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Die St. Antonius-Kapelle.

Ein heftiges Gewitter hatte die schwüle Frühlingsluft abgekühlt und der Regenbogen verkündete dessen Ende. Da drängte es mich mächtig, in's Freie zu eilen, um der dumpfen Zimmerluft zu entrinnen.

Anfangs wanderte ich zwischen blühenden Obstbäumen, an welchen noch die Regentropfen gleich Krystallperlen glitzerten. Die kleine Allee führt zu einem nahen Dörfchen, welches gleichzeitig das Bild der Armuth und des Friedens darbietet, denn vor jeder Hütte befindet sich ein Gärtchen, das mit weißen Narzissen und anderen Frühlingsblumen freundlich geziert ist. Eben so ist die Armuth oftmals von einem Kranze lieblicher Tugenden geschmückt.

Unterwegs begegnete ich einem Knaben, welcher über den steinigten Boden sorglos dahinsprang und einen kleinen Karren nach sich zog. Ich hielt inne, um denselben über dessen Inhalt zu befragen. »Ich fahre meine kleine Schwester,« antwortete der Knabe, die alte Decke lüftend, welche den Anblick des Kindes verborgen hatte. Als ich dessen rosige Wange auf dem harten Kopfkissen und es sanft schlummern sah, dachte ich: »Wohl bewacht der Schutzengel das hilflose Kind während der sorglosen Fahrt über den steinigten unebenen Boden.«

Eine Weile nachher traf ich auf dem Baumstamme, der über dem Flusse lag, einen kühnen jugendlichen Reiter, der mittelst eines langen Stabes im Wasser spielte. Was dachte wohl der verwegene Knabe? Wähnte er als General auf einem Schlachtrosse zu sitzen, oder als Schiffer das große Weltmeer zu durchsegeln?

Während ich noch an meinen kleinen Helden dachte, hatte ich unbemerkt den letzten Theil des Weges zwischen blühendem Haidenkraut zurückgelegt und bereits die Anhöhe, auf welcher sich die Antonius-Kapelle erhebt, erreicht. So trat ich in's Gotteshaus und kniete auf eine alte Bank, welche gleichsam durch die Thränen vieler reumüthiger Wallfahrer geweiht war. Im nämlichen Augenblicke, als ich Gottes Barmherzigkeit auf mich herabflehte, vernahm ich plötzlich ein leises Geräusch, und erblickte den hochbetagten Priester, welcher sich dem Altar nahte, um die heilige Hostie aus dem Tabernakel zu nehmen. Das Himmelsbrod in seinen zitternden Händen tragend, verschwand er alsbald durch die Kirchenthüre tretend. Ich folgte dem greisen Diener Gottes in einiger Entfernung bis zu dem kleinen Hause; dann sah ich ihn daselbst durch die Thüre treten und sich dem Bette einer Sterbenden, seiner Schwester, die eben so viel Lebensjahre als er selbst zählte, nähern. Er brachte ihr die heilige Wegzehrung, um sie zum letzten Erdenkampfe zu stärken und sie zur großen Reise in die Ewigkeit vorzubereiten. Sobald diese heilige Handlung vollendet war, kniete der Greis am Bette nieder, der Schwester Hände fest in die seinigen schließend und sprach unter vielen Thränen die Sterbegebete. Sein Blick schien der Scheidenden zu sagen: »Bald werden wir uns wiedersehen.«

Nach einigen Tagen fühlte ich ein lebhaftes Verlangen, wieder den gleichen Weg einzuschlagen, um den greisen Priester aufzusuchen, der in der ganzen Gegend wie ein Vater geliebt, wie ein Heiliger verehrt wurde. Aber ich sah ihn nicht mehr. Die tiefe Stille, welche im Gotteshause herrschte, ward nur durch den Lobgesang der kleinen Vögel, die den Hochaltar umflatterten, unterbrochen. Ich nahte mich alsbald dem Häuschen, dessen Läden fest geschlossen waren. Ich pochte an die Thüre, – Niemand antwortete. Ich klopfte nochmals, – vergebens! Ein Druck auf die Schnalle gab nach; ich trete in das Zimmer und erkenne augenblicklich jenes, wo ich die Schwester des Priesters sterben gesehen. Das Gemach bot einen traurigen, unbewohnten Anblick dar. Ich entdeckte in demselben nur eine zerbrochene Vase mit einem welken Blumenstrauß, daneben einen Käfig, wo ein Kanarienvogel todt auf dem Sande lag. Wohl hatte er zum letzten Male während des Todeskampfes der guten Matrone gesungen. Ohne jeglichen Zweifel hatte sein kurzes Leben bald nach dem eisigen Erkalten jener sorgfältigen Hand geendet, aus welcher er täglich genährt worden war. Wer hätte die Sorge für den kleinen verlassenen Sänger übernommen?

Um meinen Besuch zu vollenden, stieg ich eine kleine Treppe hinauf; sie führte in das Schreibzimmer des guten Priesters. Ich suchte nach ihm vergebens in diesem traurigen Gemache. Es befand sich dort nur ein wurmstichiger Betstuhl, ein Kruzifix, das er einstmals vom gelobten Lande, wohin er in seiner Jugend eine Pilgerfahrt unternommen, zurückgebracht hatte. Dann verließ ich das kleine, vom Tod heimgesuchte Haus, um über dem Grabe des frommen Priesters und seiner tugendhaften Schwester zu beten.

Wie oft werde ich noch Gräber besuchen, ehe jenes gegraben wird, welches meine irdische Hülle aufnimmt?!


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