Willibald Alexis
Isegrimm
Willibald Alexis

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Vierzehntes Kapitel.

Malchen.

Im Erkerstübchen des Deutschen Hauses saß der Kandidat und dachte seiner Lage nach. Wer war er, und was war er hier? – Kaum aus Gnaden, so schien es, in der Ilitzer Familie aufgenommen, weil er seinem vorigen Herrn unbequem geworden, von dem adelsstolzen Major noch eben empfindlich auf seine demütige Stellung zurückgewiesen, war er plötzlich mit einem Auftrage betraut, den ein Familienvater nur dem nächsten, bewährtesten Blutsverwandten und Freunde überträgt. Nicht allein das Herzensverhältnis einer geliebten Tochter sollte der junge Mann überwachen und zu lösen suchen, einwirken auf das Schicksal eines jungen, trotzigen Verwandten, ihn überreden, nötigen, zwingen, eine andere Lebensbahn einzuschlagen, auch zum Ehrenwächter über seine Familie hatte ihn der Major gesetzt. Noch am Morgen hatte er ihm Aufträge gegeben, daß er ihr Benehmen beobachten und regulieren solle, weil – seine gute Frau sich nicht immer in die Verhältnisse zu finden wisse. Kannte er denn diese Verhältnisse, die möglichen Konflikte, in welche man in der schweren Zeit geraten mochte? Und nicht einmal spezielle Anweisungen waren ihm erteilt, es war alles seinem Ermessen, seinem Urteil überlassen.

Woher dieses allgemeine Vertrauen? Etwa seiner Kenntnisse, seiner Bildung wegen? – Auf die gab der Major nichts. Um seines Charakters willen? – Den hatte er noch nicht erprüft. Je mehr er darüber nachdachte, kam er zu dem demütigenden Schlusse: es war nicht er, der Mensch, der denkende, gebildete, unterrichtete junge Mann, nicht der Bürger des Staates, es waren nicht seine redlichen Gesinnungen, nicht sein Geist, was ihm das verschafft, sondern allein der zufällige Umstand, daß das Konsistorium ihn vor der Zeit ordinieren lassen, um einen tauben Prediger in seinem Amte zu unterstützen.

Er und alles Bessere, was er in sich fühlte, war vor dem Mann gleich Null; nur des Edelmannes Respekt vor dem geistlichen Stand war auch auf ihn übergegangen. Hätte ein Luftzug, ein Bad ihm die Weihe nehmen können, so war er wieder vor ihm – ein Nichts. – Aber lag nicht auch nebenher in der Ausdehnung des ihm geschenkten Vertrauens eine Mißachtung?

Der Herr von Quarbitz würde sich sehr bedacht haben, einem im Stande Gleichstehenden so zarte Aufträge anzuvertrauen, ihn so tief in seine Familienverhältnisse blicken zu lassen. Es war der ganze Hochmut des alten Edelmannes, der ihn als nichts, als ein leeres Gefäß betrachtete, in das er ohne Gefahr alles schütten konnte, was ihn bewegte. Er war zu seinem Instrumente geweiht, weil der Edelmann sich nicht einbildete, daß er selbst, auf eigene Hand für sich, Anteil daran nehmen, Empfindung dafür haben könne. So kannte man in den Familien der alten französischen Aristokratie keine Scheu und Rücksicht vor der Dienerschaft, vor ihr sprach, tat, verrichteten die Familienglieder, was sie vor jedem gleichgestellten Fremden Scheu getragen hätten, nur zu erwähnen. Es waren für sie nicht menschlich fühlende Glieder, sie galten nur als ein Gerät des Hauses.

Seine Empfindlichkeit machte den Kandidaten doch vielleicht ungerecht. Einem Rationalisten würde der Major nicht viel Vertrauen geschenkt, einem Informator von den Ansichten seines Predigers Faßbinder den Auftrag nicht erteilt haben.

