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Drittes Capitel.
Von Oktober 1822 bis December 1828.

Mein Schulleben in Slagelse. – Der Rektor. – Der Gelehrte Bastholm. – Meines Großvaters Tod. – Sein Nachlaß. – Mein Besuch in Odense. – Schultage. – Antvorskov und seine Legenden. – Sorö und Ingemann's Haus. – Meine Kameraden Petit und Bagger. – Eine Hinrichtung in Slagelse. – Mein Tagebuch. – Ich folge dein Rektor nach Helsingör. – Des Rektors geheimes Zeugnis; über mich. – Meine Ferien in Kopenhagen. – Poetische Ergüsse. – Der Dichter Adam Oehlenschläger. – Ich ziehe nach Kopenhagen. – Meine kleine Bodenkammer. – Parodirende Ueberschristen meiner früheren Gedichte. – Heiberg's »fliegende Post.« – Ich werde Student. – Mein erstes Buch: »Eine Fußreise ec.« – Der Dichter Paludan Müller. – Meine erste dramatische Arbeit: »Die Liebe auf dem Nicolai-Thurm«. – Mein zweites Examen – Der Naturforscher H. C. Oersted. – Meine erste Gedichtsammlung.


 

Als ich spät am Abend Slagelse erreichte und im Gasthause abstieg, fragte ich die Frau Wirthin, was die Stadt Merkwürdiges aufzuweisen habe.

»Die neue englische Spritze und die Bibliothek des Pastors Bastholm«, antwortete sie. Ein paar Reiteroffiziere bildeten die feinere Herrenwelt. In jedem Hause wußte man, ob ein Schüler während des letzten Monats versetzt worden war; die Schule war überhaupt ein wichtiges Conversationsthema der ganzen Stadt, außerdem konnte man noch von dem Privattheater sprechen, zu dessen Generalproben die Schüler und die Dienstmädchen freien Eintritt hatten. Man erzielte dadurch, daß die Darsteller daran gewöhnt wurden, vor vollem Hause aufzutreten. – Im » Bilderbuch ohne Bilder«, vierter Abend, habe ich eine Skizze einer solchen Vorstellung gegeben.

Ich kam in Kost und Logis bei einer guten Wittwe aus den gebildeten Ständen, und hatte meine eigene kleine Stube mit Aussicht auf Garten und Wald. Das Weinlaub schlang sich um die grünen, sonnenverbrannten Fensterscheiben. – In der Schule bekam ich meinen Platz unter kleinen Knaben in der vorletzten Klasse; denn ich wußte ganz und gar Nichts.

Der Rector, welcher eine eigenthümliche Lust hatte, uns Alle zu verspotten, hatte natürlicherweise bei mir besondere Veranlassung, und ich wurde ängstlich. Ich hatte alle Verseschreiberei aufgegeben, und doch wurde ich alsbald zum Dienst der Poesie herangezogen; der Rector sollte vom Bischof feierlich in sein Amt eingeführt werden; der Gesanglehrer übertrug mir das Lied zu schreiben; ich schrieb es und es wurde gesungen; aber der Rector sprach kein Wort zu mir über mein Festgedicht, und mir schien es sogar, als sehe er mich mit strengeren Blicken an. Bei einem der ersten Examina wurde mir indeß eine Belobung zu Theil, und glücklich darüber, genoß ich ein paar Ferientage in Kopenhagen. Guldberg, welcher meine Fortschritte und meinen ernsten, guten Willen gewahrte, empfing mich freundlich und lobte mein Streben. »Schreibe aber nur keine Verse!« sagte er. Dasselbe sagten sie mir Alle, und ich schrieb keine Verse, gedachte ernstlich meiner Pflicht und der fernen, ungewissen Hoffnung, Student zu werden.

Der gelehrte Bastholm in Slagelse, damals Redakteur der »Westseeländischen Zeitung«, lebte zurückgezogen vom gesellschaftlichen Leben, ganz seinen Studien hingegeben. Ich hatte ihm einen Besuch gemacht, ihm einige meiner früheren kleinen Gedichte vorgelegt, durch welche er Interesse für mich bekam. Indessen rieth er, daß ich mich nur an meine Schulbücher halten solle.

Ebenso theilnehmend zeigte sich mir der früher genannte Oberst, der spätere General Guldberg in Odense; seine Freude über den Fortschritt, den ich durch den Eintritt in die Gelehrtenschule erzielt hatte, war groß und innig; er schrieb mir dann und wann und stets aufmunternd; als die ersten Sommerferien herankamen, lud er mich ein, ihn zu besuchen, er sandte mir sogar das Reisegeld.

Seitdem ich aus meiner Geburtsstadt auf Abenteuer ausgezogen, hatte ich sie nicht wieder gesehen. In der Zwischenzeit war die alte Großmutter gestorben, und auch mein Großvater war ihr gefolgt. Dieser hatte mich zum Erben seines alten Hauses eingesetzt, das aber wegen Baufälligkeit sofort abgerissen wurde. Der ganze Erlös meiner Erbschaft, nachdem der Magistrat sich für rückständige Steuern bezahlt gemacht hatte, bestand in ungefähr zwanzig Reichsthalern, denn altes Papiergeld, das man vorfand, war längst eingezogen worden und jetzt verfallen; aber Reichthum kümmerte mich gar wenig; bei dem bloßen Gedanken an den Besuch in der Heimat strahlten Vorzeit und Zukunft in voller Sonnenbeleuchtung; ich fühlte mich so reich, so glücklich, mein Sinn hob sich in Freude und Sehnsucht!

Meine Mutter war glücklich, mich wieder zu sehen, doch sagte sie, gebe es viele ihrer Bekannten und »vornehme Leute«, sowol den Kaufmann wie den Schreiber, die ich nothwendigerweise besuchen müßte. Die Familien Iversen's und Guldberg's empfingen mich herzlich; in den kleinen Gassen sah ich die Leute die Fenster öffnen, um mir nachzuschauen; denn Alle wußten es, daß es mir so merkwürdig gut ergangen sei, und daß ich nun für das Geld des Königs studire. »Marie Schuhmachers Hans Christian war doch nicht so dumm«, sagte meine Mutter mir, als »die Leute glaubten«. Ja, als der Buchhändler Sören Hempel, welcher einen hohen Thurm an seinem Hause zu astronomischem Vergnügen gebaut hatte, mich auf denselben hinaufführte und ich über Stadt und Land hinausschaute, als unten am Platze einige arme Frauen aus dem Hospital hinaufzeigten und einander zuflüsterten, da stand ich in der That wie auf den Zinnen des Glücks. Eines Nachmittags segelte ich mit den Familien Guldberg's und des Bischofs auf dem Flusse an den Gärten vorbei und meine Mutter weinte vor Freude darüber, daß ich »geehrt wurde als sei ich ein Grafenkind.« – Doch all' dieser Glanz und Glorienschein war erloschen und von mir gewichen, als ich wieder in Slagelse stand.

