Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Capitel.
1830 bis April 1833.

Reise in Jütland. – Besuch bei Iversen's Witwe in Odense. – Eine Liebesgeschichte. – Krankhafter Zustand der Gedanken. – Meine Empfindlichkeit. – Lnustreise nach Norddeutschland. – Tieck. – Chamisso. – Die Kritik. – Texte zu Opern. – Vereinbarung mit dem Componisten I. P. E. Hartmann. – »Die Braut von Lammermoor«. – »Kenilworth« für Weyse. – Professor Chr. Molbech. – Der Dichter Henrik Hertz. – »Die Briefe eines Verstorbenen«. – Ich suche und erhalte ein Reisestipendium von König Frederik VI. – Zeugnisse hervorragender Männer – Frau Lässöe. – Eduard Collin. – Mein Album. – Meine Abreise nach Deutschland


 

Bisher hatte ich nur einen kleinen Theil meines Vaterlandes, einzelne Gegenden der Inseln Fyen und Seeland, auch Möen's Kreide-Felsen besucht. Diese letzteren entsprachen ganz und gar nicht den übertriebenen Vorstellungen, die ich durch die Schilderung Molbech's erhalten hatte; Alles schien mir zu klein. Im Sommer 1830 sollte nun eine größere Reise unternommen werden: ich wollte Jütland bis an die Nordsee hinauf und dann meine Geburtsinsel Fyen sehen und genau kennen lernen. Am wenigsten dachte ich daran, wie viel Ernst dieser Sommerausflug mir bringen sollte, welcher Uebergang mir in meinem inneren Leben bevorstand. – Es waren namentlich die jütländischen Haiden, auf deren Anschauung ich mich freute und wo ich eine wandernde Zigeunerfamilie anzutreffen hoffte. Mündliche Erzählungen und die Novellen des Steen-Blicher Geboren in Jütland 1782, 1815 Prediger in der Haidegegend, wo er seine reizenden heute noch lebenskräftigen Novellen aus dem Leben auf der Haide schrieb, die auch 1846 Deutsch erschienen. Er starb 1848. Der Uebers. hatten mein Interesse erweckt. Das Land war damals nicht so besucht wie heutzutage; erst kürzlich war eine Dampfschifffahrt zu Stande gebracht worden, ein schlechtes, langsam gehendes Dampfschiff »Dania« machte die Reise dorthin von Kopenhagen aus in vier und zwanzig Stunden, für die Forderungen der damaligen Zeit aber immerhin eine unglaublich schnelle Fahrt. Zu den Dampfschiffen hatte man damals noch kein rechtes Vertrauen; ich hatte das Jahr vorher eine Reise mit einem solchen Schiff, » Caledonia« Dieses Dampfschiff wurde damals von dem späteren dänischen Gesandten in Nordamerika Sten Bille aus England für seine Rechnung angeschafft. Der Uebers. genannt, gemacht, das erste Dampfschiff in den dänischen Gewässern; die Besatzung einer jeden Obstschüte verhöhnte es und nannte es »Pantsch-Malene.« H. C. Oersted war natürlicherweise sehr erfreut und erfüllt von dieser herrlichen Erfindung, und es war sehr ergötzlich zu hören, wie an einem Mittag bei ihm selbst, wo auch ich zugegen war, ein anderer Gast, ein alter Seemann seiner Verwandtschaft gegen »diese verfluchten Rauchschiffe« eiferte. »Habe man sich doch seit Schöpfung der Welt«, sagte er, »mit vernünftigen Schiffen, die durch Wind getrieben werden, begnügen können; nun aber müsse man es besser machen; an meinem Schiff geht niemals einer dieser Rauchhüte vorbei, ohne daß ich meinen Rufer nehme und hinter ihn drein schimpfe, so lange er mich hören kann!« – Es war damals ein großes Ereigniß, per Dampfschiff zu reisen; heutzutage klingt das fast unglaublich, bei uns gehören die Dampfschiffe dermaßen in die Zeit hinein, daß ihre Erfindung uns ganz fern zu liegen scheint, und wir vergessen, daß sie so nahe liegt, daß es nicht einmal gewiß ist, sondern nur als eine Sage erzählt wird, daß Napoleon I., als er Zuflucht bei den Engländern nahm, das erste Dampfschiff erblickte.

Eine ganze Nacht im Kattegat an Bord des Dampfschiffes war für meine Phantasie etwas Großes, ich freute mich darauf, – allein das Wetter wurde schlecht, ich wurde seekrank – erst am nächsten Tage gegen Abend erreichten wir die Stadt Aarhuus Siehe Band I. Seite 212. Der Uebers.. Dort und überall in den Städten Jütlands kannte man die » Fußreise« und meine humoristischen Gedichte, und der Empfang war ein guter. Ich fuhr über die Haide; all' das Fremdartige hier übte einen starken Eindruck auf mich aus. Aber das Wetter war ungünstig, Reisekleider besaß ich nicht viele, der nasse, scharfe Meereswind griff mich bedeutend an, so daß ich von der Stadt Viborg Siehe Band II. Seite 25. Der Uebers., wo ich mich einige Tage aufhielt, umkehren mußte; ich zog nun gen Südosten und gab den Besuch der Westküste ganz auf; allein dies verhinderte nicht, daß ich dennoch » Phantasie an der Nordsee« und » Gemälde von der Westküste Jütlands« schrieb, die ich nie gesehen hatte, sondern nur aus den mündlichen Schilderungen Anderer kannte. Ich sah nun die Gegenden von Skanderborg, Veile und Kolding Skanderborg ist eine kleine aber alte Stadt, die in der Geschichte eine Rolle spielt, mit kaum 2000 Einwohnern, recht hübsch am See gleichen Namens gelegen, den die Eisenbahn auf einem Damm durchschneidet. – Veile siehe Band I. Seite 313. – Kolding siehe Seite 6 dieses Bandes. Der Uebers., und zog von da nach Fyen, wo das Herrenhofleben sich mir öffnete und wo ich bei Odense als willkommner Gast mehrere Wochen in dem Landhause Marie-Höi dicht am Canal unter dem Schloßhügel des alten Näsbyhoved bei der Wittwe des Buchdruckers Iversen verbrachte, einer verständigen, liebevollen alten Frau, die von einer Schar aufgeweckter, liebenswürdiger Kindeskinder, lauter junger Mädchen, umgeben war. Das älteste derselben, Henriette, gab im späteren Alter zwei Novellen, »Tante Anna« und »die Tochter einer Schriftstellerin« heraus, von welchen später die Rede sein wird. Hier verstrichen die Wochen im fröhlichen Beisammensein; ich schrieb einige humoristische Gedichte, unter diesen » Der Herzdieb«, und beschäftigte mich im Uebrigen mit einem Roman, » Der Zwerg König Christian's des Zweiten«, zu welchem ich einen Theil historischer Notizen und Beiträge aus jener Zeit durch den gelehrten Alterthumsforscher Vedel-Simonsen auf Elvedgaard bei Bogense Bogense liegt unmittelbar am Kattegat und war in früherer Zeit eine ansehnliche Stadt, die aber während der »Grafen-Fehde« und durch Feuersbrünste sehr gelitten hat und zu der geringsten Stadt der Insel herabsank. Jetzt zählt sie etwa 1900 Einwohner. – Der Herrensitz Elvedgaard, der einst der Familie des Tycho de Brahe gehörte, liegt 1¼ Meilen von Bogense, (siehe Band I. Seite 192). Der Uebers. erhielt. Ungefähr sechszehn geschriebene Bogen wurden fertig; ich las diese später Ingemann vor und sie sprachen ihn sehr an; auf diese stützt sich das günstige Urtheil, welches er später über mich, als ich ein Reisestipendium nachsuchte, niederschrieb; aber mit den humoristischen Gedichten war es wenigstens für einige Zeit vorbei; auch der Roman wurde zurückgelegt, – eine neue, eine der tiefsten Saiten war bei mir angeschlagen worden, ein Gefühl, über welches ich oft gescherzt hatte, wollte sich rächen.

