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VI.
Eine gekrönte Hexe

Jedesmal, wenn ein neuer Beitrag zur Geschichte der Hexenprozesse mir unter die Augen kommt, schick' ich ein Dankgebet zum Himmel, der so gütig gewesen ist, meine Lebensepoche nicht in diese »gute alte Zeit« verlegt zu haben. Wenn es auch nicht zu leugnen ist, daß ein tadelloser Lebenswandel auch heutzutage kaum Schutz bietet gegen böse Zungen und erwiesenermaßen nach dem Grundsatz:

»Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben,
Wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt,« –

der gute Ruf eines harmlosen Menschen auf dem Scheiterhaufen einer Kaffeegesellschaft rettungslos verbrannt werden kann, so bleibt doch immer noch der Trost, daß der, oder meistens »die« also Gerichtete aus ihrer eigenen Asche in den Augen vernünftiger Menschen wieder auferstehen und sich ihres Lebens erfreuen kann.

Man braucht gar nicht allzuviel Hexenprozesse gelesen haben, um zu der Überzeugung zu kommen, daß unsere Zeit, schlecht und nichtsnutzig, wie sie in den Augen der Pessimisten sein mag, »die gute alte Zeit« an vielen Vorzügen weit überragt. Wenn man sich heutzutage mal auffällig um das Wetter kümmert, oder sonstwie Passionen hat, die anderen unbegreiflich scheinen, so wird man einfach für »verrückt« erklärt und damit basta. Hat man das Unglück, an roten Augen oder roter Nase zu leiden, so ist das Schlimmste, was einem dabei passieren kann, daß die böse Welt auf Abfärbung durch Rotwein oder andere Spirituosen judiciert, aber dazumal wären diese harmlosen Rötungen sichere Anzeichen gewesen, daß man eine Hexe ist. Das brauchte bloß irgend eine unvorsichtige, vorschnelle oder böse Zunge zu flüstern, da lag man schon auf der Folter und sollte bekennen. Nun, wer jemals Folterinstrumente gesehen hat, wird begreifen, daß man unter diesen sinnreichen Qualen bekannte, was einer Lust hatte, und viel mehr dazu, aber wir haben auch Beispiele, daß der wahnsinnige körperliche Schmerz manchen dennoch kein Bekenntnis entlockte, weil das Bewußtsein der Schuldlosigkeit in ihnen stärker war, als der physische Schmerz. Für solche widerborstige Hexen hatte man dann die sinnreichen Hexenproben, von denen die Wasserprobe eine der beliebtesten war. Man band der Hexe Hände und Füße und warf sie in ein tiefes Wasser: sank sie unter, so war es erwiesen, daß sie eine Hexe war, denn die Last ihrer Schuld zog sie zum Grunde. Sie wurde dann schleunigst gerettet und verbrannt. Blieb sie aber auf der Oberfläche des Wassers schwimmen, so war das unnatürlich und konnte nur durch den Teufel bewerkstelligt worden sein, folglich wurde die Hexe verbrannt. Und so liefen alle diese »Proben« auf dem einen Wege nach dem Scheiterhaufen heraus – wir erinnern nur noch an die berüchtigte Hexennadel – und es war kein Mensch, inbesondere aber kein weibliches Wesen, das heut noch harmlos am eigenen Herde waltete, sicher, ob es morgen nicht schon im Hexenturm lag, gewärtig der unausbleiblichen Folter und des noch unausbleiblicheren Flammentodes.

Und darum lobe ich mir unsere, wenn auch noch so nichtsnutzige Zeit, die einen davor wenigstens bewahrt, und es spricht dabei nicht allein der physische Schmerz und die furchtbare, grausame Todesqual mit, sondern auch der unerträgliche Gedanke, einem Wahn, einem Aberglauben zum Opfer dienen zu müssen, der dem Christentum geradezu entgegensteht und einen unaustilgbaren dunklen Flecken auf den Blättern der Geschichte hinterlassen hat.

Die Schar der verbrannten Hexen zu zählen, wäre eitles Bemühen. In endlosen Reihen ziehen sie an unserem geistigen Auge vorbei, in Seide und in Lumpen gehüllt, ohne Unterschied des Standes, doch ein gekröntes mit dem Chrysam gesalbtes Haupt fand ich nicht unter ihnen – ob sich der grause Aberglaube, der doch feiner ist als das Sonnenstäubchen, das durch die kleinste Ritze dringt, nicht hinaufgewagt haben sollte, bis an die Stufen des Thrones? Fast scheint es so, doch hat es auch da an versteckten und deutlicheren Beschuldigungen nicht gefehlt – davor schützten auch die Kronen nicht, die nur den Folterknechten und Bütteln am Scheiterhaufen ein gebieterisches »Zurück« zuriefen.

Und doch hat auch einmal eine gesalbte und gekrönte Königin hart an dem Scheiterhaufen gestanden, und viel fehlte nicht, so hätte sie die Zahl der Hexen durch ihre geweihte Person vermehrt. Diese Königin war Joanna von Navarra, die zweite Gemahlin König Heinrichs IV. von England.

Es ist nicht zu leugnen, daß die Person dieser Fürstin etwas Unheimliches umgiebt, eine schwüle, geheimnisvolle Atmosphäre, wie sie über alten Schlössern brütet, deren Vergangenheit angefüllt ist mit dunkeln Thaten, von denen geflüstert wiederholte Überlieferungen erzählen und stumme Zeugen, wie geheime Treppen, Gelasse und Verließe, Oublietten und gespenstische Flecken reden. Das unheimliche Gruseln, das von der Gestalt der Königin Joanna ausgeht, hat sich schon in ihrem Vaterhause an sie geheftet, wo die Kabbala und andere dunkle, geheime Wissenschaften getrieben wurden, und als furchtbare Verbrechen hinausschlichen in die Welt.

Joanna von Navarra, geboren um 1370, war die Tochter Karl I., Königs von Navarra, aus dem Hause Frankreich-Evreux, dem die Geschichte den Beinamen »der Böse« gegeben hat. Wenn Prädikate auch nicht immer wörtlich zu nehmen sind in dem Sinne, den sie suggestieren, so ist das Erwähnte in diesem Falle eine Biographie, wie sie treffender und kürzer kaum gegeben werden kann, denn in der That hat die Erde kaum je einen böseren, schlechteren und gewissenloseren Menschen getragen, als diesen König von Navarra, der den Ruf genoß, der geschickteste und gefährlichste Giftmischer seiner Zeit gewesen zu sein. Seine Gemahlin war die Prinzessin Joanna von Frankreich, Tochter König Johanns II. und der Königin Bona, Prinzessin von Luxemburg und Böhmen, und 1351 mit ihm vermählt. Mit ihr hatte er vier sie überlebende Kinder, von denen die Prinzessin Joanna das jüngste war.

Vermählt als ein neunjähriges Kind, scheint Jeanne von Frankreich auch später kaum in den Vordergrund getreten zu sein, was bei dem Charakter ihres Gemahls auch schon eines besonders starken Geistes bedurft hätte, den sie kaum besessen haben kann. Sie starb schon 1373 und kann daher von einem nennenswerten Einfluß speziell auf ihre Tochter keine Rede gewesen sein, die dafür um so mehr von dem lichtscheuen Treiben ihres schlimmen Vaters sah. Zwölf Jahre alt, wurde sie 1382 mit König Juan I. von Castilien verlobt, während ihr Bruder, der Kronprinz Karl, schon seit 1375 mit der Schwester dieses Monarchen, der Infantin Eleonora, vermählt war. Politische Gründe veranlaßten den König von Castilien indessen, die Verlobung wieder aufzuheben, und sich mit der Infantin Beatrice von Portugal zu vermählen. Der König von Navarra hatte sich inzwischen wieder einmal mit seinen Schwägern, den Regenten von Frankreich zu Paris verfeindet, und weil er einen Ausbruch der Feindseligkeiten erwartete, seine jüngeren Kinder, Peter, Marie und Joanna der Sicherheit wegen nach dem Schlosse Breteuil in der Normandie geschickt, wo sie indes doch gefangen genommen und als Geiseln nach Paris geführt wurden, um durch sie ihren wilden Vater in den wünschenswerten Schranken zu halten. Dieser aber sandte eine seiner Kreaturen ab mit dem Auftrage, beide Regenten zu vergiften, doch der Anschlag wurde verraten und der Bote hingerichtet, während Karl von Navarra, der wahre Meuchelmörder, frei blieb, und seine Kinder in die äußerste Gefahr gebracht hätte, wären sie nicht in den Händen großmütiger Feinde gewesen, die ihre Geiseln ehrenvoll ihrem Range entsprechend als Verwandte behandelten. Sie wurden endlich durch die Vermittelung ihrer gütigen jungen Schwägerin Eleonora auf freien Fuß gesetzt und ihrem Vater zurückgesandt. Bald darauf wurde die nun sechzehnjährige Prinzessin Joanna mit Johann V., Herzog von Bretagne und Grafen von Montfort, vermählt, der um dreißig Jahre älter war als sie und schon zweimal zuvor vermählt gewesen, und zwar zuerst mit Maria von England, Tochter König Eduards III., und nach deren Tode mit König Richards II. von England Halbschwester Lady Joan Holland, Tochter des Grafen von Kent und der Prinzessin Joan, Mutter König Richards II. Diese war 1384 gestorben, und am 11. September 1386 vermählte sich der Herzog von Bretagne, dem die Geschichte den Zunamen »der Kühne« gegeben hat, zum drittenmale mit Joanna von Navarra.