»An welchem Schöpfungstage streute der Herr dies Samenkorn aus, das so fruchtbar in der Kreatur, die er zu seinem Ebenbilde bestimmt, gewuchert hat? Diese Herrschbegier, die, allein den Strahl der Sonne trinkend, unter sich nur Gewürm, Zahlen, Sandkörner erblicken möchte? Es kann doch nicht Angewöhnung, es muß Natur sein, wo dasselbe sich zeigt, von der Stube der Werkmeister an, wo der Gesell den Burschen knechtet, der Bursch, ein halb Jahr älter, den Neuling, vom Bauern an, der mit tiefer Verachtung auf die Kolonien und kleinen Leute niederblickt, bis da oben hinauf, wo sie sich die Auserwählten, die allem von Gott Begnadigten wähnen. Wäre es ein Kern der Frucht, die die Schlange angegeifert? – Nein, die Ader ist's, die durch die ganze Welt pulst, die die Menschheit zu großen Taten förderte. Das kann nicht vom Satan sein! Sie alle, die wir Wohltäter unseres Geschlechtes nennen, wollten hinanklimmen zu den schwindelnden Wolkensitzen, zu den starren Felsgipfeln, von wo die Erde so klein erscheint. Sie traf dann der Blitze Strafe für ihre Vermessenheit, uns aber zeigten sie den Weg. Nur der eine nicht, er überhob sich nicht. Er rief die Kindlein zu sich, auch die Zöllner und Schächer, er lehrte, daß der Geringste dem Höchsten gleich vor dem Ewigen, daß ein Kamel eher durch ein Nadelöhr kommt, als ein Reicher ins Himmelreich, der verlorene Sohn dem Vater teurer ist, als der nie strauchelte und irrte, das verlorene Schaf lieber dem Herrn als zehntausend, die immer dem Hirten folgten. Dem, seiner Lehre sollen wir nachfolgen! Und wo blieb sie unter denen, die auf seine Worte schwören? Was haben seine falschen Propheten daraus gedeutelt? Daß wir uns alle fühlen sollen als Nullen; nicht vor ihm, dem Herrn über der Welt, sondern vor den Herren und Herrschaften in der Welt! – Wäre dies das Alpha und das Omega, das Ziel der Ziele, des Kreislaufs Ausgang, daß wir wieder am Eingange ständen?«

So etwa hätten des Kandidaten nicht ausgesprochene Worte geklungen, aber die bittere Reflexion schien von ganz anderen Phantasien accompagniert zu werden. Auf seiner Stirn lagerten sich nicht Runzeln düsteren Zweifels, sie war glatt wie von innerer Zufriedenheit. Wer ist nicht zufrieden, wenn ihm etwas nach langer, schwieriger Tätigkeit gelungen, auch wenn das Resultat, betrachtet zum Ganzen, geringfügig ist. Das erhält Parteien aufrecht, die nicht zum Ziele gelangen, daß sie auf dem Wege dahin einzelne Siege erfechten. Unsere geistigen Lebensregungen, sind sie nicht auch wie die Parteien? Wenn auch keiner je das erreicht, worauf er in der Jugend ausging, unterwegs glückt ihm doch hier und dort etwas, oft das Entgegengesetzte von dem, was er gewollt, aber das Gelingen stärkt seine Kraft. Ein Tor ist, wer nach Schätzen gräbt und froh ist, wenn er Regenwürmer findet; wer aber, wenn er im sonnverbrannten Gebirg nach edlen Metallen gräbt, eine frische Quelle findet, die dem Verschmachtenden den Durst stillt, und nicht darüber froh wäre, der wäre kein Mensch.

