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In alten Häusern und Schlössern ist es immer die Rumpelkammer, die mich am meisten anzieht. Was sich in ihr verbirgt, was Generationen nach und nach in ihr beiseite geschoben haben, das ist gewissermaßen eine Kulturgeschichte im kleinen für sich. Was dem einen paßt und begehrenswert schien, scheint dem nächsten unbrauchbar, unwichtig; das ist einmal so der Lauf der Welt. Und doch, welche Schätze birgt oft die Rumpelkammer, die Unwissenheit oder Bequemlichkeit, oder Überfluß und Mode dahin verbannt, und darin herumzukramen und die alten Zeiten wieder aufleben zu lassen mit ihren Schatten und Lichtern, das ist ein ganz besonderer Genuß.
Auch die Weltgeschichte hat ihre Rumpelkammern, in denen sie alles das aufgestapelt und mit Spinngewebe hat überziehen lassen, woran sie vorübergehen muß, wenn ihre Berichte nicht endlos werden sollen. Zwar sind in die Rumpelkammern der Weltgeschichte die Spezialhistoriker gekommen und haben das Wichtigste und Beste für ihre Spezialgeschichten hervorgeholt, aber alles konnten auch sie nicht mitnehmen, und was da liegen blieb, ist auch noch von den Chronisten durchgesiebt worden und ausgelesen. Aber trotz dieser Ährenleser der Weltgeschichte nach ihrer reichen und imposanten Ernte, blieb in der Rumpelkammer der Geschichte mehr zurück, als alle Schriftsteller der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verarbeiten konnten, und in diesen Resten zu kramen und herumzustöbern, ist ein ebensolches Vergnügen für mich, als es mir die Rumpelkammern alter Häuser gewähren.
Als ich mein historisch-genealogisches Lexikon: »Das Goldene Buch«, bearbeitete, das bei der Fachwissenschaft und in anderen Kreisen so viel Anerkennung fand, da führten mich die schlichten, trockenen Namen und Daten oft weit hinweg in ferne, vergangene Zeiten, und viele, die diese chronologisch geordneten Namen und Ziffern sehen, ahnen nicht, was alles zwischen ihren Zeilen zu lesen ist, was alles ich beim Suchen nach diesen trockenen Ziffern gefunden habe. Vieles, ja das meiste davon lag in der Rumpelkammer der Weltgeschichte unter Staub und Spinngewebe verborgen; die vornehme, nur in großen Zügen schreibende Geschichte kann sich eben nicht aufhalten bei all diesen wunderlichen, verschollenen Gestalten, die einst gelebt, gelitten, geirrt haben und gestorben sind. Die vorliegenden Blätter nun sind ein kleines Ergebnis solch einer Razzia in der Rumpelkammer der Weltgeschichte: ob sie dem Leser Neues bringen, oder vielleicht nur Halbvergessenes auffrischen werden, das hängt natürlich ganz davon ab, ob er dieser größten aller Rumpelkammern auch schon seinen Besuch abgestattet; ist sie ja, im Gegensatz zu den Rumpelkammern der Privathäuser, offen für jedermann, der Lust, Neigung und Beruf hat, darin herumzukramen und zu der Erkenntnis zu kommen, daß die Aufzeichnungen der Weltgeschichte zwar weise machen, daß man aber das Pochen ihres Herzens nur zwischen ihren Zeilen hört, und daß es sicher keine verlorene Zeit und Mühe ist, sich anzusehen, was alles sie liegen lassen muß, will sie Schritt halten mit der Zeit. Da tönt manch ein verklungenes Lied zu uns herüber, die Schatten derer, die einst gelebt und gelitten, sie gewinnen noch einmal Gestalt vor unserem geistigen Auge, wir sehen sie vor uns, wir hören sie, und müssen erkennen, wie das Herz des Menschen sich mit seinen Schwächen und Größen wiederholt und erneut, und doch immer das gleiche bleibt.
Ich habe darauf verzichtet, diesem Buche ein Verzeichnis der von mir benutzten Quellen mitzugeben, – für diese schlichten Studien und Skizzen wollte es mir zu prätensiös aussehen. Ich bin aber jederzeit gern bereit, auf Anfragen die gewünschte Auskunft darüber zu erteilen.
Denen aber, die mir auf meinem Gange durch die Rumpelkammer der Weltgeschichte folgen, meinen Dank im voraus, und wenn sie sich einigermaßen gefesselt fühlen, so soll's mir ein schöner Lohn sein für eine Arbeit, die mir eine liebe und immer interessante war.
Durlach, im Sommer 1895
Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem