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Der Allbarmherzige segnet die Barmherzigkeit.

Das freundliche Abendgeläute tönt zu einem kleinen, einsamen Bauernhause, zwischen Weinreben und Maulbeerbäumen in den schönen Bergen Tyrols gelegen. Schon beim ersten Glockentone eilt der gottesfürchtige Familienvater vom Felde heim, während sein rosiges, blauäugiges Töchterchen ihm fröhlich nachfolgt, den blonden Lockenkopf geschmückt mit einem Kranze von Himmelssternchen. Bereits hat die ehrwürdige, achtzigjährige Großmutter ihr Strickzeug, um die Hände zu falten, auf die Bank niedergelegt; sonst sieht man die halbblinde Greisin fast den ganzen Tag, ja sogar im Gehen, emsig stricken; schon steht die fromme Mutter, das schlummernde Kindlein in den Armen, unter dem alten Marienbilde, das in einer Nische ober der Hausthüre angebracht ist, und betet andächtig den englischen Gruß. Es herrscht lautlose Stille, kein Lüftchen weht und drückend ist die Hitze; die Vögel flattern ängstlich von einem niederen Strauche zum anderen. Aber plötzlich erhebt sich ein Wind und immer heftiger braust er über die Fluren; der Schlehdorn wird gewaltsam seiner zarten weißen Blüthen beraubt; gleich Schneesternchen fallen sie zur Erde nieder. Dichter Staub wirbelt empor und wälzt sich wellenförmig fort und fort. Der Horizont verdüstert sich und immer dichter sammeln sich die Wolkenschaaren, bis sie endlich, ein fürchterliches Gewitter verkündend, gleich einer schweren, grauen Decke über der grünen Flur hangen. Während das Vaterunser für die Verstorbenen gebetet wurde, gewahren die Eltern erst die Anzeichen eines schauerlichen Hagelwetters. Obwohl das Herz erzittert und der Landmann sowohl seiner kräftig sprossenden Saat als auch seiner nach Brod verlangenden Familie gedenkt, sprechen Beide doch ergeben in Gottes Willen gemeinsam die Worte:

»Herr, Dein Wille geschehe!« Dann gehen sie still in ihr ärmliches Obdach zurück, bringen die Kinder zur Ruhe und werfen ihre Sorgen auf den Herrn, der Keinen über seine Kräfte versucht. Nach einer kurzen Weile fallen schon schwere Regentropfen auf die hölzerne, mit Nelkenstöcken gezierte Gallerie, die das Bauernhaus rings umgibt; der Donner rollt dumpf aus der Ferne und noch dumpfer und schauerlicher antwortet ihm das ferne Echo der schroffen Felswand, während der Sturm rauscht und heult und die blüthenreichen Zweige der Mandelbäume schüttelt.

Jetzt wird das finstere Gewölk von feurigen Blitzen durchkreuzt und in ihrem grellen Lichte entdecken die Eltern, daß bereits der nahe Wildbach durch einen starken Wolkenbruch sein Bett verlassen und das von den Felswänden abgelöste Steingerölle mit sich führend, die schönen hoffnungsreichen Auen überschwemmt hat. Aber die Eltern sehen in der schauerlichen Beleuchtung nicht nur die verwüsteten Fluren, sondern auch die, unter Gottes Schutz sorglos schlummernden Kleinen, und dieser Anblick stärkt sie in der Versuchung, bei dieser schweren Prüfung nicht zu verzagen. Ohne Murren harren sie stillschweigend aus im festen Gottvertrauen, indeß das Gewitter von heftigem Hagel begleitet, noch stundenlang fortwüthet. Endlich beruhigen sich die schauerlich aufgeregten Elemente wieder und da keine Feuersbrunst mehr zu befürchten war, überließen sich die ermüdeten Landleute einem wohlthätigen Schlummer, aus dem sie bald der erste Sonnenstrahl wieder erweckte und zur neuen Arbeit rief.

