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Cinqmars.

1642.

Der Cardinal Richelieu stand auf dem Höhenpunkte seiner Macht. Alle Gegner des gewaltigen Staatsmannes waren durch die Energie seines Geistes und die consequente Ausdauer, mit der er seine Pläne verfolgte, ohne um die Mittel verlegen zu sein, überwunden, gedemüthigt oder vertilgt. Die Macht der Hugenotten war mit der Eroberung von Rochelles gebrochen; sie waren kein selbständiger Körper mehr im Staate, und nahten sich der Regierung nur noch als um Hülfe Flehende. So hatte er den gewaltigen Feudaladel überwunden, der, immer bereit Parteien zu bilden, die frühern Regierungen unablässig beunruhigt hatte. Auf den Schaffoten hatten Glieder der ersten Familien ihre Köpfe als Sühnopfer für die Ruhe Frankreichs niederlegen müssen. Selbst das Blut des Herzogs von Montmorency, ein geliebter und hochgeachteter Seigneur, für den der ganze Adel Frankreichs mit Bitten den Thron bestürmte, für den selbst die Mitglieder der königlichen Familie die Hände aufhoben, war in Toulouse auf dem Schaffot versprützt, ohne daß die zähneknirschende Wuth seiner Freunde, der mächtigen, uralten Familien, nur der traurigen Hoffnung, ihn gerächt zu sehen, Raum geben konnte.

Richelieu's politische Laufbahn war ein fortgesetzter Sieg. Die Parlamente, der Klerus, selbst der Papst hatten vor seinem Willen ihren Einfluß in Frankreich verloren. In der Intrigue und im offenen Felde hatte er die Prinzen von Geblüt geschlagen, sie aus allen ihren Verschanzungen getrieben, so in ihren Feudalburgen als am Hofe. Vergebens forderten sie sogenannte Sicherheitsplatze für sich und ihre Anhänger; er forderte, daß sie Unterthanen des Staates würden gleich den andern Bürgern. Der eigene Bruder des Königs, vor Ludwig des Vierzehnten Geburt der muthmaßliche Thronfolger, Gaston von Orleans, war ebenso oft von Richelieu überwunden worden, als er, in ohnmächtigem Grimm gegen ihn als Empörer aufgetreten war. Des Königs leibliche Mutter, einst Richelieu's Gönnerin, Maria von Medici, flehte, verbannt und flüchtig im Auslande, alle Verwandte, alle Machthaber vergebens an, sie zu rächen, oder nur ein Wort für sie bei ihrem Sohne einzulegen. Richelieu's Wort galt beim Könige mehr, und er verweigerte ihm selbst, der Sohnespflicht zu genügen und die darbende Mutter zu unterstützen, weil jedes Geldstück von dem rachedürstenden Weibe nur verwandt worden wäre, um gegen den Cardinal neue Feinde, vielleicht Mörder, zu werben.

So, den Fuß auf seinen zertretenen Feinden im Lande selbst, konnte sein Geist sich frei nach außen bewegen, um seine großen Pläne in der europäischen Politik zu verfolgen. Auch hier war er seinem Ziele nahe. Die Macht des Hauses Oestreich in Deutschland, Spanien, in den Niederlanden, in Savoyen und Italien wurde, wenn auch nicht überwunden, doch durch seine Thätigkeit, die ihm immer neue Feinde auf den Hals schickte, so in Athem erhalten, daß sie dem aufblühenden, einigen Staatskörper Frankreichs nicht mehr gefährlich war. Richelieu bekämpfte Oestreich in Deutschland durch Gustav Adolf und die Schweden, in den Niederlanden durch die Generalstaaten und die Oranier, in Italien, der Schweiz und Savoyen durch Intriguen, Bündnisse und französische Heere. In Spanien selbst erweckte er ihm innere Feinde, indem er den Aufstand der Catalonier begünstigte und den Abfall Portugals ins Werk setzte.

Aber alle diese Siege im Innern und nach außen wurden ihm nur durch den größten Sieg möglich, den er über seinen eigenen König errungen hatte. Es gehörte ein Charakter wie Ludwig XIII. dazu, um die Allmacht eines Ministers wie Richelieu möglich zu machen. Ein König, der nicht willenlos, aber geistig und sinnlich zu träg war, diesen Willen geltend zu machen; eine apathische, kleinliche und verdrießliche Seele, die nicht lieben und nicht eigentlich hassen konnte; ein Fürst, der das Gefühl seiner königlichen Würde in sich trug, aber zugleich die Ueberzeugung, daß er selbst allein nicht der Aufgabe gewachsen sei, ein Reich wie Frankreich zu beherrschen und alle die Fäden fortzuspinnen, welche sein Minister angesponnen hatte. Ludwig fühlte, so weit er fühlen konnte, das Drückende dieser Lage, von einem Manne abhängig zu sein, dessen Geist den seinen so weit überragte, den er haßte und fürchtete. Aber wie ein Kind an seine Leitung gewöhnt, fürchtete er sich weit mehr, plötzlich allein gelassen zu werden von Dem, der ihn an der Hand hielt, und ohne welchen er noch keinen Schritt allein gethan. Er hatte gerade so viel Einsicht, um zu erkennen, daß, wie er selbst nicht, auch keiner der Männer und keine der Frauen seines Hofes fähig war, des Cardinals Werk fortzusetzen. Das war Richelieu's Glück, daß unter seinen Gegnern und Rivalen nur Ränkemacher, ohnmächtig wüthende Höflinge, kaum ein Charakter, aber kein Geist war, der im Entferntesten im Stande gewesen wäre, ihm die Spitze zu bieten.

Lauscheraugen in seinem Solde umgaben den König, seine Gemahlin, Anna von Oestreich, die Prinzen, am Hofe und in ihren Schlössern. Richelieu hörte jedes Wort, das der unvorsichtigen Lippe entfiel, und er vergaß keines, das gegen ihn gesprochen wurde. Die Eisenriegel der Bastille rasselten Jahr um Jahr, um neue Staatsgefangene aufzunehmen, selten um eines der Opfer zu befreien. Andere, deren Nähe ihm gefährlich schien, wurden auf ihre Schlösser, in entfernte Provinzen, oder in Klöster verbannt. Auch war diese Vorsicht von seiner Seite nicht die thörichte Angst eines argwöhnischen Tyrannen; er hatte Grund zu fürchten. Die Intriguen wurden nicht allein gegen die Politik des Staatsmannes gesponnen, nicht allein um ihn aus der königlichen Gunst zu entfernen; mehr als ein Mal gingen sie gegen sein Leben. Durch Mörderhand waren Günstlinge vor ihm von ihren Rivalen bei Seite geschafft worden, und statt des Gerichtes und des Blutgerüstes hatte die königliche Gunst ihr Verbrechen dadurch belohnt, daß sie in die Stelle und das Ansehen der Ermordeten rückten.

Der Tag der Dupe lag freilich längst im Hintergrunde. Die königliche Mutter, deren Einfluß auf das schwankende Gemüth ihres Sohnes eine Intrigue damals möglich gemacht, welche mit Richelieu's gänzlichem Sturz enden sollte, war in der Verbannung. Sie war nicht mehr furchtbar. Aber um so verzweifelter minirten seine Gegner durch Frauen und Beichtväter, und selbst Prinzen von Geblüt wetzten im Stillen ihre Dolche. Während des Krieges in den Niederlanden war Richelieu einst nur durch die Unentschlossenheit seiner Feinde, durch die moralische Scheu vor einer offenbaren Mordthat, wo königliche Prinzen selbst ihre Hände in sein Blut tauchen wollten, dem Tode entgangen. Nicht minder gefährlich waren die stillen Bemühungen der Frauen und Geistlichen. Die Königin Anna haßte den Cardinal; aber ihr mangelte jeder Einfluß auf das Gemüth des Königs. Als die Lafayette in der Gunst stieg, ward ihr freiwilliger Entschluß, ins Kloster zu gehen, von Richelieu nur befördert. Auch das Fräulein von Hautefort, welches nach ihr sich schmeichelte, die Gunst Ludwig's zu besitzen, ward in ein anderes Kloster geschickt. Sie glaubte, auf ihre Anmuth und ihren Witz vertrauend, dem Cardinal trotzen zu dürfen. Sie lauerte dem König, der sie nicht vor sich lassen wollte, in einem Gange auf. Aber Ludwig fürchtete mehr seinen Hofmeister, als er die Nähe des schönen Mädchens liebte. Eiskalt erklärte er ihr, sie müsse sich augenblicklich dem Befehle fügen. Ein Fürst ohne Liebe bleibt darum doch zugänglich den Zuflüsterungen abergläubischer Furcht. Richelieu hatte die offene Macht des Klerus unterdrückt, aber seiner geheimen blieb der Weg zum Ohr des Königs durch seine Beichtväter. Wie schlau und versteckt diese auch zu Werke gingen, konnten sie doch Richelieu nicht täuschen. Ludwig selbst hätte nicht angestanden, sie zu verrathen, wenn die Furcht vor seinem Minister mächtiger war als die, welche sein Seelsorger wegen der Gefahr der Kirche und Religion ihm vormalte. Richelieu entsetzte des Königs Beichtväter und schickte sie in die Verbannung, gleich den weltlichen Personen, die ihm gefährlich wurden.

Dennoch mußte der Minister einen König fürchten, den nur die Furcht an ihn band. Pläne zu bilden war Ludwig's Geist zu träg; aber wer widersteht der Macht der Impulse? Das Ungefähr zerstört die klügsten, reif erwogensten Maßregeln. Auch ein Geist wie Ludwig's bedurfte der Beschäftigung; wer wußte, wie diese Beschäftigung einmal ausschlug, wenn sie nicht ununterbrochen nach des Ministers Absicht geleitet wurde? Auch er konnte nicht immer gegenwärtig sein; die großen Sorgen führten seinen Geist nach allen Theilen Europas. Während er die Schweden bezahlte, den Papst in Rom bewachte, die italienischen und savoyischen Fürsten nicht aus dem Auge lassen durfte, während er die Catalonier und Portugiesen zum Aufruhr verlockte und selbst mit den Puritanern in England Verbindungen unterhielt, ja mehr noch, während er die Prinzen, Großen, seine eigenen Feldherren überwachen und dem berühmtesten fürstlichen Condotiere, den er für seine Sache geworben, dem Herzog Bernhard von Weimar, auf jedem Schritte achtsam folgen mußte, konnte sein Auge nicht auf jede Regung und Bewegung seines königlichen Mündels Acht haben. Er bedurfte hier eines Vertreters, der ihm einen Theil seiner Last abnahm. Auch ein König ohne Herz bedarf eines Geschöpfes, dem er etwas vertrauen kann; denn so eiskalt und verschlossen ist keines Menschen Brust, daß nicht Augenblicke kommen, wo er den aufsteigenden Gedanken, das sich regende Gefühl mitzutheilen den Drang fühlt. Gern wäre Richelieu selbst dieser Favorit, dieser Vertraute geworden. Aber er war nur der Mann, um zu herrschen; er konnte auch nicht den Schein ertragen, sich beherrschen zu lassen. Niemand spielt mit einem Gegenstande, den er fürchtet, und es kam hier darauf an, dem Könige auch ein Spielzeug zu verschaffen, das unschädlich wäre und zugleich Dem von Vortheil, der es ihm in die Hand gab.

Einen solchen Favoriten zu finden, war schwer; einen, der alle Eigenschaften dazu hatte, den König zu beschäftigen und Fügsamkeit und Furcht genug, um beständig Richelieu's Werkzeug zu bleiben. Es war zu verführerisch, Gunst und scheinbaren Einfluß am Hofe zu besitzen, und nicht der Eitelkeit Raum zu geben, nach einer selbständigen Stellung und Macht zu streben. Auf dem Wege waren die meisten Staatsmänner früher unter dieser Regierung zu ihrer Würde gelangt. Welche Lockung mehr, wo es gegolten hätte, einen Richelieu zu stürzen; ein Unternehmen, welches durch den rauschenden Beifall so vieler Tausende von Misvergnügten belohnt wurde und Manchem leicht erschien. Das Ungeschick, der Leichtsinn und die Leidenschaftlichkeit seiner Feinde hatten dem Cardinal immer den leichten Sieg in die Hand gespielt, wo ein angehender Favorit sich zu erheben drohte.

Die Erfahrung hatte ihm gelehrt, daß Frauen zu dem Spiel für ihn sich nicht eigneten. Auf der einen Seite war Ludwig's Natur zu kalt, um sich von ihrem Reiz und Witz fesseln und leiten zu lassen; auf der andern Richelieu's herbes Wesen nicht geschickt, um liebenswürdige Frauen an sein Interesse zu binden. Er trieb nur ein Spiel mit Frauen; durch die Hand seiner Nichten belohnte und strafte er Dienste und erweiterte den Einfluß und die Macht seiner Familie.

Endlich glaubte der Cardinal die Persönlichkeit gefunden zu haben, die er brauchte. Er hatte sich der Söhne seines verstorbenen Freundes, des Marschalls d'Effiat, mit besonderer Sorgfalt und mit der Absicht angenommen, sie an den Hof zu bringen und ihr Glück zu machen. Der ältere besaß nicht die Eigenschaften, um in der Hofluft zu glänzen. Aber der zweite Sohn, Cinqmars, schien ihrer in desto größerer Maße theilhaft. Von glücklicher Gesichtsbildung besaß er einen lebhaften Witz und hatte sich schon früh alle Talente eines französischen Cavaliers im Umgänge angeeignet. Noch war Cinqmars halb Knabe, als ihn Richelieu schon zum Capitain einer Compagnie des königlichen Leibregimentes und zum Garderobemeister des Königs ernannt hatte. Er unterrichtete ihn selbst, wie er es anzufangen habe, die Gunst seines Gebieters zu erlangen; denn ihm galt es gerade, das Fräulein von Hautefort zu verdrängen. Doch verging ein Jahr, ehe Ludwig auf den liebenswürdigen jungen Mann aufmerksam wurde. Erst während der Belagerung einer Stadt in den Niederlanden, welcher Ludwig persönlich beiwohnte, bemerkte man, daß er häufiger und vertraulich mit dem jungen Manne redete. Der Cardinal lächelte dazu und der Hof wußte, daß Cinqmars zum Günstling erkoren war.

Er begleitete den König auf dessen Reisen, und die erste Hofintrigue, an der er Antheil hatte, war die oben erwähnte Verweisung des Fräulein von Hautefort. Wenigstens tadelte der König bei seiner letzten vertrauten Unterredung mit ihr die junge Dame lebhaft um deswillen, daß sie seinen Liebling Cinqmars mit ihrem Witz und Spott beständig aufziehe. Wenige Tage darauf erging an sie der Befehl, Paris zu verlassen.

Cinqmars hatte über eine Dame triumphirt; er wollte Belohnung dafür und ruhte nicht eher, bis ihn der König zum Oberstallmeister von Frankreich ernannte. Der Herzog von Bellegarde, welcher diese Würde bis da bekleidet, ward genöthigt, sie gegen eine Entschädigung niederzulegen.

Cinqmars' Gunst stieg in reißenden Fortschritten. Kaum zwei Jahre nachdem es Richelieu gelungen war, ihn dem Könige näher zu bringen, hatte der Cardinal schon Grund ihn zu fürchten. Es war in einem Augenblicke, wo sein Glücksstern nach den damaligen Begriffen einen neuen Glanz erhalten hatte. Eine seiner Nichten, die Tochter des Marschalls von Brezé, hatte (1641) einen Prinzen von Geblüt, Condé's Sohn, den Herzog von Enghien, geheirathet. Nun, glaubte man, sei Richelieu's Macht auf die Dauer festgestellt. Aber mit Argwohn sah sein scharfblickender Geist mitten aus den mit außerordentlicher Pracht begangenen Hochzeitsfeierlichkeiten auf das Benehmen des neuen Günstlings. Er hatte gewagt, ohne seines Gönners Vorwissen, den König um das Commando über die Truppen zu bitten, welche die Zufuhren in das französische Lager vor dem eingeschlossenen Arras bringen sollten. Ein solches Commando wurde nur den erfahrensten und geschicktesten Generalen anvertraut; dennoch hatte ihm der König diese Ehre zugesagt. Richelieu erklärte sich mit allem Eifer dagegen; der König mußte nachgeben und Cinqmars mit dem bittern Gefühl gekränkter Eitelkeit auf die Ehre verzichten. Aber schon stand er in solchem Ansehen, daß Richelieu ihm die Kränkung vergüten zu müssen glaubte. Cinqmars erhielt den Oberbefehl über die Volontairs, die Gendarmen und die leichten Reiter der Leibgarde.

Bald jedoch schien der zwanzigjährige Jüngling der zu großen Gunst, die ihm das Schicksal zuwarf, selbst überdrüssig. Sein Ehrgeiz war befriedigt oder zurückgetreten hinter den lebhaftern Neigungen seiner Jünglingsnatur. Der Günstling, der tägliche Begleiter, Gesellschafter, Lustigmacher eines Königs wie Ludwig der Dreizehnte zu sein, war keine lockende Aufgabe für einen jungen Menschen, der die Lust in vollen Zügen einschlürfte und den Wechsel liebte. Er mußte sein junges Leben Tag für Tag bei einem ernsthaften, kalten, einsylbigen Fürsten zubringen, der keine andern Lustbarkeiten kannte, als Füchse und Dachse in ihren Löchern aufzusuchen, oder im Winter Amseln mit Stoßfalken zu fangen. Es war ein trauriger Zeitvertreib für den lebhaften Cinqmars, der andere Lustbarkeiten gekostet hatte. Er sehnte sich nach den vergnügten, von Witz, Heiterkeit, von lauten und stillen Genüssen gewürzten Abenden, welche er schon in früher Jugend im Palais des Herzogs von Rohan mitgemacht. Jetzt durfte er nur dann den Hof verlassen, wenn er nach Ruel ging, um pflichtmäßig dem Cardinal von Allem, was bei Hofe vorging und was der König mit ihm gesprochen, Bericht abzustatten.

Auch dies Späher- und Angebergeschäft mochte so wenig nach seinen Wünschen sein, als es ehrenvoll war. Ueberdies begegnete ihm der Cardinal, der, wo er nicht nöthig hatte, die Maske der Sanftmuth vorzunehmen, stolz und gebieterisch war, wie einem Kinde, das er auferzogen hatte. Immer und immer wieder mußte er es mit anhören, daß er, Richelieu, der einzige Urheber seines Glückes sei, daß es nur auf ihn ankomme, ihn wieder in seine Unbedeutendheit zurückzustürzen; stets Ermahnungen, sich klüger, gescheiter aufzuführen, und die Drohung, wenn er auch nur einen Fehler wieder beginge, ihn augenblicklich vom Hofe fortzujagen.

Nicht der Minister allein, auch sein eigener Schwager, der Marschall de la Mailleraye, hofmeisterte fortwährend an ihm. Der verwöhnte junge Mensch hielt es nicht mehr aus. Statt den König zu amusiren, klagte er ihm seinen Verdruß, und hielt ihm unaufhörlich vor, daß gerade die besondere Gnade, womit der Monarch ihn beehre, ihn unglücklich mache. Sein Wunsch sei, weniger Ansehen, aber mehr Freiheit zu haben. König und Cardinal wetteiferten nun, ihm nachdrückliche Vorwürfe zu machen, und Cinqmars gab empfindliche Antworten. So kam es, daß er und der König oft Tage lang kein Wort mit einander sprachen.

Richelieu ahnete in Augenblicken, daß er sich in dem jungen Manne einen gefährlichen Feind aufziehe, aber er warf im Stolze seines Selbstbewußtseins diese Furcht wieder bei Seite, und glaubte dann zu seinen Plänen kein passenderes Werkzeug zu besitzen als den leichtsinnigen Jüngling. Um deswillen machte er den Friedensstifter zwischen ihm und dem Könige. Aber auch dies geschah nie ohne harte Ermahnungen. Cinqmars hatte sich doch dann und wann Abends in das Rohan'sche Palais geschlichen; auch besuchte er eine damals in Paris sehr berühmte Schönheit, um sich in der stillen Unterhaltung mit ihr für die Langeweile in der des Königs zu entschädigen. Der Minister wußte Alles, und der Hofmeister stellte ihm als erste Bedingung, daß er die Gesellschaften im Palais und die schöne Dame meide. Cinqmars versprach, was er nicht halten konnte und wollte. Er setzte seine Besuche fort, nur daß er vorsichtiger zu Werke ging. Wenn der König zu Bette war, schlich er, im Mantel verhüllt, zu seiner Schönen und kehrte erst wieder gegen Morgen zurück, um beim Aufstehen des Königs zugegen zu sein. Diese abmattende Lebensart schwächte seine Gesundheit, er war träge, verdrießlich, verdrießlicher als sein König, der ihn mit Vorwürfen überhäufte, und doch nicht von ihm ließ.

Ja so stark war diese Neigung oder Gewöhnung an Cinqmars' Umgang beim Könige, daß der Günstling etwas wagen konnte, was Ludwig allein nie gewagt hätte. Ein königlicher Kammerdiener stand in Richelieu's besonderm Dienste und mußte ihm täglich Alles hinterbringen, was der Monarch sprach. In einem Momente der Aufregung und des Zorns wußte Cinqmars den König zu bewegen, daß er ihn fortjagte, obgleich das Verbrechen des Dieners in nichts Anderm bestand, als was alle Hofbeamte thaten und für Pflicht und klug hielten, sofern es ihnen um die Geneigtheit des Cardinals und ihre Stelle zu thun war. Jener war darüber sehr aufgebracht und ließ den Favoriten hart an. Aber Cinqmars hatte Fortschritte in der Verstellung gemacht; er nahm die Maske tiefster Unterwürfigkeit an. Er stellte dem Minister vor, daß man den König im Kleinen frei schalten lassen müsse, um im Großen zu walten, wie man Lust hätte. Er deutete an, daß man einen niedrigen Späher opfern könne, um das Ansehen eines größern zu verstärken, und erbot sich zu Allem, was sein hoher Gönner über ihn verfügen würde. Richelieu traute ihm nicht mehr, aber in Verdrießlichkeiten anderer Art verwickelt, indem gerade ein neuer Anschlag auf sein Leben entdeckt war, der selbst vom Herzog von Vendome herrühren sollte, ließ er die Sache diesmal auf sich beruhen.

Verschwörungen und Empörungen folgten rasch aufeinander; immer nur, um in ihrem kläglichen Ausgang aufs neue darzuthun, wie fest Richelieu's Macht geworden, wie erbärmlich die Machinationen der Großen des Reiches, der Prinzen vom königlichen Hause waren, wo jeder nur seinem Hasse fröhnen wollte. Kaum daß die Verschwörer große, edle Zwecke im Munde führten, wo es freilich auch nichts galt, als den eigenen kleinen Vortheil, höchstens den der hohen Aristokratie. Denn in der Kunst, Phrasen zu bilden von der frevelhaften Zerstörung des alt Ehrwürdigen, von der frechen Hand, gelegt an die überkommenen Rechte und Institutionen der Väter, von der heiligen Pflicht, sie mit seinem Herzblut zu vertheidigen, Phrasen, welche zweihundert Jahre später durch ein oder zwei Decennien so guten Klang hatten, daß sie Viele täuschen konnten, in dieser Phraseologie war man jener Zeit wenig bewandert; auch war Richelieu der Mann, um Redensarten durch die That zu beantworten.

Das Volk ward wol zuweilen hineingezogen, auch erwähnte man des Wortes Freiheit, ein Wort, das aber beliebiger Auslegungen fähig ist. Und wenn die Pariser Lust hatten und Miene machten, sich für die Freiheit zu erheben, so war es die von drückenden Abgaben, und wenn sie die Tyrannei des Cardinals verabscheuten, war es nicht, daß sie die Tyrannei eines Premierministers überhaupt nicht wollten, sondern nur an die Stelle des verhaßten Mannes, dessen Regiment schon zu lange gedauert, das neue Regiment eines andern Günstlings, welcher je zur Zeit ihr Liebling oder ihnen noch gleichgültig war. So mochte der nachmalige Cardinal von Retz die Pariser zum Aufstande für die Freiheit, was man heute begeistern nennt. Aber der Aufstand unterblieb, weil die vornehmen Personen, deren Schilderhebung abgewartet werden sollte, nicht den gewünschten Sieg erfochten.

Der Graf von Soissons, ein königlicher Prinz, beliebt bei den Parisern, wie der Cardinal bei ihnen verhaßt war, hatte zu Sedan die Fahne des Aufruhrs erhoben; nicht gegen Frankreich, nicht gegen den König, nur gegen Richelieu's Tyrannei. Aber alle diese Empörungen und Verschwörungen stützten sich immer auf Verabredungen und Bündnisse mit den Feinden des Landes. Ihr Herd war gemeiniglich in den spanischen Niederlanden. Ohne Geld und Verheißungen von Truppen aus Madrid, Brüssel oder Wien unternahm kein Großer jetzt noch einen Aufstand. Die Sammelplätze der Empörer waren immer in einer befestigten Grenzstadt. Diesmal in der Grenzstadt Sedan, welche dem Herzog von Bouillon gehörte, einem Fürsten, der, umsichtiger als der hitzige Graf von Soissons, dem Bündniß beigetreten war. Sedan war von ihm zu einem festen Waffenplatze gemacht worden. Das Glück schien den Verbündeten günstig; sie schlugen auf den Ebenen von Sedan den französischen Marschall von Chatillon, der zur Belagerung heranzog. Aber bei der Verfolgung stürzte plötzlich der Graf von Soissons vom Pferde. Eine Kugel hatte ihm den Schädel zerschmettert. Von dem Feinde konnte sie nicht herrühren, weil die Fliehenden schon in zu großer Entfernung waren. Es bleibt zweifelhaft, ob die Kugel von einem Verräther kam, der sich unter den Reitern seines Gefolges befand, oder ob der Herzog selbst durch Unvorsichtigkeit sich das Leben genommen, indem er vermittelst seiner Pistole das heruntergefallene Visir im raschen Reiten wieder aufschlagen wollte. Das Letztere ward angenommen.

Mit dem Grafen von Soissons war, wenn nicht die Seele, doch der sichtbare Mittelpunkt der Empörung verschwunden. Der Sieg blieb ohne andere Folgen, als daß der verständige Herzog von Bouillon ihn benutzte, um einen erträglichen Frieden mit dem doch nicht zu überwindenden Cardinal abzuschließen. Cinqmars war bei diesem Vergleiche dem Herzoge behülflich gewesen; er hatte den König dahin bewogen, den Fußfall des Empörers anzunehmen, und Das, um was derselbe, als Ehrensache stritt, zu gewähren, nämlich die Aufhebung des Processes gegen des Grafen Leichnam und dessen ehrenvolle Bestattung in der Familiengruft. Cinqmars hatte nicht ohne Absicht gehandelt. Schon galt es ihm, sich eine Partei zu bilden. Die Kränkungen, des stolzen Cardinals hatten seinen Ehrgeiz aufs Neue angestachelt. Er ging mit dem großen Plane schwanger, den Mächtigen zu stürzen.

Seine Eitelkeit ging daneben mit einem andern Plane um. Die Hand der in Paris lebenden Prinzessin Maria von Gonzaga zu besitzen, galt noch weit Höheren als Cinqmars als ein Glück. Der damalige Thronfolger, des Königs Bruder, Gaston von Orleans, hatte diese schöne Prinzessin zur Frau begehrt, und es kostete dem vereinten Widerstand des Königs, des Cardinals und der Königin Mutter, Maria von Medici, Mühe, um den leidenschaftlichen Prinzen von dem Verlangen abzubringen. Cinqmars nährte den kühnen Gedanken, um sie zu werben. Briefe der Prinzessin, welche man später bei ihm fand, zeigen, daß der schöne junge Mann ihr nicht gleichgültig war. Als Staffel zu seinem Glücke, drang er in den König, ihn zum Herzog und Pair zu ernennen. Der Cardinal war entschieden dagegen. Er nannte es eine unerhörte Anmaßung, als bloßer Edelmann, der sein Glück der Gunst des Königs allein verdanke, an eine solche Verbindung nur zu denken. Der Favorit erwiderte, daß seine Mutter sie gutheiße. »Wenn das wahr ist, sagte Richelieu, beweist das nur, daß sie als Frau so unklug ist wie Sie als Mann.«

Cinqmars mußte die bittern Reden verschlucken, aber sein Entschluß stand nun fest. Er wurde durch des Cardinals Benehmen nur noch mehr befestigt. Richelieu wollte ihn aus allen geheimen Conseils, zu denen der König ihm den Zutritt gewährt, ausschließen. In Gegenwart des Staatssecretairs Desnoyers nannte er ihn einen übermüthigen Menschen, den er ebenso leicht erniedrigen könne, als er ihn unverdientermaßen erhoben habe; einen Leichtsinnigen, der sich um die Staatsgeschäfte, von denen er nichts begreife, auch nicht zu kümmern hätte. Unter den härtesten Vorwürfen der Undankbarkeit verbot er ihm je wieder bei einer Rathssitzung sich sehen zu lassen. Cinqmars fühlte die Kränkung so schmerzlich, daß er Thränen vergoß.

In seiner Wuth wandte er sich an den Herzog von Bouillon, der ihm der geeignetste Verbündete schien, und trug ihm geradezu ein Bündniß zum Sturz des Cardinals an. Aber dem erfahrenen Prinzen schien der junge Mann nicht der geeignete Mann zu einem Unternehmen, das so eben erst und zwar mit ganz andern Bundesgenossen gescheitert war. Wie sollte er, der noch kaum den Kopf aus der Schlinge gezogen, sein Glück einem einundzwanzigjährigen Höfling abermals anvertrauen, welcher durch seine übereilte Mittheilung den schlagendsten Beweis von seiner Unbesonnenheit ihm gab? Er wich deshalb durch allgemeine Antworten aus und rühmte die Einsicht, die Talente und Absichten des Cardinals.