Ich kam auf meiner Sommerreise nach einer der kleinen Städte und wurde dort in ein reiches Haus eingeführt; hier stieg plötzlich eine neue Welt vor mir auf, unendlich groß und weit, und doch fand sie Raum in vier Zeilen, die ich damals schrieb:

»Zwei braune Augen ich schaute dort,
Drinn' meine Welt, mein Heim und Hort,
Drinn' flammten der Geist und die Unschuld beid', –
Ich vergesse sie nimmer in Ewigkeit.«

Wir begegneten uns wieder im Herbst in Kopenhagen. – Mich erfüllten neue Pläne für's Leben: ich wollte es aufgeben, Verse zu schreiben, denn wozu sollten sie führen? Ich wollte Theologie studiren, um Prediger zu werden; ich hatte nur einen Gedanken, ich gedachte nur ihrer, – allein es war eine Selbsttäuschung; sie liebte einen Andern – und heiratete ihn auch.

In meiner »Fußreise« und in dem Meisten, was ich geschrieben hatte, war das parodirende Element das vorherrschende, und Mehrere mißbilligten dies und meinten, diese Geistesrichtung würde zu nichts Gutem führen. Gerade nun, als ein tieferes Gefühl ganz aus meiner Brust das verwischt hatte, was man angriff, sprach die Kritik dies wiederholt aus. Eine neue Gedichtsammlung » Phantasien und Skizzen«, die zur Neujahrszeit erschien, legte Zeugniß von dem ab, was mein Herz bedrückte; eine Umdichtung der Geschichte meines eigenen Herzens entstand in einem ernsten Vaudeville, » Trennung und Wiedersehen«, welche auf's Papier gebracht wurde, nur mit der Veränderung, daß hier gegenseitige Liebe obwaltete; das Stück gelangte fünf Jahre später auf die königlich dänische Bühne.

Unter meinen jungen Freunden in Kopenhagen befand sich damals Orla Lehmann Orla Lehmann, der aus einer echt deutschen Familie stammt, ist geboren in Kopenhagen am 9. Mai 1810 und der Sohn eines höheren Zollbeamten. Er war sehr begabt, ein tüchtiger Jurist und ein hinreißender Redner, überall für die Freiheit eintretend, so daß er in einen zur damaligen Zeit (1840) sehr gefährlichen politischen Proceß verwickelt wurde, aber durch seine eigene glanzvolle Vertheidigungsrede freigesprochen und unter dem Jubel der Bevölkerung nach Hause begleitet wurde. In den Märztagen 1848 führte er in der sogenannten »Casino-Versammlung« das große Wort für Schleswigs Incorporation in Dänemark und Tags darauf nahm er an der Deputation zum König Frederik VII. Theil – und Dänemark erlangte seine freie Verfassung und Lehmann wurde Minister ohne Portefeuille; als solcher machte er eine Reise nach England, um das englische Parlament für Dänemarks Sache zu interessiren. Heimkehrend, brachte er »gute Nachrichten« mit – dieser Ausspruch wurde zum geflügelten Wort – aber was England damals that, thut es noch heute: es hetzt die kleinen Mächte erst auf, um sie später schimpflich im Unglück zu verlassen, wenn keine Ausbeute für es herausschaut. – Lehmann wurde bald nebst seinen Collegen gestürzt, wurde dann Amtmann in Veile und 1850, als Graf Wrangel Jütland besetzte, als Gefangener nach Rendsburg gebracht. Seitdem hatte Lehmann allen Einfluß verloren und starb, ziemlich isolirt, in Kopenhagen, im Jahre 1866. Der Uebers.; sein sprudelndes Leben und seine Beredsamkeit zogen mich an, ich fühlte mich in hohem Grade davon angesprochen, und da er zugleich viel Gemüth und Innigkeit zeigte, ging ich gern mit ihm um. Sein Vater war ein Holsteiner, die deutsche Sprache wurde in der Familie viel gesprochen und gelesen. Heinrich Heine war kürzlich in der Literatur aufgetreten, dessen Gedichte rissen das junge Gemüth hin; eines Tages kam ich zu Lehmann hinaus, der mit seinen Eltern in dem Dorfe Valby Ein zweiter Gemüsegarten der Hauptstadt, in der Nähe der »Rahbek-Allee.« Der Uebers. in der nächsten Nähe von Kopenhagen wohnte; er jubelte mir einen von Heine's Versen:

»Thalatta, Thalatta, Du ewiges Meer!«

entgegen. Und nun lasen wir zusammen Heine. Der Nachmittag und der Abend vergingen, es wurde spät in der Nacht, ich mußte bis zum nächsten Morgen dort bleiben; aber ich hatte einen Dichter kennen gelernt, der mir aus der Seele sang und die Saiten in derselben anschlug, die am stärksten vibrirten; er verdrängte Hoffmann, welcher, wie aus der »Fußreise« zu ersehen ist, in jener Periode einen bedeutenden Einfluß auf mich übte. Es blieben in meinem Jugendleben somit nur drei Schriftsteller, die gleichsam geistig mir in's Blut übergegangen sind. Dichter, in welchen ich zeitweilig ganz gelebt habe, es sind Walter Scott, Hoffmann und Heine.

