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In sehr großen, kinderreichen Familien ist die Sorge, die Söhne gut zu vermählen, selten eine so brennende gewesen, daß sie zu Komplikationen Veranlassung gegeben hätte, denn es giebt schließlich Mädchen, d.h. begehrens- und wünschenswerte Mädchen genug in der Welt, und der Mann hat das Vorrecht des Werbens. Wer aber mit einer überreichen Zahl von Töchtern gesegnet ist, dem kann die Frage: Was wird aus ihnen? Werden sie sich verheiraten und wie? schon zur schweren Sorge und Not werden. Die töchterreichen Väter der Weltgeschichte sind in diesem Falle kaum besser daran als andere Menschenkinder, denen doch noch die bekannte Chance der Lustspielmama bleibt, die ihre Töchter mit den begehrenswerten Leutnants oder Referendaren allein läßt, um dann, wieder ins Zimmer tretend, den Bund zu segnen, der sich meist gar nicht geschlossen hat. Erfahrungsmäßig sollen bei diesem Verfahren von den »eingefangenen Schwiegersöhnen« die meisten zur Strecke geliefert worden sein – wenigstens behaupten es unsere Lustspieldichter mit großer Vorliebe.
Die Weltgeschichte hat bis in die neuesten Zeiten auch eine Reihe von Vätern zu verzeichnen, deren Töchterschar ihnen sicherlich manch eine schwere Stunde verschafft. Und doch, wenn wir einen Blick werfen auf die genealogischen Stammtafeln, so dürfen wir mit Befriedigung konstatieren, daß die Schar dieser Prinzessinnen zumeist und allem Anscheine nach gut versorgt worden ist. Dem Anscheine nach! Aber welche Tragödien und Tragikomödien liegen oft hinter den trockenen Daten verborgen! Einzelne davon sind weltberühmt geworden und zum dankbaren Stoffe für Dichter und Maler, aber wieviel Unbekanntes liegt da noch verborgen, denn wo sollte Frau Klio die Zeit hernehmen, alle diese Spezialhistorien zu schreiben?
Sollten wir all die historischen Väter nennen, deren Töchterzahl sich in dem Zahlenkreise der Sechs bewegt, so könnte man vielleicht damit einen ganz ansehnlichen Lexikonband füllen. Über diese Zahl hinausgehend, wächst unsere Teilnahme an dem Geschick jener Fürstenkinder schon aus rein menschlichen Gründen, ganz abgesehen davon, daß auch der Dichter den wechselreichen Ausgängen dieser »verklungenen Lieder« voll Interesse nachspüren möchte.
Um nur einige wenige Beispiele zu nennen, so scharten sich um den Pfalzgrafen Johann II. von Simmern neun Töchter, von denen freilich viele im Kloster eine Heimat fanden, die meisten aber doch einen eigenen Herd. Eine von ihnen, die Prinzessin Sabine, vermählte sich mit Lamoral, Grafen von Egmond und Fürsten von Gavre, dem Helden von Goethes unsterblicher Tragödie, und überlebte ihn um zehn Jahre. Ein anderer Fürst des Hauses Wittelsbach, der Kurfürst Philipp Wilhelm, erfreute sich der stattlichen Schar von acht blühenden Töchtern, und dem Könige Max von Bayern sproßten auch sieben sehr liebliche Prinzessinnen um den Thron. Wem fiele dabei nicht die reizende Geschichte ein, wie dieser populärste aller Könige seinen getreuen Älplern wiederum einmal die Verlobung einer seiner Töchter selbst in rührendem Vaterstolz mitteilte, und darauf die schlichte, aber von Bewunderung überströmende Antwort erhielt: »Ja, Maxl, du hast halt auch a Sauglück mit deine vielen Madln!«
Mit der stattlichen Zahl von neun Töchtern seien noch genannt Herzog Anton II. von Oldenburg, Herzog Johann von Holstein-Sonderburg, Herzog Philipp von Holstein-Glücksburg, der Erzherzog Karl von Steiermark, Kaiser Peter II. von Konstantinopel, Nicolo III. von Este; ein Fürst von Ferrara nannte sogar die heilige Zahl von zwölf Töchtern sein, und das bringt uns auf den Gegenstand dieser Skizze, seinen Nachbarn, den Fürsten Barnabò von Mailand, dem freilich nur zehn Töchter erblühten, daneben aber auch fünf Söhne, – Kinder, von denen der Chronist berichtet, es sei immer eines von ihnen schöner gewesen als das andere.
Die italienischen Fürstenhöfe waren damals – also zu Ausgang des vierzehnten Jahrhunderts, sicherlich die glänzendsten von Europa und nächst dem Hofe von Florenz, an dem die Mediceer den Ton angaben für eine allen anderen vorauseilende Kultur, stand der Hof von Mailand im Vordergrunde des historischen Interesses, alle anderen Höfe überbietend an Glanz, Pracht, Reichtum, und einem Hintergrund von dunklen Thaten, Gewalt, Blut und bösen Sitten.
Es war im Jahre 1378, als Barnabò Visconti nach seinem Bruder, Fürst Galeazzo II., den Thron von Mailand bestieg. Die bluttriefende Chronik dieses Hauses will wissen, daß die That des Kain ihm den Weg bahnte zu dem glänzenden Throne, dem sein und seiner Gemahlin maßloser Ehrgeiz längst zugestrebt, und wenn für diese Anklage auch der historische Beweis noch erbracht werden muß, so wird selbst der eifrigste historische Mohrenwäscher nicht im stande sein, dem Fürsten Barnabò von Mailand eine Ehrenrettung angedeihen zu lassen, die uns diesen prassenden, vergnügungssüchtigen, grausamen, gewissenlosen Tyrannen, dem sein Volk allein 5000 Jagdhunde füttern mußte, menschlich näher bringt. Mochte er nun seines Bruders jähem Tode so nahe gestanden haben, wie man behauptet oder nicht, jedenfalls unterdrückte er erfolgreich des Fürsten Galeazzo Sohn und rechtmäßigen Erben, seinen Neffen Gian Galeazzo, und bestieg über ihn hinweg den kühn erstrebten Thron. Diesen teilte mit ihm die hochmütigste und stolzeste Frau von ganz Italien, Beatrice della Scala, des Fürsten Mastino II. von Verona Tochter, also entsprossen einem gewaltigen Geschlechte, das sich kühn den Vortritt erzwungen hatte in der Reihe der italienischen Fürsten. Ihren Zunamen »la Regina«, der später ihrem Vornamen von den Schriftstellern angehängt wurde, verdankte sie dem Volkswitz, der sie ob ihres maßlosen Hochmuts nur spottend »die Königin« nannte. War sie eine der stolzesten Frauen, so war sie dabei aber auch eine der schönsten ihres Geschlechtes, der Dichter und Künstler huldigten, eine Frau, unnahbar in jeder Beziehung, auf deren Ruf kein Flecken haftete.
Wie schon gesagt, entsproßten der Ehe des Fürsten Barnabò mit der Fürstin Beatrice della Scala fünfzehn schöne Kinder, fünf Söhne und zehn Töchter, durch die die Mutter die Ahnfrau vieler Geschlechter werden sollte, denn im Gegensatz zu den anderen italienischen Fürsten, welche ihre Töchter wiederum meist an italienische Fürsten, Dynasten und Granden vermählten, suchte sich Fürst Barnabò seine Schwiegersöhne in fernen Landen zum größeren Teil, und die reiche Mitgift, die er mit verschwenderischer Freigebigkeit einer jeden von diesen jungen Schönheiten auf den Weg gab, deckte großmütig zu, was etwa von seinen persönlichen Eigenschaften manchen nicht gerade wünschenswert geschienen hätte, mit zu erheiraten.