Sie verlor ihren Vater das Jahr darauf, und einen elenden Tod fand der böse Mann, der in seinem Leben so viel des Bösen verübt. Ein Schlagfluß hatte ihn gelähmt und die Ärzte ihn zur Hebung des Übels in Bandagen von Spiritus und Schwefel gewickelt. Diesen kamen die achtlosen Wärter nachts mit dem offenen Lichte zu nahe, die Einwicklung fing Feuer, und da alles den Kopf verlor, mußte der König hilflos, wie er mit seinen gefesselten Gliedern war, elend verbrennen. Am Neujahrstage 1387 verschied er an seinen Wunden und sein trefflicher Sohn, König Karl der Gute, bestieg den Thron. Die letzte Schandthat Karls I., mit der er ins Grab stieg, war wieder einmal gegen sein eigen Fleisch und Blut gerichtet, indem er seinem Schwiegersohn, dem Herzog von Bretagne, in die Ohren geblasen, daß der Connétable Olivier von Clisson eine verbrecherische Liebe zu seiner Tochter hege – ein Racheakt des Königs gegen den völlig schuldlosen Connétable, der des Herzogs von Bretagne ergebener Jugendfreund war. Des Königs Ohrenbläserei wandelte diese Freundschaft in einen derart tödlichen Haß um, daß der Herzog seinen Freund nicht nur gefangen nehmen ließ, sondern sogar Befehl gab, ihn zu töten. Zum Glück wurde dieser Befehl nicht ausgeführt, und als der Herzog ruhiger geworden war, wurde der Connétable seiner widerrechtlichen Haft entlassen, aber er trug seine Klage vor den Thron von Frankreich, und die Folge davon war eine Kriegserklärung, die nur durch die Vorstellungen des bretagnischen Staatsrates an den Herzog, der darauf eine höchst unwillig gegebene Erklärung an Frankreich gab, zurückgezogen wurde. Auch die Vermittlung der Herzogin Joanna hat dabei im friedlichen Sinne mitgewirkt, doch der Anfang ihrer Ehe hatte stürmisch begonnen, und der kriegerische Charakter ihres Gemahls, den eine unwiderstehliche und nimmer rastende Unruhe auszeichnete, versprach auch für die Zukunft kein Wandeln unter Palmen, sondern unter nimmer endendem Waffengeklirr. Doch nur nach außen hin darf man die Ehe des Herzogs und der Herzogin von Bretagne als unruhig und des Friedens entbehrend bezeichnen, denn ihr häusliches Glück war trotz des großen Altersunterschiedes über allen Zweifel und Disput erhaben. Joanna von Navarra schenkte ihrem ersten Gemahl nicht weniger als neun Kinder, denen sie eine sehr zärtliche Mutter war, und es darf hier als Kuriosum nicht unerwähnt bleiben, daß ihre Tochter, Maria von Bretagne, im Jahre 1394 mit Prinz Heinrich Lancaster, Herzog von Monmouth (späterhin König Heinrich V. von England), verlobt wurde, und daß dieser Prinz der Sohn des präsumtiven Thronerben König Richards II., des Herzogs von Lancaster und Buckingham, war, der wenig Jahre später die Mutter seiner künftigen Schwiegertochter zum Altar führen sollte. Zu der ersteren Heirat kam es indessen nicht, weil der Herzog von Alençon als ein Bewerber um die Prinzessin auftrat, der nur die Hälfte der mit dem Herzog von Lancaster stipulierten Mitgift verlangte. Die Aussichten des letzteren auf den englischen Thron waren damals auch noch nicht so sicher, und so zog der Herzog von Bretagne den Sperling in der Hand der Taube auf dem Dache vor und vermählte seine Tochter 1396 mit dem französischen Prinzen, welche Vermählung die des Erben von Bretagne mit Jeanne von Frankreich, der Tochter König Karls VI. nach sich zog, aber auch eine Animosität von seiten Heinrichs von Monmouth, die noch nach Jahren zum Ausdruck kommen sollte, gespürt von seiner Stiefmutter, die seine Schwiegermutter nicht geworden war. Zu Beginn des Jahres 1399 unternahm der Herzog von Bretagne eine Reise nach England, um von dem Könige die Zurückgabe der englischen Grafschaft Richmond zu erlangen, die seiner an einen englischen Ritter verheirateten Schwester verliehen worden war, nach deren Tode jedoch an die Krone zurückfiel. Die Angelegenheit kam zur Erledigung, und der Herzog erhielt die Grafschaft. »Es war hohe Zeit,« sagt ein gleichzeitiger Berichterstatter, »daß diese beiden Fürsten einig wurden, denn sie waren auf dem Punkte des Abdankens und des Todes.« –

In der That wurde Richard II. im August 1399 des Thrones entsetzt, und der Herzog von Bretagne starb am Allerseelentage desselben Jahres. Joanna von Navarra war nun eine Witwe, als solche noch jung und notorisch eine schöne Frau, – ein Wunder war es daher nicht, wenn die Freier sich bald einfanden, nachdem sie frei geworden war. Sie dachte aber nicht sogleich an neue Bande, sondern hat ihren Gemahl unter Beobachtung aller Formen betrauert. Für sie spricht es, daß sie als Regentin für ihren minderjährigen Sohn als erste Regierungshandlung eine öffentliche Versöhnung mit dem Connétable Ollivier Clisson ins Werk setzte und ihm alle von dem unversöhnlichen Herzog entzogenen Rechte wiedergab. Das war nicht nur ein Akt der Gerechtigkeit, es war auch staatsklug, denn die Folge davon war, daß nicht nur der Connétable, sondern mit ihm die andern mißvergnügten Edeln dem jungen Herzog den Eid der Treue für die Dauer seiner Minderjährigkeit leisteten. Joanna von Navarra hatte, indem sie ihres Sohnes Lande den bürgerlichen Frieden sicherte und ihm durch diese Versöhnung eine starke Stütze nach außen gab, indessen noch einen anderen Beweggrund – sie wollte nicht Regentin bleiben. Die Ursache hierfür lag tiefer, als man damals wohl sah. Einige Monate vor dem Ableben des Herzogs hatte dieser zu Nantes den Besuch des Herzogs Heinrich von Lancaster empfangen, ein Ereignis, das ihn in doppelter Beziehung mit großer Freude erfüllte, denn sein Gast war ein Neffe seiner ersten Gemahlin und der Vater des verlassenen Bräutigams seiner Tochter. Heinrich von Lancaster, meist Bolinbroke genannt, stand damals in der Blüte seiner Jahre, und wie er sicher einer der schönsten Männer seiner Zeit war, so war er auch bekannt durch seine geistige Begabung, seine staatsmännische Bildung und seine Gewandtheit in allen ritterlichen Übungen. Als dieser Fürst, damals ein Flüchtling, vor den Nachstellungen seines Vetters, des Königs von England, vor die Herzogin von Bretagne trat, da erwachte zum erstenmale das Herz dieser Frau, daß es nicht mehr losließ von dem Manne ihrer Liebe. Aber damals lebte der Herzog von Bretagne noch und Heinrich von Lancasters Herz hing an seiner Werbung um die Prinzessin Marie von Frankreich-Berry, die ihn ganz erfüllte. Er war seit 1394 Witwer von Lady Mary Bohun, Urenkelin König Eduards I. und Tochter des Grafen Humphred von Hereford, einer der reichsten Erbinnen Englands, mit der er seit 1384 vermählt war. Aus dieser Ehe besaß er sechs Kinder: Heinrich Lancaster, den Herzog von Monmonth, damals zwölf Jahre alt, Blanca, die sich 1401 mit dem Kurfürsten Ludwig III. von der Pfalz vermählte, Thomas, Herzog von Clarence, John, Herzog von Bedford, Humphried, Herzog von Gloucester, und Philippa, die sich 1405 mit König Erich IX. von Dänemark und Schweden vermählte.

