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Siebentes Kapitel.
Der Gutsherr sah nicht so grämlich aus, als man hätte nach den Reden der andern vermuten sollen. Zwar war er in seinen mit Kot bespritzten Stiefeln, die er in polnischer Weise oder als alter Kavallerist über den Pantalons trug, und mit der Regimentsmütze, von der er den Regen abschüttelte, nicht in dem Kostüm, um Gäste zu empfangen, noch schien es ihn zu kümmern, daß er nicht darin war. Aber es zuckte in den grauen Augen eher ein Strahl von Freudigkeit, der zwar einen anderen Grund haben mochte, als den Anblick des unerwarteten Besuches, von demselben aber nicht zurückgedrängt wurde. Die weiblichen Familienmitglieder telegraphierten unter sich die angenehme Wahrnehmung mittelst jener Augensprache, in der alle gleich erfahren schienen.
»Was verschafft mir diese Ehre?« sprach er zum Hofmarschall, und von der kurzen militärischen Verneigung fiel auch etwas auf den Kandidaten und auf den Baron. Den letzteren schien er mit einem raschen Blick von Kopf bis Fuß zu messen, um dann flüchtig die Hand des Hofmarschalls zu schütteln. »Wie sich von selbst versteht, sehr willkommen unter allen Umständen.«
»Sie wünschten, verehrtester Vetter,« entgegnete der Gast, »vor der Introduktion unseres Herrn Mauritz eine Entrevue mit ihm. Da ich mir denken kann, daß Sie jetzt nur ungern von Ihrem Hause sich entfernen, wollte ich Ihnen den langen Weg ersparen und erlaube mir, Ihnen unsern jungen Freund zu präsentieren. Wir verlieren ihn ungern,« sagte der Herr Hofmarschall und unterfaßte den Arm des Kandidaten, indem er einige kordiale Handschläge drauf tat, »aber wir trösten uns, da wir wissen, daß er hier besser aufgehoben sein wird.«
»Sehr obligiert,« entgegnete der Major. »Das wird sich ja alles finden. Aber apropos, Luise, ehe ich es vergesse, schicke Kurellasches Brustpulver in die Schäferei. Die Thomas hat's wieder schlimm auf der Brust. Auch eine Suppe und Fleisch zu morgen. Sie können nicht zukochen. Aber auf der Stelle.«
Die gnädige Frau sah ihn und die Gäste an; es war wohl sehr begreiflich, daß sie gern Zeugin des ersten Gespräches geblieben wäre. »Du meinst, lieber Wolf, gleich –«
»Auf der Stelle, sage ich. Thomas' Junge wartet draußen.«
Nun wußte sie, er war in der Schäferei gewesen, die ziemlich entfernt vom Gute lag, aber von woher er den frohen Blick gebracht, wußte sie darum noch nicht. Vielleicht, tröstete sie sich im Hinausgehen, erfuhr sie es durch die Söhne, die nicht in die Stube durften.
Aber auch Wilhelmine ward hinausgeschickt, um das Abendbrot zu besorgen, ehe es zu spät wurde. Der Gast entschuldigte sich mit dem schlechten Wege und der einbrechenden Nacht.
»Aber eine Kollation, etwas Kaltes, was die Küche eines geplünderten Mannes hat. Schnell, Minchen, unsere Gäste müssen bald fort.«
Der Wirt ging noch einige Male mit denselben vergnügten Blicken auf und ab, und so festen Trittes, daß man sein Podagra nicht merkte. Die Gäste konnten denken, es sei das Vergnügen, sie hier zu sehen; vielleicht dachten sie aber, es sei nur, um sich trocken zu gehen; denn die warme Stube hatte die Spuren des Regens an seinem Rocke noch nicht vertilgt.
»Sie sind doch nicht naß geworden, Herr Baron von Eppenstein?« blieb er plötzlich vor diesem stehen. »Wer das Klima nicht kennt, hat den Schnupfen weg, er weiß nicht wie. Das würde mir außerordentlich leid tun.«
Der Baron versicherte, er befinde sich vollkommen wohl, obgleich er noch nicht wußte, warum er das versichern mußte. Er erfuhr es aber sogleich, als der Major an seinen Rockzipfel faßte.