Ehe wir jedoch den Schicksalen der zehn Töchter des Fürsten Barnabò näher treten, dürfte es von Interesse sein zu hören, daß er es auch verstanden hat, seine Söhne wohl zu versorgen. Marco, der älteste, von ihm zum Nachfolger bestimmt, starb kurz vor seiner Vermählung 1382, wie man behauptet, eines gewaltsamen Todes. Der zweite, Rodolfo, regierte zu Bergamo, gleichfalls unvermählt, und starb mit seinem Vater und seinem jüngsten Bruder Mastino von Brescia gleichzeitig. Letzterer hatte sich kurz zuvor mit seiner Cousine Antonia della Scala vermählt, einer Tochter Cangrandes II. und Elisabeths von Bayern, Kaiser Ludwigs IV. Tochter. Der dritte Sohn, Luigi, hatte Lodi und Cremona erhalten und seine Tante Vittoria Visconti heimgeführt, Galeazzos II. und der Beatrice von Savoyen Tochter, die aber wohl sehr bedeutend älter als er gewesen sein muß, wenn man bedenkt, daß Luigi Visconti ihr dritter Gemahl war. Der erste war ein Sohn König Eduards III. von England gewesen, Lyonel, Herzog von Clarence und Graf von Ulster, der zweite der Markgraf Otto von Montserrat. Alle diese drei Ehen waren kinderlos geblieben, und Luigi starb schon 1381, bald gefolgt von seiner Gemahlin, der Fürst Barnabò, ob mit oder ohne Recht mag dahingestellt bleiben, politische Umtriebe zu Gunsten ihres Neffen Gian Galeazzo zuschrieb. Der vierte Sohn Fürst Barnabòs endlich, der einzige, der seinen Vater überlebte, hatte Parma erhalten und war zweimal vermählt, – erstens mit der Prinzessin Margherita von Cypern und zweitens mit der Gräfin Yolantha von Armagnac, – beides glänzende Heiraten. Doch auch Carlo Visconti starb 1403 ohne Nachkommen, und mit ihm erlosch im Mannesstamme der so üppig blühende Zweig des Barnabò Visconti, um 45 Jahre später ganz zu verdorren und abzusterben.
Und nun zu den zehn Schwestern dieser fünf stolzen Brüder – welch' wechselvolle Schicksale waren ihnen beschieden! Zwar nicht alle mehr sahen die Eltern versorgt, denn schon 1384 starb die Fürstin Beatrice, kaum fünfzig Jahre alt, und als er die vielgeliebte Frau zu Grabe trug, schwebte auch schon über dem Fürsten Barnabò der Würgengel mit dem rächenden Schwerte. In Saus und Braus lebte er dahin, unbekümmert, unbesorgt, ganz sicher seiner usurpierten Krone, denn den er verdrängt und beraubt, Gian Galeazzo Visconti, belästigte ihn auf keine Weise. Er hatte Frieden mit ihm geschlossen, der seit dem Jahre 1372 als Witwer der französischen Königstochter Isabella von Valois ein stilles Leben führte; er hatte ihm, um ihn sich ganz sicher zu machen, seine eigene, sechste Tochter zur Gemahlin gegeben und im Taumel seiner wilden Belustigungen hatte er's gar nicht beachtet, wie Gian Galeazzo es verstand, sich durch Leutseligkeit das Volk zu befreunden. –
Und so nahte dem Fürsten Barnabò das Verhängnis durch seinen Neffen und Schwiegersohn, weil er diesen Mann nicht verstand, der Mailand zu ungeahnter Macht bringen sollte, der sich alles unterjochte, der Schöpfer des Domes von Mailand, der Certosa und des Palastes von Pavia, jener Baudenkmäler, die heute noch unübertroffen stehen. Im Dezember 1385 war es, als Gian Galeazzo seinen Schwiegervater und seine Schwäger Rodolfo und Mastino gelegentlich einer Wallfahrt nach Varese zu einer Zusammenkunft einlud, und Barnabò, der das eigene Blut doch hätte besser kennen sollen, folgte ahnungslos dem falschen Ruf. Denn auf der Brücke zwischen St. Ambrosio und St. Vittore überfiel Gian Galeazzo den Räuber seiner Rechte und brachte ihn mit samt seinen beiden Söhnen zunächst in das Kastell di Porta Giovia, und als ihm dies nicht sicher genug erschien, in das Kastell von Trezzo, wo alle drei am 19. Dezember starben, – recht- und wehrlos beiseite geschafft und ohne Sang und Klang wie die Hunde verscharrt. Das war das Ende des glänzenden Fürsten Barnabò.