Tag für Tag versank ich mehr in eine krankhafte Stimmung, fühlte einen Hang, das Traurige im Leben aufzusuchen, bei den Schattenseiten zu verweilen; ich wurde empfindlich und bewahrte eher den Tadel als das Lob; der Keim hierzu lag in meinem erst in einem späten Alter begonnenen Schulgang, in dem steten Vorwärtszwingen, in dem inneren und äußeren Drangsal, die mich dazu trieben, zu produciren und der Oeffentlichkeit Arbeiten vorzulegen, die dazu noch nicht reif waren; das Treibhausmäßige in meinem Unterricht, das forcirte Lernen, durch welches ich von Klasse zu Klasse gegangen und dazu gebracht worden war, Student zu werden, hatten mich in mehreren Richtungen in Diesem und Jenem zurückgelassen, was sich am deutlichsten in der Grammatik zeigte, d. h. darin, daß ich nicht consequent die einmal angenommene Orthographie der damaligen Zeit beherrschte. In der » Fußreise« fanden sich so z. B. einzelne, nicht Druck- sondern Schreibfehler, solche, die gegen die allgemeine Art und Weise die Worte zu buchstabiren stritten. Ich hätte jeder Unannehmlichkeit entgehen können, wenn ich irgend Jemand dafür bezahlt hätte, um für mich die Correctur zu lesen, eine Arbeit, die ich nicht verstand; allein ich that dies nicht: was jeder andere Student besser als ich hätte thun können, dabei blieb man nun stehen, hielt sich darüber auf, hob es hervor und spottete darüber; über das Bessere, das Dichterische dahingegen glitt man leicht hinweg. Ich kenne Menschen, die meine Gedichte nur deshalb durchlasen, um Sprachfehler in denselben aufzufinden und nachzuzählen, wie oft ich denselben Ausdruck gebraucht hatte, z. B. das Wort »schön«; dadurch würde es nicht schön, sagte man. Ein jetziger Prediger, der damals Kandidat war und Vaudevilles und Kritiken schrieb, entblödete sich nicht, in einem Familienkreis, in welchem ich zugegen war, in solcher Weise einzelne meiner Gedichte durchzugehen, und zwar so, daß ein kleines sechsjähriges Mädchen, welches mit Erstaunen hörte, wie er Alles verkehrt und jedes Wort meiner Dichtung verwerflich fand, während der kurzen Pause, die entstand, als er das Buch weglegte, dasselbe zur Hand nahm und in seiner Unschuld auf ein Blatt und das Wort und zeigte und zu ihm sagte: »hier steht noch ein kleines Wort, auf das hast Du nicht gescholten!« – Er mochte das Schlagende in der Aeußerung des Kindes fühlen, denn er erröthete und küßte die Kleine.

Collin meinte, es würde mir zuträglich sein, wenn ich eine kleine Reise unternehme, wenn ich, selbst nur auf wenige Wochen Gelegenheit bekäme, mich unter Fremden zu bewegen, mich von dem Gewöhnlichen loszureißen und neue Eindrücke zu empfangen. Ich hatte durch Fleiß und Sparsamkeit eine kleine Summe Geldes zurückgelegt, für dieselbe würde ich während ein paar Wochen eine Tour nach Norddeutschland machen können.

Im Frühjahr 1831 reiste ich somit zum ersten Male von Dänemark ab; ich sah Lübeck und Hamburg. Alles überraschte und erfüllte mich; hier waren noch keine Eisenbahnen; der breite tiefe, sandige Weg führte über die Lüneburger Haide, die ganz so aussah, wie Baggesen sie in seinem » Labyrinth« beschrieben hat. Ich kam nach Braunschweig, ich sah zum ersten Male die Berge, es war der Harz, und ich ging zu Fuß von Goslar über den Brocken bis Halle. Die Welt erweiterte sich mir wunderbar. Meine gute Laune kehrte wieder wie die Zugvögel, allein der Kummer ist ein Sperlingschwarm, der bleibt zurück und nistet im Nest der Zugvögel. – Oben auf dem Brocken hatte ich in dem Buch, in welches die vielen Reisenden ihre Namen, Stimmungen und Gedanken einschrieben, auch die meinigen geschrieben und zwar in dem kleinen Verse:

»Hoch über Wolken steh' ich hier,
Doch muß das Herz bekennen,
Weit näher ich dem Himmel war,
Als noch bei ihr ich weilte!«

Ein Jahr später berichtete mir ein Freund, der den Brocken besucht hatte, daß er meinen Vers gelesen und daß von einem Landsmann unter demselben geschrieben stand: »Andersenchen, spare Deine Verse für irgend ein Provinzblatt auf, und plage uns außer Lande nicht mit denselben, sie werden nie über die Grenze Dänemarks gelangen, wenn Du selbst nicht hinausreisest und sie hinschreibst.«

In Dresden machte ich die Bekanntschaft des Dichters Tieck; Ingemann hatte mir ein Schreiben an ihn mitgegeben; ich hörte ihn eines Abends Shakespeare's »Heinrich IV.« lesen; bei meiner Abreise schrieb er einige Worte in mein Album, wünschte mir Dichterglück, umarmte und küßte mich. Wie seine sanften, großen blauen Augen auf mir ruhten, habe ich nie vergessen können. Erst nach mehreren Jahren, als meine späteren Schriften übersetzt und in Deutschland gut aufgenommen wurden, sahen wir uns wieder. – In Berlin sollte ein Brief von H. C. Oersted mir die Bekanntschaft Chamisso's verschaffen; der ernste, hohe Mann mit den langen Locken und den ehrlichen Augen öffnete selbst die Thür, als ich bei ihm klingelte, las den Brief, und, ich weiß nicht wie, wir verstanden einander sofort; ich fühlte Vertrauen zu ihm, gab mich wie ich war, sprach mich aus, wenn auch in schlechtem Deutsch; Chamisso las Dänisch; ich schenkte ihm meine »Gedichte« und er war der Erste, der mich übersetzte, der Erste, der mich in Deutschland einführte. Chamisso blieb mir stets ein treuer, theilnehmender Freund, wie auch aus seinen Briefen an mich hervorgeht.

Die kleine Reise in Deutschland war von großem Einfluß auf mich, was auch meine Kopenhagener Freunde erkannten. Die Reise-Eindrücke wurden sofort niedergeschrieben, und ich gab sie unter dem Titel »Schattenbilder einer Reise nach dem Harz und der sächsischen Schweiz« heraus, welche später in verschiedenen Uebersetzungen in deutscher wie auch in englischer Sprache erschienen sind. In Dänemark hieß es allgemein, daß man in diesem Werkchen Fortschritt und Entwickelung spüre; daß dies aber auch anerkannt wurde, konnte ich nicht wahrnehmen, wenigstens nicht in der Art und Weise, wie man sich noch immer gegen mich betrug. Es war stets dieselbe kleinliche Lust, meine Fehler und Schwächen herauszuschälen, und nur bei diesen zu verweilen.