»Es wäre auch schade um das feine Röckchen gewesen. Englische Ware, nicht wahr? Man nennt es Englisch Leder?«
Der Baron bejahte durch eine stumme Neigung.
»Sie wollen eine Fabrik anlegen? Ich meine von solchen kurzen Waren? – Ich meine, wenn die Häfen gesperrt sind, die Engländer nichts mehr 'reinbringen dürfen? – Das kann ein gutes Geschäft werden – sorgen Sie nur für Leute, die solches Zeug kaufen. Wir hier werden bald zufrieden sein, wenn wir uns selbst nur was Grobes weben können, damit wir nicht nackt gehen.«
»Herr Major belieben zu scherzen; es war nie meine Intention, mit diesem Industriezweig mich zu befassen.«
»Excüs! Richtig! Eine Verwechselung. Es vagiert da ein anderer Commis Voyageur aus Hamburg in der Priegnitz und Altmark. Der Kerl will – was geht's mich an, was er will. – Sie wollen Raps bauen. Gut! Versuchen, aus der Rübe Zucker zu quetschen. Meinethalben, wenn Sie mich nur nicht nötigen, ihn in meinem Kaffee zu trinken.«
»Fürs nächste ist das nicht meine Absicht. Der Boden –«
»Taugt zur Kartoffel, und Sie wollen destillieren. Schnaps trinkt Freund und Feind. Was für jedermann recht ist, darauf spekuliert man am besten. Sie haben recht. Brennen, destillieren Sie Branntwein, bis wir eine Hungersnot haben. Desto besser. Je mehr man hungert, um so mehr trinkt man, um's zu vergessen.«
Ehe der Baron die Lippen zu einer Entgegnung geöffnet hatte der Major sich schon zum Kandidaten gewandt.
»In der Musik auch bewandert wie in der Bibel?«
»Herr Major betrafen mich auf einer Phantasie.«
»Phantasien lieb' ich nicht.«
»Ich hatte einen taktfesten Lehrer in Berlin.«
»Ich kann es sonst nicht leiden, wenn der Prediger auch Küster und Kantor zugleich sein will, aber taktfest ist gut in jeder Sache. Geben wohl auch Unterricht?«
Ein Nicken des Herrn von Quilitz bejahte es, und ein ausgesprochenes Lob desselben über die Art, wie der Kandidat in seiner Familie auch den Musikstunden obgelegen, ersparte diesem die Antwort.
Die anwesenden Familienmitglieder, den günstigen Augenblick benutzend, rühmten sein ausgezeichnetes Spiel. Malchen war drauf und dran, ein Familiengeheimnis zu verraten, indem sie anhub: »Herr Mauritz spielt wie –« Aber Karoline fiel ein – sie nannte ein paar der ersten damaligen Klavierspieler der Hauptstadt, deren Namen ihrem Vater sehr gleichgültig waren. Sie verriet auch die Entdeckung, welche sich fast von selbst gemacht, daß der Kandidat die gesprungene Saite wieder eingesetzt, das Klavier prächtig gestimmt und sie nun keinen Stimmer mehr brauchten.
»Meinethalben mag er spielen wie der alte Fritz seine Flöte, und Geigen machen wie ein Cremoneser,« brummte der Hausherr, der dem Kandidaten längst den Rücken gekehrt, und entkorkte eine Flasche, die er Minchen vom Präsentierteller abgenommen, auf dem sie den kalten Imbiß zu Ehren der Gäste selbst hereingebracht.
Die Kollation, das Kurellasche Brustpulver und die Suppe für die kranke Schäferin war mit ungewöhnlicher Schnelligkeit besorgt worden, und doch hatte die Mutter draußen noch ein Examen mit ihren beiden Knaben abgehalten. Aber sie hatten ihr nicht mehr sagen können, als daß der Vater, als sie über den Park heraus im Walde waren, auf der Landstraße einen Reisewagen fahren gesehen.