Er war ans Fenster getreten. Ein wunderbares Wetter war es, ein April im Winter. Es hatte zu schneien aufgehört, und aus dem blauen Himmel strahlte die Sonne auf die beschneiten Dächer, Höfe, Straßen; ein schöner, fast ein malerischer Anblick: die alten Baulichkeiten, die gezackten Giebelränder, die Holzgalerien der Hinterhäuser, in scharfen, dunklen Linien abstechend gegen die helle Schneelast, die sie drückte, um doch schon in kristallenen Tropfenfall sich aufzulösen, Perlen von der Sonne beschienen. Wenn sie einige Stunden fortschien, zerstörte sie ihr eignes Schauspiel, denn auf dem Boden trat schon unter den Fußtritten der schwarze Kot hervor.

Vom Erkerfenster war eine weite, weiße Fernsicht in die Felder, aber sie ging auch auf die Höfe. Der Kandidat richtete sein scharfes Auge nicht zum erstenmal auf den des Hauses, in welchem der Bürgermeister wohnte. In alter Art lief eine übergekragte Holzgalerie um das Innere desselben. Die Sonne schien gerade hell darauf, als eine elegante, weibliche Gestalt hinter einem Pfeiler eine Kußhand in den Hof hinunter warf; dann trat sie seitwärts zurück, und er sah nur noch, wie sie mit dem Tuche nach einer anderen Richtung wehte. Aus der Seitengasse kam ein junger Mann. Noch einmal blickte er, an die Ecke eines Hauses gelehnt, zurück, dann taumelte er mehr als er ging. Die Mittagssonne schien auch hell auf sein blühendes Gesicht, die Augen schienen es mit der Sonne aufnehmen zu wollen. Die offene Brust spottete des Winters. –

»Unglücklicher,« entfuhr es dem Kandidaten, »vielleicht eilst Du jetzt der entsetzlichsten Stunde Deines Lebens entgegen! – Daß die Natur so schöpferisch an Qualen, die sie unserer Schwäche bereitet, und daß die, welche der Seele eine Todesangst auspressen, noch die Schmerzen des Körpers überbieten!«

Da klopfte es leise an die Tür, sie öffnete sich ebenso leise, und eine schüchterne Stimme fragte: »Sind Sie allein, Herr Mauritz?«

»Fräulein Amalie!«

Sie war im Zimmer. Die Tür blieb halb auf. Sie sah ihn ängstlich an und senkte wieder die Augen, halb setzte sie sich, halb sank sie auf einen Stuhl in der Mitte des Zimmers. Der Kandidat schien in Zweifel, ob er die Tür zumachen solle. Sie verstand ihn.

»Ich muß, ich muß! – Es geht nicht anders. – Sie werden uns nicht stören, es ist eine große Gesellschaft unten.«

»Sie armes Kind!« sagte der Kandidat aus ganzem Herzen.

»Ja, so ist's recht. Betrachten Sie mich als ein Kind. Ich bin's auch noch. Aber – aber es will mir das Herz sprengen – nur das nicht!«

»Es wird sich doch alles vielleicht noch zum guten fügen, für Sie, für uns alle.«

Sie hielt die Hände vors Gesicht, um sich Mut zum Sprechen zu machen.

»Sie halten mich vielleicht für recht albern. Sie meinen, ich könnte noch mit der Puppe spielen. Aber wenn man eine Puppe recht lieb hat, weint man um sie, wenn sie zerbricht, als wenn sie ein lebendiger Mensch wäre.«

»Die Tränen, Fräulein Malchen, gab uns Gott, den Erwachsenen, wie den Kindern. Wehe denen, die in ihrem Schmerz keine Tränen finden. Wir dürfen uns ausweinen, damit es in uns klar wird. Alsdann sehen wir die Dinge anders an als vorhin. Was uns schön dünkte, kommt uns dann wohl gar häßlich vor, und was uns mißfiel, davon bemerken wir wohl manches, was uns nun gefällt.«

Sie schüttelte leise das Köpfchen, als habe der Kandidat nicht getroffen, was sie bewegte.

