Willibald Alexis
Isegrimm
Willibald Alexis

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Sechstes Kapitel.

Isegrimms Haus.

Der Novemberhimmel war nicht weniger grau über Haus Ilitz als über dem Querbelitzer Torfmoor; ja die alten Rüstern, die um zwei Seiten standen, das steile Dach fast überragend, machten die Zimmer noch dunkler. War doch auch wenig von Farbe drinnen, was dem trüben Eindruck die Spitze bot.

Das Haus war alt, alles war alt darin, bis auf einige frische Gesichter; aber nicht das behagliche Altertum mit barocken Formen, sauberem Schnitzwerk, nicht der Rost, welcher das ehrwürdig macht, dem man ansieht, daß es ernst gelebt und gegolten hat. Die Räume waren groß, aber öde, bewohnt, aber ohne Leben, nicht unreinlich, aber auch nicht so reinlich gehalten, daß man in Ermangelung von anderem Wohlgefälligen sich hätte an der Sauberkeit erfreuen können. Das galt besonders von dem großen Flur, dessen Wände und mächtige Balkendecke weiß gestrichen waren, so weiß, daß man wetten durfte, es sei erst in diesem Jahre geschehen, denn es geschah wirklich jedes Jahr, aber auf der eichenen Diele lagen Strohhalme, Heuspuren und die der Stiefeln, welche durch Stall und Feld gewandert.

Von den braungebeizten, wurmstichigen Wandschränken hätte man allerdings die Kalkflecken, die beim Schlemmen darauf gespritzt waren, abwaschen können. Auch die alten Herren und Damen in Reifröcken, Roben, in Puderbeutel und Harnisch, die in dunklen, vom Wurm zerfressenen Rahmen lebensgroß an den Mauern hingen, hatten jeweilig vom Spritzregen des Tüncherpinsels Flecke erhalten; ach, sie waren aber auch ohnedem schon so zerrissen, faserig, die Leinwand bauschte sich unter der abgetrockneten Oelfarbe, daß man einen Flecken mehr oder weniger nicht mehr der Beachtung wert hielt. Waren es doch vielleicht ausrangierte Ahnenglieder, die selbst, wenn nicht Flecken, doch keine Zier der Familie gewesen.

Auch die ersten Feinde, die hier eine oberflächliche Nachsuchung nach fremdem Eigentum angestellt, hatten sie respektiert. Nur vom Pallasch eines bayerischen Chevaulegers war einer bös aussehenden alten Dame der schon große Mund noch etwas erweitert. Sie konnte jetzt gut als Schutzwächterin des Hauses gelten, ein Cherub, um einen furchtsamen Bittsteller zurückzuschrecken.

Im ganzen hatte aber auch das Haus, im Aeußern wie im Innern, wenig, was Plünderer und Diebe anlockte. Die Zeit war die Räuberin gewesen, nicht sowohl ihr Zahn, als ihre allmächtige Kraft, mit der sie das, was nicht mit ihr fortschreitet, beiseite und in den Winkeln schiebt. Freilich sind's oft nur bunte Lumpen und Flittergold, in die ihr Gefolge sich kleidet, aber sie öffnen die Tore zu den Arenen, Märkten und Palästen, wo der Mann im verschlossenen Kleide der Vergangenheit zurückgestoßen wird. Die von der Quarbitz auf Ilitz mochten seit Generationen nicht für nötig geachtet haben, ihr Ameublement durch mehr als das Allernotwendigste zu renovieren.

Doch sah das untere Sprechzimmer, das an den Flur stieß, und wo die Familie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, wenigstens voller und wärmer aus als der letztere. Fräulein Minden war, nachdem sie die Stallpantinen vor der Schwelle gelassen, eben eingetreten und warf, als sie den Schlüsselkorb auf den Tisch gestellt, ihr dickes wollenes Umschlagetuch, welches die Figur des hübschen Kindes zu lange entstellt hatte, über die Stuhllehne.

»Line, klimperst Du noch immer,« sagte sie, »und 's wird duster wie die Nacht.«

Die älteste Tochter versuchte am Klavier eine Phantasie, die nicht herauskam, wie sie wollte. Sie ward heftiger und schlug auf die Tasten, bis man den Sprung einer Saite hörte.

