, so schien es mir, daß ich nur bei ihr ein gesichertes Heim haben würde. Das Zimmer, welches sie mir überließ, war freilich weiter nichts als eine leere Speisekammer ohne Fenster, ohne alles andere Tageslicht, als das, welches von der Küche aus durch die offene Thür eindrang, aber es sollte mir erlaubt sein, sagte sie, in ihrer Stube zu sitzen, so oft ich wollte, und somit könnte ich ja versuchen, welch' gutes Essen und Trinken ich bekommen würde; allein, das müsse sie mir sagen, unter zwanzig Reichsthaler monatlich könne sie mich nicht erhalten. Das war freilich eine schlimme Bedingung, da alle Hülfsquellen zusammen es nicht zu einer höheren Summe als sechszehn Thaler monatlich gebracht hatten.

Ich, der ich mich so leicht an die Menschen anschloß, hatte sie während der zwei Tage, die ich im Hause gewesen war, wie eine Mutter liebgewonnen, und fühlte mich so heimisch; es war ein Herzeleid, wegziehen zu müssen, und wohin und zu wem? Allein ich konnte keinen Thaler mehr als die sechzehn beschaffen, und die ich hatte, wollte ich ihr gern geben, aber es war und blieb zu wenig! Da stand ich nun gar betrübt da, die Frau war ausgegangen, die Thränen rollten mir über die Wangen hinab; über dem Sopha sah ich das Bild ihres verstorbenen Mannes hängen, und ich war so ganz Kind, daß ich an dasselbe hinantrat und die Augen des Bildes mit meinen Thränen benetzte, damit, wie ich meinte, der verstorbene Mann fühlen sollte, wie betrübt ich sei, und dann vielleicht aus das Herz seiner Frau einwirke, daß sie sich dafür entscheide, mich für die sechszehn Thaler zu behalten. Sie mochte eingesehen haben, daß aus mir keine größere Geldsumme herauszupressen sei, denn als sie zurückkehrte, sagte sie, ich könnte nun für die sechszehn Thaler monatlich bleiben; und wer war froher als ich! Ich dankte Gott und dem todten Mann! Am folgenden Tage brachte ich ihr alles Geld und war unaussprechlich glücklich, daß ich nun ein Heim hatte, aber selbst besaß ich nicht einen Schilling zu Schuhzeug, Kleider oder irgend welchem andern Bedürfniß.

Ich besaß, wie gesagt, nicht einen Schilling, die Frau bekam sie alle, wenn ich aber dann und wann einen weiten Gang in die Stadt für sie besorgte, gab sie mir stets ein Achtschillingstück ca. 19 Pfennig. Der Uebers. dafür; das hatte ich verdient, sagte sie, und sie wollte Niemand Unrecht thun; für das Geld kaufte ich dann Papier zum Schreiben oder auch alte Komödienbücher. Unterhaltende Lectüre bekam ich bald in nicht geringer Menge, und zwar aus der Universitätsbibliothek; zu dem Bibliothekar, dem alten Professor Rasmus Nyrup, von dem ich durch Bunkeflod's Familie wußte, daß er ein Bauersohn sei und die »Gelehrtenschule« in Odense besucht habe, war ich eines Tages hinaufgegangen und hatte ihm erzählt, daß auch ich aus Odense sei. Meine eigenthümliche Art und Weise schien dem alten Manne zu gefallen; er wurde mir gut und ließ mich in der Bibliothek umhergehen und in die Bücher hineingucken, nur daß »sie wieder an Ort und Stelle gesetzt werden«, und in dieser Hinsicht war ich im höchsten Grade gewissenhaft, so auch mit den vielen Büchern, die Bilder enthielten, welche er mir lieh und mit nach Hause zu nehmen erlaubte. Ich war darüber sehr erfreut! Noch eine große Freude hatte ich, indem Guldberg dem Schauspieler Lindgreen dazu vermochte, mich, als werdenden Schauspieler zu instruiren; ich mußte mehrere von Holberg's Diener-Rollen als »Henrich« und dumme Burschen, so z. B. » Jacquinot« in den » Zwei Grenadiren« lernen; es war dies ein Rollenfach, für welches ich Talent gezeigt haben soll; aber meine Neigung sehnte sich darnach, » Correggio« zu spielen; ich bekam auch diese Rolle zu lernen, Lindgreen ließ sich den Monolog in der Bildergallerie von mir vorsprechen, und ungeachtet er lachte und, ehe ich begann, mich fragte, ob ich wirklich meinte, daß ich es dahin bringen könnte, dem großen Meister Correggio ähnlich zu werden, hörte er mich doch mit steigendem Ernst an. Als ich fertig war, streichelte er mir die Wange und sagte: »Gefühl haben Sie! aber was Sie werden sollen, ist jedenfalls nicht Schauspieler. Der liebe Gott mag wissen was es ist! Sprechen Sie mit Guldberg, daß Sie etwas Latein lernen! das führt immerhin auf den Weg zum Studenten!«