Seine älteste Tochter Taddea vermählte sich schon 1364, kaum dreizehn Jahre alt mit dem Herzoge Stefan III. von Bayern-Ingolstadt, genannt »der Knäufel«, und wurde Mutter zweier Kinder, nämlich Herzog Ludwigs VII. des Bärtigen und der Prinzessin Ysabeau, welche sich 1385 mit König Karl VII. von Frankreich vermählte. Diese böse, herz- und sittenlose Frau, die ihre eigenen Kinder auf das empörendste vernachlässigte, scheint demnach von dem schlimmen Blute ihres Großvaters ein Tröpflein ererbt zu haben, das noch einmal in ihrem Enkel, Ludwig XI., viscontinische Früchte zeitigte. Der Zweig Herzog Stefan III. von Bayern erlosch mit seinem Enkel Ludwig VIII. »mit dem Höcker«; Taddea starb 1381.
Des Fürsten Barnabò zweite Tochter Verde, oder wie sie sich später latinisiert schrieb, Viridis, heiratete in das Haus Habsburg. Sie wurde am 22. März 1366, auch noch eigentlich in den Kinderschuhen, Herzog Leopold III., »dem Frommen«, von Tirol und Kärnthen vermählt, der aber schon 1385 starb. Sie überlebte den edlen Gemahl bis 1414, die Mutter von sieben Kindern, die Ahnfrau eines großen und mächtigen Geschlechtes, das mit Maria Theresia erst dem Hause Lothringen verschmolzen wurde, und doch als Haus Habsburg noch weiter blüht.
Der dritten der zehn Schwestern war es bestimmt, den Brautkranz nur im Sarge zu tragen. Dem Burggrafen Friedrich V. von Nürnberg war 1375 schon seine Gemahlin Elisabeth von Meißen gestorben, und der fünfundvierzigjährige stattliche Witwer mit seinen neun Kindern bewarb sich um die Hand der Prinzessin Angelica Visconti von Mailand. Doch mitten in den Zurüstungen zu der Vermählung, wohl schon im Jahre 1375, starb die junge Braut am Typhus, und der Burggraf ist unvermählt geblieben.
Ein furchtbares Geschick erwartete die vierte Tochter des Fürsten Barnabò, die Prinzessin Agnese. Sie vermählte sich 1375 mit dem Fürsten Francesco I. Gonzaga, Podestà von Mantua, einem Herrscher, dessen Klugheit, Gerechtigkeit und Tüchtigkeit die Geschichte hoch rühmt. Sie muß noch sehr jung gewesen sein, als sie ihm vermählt ward, wie er selbst ja kaum zwanzig zählte. Mit fünfundzwanzig Jahren trat er die Regierung an, und die Jahre vergingen, ohne daß das kommende Drama seine Schatten vorausgeworfen hätte. Da, im Jahre 1391 erhob sich gegen die Fürstin Agnese die Anklage der Untreue – die Ehre des Hauses war verletzt. Ausgerüstet mit jener furchtbaren Machtvollkommenheit, die ein jeder auf seinem Grund und Boden freie Dynast besaß, sprach der Fürst das eine, tödliche Wort, und drunten in den Verließen des düsteren Kastells von Mantua mußte die schöne Fürstin ihr stolzes Haupt auf den Block legen – die Toten ritten schnell in jenen Tagen. Ob die Fürstin wirklich schuldig war, oder ob durch die einmal, vielleicht nur böswillig erhobene Anklage die Ehre des Hauses, die nur durch Blut gesühnt werden konnte, verletzt war, – wer kann das heute entscheiden? Die Ehre des Hauses war damals ein furchtbarer Begriff, der viel unschuldiges Blut gefordert hat. Zwei Jahre nach der schrecklichen Katastrophe hat sich Francesco I. wieder vermählt mit einer Tochter des Fürsten von Rimini, und seine Nachfolger aus dieser Ehe haben regiert bis das Haus Gonzaga erlosch, aber die Legende will, daß er seit jenem Tage nicht wieder gelacht hat, und heut noch schwört man in Mantua darauf, daß in den Tagen des Neumondes die Fürstin Agnese durch das Kastell irrt mit lang herabwallenden goldblonden Haaren, verfolgt von ihrem maskierten Henker. –
Noch ehe sie starb, hatte die Fürstin Beatrice von Mailand die unsägliche Genugthuung, ihre fünfte Tochter, Valentina, einen Königsthron besteigen zu sehen. Peter II. von Lusignan, König von Cypern, ließ um die fürstliche Jungfrau werben und führte sie 1380 heim als Königin auf sein grünes, sagenhaftes Eiland im Nordostwinkel des Mittelmeeres. Doch schon zwei Jahre später starb König Peter ohne Nachkommen und sein Oheim Jakob I. folgte ihm auf dem Throne. Ob die Königin Valentina ihr Leben auf Cypern beschlossen oder in ihrer Heimat Italien, weiß ich nicht zu sagen. Sie ist jedenfalls eine zweite Ehe nicht eingegangen.
