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Die Vorbereitungen der Meuterei blieben dem Schiffskommando nicht verborgen. Daß etwas nicht stimmte, erkannte Grady schon nach einigen Tagen an dem düsteren Ernst und der geradezu vorbildlichen Gewissenhaftigkeit, mit der die zum größten Teil farbige Mannschaft allen seinen Befehlen nachkam, an dem jähen Verstummen der Lieder, die sonst allabendlich aus den Mannschaftsräumen klangen, und an der Tatsache, daß es keinen betrunkenen malaiischen Matrosen oder Heizer mehr gab. Grady kannte diese Leute: Weder durch Strenge noch durch Güte waren sie vom Trinken abzuhalten. Es mußte schon etwas Besonderes sein, was sie bewog, plötzlich abstinent zu sein. Meldungen über Zusammenrottungen von Malaien, die sofort auseinandergingen, sobald ein Offizier oder ein weißer Matrose auftauchte, vervollständigten das Bild.
Grady nahm die Sache nicht auf die leichte Achsel. Die Erinnerung an die Vorgänge an Bord der »Aberdeen« war in ihm noch lebendig, und er hatte vor allem nicht vergessen, daß die spätere Gerichtsverhandlung ergab, die Meuterei wäre nie geglückt, wenn der Kapitän nicht bis zum letzten Augenblick geglaubt hätte, es nur mit einer Verstimmung der Mannschaft zu tun zu haben, die durch Verhandlungen oder schlimmstenfalls mit einigen Schreckschüssen leicht beizulegen sein würde. Viel ruhiger wäre Grady gewesen, wenn ihm nicht auf der Fahrt von Ceylon nach Alexandria fast die Hälfte seiner Mannschaft am Fieber erkrankt wäre. Mehr als ein Dutzend seiner alten erprobten Matrosen hatte er in Alexandria zurücklassen müssen und als Ersatz – Malaien bekommen. Es war ein schlechter Ersatz – Grady wußte es –, aber da die Fahrt nicht aufgeschoben werden durfte, hatte er keine Wahl gehabt. Er konnte froh sein, in Murphy wenigstens einen vollwertigen Ersatz für seinen erkrankten Offizier erhalten zu haben.
Gradys Vorbereitungen waren unauffällig, aber gründlich. Der Funkraum wurde Tag und Nacht von zwei der alten, unbedingt zuverlässigen Matrosen bewacht, die Offiziere trugen stets Revolver bei sich und vermieden es nach Möglichkeit, allein zu gehen. Drei malaiische Matrosen ließ Grady einsperren. Sie hatten nichts verbrochen, und es war nicht ganz leicht gewesen, einen Vorwand für diese Maßnahme zu finden. Dennoch hatte es Grady getan, denn diese drei wurden ihm von seinen alten Matrosen als die gefährlichsten bezeichnet.
Toole, der Funker, hatte mit ernster, beinah feierlicher Miene den Befehl angehört, beim ersten Schuß SOS zu funken. Auch Toole hatte einen Revolver erhalten, den er stets bei sich tragen sollte. Auf einer großen Wandkarte im Funkraum waren mit kleinen Fähnchen die Schiffe bezeichnet, die in der Nähe waren, und jeden Morgen und Abend hatte Toole gemäß den neuen Standortmeldungen der Schiffe diese Fähnchen umzustecken. Wenn Grady die Karte betrachtete, schwand seine Besorgnis. Es waren dieses Mal viel mehr Dampfer in erreichbarer Nähe als sonst. Er ahnte nicht, daß diese Karte mit den wechselnden Standorten der Schiffe der erste Beweis war, den ihm Toole von seiner Intelligenz gab. Es war für den ersten Funker keine Kleinigkeit, gemeinsam mit dem zweiten jeden Morgen und Abend die möglichen Standorte der Schiffe auszurechnen. Sie durften einerseits der Wirklichkeit nicht entsprechen, andererseits durfte Grady auch nichts Ungewöhnliches auffallen. Toole wußte, daß er diese Täuschung nicht lange aufrechterhalten konnte, aber er wußte ebenfalls, daß es auch gar nicht mehr lange nötig sein würde.