Ich studiren! Das war mir seit langer Zeit nicht in den Kopf gekommen. Zunächst sprach ich nun hierüber mit meiner Wirthin, die mir freien Unterricht in der deutschen Sprache verschafft hatte; allein sie sagte, Latein sei die kostbarste Sprache der Welt, und es sei nicht möglich, sie ohne Bezahlung zu erlernen! Guldberg indeß sorgte dafür, daß einer seiner Freunde, der spätere Propst Bentzien, mir wohlwollend einige Stunden wöchentlich darin Unterricht ertheilte.

Der Solotänzer Dahlén und Frau, namentlich sie, damals eine Künstlerin von Bedeutung, welche Rahbek Siehe Band II. Seite 407. Der Uebers. und mehrere Dichter jener Zeit besangen, öffneten mir ihr gemüthliches Haus; ich verbrachte dort die meisten Abende und die sanfte, herzige Frau war mir wie eine Mutter. Der Mann ließ mich mit in seine Tanzschule gehen, dies war doch immer dem Theater ein Schritt näher. Dort stand ich nun den ganzen Vormittag an dem langen Stock und streckte die Beine, lernte Balliments machen, aber trotz all' meines Fleißes und guten Willens versprach ich doch wenig für den Tanz; Herr Dahlén erklärte, daß ich es kaum weiter bringen würde als zum Figuranten. Eins hatte ich indeß dadurch erreicht: ich durfte Abends hinter die Coulissen des Theaters kommen. Dort war es voll von allerlei Menschen, ja sogar der Schnürboden mußte Platz für Zuschauer abgeben Andersen beschreibt dies im Märchen »die Muhme«, in Band II. Seite 87. Der Uebers.. Bald erhielt ich auch Zutritt zu der Loge der Figurantinnen in der dritten Etage, durfte dort auf der hintersten Bank sitzen, und wurde ganz wie ein Kind behandelt. Wie war ich glücklich!

Eines Abends gab man die Operette » die beiden kleinen Savojarden«. Ida Wulff, die spätere Gattin des Kammerherrn von Holstein, war damals Gesang-Elevin, ich kannte sie von Siboni her, wo sie mich stets freundlich angeredet hatte; kurz bevor die Operette begann, begegneten wir uns hinter den Coulissen, und sie sagte mir, daß in der Markt-Scene Jeder, selbst die Maschinenleute, hineingehen könnte, um die Scene zu füllen, nur müsse man erst ein wenig Schminke auf die Wangen legen; diese bekam ich bald, und glückselig betrat ich mit den Anderen die Bühne. Doch in diesem Augenblick erfüllte mich nur das Glück, zum ersten Male vor die Lampenreihe zu treten. Mein Herz klopfte stark, indem ich eintrat – da kam einer der Sänger, welcher damals das große Wort führte, jetzt aber vergessen ist, auf mich zu, faßte meine Hand und beglückwünschte mich spöttisch zu meinem Debut. »Darf ich Sie dem dänischen Volke vorstellen!« sagte er und zog mich auf die Lampen zu; man sollte über meine Persönlichkeit lachen, das war seine Absicht, ich fühlte es, die Thränen traten mir in die Augen, ich riß mich zornig von ihm los und verließ die Bühne.