»Siehst Du, das kommt davon,« sagte die Eingetretene.

»Daß Du mich durch das Klappern mit Deinem Schlüsselkorb aus meiner Illusion gebracht hast.« Linchen ließ ärgerlich den Deckel fallen, indem sie aufstand.

»Da wirst Du wieder lange warten können, bis der Stimmer kommt,« setzte die erste hinzu. »Und wirst wieder unglücklich tun.«

»Wer sich mit sich selbst beschäftigen kann, ist nie unglücklich,« war Karolinens Replik.

»Was habt Ihr denn wieder vor, Kinder?« rief die Mutter und legte die Nasenbrille ab, mit deren Hilfe sie am Fenster eine alte Zeitung gelesen. »Ihr seid doch nun erwachsen, was müßt Ihr Euch noch immer zanken! Ach Gott, ach Gott, es kommt doch eins zum andern. Wo ist denn der Vater, Minchen?«

Die hurtige Wirtschafterin, die sich sogleich wieder im Zimmer an andere häusliche Geschäfte gemacht, antwortete, daß er, als die Sonne ein bißchen geschienen, mit Fritz und Wilhelm in den Park gegangen. Die Mutter, eine etwas beleibte Frau von kurzer Gestalt, der man ansah, daß Spazierengehen und unnötige Bewegung nicht zu ihren Leidenschaften gehörten, schüttelte den Kopf.

»Und mit seinem Podagra auf dem feuchten Erdreich! Er kann doch auch keine Ruhe kriegen!«

Sie erkundigte sich, wann die Botenfrau fortgegangen, worüber Wilhelmine den genauesten Bericht erstattete, aber sie bezweifelte, ob die Suse vorm Zubettegehen zurück sein könne. Der Gegenstand schien die Aufmerksamkeit der Familienmitglieder zu erregen.

Auch die jüngste, halb Mädchen, halb Kind, die jetzt durch eine Seitentür hereinkam, nahm daran teil. Auf der Treppe hatte man sie trillern gehört, sie war über drei Stufen mit einem Satz gesprungen, hier ward sie ernst, und mit klugen Augen versicherte sie, die Suse werde vor Nacht zurück sein, sie habe es ihr auf die Seele gebunden. Die Mutter seufzte.

»Ach Gott, wenn wir ihn nur 'rumkriegen könnten! Da ist doch auch keine Gutsherrschaft mehr, die jetzt nicht täglich ihre Botenfrau nach der Stadt schickte. Aber nein, auch das will er nicht!«

»Vater will ja nichts mehr von der Welt wissen!« sagte Malchen, die jüngste. Die Klavierspielerin gab eine andere Erklärung.

»Er schmeißt die Zeitung fort, wenn die Suse sie auf dem Korb legt, aber nachher, wenn wir's nicht sehen, greift er doch zu und liest von den wilden Männern oben bis an den letzten Strich.«

Minchen, die zweite, die Wirtschafterin, suchte den kleinen Riß auszugleichen. Vor Jahren sei die Botenfrau wöchentlich nur einmal nach Nauwalk gegangen, seit den letzten Kriegen hätten sie's aber schon dahin gebracht, daß sie die Suse zweimal schicken dürften.

»Einmal bringt sie zwei Zeitungen und einmal eine. Und wenn Ihr's nur ordentlich anfangt, kriegen wir auch noch ein drittes Mal 'raus.«

»Wenn wir wieder Einquartierung haben, ich meine Offiziere,« sagte die Mutter, »so müssen wir doch frisch Weißbrot haben und Semmel täglich. Wenn er doch das einsähe!«

Minchen schüttelte den Kopf; ihr kluger Blick sagte, das wäre zu viel gefordert.

Die Mutter mißverstand es. Frische Semmel könne man freilich nicht zum Frühstück haben, da die Botenfrau frühestens um Mittag zurück sein könne, aber das schade noch nicht so viel; wenn man sie nur ordentlich morgens aufbacke und gleich mit frischer Butter schmiere, merkten es von zehnen neune beim warmen Kaffee nicht, nur müsse die Sahne immer dick und gut sein.