Die beabsichtigte Vermählung des Herzogs von Lancaster mit der Prinzessin Marie von Berry kam indes nicht zustande durch die Intriguen Richards II., zum Kummer des fürstlichen Freiers, der die Prinzessin sehr geliebt haben muß. Vielleicht reichen die Fäden dieser Intrigue bis nach der Bretagne hinein, denn Michelet, der französische Geschichtsschreiber sagt, die Herzogin hätte sehr bald nach ihres Gemahls Tode erklärt, daß sie den Herzog von Lancaster zu heiraten beabsichtige. Jedenfalls beobachtete sie die Formen ihrer Witwentrauer auf das strengste, aber während der Zeit machte sie es möglich, von dem Papste zu Avignon einen Dispens zu erlangen, demzufolge ihr gestattet wurde, »jeden ihr beliebigen Mann bis in den vierten Grad der Blutsverwandtschaft«, ohne einen Bestimmten zu nennen, heiraten zu dürfen. Der Dispens scheint ohne Rückhalt gegeben worden zu sein und ohne Mißtrauen gegen einen etwaigen Mißbrauch, und doch plante die Herzogin auch diesen, denn Heinrich von Lancaster hatte sich zum Schisma bekannt und die politischen Hindernisse, die sich einer Vermählung mit ihm entgegenstellten, waren eben so groß, als die religiösen. Joanna von Navarra hat sich diesen Dispens mit einer solchen Verschlagenheit und einer solchen Doppelzüngigkeit zu verschaffen gewußt, daß sie hier zum erstenmale als die wahre Tochter ihres Vaters erscheint, und wenn hier und da ein Chronist eine Hindeutung macht auf ein unzeitiges Ende des Herzogs von Bretagne durch ihre Hand, so kann man das dem Gerücht nicht übel nehmen, – zeugt doch die Erlangung des Dispenses, der im vollsten Vertrauen gegeben wurde, dafür, daß sie in der Wahl ihrer Mittel zur Erlangung ihres Herzenswunsches keine Skrupeln kannte. Es ist nirgends auch nur der geringste Beweis dafür zu finden, daß zwischen der Herzogin Joanna und Heinrich von Lancaster irgend ein Einverständnis vor dem 20. März 1402, dem Datum der päpstlichen Bulle stattgefunden hat. Letzterer hatte am 5. Februar 1400 den Thron von England als König Heinrich IV. bestiegen und war noch Witwer, – die Thronfolge war durch seine vier Söhne gesichert und seitdem seine Werbung um Marie von Berry sich zerschlagen, hatte er keine neuen Heiratsprojekte geplant.

Nachdem die Herzogin den Papst zu Avignon in der erwähnten Weise überlistet hatte, sandte sie einen vertrauten Edelmann ihres Hauses Namens Antoine Riczi nach England, um daselbst die Verhandlungen behufs ihrer Vermählung mit dem Könige zu eröffnen, zugleich aber legte sie zu Rennes feierlich ihre Regentschaft nieder und ließ den jungen, zwölfjährigen Herzog in seiner Würde investieren. Dieser Beweis, mit welcher Sicherheit sie dem Erfolge ihres Gesandten in England entgegensah, spricht wohl dafür, daß ein privates Einverständnis der Herzogin mit dem Könige stattgehabt haben mußte, – auf jeden Fall scheint die Werbung, private wie offizielle, von der Herzogin ausgegangen zu sein. Für Heinrich IV. sprach nichts gegen diese Verbindung, die den mächtigen König von England noch mächtiger machen mußte durch seine Vormundschaft über den jungen Herzog von Bretagne, welcher Umstand ja auch zweifellos für den König von England bei dieser Eheschließung schwer ins Gewicht fiel. Schon Anfang April 1402 fand die Vermählung durch Prokuration statt im Palaste zu Eltham, und Antoine Riczi fungierte dabei als Vertreter der Braut, – auch wohl der einzige Fall, in dem sich die Braut von einem Manne bei der Trauung vertreten ließ! Joanna nahm nun sogleich den Titel einer Königin von England an trotz aller Gegenvorstellungen von Seiten ihrer Verwandten, die sie beschworen, diese Vermählung rückgängig zu machen, um Frankreich nicht in dringende Gefahr zu bringen. Es war alles umsonst, – das einzige, was zu erreichen war, bestand darin, daß Joanna sich entschloß, die Vormundschaft über ihre Kinder dem Herzog von Burgund zu übertragen, – wenn es also das war, was den König von England zu dieser Heirat bewogen hatte, wie viele Historiker annehmen, so stand das Gespenst der Enttäuschung zwischen den königlichen Gatten, ehe sie sich noch gesehen hatten, und das Mutterherz hatte über Joannas Liebe gesiegt.

Das Jahr verging indes, ehe sie sich zum Einzuge in ihre neue Heimat rüsten konnte, und erst im Januar 1403 schiffte sie sich mit ihren kleinen Töchtern Blanche und Marguerite bei Camaret ein und wurde fünf Tage und fünf Nächte auf den stürmischen Wellen des Kanals herumgeworfen, ehe sie bis an die Küsten von Cornwallis getrieben, endlich zu Falmouth landen konnte. Von da begab sie sich in feierlichem Zuge nach Winchester und wurde daselbst am 7. Februar in Person unter großem Pompe mit König Heinrich V. vermählt und am 26. Februar zu Westminster in London gekrönt – sie war am Ziele.