Um diese Zeit componirte Dahlén ein Ballet, Namens » Armida«; ich sollte bei der Aufführung mitwirken und einen Kobold vorstellen, mein eigenes Gesicht steckte in dem Rahmen einer fürchterlichen Maske. Frau Johanna Louise Heiberg Von der späteren sogenannten »dänischen Rahel« wird fernerhin noch oft die Rede sein, wo ich ihrer ausführlich gedenken werde. Der Uebers. gehörte damals, als ganz kleines Mädchen, auch dem Ballet an. Im Programm zur »Armida« steht auch ihr Name wie der meinige zum ersten Male gedruckt! Das war ein großes Ereigniß für mich!

Ich trieb mich nun schon im zweiten Jahre in Kopenhagen umher und wohnte jetzt bei einer Schifferswittwe, bei welcher ich außer dem Logis nur Morgens eine Tasse Kaffee erhielt. Es waren schwere, finstere Tage, da meine Hilfsmittel vollständig erschöpft waren. Mittags saß ich oft im »Königsgarten« (Kongens Have) und verzehrte ein kleines Weißbrod; ein einziges Mal wagte ich, in eines der einfachsten Speisehäuser zu treten und wählte dort den Tisch, der am meisten abseits stand. Meine Stiefeln waren entzwei, in nassem Wetter ging ich stets mit nassen Füßen, hatte in der kalten Jahreszeit keine warmen Kleider, ich war im Grunde genommen sehr verlassen, empfand aber das volle Gewicht davon nicht; denn ich glaubte sowol an gute Menschen wie an Gott!

Aus meiner frühsten Kindheit hatte ich die Vorstellung, daß wie es einem Menschen am Neujahrstage erginge, so würde es ihm das ganze Jahr hindurch ergehen. Mein höchster Wunsch war der, daß ich in dem neuen Jahr eine Rolle in einem Stück erhalten und die Bühne betreten möchte, die Gage würde dann schon später kommen. Es war gerade Neujahrstag, das Theater geschlossen, nicht aber der Aufgang zur Scene selbst. Dort saß ein alter halbblinder Pförtner, an ihm schlich ich mit klopfendem Herzen vorbei, gelangte zwischen Coulissen und Vorhänge, schritt geradewegs über die Bühne auf's Orchester zu, kniete hier nieder, aber nicht ein einziger Vers wollte mir in die Gedanken kommen, und Etwas mußte ich ja laut sprechen, sollte ich im Verlauf des Jahres dazu gelangen, auf der Bühne zu reden; da sprach ich mit lauter Stimme das »Vater unser« und entfernte mich in der festen Zuversicht, daß ich nun schon im Verlauf des Jahres zum Auftreten gelangen würde; aber es verging wieder ein Monat nach dem andern, der Frühling nahte und noch immer hatte ich keine Rolle erlangt.

An einem schönen Frühlingstage war ich nach Schloß Frederiksberg Siehe die Note Band II. Seite 381. Der Uebers. hinausgegangen; dort im Garten befand ich mich plötzlich unter den ersten, ausgeschlagenen Buchen, die Sonne machte die Blätter transparent, es war ein Duft, eine Frische vorhanden, das Gras war schon hoch emporgeschossen, die Vögel sangen, ich wurde hiervon überwältigt und begann mit in den Jubel einzustimmen: ich umschlang einen der Bäume, küßte die Rinde, ich war in dem Augenblick ganz Naturmensch. »Ist er verrückt!« sagte ein Mann plötzlich ganz in meiner Nähe, es war einer der Schloßbedienten; ich lief erschreckt davon und kehrte besonnen und still zur Stadt zurück.