Die sechste Tochter des Fürsten Barnabò wurde von diesem, als Unterpfand des Friedens und der Versöhnung, wie wir wissen, an ihren Cousin, Gian Galeazzo Visconti, vermählt. Seine erste Gemahlin war die Tochter König Johann II. von Frankreich und der Königin Bona, einer böhmischen Prinzessin, Isabella von Valois, die 1372 starb, ohne ihrem Gemahl Erben zu hinterlassen. Der Fürstin Caterina Visconti war es vorbehalten, die Mutter der beiden Nachfolger ihres Gemahls zu werden, die das mühsam aufgebaute Reich verzetteln und sich selbst als Wüteriche und Tyrannen ein warnendes Denkmal setzen sollten – die letzten ihres Stammes. Gian Galeazzo ward schon ein Jahr nach seiner blutigen Thronbesteigung zum ersten Herzog von Mailand erhoben und vermählte seine einzige Tochter Valentina aus seiner ersten Ehe 1389 mit Ludwig, Herzog von Orleans, Bruder König Karls VI. von Frankreich, der, wie wir wissen, mit einer Tochter Taddea Viscontis, der Herzogin von Bayern, vermählt war. Aus dieser Verbindung stammen die Ansprüche, die König Franz I. von Frankreich später auf Mailand erhob, und die in der Schlacht bei Pavia zurückgeschlagen wurden. Welches Leben Caterina Visconti an der Seite des Gemahls fand, der ihren Vater und ihre Brüder gemordet, wissen wir nicht, – ein Leben des Glückes und der Zufriedenheit kann es nicht gewesen sein mit jenen blutigen Schatten, die zwischen ihnen standen und fortwährend an das Gräßliche erinnerten, was da geschehen war.
Ein besseres Los fand die siebente der Schwestern, die kluge, schöne Prinzessin Magdalena, welche sich gleichfalls nach Bayern, an den Herzog Friedrich von Nieder-Bayern zu Landshut 1382 vermählte. Seine erste Gemahlin, eine Gräfin von Neifen, hatte ihm nur eine Tochter, Isabella, hinterlassen, die mit Marco Visconti, dem ältesten Bruder der Herzogin Magdalena, verlobt gewesen, doch noch vor ihres Bräutigams frühzeitigem Tode starb. Fünf Kinder schenkte in glücklicher Ehe die Herzogin ihrem Gemahl, und als ältestes derselben wurde 1383 die Prinzessin Elisabeth geboren, die schöne, reich an Geist und Herz gebildete Stammmutter der brandenburgischen Hohenzollern, denn im Jahre 1400 vermählte sie sich mit Friedrich VI., Burggrafen von Nürnberg, dem Sohne jenes Fürsten, dessen Braut die Schwester ihrer Mutter war. Burggraf Friedrich VI. wurde, wie männiglich bekannt, 1417 als Kurfürst von Brandenburg belehnt, und seine Gemahlin, heut noch »die schöne Else« genannt, erfreute sich einer Beliebtheit und Verehrung des Volkes, die wohlverdient war. Bestes, deutsches Blut hat die blonde »schöne Else« dem Hohenzollernstamme zugebracht, doch auch von ihrer feingebildeten Mutter geläutert einen Tropfen jenes Blutes, in das der Sinn für alles Schöne, für Kunst und Wissenschaft innig übergegangen war. Darum mußte auch das Geschlecht, das aus dieser Verbindung von deutscher Treue, deutscher Kraft, deutschem Mut, südlicher Schönheit und italienischer Bildung hervorging, ein hervorragendes werden, bestimmt, die Nation zu beherrschen, die wir mit Stolz die deutsche nennen.