Joanna brachte, abgesehen von dem bösen Leumund ihres Vaters, einen guten Ruf mit als Gattin, Mutter und Regentin, – sie brachte dem Hause Lancaster neuen Glanz durch ihre Verbindungen, sie kam als eine reiche Braut nach England, und trotzdem der Geiz sich später mehr und mehr zu ihrer Hauptsünde ausbildete, kargte sie nicht mit königlichen Geschenken, ihre Schönheit wurde von Troubadouren und Poeten in eloquenten Reimen besungen und gefeiert, und doch war und blieb sie unbeliebt und ihre Vermählung mit dem Könige unpopulär.

Wie vorauszusehen war, führte auch ihre Doppelstellung zu Sohn und Gatten zu vielen Unzuträglichkeiten, und sie hatte fortwährend damit zu thun, beide in ein gutes Verhältnis zu einander zu bringen, doch ihr Verhalten als Stiefmutter war tadellos. Mit ihrem ältesten Stiefsohne, dem wilden, zügellosen Prinzen von Wales, scheint sie sich besonders gut gestellt zu haben und hat manches Opfer für ihn gebracht, was er ihr später schlecht vergalt, – ihre Ehe aber ist wirklich nach innen und außen hin durchaus glücklich gewesen, wenn sie auch kinderlos blieb. Nicht allzulange sollte für Joanna von Navarra das so heiß erwünschte und so schwer erkaufte Glück währen. Heinrich IV. erkrankte 1412 an der furchtbaren, ekelhaften Krankheit des Aussatzes, begleitet von epileptischen Anfällen, und unter bitterer Reue über seine Sünden und die Ströme von Blut, die er vergossen hatte, um den Thron zu besteigen, starb er am 20. März 1413, aber kein Berichterstatter seines Todes erwähnt, daß die Königin an seinem Totenbette gestanden.

Während der ersten Jahre ihres Wittums war das Verhältnis Joannas von Navarra zu ihrem Stiefsohn, dem Könige, ein durchaus gutes und freundschaftliches, ja er ernannte sie sogar 1315 zur Regentin während seines Feldzuges gegen Frankreich, ein Vertrauen, das sie vollständig rechtfertigte. Indes hatte sie den Schmerz, ihre eigenen Söhne nicht zu einem Einvernehmen mit Heinrich V. bringen zu können, und wenn der Herzog von Bretagne sich auch neutral verhielt, so focht Prinz Arthur, sein jüngerer Bruder doch gegen England unter Frankreichs Fahnen, und wurde in der blutigen Schlacht bei Agincourt gefangen genommen, während der Herzog von Alençon, Joannas Schwiegersohn, fiel. Unter welchen Gefühlen die Königin-Witwe dem » Te deum« für den Sieg der englischen Waffen beigewohnt hat, ist leicht zu ermessen, – tatsächlich beginnen die Tage ihres Leides mit jenem Siege. Der König erlaubte seiner Stiefmutter, ihren gefangenen Sohn zu umarmen, doch nur um ihn, der als Graf von Richmond sein Unterthan war, unter der Anklage des Hochverrats zugleich in strengen Gewahrsam zu nehmen, in welchem er, teils im Tower, teils zu Fotheringay-Castle seine Jugendjahre vertrauern sollte, ohne daß seine Mutter imstande gewesen wäre, an seinem harten Schicksal etwas zu ändern.

Indes fuhr der König fort, seiner Stiefmutter jeglichen Beweis seiner Achtung für sie und ihre Stellung zu geben, doch während die Zeit dahinfloß, stieg am Horizont die dunkle Wolke empor, deren Entstehung nie ergründet worden ist, die aber von Beginn ab bestimmt war, der Welt das seltene, nie gesehene Schauspiel einer Königin auf dem Scheiterhaufen zu geben.

Joanna von Navarra befand sich, scheinbar harmlos beschäftigt, auf ihrem Witwensitze Havering Bower, als sie plötzlich auf Befehl des Regenten, des Herzogs von Bedford, unter der Anklage verübter und versuchter Zauberei verhaftet und nach Pevensey-Castle unter der Aufsicht Sir John Belhams gebracht wurde.

Der Hauptankläger, der mit dieser horrenden Beschuldigung gegen sie vortrat, war ihr eigener Beichtvater, John Randolf, ein Minoriten-Mönch, doch hatte König Heinrich V. schon vorher erfahren, daß seine Stiefmutter mit zwei Schwarzkünstlern von Beruf, Roger Colles und Petronel Brocart, in Verbindung getreten sei, um durch die Mächte der Finsternis gegen sein, des Königs Leben zu konspirieren. John Randolf wurde auf seine Anklage hin verhaftet, und dem Könige, der sich in der Normandie befand, zugesendet; – die Aussagen des Minoriten waren dann derart, daß der König Befehl gab, mit der Verhaftung der Königin zugleich die schärfsten Maßregeln gegen dieselbe unverzüglich zu ergreifen.