Ich darf sagen, daß ich sehr fleißig war, und man ließ mich deshalb auch, sobald es einigermaßen geschehen konnte, in eine höhere Klasse aufrücken, da ich aber stets nicht reif genug versetzt wurde, ward mir eine fortwährende Ueberanstrengung, eine fast zu große geistige Last zugemuthet. Der Rector, welcher ein gelehrter und begabter Mann war und die Literatur mit vorzüglichen Uebersetzungen classischer Dichter des Alterthums bereichert hat, war aber, wie es sich auch später zeigte, gar nicht befähigt, junge Menschen zu erziehen. Ihm war der Unterricht gewiß eine Plage und uns Schülern nicht weniger: die Mehrzahl derselben fürchtete sich vor ihm, ich am allermeisten, nicht seiner Strenge halber, sondern wegen der Art und Weise, wie er uns verspottete und jedem von uns einen Spitznamen beilegte. Wurde eine Heerde Vieh während der Stunde durch die Straße getrieben, und sah ein einzelner Schüler aus dem Fenster, dann war er im Stande, uns Allen zu befehlen, aufzustehen und an die Fenster zu treten, um »unsere Brüder vorüberziehen zu sehen:« – wurde während der Examination nicht schnell und lebhaft genug geantwortet, dann brach er zuweilen plötzlich ab, erhob sich vom Katheder und richtete seine Fragen an den Ofen. Gleichwol ging es vorwärts mit mir und in einzelnen Fächern vortrefflich. In Religion, biblischer Geschichte und dänischem Styl bekam ich stets eine ausgezeichnete Censur; ebenso war mein Betragen untadelhaft.

Daß der Rector übrigens eine andere Meinung von mir hegte, als er in Wort und Wesen zeigte, werden wir später sehen; ich war auch in der Regel unter den Schülern, die er Sonntags in seine Wohnung einlud, – und dann war er ein ganz Anderer als in der Schule, voll Scherz und lustiger Einfälle stellte er Zinnsoldaten für uns auf, spielte mit uns und seinen Kindern.

Als Lichtpunkte des Schullebens galt der Zutritt, den wir Schüler zu den Generalproben der dramatischen Gesellschaft hatten. Das Theater war ehedem ein Stallgebäude gewesen, lag in einem Hintergebäude, und man hörte von dort aus die Kühe auf dem Felde brüllen. Als Straßendecoration war der Marktplatz der Stadt gewählt und gemalt worden, wodurch alle Stücke etwas Heimisches bekamen; die Scene spielte somit bei dieser Decoration stets in Slagelse und es amüsirte die Leute, ihre eigenen Häuser und die ihrer Bekannten zu betrachten. – Sonnabend Abend wanderte ich in der Regel nach dem damals schon halb niedergerissenen Schloß Antvortskov hinaus, von welchem der Dichter Frankenau seiner Zeit sang:

»Dem Kloster steht voran ein Herrensitz,
Die frommen Mönche ruhen in des Hügels Erde.«

Mit dem größten Interesse verfolgte ich die Ausgrabungen der alten Keller-Ruinen, für mich ein wahres Pompeji. In einem Gartenhäuschen hier wohnte ein junges Ehepaar aus vornehmer Familie, ich glaube, es hatte gegen den Willen der Eltern geheirathet, es war wahrscheinlich arm, aber schien so sehr glücklich zu sein; indem niedrigen Zimmer mit den weißübertünchten Wänden herrschte eine Art Comfort, stets standen frische Blumen auf dem Tische, es lagen schön gebundene Bücher dort, eine Harfe war das Instrument des Hauses. Ich hatte zufällig die Bekanntschaft des jungen Ehepaars gemacht und es empfing mich stets freudig und freundlich; es lag eine idyllische Schönheit über diesem kleinen Heim ausgebreitet, welches unterhalb des einsamen Schloßflügels auf dem Hügel stand.

Von Antvortskov ging die Wanderung nach dem »Kreuz des heiligen Anders« Vergl. die Note auf Seite 411, Band II. Der Uebers., eins der wenigen hölzernen Kreuze aus der Zeit des Katholicismus, die noch in Dänemark vorhanden sind; es steht unweit Slagelse links an der Landstraße, die nach Körsör führt. Die Sage meldet, daß der heilige Anders Prediger in Slagelse war und nach dem gelobten Lande reiste, daß er den letzten Tag, den er dort zubrachte, seine Andacht am heiligen Grabe so lange ausdehnte, bis das Schiff, welches ihn hätte zurückbringen sollen, ohne ihn absegelte. Mißmuthig schritt er am Meeresstrand auf und ab, da kam ein Mann auf einem Esel dahergeritten und lud den Slagelse-Prediger ein, bei ihm aufzusitzen. Dieser that es, schlummerte ein, und als er erwachte, hörte er die Slagelse-Kirchglocken läuten. Er lag auf dem »Ruhehügel«, wie der Hügel jetzt genannt wird, und zu seinem Andenken steht das Kreuz dort mit dem gekreuzigten Jesus. Er war Jahr und Tag früher als das Schiff heimgekehrt, welches vor ihm absegelte; denn ein Engel des Herrn hatte ihn nach Dänemark getragen. Die Sage und der Ort wurden mir lieb, hier auf dem Hügel saß ich manchen Abend und schaute über Wiesen und Kornfelder hinaus, nach Körsör hinunter, wo der Dichter Jens Baggesen geboren war; auch er, als Schüler der Slagelse-Schule, hatte gewiß oft hier gesessen und über den Belt nach Fyen hinübergeschaut.

Am glücklichsten war ich, wenn ich an einem Sonntag im Sommer eine Wanderung nach Sorö Siehe Band I. Seite 180. Der Uebers. unternehmen und dort den Dichter Ingemann Siehe Band II. Seite 410. Der Uebers. besuchen konnte, welcher Lector an der Akademie war und kürzlich ein Fräulein Lucia Maria Mandix geheirathet hatte. Er hatte mich in Kopenhagen freundlich empfangen, in Sorö wurde der Empfang womöglich noch herzlicher; seine geistreiche, herzensgute Frau trat mir entgegen, als sei sie mir eine ältere, gute Schwester, das ganze Heim schien mir so echt dichterisch; das Haus lag in gemüthlicher Stille dicht an See und Wald, Weinreben schlängelten sich um die Fenster hinauf, die Zimmer waren mit Gemälden und Bildern geschmückt; die Portraits fast aller berühmten Dichter Europas und bekannter Dichter Dänemarks hingen in der kleinen Gartenstube; der Garten selbst prangte mit schönen Blumen. Wir segelten auf dem See, eine Aeolsharfe war an den Mast des Kahns gebunden; Ingemann erzählte sehr lebhaft und wußte zu fesseln, wie seine Gattin durch liebenswürdige Natürlichkeit. Unsere Freundschaft ist mit den Jahren gewachsen, manchen Sommer bin ich später wochenlang als ein willkommener Gast bei ihnen gewesen.

Unter den Eleven der »Ritter-Akademie« in Sorö befanden sich zwei, welche Verse schrieben, sie wußten, daß ich es auch that und schlossen sich an mich an. Der eine hieß Petit; er hat später in Deutschland, ich darf sagen mit dem besten Willen, aber nicht treu ein paar meiner Schriften übersetzt und außerdem eine höchst sonderbare Phantasie-Biographie von mir geliefert, in welcher meine Mutter als eine Madame figurirte und ich selber mit rosenrothen Füßen in der Abendsonne umherlaufe. Petit war übrigens nicht ohne Talent, er hatte ein warmes, edles Herz, aber das Leben brachte ihm nur schwere Tage, jetzt weilt er unter den Todten.

Der zweite Sorö-Poet war Carl Bagger, eine der begabtesten Dichter-Naturen, die zu meiner Zeit in der dänischen Literatur auftraten, er wurde aber unbillig und hart beurtheilt; seine Gedichte sind voll Frische und Originalität, seine Erzählung »das Leben meines Bruders« ein genial geschriebenes Buch. Diese beiden Akademiker waren höchst verschieden von mir, das Leben rollte ihnen frisch durch die Adern; beide waren keck und hatten eine Zukunft, ich dagegen war weichlich, ganz Kind, obgleich ich jedenfalls der längste unter uns dreien war. Das kleine Sorö mit seiner Wald-Einsamkeit wurde mir somit ein Heim der Poesie und der Freundschaft.