»Um in Ihrem Gleichnis zu bleiben, Fräulein, wenn ein Kind die Puppe fallen läßt und sie zerbricht, so ist damit nicht alles an ihr zerbrochen und vernichtet. Eine sorgsame Mutter nimmt sie wieder auf, sie pflegt die Puppe, wenn man es so nennen will, und unter geschickter Hand wird sie wieder neu, eine andere –«

»Wir wollen aus dem Gleichnis fort, lieber Herr Mauritz,« unterbrach ihn Malchen mit einem so klaren Blick, als hätten die Tränen die Wirkung gehabt, von der er eben sprach. »Mein Vater vertraut Ihnen, ich traue niemand mehr als meinem Vater, also vertraue ich auch Ihnen ganz. – Ich liebe Theodor nicht mehr –«

Wenn der junge Mann vielleicht selbst damals die Liebe nicht anders kannte als aus dem Ovid, so hatte er doch schon bedeutende Studien über die Liebe durch die vertrauenden oder unwillkürlichen Mitteilungen des Kindes gemacht. Er glaubte ihrer Versicherung nicht. Er sprach es nicht aus, sein Blick sagte es. Und sie verstand den Blick vollkommen.

»Neulich im Walde, als ich aufschrie, war ich ein Kind. Wenn ich da gesagt hätte, nun ich liebe ihn nicht mehr, hätten Sie mir nicht glauben dürfen. Es war wie ein giftiger Stich, es war ordentlich wie Haß. Aber ich glaube jetzt, man kann hassen und dabei doch lieb haben. Da hatte ich bald tausend Entschuldigungsgründe für ihn.«

»Er ist leichtsinnig, Fräulein, im höchsten Grade leichtsinnig. Die Frauen haben ihn verwöhnt, und die Schule der jungen Offiziere ist eine schlimme für einen jungen Mann ohne feste Grundsätze. Aber wer sich verführen läßt, ist darum noch nicht verdorben. Die bitteren Erfahrungen, die ihm da bevorstehen, die Leiden, Entbehrungen, Täuschungen stählen oft die Seele, daß sie aufschnellt, die Schlacken von sich wirft, und das edle Metall klingt und strahlt –«

»Das wünsche ich Theodor von ganzem Herzen,« unterbrach sie ihn mit fester Stimme. »Wenn zu so etwas ein Gebet zum lieben Gott hülfe, so würde ich Sie bitten, Herr Mauritz, mit mir zu beten. O ja, ich wünsche ihm alles Gute, glauben Sie es mir, daß es ihm auch licht werde vor den Augen des Geistes, wie Sie einmal predigten, ich weiß die Worte noch: daß der Strahl der Gnade niederschieße in sein verwüstetes Dasein, daß er fühle, wozu Gott die Kreatur Mensch erschaffen; sie solle den Blick erheben zu seinem Auge, das die Welt erleuchtet und wärmt, zu den Sternen, die er am Firmament gesäet, daß wir auch in der Finsternis an ihn glauben; sie solle nicht kreuchen wie das Tier, sondern aufrecht gehen und aufrecht jedem Mitgeborenen ins Gesicht sehen, nicht auf den Genuß sich stürzen, sondern, den Geber aller guten und vollkommenen Gaben preisend, so genießen, wie es seinem Ebenbilde ziemt. – Ich weiß alles das noch, aber –«

»Die Art, wie er sich Ihrer Familie vorstellte, einer Familie, der er alles verdankt –«

»Nein, Herr Mauritz, ich meine – ich weiß es nicht – aber mir ist so, als ob auch die Dankbarkeit eine Grenze hat.«

»Wie kommen Sie darauf, liebes Kind?«

»Ich glaube, ich habe es von Ihnen. Sie müssen schon einmal so etwas von der Kanzel gesagt haben: daß der Mensch auch eine Verpflichtung hat gegen sich selbst, seine eigene Menschenwürde zu erhalten. Es ist nicht jetzt, damals schon dachte ich, wenn sie so alle auf den armen Jungen einstürmten, daß er immer gedenken sollte, was er uns verdankt, und was er wäre, wenn wir das nicht getan – er kam mir manchmal wie ein Gefangener vor, und ich hätte ihn gern frei gemacht. Und als des Königs Offizier unter seinen Kameraden, wie manchen Spott mochte er aushalten müssen!«