»Damit kommt ihm nur!« sprach Wilhelmine vernehmlicher ihre Meinung aus. »Um die Einquartierung tut er's am wenigsten.«

»Und er meint auch,« fiel Karoline ein, »zweimal wäre schon genug für die alte Suse. Alle Tage hielte sie's gar nicht mehr aus.«

»Hat er das gesagt?« rief Wilhelmine vergnügt. »Wenn er sich erst auf Gründe einläßt, dann ist er schon halberwegs.«

»Aber er hat recht, daran haben wir nicht gedacht, liebe Kinder. Es wäre für die Suse zu viel.«

»Dann sind andere. Die alte Besicke, da will's mit der Arbeit auch nicht mehr recht fort. Nächstes Jahr ist sie reif zum Botenlaufen. Ueberhaupt,« fuhr das verständige Mädchen fort, »wenn man nur Vatern recht behandelt, man kriegt ihn zu weit mehr 'rum, als Ihr denkt. Aber Ihr wollt immer gleich drauf los, und das ist nichts. Alles Stroh sollte in der Wirtschaft bleiben; jetzt drückt er schon ein Auge zu, wenn der Verwalter ein paar Schock in die Stadt fährt. Butter für den Markt, das war ihm auch nicht recht; jetzt verkaufen wir schon den Käse. Hätte es der Pastor nur ordentlich angefangen, so hätte er ihn auch noch Sie genannt. Warum hat's denn der neue Kandidat durchgesetzt? Bloß auf einen Brief. Vater hat ihn uns nicht zum Lesen gegeben, aber der muß es verstanden haben.«

Die Jüngste, welche das Gespräch nicht zu interessieren schien, rief am Fenster, wo sie dem Spiel der Wolken zusah: »Ach, seht mal den Mummelack! Wenn die arme Suse den auf den Pelz kriegte!«

Den »Mummelack« erklärten einige für eine Schnee-, andere für eine Gewitterwolke. Die gnädige Frau meinte, ob man nicht nach dem Vater schicken solle, als es hinter den Weiden knallte und rollte und eine Kalesche auf den Platz zufuhr, wo früher die Zugbrücke mündete. Aus dem Wagen sprangen die uns schon bekannten Insitzer.

»Ein Besuch!«

Es kam wie aus einem Munde, halb erschrocken, halb froher Ton. Froh war man, außer über die Unterbrechung, welche ein Besuch in die Monotonie ländlicher Einsamkeit hervorbringt, darüber, daß es keine Einquartierung war. Die scharfen Augen der Frauen hatten sofort durch die trübe Atmosphäre den Lehnsvetter aus Quilitz und den Baron aus Wüstelang erkannt.

Erschrocken war man, daß man sich so betreffen ließ. »Minchen, Du hast die Schuh 'runtergetreten.« – »Line, das alte Umschlagetuch 'runter!« – Ja, die Mutter hatte ihre Haube und ihre Locken am Spiegel geordnet, als die drei Töchter wie aus einem Munde entsetzt riefen:

»Aber, Mutter, Du hast noch die Schürze um!«

Ein Glück, daß an Dienerschaft im Hause kein Ueberfluß schien. Der alte Hans kam sehr langsam durch Hof und Flur, um Pferde, Wagen und Kutscher in Empfang zu nehmen und auf einem ziemlichen Umweg nach den Ställen zu führen, wo der Schloßgraben noch nicht renoviert war.

Der Empfang, die ersten gewechselten Redensarten, in nichts vom Gewöhnlichen abweichend, hätten doch einem aufmerksamen Beobachter zur Bemerkung Anlaß gegeben, daß der Mensch, auch wenn er nicht falsch ist, durch die gesellschaftlichen Verhältnisse zur Schauspielerschaft angewiesen wird. Jeder spielt Rollen, ohne es zu wissen.

Wir sehen beide Teile, Wirte und Gäste, vorhin im Negligé, jetzt im Gesellschaftskleide, und sie scheinen beide andere Personen geworden, in Haltung, Blick, Bewegungen, im Ton der Sprache, in der Wahl der Ausdrücke. Nur zwei, die gar nicht sprachen, blieben dieselben, der Kandidat und das jüngste Fräulein. Die Elastizität, welche plötzlich in die Ilitzer Damen gefahren, war ja in dem Kinde schon vorhin da. Der Kandidat aber war ein Stock, hätten vielleicht einige gemeint. Er betrachtete die Bilder an der Wand und setzte sich erst, als der Kaffee aufgetragen war und Fräulein Wilhelmine ihn erinnerte, daß der Stuhl für ihn bestimmt sei.