Die Passagiere! Das war Gradys Hauptsorge. Erfuhren die erst von der drohenden Gefahr, so war alle Ordnung mit einem Schlage zum Teufel. Ja, und etwas Günstigeres konnten sich die Meuterer gar nicht wünschen. Es mußte alles versucht werden, um den Passagieren ihre Unbefangenheit zu erhalten. Aber zu seinem Ärger spürte Grady, daß sich die ernste Stimmung der Schiffsoffiziere auf irgendeine unergründliche Weise auf die Passagiere übertrug.
Kapitän Grady stand auf der Kommandobrücke und gab durch das Sprachrohr seine Befehle. Es war ein prachtvoller, sonniger Herbstmittag. Die Sonne hatte alle Passagiere an Deck gelockt, und heute gab es auf dem ganzen Schiff keinen einzigen Seekranken. Jetzt lief ein Steward durch die Reihen der munter plaudernden Passagiere und schlug dumpf auf sein Gong. Auch das Gesicht dieses Stewards strahlte, und sicherlich hätte niemand vermutet, daß in seiner Tasche ein sechsschüssiger Revolver steckte, der unter Umständen schon in der nächsten Sekunde knallen konnte. Dieser Steward war ein Malaie, aber er gehörte zu den Leuten, auf die sich Grady fest verlassen konnte.
Langsam, wie immer sehr würdevoll, stieg Murphy die Treppe zur Kommandobrücke empor, um den Kapitän abzulösen.
»Nichts Neues«, fragte Grady.
»Nein, Kapitän«, antwortete Murphy. »Alles in Ordnung.«
Grady suchte mit seinem Glas den Horizont ab.
»Wir müßten doch den Kreuzer ›Brixham‹ schon sehen«, meinte er. Grady wußte nicht, daß der Kreuzer »Brixham« vor vierundzwanzig Stunden seinen Kurs gewechselt hatte und sich jetzt zwei Tagesreisen weit von hier befand. Er wußte, daß dieser Kreuzer nach Tooles gründlichen Berechnungen um diese Stunde hier sein mußte. Toole wiederum ahnte nicht, daß Grady absichtlich etwas vom üblichen Kurs abgewichen war, um dem Kreuzer hier zu begegnen. Es war ein ganz einfacher Plan, den sich Grady zurechtgelegt hatte: Fünfzehn Matrosen vom »Cardigan« auf den Kreuzer und umgekehrt. Damit wäre die Meuterei im Keime erstickt worden.
»Das ist eigentlich auffallend, Kapitän«, antwortete Murphy. »Wenn Sie mich für fünf Minuten beurlauben, würde ich mal selbst die ›Brixham‹ anfunken ... Dann wüßten wir gleich ...«
»Gut, geben Sie Toole den Auftrag ...«
»Kapitän, ich möchte den Auftrag selbst erledigen.« Grady hob überrascht den Kopf.
»Glauben Sie etwa, daß Toole ...? Lächerlich!«
»Sie haben bestimmt recht, Kapitän«, antwortete Murphy. »Aber ich finde, man sollte es nicht versäumen, eine solche kleine Stichprobe zu machen. Schaden kann es jedenfalls nicht ...«
»Einverstanden. Machen Sie Ihre Stichprobe ... Aber nachher. Erst will ich essen. Ja, noch eins, Murphy ... Sie müssen sich für heute abend was ausdenken für die Passagiere. Die lassen sonst bei dem schlechten Wetter den Kopf hängen. Wenn die Sonne scheint, sind sie zufrieden, aber sobald es dunkel wird ... Na, arrangieren Sie etwas ... So etwas Lustiges, Fröhliches ... Sie wissen doch, was ich meine?«
»Vielleicht eine Reunion? Etliche kleine Überraschungen, Gesellschaftsspiele ...«
»Ja, ja ... Überraschungen, Gesellschaftsspiele ... Das ist das Richtige. Machen Sie das ... Was, zum Teufel, ist denn los?«
Murphy wandte sich schnell um. Jetzt sah auch er die Gruppe von Menschen, die über die Treppe vom Speisesaal an Deck kam. Unter ihnen waren einige Matrosen. Was taten die? Sie schienen sich zu prügeln ... Wahrhaftig ... Und jetzt ... Unter lautem Schreien hatten sich die Leute bis an die Reling gewälzt ... Und da ... Ein einziger wilder Aufschrei aus zwanzig Kehlen ... Ein Mensch war über Bord geflogen. Klatschend schlug der Körper auf das Wasser auf.