»Rechtfertigt ihn das? Ist es nur entschuldbar, daß er das Band der Liebe, das Sie alle um ihn geschlungen, so schonungslos zerriß? Jetzt, wo er weiß, daß die ganze Familie hergekommen war, um sich seiner anzunehmen, durfte er da so vor Ihnen erscheinen, wie er getan? Mußten Sie ihn nicht bitten lassen, bis er nur kam!«

»Er schämte sich, Herr Mauritz. Als der Vater ihm die Tür wies, ihn ins Elend stieß, verbot, wieder ihm unter die Augen zu treten, bis er seine Ehre wiedergewonnen, hatten wir nicht da schon das Band zerrissen?«

»Ich brauche Sie nicht daran zu erinnern, daß Sie, die Mutter, Ihre Schwestern, es ihm zehnfach wieder gutgetan, was der Vater in rascher Aufwallung versehen. Gegen Sie hatte er heilige Pflichten, die, wenn ein edler Sinn in ihm lebte, alle anderen Rücksichten besiegen mußten.«

Sie schien nachdenkend.

»Alle? – Keiner wollte ihn ja. War Theodor etwa feig gewesen? Liebte er nicht seinen König und sein Land, wäre er nicht gern für sie den Heldentod gestorben? Und nun verspottet, verlacht! Ach, Herr Mauritz, darf man da nicht auch lachen? Das ist das Gelächter der Verzweiflung! Ich begreife es, ich verzeihe ihm, daß er trinkt, lärmt, singt. Ich verzeihe ihm, wie er bei uns auflachte, renommierte, aufs Klavier trommelte. Es zerriß mir das Herz, aber – da hätte ich ihm noch können um den Hals fallen, ihn bitten, rette Dich, lieber Junge, vor Dir selbst. Er wollte sich ja nur vor sich verbergen. Ich dachte daran, was Vater einmal vorlas von einem, der todkrank, melancholisch war, und darum sich in die Harlekinsjacke steckte, und alle, die ihn sahen, zum Todlachen belustigte, damit sie nur nicht sähen, wie das Herz in ihm brach.«

»Es ist viel getan und gesprochen worden, ihn zu retten. Wir hofften, so lange er Ausflüchte machte, toll sich gebärdete, uns zum Besten hatte. Wir hofften, wie Sie, liebes Malchen, daß er sich schlimmer vor uns zeigen wolle, als er war, und der Moment kommen würde, wo sein Herz bloß läge. Wir hofften, so lange der Irrsinn dauerte, denn es gibt Naturen, und sie sind nicht die schlechtesten, die wie ein Vulkan toben müssen, – dann zückt wohl ein helles Himmelslicht durch die weiße Flamme, und aus dem zerstörenden Brande wird ein wärmendes Feuer. Theodor war eine solche poetische Natur. – Aber als er ruhiger zuhörte, schwieg und nachdachte, als er uns mit Vernunftgründen antwortete, als er mir den Einwand machte, der Schulze, von dem der Vater die Summe aufnehmen will, um ihn nach England zu schicken, werde sich wohl hüten, das Geld vorzuschießen, weil ihm der Major in jetziger Zeit nicht sicher sei – da gaben auch wir diese Hoffnung auf.«

Das Kind hatte seine Stirn auf den Arm gedrückt, damit der Redner das feuchte Auge nicht sähe, aber er hörte, was sie tonlos vor sich sprach: »Da habe ich ihn auch aufgegeben.«

Es war eine peinliche Pause. Noch hatte er, noch hatte sie vermieden, den Gegenstand zu nennen, um den das Gespräch sich drehte, und es schien schon zu Ende, als sie aufstand und ihm freundlich die Hand reichte.