Auf dem Lande, wenn man sich lange nicht gesehen hat, braucht man nach Gegenständen nicht zu suchen, am wenigsten in einer Zeit, die zu viel des nachbarlichen und nächstliegenden Interesses bot. Der Hofmarschall war besonders höflich und teilnehmend gegen die Edelfrau.

»Also auch diese Katastrophen haben seinen Sinn nicht brechen können!« sagte er mit einem leisen Seufzer, als er, näher dem Fenster, mit der Wirtin Platz genommen.

»Ganz im Gegenteil, lieber Cousin. Die Nachrichten aus Berlin haben ihn noch schlimmer gemacht. Die Zeitungen, da ist ein Blatt, der Telegraph, wenn er das in die Hände kriegt, so zerdrückt er's und schmeißt es gegen die Wand. Ach, dann rollen ihm die Augen. Ich habe oft rechte Angst um ihn.«

»Es ist doch eine Art von Melancholie. Sollte nicht der Arzt vielleicht eine Badereise künftiges Frühjahr –«

»Kommen Sie Quarbitz damit! Die Luft und das Wasser, wo wir geboren, sind für uns gemacht, sagt er, und was er von den Aerzten denkt, wissen Sie ja.«

»Es freut mich nur, daß ich nichts von Kollision mit der Einquartierung gehört habe. Davor hatte ich immer eine heimliche Angst.«

»Und ich erst, lieber Cousin! Es war ein Glück, daß die meisten nur Passanten waren; darunter wirklich recht hübsche Leute, die ein Einsehen hatten. Aber wie die ersten Bayerschen kamen und so ums Haus ritten und hinauf äugelten, ich kann Ihnen nicht sagen, wie mir's brühsiedend heiß ums Herz fuhr. Die haben Schlimmes im Sinn, sagte ich zu Quarbitz, geben wir doch lieber, was wir haben! Wenn Du meinst, sagte er. Nun denken Sie, stellt er sich da in seiner Pikesche an die Treppenwand und raucht, ein Bein übers andere, seine lange Pfeife, während die Kerle mit dem Fuß unten die Türen einstießen. Wie sie ihn sehen, stutzen sie, denn 's ist doch ein alter Militär, das erkennen sie gleich. – Wollen Sie plündern, Kameraden? fragt er. Genieren Sie sich nicht. Ich weiß auch davon zu erzählen. – Die sakramentieren, er aber ließ sich nicht aus seiner Ruhe bringen und sagt' ihnen: Wozu denn mit dem Fuß die Tür einstoßen; wenn sie verschlossen ist, da hängt der Schlüssel. Da wurden sie wirklich manierlicher, und wir kamen noch so ziemlich davon. Nachher kam auch der Offizier zum Vorschein und tat so, als ob er's nicht gesehen, und polterte zum Schein gegen seine Leute. Aber glauben Sie, daß Quarbitz dazu zu bringen war, daß er eine Flasche mit ihm trank? – Sie können ja allein saufen; ich trinke mit den Kerlen nicht, rief er, daß sie's hörten. Nun dacht ich, gibt es was, aber sie taten auch, als ob sie's nicht verständen. Da sind wir noch mit blauem Auge davongekommen.«

Der Hofmarschall freute sich, zu hören, daß der Vetter noch in seiner alten Laune sei.

»Nicht alle Gewohnheiten sind gut,« setzte er hinzu, »aber es ist gut, wenn man sich in bösen Zeiten nicht aus den seinen bringen läßt.«

Die Edelfrau war anderer Meinung.