Ein Ereigniß, welches ganz Slagelse in Aufregung versetzte, war die Hinrichtung dreier Menschen in der Nähe eines benachbarten Städtchens. Die Tochter eines reichen Bauerngutsbesitzers hatte ihren Geliebten dazu bewogen, ihren Vater zu ermorden, weil er ihnen die Erlaubniß zur Eheschließung verweigerte; als Helfershelfer fungirte der Dienstknecht, der die Absicht hatte, sich mit der Wittwe zu verheirathen. Alle wollten dieser Hinrichtung beiwohnen, der Tag gestaltete sich wie ein Festtag. Der Rector gab der obersten Klasse frei, wir sollten hinfahren, meinte er, denn es sei gut, dergleichen kennen zu lernen.

Wir fuhren hin, die ganze Nacht hindurch auf offenem Wagen, beim Sonnenaufgang waren wir an Ort und Stelle. Es machte einen erschütternden Eindruck auf mich, als ich die Verurtheilten anfahren sah, das junge, todtenblasse Mädchen lehnte den Kopf an die starke Brust des Geliebten, hinter ihnen saß der Dienstknecht, sein schwarzes Haar hing ihm unordentlich um den Kopf, sein Blick war scheel, er nickte den einzelnen Bekannten zu, die ihm »Lebewohl« zuriefen. Am Richtplatz, woselbst sie neben ihren Särgen standen, sangen sie mit dem Prediger einen Psalm, die Stimme des Mädchens übertönte weit die der Anderen. Meine Füße vermochten kaum mich zu tragen! diese Minuten waren mir erschütternder als der Augenblick der Hinrichtung. Ich sah auch dort einen armen Kranken, dessen abergläubische Eltern ihn, damit er von Krämpfen geheilt werde, eine Schale voll des Blutes der Hingerichteten trinken ließen und darauf in wilder Flucht mit ihm davonliefen, bis er zu Boden sank. Ein Versemacher verkaufte dort sein »Trauriges Lied«, die Worte waren den Verbrechern in den Mund gelegt und zwar zu der Melodie eines bekannten Liedes, dessen Anfangsstrophe lautete: »Fremd kam ich hier am Orte an«, was nicht wenig komisch klang.

Die ganze Begebenheit wirkte indeß so stark auf meine Phantasie ein, daß die Erinnerung an dieselbe mich lange Zeit verfolgte, sie spielte in meine Träume hinein, und noch jetzt, nach vielen, vielen Jahren steht das Ganze noch lebhaft vor mir, als sei es gestern geschehen.

Begebenheiten mit solchen gewaltigen Eindrücken oder Ereignisse von Bedeutung fanden jedoch ferner nicht statt; der eine Tag verstrich wie der andere; aber je weniger man erlebt, je stiller und einförmiger das Leben dahingleitet, um so eher geräth man auf den Gedanken, das Erlebte aufzuzeichnen und festzuhalten, ein Tagebuch zu führen, wie es heißt. Ich legte um diese Zeit ein solches an, und einige Blätter desselben sind noch erhalten, in welchen meine ganze sonderbare Kinder-Natur sich vollkommen abspiegelt. Ich will ein paar der Phrasen aus dieser Periode hier wortgetreu niederschreiben; ich saß damals in der zweiten Klasse der Schule, und das ganze Glück meines Daseins beruhte darauf, daß ich bei dem bevorstehenden Haupt-Examen in die vierte Klasse versetzt werde. Ich schrieb:

Mittwoch. »Mißmuthig ergriff ich die Bibel, die vor mir lag, ich wollte sehen, ob sie mir nicht ein Orakel sein könnte; ich schlug sie auf, setzte den Finger blindlings auf eine Stelle und las: ›Dein Verderben ist in dir selbst, Israel! aber in mir ist Deine Rettung!‹ (Hoseas) – Ja, Vater, ich bin schwach, aber Du siehst ja mein Inneres, sei Du meine Hülfe, damit ich in die vierte Klasse versetzt werde. – Im Hebräisch gut bestanden.«

Donnerstag. »Riß durch Unvorsichtigkeit einer Spinne ein Bein aus! Bestand gut in Mathematik. Gott, Gott! den vollen Dank meines Herzens!«

Freitag. »Gott! helfe mir! – Der Abend ist draußen so winterlich klar. Das Examen ist glücklich zu Ende, morgen kommen die Resultate desselben. Mond! Morgen beschaust Du entweder einen Blassen und Verzweifelten oder den Glücklichsten! Schiller's ›Kabale und Liebe‹ gelesen.«

Sonnabend. »Gott, jetzt ist mein Schicksal entschieden, mir aber noch verborgen; was habe ich wol zu erwarten? – Gott! mein Gott! Verlaß mich nicht! Mein Blut rollt so scharf durch meine Adern, meine Nerven zittern, o Gott! allmächtiger Gott! Hilf mir – ich verdiene es nicht, aber sei gnädig, o Gott, Gott – (später). – Ich wurde versetzt. Es ist sonderbar, die Freude hierüber erscheint mir nicht so gewaltig, wie ich erwartete. 11 Uhr schrieb ich an Guldberg und an meine Mutter.«

Um die Zeit war es auch, daß ich in meinem stillen Sinne dem lieben Gott das Gelübde that, daß ich, wenn er mich in die vierte Klasse versetzt werden ließe, den ersten Sonntag darauf zum heiligen Abendmal gehen würde; und das that ich auch. Man wird hieraus die Unklarheit meines wirklich frommen Sinnes, auf welchem Standpunkt der Entwickelung ich mich befand, ersehen, und doch war ich damals schon zwanzig Jahre alt. Wie weit sind nicht alle anderen jungen Menschen in dem Alter darüber hinaus, solche Notizen in ihr Tagebuch zu schreiben!

Dem Rector gefiel es in Slagelse nicht mehr; er suchte um die erledigte Rector-Stelle an der Gelehrten-Schule zu Helsingör nach, und bekam dieselbe; er erzählte es mir, und zu meiner Ueberraschung machte er mir den Vorschlag, ihm zu folgen, er wolle, sagte er, mir Privat-Unterricht geben, und ich würde dann, nach Verlauf von etwa anderthalb Jahren Student werden können, wozu keine Aussicht vorhanden sei, wenn ich in der Schule zu Slagelse verbliebe; ich müßte sogleich zu ihm in sein Haus ziehen, fügte er hinzu, er wolle mich für dasselbe Kostgeld aufnehmen, welches ich anderswo zahle; über dies Alles müsse ich an Collin schreiben und dessen Erlaubniß dazu erbitten; diese bekam ich und zog in's Haus des Rectors.

Ich mußte Slagelse verlassen! Es fiel mir schwer, den Kameraden und den einzelnen Familien, die ich kennen gelernt hatte, Lebewohl zu sagen; natürlicherweise legte ich mir bei der Gelegenheit ein Stammbuch an, in welches unter Anderen auch mein alter Lehrer Snitker sich einschrieb, derselbe, welcher auch Lehrer an der Schule gewesen war, als Ingemann und Paul Möller dieselbe besuchten. Carl Bagger schrieb ein Gedicht an mich, als verließe ich die Schule, um nun als Dichter aufzutreten, und nicht um auf die Schulbank zu sitzen, und schwere, harte Tage durchzumachen.