Da wäre er quer feldein über die umgestürzten Aecker geeilt, um den Herrn, der im Wagen saß, anzuhalten. Was beide so eifrig gesprochen, wußten die Knaben nicht, teils weil sie mit ihren kleinen Beinen durch den nassen Lehmboden nicht so schnell dem Vater nach konnten, teils weil sie es auch nicht verstanden.
Die Mutter hörte nun zwar aus der Beschreibung heraus, daß der Herr im Wagen ein Obersteuerbeamter gewesen sein müsse, der oft von Berlin des Weges nach der mecklenburgischen Grenze fuhr, aber nicht, was den Vater und den Herrn so ergriffen, daß sie sich die Hände geschüttelt und, als der Wagen schon fortgerollt, noch zugenickt hätten. Der Major schüttelte selten mit einem Bürgerlichen die Hand, noch seltener mit einem Herrn vom grünen Tische, am wenigsten mit den Herren vom Steueramt, welche die Grenze bereisen.
Auch der Vetter aus Quilitz war über die Weinflasche verwundert, da der Vetter aus Ilitz nicht allein gelobt, keinen französischen Wein mehr zu trinken, sondern überhaupt in diesen schweren Zeiten keinen auf dem Tische zu haben. »Eben darum,« erwiderte der Major, »soll dieser letzte Rest auf die frohe Nachricht ausgestürzt werden!«
Welche frohe Nachricht? stand auf den Blicken.
»Auf den fortgesetzten Krieg! Angestoßen, Vetter aus Quilitz. Die Ilitzer und Quilitzer kamen nie zu einem so frohen Ereignis zusammen. Darüber kann, soll, muß man alles vergessen. Ihre Hand, Vetter! Das bedeutet auch Ihr Besuch? Nicht wahr, Sie wußten es – Sie wollten mich nur aushorchen? Hier sind noch keine Spione und Verräter –«
»Mein Gott, was wußten Sie, Cousin?« Die gute Frau von Ilitz wurde blaß.
»Die Waffenstillstandsverhandlungen sind zerschlagen. Bei der Ministerkonferenz in Graudenz kam nichts 'raus, wie an den grünen Tischen nie was 'raus kommt. Der König berief sie alle noch einmal nach Osterode. Da wurde geschwatzt. Gensau, Kalkreuth, Laurenz, wer weiß, wie alle die – Kerle heißen, plapperten allerhand von Unmöglichkeiten, man dürfe den Bonaparte nicht aufs äußerste erbittern. Aber Freiherr Stein donnerte ihnen in die Leber: solcher Waffenstillstand beraube den König des Vertrauens seiner Nation, wir würden zu Verrätern an Rußland und England. Auch Voß sekundierte; ich hätt's ihm kaum zugetraut. Kurz, verworfen, total verworfen! Der Krieg wird fortgesetzt. Lestocq soll das ostpreußische Korps verstärken. In Schlesien halten sich noch die Festungen. Der Fürst von Pleß soll unterstützt werden. Der Schnee und Regen werden unsere Alliierte, die Franzosen bleiben im Kot stecken. Aber gerät's zum Schlimmsten, auch dann kein Nachgeben: die Königliche Familie geht nach Rußland. – Also angestoßen, Seine Majestät, unser allergnädigster König!«
Der Hofmarschall stieß an. Auch sah er nicht mehr verstört aus; er hatte sich vorhin umgesehen und war über die Anwesenden beruhigt.
»Unser trefflicher, guter König! Aber was sagt Haugwitz dazu?«
»Fortgejagt! Haben ihm 'ne Krankheit, Augenleiden, oder sonst was angelogen. Als ob an dem Kerl noch ein gesunder Fleck wäre. – Auf den Freiherrn Stein! Vetter, wir kennen ihn ja. Der hat Haare auf den Zähnen!«
»Ich habe nur die Ehre, ihn ganz flüchtig zu kennen,« sagte der Gast und stieß auch nur flüchtig an.