Diese sieben Töchter: Taddea, Verde, Angelica, Agnese, Valentina, Caterina und Magdalena hatten der Fürst Barnabò und seine Gemahlin vermählt gesehen, ehe der Tod beide abgerufen. Die drei jüngsten Töchter mußte er unversorgt zurücklassen, doch scheinen sie im Hause und an dem Hofe ihrer Schwester, der Herzogin von Mailand, eine Heimat gefunden zu haben und der Ruf der Schönheit und der Reichtümer dieser mailändischen Prinzessinnen war laut genug in die Welt gedrungen, so daß es an fürstlichen Freiern für die drei jüngsten Sprossen eines schlimmen Vaters durchaus nicht fehlte.
Antonia, die älteste jener drei Zurückgebliebenen, war als ein Kind in der Wiege mit König Friedrich III. von Sicilien verlobt worden. Dieser Monarch war damals schon über dreißig Jahre alt und zweifacher Witwer von Constanzia von Aragonien und Antonia von Andrias, welch letztere 1374 gestorben war. König Friedrich, der Einfältige genannt, starb aber schon 1377, und der Tod löste damit Bande, die für das Kind Antonia Visconti wenig genug persönliches Glück verhießen. Dann kam ein junger, kühner Recke gezogen und holte das fremde Fürstenkind heim als Braut, – das war Graf Eberhard von Württemberg, der Enkel und Thronerbe Graf Eberhards III., des Greiners, der damals mit seinem Sohne, dem Erbgrafen Ulrich in schlimmer Fehde lag. Im Jahre 1386 führte Graf Eberhard seine mailändische Braut heim nach Stuttgart, und am 23. August 1388 fiel Erbgraf Ulrich in der Schlacht bei Döffingen – die Fehde war zu Ende, und der Sohn hatte mit seinem Blute gesühnt, was das Herz des alten Greiners schwer gekränkt hatte. Zur nämlichen Stunde aber, da bei Döffingen die Schlacht tobte, gab die Gräfin Antonia einem Sohne das Leben, der Eberhard nach Vater und Großvater genannt wurde und als der Fünfte dieses Namens kurz regierte: »Der Fink hat wieder Samen, dem Herrn sei Dank und Preis!« läßt Uhland den greisen Helden ausrufen, als er die Nachricht erhält, daß ihm ein Urenkel geboren. Und doch waren es nicht die Nachkommen Antonia Viscontis, die den Stamm des Württemberger Hauses bis auf unsere Tage fortpflanzen sollten, – sie starben 1496 mit Herzog Eberhard I. aus, und die Sprossen Graf Eberhard IV. aus dessen zweiter Ehe sind es, welche die Krone des heutigen Königreiches Württemberg tragen. Wie ihr ganzes Geschlecht, so hatte auch die Gräfin Antonia nicht den Vorzug eines langen Lebens, – schon am 26. März 1405 ging sie dahin in der Blüte ihrer Jahre, und ein Jahr später führte ihr Gemahl eine zweite Frau heim, – eine Gräfin von Hohenzollern aus dem Nürnberger Hause, die ihn lange überlebte.
Und noch eine dritte Tochter Barnabò Visconti's sollte sich einem bayrischen Fürsten vermählen, –: Elisabeth, die vorjüngste, reichte 1396 dem Herzog Ernst von Bayern-München die Hand und starb am 2. Februar 1432, ehe das große Drama in ihrem Hause sich abspielte, das Drama der schönen Augsburgerin Agnes Bernauer, denn der spätere Herzog Albrecht II., der sein Herz an die blonde Baderstochter verloren und sie sich heimlich vermählt hatte, war der einzige Sohn der Herzogin Elisabeth. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn sie, die Mutter, dem Sohne zur Seite gestanden hätte, aber Elisabeth war vielleicht nicht umsonst die Tochter ihrer hochmütigen Mutter, die das Volk spottend die Königin nannte. Wer kann sagen, ob bei ihren Lebzeiten Agnes Bernauer ihrem Martyrium entgangen wäre?