»Denken Sie doch nur, Cousin, was die französischen Offiziere dazu sagen werden, wenn wir Sonntags im Flur mit den Leuten essen.«

»Also auch die Marotte –«

»Ist ihm nicht abzukomplimentieren. Es muß draußen gedeckt werden, die Haustür noch sperrangelweit offen, daß alle, die vorübergehen, die Torheit sehen. Ich lasse unter unsere Stühle doppelte Matten legen, aber was hilft's vor dem Zugwind! Den Montag sind wir immer rheumatisch. Und glauben Sie mir, Cousin, den Knechten und Mägden unten auf den Bänken ist auch nicht recht zu Mute. Sie getrauen sich nicht ordentlich in die Schüssel zu greifen, besonders die neu angezogenen; sie halten's für Spott und Moquerie. Und wenn die Suppe angerichtet wird, spielt jedesmal die Komödie mit dem Pastor.«

»Der kommt ja nicht mehr, denke ich, ins Schloß.«

»Aber sein Couvert muß da liegen. Wolf fragt einen Sonntag wie den anderen: Ist der Herr Pastor noch nicht da? Einer muß antworten: Er läßt sich entschuldigen, er ist unpäßlich. Dann heißt's: Herr Verwalter, dann sind Sie wohl so gut, das Gebet zu sprechen. – Sind wir nicht genug im Gerede!«

Die Herzensangst der gnädigen Frau mußte groß sein, daß sie einen Mann, mit dem kaum eine Blutsverwandtschaft und nur eine sehr getrübte konventionelle sie verband, zum Vertrauten ihrer Schmerzen machte. Was ihm die Frau mitteilte, dünkte dem Herrn von Quilitz ein schlimmes Omen. Er wollte seinen Lehnsvetter zu mancherlei stimmen, in der Hoffnung, daß er ihn in seinem starren Sinn gebeugt finde, und es war keine Floskel der Höflichkeit, als er seine teure Cousine versicherte: bei allen seinen Eigenheiten bleibe der Major ein Mann, auf den die ganze Umgebung mit Respekt blicke, der durch sein Beispiel viel wirken, und wenn er mit gutem vorangehe, der Provinz von großem Vorteil sein könne.

»Wo nur mein Mann bleibt!«

Die ausgeschickten Hofleute hatten ihn nicht finden können; indes war der »Mummelack« vorübergezogen und die Luft wieder etwas heiterer. Man mußte etwas vornehmen und besah den Hof und das Wohnhaus. Die Edelfrau war sehr freundlich gegen den Herrn von Eppenstein, und hoffte, daß sie öfter das Vergnügen haben würden, ihn in Ilitz zu sehen. Auch er war hier ein anderer als unterwegs. Ein knapp anschließender heller Morgenrock vom feinsten englischen Schnitt war unter dem abgeworfenen grünen Surtout zum Vorschein gekommen. Es war auch ein feines Gesicht, dem der kleine Lippenbart wohl stand; er sah jünger aus, und das legere Wesen, mit dem er auf dem Bocke gesessen, hatte einer anmutigen Elastizität in den Bewegungen und der Rede Platz gemacht. Er rühmte die wirtschaftlichen Anordnungen der gnädigsten Frau und fand alles vortrefflich; auch als sie die Ausräumung des Grabens entschuldigen wollte, wußte er dafür ökonomische Gründe.

»Ein charmanter junger Mann!« sagte die Edelfrau, als sie am Arm des Gastes die breite Treppe nach dem oberen Stockwerke hinaufstieg.

»Und sehr reich,« setzte ihr Begleiter hinzu. »Er muß weit mehr bares Kapital mitgebracht haben, als man glaubt. Schade, daß er gerade zur Kriegszeit sich hier ankaufen mußte. Das wird manche seiner großartigen Projekte verzögern. – Wenn Friede wird, werden wir Gutsbesitzer dafür alle empfinden, was es heißt, flüssiges Geld besitzen. Und überdem ist er ein Patriot.«

Das setzte er mit Betonung hinzu, als sie in dem Korridor angelangt waren. Die eichene Treppe, obwohl selbst schon von ehrwürdigem Alter, war doch neuer als das alte steinerne Haus, und dieser lange Korridor, der die vorderen und hinteren Zimmer trennte, klösterlich einfach, auch weiß wie der Flur angestrichen, und ebenfalls ein Ahnensaal der Familie; nur waren die lebensgroßen Porträts geschonter, man sah mehr Harnische und kriegerischen Apparat, obwohl auch hier die meisten Herren und Ritter noch über dem Panzer einen gestickten Sammetrock trugen, oder statt des Helms eine sauber gehaltene Frisur.