Meine Stimme hatte unterdessen wieder begonnen, an Klang und Fülle zu gewinnen; der Singmeister der Chorschule, Herr Crossing hörte mich singen und bot mir einen Platz in der Schule an, indem er meinte, daß wenn ich mit im Chor wirkte, ich die Stimme aussingen und außerdem Uebung gewinnen würde, mich frei auf der Bühne zu bewegen, nach und nach bekäme ich dann vielleicht einige kleine Rollen. Es schien sich eine neue Möglichkeit zum Vorwärtskommen dort, wo ich es am liebsten wollte, zu eröffnen. Von der Tanzschule ging ich nun zur Singschule über und trat im Chor auf, bald als Hirt wie in der » Räuberburg« und in » Johanne Montfaucon«, bald als Krieger, Matrose und dergleichen mehr. Ich konnte nun in's Parterre gehen, wenn es nicht ausverkauft war, und versäumte dies nie. Das Theater war ganz meine Welt, in der lebte ich, in der träumte ich, und es war also ganz natürlich, daß ich vergaß, meine lateinische Grammatik zu lernen, auch hörte ich Mehrere sagen, daß man, um im Chor zu singen, nicht nöthig habe, Latein zu treiben, und daß man auch ohne dasselbe schon ein großer Schauspieler werden könne. Ich fand dies außerordentlich richtig, war der lateinischen Grammatik überdrüssig, und deshalb, mit oder ohne Grund entschuldigte ich mich zu wiederholten Malen, blieb aus der lateinischen Abendstunde fort und ging lieber in's Parterre. Guldberg erfuhr dies, zürnte deshalb, und mit Recht, und zum ersten Male in meinem Leben bekam ich einen ernsten, strengen Verweis, der mich fast zermalmte; ich glaube, kein Verbrecher könnte bei Verkündigung seines Todesurtheils zerknirschter sein, als ich es bei den Worten Guldberg's wurde. Dies muß sich in meinem Gesicht ausgedrückt haben, denn er sagte: »spiele nur nicht Komödie!« allein es war kein Komödienspiel. Ich sollte nun aufhören, Latein zu treiben.

Die Wittwe des berühmten dänischen Staatsmannes Christian Colbjörnsen und deren Tochter, Frau von der Maase, damals Hofdame bei der Kronprinzessin Caroline, waren die zwei Ersten aus den höheren Ständen, die den armen Knaben freundlich empfingen; sie hörten mir mit Theilnahme zu und sahen mich häufig bei sich. Frau Colbjörnsenwohnte im Sommer im » Bakkehuus«, welches dem Dichter Rahbek und dessen Gattin – Philemon und Baucis Siehe Band II. Seite 407. Der Uebers., wie sie in einem Gedicht genannt wurden – gehörte; ich fand Zutritt auch bei ihnen. Rahbek selbst sprach niemals mit mir, die einzige Annäherung fand einmal im Garten statt, wo er direct auf mich zukam, als wollte er mir ein paar Worte sagen, allein, als er in meiner Nähe stand und den Blick auf mich richtete, kehrte er plötzlich um und entfernte sich, ohne ein Wort zu sprechen. Frau Rahbek mit ihrer Lebhaftigkeit und ihrem freundlichen Charakter ließ sich dann und wann mit mir in ein Gespräch ein; ich hatte damals eine Art Komödie zu schreiben begonnen und las ihr dieselbe vor; gleich bei den ersten Scenen rief sie aus: »aber es sind ja ganze Stücke darin, die Sie aus Oehlenschläger und Ingemann abgeschrieben haben!« – »Ja, aber sie sind auch so wunderschön!« antwortete ich ganz naiv und las weiter. Eines Tages, als ich von ihr mich zu Frau Colbjörnsen hinauf begeben wollte, reichte sie mir eine Hand voll Rosen und sagte: »Wollen Sie diese mit hinaufnehmen, es wird gewiß der Frau Conferenzräthin Freude machen, sie aus der Hand eines Dichters zu empfangen!« Diese Worte wurden zwar halb im Scherz gesprochen, aber es war das erste Mal, daß Jemand den Dichternamen in Verbindung mit dem meinigen gebracht hatte: das ging mir durch Blut und Seele, die Thränen traten mir in die Augen und es ist gewiß, daß von diesem Augenblick an mein Sinn für Schreiben und Dichten geweckt wurde, es war mir früher nur eine Spielerei zur Abwechselung mit dem Puppentheater, jetzt stand es höher – jetzt war es das Ziel!