Der Wirt sah sich wieder mit dem vollen Glase flüchtig um: »Heda, Herr Kandidat. Sie wollen wohl nicht anstoßen? Die Kirche trinkt kein Blut.«
Herr Mauritz aber stieß sein volles Glas an das des Gutsherrn. »Aus ganzem Herzen und aus voller Seele!«
Der Major sah über die Schulter. »Und der Herr Baron aus Wüstelang da?«
Auch er stand mit dem Glase. »Ein angefangen Geschäft muß man zu Ende bringen oder sich bankerott erklären, und eine Schüssel rein ausessen, oder es wird schlecht Wetter, sagen die Ammen. Ein Krieg, der mit 'nem Waffenstillstand ausgeht, gibt keinen ordentlichen Frieden. Also der Krieg, Herr Major!«
Der Gutsherr sah ihn nicht ungefällig an; er war sehr vergnügt. Nur die Edelfrau konnte nicht Herrin ihrer Gefühle werden. Sie war auf einen Stuhl gesunken, und ihre stillen Tränen machten sich Luft: »Warum muß denn Krieg auf der Welt sein?«
Der Herr von Quilitz schien sie in einem Gespräch zu trösten, dessen Worte nicht laut wurden. Der Schluß lautete: »Wenn der Mensch das nur ernstlich will und ein gewisses savoir faire sich angeeignet hat, findet er auch unter Feinden Freunde und im Unglück immer etwas Glückliches. Das muß jetzt unsere ganze Sorge und Arbeit sein, und ich muß um Entschuldigung bitten, wenn ich Ihren Herrn Gemahl deshalb ersuche, mir einige Augenblicke in seinem Zimmer zu schenken.«
Die unten geblieben, waren neugierig, was oben verhandelt werde. Des Vaters Zimmer war über dem Saal; das Knacken der Dielen unter seinen Tritten, wie er sich räusperte, die Pfeife ausklopfte, den Lehnstuhl an den Tisch rückte, war für die kluge Familie ein Thermometer, wie die Dinge oben standen. Um deshalb war es ihnen nicht angenehm, als der Baron, vorhin von den Töchtern dazu aufgefordert, sich jetzt an das Klavier setzte und einen neuen Wiener Walzer spielte. Malchen sah verwundert auf, und ihr Blick traf mit dem Kandidaten zusammen. Es war eine Harmonie in ihrem Ausdruck: das paßte hier nicht! Der Spieler ward unterbrochen durch den Eintritt des Dieners. »Der Herr Kandidat möchten zum Herrn Major sich hinauf verfügen.«
»Aha, nun wird der ins Gebet genommen,« sagte der Herr von Eppenstein. Die Bangigkeit in der Familie ward dadurch nicht gehoben, daß er sie versicherte, der Kandidat wäre ein guter Mensch, nur ein bißchen eigensinnig.
»Wenn er nur meinem Manne nicht so antwortet,« seufzte die Edelfrau. »Bei dem kann ein Wort alles verderben.«
Eigentlich war man aber noch neugieriger, warum der Hofmarschall wohl gekommen; denn um den Kandidaten zu präsentieren, hatte er sich nicht auf den Weg gemacht. Davon waren Mutter und Töchter, trotz des sehr verschiedenen Grades ihres psychologischen Scharfblicks, überzeugt.
»Wenn Sie mich nicht verraten wollen, meine Gnädigen, so steckt eigentlich nur die Pferdelieferung dahinter.«
Die Damen von Ilitz waren davon nicht unterrichtet.