Ich folgte dem Rector nach Helsingör; die Reise dorthin und der erste Anblick des Sundes mit den vielen Schiffen, das in's Kattegat hinausspringende hohe schwedische Vorgebirge Kullen, die ganze schöne Natur, erfüllte mich im hohen Grade; ich sprach mich darüber in einem Briefe an Professor Rasmus Nyrup aus, und, natürlicherweise, da ich fand, daß derselbe gut geschrieben sei, richtete ich ganz denselben Brief an mehrere Andere; unglücklicherweise gefiel das Schreiben Nyrup so gut, daß er es in ein Kopenhagener Journal einrücken ließ, so daß nun Jeder, welcher den Brief oder richtiger die Abschrift erhalten hatte, meinte, es sei sein Brief, der veröffentlicht worden sei.

Die Abwechslung, die neue Umgebung und die neue Thätigkeit wirkten belebend auf die Stimmung des Rectors ein, aber nur auf kurze Zeit, und bald fühlte ich mich verlassen, gedrückt und geistig leidend; indes hatte der Rector zur selben Zeit ein Zeugniß über mich an Collin abgegeben, in dessen Besitz ich noch heute bin, und in welchem über mich und meine Fähigkeiten ein ganz anderes Urtheil ausgesprochen wird, als das, welches ich und meine Umgebung von ihm aussprechen hörten oder überhaupt von ihm vermuthen konnten; hätte ich davon eine Ahnung gehabt, es würde mich gestärkt, mich geistig gesund gemacht und wohlthätig auf mein ganzes Wesen eingewirkt haben. Täglich sprach er mir fast jede geistige Befähigung ab, redete mich an, als sei ich ein Idiot, ein ganz thierisch-dummer Knabe, und um dieselbe Zeit schrieb er im Ernst über mich an meinen Vorgesetzten Collin, der, veranlaßt durch meine steten Berichte über die Unzufriedenheit des Rectors mit mir und meiner geringen Befähigung, sich eine Erklärung von ihm erbeten hatte, Folgendes:

 

»H. C. Andersen wurde gegen Ende des Jahres 1822 in die Gelehrten-Schule zu Slagelse aufgenommen und, wegen Mangels der nothwendigsten Vorkenntnisse, seines ziemlich vorgerückten Alters unerachtet in die vorletzte Klasse eingereiht. Von Natur mit einer lebhaften Phantasie und warmem Gefühl begabt, faßte er mit größerem und kleinerem Glück die verschiedenen Unterrichtsfächer auf und je nach dem sie jenen ansprachen, eignete er sich dieselben an, schritt aber doch im Ganzen derart vorwärts, daß man mit Fug zugeben konnte, daß er nach und nach aus den unteren Klassen in die erste aufrückte, in welcher er sich augenblicklich befindet, nur mit dem Unterschied, daß er, mit dem Unterzeichneten, Slagelse mit Helsingör vertauschte.

»Fremde Wohlthätigkeit hat ihn bisher lange auf dem Wege des Studiums erhalten, und ich darf nicht verschweigen, daß er derselben vollkommen würdig ist. Seine Anlagen sind besonders gut, mit Rücksicht auf einzelne Richtungen seines Geistes sogar ausgezeichnet; sein Fleiß ist ununterbrochen, und sein Betragen, das auf liebenswürdiger Gutmüthigkeit beruht, ist der Art, daß es den Eleven einer Schule zum Muster dienen kann. Hierzu kommt noch, daß er, wenn er ununterbrochen die lobenswerthe Anstrengung beibehält, welche er jetzt an den Tag legt, im October 1828 zur Universität wird entlassen werden können.

»Da somit die drei Eigenschaften, die ein Schulmann so gern wünscht, aber so selten bei einem Schüler vereint findet, unverkennbar bei H. C. Andersen angetroffen werden, nämlich, Begabung, Fleiß und vorzügliches Betragen, so kann ich nicht umhin, ihn als besonders würdig einer jeden Unterstützung zu empfehlen, die ihm möchte zufließen können, um ihn in Stand zu setzen, die von ihm begonnene Bahn fortzusetzen, von welcher sein vorgerücktes Alter ihm zurückzutreten nicht gut erlaubt. Nicht nur seine rechtschaffene Gesinnung, sondern auch seine treue Ausdauer und sein unverkennbares Talent bürgen dafür, daß das, was zu seinem Wohl verwendet wird, in keiner Weise verloren sein werde.

Helsingör den 18. Juli 1826.

S. Meisling,
Doctor der Philosophie und
Rector der Gelehrten-Schule zu
Helsingör.«

Von diesem Zeugniß, welches so viele Güte für mich athmet, daß es bekannt zu werden verdient, hatte ich, wie gesagt, keine Ahnung, ich war ganz und gar niedergedrückt, hatte keinen Glauben, keine Zuversicht zu mir selbst. Von Collin erhielt ich indessen einige liebevolle Zeilen.

»Verlieren Sie den Muth nicht, lieber Andersen, – fassen Sie sich, seien sie ruhig und besonnen, alsdann werden Sie sehen, daß es schon gehen wird. Der Rector meint es mit Ihnen gut. Seine Art vorzugehen ist vielleicht etwas verschieden von der, welche Andere gebrauchen, aber deshalb führt sie gleichfalls zum Ziele. Ein andres Mal vielleicht Mehr, jetzt habe ich nur wenig Zeit. Gott stärke Sie!

Ihr
Collin«

Die schöne Natur ringsum übte auf mich wol einen lebhaften Eindruck, aber ich durfte sie nur von Ferne ansehen; ich kam so gut wie niemals in's Freie; wenn die Schulzeit zu Ende war, blieb der Thorweg des Hauses in der Regel verschlossen, ich mußte in der schwülen Schulstube sitzen bleiben, dort konnte ich meine Pensa lernen: später spielte ich mit den Kindern des Rectors oder saß in meiner kleinen Kammer. Niemand besuchte mich, die Kameraden durften es nicht, sie wünschten auch nicht, den Rector zu treffen.

Charles Dickens hat uns Schilderungen von der Noth armer Knaben gegeben; hätte er die Zeiten gekannt, die ich durchlebte, was ich empfand und litt, er würde dies nicht weniger schwer, oder zu humoristischer Schilderung geeignet gefunden haben. Es giebt Dinge im eigenen Leben, die in solcher Weise in das Leben Anderer eingreifen, daß man auf sie kein Recht wie über sein eigenes besitzt; ich habe deshalb aus jener Zeit Nichts mitzutheilen, wie ich auch damals mich nie über sie aussprach, mich niemals über Jemand von meiner Umgebung, sondern nur über mich selbst beklagte.

Es lag etwas Eigenthümliches, fast Märchenhaftes in dem Gegensatz, von der Schulheimat nach dem Familienleben versetzt zu werden, welches sich mir in Kopenhagen, wenn ich während der wenigen Tage der Schulferien nach dort reisen durfte, aufschloß, dem Heim hier, wo Alles im höchsten Grade der Pol des Gegensatzes war. Es war bei dem Admiral Wulff, dessen Gattin mütterliche Güte für mich gefaßt hatte, dessen Kinder mir herzlich und vertraut entgegenkamen. Diese Familie war die erste von Allen, die mich aufnahm, als gehörte ich zu ihr; ich hatte hier ein glückliches Heim. Wulff hatte als Chef der Seekadetten-Akademie, welche sich in einem der königlichen Palais der Amalienborg befand, dort seine Wohnung; ich bekam ein Zimmer, dessen Fenster dem Platze zugekehrt waren, und ich entsinne mich, daß mir den ersten Abend hier, als ich am Fenster stand und hinausschaute, die Worte Aladin's einfielen, wo er von seinem reichen Schlosse auf den Platz hinabschaut und sagt: »dort unten ging ich als armer Knabe!« Ich fühlte, daß Gott mich gnädig und voll Liebe geführt hatte; meine ganze Seele war voll Dankbarkeit.

