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Ein Ausflug auf den Faselberg.

Es war ein schöner Sommermorgen, als wir unsere kleinen Gebirgspferde aus den Appenninen bestiegen und den Schloßhof zu Berchtesgaden verließen. Wir verfolgten den romantischen, gegen den Königssee führenden Weg, bis wir einen alten Lindenbaum erreicht hatten, der mir frohe Stunden aus meiner Kindheit zurückrief. Vor vielen Jahren hatte ich mit meiner Schwester Hildegard unter der Obhut unserer guten Erzieherin diese malerische Linde, deren Stamm ein Heiligenbild ziert, gezeichnet, und nach beendeter Arbeit daselbst ein gemeinsames Vesperbrod auf der Wiese eingenommen. Diesen Lindenbaum zur Rechten lassend, lenkten wir unsere Pferde auf den steinigen Fußpfad, der zu einem schattigen Tannenwald führt. Während des Rittes beobachtete ich die mannigfachen Gesträuche, auf welchen die Thautropfen funkelten, die eigenthümlich geformten Baumwurzeln, den weichen sammtartigen Rasenteppich, aus welchem Blumen und rothe Erdbeeren lieblich emporstiegen und durch's Gezweig zu lächeln schienen, und es kam mir dabei der Gedanke: »Wie herrlich sind doch die Schöpfungen Gottes! Jede kleine Blume, welche man mit dem Fuße zertritt, ist ein Meisterwerk und verdient aufmerksam betrachtet zu werden, da sich die Güte Gottes sogar im kleinen Grashalm offenbart.«

Während meiner Betrachtung erklommen unsere Gebirgspferdchen mit großer Sicherheit den steilen Weg, der uns zum Ziele unseres Rittes, auf den Faselberg, führte. Da erblickte ich eine erbärmliche Hütte, welche zwei Familien zum Obdache diente. O, welch' ein Bild menschlichen Elends bot sich hier unserer Betrachtung dar! Die großen Sprünge der dünnen Mauern waren mit Lumpen ausgefüllt; aber sie genügten immer noch nicht, um dem anstürmenden Wetter bei allen Jahreszeiten den Zutritt zu verwehren. Der Anblick war so jammervoll, daß ich Gott dankte, als diese Zufluchtsstätte der Armuth unseren Augen entschwunden war. Aber der Gedanke daran verließ mich nicht. Mit welcher Bangigkeit mochten diese Armen dem Winter entgegensehen; mit welcher Sorge mochten sie bei dessen Eintritt jede Nacht die Augen schließen? Konnte diese Hütte dem Sturm, Schneegestöber oder der kleinsten Lawine widerstehen? Würden sie nicht unter ihrem Einsturze ein Grab finden?

Aber das Gebet der Armen steigt zum Himmel empor und die Barmherzigkeit Gottes zur Erde herab; diese bedient sich ihrer irdischen Werkzeuge, um sie kund zu geben.

Gott hatte das Gebet dieser armen Hüttenbewohner erhört und das Herz meines guten Vaters gerührt, sobald er unsere Schilderung vernahm. Er beauftragte mich, ihnen die Freudenkunde einer großen Gabe zu bringen, um ihre Hütte vor Beginn des Winters vollkommen herzustellen. Rührend war deren Freude mit anzusehen, rührend der Ausdruck ihrer Dankbarkeit; ich aber dankte ebenfalls in meinem Herzen dem guten Vater, auf dessen Geheiß nicht allein Paläste und Denkmäler der Baukunst, die seinen Namen noch nach Jahrhunderten preisen werden, entstehen, sondern auch Zufluchtsstätten der Armuth, aus denen Segenswünsche und Gebete für ihn empor steigen.


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