Außer den Rahbek'schen und Colbjörnsen'schen Familien wohnte hier draußen während des Sommers der jetzige Conferenzrath Thiele; er war damals ein junger Student, aber schon rühmlich bekannt, als derjenige, welcher Baggesen's Räthsel gelöst, hübsche Sonetten geschrieben und » dänische Volkssagen« »Danmark's Folkesagn.« Kopenhagen, Reitzel – J. M. Thiele wurde später Bibliothekar des Königs Christian VIII., Secretair und Direktor der Academie der Künste. Der Uebers. herausgegeben hatte; auf der königlichen Bühne hatte ich seine Tragödie » der Pilger« gesehen. Ich war glücklich, daß ich mit ihm sprechen konnte. Er besaß Gefühl, Begeisterung und Theilnahme; still und aufmerksam folgte er meinem Thun, bis wir Freunde wurden. Er war Einer der Wenigen, die mir damals die Wahrheit sagten, wenn Andere sich wegen meines komischen Wesens über mich lustig machten. Rahbek's Liebling, die Schauspielerin Frau Andersen, die gleichfalls in » Bakkehuus« wohnte, hatte mir scherzweise den Namen »der kleine Declamator« gegeben, und als solcher wurde ich bekannt, ich war eine Curiosität; man amüsirte sich über mich, und ich, ja, ich sah in jedem Lächeln nur den Beifall.

Einen Zufluchtsort, wenn ich diesen so nennen darf, ein gemüthliches kleines Zimmer, wo gleichsam die Stimmen der Vorzeit in meine leicht empfängliche Seele hineinklangen, fand ich, und darf nicht zu erwähnen vergessen: es war bei einer würdigen alten Frau, der Mutter unseres berühmten, jetzt bereits verstorbenen Urban Jürgensen Ein berühmter Mechanikus und Uhrenfabrikant. Der Uebers.; sie hatte einen hellen Verstand und besaß eine vielseitige Bildung, gehörte aber ganz einer verschwundenen Zeit an, lebte in der Erinnerung an deren Menschen. Ihr Vater war Schloßinspector auf dem Schlosse Antwort-Skov Siehe die Note Band II. Seite 411. Zeile 18 v. u. Der Uebers. gewesen, und dort, sagte sie, kam des Sonntags oft Holberg aus Sorö; er und ihr Vater gingen in der Stube auf und ab und sprachen von Politik; die Mutter, die am Spinnrade saß, wollte eines Tages Theil an dem Gespräch nehmen: »ich glaube der Rockenstock spricht!« sagte Holberg; »und diese Worte konnte meine Mutter dem witzigen, groben Herrn nie vergessen.« Sie, damals ein kleines Kind, saß nun da als alte, alte Frau und erzählte mir ihre Lebenserinnerungen. Man wird verstehen können, wie anziehend die Gesellschaft der alten Frau mir wurde durch Alles, was sie erlebt, gedacht und gelesen hatte; auch ich war ihr ein liebes Kind, welches sie gern sah. Sie hörte meine ersten Verse und meine Tragödie » die Waldkapelle« und sagte eines Tages mit einem Ernst, der mich tief ergriff: »Sie sind ein Dichter, vielleicht wie Oehlenschläger! in zehn Jahren – ja, dann bin ich todt und begraben – aber dann denken Sie an mich!« – Ich entsinne mich, daß mir dabei die Thränen plötzlich in die Augen traten, ich wurde von ihren Worten so feierlich, so ganz besonders ergriffen, weiß aber auch, daß ich gar nicht an die Möglichkeit dachte, daß ich ein Dichter werden könnte, den man als solchen anerkennen würde, am wenigsten wenn man dabei an Oehlenschläger Siehe Band I. Seite 213. Der Uebers. erinnerte.