Die aufgehende Sonne zeigte erst deutlich den vielfältigen Gewitterschaden, den man bei der rasch verschwindenden Blitzeshelle nur theilweise entdeckt hatte. Ein zündender Strahl war in den ältesten Maulbeerbaum gefahren. Dieser trug nun eine klaffende Wunde, aber auch die ganze Herbstsaat lag unter einer Hageldecke in Größe von Taubeneiern wie begraben; entwurzelte Obstbäume lagen zerstreut auf den zerstörten Wiesen umher und der tiefer liegende Garten stand unter Wasser, auf welchem man die geknickten Blüthenzweige dahinschwimmen sah.

Aber die liebliche Morgensonne beschien nicht nur die gräßliche Verheerung, sondern auch eine freundliche, von blühenden Gärten umgebene Villa, welche einige Stunden entfernt lag von dem vorher erwähnten Bauernhause. Dieselbe war von einer bejahrten Dame und ihrer jugendlichen, nervenleidenden Tochter seit Kurzem bewohnt, damit sich Letztere von der schweren, im Winter überstandenen Krankheit gänzlich erholen möge.

Der Morgen war so einladend schön, die Luft vom Gewitter, das sich in der Nachbarschaft entladen hatte, so wohlthuend abgekühlt, daß die junge Dame sich entschloß, an dem großen Spazierritte theilzunehmen, den eine Gesellschaft ausführte, um einen hochgelegenen Punkt aufzusuchen, von welchem man eine reizende Fernsicht genießt. Bald schwang sich das schöne Mädchen, auf deren blassen, regelmäßigen Gesichtszügen viele Leiden ausgeprägt waren, auf ein ihr gänzlich fremdes Pferd und eilte auf demselben muthig durch die prächtigen, mit Enzianen und duftenden Gebirgsschlüsselblumen übersäeten Auen, bis nach einer guten Weile der schattige Waldweg begann.

Während das vorsichtige Pferd mühsam den steinigen Pfad verfolgte, athmete das junge Mädchen die kräftige, so wohlthätige Waldesluft ein, lauschte dem vielstimmigen Morgengesange der frohaufjubelnden Vögelchöre und entdeckte zu ihrer freudigen Ueberraschung eine wunderliebliche, verspätete Weihnachtsrose, die auf einem nördlich gelegenen Platze den großen, weißen Blätterkelch mit den goldgelben Staubfäden so freundlich emporhob, als wollte sie Allen einen Friedensgruß zurufen.

Dieser Anblick erweckte in des Mädchens Seele mannigfaltige Weihnachts-Erinnerungen. Er versetzte sie auch im Geiste nach Bethlehem und sie sang halblaut das bekannte Lied:

»Es kam die gnadenvolle Nacht,
Die uns den hellsten Tag gebracht;
Wie freute sich der Engel Schaar,
Daß Gottes Sohn geboren war.«

Dann gedachte sie der herrlichen Weihnachtsfeste im Elternhause, im fernen Heimathlande. Aber diese Erinnerungen waren auch mit einer wehmüthigen Empfindung begleitet, denn manche ihrer Lieben, die ihre Freude getheilt, waren bereits von dieser Erde heimberufen.

Mitten in diese Erinnerungen versenkt, hatte sie das Ziel ihres Spazierrittes erreicht. Eine herrliche Aussicht bot sich wahrlich auf diesem hochgelegenen Punkte dar und mit Entzücken betrachtete sie die steinerne Bergkette in duftiges Blau gehüllt, die Olivenhaine, die zerstreut umherliegenden Ortschaften mit ihren emporragenden Kirchthürmen, die blumigen Wiesen mit einigen Feldkreuzen geschmückt, vor welchen betende Landleute knieten und endlich zu ihren Füßen fünf brausende Wasserfälle, welche im Glanze der Sonne im siebenfachen Farbenschmucke zitterten und sich in einem tosenden Wildbache vereinigten.