Der Baron gab die Erklärung:
»Dem Herrn Hofmarschall haben wir's zu verdanken, daß unser Kreis bis jetzt noch so erträglich davongekommen ist. Oder vielmehr, auf dem Papier haben wir unser Teil getragen wie andere, aber wir haben Schindmähren gestellt, von denen man froh sein konnte, daß sie bis in den Stall kamen. Ausrangierte Kavalleriepferde wurden von den französischen Kommissären unter der Hand gekauft und mit eingestellt. Keinen Tag darauf, und die meisten mußten schon totgestochen werden. Umsonst hat man das natürlich nicht; es kostet Trinkgelder an die Trainknechte, die Chasseurs, die Brigadiers, die Inspekteurs. Man kann aber gar nicht hoch genug hinaufgehen, um sicher zu gehen. Der General in Berlin, der die Remonte unter sich hat, ist, sagt man, ein menschenfreundlicher Mann; aber er hat unter der Hand durch den Intendanten in Nauwalk anfragen lassen, wie es denn komme, daß gerade von den Pferden aus unserer Provinz so viele gefallen seien? Ob vielleicht eine Krankheit grassiere? Man solle doch gründliche Mittel dagegen nicht scheuen, auch wenn sie dem Kreise etwas kosteten. – Was das bedeutet, weiß jedes Kind. Ja, seine Pferde retten möchte auch jeder, aber wie zwingt man die Leute, daß sie was freiwillig geben! Der Herr Major sind nun ein Mann, dessen Name im Kreise was gilt. Ist er dabei, dann springen viele nach. Und der Herr Hofmarschall meint, es ist die höchste Zeit, sonst könnte es uns noch viel schlimmer auf den Hals rücken – die Durchzüge von den Wallonen und Italienern sind auch nicht ohne. – Man will uns fühlen lassen, daß wir was tun müssen –«
Der Baron ward durch die Rückkehr des Kandidaten unterbrochen. Er trat, verbindlich sich neigend, vor die Mutter:
»Gnädige Frau, wenn ich auch Ihre Zustimmung gewinne, so werde ich vom neuen Jahre ab das Glück haben, Ihr Hausgenosse zu sein. Der Herr Major hat die Güte gehabt, mit meinen schwachen Fähigkeiten sich zufrieden zu erklären, und wir kamen überein, daß ich vorläufig auf ein Jahr den Unterricht Ihrer Söhne übernehme. Ich hoffe zum Allmächtigen, daß, wenn mein Erziehungswerk vollendet, bei dem sein Segen das beste tue, ich aus dem Hause unter glücklicheren Konstellationen scheiden möge, als die, leider! sind, unter denen ich es betrete. Seine Hand lastet schwer auf uns, um so fester müssen wir zusammenstehen und einträchtig bleiben im Vertrauen. Er züchtigt, die er liebt, aber er wird die erhöhen, welche sich im Gefühl ihres Unwerts vor ihm in den Staub werfen. Wir haben alle zu bekennen, daß wir gesündigt, schwer gesündigt, und nicht wert sind seiner Gnade. Diese Erkenntnis ist das erste, was not tut, sie muß in unseren Nieren brennen und mit Flammenschrift durch die Nacht, die um uns, vor unserer Seele leuchten. Dann mögen wir hoffen, daß wir wiedergeboren werden, und sein Strahl, der uns durchzückt, möge er dann freie, edle Menschen in einem freien, glücklichen Lande sehen!«
Die gehobene Stimmung, in welcher der Kandidat sichtlich eingetreten, und die sich unwillkürlich in dieser predigtartigen Ansprache Luft machte, wirkte verschieden. Die gnädige Frau, die leicht gerührt war, wäre ihm gern um den Hals gefallen, wenn sich das geschickt hätte. Sie weinte mehr als stille Tränen. Malchen stand nachdenklich hinter ihrem Stuhl, ihre Blicke auf den Boden gerichtet. Karoline am Klavier schien weniger von der Rede erbaut, als von dem Klavierspiel, dessen verklungenen Tönen ihr inneres Ohr folgen mochte. Wilhelmine, die von einem Gange zurückkam, hatte nur die letzten Worte gehört und fragte den Baron, was Herr Mauritz damit gemeint?
»Gemeint,« antwortete dieser, »hat er wohl eigentlich, daß es ihm mehr auf gute Behandlung, als auf hohes Gehalt ankäme.«
Die Aufmerksamkeit war bald von ganz anderen Dingen gefesselt. Oben war es laut und lauter geworden. Die Decke dröhnte von den Schritten des Majors; man hörte seine Stimme, ohne die Worte zu verstehen. Doppelte Tritte – auch der Gast mußte mit ihm um die Wette gehen; – ein heftiger Wortwechsel, der jetzt in fast schreienden Tönen sich kund gab, um wieder in ein Gesurr von Stimmen sich zu verlieren, wie wenn im Disput jeder nur das Atemholen des andern abwartet, um die gesammelte volle Ladung von Gründen loszulassen. Der Major stampfte den Stuhl, den er in Händen hielt, auf den Boden.