Cinqmars ließ sich dadurch nicht abschrecken. Er hatte einen andern Vertrauten, den die Laune des Schicksals gerade ihm zuwies, der aber in allen seinen Eigenschaften das Gegenstück zu diesem vorerwähnten Lieblinge des Glückes war. Franz August von Thou, der Sohn des berühmten Geschichtschreibers, um 15 Jahre älter als Cinqmars, war ein Mann von Verstand, Muth und edlen Gesinnungen. Aber der Cardinal zürnte ihm wegen eines Verhältnisses mit der Herzogin von Chevreuse, einer Dame, die er für seine Feindin hielt und verfolgte. Er versagte ihm deshalb den Zutritt zu allen wichtigen Aemtern. Das unthätige Leben fiel, dem rüstigen Manne zur Last. Er hielt sich an Cinqmars, um unter dieser aufgehenden Sonne in der königlichen Gunst zu wachsen. De Thou war ein Freund des Herzogs von Bouillon. Cinqmars ersah ihn nun, um durch ihn dem Letztern neue Vorschläge zu machen, die Bouillon aber im Anfange ebenso ablehnte, als diejenigen, welche der Günstling ihm persönlich gemacht hatte.

Cinqmars arbeitete nun von einer andern Seite auf sein Ziel los. Der Ehrgeiz und die Sucht nach Rache hatte seinen Flattersinn und die Neigung zu eitlen Lüsten ganz erstickt. Seine volle Kraft der Liebenswürdigkeit und der Ueberredungskünste wandte er an, um den König gegen Richelieu einzunehmen. Er zog offen sein Benehmen bei allen Staatsangelegenheiten durch, schilderte seine Verstöße, Fehler, seinen Eigensinn, der Frankreich erschöpfe, das Ansehen des Königs untergrabe, und den Staat an den Rand des Abgrundes führe.

Wir sagten, daß alle Angriffe und Verschwörungen gegen den Cardinal beleidigte Eigenliebe zum Grunde hatten, und einer höhern, geistigen Idee entbehrten. Das war in Bezug auf die Personen allerdings der Fall, welche diese Verschwörungen anzettelten. Sie handelten ohne moralischen Impuls, nur für sich. Dennoch war ein Grund des Misvergnügens da, ein weit verbreitetes Misvergnügen, welches eine tiefere, moralische Quelle hatte. Richelieu's Politik war die Frankreichs, des zum Bewußtsein seiner europäischen Bedeutung erwachten Frankreichs. Aber indem der Cardinal die Uebermacht des Hauses Habsburg bekämpfte, stritt er gegen die katholischen Interessen, welche Oestreich und Spanien vertraten. Seine Bundesgenossen waren die ketzerischen Schweden, die Protestanten in Deutschland, die reformirten Niederländer, sogar die Sekten in England. Er, der die Reformirten in Frankreich unterdrückt hatte, schloß Bündnisse mit Ketzern, die von deren Seite den Zweck hatten, die protestantische Kirche und Lehre zu schützen gegen die Anstrengungen des Hauses Oestreich, welches sie unterdrücken wollte. Der Fanatismus war in Frankreich noch nicht ausgetilgt. Die katholische Partei sah mit dumpfem Misvergnügen diese Bündnisse an, sie sah einen Cardinal, der, mächtiger als der Papst, ihm Gesetze vorschrieb, der im Wesen alle Maßregeln hinderte, welche zur Verbreitung des katholischen Einflusses hinführten, und ihn mit schonungsloser Härte die ebenbürtigen Verwandten seines Königs behandeln, welche durch Blutsbande und Neigung dieser Partei anhingen. Ihnen galt Richelieu als ein Frevler, dessen Sturz eine Wohlthat für den katholischen Glauben wäre.

Aber noch eine andere loyale Partei, eine große, durch ganz Europa verbreitete, flehte zum Himmel um diesen Sturz. Es war die Partei des Friedens, die Partei der Völker; auch des französischen Volks, das noch nicht zu dem Bewußtsein erwacht war, um die Wohlthat zu würdigen, welche Richelieu's Regierung für Frankreich wirkte. Es wäre zu viel gefodert gewesen, daß ein ganzes Volk in die Zukunft blicken sollte, die den erleuchtetsten Geistern, vielleicht Richelieu selbst, nicht klar vor Augen lag. Das Volk fühlte nur den Druck, die Geißel des Krieges, und Richelieu war es, der ihn wollte, liebte, der immer neues Oel in seine verlöschenden Flammen goß. Denn noch war Oestreich nicht gedemüthigt. Je blutiger, hartnäckiger und verderblicher der dreißigjährige Krieg wurde, desto mehr ostensiblen Eifer zeigten die Mächte, den Frieden wiederherzustellen, aber desto weniger war es ihnen Ernst, ihren Völkern ein Kleinod wieder zu geben, nach dem sie unter den härtesten Drangsalen seufzten. Zwar arbeiteten in Hamburg die schwedischen, östreichischen und französischen Gesandten, Salvius, Lüzau und d'Avaux schon geraume Zeit, um die vorläufigen Bedingungen des Friedens in Richtigkeit zu bringen, und der Tractat vom 25. December 1641 bestimmte, daß nach zwei Monaten die Geleitsbriefe für die Friedensgesandten ausgewechselt werden sollten, welche in Münster und Osnabrück zu verhandeln hätten; aber es galt nur dem Volke ein Blendwerk vormachen und seine lauten, heißen Wünsche mit vergeblichen Friedenshoffnungen hinzuziehen. Weder dem Hause Oestreich, noch Richelieu war es ein rechter Ernst. Der Graf d'Avaux erhielt sogar geheime Befehle: durch alle nur mögliche Ausflüchte den Friedensschluß zu verzögern.

Cinqmars trat vor seinem Könige als Sprecher für sein Volk auf. Er malte Richelieu's Hartnäckigkeit in Fortsetzung des Krieges mit den glühendsten Farben; wie dieser unselige, endlose Krieg das Königreich erschöpfe und dem Könige den Fluch des Volks zuziehe. Ludwig hörte seinen Günstling mit innerm Wohlgefallen an, er lächelte auch, denn er vernahm, wenn für ihn keine Gefahr dabei war, nichts lieber als Schmähungen gegen den gehaßten, großen Mann. Auch lächelte Ludwig noch, als Cinqmars ihm vorstellte, wie der herrschsüchtige Minister ihn in unwürdiger Sklaverei halte und ihm nur den Schalten der königlichen Gewalt lasse. Aber seine Stirn zog sich in finstere Runzeln, sobald Cinqmars ihm vorschlug, den Cardinal sich vom Halse zu schaffen. Ludwig hielt seinen Minister nunmehr für unentbehrlich. Er wurde dann einsylbig und zeigte dem Günstling einen gewissen Kaltsinn, welcher diesen im Zustande seiner Aufregung noch mehr entflammte.

Fontrailles, ein Vertrauter des Vertrauten, der die innern Aengste seines jungen Gönners ansah, gab ihm einen kühnen Rath, den verhaßten Minister durch Meuchelmord aus dem Wege zu schaffen. Cinqmars schauderte vor dem Vorschlage nicht zurück. Die Sittenlehre der Zeit und des französischen Hofes war eine andere, als die uns für die rechte gilt. Er hätte den Cardinal gern ermorden lassen, aber wollte nicht als Opfer eines mislungenen Versuches fallen, und sah sich deshalb zuerst nach einem sichern Zufluchtsorte im Falle des Mislingens und nach einer mächtigen Partei um, auf die er sich stützen konnte.

Die Partei fehlte nicht; ebenso wenig ihr immer bereitwilliges Oberhaupt. Gaston von Orleans, des Königs Bruder, war unermüdlich, nicht im Anzetteln von Verschwörungen, sondern darin, sich zu ihrer Puppe unter dem Titel ihres Oberhauptes herzugeben. Er hatte durch die oftmalige Wiederholung der Rolle eine Fertigkeit darin gewonnen, die Sünde des blutigen Verrathes, wenn er misglückte, wie eine Schlangenhaut abzustreifen, und durch bußfertige Unterwerfung unter dem verhaßten Priester sich für seine Person einen schimpflichen Frieden zu erkaufen. Er wagte nichts: sein fürstliches Haupt ward nicht angerührt. Nur die Häupter seiner Getreuen lieferte er auf das Schaffot, und lebte in Fülle und Frieden, höchstens auf einige Zeit aus der Nähe des Hofes verbannt, fort. Er war daher immer bereit, wenn es eine neue Empörung galt, seinen Namen, seine Unterstützung zu liefern. Die Erinnerung an das blutige Haupt des Montmorency, das für ihn vom toulouser Schaffot gerollt war, kümmerte ihn nicht. Er lebte nicht in den Erinnerungen, nur im Genuß des Augenblicks und in den Phantasien der Zukunft.

Gaston war auch diesmal bereit, in Cinqmars' Pläne einzugehen. Er sollte sich zuvörderst genauer mit dem Herzog von Bouillon verbinden, zu ihm nach Sedan entweichen und von dort seine Klagen gegen den Cardinal-Minister nach Paris senden. Cinqmars wollte, von ihnen unterstützt, einen letzten Versuch auf das Gemüth des königlichen Bruders machen. Zugleich aber, für den wahrscheinlichen Fall, daß dieser Versuch abermals fehlschlüge, müßte man mit Spanien unterhandeln, um von dorther Truppen und Geld zu erhalten und mit gewaffneter Hand einen Einfall in Frankreich zu machen.

Aber Gaston war nicht der Mann, auf den jemals einer seiner Vertrauten baute. Es galt nur, seinen Namen für sich zu haben. Weit wichtiger und nothwendiger war der volle Beistand des Herzogs von Bouillon, ohne dessen Besonnenheit, Tapferkeit und sein festes Sedan, als Zufluchtsort für die Misvergnügten, jede Schilderhebung zur Thorheit wurde. Cinqmars weihte de Thou in seinen ganzen Plan ein, um durch ihn den Herzog zu gewinnen. Aber sobald dieser von dem beabsichtigten Meuchelmord hörte, gerieth er in Entsetzen und erklärte, sein Abscheu vor einer solchen That sei so groß, daß er keinen Schritt thun werde, um eine Unternehmung, die damit in Verbindung stände, zu befördern.

Man ließ also diesen Punkt einstweilen fallen, und ging auf die allgemeinem politischen Combinationen über. De Thou ließ sich bewegen, nach Sedan zu reisen und den Herzog von Bouillon nach Paris zu bringen. Hier schien der Letztere dem Günstlinge ein geneigteres Ohr für seine Pläne zu leihen, als dieser ihm vorschlug, sich mit Gaston von Orleans und den Spaniern in Verbindung zu setzen. Cinqmars rieth ihm deshalb, das ihm zugedachte Obercommando in Italien nicht anzunehmen, weil dies ein Fallstrick des Cardinals sei. Denn so groß für ihn die Gunst erscheine, ein so wichtiges, selbständiges Commando zu führen, nachdem er kaum vor sechs Monaten noch als Rebell gegen Frankreich gefochten und bei Sedan ein französisches Heer geschlagen habe, werde diese Ehre ihm doch nur ertheilt, um seinen Ruhm bei der italienischen Armee wahrscheinlich wieder einzubüßen, und zugleich ihn von dem innern Schauplatze zu entfernen, auf den er, seiner persönlichen Bedeutsamkeit allein entsprechend, auftreten könne.

Bouillon wankte, indessen ereignete sich etwas, was das ganze Complott unnöthig zu machen drohte. Den König befiel eine Schwäche, daß man für sein Leben fürchtete. Der ganze Hof wurde unruhig. Jedermann suchte nach einem Asyl oder einer sichern Stellung in den Veränderungen, welche sein Tod hervorbringen könne. So groß, im allgemeinen Glauben, war Richelieu's Ansehen, daß die Königin selbst, die Mutter des Thronfolgers, fürchtete, er werde, noch allmächtig nach Dessen Tode, der ihm seine Macht übertragen, ihr die Regentschaft über ihre Söhne entreißen. Sie, die legitime Regentin, suchte daher selbst die Gunst des Herzogs von Bouillon. Sie wollte, gleich nach Ludwig's Tode, sich in sein festes Sedan, als Freistatt, zurückziehen. Indessen der König genas, alle Intriguen und Combinationen wurden erschüttert, und Bouillon mußte zum Commando nach Italien abgehen.

Doch war eine Verbindung zwischen ihm und Gaston von Orleans zu Stande gekommen, und Cinqmars Vertrauter, Fontrailles, wurde mit dem Entwurf eines Tractates nach Madrid geschickt, um mit der Krone Spaniens zu unterhandeln. Cinqmars selbst begleitete den König auf seiner Reise nach dem durch den Aufstand der Bevölkerung gegen Spanien ihm nun unterworfenen Catalonien. Auf dieser Reise mußte Richelieu, der dem Könige folgte, bemerken, daß sein Ansehen gesunken war. Cinqmars hatte im Cabinette die Oberhand über ihn gewonnen, obgleich der König ihm nach wie vor die Verwaltung der Staatsgeschäfte überließ.

In Cinqmars' Kopfe gingen nicht weniger als drei Pläne um. Zuerst hoffte er noch immer auf dem Wege der Intrigue und der Ueberredung den König dahin zu überreden, daß er den Cardinal entlasse. Dann wollte er ihn durch eine Mordthat aus dem Wege räumen. Endlich sollte Gaston von Orleans sich offen mit den Spaniern verbinden, in Frankreich einbrechen und durch einen Krieg der Völker und Staaten durch blutige Schlachten und Belagerungen zu dem Ziele hinwirken, daß ein verhaßter Minister entlassen werde.

Sonderbarer Weise beschäftigte sich Cinqmars mit allen drei Plänen zu gleicher Zeit, um, wenn einer fehlschlüge, durch die andern zu seinem Zwecke zu gelangen. Zuweilen schien der König ganz geneigt, auf den ersten einzugehen. Am nächsten Tage war der Cardinal ihm aber wieder der unentbehrliche Mann, ohne den die ganze Staatsmaschine ins Stocken gerathen müßte. Es dünkte ihm gefährlich, ja sein königliches Ansehen beeinträchtigend, einen Mann vor den Kopf zu stoßen, der durch seine Verwandten, die er überall zu Gouverneuren bestellt, im ganzen Lande gebiete und Herr der meisten Festungen des Reiches wäre. Wenn der König über das Elend gerührt war, das ihm der Günstling in allen Provinzen, wo der Krieg gewüthet, vormalte, schloß dieser: »Und dieser Krieg wird nie ein Ende nehmen, so lange der Cardinal dabei eine Stimme hat. Selbst gegen Euer Majestät ausdrückliche Befehle wird er Vorwände finden, um den Friedensschluß zu verzögern.« Um sich davon zu überzeugen, foderte er den König auf, selbst einmal das Geschäft in die Hände zu nehmen und ohne Vorwissen des Cardinals und der Minister eine vertraute Person nach Madrid und Rom zu senden, um sich vom Stande der Friedensunterhandlungen zu unterrichten. Er werde alsdann finden, daß nur der Cardinal dem allgemeinen Verlangen nach Frieden im Wege stände. Der König ward auch wirklich dadurch bewogen, an Cinqmars und Thou eine eigenhändige Vollmacht zu ertheilen, um nach beiden Orten zu schreiben und eine geheime Privatfriedensunterhandlung anzuknüpfen. Wie weit diese Unterhandlung gedieh, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich ward sie von Richelieu entdeckt, und er zerschnitt mit geschickter Hand die Fäden, ohne daß die dabei Interessirten ihn davon abhalten konnten.