Ich las gern in den Familien, in welchen ich Zutritt hatte, das vor, was ich zuletzt geschrieben hatte, denn ich lebte und webte darin und freute mich dessen; ich hatte nicht genügende Erfahrung, um zu wissen, wie selten ein Schriftsteller dies thun soll, wenigstens in Dänemark nicht. – Jeder Herr, jede Dame, wenn sie auf dem Clavier klimpern oder einige Lieder singen können, dürfen schon in jeden Kreis, in den sie kommen, ihre Noten mitbringen und sich an's Clavier setzen – darüber werden selten Bemerkungen gemacht; ein Verfasser kann auch die Dichtungen Anderer laut vorlesen, nur nicht seine eigenen, weil dies aus Eitelkeit entspringt; man hat dies oft genug von Oehlenschläger gesagt, welcher gern und schön seine Arbeiten in den verschiedenen Kreisen vorlas, in welche er kam. Welche Bemerkungen habe ich von Leuten gehört, die sich dadurch interessant oder dem Dichter überlegen zu machen glaubten; konnte man sich dergleichen mit einem Oehlenschläger erlauben und es sich in dem Grade erlauben, wie man es that, wie weit durfte man denn nicht mit nur einem Andersen gehen.

Einzelne Male erhob mich der Humor über das Bittere der Umgebung und ich sah deren Schwächen und auch meine eigenen; in einem solchen Augenblick entstand das kleine Gedicht » Nur Gewäsch«, welches als ein Pamphlet aufgefaßt wurde und ich wurde deshalb in einer Menge Journale und Zeitungen mit Versen und Prosa von allen Seiten überhäuft, ja, eine gnädige Frau, in deren Haus ich kam, ließ mich rufen und fragte streng inquisitorisch »ob ich in Familien verkehre, auf welche dies Gedicht passen könne; auf ihren Kreis passe es nicht, doch könnten die Leute leicht, weil ich bei ihr öfter zu Gast sei, darauf kommen, ihren Kreis als den zu bezeichnen, auf den ich anspiele!« und nun hielt sie mir eine ordentliche Strafpredigt. Im Vorsaal des Theaters trat eines Abends eine wohlgekleidete mir unbekannte Dame direct auf mich zu, sah mir mit einem Ausdruck der Erbitterung gerade in's Gesicht und sagte »Gewäsch!« – Ich zog den Hut, – Höflichkeit ist auch eine Antwort!

Vom Ende des Jahres 1828 bis 1839 mußte ich mich ganz und gar durch Schriftstellerei ernähren; das Honorar war nicht groß, es war schwierig durchzukommen, doppelt schwierig, weil ich darauf sehen mußte, daß meine Kleidung einigermaßen zu den Kreisen paßte, in welche ich kam. Die Journalliteratur zahlte damals kein Honorar für Beiträge; immer zu produziren war tödtend, ja unmöglich; ich übersetzte deshalb ein paar Stücke für das königliche Theater, nämlich » La Quarantaine « und » La reine de seize ans «, und schrieb ein paar Operntexte. Ich war durch Hoffmann's Schriften auf Gozzi's Masken-Komödien und darauf aufmerksam gemacht worden, daß unter diesen » il corvo « ein vorzügliches Sujet zu einem Operntext sei; ich las Meisling's Der Name des Rectors der Gelehrtenschule in Helsingör, bei dem Andersen seiner Zeit wohnte, und über dessen harte Behandlung er so oft klagte. Meisling wurde später pensionirt, lebte in Kopenhagen, wo er bald dem Trunke verfiel und dort unbeachtet in den vierziger Jahren starb. Der Uebers. Uebersetzung desselben, wurde ganz entzückt, und wenige Wochen später hatte ich den Operntext » Der Rabe« fertig. Ich gab denselben einem jungen Componisten, damals unbekannt, aber ein wahrer Künstler, dem jetzigen Professor J. P. E. Hartmann Dessen ich mehrfach bereits gedachte, wurde vor einigen Jahren von der Universität in Kopenhagen in Veranlassung seines 70jährigen Geburtstages zum Dr. phil. creirt. Sein Sohn Emil hat sich bereits durch seine Compositionen in Deutschland eingeführt. Der Uebers., jetzt, wie sich's gebührt, gekannt und geehrt. Viele werden gewiß lächeln, wenn sie erfahren, daß ich damals in meinem Schreiben an die Theaterdirektion gleichsam die Verantwortung für die Musik Hartmann's übernehmen mußte, um denjenigen als Componisten zu empfehlen, der jetzt der bedeutendste Dänemarks ist, so bedeutend, daß sein Vaterland auf ihn stolz sein kann. Ich mußte so zu sagen ihm ein Zeugniß ausstellen, mußte dafür bürgen, daß er ein Mann von Talent sei und etwas Tüchtiges leisten würde. Mein Text zu » Der Rabe« ist ohne Frische und Lyrik und in »Gesammelte Schriften« nicht aufgenommen, nur ein Chor und ein Lied, welche später zur Benutzung in Concerten von mir umgeschrieben wurden, sind in »Gedichte« eingeschoben. Das Sujet ist, wie bekannt eine alte Volksgeschichte, von Gozzi, den ich namentlich benutzte, schön behandelt. Indeß hat Hartmann ein Musikwerk voll Genialität und Schönheit geschaffen, welches gewiß mit der Zeit seinen berechtigten Platz in dem dänischen Opern-Repertoir einnehmen wird, obschon es von demselben seit vielen Jahren ausgeschlossen gewesen und deshalb jetzt nur stückweise durch Concerte des Musikvereins gekannt ist, welcher das ganze Tonwerk mit dem dazu gehörenden unterlegten Text herausgegeben hat.

Für einen andern jungen Componisten, den Concertmeister J. Bredal behandelte ich Walter Scott's Roman: » Die Braut von Lammermoor«. Beide Opern gelangten zur Aufführung, aber über mich erging, namentlich hinsichtlich der letzteren, obschon sie in ihrem lyrischen Theil von meiner Seite kaum mißlungen genannt werden kann, die schonungsloseste Kritik; man warf mir vor, daß ich die Dichtungen Anderer zerschnitten habe, und dies wurde mit Hohn und Spott in den strengsten Ausdrücken gesagt. Aus der Zeit habe ich eine Erinnerung an Oehlenschläger, die zwar seine Reizbarkeit, aber zugleich im hohen Grade seine Innigkeit und sein Herz zeigte. » Die Braut von Lammermoor« war aufgeführt und hatte Beifall gefunden; ich brachte Oehlenschläger den gedruckten Text und er lächelte und gratulirte zu dem großen Beifall, an dem ich meinen Antheil hatte; ich sei leicht dazu gekommen, indem ich von Walter Scott genommen und vom Componisten unterstützt worden sei. Es betrübte mich, dies von ihm zu hören, es traten mir Thränen in die Augen; allein kaum hatte er dies bemerkt, so fiel er mir um den Hals, küßte mich und sagte: »es sind die anderen Menschen, die mich schlecht machen!« und nun war er die Herzlichkeit selbst, schenkte mir eins seiner Werke und schrieb seinen und meinen Namen in das Buch hinein.