Doch plötzlich bäumt sich wild das Pferd, an einer Planke scheuend; sie kracht, bricht – und ach! schon stürzt das Pferd mit der jugendlichen Reiterin den jähen Abhang hinab. Aber das junge Mädchen verliert nicht die Geistesgegenwart, sondern schwingt sich, mitten im Sturze bereits, rasch aus dem Sattel und – ihren Geist in die Hände Gottes empfehlend, springt sie muthig in den tobenden Wildbach hinab. Glücklich gelang es ihr, ungeachtet ihres wollenen, noch mit Blei beschwerten Reitkleides, die fünf Wasserfälle zu durchschwimmen; aber dann fühlte sich das arme Mädchen so ermattet, daß sie unterzusinken wähnte. Doch mit der Hilfe Gottes raffte sie ihre letzte Kraft zusammen und erreichte noch einen im Wasser emporragenden Felsblock, an den sie sich fest anklammerte.

Wer vermöchte die Gefühle des Schreckens und der Angst zu beschreiben, die sich bei diesem furchtbaren Ereignisse der ganzen Gesellschaft bemächtigten! Man schrie, man eilte zu Hilfe, aber erst nach geraumer Zeit gelang es einigen Floßknechten mit eigener Lebensgefahr der Unglücklichen zu Hilfe zu kommen, sie an's Land zu bringen, wo sie die halb Ohnmächtige auf eine von Baumzweigen geflochtene Tragbahre legten.

Während die kräftigen Männer sie weiter trugen, vernahm sie deren Besorgnisse, daß sie wohl unterwegs erliegen könnte. Aber der allmächtige Gott, dem ja kein Ding unmöglich ist, erbarmte sich der Hilfesuchenden und glücklich gelangten sie zu einem armseligen Bauernhause. Es war kein anderes, als das bereits erwähnte, vom Ungewitter so hart heimgesuchte. Bereitwillig wurde sie von den braven, barmherzigen Leuten aufgenommen.

Die sorgsame Hausmutter vertauschte die ganz durchnäßten Kleider der Dame mit ihrer besten, selbstgesponnenen Wäsche, legte sie in ihr eigenes Bett, rieb ihre wie zu Eis erstarrten Glieder und wärmte für sie die kleine Schüssel voll Milch, die sie für ihr eigenes Mahl bestimmt hatte.

Bald gelangte die Schreckenskunde zur Mutter des armen Mädchens. Von Angst, wechselnder Hoffnung und Dankgefühl beseelt, eilte sie so rasch als möglich aus dem steilen, theils vom Gewitter schlüpfrig gewordenen Gebirgspfade dahin, bis ihr endlich der Bauer des gastfreundlichen Hauses entgegen kam und von Ferne zurief: »Gott sei gelobt, sie lebt, sie lebt!« Das Wiedersehen von Mutter und Kind war so rührend, so herzergreifend, daß es ein Vorgefühl von jenem seligen Wiedersehen mit unsern vorangegangenen Lieben in der wahren himmlischen Heimath sein mag. Beide vereinten sich zu einem innigen Dankgebete für die wunderbare Rettung. Doch konnte sich die gute Mutter, als sie Nachts am Bette ihrer Tochter wachte, nicht der Furcht erwehren, es möchte dieser Erkältung und diesem Todesschrecken ein Nervenfieber folgen; aber der allbarmherzige Himmelvater bewahrte sie auch hievor und nach mehreren Tagen verließen sie, mit herzlichem »Vergelt es Gott!« reiche Gaben zurücklassend, das gottesfürchtige Haus, auf welchem der Segen so sichtbar ruhte.

Eine Menge Fremder besuchte nun aus Neugierde das kleine, unansehnliche Haus und Keiner verließ es, ohne eine Münze zurückzulassen. So war in Bälde nicht nur der Gewitterschaden ersetzt, sondern die frommen Eltern vermochten auch für ihre Kinder einen Nothpfennig zurückzulegen, und es ging von Mund zu Mund: »Wahrlich, der Allbarmherzige segnet die Barmherzigen.«


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