Während einige, und darunter sehr glaubhafte Historiographen versichern, daß die Königin vor ein hochnotpeinliches Gericht gestellt und von demselben schuldig befunden wurde, scheint es indes erwiesen, daß sie nie verhört wurde, und ihr auch nicht gestattet ward, sich selbst zu verteidigen. Sie hat nie vor dem für sie konstruierten Gerichtshof gestanden, der sie in der That für schuldig erklärte, jedoch von einer Hinrichtung in Anbetracht ihres hohen Ranges durch Geburt und Vermählung absah, sie in contumatiam zur Konfiszierung ihrer Güter und ihres Vermögens verurteilte, und ihr eine lebenslängliche, einsame Haft auferlegte.

Indes war ihr perfider Beichtvater auf seinen Anklagen stehen geblieben, und hatte darüber mit dem Prälaten von St. Peter in Vincola eine Besprechung. Während derselben aber wurde er für immer zum Schweigen gebracht, indem der Prälat über ihn herfiel und ihn erdrosselte – wie man annimmt, im Zorn über die Ungeheuerlichkeit einer Anklage, die zu beweisen ihm unmöglich war.

Sei dem wie ihm wolle, – der unerklärte Tod John Randolfs befreite die Königin Joanna von dem einzigen Zeugen wider sie, aber er versetzte ihre Sache auch unter die niemals aufgeklärten Mysterien der Weltgeschichte.

Der Versuch, Licht zu bringen in diese dunkle Angelegenheit durch die Erklärung, daß der stets geldbedürftige König nach vielen erneuten Attacken auf den Schatz seiner Stiefmutter keinen anderen zu ihrem Vermögen gewußt habe, als den der Konfiszierung ihrer Güter, und seine Hilfe deshalb zu einer Anklage auf Hexerei nahm, als den einzigen Ausweg, klingt so unglaubhaft nicht, doch ist sie absolut unerwiesen. Daß ihre Hinrichtung durch Feuer aber thatsächlich beraten wurde, steht fest, und nur die Erwägung, daß es gefährlich für England sei, gegen sie, die Tochter, Nichte und Schwester von Königen, die Mutter eines regierenden Fürsten, einen derartigen Gewaltakt zu unternehmen, der Europa in Waffen rufen mußte gegen ihre Richter, gegen England, milderte das Urteil in lebenslängliches Gefängnis und Einziehung aller ihrer Güter.

Die Appellation des Herzogs von Bretagne gegen die Verurteilung seiner Mutter wurde so schwach und bittend hervorgebracht, daß sie gänzlich ohne Erfolg blieb, und weitere Schritte zu ihren Gunsten wurden dadurch im Keim erstickt, daß er in die Gefangenschaft seines Todfeindes, des Herzogs von Penthièvre, fiel. Auch die Rückkehr des siegreichen Königs in sein Reich, in Begleitung seiner schönen jungen Gemahlin, Katharina von Frankreich, König Karls VI. Tochter, brachte der Königin Joanna weder Befreiung noch Erleichterung ihrer Haft, die sie im Büßerkleide absaß, und erst kurz vor seinem Tode, am 31. August 1422, hat der König durch eine Urkunde vom 13. Juli verordnet, daß die Königin Joanna, seine Stiefmutter, ihrer Haft zu entlassen und in den Besitz ihrer Güter wieder einzusetzen sei, »da es sein Gewissen ihm nicht länger gestatten wolle, sie in dieser Lage zu wissen«.

So bezog denn Joanna von Navarra kurz vor des Königs Tode wieder ihren königlichen Palast von Leeds, und ihre Haushaltsbücher beweisen, daß sie mit der königlichen Familie auf den früheren freundschaftlichen Fuß trat. Nicht so mit dem Volke, dem sie nie sympathisch gewesen. In den Augen der Engländer war und blieb sie die »Hexe«, als welche sie schuldig befunden worden war, – die Leute scheuten sich, Almosen von ihr zu nehmen, und gingen im weiten Bogen um ihre Lieblingsresidenz, das Waldschloß Havering-Bower, herum, das der Volksmund bald genug als den Hexenkessel bezeichnete, in dem Mißwachs, Unwetter, Gewitter und Krankheiten für Mensch und Vieh gebraut wurden. Auch an ihre andere Residenz Langley hefteten sich bald diese abergläubischen, dunkeln Gerüchte, und ein großes Feuer, das im Jahre 1430 in dem Schlosse ausbrach und viele kostbare Möbel, Gold- und Silbergeschirr und Garderobe vernichtete, soll von Fanatikern angelegt worden sein, um »die Hexe« zu verbrennen.