Während all' der Zeit, die ich in Slagelse gewesen war, hatte ich kaum mehr als drei oder vier kleine Gedichte geschrieben; zwei derselben: » Die Seele« und » An meine Mutter«, sind abgedruckt in »Gesammelte Gedichte« und gehören zu den ältesten, die ich besitze; in Helsingör schrieb ich während der Schulzeit nur zwei Gedichte, » Neujahrsnacht« und » Das sterbende Kind«, und dieses letztere war dasjenige, welches von allen meinen Gedichten zuerst Aufmerksamkeit erregte, erkannt und am frühesten verbreitet und übersetzt wurde. Ich brachte es mit nach Kopenhagen, und hier las ich es meinen Bekannten vor; Einige hörten es des Gedichts halber an, Andere um sich über mich und meinen fyenschen Dialect zu amüsiren; ich bekam bei Vielen Lobreden und bei der Mehrzahl einen Vortrag über Bescheidenheit und die Mahnung, nicht zu große Gedanken von mir selbst zu hegen. Ja, eine meiner wohlmeinenden Beschützerinnen sagte mir und wiederholte es später in einem Schreiben: »um Gottes Willen, bilden Sie sich doch nicht ein, daß Sie Dichter sind, weil Sie einige Verse schreiben können! das kann zu einer fixen Idee bei Ihnen werden. Was würden Sie sagen, wenn ich mich mit dem Gedanken tragen würde, ich würde Kaiserin von Brasilien werden! Wäre das nicht Tollheit, und das ist auch Ihr Glaube, daß Sie Dichter sind!« Aber das war nicht mein Glaube; es würde mir indeß, hätte ich ihn gehabt, ein Lebensfunke, ein Trost gewesen sein. Im Uebrigen mußte ich während des Aufenthaltes in Kopenhagen recht viel über meine eckigen Manieren hören und ferner darüber, daß ich gleich Alles aussprach, was ich dachte. Doch die Tage in Kopenhagen waren meine Lebenstage; hier sah ich und kam zusammen mit ihm, Demjenigen von Allen, vor dem ich mich damals in Gedanken am tiefsten verbeugte und in Allem hinaufschaute: es war dies der Dichter Adam Oehlenschläger. Sein Ruhm tönte von den Lippen Aller, er war mir mehr denn alle anderen Menschen; meine Glückseligkeit war groß, als er eines Abends in dem großen erhellten Salon, in welchem ich mit dem Bewußtsein, daß mein Rock der armseligste sei, mich deshalb zwischen die langen, herabwallenden Fenstervorhänge zurückgezogen hatte, auf mich zuschritt und mir die Hand reichte. Ich hätte vor ihm auf die Knie sinken können. Wir sahen einander oft in Wulff's Familie; hier kam auch Weyse, der freundlich mit mir sprach; ich hörte ihn auf dem Fortepiano phantasiren. Bröndsted, welcher nach Dänemark zurückgekehrt war, brachte durch seine Beredsamkeit Leben in den Kreis, Wulff selbst las seine Uebersetzung von Byron vor; der feine gebildete Weltmann Adler, der Freund und Kabinetschef des Königs Christian VIII. schloß den Kreis, in welchem Oehlenschläger's junge Tochter Charlotte mich durch ihre Lebensfreude und ihre frische ausgelassene Laune überraschte. Das waren herrliche Tage und Abende, alle in Kopenhagen.

Aus einem solchen Kreis kam ich nach den Ferientagen in das Haus des Rectors; selbst unter angenehmeren Verhältnissen dort, würde es doch ein schroffer Uebergang gewesen sein, doch so war es wie eine geistige Folterbank. Eines Tages trat der Rector in meine Kammer; er war in Kopenhagen gewesen und hatte dort, ich glaube bei Oehlenschläger, erfahren, daß ich ein Gedicht, welches ich geschrieben, nämlich » Das sterbende Kind« vorgelesen hatte; ich sah an dem Antlitz des Mannes, was mir bevorstand. Er richtete einen durchbohrenden Blick auf mich, verlangte das Gedicht zu sehen, indem er hinzufügte, daß er, fände er einen Funken von Poesie in demselben, mir verzeihen würde. Zitternd brachte ich ihm das Gedicht; er las es, lachte, erklärte es sei Empfindelei und Unsinn, und sprach nun in harten Worten seinen ganzen Zorn aus. Hätte er dies in dem Glauben gethan, daß ich meine Zeit mit Verseschreiben vergeudete, oder daß ich ein Character sei, der hart behandelt werden müsse, dem aber sein Zeugniß über mich widerspricht, dann wäre die Absicht doch eine gute gewesen; aber hier war es nur seine Laune, seine Stimmung, unter welchen ich zu leiden hatte. Mit jedem Tage wurde meine Lage eine unglücklichere, ich litt geistig dermaßen, daß ich zu Grunde gehen mußte, wenn nicht bald eine Aenderung mit mir eintrat. Das sahen und erkannten meine anderen Lehrer; einer von diesen, der jetzige Pastor Warlin, welcher damals hebräisch mit uns las, reiste nach Kopenhagen und ging zu Collin, dem er erzählte, wie es mir im Hause des Rectors erging. Augenblicklich faßte Collin den Entschluß, daß ich sofort nach Kopenhagen kommen und Privat-Unterricht genießen solle. Diese Nachricht erbitterte den Rector sehr; beim Abschied waren seine letzten Worte an mich, daß ich niemals Student werden würde, daß die Verse, die ich schrieb, wenn sie auch gedruckt würden, als Makulatur auf dem Boden des Bücherkrämers liegen bleiben und vermodern, und daß ich selbst im Irrenhause endigen würde. Auf's Tiefste erschüttert verließ ich ihn.

Mehrere Jahre später, als meine Schriften gelesen wurden, als » Der Improvisator« erschienen war, begegneten wir uns in Kopenhagen; er reichte mir versöhnend die Hand, sagte theilnehmend und freundlich, daß er sich in mir geirrt und mich falsch behandelt hätte.