Durch den Lärm hindurch drang noch lauter der Schrei Dierschs in deutscher Sprache: »Mann über Bord!«
In englischer Sprache pflanzte sich der Ruf fort. Durch das Sprachrohr des Kapitäns drang er in den Maschinenraum. Gefaßt gab Grady die üblichen Befehle. Die Maschine stoppte, an Deck wimmelte es plötzlich von Matrosen, in Sekundenschnelle wurde ein Boot klargemacht. Weit hinten sah man einen Menschen im Wasser kämpfen. Grady beobachtete ihn durch das Glas. Es war ein malaiischer Matrose, kein Zweifel. Aber der Kerl schien nicht schwimmen zu können! Das gab es ja gar nicht ... Donnerwetter, jetzt versackte dieser Bursche! Aber da schoß auch schon das Boot auf ihn zu ... Da! Jetzt war der Mann wieder aufgetaucht und hatte den Rettungsring erwischt, den jemand sofort vom Dampfer geworfen haben mußte ...
»Ein Matrose, der nicht schwimmen kann ...« knurrte Grady.
»Merkwürdig«, antwortete Murphy.
»Ich werde den Kerl ... Ja, was ist denn, Murphy? Was ist denn?« Grady hielt das Glas an die Augen, und seine Hände zitterten. »Haben Sie es gesehen, Murphy?«
»Ich habe es gesehen«, antwortete der Offizier gepreßt. »Einer der Matrosen hat dem Mann mit dem Ruder einen Hieb auf den Kopf versetzt. Er versank wieder, und als er abermals auftauchte, holten sie ihn heraus.«
»Er bewegt sich nicht!« rief Grady.
»Sein Kopf scheint blutig zu sein. Der Hieb war furchtbar ...«
»Bleiben Sie hier. Ich gehe nach unten.« Grady hastete die Treppe hinunter auf die Gruppe der aufgeregten Passagiere zu, die sich an der Reling zusammengedrängt hatte.
»Was ist hier geschehen?« fragte er finster.
Diersch und Scott drängten sich vor, um Auskunft zu geben.
»Ein Matrose, sinnlos betrunken, kam in den Speisesaal und setzte sich an den Tisch«, berichtete Diersch. Sein Gesicht hatte einen harten Ausdruck, aber seine Stimme schwankte. Auch ihm war der Schreck in die Glieder gefahren. »Wir versuchten, den Kerl im Guten hinaus zu bekommen, und es wäre uns wohl auch geglückt, doch da sprangen zwei andere Matrosen herein, packten den Betrunkenen und schleppten ihn weg. Sie haben ihn geschlagen. Auf den Kopf, immer auf den Kopf ...«
Jetzt wußte Grady, warum der Matrose nicht schwimmen konnte.
»Und ins Gesicht«, ergänzte Scott. »Mit den Fäusten ins Gesicht, bis ihm das Blut nur so herunterlief ...«
»Bitte, beruhigen Sie sich«, beschwichtigte Grady. »Diese Malaien schlagen einander immer gleich blutig. Auf den Kopf, ins Gesicht ... Es ist meist nicht so gefährlich, wie es aussieht ... Aber haben die Herren nicht vielleicht gehört, warum die beiden ihn schlugen?«
»Nein, sie sprachen kein Wort«, antwortete Diersch.
Das Boot hatte inzwischen angelegt und wurde hochgezogen. Als sei es ein Bündel und kein Mensch, so hoben die Matrosen den Unglücklichen aus dem Boot. Dann aber übernahm Dr. Pembroke das Kommando, und der augenscheinlich schwer Verletzte wurde schon behutsamer in eine Kabine getragen.
»Kommt mal her, ihr da!« rief Grady, und gehorsam, doch sichtlich widerstrebend, kamen die Matrosen dem Boot näher.
»Wer von euch hat dem Kerl eines mit dem Ruder versetzt?«
Einer der Malaien trat vor. Es war ein junger Mann mit entschlossenen, wenn auch etwas hinterlistigen Gesichtszügen.