»Eigentlich müßten Sie studiren!« sagte sie; »aber es führen ja viele Wege nach Rom! Sie gelangen wol auf dem Ihrigen dorthin!« Das sagten auch Andere, weil sonst nichts aus mir werden würde; aber woher die Mittel dazu nehmen, zumal Niemand für diese Idee eintrat; außerdem wurde es mir schon schwer genug, das Leben zu fristen und im Uebrigen führte ich ein kümmerliches Dasein. Da fiel es mir ein, eine Tragödie zu schreiben, sie der königlichen Bühne einzureichen, und wenn sie gespielt würde, für das Geld, welches sie einbrachte, zu studiren beginnen. Während ich noch bei Guldberg dänischen Unterricht genoß, hatte ich nach einer deutschen Erzählung: » die Waldkapelle«, die sich in Uebersetzung in Rosenkilde's Journal »Brevduen« (die Brieftaube) befand, eine Tragödie in reimfreien Versen geschrieben; dieselbe wurde von Guldberg als eine dänische Stilübung betrachtet, aber er hatte mir auf's Bestimmteste untersagt, diese Arbeit dem Theater einzureichen. Ich schrieb daher eine neue, eine andere Tragödie. Niemand sollte den Verfasser kennen, ich selbst erfand die Handlung; es wurde eine »vaterländische Tragödie«, welche ich » die Räuber zu Wissenberg« nannte; im Verlauf von vierzehn Tagen war sie fertig und auch in's Reine geschrieben, aber kaum ein Wort derselben war richtig buchstabirt, denn Niemand hatte mir geholfen. Das Stück sollte anonym eingereicht werden, nur ein Wesen wurde in das Geheimniß eingeweiht, nämlich Fräulein Tönder-Lund, die junge Dame, mit der zusammen ich in Odense konfirmirt war, sie, die Einzige, die damals freundlich und gut gegen mich gewesen war und mir eine Rose geschenkt hatte. Ich hatte sie in Kopenhagen aufgesucht, war von ihr mit Theilnahme in der Colbjörnsen'schen Familie erwähnt worden, und die eine Bekanntschaft führte zur andern. Sie bezahlte Jemand, der ein leserlicheres Exemplar abschrieb, als das meinige war, denn meine Handschrift durfte ja auch nicht erkannt werden, meinten wir, und nun wurde die Tragödie eingereicht.

Nach Verlauf von sechs Wochen, welche ich in großen, kühnen Hoffnungen verlebte, erhielt ich das Stück zurück; es war verworfen, und in dem Schreiben, welches beilag, hieß es, daß man nicht öfter Stücke zu empfangen wünschte, die in dem Grad, wie dieses, den Mangel an aller elementaren Bildung verrathe.

Dies war gerade am Schluß der Schauspielsaison im Mai 1822, und ich bekam nun von der Theaterdirection einen zweiten Brief mit der Benachrichtigung, daß man mich aus der Chor- und Tanzschule entlassen habe, der Besuch derselben könne für mich zu Nichts führen, aber man wünsche, daß meine vielen Freunde sich meiner annehmen und mir die Bildung und Kenntnisse verschaffen möchten, die dazu gehörten, um etwas Tüchtiges in der Welt zu werden.

Ich fühlte mich wiederum wie in die offene See hinausgestoßen, ohne Hilfe, ohne Anhalt; ich mußte ein Stück für's Theater schreiben, es mußte angenommen werden, dies war die einzige Rettung, die mir noch blieb, und nun schrieb ich, nach einer Erzählung des dänischen Dichters Samsöe, eine Tragödie, » Alfsol.« Ich selbst war von den ersten Acten ganz entzückt, und mit diesen introducirte ich mich sofort bei dem Uebersetzer Shakespeare's, den jetzt verstorbenen Admiral Peter Wulff, in dessen Hause und Familienkreise ich später ein wahres Heim gefunden habe.

Er erzählte nach Jahren einmal im Scherz und mit ein wenig Uebertreibung von unserer ersten Bekanntschaft, daß ich, indem ich zur Thür eintrat, sogleich hervorgeplatzt haben sollte: »Sie haben Shakespeare übersetzt, den ich so sehr lieb habe; aber ich habe auch eine Tragödie geschrieben, hören Sie nur!« Wulff lud mich ein, erst mit ihm zu frühstücken, ich aber wollte nichts genießen, sondern begann sofort mein Stück vorzulesen, und als ich zu Ende war, soll ich gesagt haben: »nicht wahr, aus mir wird doch wol Etwas werden können, ich möchte es gar zu gern!« – Ich steckte darauf die Papiere in die Tasche, und seiner Erzählung nach antwortete ich auf seine Einladung, ihn bald wieder zu besuchen: »Ja, das werde ich, wenn ich wieder eine neue Tragödie geschrieben habe!« »Dann wird es aber wol ziemlich lange dauern!« antwortete er. »Nein, ich denke schon«, sagte ich, »daß ich in vierzehn Tagen wieder eine fertig haben werde!« – Und mit diesen Worten verschwand ich.