Auch gab Cinqmars wenig darauf. Seinem jugendlichen Ungestüm, und Groll sagte mehr eine rasche That zu, durch welche er sich an dem verhaßten Manne schnell, sicher und blutig rächen konnte. Es war während des Königs Aufenthalt in Lyon, wo er wieder ernstlich mit dem Mordplane umging. Aber auch hierbei bewies er seine Unbesonnenheit und seinen Leichtsinn. Er entdeckte sich mehren Offizieren der königlichen Haustruppen. Auch Herrn von Treville, dem Obristen der Musketiere. Dieser war mit Vergnügen dazu bereit, den Cardinal niederzustoßen, und gab dem Günstlinge das Wort darauf, es zu thun, wenn er nur den ausdrücklichen Befehl des Königs dazu erhalte. Dieser war nicht, wenigstens nicht in der Form zu erhalten, wie ihn Treville begehrte; denn der Wunsch des Königs, den dieser einst laut in seiner Gegenwart äußerte: »daß er doch des Cardinals los wäre!« galt dem vorsichtigern Militair nicht dafür.

Cinqmars ließ nun die Offiziere zweier Regimenter, welche er in der Auvergne anwarb, nach Lyon kommen, und sprach mit ihnen, und mit mehren andern Edelleuten aus der Provinz von seinem Vorhaben, nicht wie das Haupt einer Verschwörung zur nächtlichen Versammlung der Verschworenen redet, mit verhaltenem Grimm, aber vorsichtig die Worte abwägend, zweifelhafte Ausdrücke gebrauchend, damit im schlimmen Falle eine Ausrede vor Gericht möglich wird, sondern er sprach zu den Herren wie der Anführer einer Jagdpartie von einer Hetze, auf deren glücklichen Ausgang er hofft. Alles schien verabredet, und des Cardinals Haupt dem sichern Tode geweiht. Aber der König blieb sechs Tage in Lyon, und von einem zum andern Tage ward die Ausführung aufgeschoben. Der Günstling wollte nicht die That allein wagen, nicht allein die Verantwortung auf sich nehmen. Er verlangte, daß die Herzöge von Orleans und Bouillon zugegen waren. Aber sie kamen nicht; sie blieben vielmehr mit gutem Vorbedacht weg, um ihre Hände von einer Frevelthat rein zu behalten, deren Früchte sie im günstigen Falle gern geerntet hätten.

Zur selben Zeit hatte Cinqmars Unterhändler in Madrid seinen dritten Plan gefördert. Fontrailles schloß am 13. März einen Tractat ab; einen Tractat zwischen der Krone Spaniens und dem Oberstallmeister des Königs von Frankreich! Seine elf Artikel besagten Folgendes:

Der Hauptzweck desselben sei, einen billigen Frieden zwischen Frankreich und Spanien zu vermitteln. Deshalb solle »nichts Nachtheiliges wider den allerchristlichsten König, oder dessen Staaten, oder die Rechte der regierenden Königin vorgenommen werden.« Die dunkeln Worte zielten auf die Regentschaft der Königin bei dem möglichen Todesfall des Königs.

Sobald es irgend thunlich, solle Spanien 12,000 Fußvölker und 5000 Reiter von den alten deutschen oder spanischen Truppen »hergeben«.

Außerdem 400,000 Thaler baar zu Werbungen, sobald der Herzog von Orleans sich in einer bestimmten Festung (Sedan) befinden werde.

Desgleichen einen Zug schweren Geschützes und Proviants bis die Truppen in Frankreich eingerückt wären. Dann sollten die Spanier für ihren eignen Unterhalt sorgen.

Alle in Frankreich zu erobernden Plätze sollten der Partei des Herzogs von Orleans übergeben werden.

Dieser erhält außerdem 12,000 Thaler monatlich.

Er erhält das Obercommando über die Truppen. Wenn der Erzherzog Leopold zum Gouverneur der Niederlande ernannt wird, so empfängt Orleans durch ihn die kaiserlichen Befehle.

Kaiserliche Generalspatente wurden zweien nach dem Tractat zu benennenden Herren (Bouillon und Cinqmars) zugesichert.

Außerdem diesen beiden Herren ein Jahrgehalt von 80,000 Ducaten. Um die feste Stadt (Sedan) mit allem Nothwendigen zu versehen, wurden dem Herrn, welchem diese Stadt gehörte, 300,000 Livres versprochen; und bedürfe er noch mehr Hülfe, noch 500 Centner Pulver, und namentlich 25,000 Livres für die Besatzung.

Ohne gegenseitige Einwilligung sollten weder Spanien, noch der Herzog von Orleans Friede schließen.

Letzterer und seine ganze Partei sollten sich für Feinde Schwedens und aller Feinde des Kaisers und des Königs von Spanien erklären.

Dieser Tractat, so bestimmt in seinen Einzelheiten, verräth doch in seiner ganzen vaguen Haltung die Unsicherheit seines Fundamentes, und daß Cinqmars nicht der Mann war, um einen Staatsmann wie Richelieu aus dem Sattel zu heben. In einem Augenblick, wo Spanien seine eignen Länder nicht mehr schützen, wo es die Verträge mit seinen altern sichern Bundesgenossen selten erfüllen konnte, indem es weder die versprochenen Truppen, noch Gelder zu senden im Stande war, ließ er sich große Summen, Jahrgelder, Truppen, Kanonen, Centner Pulver, alle auf dem Papier genau berechnet, versprechen, während er aus der Erfahrung wissen mußte, daß, wenn Spanien sie hergeben konnte, um seinen Feind zu vernichten, es das von selbst gethan hätte. Aber durch welche Mittel konnte er seinen Bundesgenossen zur Erfüllung eines Contractes zwingen, den dieser noch immer aus Mangel und Trägheit bei früheren ähnlichen Bündnissen gebrochen hatte? Wenn Cinqmars Spanien den Willen und die Kraft zutraute, ihn bei seinem gefährlichen Unternehmen zu unterstützen, hätte es dieses formlosen Papiers nicht bedurft, das zu nichts diente, als später an ihm zum Verräther zu werden.

In wie weit Ludwig der Dreizehnte von diesem Tractat unterrichtet war, ist eben so wenig ermittelt, und wird es jemals werden, als ob und in wie weit er von dem Ermordungsplan Kenntniß hatte. Bei der spätern Untersuchung strafte er, als ihn Cinqmars der Mitwissenschaft bezüchtigte, diesen der Lüge. Eines Königs Worten mußte das Gericht und die Politik Glauben schenken. Richelieu aber glaubte der Angabe, obwol ihn seine Politik diesen Glauben noch strenger zu verbergen zwang. Man weiß, daß der König den Cardinal haßte, daß er mehr als ein Mal gewünscht, seiner los zu sein, daß er diesen Wunsch auch wol äußerte, daß, wenn ihm eines Morgens die Nachricht unerwartet gebracht wäre, der Cardinal sei todt, er sie eben so vergnügt hingenommen hätte, als da die frühern Günstlinge, deren selbstischer Herrschsucht er überdrüssig war, ermordet wurden, oder als seine herrschsüchtige und intrigante Mutter aus dem Reiche flüchtete. Aber nimmermehr hatte er die Kraft gehabt, was er wünschte zu befehlen, oder in deutlichen Worten gut zu heißen. Man erzählt, daß er Cinqmars vor seinem Unternehmen gewarnt habe, er möge bedenken, was er wage, und daß er allein die Folgen zu tragen hatte. An diese stillschweigende Zustimmung zu glauben, wird man noch mehr geneigt, wenn man das immer engere Verhältniß, in das sein Günstling zu ihm trat, betrachtet.

Der König, sein Günstling und der Cardinal waren zur Armee an der Grenze von Spanien abgegangen. Perpignan wurde belagert, und Ludwig, obgleich am Podagra leidend, begab sich selbst mit Cinqmars in das Lager, um die Arbeiten zu betreiben. Richelieu mußte, krank, in Narbonne zurückbleiben, und seine Abwesenheit vermehrte das Ansehen des Stallmeisters. Der Cardinal konnte nur durch seine Abgesandten, die Minister Chavigni und Desnoyers, dem Könige seine Sachen vortragen lassen, und sie brachten ihm den traurigen Bericht zurück, daß die Kaltsinnigkeit des Königs gegen des Cardinals Anhänger sich mit jedem Tage vermehre. Der Cardinal Mazarin, welcher in seinem Auftrage Cinqmars' Thun und Lassen beobachten sollte, brachte ihm keine erfreulichern Botschaften.

Cinqmars suchte durch freundliches Benehmen, durch reiche Geschenke an die Offiziere und Geldaustheilungen an die Soldaten die Armee für sich zu gewinnen. Diese theilten sich schon in zwei Parteien. Die Anhänger Richelieu's nannte man die Cardinalisten, die des Oberstallmeisters, oder des Königs, wie sie es lieber wollten, Royalisten. Von den beiden Marschällen, welche das Belagerungsheer commandirten, war der Marschall de la Meilleraye ein entschiedener Anhänger des Cardinals. Der berühmte nachmalige Marschall von Schomberg unterhielt sich oft allein mit Cinqmars, und Einige meinten, er habe ihn in sein Interesse gezogen, denn die Angelegenheiten der Parteien wurden beim Heere ganz offen besprochen. Unterrichtetere aber waren der Ansicht, Schomberg stellte sich nur als Cinqmars' Freund, um ihn zum Besten des Ministers, dessen Interesse er anhing, auszuforschen. Sie hatten richtiger gesehen.

Seit dem Tage der Dupe war Richelieu zum ersten Mal wieder in gerechter Furcht und in einer Gemüthsunruhe, die der große Staatsmann nicht mehr kannte. Damals stellte man eine Puppe auf, aber wäre er unterlegen, so war es vor großen moralischen Gewalten. Eine erzürnte Mutter hätte über das Herz ihres Sohnes triumphirt. Damals war er, wenn nicht Anfänger in seiner Kunst, doch noch nicht so hoch gestiegen, daß ihn nicht menschliche, ebenbürtige Kraft herunterstoßen konnte. Jetzt war es anders. Wer in Frankreich konnte sagen: Ich bin würdiger als Du, das Staatsruder zu führen! Seine jahrelange Arbeit, das Product seiner unermüdeten Geistesthätigkeit sollte ihm durch die jämmerlichste Intrigue armseliger, von ihm verachteter Intriguanten entrissen werden. Menschen ohne Ideen, Kenntnisse, Charakter, Entschlossenheit im Denken und Handeln sollten ihn in einem Augenblick um Alles bringen und sein Werk umstürzen. Und wer war an ihrer Spitze? Ein halber Knabe, ein eitler, unbesonnener, unbeständiger Günstling des Glücks, ein Weiberheld, seine eigne Creatur, die er als Puppe hingestellt, und die Puppe war lebendig geworden, um mit einem Richelieu in die Schranken zu treten!

Der König ließ sich mehre Tage nicht nach seinem Wohlbefinden erkundigen. Das war für alle Höflinge ein deutliches Zeichen, wie die Sachen standen. Mit Sturmeseile verbreitete sich durch das ganze Königreich das Gerücht, Richelieu werde nächstens seiner Stelle entsetzt werden. Er selbst glaubte es. Der große Mann, der nie gebeten hatte, bat. Nicht seinen König, er suchte nach auswärtiger Hülfe, um sich zu erhalten. Richelieu war krank. Dies mag es erklären, wenn ein Mann, von dem man erwartet, daß er sich nicht selbst verlieren konnte, wenn gleich er sich verloren geben mußte, den Prinzen von Oranien durch den Gesandten, Grafen Estrades angehen ließ, daß er für ihn bei seinem eignen König ein Wort einlege und Ludwig vorstelle, wie wichtig, ja unentbehrlich seine Dienste wären!

Die Spanier schlugen, sehr unerwartet, in dem Treffen bei Hennecourt die Franzosen. Einige meinten, der Cardinal habe dem französischen Feldherrn Befehl gegeben, sich schlagen zu lassen, um den König in Verlegenheit zu setzen und ihn zu überzeugen, daß er ohne seines Ministers thätige Hülfe nichts vermöge. Aber es wäre ein gefährliches Mittel gewesen, da Ludwig Richelieu's Feinden nie mehr Gehör gab, als wenn schlimme Nachrichten einliefen. Cinqmars hätte leicht die Gelegenheit benutzen können, um des Cardinals Ungnade vollständig zu machen.

Könnte man eine solche Politik des Ministers sich als möglich denken, so schlug sie diesmal zu seinen Gunsten ein. Der König war von der Nachricht erschüttert wie ein zaghaftes Kind sah er sich nach der Stütze um, an die er sich hielt, und die für ihn alle Wetterschläge aushalten mußte. Er schrieb einen sehr gnädigen Brief an den Cardinal und zog ihn wieder zu Rathe. Die Gunst für ihn schien neu aufgelebt, die des Favoriten abzusterben.

Richelieu traute aber der Sache noch nicht. Die Wagschale konnte ebenso leicht wieder umschlagen, und der schwache Monarch ihn der Wuth seines Feindes überlassen. Er wurde kränker und machte sein Testament. Die Aerzte riethen ihm, nach Tarascon zu gehen, um den dortigen Gesundbrunnen zu brauchen, Andere meinten, er habe sich nur aus Furcht vor Cinqmars' Dolchen von Narbonne entfernt, da ihm der Gouverneur, Graf von Alais, für seine Sicherheit in Tarascon zu bürgen versprochen.

Schon auf dem Wege nach Tarascon erhielt Richelieu eine Botschaft, die seine Unruhe in Freude verwandelte. Allen Muthmaßungen nach hat er von Schomberg die ersten Mittheilungen über den madrider Tractat erhalten; ein Packet, welches ihm auf der Reise nach Tarascon überreicht wurde, setzte ihn in die Gewißheit, deren er bedurfte. Chavigny, Richelieu's getreuester Minister, eilte mit geheimnißvoller Miene und einem Pack Briefschaften zum Könige. Die lange, geheime Unterredung desselben mit dem Boten setzte Cinqmars in große Unruhe. Doch, seinem Glücke vertrauend, floh er nicht, sondern begleitete den König nach Narbonne.