Weder der Gast noch die Wirtin schienen besondere Schauer beim Vorüberwandeln an den kriegerischen Bildern ihrer Ahnen zu empfinden. Nur bei einem blieb die Edelfrau stehen, indem gerade das Fensterlicht heller drauf fiel. Es war eine Art Schlachtenbild, wenigstens mit Brand, Pulverrauch und Gemetzel im Hintergrunde, Fliehenden, Verfolgten und Toten. Doch war die Hauptfigur sichtlich ein Porträt, eine Kriegergestalt im Kostüm aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges. Er stützte sich wie erschöpft vom Gemetzel auf sein blutiges Schwert. Das Gesicht war dunkel gehalten wie das ganze Gemälde, und hatte etwas Abschreckendes. Es war zweifelhaft, ob die Edelfrau von diesem Gesichte oder den Kriegsszenen dahinter sich wie erschreckt abwandte und zum Vetter mit Bewegung sprach:

»Bringen Sie uns denn gar nichts Tröstliches? Hört man auch bei Ihnen von Friede nichts? Meinen Mann darf ich ja gar nicht fragen.«

Der Hofmarschall blickte sich um, es schien, als ob er die stieren Blicke der geharnischten Mannen scheue; dann sagte er leiser, in die Fensternische tretend:

»Doch! es weht ein leiser Atemzug von Hoffnung. Man ist in Unterhandlungen, wenigstens über einen Waffenstillstand. Unser guter König will den Frieden, das muß uns alle trösten. Keiner fühlt mehr als er die Leiden seines Volkes. Lucchesini und Zastrow waren nach Berlin geschickt. Sie haben Napoleons Bedingungen nach Preußen mitgenommen. Der König hat die Minister zu einer Konferenz nach Graudenz berufen. Das ist die letzte Nachricht aus Berlin; man erwartete dort täglich das Resultat.«

»Gott sei Dank!« rief die Edelfrau.

»Jubeln wir nicht zu früh. Um den Monarchen sind noch zu viel eigensinnige Charaktere, die alles dran setzen möchten, was noch zu viel verlieren, wo gar nichts mehr zu gewinnen ist. Diese Ausländer empfinden freilich nicht, was wir Angesessenen leiden, dieser Freiherr von Stein und Hardenberg und so mancher Bramarbas, der noch immer auf Kriegsruhm hofft. Napoleons Bedingungen sind etwas hart, das gebe ich zu. Er fordert die Uebergabe von Glogau, Graudenz, Danzig und die Entfernung der Russen aus Preußen. Aber was uns Festungen helfen, haben wir eben gesehen; und was solche Alliierte, die nur tun, was ihnen gut dünkt, die, ihr Land weit hinter sich, in unserem wie in Feindesland hausen, das werden wir auch bald erfahren, wenn eben nicht einsichtige Ratgeber unserem zu guten König zur Seite stehen.«

Die Edelfrau schien, indem sie die Hände faltete, Gott um solche einsichtige Ratgeber zu bitten. Sie bat aber rasch, ihrem Manne nichts davon zu sagen. Der Lehnsvetter drückte ihre Hand:

»Es ist überhaupt gut, das für sich zu behalten, liebe Cousine, denn – doch lassen Sie uns von diesem Thema abbrechen. Der Mensch will sich immer mehr Sorge machen, als der Himmel ihm ohnedies aufpackt.«

Und es waren allerdings Sorgen anderer Art, die jetzt die gute Hausfrau und Mutter beschäftigten, als beide langsam auf und ab im Korridor gingen, bis sie es für geratener fanden, in das Eckzimmer zu treten. Es war dunkel, und was man nennt heimlich, darin; mit seinen kleinen Fenstern in der dicken Mauer gehörte es zu einem älteren Schloßflügel, an den das geräumige Vordergebäude, wenigstens der obere Fachwerksstock, erst später angebaut war.