Diese Erzählung dürfte zwar ein wenig übertrieben sein, aber sie kennzeichnet meine Persönlichkeit, wie sie damals war. Bei H. C. Oersted Der berühmte Naturforscher. Siehe Band I. Seite 213 u. 430. Der Uebers. hatte ich mich gleichfalls selbst eingeführt. Er interessirte sich vom ersten Augenblick an bis zu seinem Tode mit stets wachsender Theilnahme für mich. Sein Haus wurde mir sehr bald ein Heim, mit seinen Kindern habe ich gespielt, als sie noch klein waren, habe sie heranwachsen und ihre Liebe zu mir bewahren sehen; in seinem Hanse habe ich meine ältesten, unveränderten Freunde gefunden. Auch an dem Propsten Gutfeldt, der damals ein beliebter Kanzelredner war, fand ich einen freundlichen, theilnehmenden Mann; er war derjenige, welcher sich damals am wärmsten und mit der meisten Hoffnung über mich aussprach, und nachdem er meine jugendliche Tragödie » Alfsol« gelesen hatte, sendete er sie für mich mit einem Empfehlungsschreiben der Theaterdirection zu. Ich lebte zwischen Hoffnung und Furcht; sollte auch diese Arbeit verworfen werden, dann wußte ich nicht mehr, was ich ergreifen sollte. – Ich hatte während des Sommers die bitterste Noth gelitten, aber ich sprach nie davon, sonst würden die Vielen, die mich nun kannten, ihr gewiß abgeholfen haben; eine falsche Schüchternheit verbot mir, zu sagen, wie schwer ich um's Dasein zu ringen hatte; mein Gesicht strahlte vor Freude, wenn man mich freundlich ansprach, und von einem Glück war ich unendlich erfüllt: ich las damals zum ersten Male » Walter Scott«; seine Romane schlossen mir ein neues geistiges Leben auf, ich schaute in eine neue Welt hinein; ich vergaß hier die Noth der Wirklichkeit und gab der Leihbibliothek das Geld, für welches ich Mittagsessen hätte kaufen sollen.

Gerade aus dieser Zeit datirt meine erste Bekanntschaft mit dem Mann, welcher all' die Jahre hindurch mir ein liebevoller Vater war, an dessen Kindern ich Geschwister gefunden habe, und in dessen Familie ich gleichsam hineingewachsen bin: es war Geheim-Conferenzrath Jonas Collin Jonas Collin, der einen so wesentlichen Einfluß auf Andersen's Geschick ausübte, wird noch öfter erwähnt, und werde ich dann seine Biographie folgen lassen. Der Uebers., einer der Tüchtigsten im Geschäftsleben, im Besitze des edelsten und besten Herzens, vereint mit dem bestimmtesten, kräftigen Willen. – Unter seinen höchst verschiedenartigen Wirkungskreisen war auch der, Director des königlichen Theaters zu sein. Jeder sagte mir, daß wenn ich so glücklich wäre, das Interesse dieses Mannes zu gewinnen, dann würde auch etwas für mich gethan werden. Es war Propst Gutfeldt, der zuerst zu Collin von mir sprach, und zum ersten Male trat ich in das Haus, welches mir später ein Heim im tiefsten Sinne dieses Wortes wurde.