»Ach, du lieber Himmel, jetzt geht ein Donnerwetter los!« Die Mutter faltete die Hände.
»Nein, Mutter,« sagte die jüngste Tochter, welche mit angehaltenem Atem, wie die anderen, den Symptomen gelauscht. »Der Herr von Quilitz widerspricht. – Das ist seine feine Stimme. – Wenn jemand Vatern kein Wort schuldig bleibt, dann gibt es kein schlimmes Ende. – Siehst Du, sie promenieren wieder. – Der Vetter schlägt seine Dose zu.«
Minchen, die etwas Gebackenes präsentierte, stimmte der Wahrnehmung ihrer Schwester bei:
»Einig sind sie nicht geworden, aber sie gehen viel ruhiger. – Der Herr von Quilitz soll sich nicht echauffieren vor der Abfahrt.«
Nur der Baron machte ein eigentümliches Gesicht, indem er die Hände über dem gekreuzten Knie verschlang. »Patsch ist der Ball! Das ist gewiß.«
Der Herr von Eppenstein schien die Rolle vergessen zu haben, die er hier spielen mußte, aber nur auf einen Augenblick, als man ihn fragte, was er damit meine, schnellte er wieder in den Gentleman, obgleich seine Mitteilung noch immer im vertraulichen Ton gehalten war.
»Sie müssen mich auch wieder nicht verraten, meine Gnädigste. Und Sie auch, Kandidat. Es war der letzte Schuß, wenn die anderen geglückt wären. Ein Ball war proponiert in Nauwalk, den der Landadel geben wollte!«
»Ein Ball – jetzt!« es war eine Stimme der Verwunderung.
»Meine gnädigsten Fräulein, Sie werden doch nicht davor erschrecken? Ein langer Winter ist vor der Tür, und sehr viel Angenehmes steht uns nicht bevor. Warum sollten wir uns nicht die unangenehmen Grillen forttanzen! Aber nun ohne Spaß, die Sache hat auch ihre ernsten Seiten. Den Winter durch müssen wir nun mal mit den Franzosen leben, da hilft nichts vor. Hilft es uns, wenn wir die Köpfe hängen, grimmige Gesichter schneiden und uns immer als ihre Feinde präsentieren? Mit den Franzosen kommt man am besten aus, wenn man mit ihnen railliert, toujours frères et compagnie. Die Herren Offiziere, die wir zum Ball invitieren, accommodieren sich als Einquartierung weit besser; und was wir an Punsch und Kuchen ausgeben, profitieren wir an Schinken und Eiern in der Wirtschaft. – Sind wir darum etwa nicht Patrioten? Werden wir schlechte Preußen, weil wir mit den Franzosen tanzen? Im Gegenteil, wir zeigen ihnen, daß wir uns noch nicht kaputt fühlen.«
Alle schwiegen, während der Baron einige jener verklungenen Walzertöne wieder über die Tasten gleiten ließ.
»Die Franzosen dachten einmal anders,« sagte der Kandidat. »Als die jungen Mädchen in Verdun auf dem Ball mit den Preußen getanzt, ließ sie der Konvent zur Guillotine schleppen – als Vaterlandsverräterinnen!«
Der Eindruck der Worte war kein wohlgefälliger. Die Damen schauderten; Karoline warf auf den Redner sogar einen bösen Blick.