Er hatte bei Ludwig einen geheimen Advocaten. Es war nicht die persönliche Zuneigung, es war der Argwohn, welchen der König gegen Alles hegte, was von Richelieu ausging. Ludwig sah in dem entdeckten Tractat nur einen neuen Kunstgriff, den der Cardinal gebrauche, um ihn gegen Cinqmars einzunehmen. Auch er hatte die Laune, er wollte nicht, wenigstens nicht grob hintergangen sein, und Chavigny bedurfte der allernachdrücklichsten Vorstellungen, und als auch diese nichts fruchteten, der Hülfe des königlichen Beichtvaters. Erst den Ermahnungen des Pater Sirmond gelang es, den König zu überzeugen, daß es seine Gewissenspflicht wäre, die gegen seinen Günstling vorgebrachten Beschuldigungen nach der gewöhnlichen Rechtsform untersuchen zu lassen.

Cinqmars, leichtsinnig und unvorsichtig wie immer, blieb trotz seiner Ahnung, daß die Sache sich zum Schlimmen wenden könne, in Narbonne, mit Lustbarkeiten und Zerstreuungen beschäftigt. Von seinem Geheimniß hatte er mit so vielen Leuten gesprochen, daß man schon ganz offen davon redete. Seine Freunde riethen ihm vergebens, auf seine Sicherheit bedacht zu sein. Namentlich bat ihn Fontrailles, mit ihm nach England zu fliehen. Cinqmars schlug die Warnung in den Wind. Er glaubte, der Cardinal sei dem Tode so nahe, daß keine Gefahr mehr von ihm zu erwarten stehe. Im schlimmsten Falle verließ er sich auf des Königs Gunst.

Am 14. Juni 1642 ward endlich der Verhaftbefehl wider Cinqmars, de Thou, den Herzog von Bouillon und einige untergeordnete Anhänger erlassen. Cinqmars ward in seinem Hause ergriffen, nachdem er jetzt endlich vergebens versucht, aus der Stadt zu entkommen. De Thou war schon einige Stunden früher mit dem hugenottischen Edelmann Chavagnac, einem Anhänger Cinqmars', gefangen worden. Doch hatte der Letztere noch Gelegenheit gefunden, vorher seine Papiere zu verbrennen. Der Mehrzahl der Verschworenen gelang es, sich zu verbergen und später ins Ausland zu fliehen. Fontrailles namentlich rettete sich mit den wichtigsten Urkunden nach England.

Vorsichtiger mußte man mit dem Herzog von Orleans zu Werke gehen. Cinqmars' Verhaftnahme hatte ihn leicht bewegen können, zu den Spaniern zu fliehen. Man that daher alles Mögliche, ihn zu beruhigen, bis die Befehle, die man nach allen Seiten abschickte, um seine Flucht zu verhindern, an den Grenzen angelangt waren. Man stellte sich, als wisse man von seiner Verbindung mit Cinqmars nichts, und der König ließ ihm melden, daß er ihn zum Oberbefehlshaber der Armee in der Champagne ernennen wolle, um den durch die Niederlage bei Hennecourt entmuthigten Truppen durch die Gegenwart eines königlichen Prinzen neuen Muth zu geben. Wenn ihn der König zu einem so wichtigen Posten berief, konnte Gaston freilich nicht argwohnen, daß er von seinem mit den Spaniern abgeschlossenen Bündnisse wisse. Ludwig täuschte seinen Bruder noch durch einen eigenhändigen Brief, in welchem er ihm von Cinqmars' Verhaftung Nachricht gab; aber es sei nur geschehen, weil der Favorit die schuldige Ehrfurcht gegen ihn aus dem Auge gesetzt. Gaston glaubte, oder stellte sich, als glaube er. Auch als er nach wenigen Tagen enttäuscht wurde, fiel er nicht aus seiner in so vielen Empörungen erprobten Rolle. Er sandte augenblicklich einen gewandten schlauen Mann an den Cardinal, um die Aussöhnung mit demselben zu bewirken, und ging die Minister Desnoyers, Chavigny und Mazarin mit Bittschriften an, sich für ihn zu verwenden. Das Schicksal seiner Mitverschworenen lastete niemals schwer auf seinem Herzen, welches jede Last leicht von sich abzuwälzen verstand.

Den Herzog von Bouillon als Oberbefehlshaber der italienischen Armee, die er durch seinen Ruf, Leutseligkeit und Freigebigkeit schon gewonnen, inmitten derselben gefangen zu sehen, erforderte ebenfalls einige Vorsicht. Es ergingen Schreiben an die Unterbefehlshaber, andere an alle Offiziere der Armee; alle Boten, die ihm von der androhenden Gefahr Nachricht bringen konnten, wurden zurückgehalten. So ward er in Casale verstrickt, konnte nicht mehr aus der Stadt flüchten, und mußte sich in ein schlechtes Wirthshaus in einer Sackgasse verstecken, wo ihn der Wirth zwar für seine Geldbörse zu verbergen geneigt war, die Frau desselben aber aus Furcht angab. Bouillon war in Gefahr, von dem Pöbel bei seiner Verhaftung zerrissen zu werden, da man demselben vorgespiegelt hatte, der Herzog habe die Stadt den Spaniern verrathen wollen.

Die Freude des Triumphes röthete die blassen Wangen des kranken Cardinals. Er hatte aber zu lange in bangen Schmerzen verbracht, und wollte noch vollständiger triumphiren. Der kranke König mußte aus Narbonne zu dem kranken Cardinal nach Tarascon kommen. Ludwig war noch so schwach und von der Reise ermattet, daß er sich auf ein kleines Bett legen mußte, welches man neben dem Krankenbett, des Cardinals hingestellt hatte. Ehe sie zu einander sprachen, vergossen sie Thränen, die aus den verschiedensten Quellen entsprangen. Der König legte eine Art von Bekenntniß und Abbitte ab, und der Cardinal dankte ihm für die Gütigkeit und Gnade, daß er den Verleumdungen nicht Gehör geliehen, welche seine Feinde zu seinem Verderben ausgesonnen hatten. Dem Scheine nach erfolgte eine vollkommene Aussöhnung. Der König opferte dem Cardinal nicht allein den Liebling, den er wenige Tage vorher noch mit Liebkosungen überhäuft hatte, sondern er bot ihm auch, im drückenden Gefühl Dessen, was er für Verschuldung hielt, und was doch nur die Angst einer schwachen Seele war, seine eigenen Kinder als Geiseln seines Vertrauens und seiner Freundschaft an.

Des Königs war Richelieu einstweilen sicher; aber sein Herz dürstete nach Rache, er wollte, er mußte die Frevler verderben, die das gewagt. Aber ihm fehlten die Beweise, die ein formelles Urtheil rechtfertigten.

Richelieu suchte nach einem Ankläger und Zeugen umher. Er fand und wählte ihn unter den Verschworenen. Gaston von Orleans war ihm weder gefährlich noch verhaßt. Es war sein Geschäft, Verschwörungen machen, es war seine Bestimmung, daß sie alle misglückten. Wie in bitterm Hasse gegen den bejammernswerthen Fürsten, den er an einer Kette führte, wählte er dessen eigenen Bruder, daß er gegen sich und seine Freunde zeuge. Der früher erwählte Abgesandte Gaston's, der schlaue Abbé de la Rivière, welcher demüthige Friedensvorschläge machen sollte, wurde vom Könige königlich, vom Cardinal diplomatisch abgefertigt. Richelieu erklärte, Gaston habe sich einer Schandthat schuldig gemacht, um die auch ein königlicher Prinz sein Leben verwirkt habe; wenn er aber eine umständliche und aufrichtige Erklärung von Allem, was vorgegangen, aufsetze und schriftlich einreiche, sei es möglich, daß die königliche Gnade ihm das Leben schenke und ihm erlaubt werde, in anständiger Verbannung in Venedig zu leben.

Richelieu ließ Gaston durch Truppen unter dem Grafen von Noailles bewachen, den König selbst durch Mazarin, Desnoyers und Chavigny, die ihn auf der Rückreise nach Paris begleiten mußten. Von jeder Aeußerung des Monarchen mußte ihm Bericht erstattet werden, bei jeder Frage, die er nicht im voraus entschieden hatte, mußte einer der Minister schleunigst zu dem kranken Cardinal nach Tarascon zurückfliegen, um neue Verhaltungsbefehle einzuholen. Ihr specieller Auftrag war, Alles anzuwenden, daß Cinqmars auf ewig aus der Gunst des Königs ausgelöscht werde. Sie kamen dem Auftrage nur zu getreulich nach und hinterbrachten dem Könige täglich solche Nachrichten über ihn, daß seine Gunst in völlige Erbitterung umschlug.

Anfänglich wurde Cinqmars wie ein vornehmer Staatsverbrecher behandelt, dem plötzlich die Sonne der Gnade wieder lächeln kann. Man ließ ihm eine große Bedienung, man verstattete ihm die Freiheit, spazieren zu gehen. Allmälig ward die Zahl der erstern eingeschränkt, die letztere Freiheit ihm ganz entzogen. Die Offiziere, die man ihm als Gesellschafter, Wächter und Spione ließ, mußten ihm im Gespräch die Verbrechen, deren ihn der Ruf beschuldigte, beständig vorhalten und ihn ermahnen, offenherzig lieber Alles zu bekennen, da für diesen Fall der Cardinal, der keinen eigentlichen Groll gegen ihn im Herzen trage, ihm um seiner Jugend willen verzeihen werde. Richelieu berechnete dabei das unbesonnene, hitzige, aufbrausende Temperament des Jünglings, erhoffte, ihm würden in diesen Gesprächen Schmähreden gegen ihn und Aeußerungen entfahren, welche zum Beweise gegen ihn beim Processe dienen könnten. Er hatte sich nicht getäuscht. Cinqmars konnte seine Zunge nicht im Zaume halten. Er gab zu verstehen, er wäre wol Willens gewesen, den Cardinal umzubringen; aber der König hätte darum gewußt; ja er hätte seine Einwilligung dazu gegeben. Der Cardinal, äußerte er zu anderer Zeit, hätte wohl Ursach, mit ihm übel umzuspringen; er thäte darin nichts, was nicht klug und recht wäre. In den Momenten der Muthlosigkeit rief er aus: wenn man ihm nur Gnade verspräche, wolle er Dinge offenbaren, die man sonst nie von ihm erfahren werde. Aber wenn er einmal sterben solle, wolle er mit Ehren sterben.

Den Herrn von Thou hatte der Cardinal zu sich nach Tarascon bringen lassen, um einen Mann zur Hand zu haben, von dem er glaubte, daß er in alle Geheimnisse der Verschwörung eingeweiht sei. Er hoffte durch eine geschickte Behandlung von ihm die vollständigsten Nachrichten zu erhalten. Aber de Thou war vorsichtiger als Cinqmars, er verrieth sich in keiner Art. Der kranke Cardinal übernahm es selbst, ihn zu inquiriren. Er ließ ihn in sein Zimmer kommen und den Gefangenen sich neben sein Bett setzen. Er fragte ihn: wie es mit den in letzter Zeit gepflogenen Friedensverhandlungen stehe? Thou erwiederte: das könne Niemand besser wissen als der Cardinal. Als Richelieu entgegnete: er habe kein Verständniß in Spanien, könne es folglich so eigentlich nicht wissen, sagte de Thou: »Monseigneur! was ich gethan habe, habe ich auf Befehl des Königs gethan. Ich kann nicht glauben, daß Seine Majestät Ihnen nicht selbst die mir ertheilten Befehle mitgetheilt hätten.« Richelieu fragte ihn nun: ob er nicht auch nach Rom und Madrid geschrieben habe? Der Gefangene bejahte es, aber es sei auf den schriftlichen Befehl des Königs geschehen. Auf die Frage: wo dieser Befehl sei? antwortete er: in sichern Händen, und man würde ihn vorlegen, wenn es an der Zeit sei. Die Ehre des Königs mußte in diesem Processe geschont werden; man drang also nicht weiter auf Vorlegung des königlichen Befehls.

Der vorläufige Proceß wurde durch einen von Richelieu ernannten Commissar eröffnet. Der Cardinal hatte selbst alle Fragen bei de Thou's Vernehmung vorgeschrieben. Aber auch hier benahm sich derselbe mit einer Ruhe, welche seine Richter verwirrte, und verrieth sich auch nicht durch eine unbesonnene Aeußerung. Man hielt ihm die verschiedenen Reisen vor, die er unternommen, um eine Vereinigung zwischen den Verschworenen zu Stande zu bringen, seine genaue Bekanntschaft mit Cinqmars und Fontrailles und deren Unternehmungen gegen den Staat und den ersten Minister. Er erwiderte: seine Reisen hatten Freundschaftsdienste zum Grunde gehabt. Er sei zwar ein genauer Freund Cinqmars' und kenne den Herrn von Fontrailles durch lange Jahre; allein Beide hätten ihm nie etwas von einer Verschwörung oder Unternehmungen gesagt, welche der Schuldigkeit gegen den König zuwiderlaufe. Auch hatte er nie in ihrem Benehmen etwas Sträfliches bemerkt. Man verwies ihn darauf, daß Alle, welche von Tractaten, Verschwörungen und Unternehmungen wider die Sicherheit und Ruhe des Staates Wissenschaft hätten, wenn sie davon keine Anzeige machten, als Beleidiger der Majestät angesehen wurden und eben so strafbar wären, als die Anstifter selbst. De Thou sagte, eine solche Verantwortlichkeit, welche die Gesetze bedingen sollten, wäre ihm nicht bekannt. Indessen wolle er nicht an der Verbindlichkeit zur Anzeige in diesem Falle zweifeln; da er aber nichts gewußt, so habe er auch nichts anzeigen können.

Weit ergiebiger war das Verfahren gegen Gaston von Orleans. Der schwache Prinz, erschreckt, daß der Tractat mit Spanien kein Geheimniß mehr sei, entsetzt vor der Aussicht, nach Venedig verbannt zu werden, oder daß der Proceß gar ihm ans Leben gehen könne, vergaß augenblicklich seine Stellung und die moralischen Pflichten gegen seine Vertrauten. Er schrieb die unterwürfigsten Briefe an den Cardinal und erbettelte in sklavischen Ausdrücken den Schutz und die Gnade eines Mannes, welcher einst ein Hausbediente seiner Mutter gewesen. Er nahm alle Bedingungen an, welche ihm der Cardinal vorschrieb, und erbot sich, Alles, und in welcher Form man wolle, zu gestehen, was er nur wisse. Freiwillig erzählte er in zwei eingesandten schriftlichen Erklärungen, was zwischen dem Herzoge von Bouillon, Cinqmars, Fontrailles und ihm in Bezug auf den Tractat mit Spanien vorgegangen war, und beschuldigte de Thou, daß er von Cinqmars' Verbindung mit ihm gewußt und sich noch bemüht habe, auch den Herzog von Beaufort mit hineinzuziehen. Von dem Vorhaben, den Cardinal zu ermorden, habe er »keine Wissenschaft, aber eine geringe Vermuthung« gehabt.

