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Frau Schmidt-Lindner befand sich bereits im Projektionsraum des Filmtheaters. Sie hatte ihre Handschuhe abgestreift und ließ den Schein ihrer Laterne über die Aufschriften der Filmbehälter gleiten. Sie erblickte sogleich die Buchstaben »U. B. 118« und machte sich mit großer Geschwindigkeit daran, ihren Auftrag zu vollziehen. Mit einem kräftigen Ruck hob sie den schweren Behälter aus dem Regal und setzte ihn lautlos neben sich auf den Boden.
Eine geraume Weile verhielt sie sich still und lauschte angestrengt. Nichts war zu hören, außer den regelmäßigen, kaum wahrnehmbaren Atemzügen von Gornys, der vor der Tür, die Blicke nach dem Fenster gerichtet, Wache hielt.
Doch jetzt! Ein Räuspern, einem Knurren ähnlich, entrang sich der Kehle des Wachenden. Alle Sinne der Frau waren gespannt bis aufs äußerste. Das verabredete Zeichen für »Gefahr«! Was war es? Woher drohte sie, diese Gefahr?
Ein Blick durchs Fenster, und sie wußte Bescheid. Blinkende Lichter, hier aufleuchtend, dort erlöschend – zwei – drei – fünf – viele, viele! Dann ein leiser Pfiff, Stampfen und Trampeln von Füßen!
Der Atem der Diebin ging ruckweise. Sie wußte – ihr Spiel war diesmal verloren. Jeder Fluchtversuch mußte zwecklos sein. Hier war Verrat im Spiele. Immer wieder Verrat! Jeden Ausgang, jedes noch so kleine Schlupfloch würden sie verstellen. Aber – – –
Eine Gedanke blitzte auf. Schon war sie bei seiner Ausführung.
»Von Gorny!« Ihre Stimme war heiser. »Sie müssen sich retten! Schnell! Verbergen Sie sich – irgendwo – schnell! Ich nehme alles auf mich!«
Von Gorny stand mit gezogenem Revolver neben ihr.
»Ausgeschlossen!« erklärte er dumpf. »Wir wollen uns verteidigen! Die Hunde ...«
»Schnell! Schnell!« wisperte sie erregt. »Ehe es zu spät ist! Retten Sie sich! Für die Unbarmherzigen und – für mich!«
Schon wurden Stimmen in den Nebengemächern hörbar. Türen wurden erbrochen, Möbel polternd hin und her gerückt. Näher und näher kam der Lärm.
Da ging es wie ein Ruck durch den Körper von Gornys.
»Gut!« murmelte er zähneknirschend. »Keine zwecklosen Opfer!« Er verschwand im Dunkeln.
Frau Schmidt-Lindner atmete auf. Hastig trat sie wieder in den Projektionsraum und schaltete Licht ein. Einen Augenblick schien sie über etwas nachzudenken, dann hob sie in plötzlichem Entschluß den Behälter mit der Aufschrift »U. B. 118« wieder hoch und stellte ihn auf seinen alten Platz. Als wenige Minuten später die von Inspektor Muratow geführten Kriminalbeamten in den Raum drangen, fanden sie eine Frau, die über den Tisch gebeugt gleichmütig in einer Zeitschrift blätterte und von den Eintretenden nicht die geringste Notiz zu nehmen schien.
»Guten Morgen, Frau Schmidt-Lindner!« sagte Muratow mit einem bösen Lächeln. »Es freut mich, Sie endlich einmal bei der Arbeit anzutreffen! Entschuldigen Sie bitte, falls ich Sie dabei gestört haben sollte!«
Die Diebin hob langsam den Kopf.
»Ah, Herr Inspektor! Bitte, Sie stören mich durchaus nicht! Aber was meinten Sie eigentlich mit Ihren Worten?«
»Daß Sie hier gewaltsam eingedrungen sind, um zu stehlen! Lassen Sie die Zicken! Diesmal nützt Ihnen das nichts.«
»Sie sind voreilig und ungerecht, Inspektor«, meinte sie vorwurfsvoll. »Aber das bin ich bei Ihnen schon gewöhnt. Ihre Behauptungen müssen Sie jedoch erst beweisen! Stehlen ... Pah! Sagen Sie mir bitte, was ich hier gestohlen haben soll! Was hier überhaupt stehlenswert ist?«
Muratow zog die Augenbrauen finster zusammen.