Collin sprach mit mir, ich sah in ihm nur den Geschäftsmann; er brauchte nicht viele Worte und seine Rede war, wie es mir schien, ernst, fast streng; ich verließ ihn, ohne von diesem Manne irgend welche Theilnahme zu erwarten; und gerade Collin war es, welcher am nachhaltigsten an mein Wohl dachte, im Stillen für dasselbe wirkte, wie er es sein ganzes Lebenlang für viele jetzt rings im Lande angestellte Männer gethan hat. Damals verstand ich die Ruhe nicht, mit welcher er mich anzuhören schien, während sein Herz, bei dem, was ihm der Bedürftige sagte, blutete und ihm, wenn derselbe ihn verlassen hatte, die Thränen in die Augen traten. Mein eingereichtes Stück, für welches mich Viele mit Lobreden überschütteten, berührte er leicht und oberflächlich, so daß ich ihn eher als einen Feind denn als einen Freund und Beschützer betrachtete. Allein, nach Verlauf einiger Tage wurde ich zu der Theaterdirection gerufen. Rahbek führte das Wort, übergab mir das Manuscript zu »Alfsol« und sagte, daß dies Stück für die Bühne zwar unbrauchbar sei, daß man aber doch »so viele Goldkörner« in demselben gefunden habe, daß man die Hoffnung hege, ich würde, durch ernste Studien, durch Besuch einer Schule das erlernen müssen, was nothwendig sei, um es vielleicht einmal dahin zu bringen, der dänischen Schaubühne Arbeiten liefern zu können, die würdig zur Aufführung seien; damit ich nun leben und mir den nöthigen Unterricht aneignen könne, habe Collin mir das Wort beim König Friedrich VI. geredet und habe derselbe mir allergnädigst für einige Jahre eine Summe zu meinem Unterhalt bewilligt; ferner habe die Direction der Gelehrtenschulen mir freien Unterricht in der Schule der Stadt Slagelse Siehe Band II. Seite 410. Der Uebers. gewährt. Ich verstummte fast vor Ueberraschung, niemals hatte ich geahnt, daß mein Leben sich so gestalten würde: ich war sonderbar überwältigt und hatte eigentlich keine rechte Vorstellung von der Bahn, die ich nun betreten sollte. Mit der ersten Postbeförderung, die nach Slagelse ging, sollte ich abreisen. Von Collin würde ich in Vierteljahresraten Geld zu meinem Unterhalt empfangen, an ihn hatte ich mich zu halten, und er würde über meinen Fleiß und meine Fortbildung wachen.

Ich ging zum zweiten Male zu ihm und sprach ihm meinen Dank aus. Dieses Mal ließ er sich ein wenig mehr mit mir ein, sprach herzlich zu mir und sagte: »Schreiben Sie mir unvorbehalten von dem, was Sie bedürfen und wie es Ihnen geht!« und von dieser Stunde an war ich an sein Herz gewachsen, kein Vater hätte mir mehr sein können, als er es war und bis an mein Lebensende sein wird. Indeß hatte ich einem Bekannten aus meiner Vaterstadt Odense, der einer Druckerei in Kopenhagen vorstand, das Manuscript zu meiner Tragödie » Alfsol« und zu einer kleinen Erzählung » das Gespenst am Grabe Palnatoke's« Siehe Band I. Seite 327. Der Uebers. behufs des Druckes, den er mir verheißen hatte, übergeben. Durch die Eile meiner Abreise kam diese Sache in Vergessenheit und ich dachte kaum mehr daran. Der Drucker starb und sein Nachfolger veröffentlichte dann später, ohne mein Wissen und Willen, diese beiden unreifen Produkte meiner jugendlichen Phantasie unter pseudonymen Namen William Christian Walter, ein Name, der an Shakespeare, mich und Walter Scott erinnern sollte. Ein Ereigniß, das mir viele bittere Stunden bereitete; aber das Buch existirt noch heute als Curiosum.

Eines schönen Herbst-Nachmittags reiste ich mit der Post von Kopenhagen ab, um das Schulleben in Slagelse zu beginnen, in demselben Orte, wo auch Baggesen und Ingemann die Schule besucht hatten. Ein junger Student, welcher einen Monat vorher sein Abiturienten-Examen absolvirt hatte und nun zu den Ferien nach Jüttland reiste, um sich daheim als Student zu zeigen und Eltern und Freunde wieder zu sehen, saß neben mir im Wagen und jubelte vor Freude über das neue Leben, das offen vor ihm lag; er versicherte mich, er würde der unglücklichste Mensch sein, wenn er an meiner Stelle wäre und nun wieder beginnen sollte, in die Schule zu gehen, das sei etwas ganz Entsetzliches! Ich aber reiste guten Muthes nach der alten Stadt. Meine Mutter bekam von mir einen glückseligen Brief Andersen's interessanten Briefwechsel mit seinen Zeitgenossen werde ich später erscheinen lassen. Der Uebers., und ich wünschte innigst, daß mein Vater und meine alte Großmutter gelebt und erfahren hätten, »daß ich nun in die lateinische Schule käme!«

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