»Und solchen Republikaner oder Jakobiner,« rief der Baron lachend und mit einer Dissonanz seine Finger vom Klavier ziehend, »wollen meine Gnädigen in Ihr Haus nehmen?«
Die Stimme des Majors, der am oberen Fenster, rief: »Angespannt! der Herr Hofmarschall will fahren!« unterbrach die peinliche Szene. Bald hörte man beide Herren die Treppe herabkommen. Man erwartete nicht viel Gutes; die Physiognomien der Lehnsvettern täuschten aber. Sie traten, sich höflich bekomplimentierend, ein, und der Herr von Quilitz näherte sich mit der feinsten Freundlichkeit eines Weltmannes der Dame des Hauses:
»Nicht wahr, gnädigste Cousine, Sie fürchteten, daß wir uns in die Haare geraten wären? Es war nichts als eine kleine Divergenz der Meinungen. Es ist gut, wenn sie sich zuweilen reiben wie Stahl und Feuerstein. Wir sind beide gute Patrioten und nur über die Mittel uneinig. Jeder muß etwas nachgeben; nur so erhält man den Frieden. Heute haben wir wenigstens Waffenstillstand geschlossen. Ich, das will ich ganz offen gestehen, in der Hoffnung, inzwischen Alliierte zu gewinnen. Und diese Alliierten sind Sie, meine Damen. Ich gehe schon mit einiger Beruhigung fort. Mein Vetter hat mir versprochen, gegen die Franzosen, die ins Haus kommen, das Gastrecht zu üben, das ja auch unsere barbarischen Vorfahren übten. Aber das ist nicht genug. Wenn wir unsere Gesinnung zur Schau tragen, recht geflissentlich, schaden wir nicht den Feinden, sondern uns selbst, unserer Sache, ja der Sache unseres teuersten Königs. Was wir für ihn sparen konnten, bei weiser Haltung, erpreßt man uns bei einer törichten. Und dann, meine gnädigste Cousine, gute Patrioten müssen auch gute Eltern sein. Der Staat ist eine große Gliederung, deren nächster und heiligster Kreis die Familie ist. Ihr Oberhaupt muß zunächst für Gattin und Kinder sorgen. Das brauchte ich meinem lieben Vetter nicht zu sagen; das erhabene Beispiel Seiner Majestät des Königs bestätigt es uns. Er ist vor allem ein guter Familienvater, der seine Teuren in Sicherheit gebracht hat. Ihr Herr Gemahl wollte seine Familie nicht nach Berlin schaffen, ich achte seine Gründe – für damals. Aber jetzt haben sich die Verhältnisse geändert. Wenn der Feind immer mehr Zuzüge durch diese Provinz treibt, wenn die Exzesse sich mehren, und wir nichts – gar nichts tun, uns mit den Behörden zu stellen, wenn wir recht geflissentlich durch ein Ignorieren sie irritieren, dann freilich wird unsere Lage hier auf dem Lande immer bedenklicher. Besonders für zarte Damen, denn den disziplinierten Truppen folgt überall ein rohes, undiszipliniertes Gesindel.«
»Was meinen Sie?« fragte die Mutter, denn die lange Rede war allerdings weniger für sie als für ihren Gatten gehalten.
Er zuckte die Achseln.
»Ich habe dem Herrn Major meine aufrichtige Meinung gesagt. An ihm ist es, sie zu prüfen. Möchten wir nur alle bedenken, daß Klagen nachher nichts helfen, wenn der Schaden da ist.«
»Der Wagen des Herrn Hofmarschalls sind vorgefahren,« meldete Hans.
»Nicht noch eine Pfeife gefällig?« fragte der Hausherr in einem Tone, der nicht dazu aufforderte. Er hatte schweigend vorhin zugehört, als wäre es so mit dem Gaste vertragen gewesen. Der Gast deutete auf die anbrechende Dunkelheit. Er müsse ohnedies den Umweg jenseits der Querbelitzer Berge nehmen, um nicht das Moor zu passieren.
»Da wünsche ich nur, daß Ihnen nichts Unangenehmes passiert,« sagte der Major.
Die Hand, welche der Herr von Quilitz ihm hinhielt, mußte er drücken, den Baron verabschiedete er mit einer steifen Kopfneigung, gegen den Kandidaten fiel sie noch leichter aus. Die Damen zogen sich von der Schwelle in den Saal zurück, der Major begleitete die Gäste bis zum Torweg, um nach einer allgemeinen Verbeugung sich zu entfernen. Er litt ja am Podagra; der Herr von Quilitz hatte es ausgesprochen und er die dargebotene Entschuldigung gern entgegengenommen. »Hol' Euch alle der Teufel,« hatte der alte Hans ihn brummen hören, als er die Treppe hinaufstieg.