Der durch seinen Eifer für nordische Sprache und Geschichte rühmlich bekannte, jetzt verstorbene Pastor Ludwig Müller, damals Student, wurde mein Manuducteur Der Lehrer, welcher Anleitung beim Studiren ertheilt. Der Uebers.. Ich miethete eine kleine Dachkammer in der Viingaardsträde; die kleine Stube dort mit der schrägen Wand unter dem Dache ist in dem Roman » Nur ein Geiger« beschrieben; und im » Bilderbuch ohne Bilder« macht der Mond seine Besuche dort, welcher damals, weil sich dort noch keine Häuserreihe befand, über den Nicolaithurm frei vor meinem Blicke dahinglitt. Ich hatte noch vom Könige eine bestimmte kleine Summe zur Unterstützung, allein der Unterricht mußte bezahlt und es mußte deshalb nach allen anderen Richtungen hin gespart werden. Einige Familien gaben mir Platz an ihrem Mittagstisch, fast alle Tage der Woche hatte ich besetzt, ich wurde eine Art »Kostgänger«, wie es noch mancher arme Student in Kopenhagen ist. Es lag eine Abwechslung hierin, ich bekam einen Einblick in das Familienleben, in verschiedene Kreise; auch dies war mir von Nutzen. Ich las fleißig, und da ich in der Schule zu Helsingör mich in einzelnen Wissenschaften ausgezeichnet hatte, z. B. in Arithmetik und Geometrie, wurde das Studium derselben mir fast allein überlassen; die meiste Zeit mußte auf Griechisch und Latein verwendet werden; in der Religion, für welche ich in den Schulen zu Slagelse und Helsingör stets die beste Censur erhalten hatte, fand man hier, daß ich am schwächsten sei, hier müßte auch Nachhülfe gebracht werden, meinte mein sonst höchst vortrefflicher Manuducteur. Er hielt sich streng an die Worte der Bibel, die ich kannte, denn von meinem ersten Eintritt in die Schule hatte ich Alles lebendig aufgefaßt, was von derselben gesagt oder gelehrt wurde; ich faßte die Bibel durch das Gefühl auf und begriff, daß Gott unendliche Liebe sei; Alles, was gegen eine solche stritt, eine flammende Hölle, in welcher das Feuer ein ewiges ist, erkannte ich nicht, und sprach dies mit voller Ueberzeugung aus; früher ein gedrücktes Wesen auf der Schulbank, trat ich nun frei und selbstständig mit diesen meinen Grundsätzen auf; ich sprach mich wie ein Naturmensch aus, und meinem Lehrer, der einer der edelsten und liebenswürdigsten Menschen war, aber fest an den Worten der Schrift hing, wurde es oft ganz ängstlich um mich; wir disputirten, während dieselbe heilige Flamme gleich rein in unseren Herzen loderte. Aber es war für mich wohlthuend, in Beziehung zu diesem unverdorbenen, begabten jungen Mann zu treten, welcher eine ebenso eigenthümliche Natur war wie ich. Etwas, was dahingegen nicht natürlich bei mir war, aber um diese Zeit einen Theil von mir ausmachte, war die Lust nicht zu spotten, sondern eher zu spielen mit meinen besten Gefühlen und den Verstand als das Bedeutsamste in der Welt zu betrachten, diese neue Manier bei mir, war eine Richtung, die ich bekommen mußte; in der Schule hatte der Rector ganz und gar meine unvorbehaltene, weiche Natur mißverstanden, mein überströmendes Gefühl war lächerlich gemacht und zurückgedrängt worden; als ich mich nun plötzlich dieses Druckes entledigt fühlte, schlug ich in eine Richtung um, die nur eine angenommene Manier war; nicht in Ausgelassenheit, sondern in ein verfehltes Streben, anders zu scheinen, als ich in Wirklichkeit war. Ich scherzte über das Gefühl, wollte mir selbst einbilden, daß ich es weggeworfen hatte, und dabei konnte ich doch tagelang in mißmüthiger Stimmung umhergehen, ganz unglücklich darüber sein, daß mir ein saures Gesicht da begegnet sei, wo ich ein freundliches suchte. Ich versah nun alle die Gedichte, die ich früher unter Thränen aus meiner betrübten Seele herausgeschrieben hatte, mit parodirenden Ueberschriften, lächerlichen Refrains; ein solches, mit wenigen Aenderungen, » die Klage der Katze« steht in der » Fußreise«, ein anderes innig empfundenes Gedicht nannte ich » Der kranke Poet«. In dieser Periode schrieb ich nur einige wenige Verse, aber alle waren sie humoristisch, so z. B. » Der Abend«, » Die grauenvolle Stunde«, » Herzseufzer an den Mond«, » Die Schweine«. Es war eine totale Umwandlung bei mir eingetreten; die gedrückte Pflanze war versetzt worden und begann frisch zu treiben.

Die älteste Tochter Wulff's, Henriette, eine geniale, lebensvolle Natur, die mir bis zu den letzten Tagen, unter allen Zeitwandlungen noch eine treue, schwesterliche Freundin geblieben ist, war die Einzige, die mich damals verstand; sie ermunterte bei mir den Humor, welcher in den neuen Gedichten sich zeigte; ich schenkte ihr meine ganze Vertraulichkeit, sie schützte mich keck gegen die vielen kleinen Angriffe, denen ich in ihren Umgangskreisen ausgesetzt war, namentlich wegen meiner Persönlichkeit; sie war mir eine gute Schwester und von großem Einfluß auf meine Stimmung.

Um diese Zeit ging auch eine frische Strömung durch die dänische Literatur, für welche das Publikum Interesse hatte. Die Politik spielte nur eine kleine Rolle; Literatur und Theater waren das Thema des Tages. Johann Ludwig Heiberg J. L. Heiberg, Gatte der berühmten Schauspielerin, wurde am 14. December 1791 in Kopenhagen geboren; er wurde 1822 Professor der dänischen Sprache in Kiel und war mehrfach Direktor des königlichen Theaters (1849-56), starb am 25. August 1860. Er war einer der hervorragendsten Dramatiker und Kritiker seiner Zeit. Einige seiner Stücke gehören heute noch zu den Repertoirstücken der königlichen Bühne. Der Uebers., welcher durch seine vortrefflichen Arbeiten » Psyche« und » Töpfer Walter« einen hohen Rang unter den dänischen Dichtern einnahm, hatte damals kürzlich, unter Collin's Schutz gegen den Willen der anderen Theaterdirektoren, welche gegen die Aufführung seines » König Salomon und Jörgen Hutmacher« waren, das Vaudeville auf die königliche Bühne gebracht. Es war ein dänisches Vaudeville, Blut von unserem Blut, fand man, und es wurde deshalb mit Jubel aufgenommen. Thalia feierte einen Carneval auf der kopenhagener Bühne und Heiberg war ihr Auserkohrener. Bei H. C. Oersted, am Mittagstische, machte ich zum ersten Male Heiberg's Bekanntschaft; fein, beredt und der Günstling des Augenblicks, gefiel er mir im hohen Grade; er ließ sich freundlich mit mir ein, ich besuchte ihn später und er fand meine humoristischen Gedichte, die ich ihm vorlas, würdig zur Aufnahme in sein vortreffliches Wochenblatt » Die fliegende Post« Siehe die Note im I. Band, Seite 167. Der Uebers.. » Der Abend« und » Die grauenhafte Stunde«, waren hier mein Debüt, aber ohne Namensunterschrift, nur mit einem h – – versehen, was H. C. A. bedeuten sollte; allein das Publikum glaubte, es bedeute Heiberg, ein Glaube, welcher den Gedichten gewiß zu großem Nutzen gereichte, sie machten ganz besonderes Glück. Ich entsinne mich noch ganz deutlich des Abends, an welchem das Blatt die beiden Gedichte brachte; ich befand mich in einem Familienkreise, in welchem man mir viel Gutes erzeigte, aber mein Dichten einfach als Versemacherei betrachtete und mir dies oft sagte, natürlicherweise in der besten Absicht. Der Hausherr trat, »Die fliegende Post« in der Hand, in die Wohnstube und sagte strahlenden Blickes: »heute Abend stehen hier zwei vortreffliche Gedichte im Blatte! dieser Heiberg ist ein ausgezeichneter Mann!« und nun las er meine beiden Gedichte vor; mein Herz klopfte zwar stärker, aber ich sprach kein Wort; ein junges Mädchen aber, welches zugegen war und wußte, daß ich die Gedichte geschrieben hatte, vermochte nicht, ihre Freude zu verbergen und sagte deshalb: »sie sind von Andersen!« Es entstand eine große Pause, ein allgemeines Schweigen, der Hausherr sagte kein Wort, sah mich nur groß an und verließ das Zimmer; – Niemand sprach mehr von den Gedichten, und ich stand betäubt da. Früher, nachdem andere Journale sich geweigert hatten, »Gedichte von einem Schüler aufzunehmen«, war » Das sterbende Kind« von »Kjöbenhavnsposten« aufgenommen worden; kurz nach jenem Ereigniß nahm Heiberg auch dieses Gedicht in seine »fliegende Post« auf und zwar mit der Bemerkung, daß er es gern aufnehme, obgleich es vorher in einem andern Blatt abgedruckt gewesen sei. Dies war die erste schöne Anerkennung, allein die allgemeine Meinung in meiner Umgebung war und blieb dabei, daß mein Talent als Dichter ein nur unbedeutendes sei. Einer unserer wenigen bedeutenden Schriftsteller, aber ein Mann von Rang und Stand, hatte mich eines Tages zu Mittag eingeladen; er erzählte, daß nächstens eine »Neujahrsgabe« erscheinen würde und daß man ihn um einen Beitrag zu derselben angegangen habe; ich sagte, daß auch ich eine Aufforderung erhalten und dem Herausgeber ein kleines Gedicht versprochen hatte. »Also von Allen und Jedem wird was in dem Buche stehen!« sagte nun der Mann, »ja, dann braucht er von mir Nichts! Jetzt werde ich ihm kaum Etwas geben!«