Die älteste Tochter Karoline hatte das Zimmer nach ihrem Penchant eingerichtet. Der Geschmack war etwas wunderlich, denn man wußte nicht, welche Richtung er eigentlich nahm, aber es war voller und sah wärmer aus als die anderen Gemächer des Hauses.

Die gute Frau von Quarbitz hatte während des Gespräches ihr Tuch zuweilen an die Augen gebracht; auf dem Tische lag die zerbrochene Silhouette.

»Ach, lieber Cousin, ein Mutterherz ist doch auch ein Mutterherz. Und wie meine Töchter sich verheiraten sollen, das weiß der liebe Himmel. Er hat kein Einsehen. Was kriegen sie denn 'raus, wenn er mal die Augen schließt! Es ist ja alles Lehn; das bißchen Allod, das Vorwerk da, wenn's nicht in der bösen Zeit auch drauf geht, was kommt denn auf jede! Karoline sollte Hofdame werden bei Prinzeß Ferdinand. Er wollte nicht. Ja, warum nicht? Darüber will ich auch lieber nichts gesagt haben. Karoline ist hübsch, ja, ich kann wohl sagen, sie war die schönste bei Mamsell Brüel. Die Gräfin Medem und die Dankelmann waren gar nichts dagegen. In der Pension, wo jede die andere im Schlumper sieht und in Papilloten, da weiß man das. Sie hat Körbe ausgeteilt, ehe die Männer noch die Hand danach ausstreckten. Ich war des Todes erschrocken, wie ich das von Herrn von Quiritz hörte. Sie hielt sich »zu gut für solchen Krautjunker«. Wo kann man sich denn die Männer machen, wie man sie wünscht; man muß sie nehmen, wie man sie findet, sonst bleiben alle sitzen. Und glauben Sie, mein Mann war ganz zufrieden damit. Wolf, sagte ich, wie kannst Du nur so sein, der Quiritz, der Johanniter, ist doch die beste Partie in der ganzen Provinz! Was antwortete er mir? »Der rote Stöpsel kann ja nicht auf dem Pferde sitzen.« Und so ist und bleibt er. Um die Wilhelmine ist mir nicht so bange, die hat 'ne Art, die gefällt jedem, und sie nimmt auch den ersten besten anständigen Mann, der Ernst macht, und die Malchen ist noch ein Kind, sie wird erst siebzehn. Aber Karolinen ist keiner fein und vornehm genug und gelehrt und gebildet. Wozu soll das aufs Land, frag' ich? Da gibt mir auch Quarbitz recht, aber es schmeichelt ihm doch, wenn sie so über die Schulter die Männer ansieht, er sieht sie ja nicht besser an – als wären's Rekruten, und er könnte wählen. Es hat sich auch zu wählen!«

»Wer weiß,« sagte der Hofmarschall, indem er die Finger auf dem Tische spielen ließ.

»Ich weiß schon, was mein Mann denkt. Die Mädchen haben sechzehn Ahnen, ach Gott, und noch darüber, und das war es auch, warum Herrn von Quiritz' Vater kam, wegen des Stifts, worin der Hugo succediert, und die Familien im Lande soll man suchen, die das so klar wie das Einmaleins im Stammbaum haben, aber –«

Sie hielt plötzlich erschrocken inne, sie glaubte ein leichtes Erröten über das Gesicht des Lehnsvetters fliegen zu sehen. Die Quarbitz aus Quilitz erfreuten sich nicht des Rufes, daß sie das so klar im Stammbaum hatten. Aber der Herr von Quarbitz lächelte bald sehr freundlich die Bestürzte an.

»Nicht wahr, meine Gnädige, wir beide sind doch der Meinung, daß wir für unsere Nachkommen leben und nicht für unsere Vorfahren. Die Franzosen legen so viel Einquartierung bei denen mit sechzehn, wie bei denen ohne Ahnen. Uebrigens gebe ich Ihnen zu, es war eine Betise, daß sie den jungen Quiritz abgewiesen. Einen Kopf kleiner ist er freilich als mein schönes Mühmchen, und sein Kopf war feuerrot und das Gesicht blatternarbig, auch war er etwas zu rund für einen guten Reiter, das gebe ich auch zu; indes, er war doch immer der Majoratserbe von Vegesack. Mein Pate Hugo hat sich nun getröstet, sein Vater hat ihm eine Gräfin aus Hannover mit gerade sechzehn Ahnen verschrieben. Ich aber tröste mich, daß Sie dieser Sache da – er zeigte auf die Silhouette – keine große Bedeutung beilegen.«