Außer jenem einen, unglücklichen Sohne, dem die Geschichte später den Beinamen der Fromme gegeben hat, hinterließ die Herzogin Elisabeth drei Töchter, von denen die eine Nonne wurde, die beiden andern sich je zweimal vermählten. Die älteste, Beatrix, zuerst mit Graf Hermann II. von Cilly und nach dessen Tode mit dem Pfalzgrafen Johann von Neumark, die zweite, Elisabeth, mit dem Herzog Adolph IX. von Jülich und später mit dem Grafen Hesso von Leiningen. Der Stamm des Herzogs Ernst und der Herzogin Elisabeth starb 1777 mit dem Kurfürsten Max III. Joseph im Mannesstamme aus, und Bayern kam an die Pfälzer Linien.
So hatten neun Töchter des Fürsten Barnabò Throne bestiegen, nur die jüngste allein war dazu nicht berufen. Lucia Visconti nahm dennoch von ihren Schwestern den weitesten Flug von der Heimat und tauschte das sonnige Italien ein gegen das kühle Nebelland England. Sie vermählte sich 1407 mit Edmund Holland, Grafen von Kent, einem Enkel Johannas Plantagenet, der »Schönen«, Prinzessin von England, die von ihrem Vater, einem Sohne König Eduard II. die Grafschaft Kent geerbt und diese ihrem zweiten Gemahl, Sir Thomas Holland, oder vielmehr ihrem Sohne aus dieser Ehe verliehen hatte. In dritter Ehe hatte sich die vielbegehrte Prinzessin mit dem Prinzen Eduard von Wales vermählt und war in dieser Ehe die Mutter König Richard II. geworden, der demnach ein Stiefbruder des Grafen von Kent war, welcher die Prinzessin Lucia Visconti heimführte in seine ferne Heimat. Sie kann damals nicht mehr in der ersten Blüte ihrer Jahre gewesen sein und starb 1424 – mehr wissen wir leider nicht von ihrem ferneren Leben. Ihr Gemahl starb schon 1408, – ein Kind ist der kurzen Ehe nicht entsprossen.
Das ist in kurzen Zügen, in skizzenhaftem Umriß eine Idee der Schicksale der zehn Töchter des Fürsten Barnabò von Mailand, und wenn wir das ganze damalige Haus Visconti zusammennehmen, so wird der Dichter alles in ihm vereint finden, was er immer nur suchen mag: die Leidenschaften in ihrer Glut, in ihrer krassen Nacktheit und in ihrem heuchlerischen Gewande von Scheinheiligkeit, – die tragische Schuld, den Stoff zu Tragödien und Idyllen, zu Romanzen, Balladen und Darstellungen, die an Realismus nichts zu wünschen übrig lassen. Und die Persönlichkeiten erst: Der grausame, prassende Tyrann Barnabò, in dessen Herz wir dennoch einen menschlichen Punkt, eine sonnige Stelle finden: die Liebe zu seinen Kindern. Dann die stolze, unnahbare Erscheinung der hochmütigen Fürstin Beatrice mit ihrer ganzen Sippe, ferner dieser Gian Galeazzo, dessen Seele imstande ist, gleichzeitig Gedanken zu hegen von Mord und Verrat und daneben die Pläne zu dem Dome von Mailand und der Certosa von Pavia auszuarbeiten, die fünf jungen Viscontis, des Barnabò Söhne, vielleicht nicht besser, sicher aber nicht schlechter als der Vater, nur sehr viel unbedeutender, und last not least: die zehn Töchter, dieser blühende Kranz von Schönheit, von Anmut, alle bis auf eine bestimmt für Throne, zu Trägerinnen damals großer Namen. Wer sich die Mühe macht, an der Hand dieser Skizze dem Schicksal der zehn italienischen Fürstentöchter zu folgen, wird einen Roman zu lesen vermeinen, einen Roman, wie ihn kein Dichter ansdenken kann, wie ihn nur das Leben allein erfindet.