Mein Manuducteur wohnte in der Vorstadt Christianshavn; ich ging täglich zwei Mal zu ihm und alsdann waren meine Gedanken nur mit den Unterrichtspensen beschäftigt; auf dem Rückwege aber athmete ich frei, dachte weder an Pensum noch Gelehrsamkeit, es gingen mir allerlei bunte poetische Bilder durch den Kopf, allein nicht eins derselben wurde zu Papier gebracht; vier, fünf humoristische Gedichte das ganze Jahr hindurch war Alles, was ich schrieb; es war, wie Bastholm in seinem Briefe an mich sagte: »nur um dem Gefühl Luft zu machen«; sie störten mich weniger, wenn ich sie auf's Papier zur Ruhe gebracht hatte, als wenn ich sie fortwährend im Kopfe mit mir umhergetragen hätte.

Im September 1828 wurde ich Student; Oehlenschläger war damals Decan und reichte mir freundlich die Hand zum Willkommen als akademischer Bürger; dies erfüllte und erregte mich als ein großes, bedeutungsvolles Ereigniß. Ich war schon 23 Jahre alt, aber noch sehr Kind, und das in meinem ganzen Wesen und in meiner Redeweise; eine kleine Geschichte aus diesen Tagen, wird vielleicht einen Begriff hiervon geben können. Kurz vor dem Examentage sah ich am Mittagstische bei H. C. Oersted einen jungen Mann, welcher still und verlegen da saß; ich hatte ihn früher nicht bemerkt, und glaubte, er sei direct aus der Provinz gekommen; ich fragte ihn ungenirt: »Werden Sie auch dieses Jahr das Examen mit machen? – »Ja freilich!« antwortete er lächelnd; »ich bin dabei!« – »Ja, ich auch!« versetzte ich, und sprach nun eine ganze Weile von dieser, für mich großen Begebenheit, sprach wie zu einem Kameraden, und hinterher stellte es sich heraus, daß er der Professor sei, der mich in Mathematik examiniren würde, der tüchtige, vortreffliche von Schmidten, welcher, wie bekannt, in seinem Aeußeren Napoleon so ähnlich sah, daß die Pariser selbst sich in den Beiden geirrt haben sollen. Als wir am Examentische uns begegneten, waren wir beide verlegen; er war ebenso herzensgut als reich und geistig begabt; gar gern wollte er mir Muth einflößen und wußte nun nicht recht, in welcher Weise er dies thun sollte; er beugte sich ganz zu mir hinüber und flüsterte: »Was für eine poetische Arbeit werden Sie uns nun nach überstandenem Examen zuerst schenken?« Ich sah ihn erstaunt an und antwortete ängstlich: »das weiß ich nicht! – aber wollen Sie mich nicht in der Mathematik fragen, aber nicht zu schwere Fragen!« – »Etwas wissen Sie doch?« fragte er ebenso leise zurück. – »Ja, Mathematik verstehe ich ziemlich gut, in der Schule zu Helsingör mußte ich oft die Pensa mit den anderen Schülern durchgehen, und ich bekam stets eine sehr gute Censur; aber jetzt bin ich ängstlich.« In solcher Weise sprachen Professor und Examinand mit einander, und als ich während der Examination, im Eifer alle seine Schreibfedern entzwei riß, sagte er dazu Nichts, sondern nahm nur eine derselben und legte sie bei Seite, um wenigstens die von mir gewonnene Censur niederschreiben zu können.

Als das Maturitäts-Examen überstanden war, flogen, gleich einem Bienenschwarm die bunten Phantasien und Einfälle, die mich auf meinen Wanderungen nach dem Manuducteur gleichsam verfolgt hatten, in die Welt in meiner ersten Schrift » Eine Fußreise von dem Holmenskanal bis zur Ostspitze der Insel Amager«, ein humoristisches, wunderliches Buch, eine Art phantastischer Arabeske, die jedoch völlig meine ganze Persönlichkeit und meinen Standpunkt damals andeutete, welche sich namentlich darin zeigte, daß ich mit Allem spielte und in Thränen meine eigenen Gefühle verspottete; bunt wechseln, eine ganze Tapete war diese dichterische Improvisation, aber kein Buchhändler hatte den Muth, diese Jugendarbeit in Verlag zu nehmen; ich wagte deshalb selbst sie drucken zu lassen und wenige Tage, nachdem das Buch erschienen war, kaufte Buchhändler Reitzel Der Buchhändler C. A. Reitzel in Kopenhagen hat später Andersens sämmtliche Werke an sich gebracht und dadurch viel zu des Dichters fernerem Schaffen beigetragen. In dem Verlage seiner Erben erscheinen noch heute alle Ausgaben Andersen's in dänischer Sprache. Der Uebers. mir das Verlagsrecht zu einer zweiten Auflage ab, ja gab später eine dritte Auflage heraus; oben in der schwedischen Stadt Falun erschien im Nachdruck gleichfalls eine dänische Ausgabe, etwas was nur mit den bedeutendsten Arbeiten Oehlenschläger's stattgefunden hat. Eine deutsche Ausgabe ist seit einigen Jahren in Hamburg erschienen. Ganz Kopenhagen las mein Buch, ich hörte nur das Entzücken, mit welchem man von demselben sprach, zwar bekam ich eine strenge Zurechtweisung von einem vornehmen Gönner, allein dieselbe fiel in's Komische. Der Mann fand, daß die Fußreise über das königliche Theater satirisire; dies meinte er, sei nicht allein unpassend, sondern undankbar; unpassend weil es ein königliches Theater und somit, sagte er, ein Haus des Königs sei, undankbar, weil ich dort freies Entrée hatte. Dieser an und für sich komische Tadel von einem sonst vernünftigen Manne, wurde von dem Jubel und den Lobreden übertäubt, die, wie gesagt, ich nur hörte; ich war oben auf, ich war Student, ich war Dichter, mein höchster Wunsch erfüllt!