Cinqmars wurde zuerst am 20. Juli zu Montpellier verhört. Er leugnete Alles. Er wollte nichts von einem Anschlage wissen, den Cardinal zu ermorden, nichts von einer besondern Vertraulichkeit mit den Herzögen von Orleans und Bouillon und ebenso wenig von einem Tractat mit Spanien.

Offener ließ sich der Herzog von Bouillon beim Verhör aus. Er entdeckte Alles, was in den geheimen Unterredungen zwischen ihm, dem Herzog von Orleans und Cinqmars vorgekommen war. Aber er behauptete mit Festigkeit, er habe dem Herrn von Fontrailles verboten, in seinem Namen dem spanischen Hofe Vorschläge zu thun. Nur für den Fall, daß der König mit Tode abginge, habe er dem Herzoge von Orleans versprochen, ihn in Sedan aufzunehmen. Feierlich bezeugte er, de Thou sei nie bei ihren Unterredungen gegenwärtig gewesen; auch habe er mit Cinqmars ausgemacht, daß man diesem nie etwas von dem Tractat mit Spanien sagen solle.

Der Hauptzeuge, dessen Zeugniß die Andern verderben sollte, blieb dennoch Gaston von Orleans. Aber er hatte es zur Bedingung seiner Angabe gestellt, daß man ihm nicht zumuthe, seine Erklärung in der persönlichen Gegenwart der Angeklagten zu wiederholen. Allerdings wäre es etwas Schimpfliches für einen königlichen Prinzen von Frankreich gewesen, als Ankläger und Zeuge zugleich sich Denen gegenüberstellen zu müssen, die zu seinem Vortheil in eine verbrecherische Verbindung sich eingelassen, und denen er das Versprechen gegeben hatte, die Sache jederzeit vollkommen verschwiegen zu halten. Aber nach dem gültigen Rechte mußten Ankläger und Zeugen mit den Angeschuldigten confrontirt werden; diese konnten es verlangen. Die alte Ordnung mußte der Umstände wegen umgangen werden. Deshalb ward dem Kanzler anbefohlen, ein Mittel auszusinnen, um den Bruder des Königs mit der Kränkung zu verschonen, ohne daß der Beweis, den man aus seinem Zeugniß ziehen wollte, dadurch entkräftet würde. Der Kanzler erfand den Ausweg. Statt der Confrontation sollte es genügen, wenn er, der Kanzler, sich zum Herzog verfügte und in Gegenwart von fünf oder sechs Commissarien, welche beim Proceß Richter sein sollten, seine Aussage zu Protokoll nähme. Auf diese schriftliche Aussage hätten sodann die Verklagten zu antworten. Die Antworten und Einwendungen würden dem Prinzen wieder vorgelegt und auf diese Weise, eine schriftliche Confrontation statt der persönlichen angestellt. Das Gutachten der berühmtesten Rechtsgelehrten des pariser Parlamentes billigte diesen Ausweg, auf den Grund hin, daß niemals ein Prinz von Frankreich in einem peinlichen Processe nach der gewöhnlichen Form einer Zeugenaussage wäre abgehört worden. Man hätte sich vielmehr immer mit einer von ihm eigenhändig unterschriebenen Erklärung begnügt, die zu den Acten genommen wäre. Die vom Kanzler vorgeschlagene Rechtsform würde also die Aussage des Prinzen nur noch feierlicher und rechtsbeständiger machen. Eine Erklärung des Herzogs von Orleans in dieser Form wäre daher in eben der Art gültig, als die von Privatpersonen in einer gewöhnlichen Confrontation abgegebene.

Im August verließ endlich der Cardinal Tarascon, um sich nach Lyon zu begeben. Es waren wichtige Dinge inzwischen vorgefallen. Seine Hauptfeindin, Maria von Medici, war, von allen ihren Freunden verlassen, ausgestoßen aus England, Spanien, den Niederlanden, Holland, im Elend in Köln gestorben. Sie hatte allen ihren Feinden auf dem Todbette vergeben; nur als man sie fragte: »auch dem Cardinal Richelieu?« antwortete sie: »Sie dringen zu sehr in mich« und starb. Ihr Dasein hatte Richelieu nicht mehr gekümmert; es war eine vollkommen überwundene Feindin. Ihr Tod erfreute und rührte ihn nicht; ihr Fluch war ihm gleichgültig. Ihm lebten wichtigere Feinde, und er, der Todkranke, lebte in diesem Augenblicke nur einem Gefühl, dem der süßen Rache an Gegnern, die er eben so verachtete, als sie ihm, noch wenige Monate vorher, gefährlich gewesen. Sie zu vernichten, war eine Sache der Nothwendigkeit, vielleicht der Gerechtigkeit, es sollte aber auch eine Lust sein für den so tief und schwer noch nie Gekränkten.

Weil der Kranke die Bewegung der Sänfte nicht ertragen konnte, fuhr er zu Schiffe auf der Rhone. Gleichsam im Triumph führte er in einem zweiten in Schlepptau genommenen Schiffe, hinter sich den gefangenen de Thou. Der Kranke in seinen Pfühlen blickte, wenn der Todesgedanke ihn beschlich, auf den Gefangenen im andern Kahne; er, ein Sterbender, auf den Gesunden, den er noch wollte sterben sehen, ein Opfer seiner Rache. Cinqmars war auf einem andern Wege zu Lande nach Lyon gebracht worden. Zu Valence verließ auch Richelieu wieder den Kahn, um auf einem, eigens für ihn erbauten großen Tragstuhle, auf dem ein Bett, ein Sessel und ein Stuhl sich befand, sich von seinen Leibtrabanten zu Lande weiter tragen zu lassen. Dies bewegliche Zimmer, mit rothem Damast bei schönem Wetter überzogen, wenn es aber regnete, noch mit Wachstuch bedeckt, ward von achtzehn seiner Leibtrabanten getragen, die aus Ehrerbietung gegen ihre ehrwürdige Last den Hut beständig in der Hand hielten; auch wenn es stürmte und regnete bedeckte Keiner den Kopf.

Die drei Hauptverklagten und ihr Hauptankläger waren nun zusammen in Lyon. Jene in abgesonderten Castellen, unter festem Gewahrsam. Der förmliche Criminalproceß begann, nachdem der Kanzler mit fünf Staatsräthen und zwei Requetenmeistern nach Beaujolais gereist war, um dort, dem Vertrage mit Orleans gemäß, diesen zu Protokoll zu vernehmen. Noch in der vollen Zerknirschung hatte Gaston Alles bestätigt, was er früher erklärt, und auf das Umständlichste die Unterredungen zu Papier gegeben, die er mit Cinqmars und Bouillon hinsichts des Gehens nach Sedan und wegen des Tractats mit Spanien gehabt. Ja er überreichte sogar freiwillig eine Abschrift dieses Tractats, nachdem er versicherte, daß das Original verbrannt sei. Aber auch hier, in diesem vollständigen Verhör, sagte er hinsichts de Thou nicht aus, daß er von diesem Tractate etwas gewußt, sondern nur von seinen Bemühungen, um den Herzog von Beaufort zu bewegen, daß er sich mit den Andern vereinige.

Ebenso offen legte der Herzog von Bouillon sein Geständniß ab, das von dem frühern, außergerichtlichen in nichts Wesentlichem abwich. Er habe den Verbündeten Sedan nur für den Fall des Todes des Königs öffnen wollen; den Tractat mit Spanien hätten sie gegen sein Abrathen geschlossen, und er habe Fontrailles ausdrücklich verboten, seiner, in diesem Tractat Meldung zu thun. Von de Lhou wußte er nichts Schlimmes, als daß dieser ihm immer gegen die Versprechungen des Hofes ein großes Mistrauen zu hegen empfohlen habe. Uebrigens habe auch Cinqmars ihn mehrmals versichert, daß de Thou von dem Tractat nichts wisse.

Orleans' Schicksal war in voraus bestimmt. Die. Begnadigung für sein geständiges Vergehen war durch die Politik bedingt und durch den schandvollen Vertrag in voraus besprochen und in Ordnung gebracht. Auch der Herzog von Bouillon sollte dem Aergsten entgehen, aber ebenfalls nur durch den Einfluß politischer Rücksichten. Der Cardinal, wiewol er ihn nicht persönlich haßte, hatte doch gern das Haupt des angesehenen Mannes, der als ein selbständiger Charakter ihm feindlich so oft in den Weg trat, gern auf dem Schaffot fallen gesehen. Die Bitten des Prinzen von Oranien für seinen Neffen konnten indeß nicht unbedingt zurückgewiesen werden. Aber zwei Häupter mußten wenigstens fallen als Sühnopfer für den Verrath, und Richelieu selbst beschäftigte sich während seines Verweilens in Lyon mit diesem Proceß wie mit einer Lieblingsangelegenheit.

Cinqmars leugnete alle Punkte ohne Ausnahme, die ihm nachtheilig sein konnten. Auch protestirte er gegen den Kanzler als Richter wegen gewisser Zwistigkeiten, welche zwischen ihnen ehedem obgewaltet hatten. Auch noch bei der Confrontation mit Bouillon leugnete er mit vollkommener Dreistigkeit diesem ins Gesicht und widersprach der Erklärung des Herzogs von Orleans, die ihm vorgelesen wurde. Indeß war seine Verurtheilung leicht zu bewirken. Die Zeugnisse Orleans' und Bouillon's überwiesen ihn allein schon eines todeswürdigen Verbrechens, eines Bündnisses mit dem Landesfeinde durch den madrider Tractat. Anders verhielt es sich mit de Thou. Schon in Valence hatte der Kanzler dem Cardinal melden lassen, daß es sehr schwer halten würde, gegen ihn ein Todesurtheil zu fällen. Der kranke Richelieu hatte erwiedert: »Sagen Sie dem Herrn Kanzler, daß de Thou sterben muß.« Durch seine Gegenwart und Anweisungen in Lyon ermunterte er den Fleiß der Richter. Aber de Thou ließ sich durchaus nicht beweisen, daß er in den Tractat gewilligt oder auch nur davon gewußt habe. Daß er von der Absicht der Verbundenen, nach Sedan zu gehen, gewußt, gab noch keinen Grund ab, ihn zum Tode zu verurtheilen. Richelieu aber bestand darauf, als ein Vertrauter Cinqmars' müsse er von allen seinen Anschlägen, auch den madrider Tractat nicht ausgenommen, vollkommene Wissenschaft gehabt haben. Und diese Wissenschaft allein mache ihn zum Beleidiger der Majestät, weil er eine Verbindung verhehlt, welche dem Staate so nachtheilig werden können. Es war allerdings eine Verordnung Ludwig's XI. von 1479 da, der zufolge Alle, welche von einer Verschwörung Wissenschaft gehabt und sie nicht angezeigt, ebenso wie die Anstifter selbst bestraft werden sollten. Diese Verordnung, obgleich jetzt in den Criminalcodex der meisten Staaten aufgenommen, war damals so außer aller Uebung und selbst dem Kanzler so unbekannt geblieben, als sie heute noch dem moralischen Gefühl widerstrebt, und nur als ein nothwendiges Uebel ihre Rechtfertigung sucht. Aber wenn auch das Gesetz, so war doch die Anwendung nicht gefunden; denn die Wissenschaft, die man suchte, ließ sich wol vermuthen, aber nicht darthun.

De Thou leugnete ebenso bestimmt als Cinqmars; aber mit mehr Ruhe und Klugheit. Als ihn der Kanzler fragte, ob er nicht glaube ein Verbrechen begangen zu haben, indem er auch nur Das, was er geständlich in Erfahrung gebracht, anzuzeigen unterlassen? erwiederte er: Was das Verbrechen der beleidigten Majestät im ersten Grade anlange, so sei er überzeugt, daß auch die geringste Muthmaßung und der geringste Verdacht schon genug wären, um den Bürger des Staates zur Anzeige desselben zu verbinden. Dagegen was andere Verbrechen beträfe, die nicht unmittelbar gegen die Person des Fürsten selbst gingen, so sei man erst dann zur Anzeige verbunden, wenn man Theil daran gehabt, oder etwas Bestimmtes davon in Erfahrung gebracht, was Beides bei ihm nicht der Fall gewesen.

Der Proceß gegen Cinqmars und de Thou erinnert in mehrern Beziehungen an den gegen Struensee und Brand geführten. Ludwig der Dreizehnte stand der Willenskraft freilich näher als der imbecille dänische König; es gab aber Augenblicke, wo ihn Richelieu's Augen dämonisch fesselten und er in dieselbe Starrsucht, dasselbe unkönigliche Nichts zurück versank, wie Christian. Hier wie dort war Der im Recht, der sich der Person des Königs bemächtigte und sie sprechen ließ, wie er wollte. Hätte Cinqmars obgesiegt, so lieferte die Geschichte einen Criminalproceß, in welchem Richelieu als Angeklagter und Verurtheilter nicht unwahrscheinlich auf dem Schaffot geendet hätte, und die Procedur gegen ihn wäre von allen Rechtsgelehrten der Parlamente Frankreichs gutgeheißen und das Urtheil gelobt worden. Es handelte sich darum: wer soll einen König beherrschen, der nicht selbst herrschen kann? Wo keine Gesetze waren, entschied die Kraft. Auch die Geschichte hat entschieden, anders als wahrscheinlich die öffentliche Stimme zu jener Zeit, die den grausamen Tyrannen Richelieu verurtheilte, während die unbefangene Nachwelt in ihm den kräftigen Geist ehrt, der mit Bewußtsein und starkem Willen den unvermeidlichen Proceß gegen das Alte schneller zur Krisis brachte.

Den König hat weder die Gegenwart noch die Nachwelt gelobt oder auch nur entschuldigt. In feiger Schwäche opferte er seinen Liebling der Rache des Ministers, eben wie er den Minister, den er achtete und fürchtete, der Rache des Favoriten im andern Falle geopfert hätte, nicht allein ohne allen Gemüthskampf, sondern mit der kalten Ruhe und dem Vorbedacht des Egoismus. Durch ein Schreiben an den Kanzler erklärte er im voraus alles Das für lügenhaft, was Cinqmars zu seinem Nachtheil aussagen würde. Die mühsame Kunst, welche in diesem Schreiben herrschte, ließ Alle, die es lasen, auf den Gewissenszustand des Schreibers zurückschließen. Er fürchtete, also war er sich schuldbewußt. Wie sein Bruder Gaston ließ er seine Anhänger für Das bluten, was er selbst gewünscht; nur daß der ruhigere Mann Das still bei sich hegte, was der leichtsinnige Prinz in Worten und Thaten unbesonnen äußerte, und ebenso schnell zurückzunehmen bereit war, als er vorschnell es ergriffen hatte. Ueber Christian von Dänemark richtete Gegenwart und Nachwelt anders; sie hat ihn weder verkannt, noch entschuldigt, weil er unzurechnungsfähig war.