Weyse, welcher von Allen mir zuerst Theilnahme erzeigt hatte, und den ich häufig beim Admiral Wulff traf, hatte der ersten Vorstellung von »Braut von Lammermoor« beigewohnt und war im hohen Grade zufrieden mit meiner Behandlung des Sujets; er besuchte mich, erzählte, daß er schon lange Lust gehabt habe, das Sujet in Walter Scott's » Kenilworth« als Oper zu componiren; er habe, sagte er, vor langer Zeit Heiberg gebeten, ihm den Text zu liefern, allein es sei bei Versprechungen geblieben. Nun möge ich es thun; wir beide könnten ja zusammen arbeiten. – Ich hatte damals keine Ahnung von dem Unwetter, welches durch Erfüllung dieses Wunsches über mich sich ergießen würde. Ich ging sofort an die Arbeit; aber ich war nicht zur Hälfte damit fertig, als auch mein Unternehmen schon Stadtgespräch war, und harte, schonungslose Worte gegen mich lautbar wurden; einige Zeitungen sagten, daß ich »die eine Dichtung nach der andern zerstückelte.« Mißmuthig wollte ich deshalb die Vollendung aufgeben, doch Weyse sprach im Scherz und Ernst dagegen, äußerte große Zufriedenheit mit dem, was ich ihm schon gebracht hatte, bat mich endlich fortzufahren, und sein Wunsch galt mir mehr als die Härte und der Tadel der Menge; er selbst begann sofort zu arbeiten und componirte zuerst die kleine Romanze im zweiten Act: »Die Schafe weiden auf der Flur.« Bald hatte ich ihm den ganzen Operntext geliefert, und da derselbe in des Wortes ganzem Sinn für ihn geschrieben war, gab ich ihm, da ich bald darauf eine Reise antrat, freie Hand über ihn; er selbst schrieb ganz neue Verse hinzu oder veränderte nach Gutdünken das, was ich geschrieben hatte. Es war diesem ausgezeichneten Mann eigenthümlich, daß er die Lectüre eines Buches nicht beenden konnte, wenn er dahinter kam, daß die Erzählung einen traurigen Abschluß fand. Emmy Robsart in » Kenilworth« mußte deshalb Leicester heirathen, »Weshalb sie unglücklich machen, wenn man es ihnen mit einem Federstrich so wohl gestalten kann!« sagte er. »Aber das ist wider die Geschichte!« äußerte ich; »und was machen wir überhaupt dann mit der Königin Elisabeth?« – »Die kann sagen: »stolzes England, ich bin die Deine!« antwortete er – und ich ließ sie denn auch die Oper mit diesen seinen Worten endigen; » Das Fest auf Kenilworth« ging über die Bühne, aber ich habe nur die Lieder aus demselben drucken lassen; zwei derselben sind durch die Musik sehr bekannt in der Heimat geworden, nämlich: »Brüder, sehr weit, weit von hier!« und »Die Schafe weiden auf der Flur.«

Anonyme Angriffe, plumpe, mir mit der Stadtpost zugehende Briefe, in welchen unbekannte Größen mich in der rohesten und flegelhaftesten Weise verhöhnten und verspotteten, gehörten zu dieser meiner Lebensperiode. Indeß wagte ich doch in demselben Jahre noch einen neuen Cyklus Gedichte herauszugeben: » Die zwölf Monate des Jahres«, welcher später von der Kritik als ein Buch, das mehrere meiner besten lyrischen Gedichte enthält, besprochen worden ist; damals aber wurde es allgemein verworfen und bei Seite geschoben.

Die » Monatsschrift für Literatur« stand damals in Blüthe; H. C. Oersted, glaube ich, hatte sie begründet; sie zählte unter ihren Mitarbeitern mehrere der berühmten Gelehrten des Landes, sie war ein Richterstuhl von Bedeutung in Sachen des Geistes, doch, wie auch Oersted es einräumte, war sie auf dem ästhetischen Gebiete weniger gut bedient, hier hatten sie nicht immer die beste Wahl unter den Mitarbeitern getroffen.

Allmählig wurde es der Redaction immer schwieriger, einen Mitarbeiter für Besprechungen von dichterischen Arbeiten zu finden; Einer war indeß stets bereit, mit merkwürdigem Eifer über Alles und Jedes zu schreiben, nämlich der Historiker Molbech Christian Molbech, wurde 1783 in Sorö geboren, kam bereits 1805 an die große königliche Bibliothek, als deren Oberbibliothekar er den 23. Juni 1857 starb. Er war auch seit 1829 Professor der Literaturgeschichte an der Universität, und machte sich außer seinen geschichtlichen und sprachwissenschaftlichen Schriften, durch Herausgabe eines umfassenden dänischen Wörterbuchs verdient. Der Uebers., der damals auch Theaterdirektor war. Er hat so oft seine Meinung über mich ausgesprochen, daß ich mich nun auch ein Mal über ihn aussprechen muß: Ich erkenne, daß er ein fleißiger Sammler ist, und daß er durch sein dänisches Wörterbuch besonders dazu beigetragen hat, was man eine Lücke in der Literatur nennt, auszufüllen, ungeachtet dieses sein bedeutendes Werk ziemlich unvollständig ist und große Einseitigkeit aufzuweisen hat; er zeigt darin nicht, wie die tüchtigsten Schriftsteller schreiben, sondern wie seine eigene Laune will, daß buchstabirt werden soll. Als Richter über ästhetische Arbeiten ist er oft parteiisch und einseitig aufgetreten, während sein eigener schöpferischer Genius wol nur in seiner Jugendzeit » eine Wanderung durch Dänemark« in der Blumen-Sprache jener Zeit, und » eine Reise durch Deutschland, Frankreich und Italien«, die aus Büchern, nicht aus dem Leben geschöpft erscheint, gebracht hat. Er saß entweder zu Hause in seinem Arbeitszimmer oder in der öffentlichen Bibliothek und war, wie es allgemein hieß, seit vielen Jahren nicht im Theater gewesen, als er plötzlich Theaterdirektor und Censor der eingehenden Schauspiele wurde; – kränklich, einseitig und mürrisch, und man kann sich das Resultat denken. – In meiner frühesten Schriftstellerperiode stand ich in seiner besonderen Gunst, aber bald ging mein Stern, einem andern aufgehenden gegenüber, unter; es war dieser Paludan-Müller, welcher mit » Die Tänzerin« und später mit » Amor und Psyche« auftrat; und da Molbech mich nicht mehr liebte, so haßte er mich – das ist die kurze Geschichte. – Nun ist es gesagt, – ich hege aber keinen Groll gegen den alten Mann.