Heiberg besprach das Buch freundlich in »Maanedskrift for Literatur« (Monatsschrift für Literatur), in seinem eigenen Blatt, » Die fliegende Post«, hatte er früher Bruchstücke aus demselben aufgenommen, und diese wurden in Norwegen sehr gelesen. Ungefähr zweihundert junge Leute wurden mit mir in demselben Jahre Studenten; unter diesen befanden sich Mehrere, welche Verse schrieben, ja diese hatten drucken lassen; es wurde scherzweise gesagt, daß in dem Jahre vier große und zwölf kleine Poeten zu Studenten gemacht worden, und in der That, wenn man es nicht gar zu genau nahm, kam diese Anzahl heraus; zu den vier großen zählte man Arnesen, dessen erstes Vaudeville, » Die Intrigue am Dilettanten-Theater«, schon im Verlauf des Jahres auf der königlichen Bühne aufgeführt wurde, F. J. Hansen, Hollard Nielsen und endlich, als vierter Poet H. C. Andersen. Unter den zwölf kleinen Poeten befand sich indeß einer, welcher später unbedingt einer der großen in der dänischen Literatur geworden ist, nämlich der Dichter des » Adam Homo«: Paludan-Müller Der Dichter Frederik Paludan-Müller, Sohn des Bischofs zu Aarhus, geboren zu Kjerteminde auf Fyen am 7. Februar 1809, gestorben 1876, hat sich in der dänischen Literatur einen hervorragenden Namen durch seine schönen Dichtungen erworben, von denen einige, z. B. »Die Liebe am Hofe«, in's Deutsche übersetzt sind. Das große Gedicht, »Adam Homo«, ist ein Meisterwerk, das jeder Sprache zur Zierde gereichen würde. Der Uebers.. Von ihm war damals noch nichts gedruckt oder bekannt, nur unter den Kameraden hieß es, daß er Verse schrieb. Paludan-Müller machte mir eines Tages schriftlich den Vorschlag, mit ihm zusammen ein Wochenblatt herauszugeben, dessen Inhalt nur aus Originalarbeiten bestehen sollte. Ich hatte jedoch keine Lust, mich an ein Blatt zu binden und das Unternehmen kam nicht zu Stande. Carl Bagger und ich hatten vor dem Erscheinen meiner » Fußreise« verabredet, daß wir Beide in einem Bande zusammen unsere Gedichte herausgeben wollten, nachdem aber mein Buch herausgekommen war und so viel Aufmerksamkeit erregt und so viele Leser gefunden hatte, erklärte Bagger mit Bestimmtheit und Selbstgefühl, daß nunmehr unsere Gedichte nicht neben einander erscheinen könnten, es würde mit Bezug auf ihn sein, als wenn er durch die meinigen eingeführt werden solle; dieser Plan wurde somit aufgegeben, aber nicht unser freundschaftliches Verhältniß, dahingegen trat ich nicht in ein solches zu Paludan-Müller, der sich später selbst seine strahlende Bahn brach. Bei meinen Mitstudirenden, den Kameraden genoß ich große Anerkennung, und ich lebte in jugendlicher Dichter-Berauschung, lachte und suchte in Allem das Kehrbild hervor. In meiner lustigen Stimmung dieser Zeit schrieb ich in gereimten Versen meine erste dramatische Arbeit, das heroische Vaudeville: » Die Liebe auf dem Nicolai-Thurm oder was sagt das Parterre«, welches, was die »Monatsschrift für Literatur« auch bemerkte, den wesentlichen Fehler hatte, das es dasjenige satirisirte, über welches wir schon hinweggekommen waren, nämlich die »Schicksals-Tragödien«; als aber das Stück auf die Bühne gelangte, wurde es von meinen Mitstudirenden mit Jubel empfangen, sie brachten ein Lebehoch auf den Verfasser aus; ich dachte und schaute nicht weiter in die Zukunft, ich war von Freude überwältigt, legte dem viel mehr Bedeutung bei, als es hatte; ich vermochte mein Glück kaum zu tragen, ich stürzte aus dem Theater auf die Straße, in Collin's Haus, wo ich nur seine Frau allein antraf. Fast ohnmächtig sank ich auf einen Stuhl nieder und brach in ein krampfhaftes Weinen aus; die theilnehmende Frau verstand den Sinn dieser Gemüthsbewegung nicht und begann deshalb mich zu trösten, indem sie sagte: »nehmen Sie sich das nicht so zu Herzen, man hat auch Oehlenschläger und viele große Dichter ausgepfiffen!« – »Aber, man hat gar nicht gepfiffen!« rief ich schluchzend, »man hat geklatscht und Lebehoch gerufen!«

O, wie war ich damals glückselig, setzte so viel Vertrauen in Jeden, besaß Dichtermuth und Jugendsinn; alle Häuser begannen sich mir aufzuschließen; ich flog von einem Kreise zum andern in glückseliger Selbstzufriedenheit. Doch war ich bei all' diesen äußeren und inneren starken Regungen sehr fleißig bei meinem Studium und bereitete mich ohne Hülfe eines Lehrers allein auf das damals sogenannte zweite Examen, Examen philologicum et philosophicum vor, welches ich mit erster Censur bestand. – Eine ganz eigenthümliche Scene fand am Examentische mit H. C. Oersted statt; ich hatte alle seine Fragen gut beantwortet, er freute sich darüber, und hatte eben die Examination für beendigt erklärt, als er plötzlich, indem ich mich entfernen wollte, sagte: »Ich muß doch noch eine kleine Frage an Sie stellen: Sagen Sie mir, was Sie von dem Electromagnetismus wissen.« – »Das Wort kenne ich gar nicht«, antwortete ich. – »Besinnen Sie sich! Sie haben vorher Alles ganz vortrefflich beantwortet; Sie müssen Etwas von dem Electromagnetismus wissen!« – »Es steht nichts darüber in Ihrer Chemie!« sagte ich mit Bestimmtheit. »Das ist richtig«, antwortete er, »aber ich habe von demselben in meinen Vorlesungen gesprochen.« – »Die habe ich alle, mit Ausnahme einer einzigen besucht; Sie müssen also gerade in dieser Vorlesung davon gesprochen haben, denn ich weiß nicht das allergeringste vom Electromagnetismus, ich kenne den Namen nicht einmal!« Oersted lächelte bei diesem ungewöhnlichen Geständniß, nickte mir zu und sagte: »Schade, daß Sie es nicht wissen, ich hätte Ihnen sonst praeceteris hinter Ihrer Laudabilem-Censur geben können, denn Sie haben sehr gut geantwortet.«

Als ich später zu Oersted in seine Wohnung kam, bat ich ihn, mir Etwas von dem Electromagnetismus zu erzählen, und erfuhr nun zum ersten Male Etwas von demselben und in welcher Beziehung er zu ihm stand. Zehn Jahre später, als der elektromagnetische Draht zum ersten Male bei uns in der polytechnischen Lehranstalt vorgezeigt wurde, war ich derjenige, welcher infolge einer schriftlichen Aufforderung von Oersted selbst, den electromagnetischen Telegraphen, welcher vom Hinterhause aus nach dem Vorderhause der Anstalt ging, in einer Kopenhagener Zeitung besprach und die Leute auf diese »Erfindung, welche die Wissenschaft einem Dänen schuldet«, aufmerksam machte.

Das zweite Examen und mit diesem meine Universitätsstudien waren jetzt und zwar mit der besten Censur überstanden; gegen Weihnachten hin erschienen im Druck meine erste Gedichtsammlung, welche, soweit ich hörte und verstand, großen Beifall sowol beim Publikum als bei der Kritik fand. Ich hörte am liebsten nur die lebende, klingende Schelle! ich war unendlich jung, unendlich froh, das Leben lag sonnenbestrahlt vor mir.

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