Die Hexe verbrannte aber nicht, sondern lebte noch viele Jahre, anscheinend im besten Einvernehmen, mit der königlichen Familie und starb erst 1437, fast 70 Jahre alt, zu Havering-Bower. »In dem nämlichen Jahre,« berichtet die Chronik von London, »starb am 9. Juli Königin Jane, König Heinrichs IV. Gemahlin. Und in demselben Jahre verendeten auch alle Löwen im Tower, desgleichen noch kein Mensch bei vollem Verstande jemals gesehen!« –

Das scheint also die letzte Hexenthat der Königin Joanna gewesen zu sein, daß sie im Sterben die Löwen des Tower mit sich nahm in jene Welt – was zeitigt wohl seltsamere Früchte, als der Aberglaube? Und doch hat es auch in den schlimmsten Zeiten des Hexenwahnes erleuchtete Geister gegeben, die sich nicht scheuten, dieser traurigsten Verirrung des menschliches Verstandes frei entgegenzutreten, und ich kann diese Skizze von der Hexenkönigin nicht besser schließen, als mit einem Ausspruch der Herzogin Dorothea Sibylla von Brieg und Liegnitz, Markgräfin von Brandenburg, geb. 1590, gestorben 1625, – eine der lichtvollsten Erscheinungen der Geschichte des 17. Jahrhunderts, eine Fürstin, voll von Geist und Herz, die von ihren Unterthanen schlichtweg »die liebe Dorel« genannt wurde und unter diesem Namen heut noch in Schlesien weiter lebt. Die führte, als der Herzog, ihr Gemahl, 1611 im Namen der schlesischen Fürsten nach Wien gereist war, die Regentschaft, und da begab sich's, daß in einem Dorfe die Rinderpest ausbrach und man ein altes Weib beschuldigte, diese Seuche durch Hexerei beschworen zu haben. Die Leute verlangten, die Hexe verbrannt zu sehen, und der Pfarrer predigte von der Kanzel herab von der Wahrheit des Hexenglaubens. Das erfuhr die Herzogin, ließ sich den Geistlichen kommen und las ihm gehörig die Leviten: »sie hätte von ihm, als von einem wissenschaftlich gebildeten Manne erwartet, er werde aus der Heiligen Schrift wissen, daß der Heiland durch sein Leben und Sterben dem Tode und dem Teufel die Macht genommen, die Menschen aus dessen Gewalt erlöst und zu Kindern Gottes berufen habe. Statt nun von Nächstenliebe und Ehrfurcht gegen das Alter zu predigen, habe er Hexenkünste und Teufelsspuk zum Gegenstände seiner Rede gemacht, und dennoch würde er von wahren Hexen in der Geschichte ein Beispiel vergebens suchen und bei verständiger Untersuchung finden, wie armen alten Weibern nur durch die Folter und allerlei Pein Geständnisse abgezwungen worden wären, um sie mit einem Schein des Rechtes zum Tode zu führen. Der viele Regen des letzten Sommers und das verdorbene Futter seien Ursache der Seuche, nicht aber jenes arme alte Weiblein, das er mit geistlichem Trost in ihrer schweren Bedrängnis zu unterstützen habe, statt sie zu verdächtigen. Auch die Schuljugend habe er streng anzuweisen, die Frau nicht zu mißhandeln und er solle den Kindern mit einem tüchtigen Ochsenziemer die Hexenlust austreiben. Und wenn er solches nicht thäte, habe er Entsetzung seines Amtes nach der Rückkehr des Herzogs zu erwarten.« –

Nun, diese echt christliche und menschliche Ansicht war in jenen Tagen selten, vernünftig aber war sie nicht nur für diese Zeit, sie ist's auch für unsere Tage noch, wo der Hexenglaube stellenweise nur scheintot ist. Jahrhunderte hindurch ist die Gestalt der Königin Joanna von England noch umgegangen in und um das Waldschloß, in dem sie gelebt, und scheu nur umstrichen die Leute die Grenzen desselben und wagten sich nicht in die Nähe des verrufenen Schlosses, in dem die Hexenkönigin, wie sie meinten, ihre dunklen Thaten gebraut. Selbst ihr Grabmal in der Kathedrale von Canterbury verlor trotz des geweihten Ortes lange nichts von seinem Schrecken und erst jetzt geht man wohl ahnungslos vorüber an dem Monument von Alabaster, auf dem die Porträtstatue der Königin hingestreckt liegt im königlichen Schmuck: Eine schöne, majestätische Frauengestalt, meisterhaft modelliert, deren feine, regelmäßige Züge kühl, aber freundlich im Ausdruck sind und in nichts verraten, daß wir am Grabe der Hexenkönigin stehen. –


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