»Leben Sie wohl, Herr Mauritz. Verzeihen Sie mein Geplapper, und warum ich kam, habe ich Ihnen noch nicht einmal gesagt. Wenn sie ihn liebt, wenn sie ihn glücklich machen kann, will, die schöne Französin – dann will ich auch glücklich sein. Er liebt mich nicht, er hat mich nie geliebt, das weiß ich jetzt. Ich weiß ja nun, daß es eine Krankheit ist, die, wenn sie zum Ausbruch kommt, Raserei wird, daß man nicht mitfühlen, daß man mit dem Befallenen nur Mitleid empfinden kann. Gott bewahre mich vor dieser Raserei.«

»Und wenn Theodor nun von ihr geheilt, ganz geheilt würde?«

»So würde ich mich herzinnig freuen für meinen alten, lieben Spielgenossen; aber wir können nicht mehr miteinander spielen, wir gehören nicht mehr zu einander. Wer einmal wahnsinnig gewesen, soll Rückfälle bekommen können, und das wäre entsetzlich. Wenn Sie ihn sprächen, wenn er zur Besinnung käme, sagen Sie ihm das von mir. Die Kugel da an den Blutsteinen ging durch unser Bild, wir sind geschieden.«

»Kommen Sie darum zu mir, Amalie? – Wenn nun die Kur sehr nahe bevorstände? Morgen, vielleicht heute schon? Es wird eine heftige, schmerzliche sein, mehr darf ich Ihnen davon nicht sagen, die Verhältnisse verbieten es. Aber ich bin gewiß, er wird von seiner Leidenschaft gründlich geheilt werden, wahrscheinlich wird er in seinem Schmerze in eine neue Raserei verfallen, aber die ist vorübergehend, und er wird die Französin dann vielleicht so hassen, verabscheuen, wie er sie jetzt anbetet.«

»Die Französin!« rief Malchen mit strahlendem Auge und sich aufrichtend. »O pfui! Was kann das arme, schöne Mädchen dafür! Die Franzosen soll er hassen, sich freimachen von seinem Ehrenwort, seinen Degen sich zurückgeben lassen, und – Sie verstehen mich besser, als ich es aussprechen kann.«

Halb verstand er sie. Hier war ein Mißverständnis.

»Darum kamen Sie zu mir?«

»Darum, lieber Mauritz. Ja, ich liebe ihn noch als meinen lieben Cousin, dem ich von Jugend auf gut war, meinen Schulgenossen, und ward er mir auch ganz gleichgültig, und mag er sein Herz verschenkt haben an eine, an zehn andere, das ist mir nicht gleichgültig, daß er unter den Franzosen gegen seinen König, sein Vaterland dient. Ich kann's auch nicht glauben, was sie unten erzählten; aber sie glauben es, an ihren Mienen sah ich's; das darf, das kann, das wird nicht sein. Meinem Vater bräch's das Herz, unauslöschliche Schande brächte es auf unsere ganze Familie. Liebster, bester Herr Mauritz, sehen Sie mich nicht so zweifelnd an, es ist so, er hat sich erkundigen lassen, wie man da Dienste nimmt. Hindern Sie es, fallen Sie ihm in den Arm, wenn er unterschreiben will, ersinnen, erfinden Sie etwas –«

Er hielt ihre Hand und drückte sie in der seinen: »Das also. – Hier mein Wort! Er soll kein Verräter an seinem Vaterlande werden. Mit der französischen Circe wird er auch die Verlockung von sich stoßen. Fräulein, ich bin Bürge dafür. Was dann weiter, da wollen wir beide sorgen.«

Unten ward es jetzt laut, die Gesellschaft verließ das Haus. Einen unbeschreiblichen Blick des Dankes warf ihm Malchen zu, legte den Finger an den Mund und verschwand, um, am Geländer horchend, den Augenblick zu erpassen, wo sie unbemerkt hinunterglitt.


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