Noch in einem andern Verfahren werden wir in diesem Processe an den dänischen erinnert. Weil es durchaus des Cardinals Wille war, auch de Thou dem Henker zu überliefern, befahl er dem Kanzler, sich keine Mühe verdrießen zu lassen, um Cinqmars außer zum Geständniß seines Verbrechens auch zur Anzeige seiner Mitschuldigen zu bewegen. Der Kanzler besuchte ihn daher öfters in seinem Gefängniß, er redete allein mit ihm, um ihm die Schüchternheit, die ein förmliches Verhör hervorruft, zu benehmen. Er gab ihm zu verstehen, daß nur durch ein aufrichtiges Bekenntniß Gnade zu erlangen sei; daß sie für diesen Fall wol in Aussicht stehe. Zu ihm, der jetzt nicht als Richter, nur als Freund zu ihm rede, könne er getrost mit der Sprache herausgehen. Was er ihm vertraue, solle beim Proceß nicht in Betracht kommen. Der zweiundzwanzigjährige Jüngling ließ sich von der Sprache täuschen. Er gestand die meisten Punkte, die er vorhin dreist geleugnet, ein. Er verrieth auch seinen Freund! Er verrieth, daß de Thou Kenntniß von dem Tractat mit Spanien gehabt habe. Ja er ging noch weiter; er ward zu seinem Ankläger. De Thou, sagte er, habe immer einen persönlichen Haß gegen den Cardinal gehegt; man müßte daher, auch wenn er wieder auf freien Fuß käme, ein wachsames Auge auf ihn haben.

Den Künsten des Kanzlers sollte es noch gelingen, Cinqmars auch dahin zu bewegen, daß er diese vertraulichen Mittheilungen vor dem besetzten Gericht wiederhole. Er wählte dazu den rechten Mann, den Staatsrath, Requetenmeister von Laubardemont, eine Creatur Richelieu's, der durch dieses Manoeuvre auf ewig einen gebrandmarkten Namen in der allgemeinen Geschichte trägt; in Frankreichs Specialgeschichte glänzt er indeß schon acht Jahre früher durch einen der abscheulichsten Hexenprocesse, den er gegen einen der Zauberei beschuldigten Priester mit der raffinirtesten Grausamkeit führte. Laubardemont, zum Referenten in diesem Proceß ernannt, wiederholte die Sprache des Kanzlers, daß nur das aufrichtigste offene Geständniß Cinqmars helfen könne. Da nun de Thou selbst Alles, was er wisse, schon zu Protokoll gegeben, könne man sich nicht genug wundern, daß Cinqmars mit Gefahr seines Lebens einem Freunde treu bleiben wolle, der zuerst untreu an ihm geworden sei. Bleibe er bei seinen vertrauten Bekenntnissen und scheue sich, sie vor Gericht zu wiederholen, so könne das den König und Cardinal vor der Welt nicht rechtfertigen, wenn sie ihn begnadigten. Das Publicum würde von unerhörter Gunst sprechen, die nicht in seinem Geständnisse, sondern in der Privatneigung des Königs zu ihm ihren Grund hätte, und daher von dem unbefangenen Gerechtigkeitssinn nur getadelt werden dürfte. Um ihm das Leben abzusprechen, dazu seien Beweise genug da. Wolle er aber fortfahren, die evidentesten Thatsachen hartnäckig zu leugnen, so würde man sich zur Nothwendigkeit gedrungen sehen, auf die Folter gegen ihn zu erkennen. Schließlich gab ihm Laubardemont sein Wort, wenn er die völlige Wahrheit förmlich, gerichtlich bekenne, so sollte er nicht allein dem Tode, sondern auch der Folter entgehen.

Cinqmars ging in die Falle. Er legte vor dem Referenten des Processes ein ebenso vollständiges Bekenntnis als vor dem Kanzler ab, versprach dasselbe vor Gerichte zu wiederholen und unterzeichnete das von Laubardemont darüber aufgenommene Protokoll.

Der Antrag des Generalprocurators ging dahin, daß Cinqmars d'Effiat, Oberstallmeister von Frankreich, des Verbrechens der beleidigten Majestät für schuldig und überwiesen erklärt und vor der Hinrichtung auf die Folter gelegt werden solle, um seine Mitschuldigen anzugeben. Der Urtelsspruch über Bouillon und de Thou solle einstweilen aufgeschoben werden.

Laubardemont stellte in seinem Vortrage folgende vier Grundsätze auf:

1) Daß die Aussagen des Herzogs von Orleans, auch ohne persönliche Confrontation in ihrer gegenwärtigen Form gültig und zu Recht beständig wären;

2) daß schon das Wissen von einer Verschwörung gegen den Staat, ohne sie anzugeben, ein strafbares Verbrechen sei;

3) daß auch die Nachstellungen gegen einen Minister, der einem Fürsten ersprießliche Dienste geleistet, ein eben so großes Verbrechen sei, als wenn sie gegen die Person des Fürsten selbst gerichtet wären;

4) daß bei dem Verbrechen der beleidigten Majestät schon dringende Vermuthungen die Kraft eines Beweises hätten.

Der dritte Grundsatz, mit dem der vierte, sehr mißliche, in nahem Zusammenhange steht, betrifft einen Punkt, der zwar in unserer Geschichtserzählung vielfach berührt ist, der aber, so viel von den Acten des Processes bekannt geworden, in demselben nicht eigentlich zur Sprache gekommen ist. Man hat die Nachstellungen gegen Richelieu's Leben, entweder weil es an den Beweisen mangelte, oder weil man auf andere Weise zu dem Ziele gelangte, welches man wollte, bei Seite gelassen. Cinqmars und de Thou wurden, nicht wegen eines Mordanschlags oder Nachstellungen gegen das Leben des Cardinals, sondern wegen ihres Staatsverbrechens verurtheilt. Wenigstens nahm der Proceß durch das letzte Verhör und die Confrontation Beider eine für die Ankläger so günstige Wendung, daß sie auf jenen Punkt, der vielleicht den König selbst wieder ins Spiel gebracht hätte, verzichten konnten.

Cinqmars wiederholte im gerichtlichen Verhör vom 12. September 1642 Alles, was er vor Laubardemont bekannt hatte: die Art und Weise, wie zwischen ihm und den beiden Herzögen der Entschluß gefaßt worden, in Unterhandlung zu treten; daß de Thou von der Verbindung zwischen Orleans und Bouillon Nachricht gehabt; daß er schon seit ihren ersten Conferenzen davon gewußt, auch erfahren, daß Fontrailles in dieser Angelegenheit nach Frankreich reisen solle. Desgleichen Art und Weise, wie man den Tractat vollziehen solle; nur hätte er ihn anfangs gemisbilligt und Fontrailles deshalb Vorwürfe gemacht. De Thou sei von ihm, während der Belagerung von Perpignan, als sein vertrauter Freund, öfters zu Rathe gezogen worden, er habe ihm seine Intriguen gegen den Cardinal, seine Bemühungen, denselben um seine Ministerstelle zu bringen, entdeckt, und de Thou habe sein Vorhaben gebilligt.

Noch am selben Tage – denn der Kanzler hatte dem Cardinal das Versprechen gegeben, den Proceß noch an diesem Tage zu beendigen! – wurde de Thou mit Cinqmars confrontirt. Die Aussage des Letztern ward ihm vorgelesen. Das hatte er nicht erwartet. Erblassend fragte er Cinqmars, ob er das wirklich Alles ausgesagt? Der gestürzte Günstling bejahte es mit gesenktem Blicke.

Nun gestand de Thou: daß ihm Fontrailles nach seiner Zurückkunft aus Spanien allerdings von dem Tractate Nachricht gegeben, daß er denselben aber sofort und immerdar auf das äußerste gemisbilligt habe. Er habe seinem Freunde darauf gesagt: wenn der Tractat zur Vollziehung käme, würde er nach Rom gehen, um keinen Theil daran zu nehmen und die traurigen Folgen desselben nicht mit anzusehen. Aber er sei des Glaubens gewesen, daß es nicht dazu kommen würde und hätte gehofft, auf seiner Reise nach Rom Gelegenheit zu finden, den Herzog von Bouillon ganz davon abwendig zu machen. Auch sei kein Tag vergangen, wo er nicht Cinqmars selbst mit allen ihm zugänglichen Vorstellungen und Beschwörungen zu überreden gesucht, von dem verderblichen Plane abzugehen.

Cinqmars konnte das nicht leugnen. Aber die Richter hatten, was sie wollten, ein Zeugniß gegen de Thou und ein theilweises Eingeständniß desselben. Der Generalprocurator erweiterte sofort seinen Antrag dahin, daß Cinqmars und de Thou, Beide, des Verbrechens der beleidigten Majestät für schuldig erklärt, aller Aemter, Ehrenstellen und Würden entsetzt, ihre Güter eingezogen, und verurtheilt würden, auf der Blutbühne des Terreaux in Lyon enthauptet zu werden.

Die Stimmen wurden abgegeben. Hinsichts Cinqmars waltete kein Zweifel ob. Er war geständig, er war überführt, einen hochverrätherischen Vertrag mit dem Feinde des Landes begünstigt, angeregt oder abgeschlossen zu haben. Wenn sein König nicht die Schuld auf sich nahm, mußte er verurtheilt werden und sterben. Ludwig sagte sich von ihm los; er war verloren.

Anders verhielt es sich mit de Thou, Selbst unter diesen seinen vom Cardinal erwählten Richtern glaubten Viele, daß man ihm nicht ans Leben kommen könne. Sein Verbrechen war: er hatte von einem Tractat mit dem Landesfeinde gewußt und davon keine Anzeige gemacht; ein ganz vergessenes Gesetz bestimmte den Tod für diese Unterlassungssünde. Aber was heut, in den geordneten Staatsverhältnissen, nach den deutlichen Worten der Criminalgesetze zum Verbrechen wird – obgleich doch in so vielen Fällen das Gefühl sich dagegen sträubt – war in jenen aufgeregten, von innern Kämpfen zerrissenen bürgerlichen Zuständen, bei den ewigen Schwankungen der Parteiherrschaft, wo Könige und königliche Prinzen als Mitkämpfende auftraten, oft gegen ihre eigenen Minister, keineswegs so bestimmt ausgesprochen, wenigstens außer der Gültigkeit, welche die Sitte einem Gesetz aufdrückt. Mit Rebellen, welche die Waffen in der Hand gegen den Staat gekämpft, ward unterhandelt, und der heute das französische Heer geschlagen, konnte morgen zum Oberfeldherrn desselben ernannt werden. Was war de Thou's Verbrechen gegen das frühere des Herzogs von Bouillon? Er hatte von dem Tractat nur von ungefähr etwas erfahren. Wer betrieb diesen Tractat? Des Königs offenkundiger Günstling. Die Tendenz des Tractates war nicht gegen den König gerichtet, sondern gegen einen Minister, dessen Ansehen in der königlichen Gunst mehr als wankte. De Thou erfuhr von dem Vertrage in dem Augenblicke, als Jedermann erwartete, daß Richelieu nächsten Tages gestürzt werden würde. Der König lebte damals aufs innigste und genaueste mit Dem, der ihn betrieb, die Botschaften des Cardinals wurden nur kalt aufgenommen. Alles dies konnte de Thou zu der Annahme bewegen, daß Cinqmars im Interesse und im geheimen Auftrage Ludwig's handle; er konnte glauben, daß er, ihm beistimmend, den geheimen Willen des Königs fördere. Er führte ferner zu seiner Vertheidigung an, daß Cinqmars ihn versichert: der Tractat solle nicht eher zur Ausführung kommen, als bis die Spanier den französischen Marschall von Guebriant aus seiner Stellung am Rheine würden vertrieben haben. Nach den damaligen Umständen der spanischen Kriegsmacht sei ihm das aber als ein Ding der völligen Unmöglichkeit erschienen. Endlich sei es ihm unmöglich gewesen, dem Könige von dem Tractat Nachricht zu geben. Denn er, ein unbedeutender Mann, hatte dadurch eine schwere Anklage gegen den hochstehenden Günstling des Königs, gegen den mächtigen, den in Gnaden wieder aufgenommenen Herzog von Bouillon und gegen den eigenen Bruder des Königs erhoben. Er hatte nur Vermuthungen, das Resultat mündlicher Unterredungen erzählen, aber keine Beweise beibringen können. Diesen Mächtigen wäre es ein Leichtes geworden, die Anklagen gegen ihn als Verleumder zurückzuschleudern und ihn unfehlbar zu verderben.

Gegen ihn sprach, daß, wenn er auch den Tractat gemisbilligt und privatim dagegen gethan, was in seinen Kräften stand, er eben dadurch von der großen Gefährlichkeit und Strafbarkeit desselben überzeugt gewesen sein müsse. Weshalb, wenn er geglaubt, daß der Tractat der Wille des Königs sei und in seinem geheimen Auftrage geschlossen, sich dagegen opponiren? Zudem sei er nicht allein ein Mitwisser, sondern auch als mithandelnd und mitthätig zu betrachten. Denn, weil er gewußt, daß die beiden Herzoge und Cinqmars beschlossen, mit Spanien in Unterhandlung zu treten, so wären alle Bemühungen, die er angewendet, sie mit einander zu vereinigen oder ihnen Gelegenheit zu geheimen Zusammenkünften zu verschaffen, strafbare Handlungen, durch welche er den Landesverrath beförderte. Und während voller sechs Wochen habe er, bei der Belagerung von Perpignan in Cinqmars' Hause sich aufgehalten und sei ihm, ungeachtet er von seinem Bündnisse mit Spanien gewußt, mit Rathschlägen zu Hülfe gekommen.

Hätte der Cardinal nicht seine Richter gewählt, und durch sein mächtiges Ansehen den ganzen Proceß geleitet, so würde man ihm schwerlich die Todesstrafe zuerkannt haben. Aber unter 13 Richtern stimmten gleich anfangs 11 auf den Tod, 2 auf ewige Galeerenstrafe. Von diesen Zweien ließ sich der eine noch in der Sitzung umstimmen und trat der Majorität bei. Nur der Staatsrath Dyal de Miromesnil blieb bis zu Ende dabei, daß man de Thou eher jede andere als die Todesstrafe zuerkennen müsse.

Die Richter vollführten nur den Auftrag des Cardinals. Man hat viel darüber gestritten, welche Motive Richelieu gerade gegen de Thou so heftig eingenommen, um durchaus seinen Tod zu verlangen. Der Arzt Patin hat in seinen Briefen die Geschichte aufgebracht, er habe sich an dem Sohne des großen Geschichtsschreibers dafür rächen wollen, daß der Vater in seinen Historien einem seiner Vorfahren ein sehr übles Zeugniß gegeben. Richelieu suchte nach den Gründen seines Hasses nicht so fern. Cinqmars haßte er mit allem bei ihrem gegenseitigen Verhältniß so erklärlichen Grimm, er haßte ihn, indem er ihn verachtete. De Thou haßte er nicht eigentlich, noch verachtete er ihn; aber den despotischen Gewaltthätern ist ein unabhängiger reiner Charakter, den zu lenken ihnen die Macht fehlt, unbequem, weil ein solcher Charakter die Achtung der Welt für sich hat. Es ist oft ausgesprochen, daß den ergrimmten Legitimisten und Feinden der französischen Revolution ein Lafayette weit verhaßter war als ein Robespierre. Gegen die Gironde war es ihnen schwerer Krieg führen als gegen die Terroristen; in dem Kampfe mit diesen hatten sie den gesunden Theil des Publicums auf ihrer Seite. Zudem genügte es, in des Cardinals Sinne, für ein solches Verbrechen, einen solchen Verrath, wie ihn Cinqmars begangen, nicht mit dem Haupte des Einen. Da ihm der Herzog von Bouillon entging, mußte de Thou dafür büßen, ein Warnungs- und Abschreckungsbeispiel für Jeden, der mit guter Gesinnung es noch wagen sollte, an seiner Autorität zu rütteln.