»Ich war es«, sagte er fest.
»Du, Gonor?« Grady schritt langsam auf ihn zu. »Und warum das?«
Der Matrose schwieg.
»Warum, habe ich gefragt!« rief der Kapitän scharf.
Da verzogen sich die Lippen des Malaien zu einem Lächeln. Es war ein tückisches, böses Lächeln.
»Weil er gegen deine Anordnungen verstoßen hatte, Tuwan. Er war betrunken, Tuwan.«
»Diese rührende Sorge um Befolgung meiner Anordnungen ist mir wirklich neu an euch«, antwortete Grady unbewegt. »Legt den Mann in Eisen! – Na, wird's bald?«
Mit unwilligen Gesichtern traten zwei Malaien neben Gonor und faßten ihn an den Handgelenken.
Grady seufzte erlöst auf, als er sah, daß sie den Mann wirklich abführten. Dann forschte er weiter. Er stellte unschwer fest, wer die beiden Matrosen waren, die den Betrunkenen aus dem Speisesaal gezerrt hatten. Er fragte nicht nach dem Grund dieser Maßnahme, denn er war überzeugt, von den beiden die gleiche Antwort zu erhalten wie von Gonor. Kurz entschlossen befahl er, auch diese beiden einzusperren. So, jetzt waren schon einige der gefährlichsten von der Mannschaft vorläufig unschädlich gemacht!
Dr. Pembroke tauchte auf und berichtete mit gedämpfter Stimme, dem Matrosen sei die Schädeldecke eingeschlagen worden. Sein Zustand sei sehr ernst. Grady nahm den Arzt beiseite, damit die Passagiere ihre Worte nicht hören konnten.
»Wie erklären Sie sich diesen Vorfall?« fragte er.
Die Hände in den Taschen vergraben, mit hochgezogenen Schultern schritt Dr. Pembroke neben dem Kapitän über das Deck.
»Sehr einfach«, sagte er. »Es muß einer da sein, der dieser Bande den strengen Befehl gab, nicht zu trinken, bis ... na, bis die Geschichte geklappt hat. Man befürchtete, der Betrunkene würde schwatzen. Kurz und gut: Jetzt kann er nicht schwatzen.«
»Die Sache scheint ernster zu sein, als wir dachten.«
»Es macht den Eindruck. – Hm. – Mr. Scott?« Scott hatte sich den beiden genähert, offenbar in der Absicht, sie anzusprechen.
»Sie wünschen, Mr. Scott?« fragte auch Grady.
»Kapitän«, antwortete Scott leise. »Ich würde Ihnen raten, sofort zu den Passagieren zu kommen und mit ihnen das unterbrochene Mittagessen fortzusetzen.«
»Ja, ja ... Ich komme gleich ...«
»Und ... noch eins. Vielleicht haben Sie ein paar Revolver für uns ...?«
»Revolver? Mr. Scott, ich begreife nicht!«
»Es würde nicht schaden, wenn Sie ein paar bewaffnete Passagiere auf Ihrer Seite haben, wenn die Geschichte losgeht.«
»Welche Geschichte, zum Teufel?«
»Die ...« Scott sah sich vorsichtig um. »Die ... Meuterei!«
»Da haben wir's!« rief Dr. Pembroke. »Die Passagiere wissen's auch schon!«
»Nicht alle. Außer mir nur Mr. Diersch und Miß Kassala.«
»Und woher wissen Sie das, wenn ich fragen darf?« erkundigte sich Grady.
»Miß Kassala hat gestern Nacht das Gespräch zweier Matrosen belauscht. Sie erzählte es uns ...«
»Und wem sonst noch?«
Scotts Lippen kräuselten sich ein wenig.
»Auf die Kassala können Sie sich verlassen. Sie hat den Verstand von drei Männern.«
Grady sah den Arzt fragend an und überlegte ein wenig.
»Gut«, entschied er dann. »Kommen Sie nach dem Essen unauffällig und allein in meine Kabine. Ich gebe Ihnen Waffen. Und jetzt, meine Herren, bitte ich um frohe Gesichter. Wir wollen in den Speisesaal gehen. Der Zwischenfall mit dem Malaien hat nichts zu bedeuten. Verstanden? Nicht das geringste.«