Um diese Zeit ging ein neuer Stern der dänischen Literatur auf, Henrik Hertz gab seine » Briefe eines Verstorbenen« anonym heraus. Das war, hieß es, ein Hinausjagen alles Unreinen aus dem Tempel! Der verstorbene Dichter Baggesen Siehe die Note Seite 417. Band I. Der Uebers. sandte polemische Briefe vom Paradies herab, und diese waren ihm so vortrefflich in Geist und Form abgelauscht, daß man unwillkürlich sagen mußte, es kann nur Baggesen sein, der dies geschrieben hat. Heiberg war in diesen Briefen mit Glanz und Glorie umgeben; Oehlenschläger und Hauch wurden angegriffen, die alte Geschichte von meinen orthographischen Fehlern in der »Fußreise« wurde aufgewärmt, mein Name und Schulgang in Slagelse mit dem »heiligen Anders« in Verbindung gebracht, und der Witz war fertig: »heiliger Andersen, der auf dem nur eine Nacht alten Füllen der Muse ritt.« Ich wurde ordentlich gezüchtigt. – Diese anonymen Briefe eines Verstorbenen nahmen das Interesse Aller in Anspruch. Der Umstand, daß der Verfasser nicht ausfindig gemacht werden konnte, machte sie noch pikanter; man war entzückt, und mit Recht! Eine solche Dichtung erscheint nicht jedes Jahr. Heiberg entschuldigte oder, wenn man will, vertheidigte in »der fliegenden Post« einige seiner Freunde, welche kritisch angegriffen worden waren; für mich hatte er kein Wort. – Nur ein Pseudonym, Davieno, nahm sich meiner an, derselbe schrieb einen gereimten Brief zu meiner Vertheidigung. Ich erfuhr später, daß dies ein Student, Namens Dreyer war, der jetzt schon das Zeitliche gesegnet hat.

Es blieb übrigens mir nichts zu sagen übrig, ich mußte die große schwere Woge über mich dahingehen lassen; daß sie mich ganz und gar hinwegspülen würde, war die allgemeine Meinung. Ich empfand tief den Schnitt des scharfen Messers und war nahe daran, mich selbst aufzugeben, wie ich fast von Allen aufgegeben wurde. Es gab keinen Allah außer dem Verfasser der »Briefe eines Verstorbenen« und Heiberg war dessen Prophet.

Gerade in diesen Tagen erschien meine Gedichtsammlung, » Phantasien und Skizzen«; auf dem Titelblatte setzte ich als Motto einige Worte, aus den »Briefen eines Verstorbenen« selbst gewählt; dies war meine einzige Vertheidigung in dieser Lebenssache! Ich wiederholte des Dichters eigene Worte Wörtlich übersetzt. Der Uebers.:

»Ein Urtheil muß da sein; doch wohl erwägen
Muß der Richter, daß die Frucht,
Die das Genie selbst angesetzt,
Nur ein Product der Endlichkeit,
Geboren in der Zeit, auf dieser schwimmend;
Er übe die Kritik im freien Wort,
Wenn er ein einzeln's Werk belobet;
Doch überleg' er Tag und Nacht
Bevor er – – eins verdammt.
Denn es ist leicht hinunterreißen;
Auch ist es unschwer, was zu nehmen;
Doch schwer an des Verlor'nen Statt
Dem Vergeß'nen Aehnliches zu geben
Und retten, was zurückgeblieben.«

Briefe eines Verstorbenen.

Die erste ruhigere Stimme, verschieden von denen des Jubels über diese Briefe, ertönte in der von Professor Wilster herausgegebenen Monatsschrift »Prometheus.« Hier hieß es:

»Die Briefe eines Verstorbenen von Hertz sind kein Kunstwerk, sondern ein Kunststück, und es ist nicht leicht, sich in den Gedanken hinein zu versetzen, daß ein originaler, begeisterter Dichtergenius darauf verfallen kann, eine Arbeit von so großem Umfang zu schreiben; ein wahrer Dichter würde sich mit dergleichen kaum befassen, es sei denn parodisch oder ironisch. Die auffallende Art und Weise, in welcher er verstanden hat, der Sprache Baggesen's in ähnlichen polemischen Arbeiten nachzusprechen, eine Sprache, welche ihrer Zeit einen großen Theil des Publikums hingerissen hat, verschaffte den Briefen einen ungewöhnlichen Beifall, zu welchem auch das Gewürz der Anonymität beitrug. Sie machten Glück durch eine Form, die nicht nur an und für sich gefällig war, sondern zugleich das Verdienst besaß, eine täuschende Nachahmung zu sein; deshalb war die Freude, die sie erweckten, mit derjenigen verwandt, die wir empfinden, wenn wir Jemand die Stimme eines Andern nachahmen hören; in dergleichen Fällen wird auch nicht viel nach dem gefragt, was gesagt, sondern nur darnach, wie es gesagt wird; deshalb wurde der Verfasser, gewissermaßen von dem Selbsterhaltungstrieb gezwungen, die Form als die einzige seeligmachende Eigenschaft der Poesie anzupreisen; denn die Form ist ja die vornehmste Tugend eines solchen Gedichts wie einer jeden vorsätzlichen und erklärten Nachahmung. Aber eigentliche Poesie, Begeisterung, Tiefe, Gedankenfülle finden wir nicht in jenen Briefen, und wären sie dort aufzufinden, dann würde das Gedicht ja keine Aehnlichkeit aufzuweisen haben, sondern verfehlt sein, denn diese Eigenschaften lassen selbst die Satyren Baggesen's vermissen.

Nach den » Phantasien und Skizzen« folgte aus meiner Feder noch ein neues kleines Buch: » Vignetten zu dänischen Dichtern« in welchen ich, in wenigen Zeilen von jedem der lebenden und verstorbenen Dichter, das Characteristische der Leistungen hervorzuheben versucht hatte; es erweckte Aufmerksamkeit und in einer der Kopenhagener Zeitungen stand bald darauf ein kleines Gedicht an mich, welches folgendermaßen lautete:

»An den Verfasser der Dichter-Vignetten«
im Namen der Dichter.

Im Tempel einen würd'gen Platz Du Dir bereitest,
Indem der Musen hohem Ruf Du muthig folgst! –
Schon sprießt am Piedestal der Lorbeer Dir,
Der einst die Schläfe herrlich Dir wird schmücken –
Fürcht' keinen Satyr-Hieb und keinen Faun, Silen,
Auch nicht des Momus Hohn! Nur Böses, Böses lerne vertreiben!
Geläutert wird das Gold durch Feuer und durch Schlag,
Und doppelt edel ist der geschliff'ne Stein! Wörtlich übersetzt. Der Uebers.