Die Mutter seufzte wieder, das Tuch an den Augen: »Der gute Theodor! Leichtsinnig ist er und verspricht mehr, als er halten kann, das ist wahr; aber wir waren dem Jungen alle so gut, und wer stopfte ihm nicht zu, was er konnte, bei seiner Equipage! Lieber Gott, man dachte, wer weiß, was aus ihm wird! Im Kriege ist ein anderes Avancement. Auch mein Mann war ihm gut. Was konnte er dafür, daß sein Regiment gar nicht zum Angriff gekommen ist?«

Der andere zuckte die Achseln.

»So wenig als für den boshaften Artikel im Telegraphen des Herrn Lange, wonach der Kommandeur in seiner Herzensangst den Befehl des Herzogs von Württemberg mißverstand und statt zur Attacke zur Retraite blasen ließ. Als er redressieren wollte und aus Leibeskräften schrie, versprach er sich, oder die Trompeter hörten falsch und bliesen sich die Lunge aus, daß die Retraite nicht schnell genug gehe. So schrieb, wie gesagt, der Telegraph, und die Wahrheit ist, daß ein paar Schwadronen auf falsches Kommando Kehrt machten und unter dem Gelächter des Feindes in gestrecktem Galopp das Schlachtfeld verließen. Als sie atemlos an der Elbe sich besannen, war es zu spät. Der Kornett Hurlebusch konnte nichts anderes tun, als auf Kommando mitlaufen. Nun wird er auch mit ausgelacht. Das ist nun mal so in der Welt, und dagegen hilft kein Protestieren. Er muß sich trösten mit dem Mitleid schöner Damen. Aber in den jungen Don Juan scheinen ja alle drei verliebt?«

Die Mutter hatte auf etwas gehorcht und war aufgestanden, denn dies Gespräch war zu Ende.

»Theodor spielte gar zu schön. Wenn er die Reichardtschen Lieder auf dem Klavier vortrug, waren die Mädchen wie bei Oberons Horn. Besonders das schöne Lied von dem Zitronenlande – Malchen zerfloß immer in Tränen – einmal, wie er's gesungen, fiel sie ihm – mein Gott, was ist denn das? Das ist ja Theodor! – Der Junge wird doch nicht –«

Sie hatte die Tür aufgerissen, der Gast war ihr gefolgt. Es war ein eigenes Schauspiel. Dicht an der Tür stand die jüngste Tochter in der Stellung einer Lauscherin, halb auf den Zehen, den einen Finger am Mund. Die im Zimmer hatte das Kind nicht behorcht, sie winkte ihnen vielmehr durch ein Augenzücken Stille zu. Auch waren noch andere Horcher im Korridor; Karoline in der Mitte und Wilhelmine mit dem Baron an der Treppenmündung.

Volle Töne eines wohlgestimmten Klaviers drangen durch den Fußboden. Es war Mignons Lied nach der Reichhardtschen Komposition, aber es klang voller, rauschender, sehnsüchtiger, der Vortragende hatte eigene Phantasien dem Empfangenen untermischt.

»Ach, der Herr Kandidat, den haben wir ganz vergessen,« rief Minchen am anderen Ende des Korridors. – Der Zauber war erklärt.

»Ganz wie Theodor,« sagte Karoline in der Mitte.

»Nein, das ist etwas anderes!« rief Malchen. »Das ist –«

Ihr fehlte wohl ein Gleichnis, auf das sie sich besann, als die Hausglocke heftig anschlug. Hans mußte sie rühren, wenn ein vornehmer Gast eintrat, zuweilen auch, wenn der Hausherr zurückgekehrt war. »Der Herr Major!« rief seine Stimme.

Der Zauber war gelöst, vielleicht um einem anderen Platz zu machen. Die Mienen einiger nahmen einen andern Ausdruck an; alle befangener als vorhin, nur vielleicht Malchen nicht, die voran die Treppe hinabsprang, dem Vater entgegen.


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