De Thous Schicksal erregte seiner Zeit unter allen Gebildeten die lebhafteste Theilnahme. Man trug sich mit zwei lateinischen Sinngedichten von zwei berühmten Verfassern um. Das eine von Huygens lautete:

O legum subtile nefas, quibus inter amicos
Nolle fidem frustra frangere, proditio est.

O kunstvolles Gesetz, das, wo der Freund seinem Freunde
Hält die geschworene Treu, ihn als Verräther verdammt.

Das andere hatte den berühmten Hugo Grotius zum Verfasser:

Morte pari periere duo: sed dispare causa:
Fit reus iste tacens: fit reus ille loquens.

Ein und desselbigen Todes die zwei, doch um zwiefache Ursach!
Schuldig ist der, weil er schwieg, dieser ach ward's, weil er sprach!

Noch am selben Tage, wo das Urtheil gefällt war, wurde es vollstreckt. Richelieu war schon aus Paris abgereist, die ihm vom Kanzler nachgesandte Kunde, daß auch de Thou zum Tode verurtheilt worden, soll ihn sehr vergnügt haben.

Beide junge Männer vernahmen ihr Todesurtheil mit der Unerschrockenheit, welche von Franzosen in ähnlichen Lagen oft bewiesen wird. Beide mochten überrascht sein, weil Beide noch immer auf die Gunst der Umstände gehofft, aber Beide fanden auch in dem Unerwarteten ein Etwas, das sie zu Entwickelung einer letzten Kraftanstrengung stählte.

Cinqmars erhob sich zu einem ritterlichen oder stoischen Muthe, er fühlte die Kraft in sich, der Unbill des Schicksals zu trotzen, auch nach solcher letzten Täuschung oder Ueberlistung, die ihn vielleicht noch mit Schamröthe erfüllte. De Thou war ruhiger und gefaßter, er hatte, als Christ, aus den Tröstungen der Religion seinen Muth schon früher geschöpft.

»Eigentlich,« sagte de Thou zu Cinqmars, »hätte ich mich über Sie zu beklagen. Sie haben wider mich ausgesagt, Sie bringen mich ums Leben. Aber Gott weiß, wie herzlich ich Sie liebe.«

Beide umarmten sich, und versicherten, wie sie im Leben Freunde gewesen, gereiche es ihnen zum Trost, daß sie nun auch mit einander sterben sollten.

Bei der Vorlesung des Urtheils selbst runzelte de Thou nur ein Mal die Stirn bei den Worten: Verschwörung und Verrätherei. Er äußerte: »Diese Worte gehören doch nicht für mich.«

Cinqmars entsetzte sich, daß er, dem Urtheil zufolge, noch vor dem Tode die Tortur, und zwar den ersten und zweiten Grad, ausstehen solle. Sie war ihm unter der Formel zuerkannt, die wir schon aus andern französischen Processen kennen, daß er seine Mitschuldigen bekenne. Nach den Ermittelungen war es eine unnütze Grausamkeit. Er ließ die Commissarien durch seinen Beichtvater bitten, daß man ihn mit dieser Marter verschone. Man erwies ihm auch so viel Gnade, daß man ihn nur in die Marterkammer führte und blos mit dem Anblick der Folterwerkzeuge schreckte.

Cinqmars sagte zu den Beamten, die seine Gefangenwärter gewesen, und wehmüthig beim Abschiede gestimmt waren: »Weinen Sie nicht, meine werthen Freunde; es ist vergeblich. Ihr Gebet für mich, und für Sie die Versicherung, daß ich den Tod nie gefürchtet habe.«

Auch de Thou's Rede an den Oberrichter der Marechaussée im Lyonnois, Thomée ward ihres rührenden Inhalts wegen viel verbreitet. »Hätte ich mich besser vertheidigen wollen,« sagte er darin, »so hätte man mir wol nicht so leicht ans Leben kommen können. Aber ich bedachte, daß, wen man wie mich anfeindet, wenig Aussicht jetzt hat auf Gnade. Im glücklichsten Falle hätte man mich auf das Folterbett gestreckt und für die übrige Lebenszeit ins Gefängniß gesperrt. Wäre ich nun unter der Marter oder im Kerker gestorben, wer weiß, ob ich so gut wie jetzt zum Tode bereitet gewesen wäre. Einen Entschluß zu fassen, ist das Schwierigste. Ueber diese Verlegenheit bin ich nun hinweg. Mein Tod hängt der Ehre meiner Familie keinen Flecken an. Ich habe kein entehrendes Verbrechen begangen.«

Er versicherte noch, daß er allen seinen Feinden vergeben habe, und bat den Oberbannrichter, daß er den Cardinal von Lyon, Richelieu's Bruder, ersuche, für ihn bei seinem Bruder, dem Minister, um Verzeihung zu bitten. Er habe nämlich Richelieu nie persönlich gehaßt, nur seine Regierung. Voll Ehrfurcht gegen den König, voll Liebe für den Staat, sei er nie spanisch gesinnt gewesen, und bereue, daß er, der Sproß eines Geschlechts, welches so vielen Königen treu gedient, als Staatsverbrecher, wenn auch nur wegen Verhehlung eines Geheimnisses, sterben müsse.

Seinem Beichtvater versicherte de Thou, seit ihm das Endurtheil gesprochen worden, sei er viel zufriedener und ruhiger als vorher. Die Erwartung und Spannung vorher habe ihn zerstreut und den Frieden mit ihm selbst geraubt. Er hege gegen Niemand Groll oder Feindschaft und freue sich, durch Gottes Barmherzigkeit wohl vorbereitet und zu jeder Stunde, hoffentlich mit dem Muthe, der von dem Herrn kommt, aus dieser Welt zu scheiden. Mit eben der frommen Ergebung äußerte er sich gegen seine Bekannten und Freunde und sendete seiner Schwester tröstende Grüße.

Für den Fall, daß er wieder in Freiheit käme, hatte er ein Gelübde gethan, eine Capelle mit einer jährlichen Pfründe von 300 Livres zu stiften. Er verfaßte selbst die lateinische Inschrift, welche über die Kapelle kommen sollte: Votum in carcere pro libertate susceptum Franciscus Augustus Thouanus corporis carcere liberandus merito solvit Christo liberatore. XII. Sept. MDCXLII, und setzte den 117. Psalm hinzu. Das Gelübde sollte gelten, denn er ward aus dem Kerker befreit. Sein Wille blieb aber unerfüllt. Das Capital, welches er dazu ausgesetzt, ward dem Herrn von Crombis, der ihn im Gefängniß bewacht, als Belohnung für seine Mühwaltung ausgezahlt. Vor seiner Abführung schrieb er noch zwei Briefe und beschäftigte sich dann nur mit religiösen Gedanken, von denen sein Herz voll war.

Auch Cinqmars schrieb einen Brief an seine Mutter, worin er sie bat, für das Heil seiner Seele beten zu lassen und seine Schulden zu bezahlen. Auch dieser Brief war in frommer, Gott ergebener Stimmung geschrieben. Jetzt, wo er mit jedem Schritte sich dem Tode nähere, versicherte der Jüngling, sei er besser im Stande als sonst Jemand über den Werth der Dinge in dieser Welt zu urtheilen.

Auf dem Wege nach dem Schaffot stritten beide Freunde, wer zuerst sterben solle. Cinqmars bestand auf dieses Recht, weil er am meisten verbrochen und das Urtheil zuerst angehört hatte. Er behauptete, es müsse eine doppelte Todesstrafe für ihn sein, wenn er zuletzt sterben müßte. De Thou dagegen behauptete, dies Recht gebühre ihm, als dem Aeltesten unter ihnen. Er müsse dem Andern mit einem guten Beispiele vorangehen.

Als der Karren am Blutgerüst hielt, bekam Cinqmars den Befehl, zuerst auszusteigen. De Thou nahm von ihm Abschied: »Der Augenblick, der uns jetzt von einander trennen wird, wird uns auch bald im Angesichte Gottes auf ewig wieder vereinigen. Lassen Sie uns das nicht schmerzen, was wir verlieren. Es wird uns dort herrlicher und unvergänglicher wiedergegeben werden. Zeigen Sie Freund, den Lebenden, daß Sie zu sterben wissen.«

Der Scharfrichter von Lyon hatte gerade das Bein gebrochen. Der Kanzler hatte deshalb einen Menschen aus dem Pöbel um hundert Thaler zu der traurigen Verrichtung gedungen. Cinqmars' Enthauptung ging glücklich von statten. Nicht so die de Thou's. Sein heroisches und zugleich christlich ergebenes Auftreten erschütterte und rührte den Mann. De Thou umarmte gleich anfangs, als er auf dem Gerüst angekommen war, den Henker und betete dann, nach abgelegter Beichte, den 115. Psalm, den er nun noch in so lebhaften und rührenden Ausdrücken den Umstehenden, mit Bezugnahme auf seine Lage auslegte, daß Alle, die es hörten, sich der Thränen nicht enthalten konnten. Er fragte: ob man ihm nicht die Augen verbinden würde? Sein Beichtvater sagte, dies käme auf ihn an. »Dann muß man sie mir verbinden,« sagte de Thou; »ich bin ein Mensch, ich fürchte mich vor dem Tode. Dieser Anblick (indem er auf Cinqmars' Leiche, die noch auf dem Schaffot lag, deutete) macht mich verzagt. Wenn ich an den Tod denke, überfallt mich Zittern und Entsetzen. Man muß standhaft sein, und ich bin es doch nicht. Alle Kraft kommt von Gott.«

Wirklich sah man, als er den Hals auf den Block legte, daß er am ganzen Leibe zitterte. Sein Ende war bejammernswerth. Der Scharfrichter traf ihn zu nahe am Kopfe, ohne denselben herunter zu hauen. Das Geschrei des Volks versetzte ihn in Schrecken. Er mußte noch drei bis vier Streiche thun, bis der Kopf vom Rumpfe getrennt war.

Ludwig der Dreizehnte fühlte für seinen gewesenen Liebling keine Neigung wieder erwachen. Man erzählt, am Nachmittage des Hinrichtungstages habe er seine Uhr aus der Tasche gezogen und das Zifferblatt ruhig betrachtend eine Aeußerung hingeworfen, die nur einen redenden Beleg von der stumpfesten Gefühllosigkeit des Monarchen liefert. Zu der Höhe raffinirter wollüstiger Grausamkeit, welche sie unter andern Umständen erreichte, konnte seine despotisirte Seele sich nicht mehr aufschwingen. Es war gewiß kein Rachegefühl wegen eingebildeter Kränkungen, die er von Cinqmars erfahren, noch das Gefühl der Beschämung, daß er so lange von ihm sich täuschen lassen; es war wol nur das Gefühl eines Schiffbrüchigen, der endlich auf den Sand geschleudert liegt, und die letzte anschlagende Welle ergreift nicht ihn, sondern einen andern Gefährten; es war das Lächeln eines solchen vollendeten Egoisten, wenn es wahr ist, daß er dabei ungefähr gesprochen habe: In einigen Minuten wird nun dem Herrn von Effiat (Cinqmars) auch nicht ganz wohl zu Muthe sein! – Ihm war wohl zu Muthe, denn er war dem Schiffbruch entgangen, und Richelieu hatte ihm verziehen. Das war sein wollüstiges Gefühl, das höchste, zu dem er sich aufschwingen konnte; er war in Sicherheit!

De Thou's Schicksal ward allgemein bedauert. Die Theilnahme aller Edlen, Denkenden folgte ihm nach. Cinqmars erregte nur bei den Frauen großes Mitleiden. Der schöne, liebenswürdige junge Mann, der um eine Hofintrigue, nicht schlimmer als hundert andere, die diesen Andern Ansehen und Ehre verschafft, auf dem Schaffot bluten mußte! Unter den vielen Frauen, die er wie ein vom Glück begünstigter junger Franzos verehrt hatte und die ihm Thränen nachweinten, befand sich auch die Prinzessin Maria von Gonzaga. Sie hatte Briefe mit ihm gewechselt, welche sie später durch Richelieu's Nichte, die Herzogin von Aiguillon, sich aus den Proceßacten zurück erbat.

De Thou war, als er hingerichtet wurde, 37, Cinqmars erst 22 Jahre alt!

Der Herzog von Bouillon (Turenne's Bruder) machte Frieden mit dem Cardinal. Es waren theure Opfer, durch welche er sein verwirktes Leben erkaufte. Die Fürbitten, die Drohungen seiner Verwandten, der Oranier und anderer bedeutenden Familien machten auf Richelieu weniger Eindruck. Den festen, klugen, gefährlichen Mann und Fürsten, der ihm nicht huldigte, hätte er nicht ungern, eine letzte Warnungstafel für die Aristokratie der Feudalherren, auch auf das Blutgerüst geschickt. Aber der Handel, den er mit ihm schloß, war vortheilhafter für Frankreich. Für sein schuldiges Haupt gab der Herzog seine feste Stadt Sedan; er überlieferte diesen Waffenplatz an der Grenze, der so oft die misvergnügten Großen geherbergt, um nach Deutschland zu entfliehen oder von dorther wieder in Frankreich einzudringen, eine Festung, so geeignet, fremde Hülfsvölker aus den Niederlanden oder vom Rheine aufzunehmen, um den günstigen Augenblick zum Einbruch in Frankreich abzuwarten; Bouillon überlieferte sein Familienerbe Sedan an die Krone Frankreich und ward frei. Die übrigen Bedingungen des Vertrages wurden dem Herzog schlecht erfüllt, und erst nach Richelieu's Tode gelang es ihm, die für seine Kammergüter bedungene Entschädigung zu erhalten.

Frankreich hatte durch Cinqmars' Verschwörung viel gewonnen, eine feste Grenzstadt und eine Warnung für alle nachfolgenden Favoriten, wie gefährlich die Verschwörung einer Camarilla ausschlagen kann, auch wenn der Fürst selbst ihr stillen Beifall zunickt.

In Sedan, jetzt einem gewerbfleißigen Städtchen, erheben sich noch die hohen, altersgrauen Mauern der Burg der Bouillons, geehrt, aber nicht sonderlich durch Reinlichkeit gepflegt. Ueber dem Portal eines Thores stützt die einzige Erinnerung an die stolze Feudalunabhängigkeit. Auf einem Steine sind die Worte eingegraben: Ici naquit Turenne!


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