Es war pseudonym, man spottete über diesen Bewunderer und Sänger, den ich bekommen hatte, allein man würde es wol kaum gethan haben, hätte man gewußt, wie ich es später vom Verfasser selbst erfuhr, daß es der Direktor des Schullehrerseminars zu Jonstrup (auf der Insel Seeland), der ehrenwerthe, allgemein verehrte Greis Wegener war. Meine » Vignetten« fanden Nachahmer, aber die Kritik fand es nicht der Mühe werth, ihrer zu erwähnen, nicht ein freundliches Wort erntete ich, aber oft und später kochte man den früheren Tadel auf. Ich bekam keine Kritiken, sondern Zurechtweisungen – und das noch jahrelang; gerade zu dieser Zeit war meine Lage am schlechtesten.

Hertz gab seine Anonymität als Verfasser der »Briefe eines Verstorbenen« auf; es sollte ihm ein Reisestipendium gewährt werden; auch ich hatte gerade ein Gesuch um ein solches eingereicht. Mit wahrer Ehrfurcht und der innigsten Dankbarkeit sah ich zu König Frederik VI. empor, es war mir ein Drang, diese Gesinnung auszusprechen und ich vermochte es nicht anders als dadurch, daß ich ihm ein Buch überbrachte, das ich ihm dediciren durfte, nämlich » Die zwölf Monate des Jahres«. Damals sagte mir Jemand, der es gut mit mir meinte und alle Verhältnisse genau kannte, daß ich, um selbst auf Gewährung des Reisestipendiums hinzuwirken, dem König, wenn ich ihm mein Buch überreichte, kurz und klar erzählen solle, wer ich sei, daß ich, nachdem ich Student geworden, durch eigene Hülfe und ohne alle Unterstützung mich selbst vorwärts gebracht habe, daß aber nun eine Reise mehr denn alles Andere zu meiner Ausbildung beitragen würde; alsdann würde der König gewiß antworten, daß ich ihm ein Gesuch bringen möge; dieses sollte ich denn schon bei mir haben und ihm überreichen. Diese Art und Weise, daß ich, indem ich dem König mein Buch brachte, sofort Etwas für dasselbe erbitten solle, fand ich ganz entsetzlich. »Das ist aber nun einmal so!« antwortete man mir; »Der König weiß ganz gut, daß Sie das Buch überreichen, um Etwas wieder zu erreichen.« Dies machte mich zwar ganz verzweifelt; ich mußte es indeß thun, »es sei so Sitte!« sagte man. – Mein Eintritt beim König mag gewiß höchst komisch gewesen sein; mein Herz pochte in Angst, und als der König in seiner eigenthümlichen Weise schnell auf mich zutrat und mich fragte, was das für ein Buch sei, das ich bringe, antwortete ich, »einen Cyclus von Gedichten.« – »Cyclus! Cyclus! was meinen Sie?« Ich wurde nun ganz und gar verblüfft und sagte: »Es sind einige Verse über Dänemark.« Er lächelte und sagte, »nun ja, das kann ja sehr gut sein! Ich danke! danke!« und nun nickte er zum Abschied; ich aber, der ich mein eigentliches Anliegen noch gar nicht angebracht hatte, sagte, daß ich noch so sehr viel zu sagen hätte, und ohne weiteres erzählte ich nun von meinen Studien und wie ich mich durchgeschlagen hatte. »Das ist sehr lobenswerth!« sagte der König – und als ich endlich es herausbrachte, daß ich ein Reisestipendium wünschte, antwortete er, wie man mir vorausgesagt hatte: »Nun, dann bringen Sie mir ein Gesuch!« – »Ja, Majestät!« brach ich nun in meiner ganzen Natürlichkeit aus, »das habe ich schon mit! und das ist es, was ich selbst so schrecklich finde, daß ich es zugleich mit dem Buch bringen soll, aber man hat mir gesagt, ich sollte es so machen, es sei so Sitte; aber ich finde es so abscheulich, es ist mir so zuwider!« – Die Thränen traten mir in die Augen.

Der gute König lachte ganz laut, winkte mir freundlich zu und nahm das Gesuch entgegen; ich verbeugte mich tief und eilte so schnell als möglich davon.

Die allgemeine Meinung war, daß ich culminirt hätte; sollte ich also reisen, müsse es gerade jetzt geschehen; ich fühlte, was auch später erkannt worden ist, daß mir das Reiseleben die beste Bildungsschule gewesen ist. Damit ich aber bei der Vertheilung der Stipendien in Betracht gezogen werden könnte, sagte man mir, daß ich Empfehlungen von unseren bedeutendsten Dichtern und sachkundigen Männern, eine Art Zeugniß, daß ich Dichter sei, beschaffen müsse; denn in diesem Jahre gerade – ich fühlte recht die Schwere dieser Bemerkung – suchten so viele ausgezeichnete junge Menschen Reisestipendium; es würde für mich schwierig sein, neben diesen in Betracht zu kommen, wenn ich nicht besondere Empfehlung hätte.

Ich beschaffte wirklich diese Atteste, und ich lebe in der Vermeinung, daß ich der einzige aller früheren und vielleicht späteren dänischen Poeten bin, welcher hier in der Heimat das schriftliche Zeugniß Anderer, daß ich wirklich Dichter sei, beibringen mußte. Die Männer, die mich empfahlen, hoben nun, eigenthümlich genug, besondere Eigenschaften bei mir hervor, so hob Oehlenschläger mein lyrisches Talent, Ingemann meine Auffassung des Volkslebens hervor, und Heiberg erklärte, daß er in meinen verschiedenen Productionen eine Laune zu sehen glaube, welche nahe mit der unseres unsterblichen Wessel Johan Herman Wessel, geboren in Norwegen 1742, gestorben 1785 in Kopenhagen, erwarb sich als Humorist einen hervorragenden Namen in der dänisch-norwegischen Literatur. Der Uebers. verwandt sei. H. C. Oersted machte darauf aufmerksam, daß, wie verschieden auch die Ansicht im Publikum von meinen Arbeiten sei, Alle sich doch in dem Urtheil begegneten, daß ich wirklich ein Dichter sei. Thiele sprach sich warm und begeistert für den Genius bei mir aus, den er mit den Drangsalen des Lebens kämpfen sah, wünschte meine äußeren Verhältnisse gebessert, »nicht allein des Dichters, sondern der Dichtkunst Dänemarks halber.«

Die gegebenen Zeugnisse Siehe Beilage I. hatten die beste Wirkung: Ich erlangte das Reisestipendium. Hertz bekam ein größeres, ich ein kleineres.