»Nicht Sie, sondern ich stelle hier Fragen! Verstanden? Wollen Sie mir vielleicht weismachen, Sie hätten sich hier eingeschlichen, um Zeitschriften zu lesen?«
»Eben das!« erwiderte sie fast heiter, und in ihren Augen flimmerte es belustigt. »Ich bin sehr wißbegierig und hatte heute gerade einen großen Bildungshunger, und daher ...«
»Verschafften Sie sich Nachschlüssel, standen in der Nacht auf ...«
»Aber nein doch!« beteuerte sie mit einem unschuldsvollen Augenaufschlag. »Ich kam hier gerade mit einer Freundin vorbei und sah die Tür offen. Da dachte ich ...«
»Holla! Sie kamen mit einer Freundin vorbei? Wie heißt diese Freundin?«
»Hm ... Das müssen Sie schon die Kleine selber fragen.«
Muratow blickte nachdenklich vor sich hin.
»Bitte, weiter!« sagte er dann hart.
»Also ... Ja, da dachte ich, man könnte hier ein wenig für seine Bildung sorgen. Ich hatte nämlich gerade Zeit. So ging ich denn hinauf ...«
»Stiegen über den gefesselten und geknebelten Portier, nicht wahr?«
»Davon weiß ich nichts.«
»Natürlich! Ich meinte nur, weil er gerade quer vor dem Eingang lag.«
»Das muß ein Irrtum sein, Inspektor.«
»Nun gut! Lassen wir das einstweilen dahingestellt. Was machte Ihre Freundin inzwischen? Kam sie auch mit herauf?«
»Meine Freundin?« Einen Augenblick schien die Diebin sich zu besinnen. Dann fuhr sie in sicherem Tone fort: »Nein, meine Freundin hatte Kopfschmerzen, oder waren es Magenkrämpfe, ich weiß es nicht mehr so genau. Jedenfalls ging sie nach Hause.«
»Wo wohnt sie?«
»In Südafrika, glaube ich. Habe sie nie nach ihrer Adresse gefragt. Wir schreiben einander nämlich hauptpostlagernd ...«
»Genug!« schrie Muratow sie wütend an. »Erzählen Sie das alles dem Untersuchungsrichter. Er ist Schriftsteller. Vielleicht kann er aus dem Stoff eine Novelle machen.«
Er gab zwei Beamten einen Wink. »Auf die Hauptwache mit ihr! Melden Sie Herrn Halle, daß sie unter der Anklage des Einbruchs und schwerer Körperverletzung von mir festgenommen wurde. Sie darf unter gar keinen Umständen freigelassen werden!«
Schweigend folgte die Diebin den Beamten.
Gleich darauf öffnete sich die Tür, und von Gorny spazierte gemächlich herein.
»'n Tag, Muratow! Nun? Hat alles geklappt?«
Muratow nickte.
»Halle wird Ihnen dankbar sein. Seit zwei Monaten bemüht er sich vergebens, die Schmidt-Lindner bei der Tat zu erwischen. Sie hätten übrigens nicht mich, sondern Nuber anrufen sollen. Ich bin ja erst seit ein paar Stunden wieder im Dienst.«
Von Gorny lächelte.
»Glauben Sie vielleicht, ich wüßte das nicht? Halle selbst hat es mir freudestrahlend erzählt. Wenn Sie es nur für nötig gehalten hätten, ihm eine halbwegs glaubhafte Erklärung jenes bedauerlichen Zwischenfalles zu geben, hätte er Sie schon längst wieder eingestellt. Übrigens habe ich mit einer ganz bestimmten Absicht gerade Sie und nicht Nuber angerufen. Sie verstehen mich doch?«
»Nicht ganz«, brummte Muratow stirnrunzelnd.
»Ich will nämlich mit Ihnen zusammenarbeiten! Mit Ihnen und nicht mit Nuber! Der ist mir unsympathisch!«
»Nuber ist ein netter Kerl!« widersprach Muratow kopfschüttelnd.
»Das ist Ansichtssache!« schnitt von Gorny ab. »Mir gefällt er nun einmal ganz und gar nicht.«
Muratow winkte einen von seinen Leuten heran und gab ihm im Flüsterton einige Weisungen. Dann wandte er sich zum Gehen.
»Übrigens, noch eine Frage, Herr von Gorny! Außer der Schmidt-Lindner war doch noch eine weibliche Person da?«
»Stimmt. Sie stand Schmiere.«
»Es ist uns merkwürdigerweise nicht gelungen, ihrer habhaft zu werden. Können Sie uns ihren Namen und Adresse nennen?«
»Leider nicht«, entgegnete von Gorny mit bedauerndem Achselzucken. »Sie war mir völlig unbekannt.«