»Seien Sie nun froh!« sagten die Freunde; »fühlen Sie Ihr großes Glück; genießen Sie den Augenblick, denn es wird wahrscheinlich das einzige Mal sein, das Ihnen die Gelegenheit geboten wird, in die Welt hinaus zu kommen! Sie sollten nur hören, was die Leute sagen, weil Sie reisen sollen! Sie sollten wissen, wie wir Ihre Partei nehmen müssen, und zuweilen können wir es leider nicht, sondern müssen den Menschen Recht geben!« Das waren Worte, die mir ins Herz schnitten. Ich fühlte einen tiefen Seelen-Drang hinaus zu gelangen; ich entsann mich nicht des Horaz'schen Wahrspruchs, daß der Kummer sich mit dem Reiter hinten auf das Pferd setzt. Mehr als eine Sorge lastete auf meinem Herzen. Es befindet sich in » Agnete und der Meermann« ein Lied:

»Hinter dem Erlengebüsch, wo das Mühlrad geht:«

Eine ganze Menschenseele spiegelt sich oft in einem kleinen Gedicht ab. Bei der Abreise gerade machte sich das Gefühl für die Freunde in meinem Herzen geltend, und unter den einzelnen früher genannten hatte ich Zwei, die damals bedeutend auf meine ganze Entwickelung, auf mein Leben und meine Dichtung einwirkten, und derer ich erwähnen muß.

Frau Lassöe, Tochter des Dichters Abrahamson, die Mutter des Helden bei Idsted, des herrlichen, kecken, feurigen Oberst Lässöe Fiel in dem Dorfe Idsted, inmitten der Schlacht gleichen Namens am 25. Juli 1850 Der Uebers., sie, die liebevollste Mutter, eine vielseitig ausgebildete, geistig begabte Frau, hatte mir ihr gemüthliches Heim geöffnet; sie theilte oft mit ihrem tiefen Gefühl meine Sorgen, und ich fand einen Trost darin, ihr sie alle mitzutheilen; sie war theilnehmend, hilfreich, voll Ermunterung; sie richtete meinen Blick immer mehr auf die Naturschönheiten und die Poesie in den Einzelheiten des Lebens, im sogenannten Kleinen, und als fast Alle mich als Dichter aufgaben, hielt sie meine Gedanken über die schweren Wogen empor, und wenn Weiblichkeit und Reinheit sich in irgend Etwas von dem findet, was ich geschrieben habe, dann ist sie eine derjenigen, denen ich es besonders zu verdanken habe.

Ein Anderer, gleichfalls ein Charakter von großem Einfluß auf mich, war einer der Söhne des Geheimraths Collin, der jetzige Etatrath Eduard Collin Ich werde später noch auf diese Persönlichkeit zurückkommen. Der Uebers.; in freien und glücklichen Verhältnissen aufgewachsen, Sohn eines hochgeachteten und einflußreichen Vaters, besaß er eine Kühnheit, eine Bestimmtheit, die mir gänzlich abging; ich war mir seiner innigen Theilnahme bewußt; ich hatte noch nie einen Jugendfreund gehabt; weich, wie ich war, schmiegte sich meine ganze Seele an ihn an. Dem fast Mädchenhaften meines Wesens trat er entgegen, er war der Besonnene, der Praktische, und wenn auch jünger an Jahren als ich, war er der Aeltere an Verstand, der Leitende, der Entscheidende, wie dies ganz in den Verhältnissen lag. Wie oft mißverstand ich ihn und fühlte mich betrübt und gedrückt, wie denn auch sein wohlgemeinter Eifer von Anderen mißverstanden wurde. Sein Wunsch und Streben war es, mir Etwas von seiner Selbstständigkeit und seiner Willenskraft beizubringen. In dem praktischen Leben stellte er sich mir werkthätig zur Seite und stand mir bei, nicht allein bei der Abfassung lateinischer Stilübungen, sondern auch später, Jahre hindurch, beim Ordnen der Geschäfte mit Verleger und Buchdrucker, ja selbst bei dem Correcturlesen. Alle die Jahre meiner Entwickelung hindurch, von der Zeit an, wo ich mich geduldig beugen und Alles ertragen mußte, bis ich selbst Freiheit der Seele, Wille und Meinung mir erwarb, blieb er mein wahrer Freund.

Indem man sich von den Bergen entfernt, sieht man sie erst in ihrer wahren Gestalt; gerade so erging es mir mit meinen Lieben, indem ich von der Heimat fortzog.

Ein kleines Album mit Versen von Vielen, deren Namen mir hell strahlten, war mein kleiner Schatz; sie folgten mir und das Album hat sich später zu einer reichen Sammlung gestaltet. Außer Christian Winther, Admiral Wulff, Just Thiele und F. J. Hansen schrieben in dasselbe:

Laß Deine Dichterphantasie
Nun flattern wie die Biene
Und fleißig Honig sammeln ein,
Indeß Du uns nicht vergessest!

Kopenhagen, 19. April 1833.
A. Oehlenschläger Wörtlich übersetzt..

*

– – Das Tiefe muß das Hohe tragen,
Und selbst das größte Schiff nicht auf der Fläche steht.
Tief muß es wandern, wenn hoch die Flügel
Im Sturm und Wetter gen die Sterne schwingen.

Zum freundlichen Andenken
B. S. Ingemann Wörtlich übersetzt..

*

Eines schickt sich nicht für Alle;
Sehe jeder wie er's treibe,
Sehe jeder, wo er bleibe,
Und wer sieht, daß er nicht falle!

Mit diesen Worten von Goethe wünsche ich Ihnen eine glückliche Ausbeute der bevorstehenden Reise.

Kopenhagen, 22. April 1833.
J. L. Heiberg.

*

Reisen Sie nicht so weit, daß sie Molbech's Wörterbuch vergessen.

Ihre
Johanna Louise Heiberg.

*

Die Vernunft in der Vernunft = das Wahre,
Die Vernunft im Willen = das Gute,
Die Vernunft in der Phantasie = das Schöne.

Gedenken Sie bei diesem Thema zu manchem Gespräch

Ihres ergebenen
H. C. Oersted.
Kopenhagen, 21. April 1833.

*

Am Montag den 22. April reiste ich von Kopenhagen ab. Ich war beim Abschiede unendlich tief bewegt. Ich sah die Thürme Kopenhagens verschwinden, wir näherten uns Möens Kreidefelsen, da brachte der Kapitain mir einen Brief, indem er scherzend sagte: »der kam gerade jetzt durch die Luft herab!« Es waren noch ein paar Worte, ein liebevoller Gruß von Eduard Collin. An der Insel Falster kam noch ein Brief von einem andern Freund. Abends traf ein dritter ein, und in der Morgenstunde, vor Travemünde, kam noch ein vierter, »alle durch die Luft«, sagte der Kapitain; die Freunde hatten sie ihm freundlich und theilnehmend für mich zugesteckt. »Noch ein Sträußchen! und wieder noch ein Sträußchen!«

*


 << zurück weiter >>