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Heim von der Senne.

Der helle Sommer schreitet rasch vorwärts, im Gebirge ist er kurz, aber starklebig.

Er beginnt mit sprossendem, hellem Grün auf allen Hügeln, an den flachen Halden und Abhängen und in den unendlichen Gründen; die Schneehuhnpaare gehen emsig umher und knurren und schelten, wenn jemand ihren Nestern zu nahe kommt. Mücken und Bremsen surren durch die Luft, und die Kühe strecken die Schwänze in die Höhe und traben davon, um ihren brennenden Stichen zu entgehen, und über dem Ganzen liegt dick und dunkelblau der Sonnenrauch und beschränkt die freie Aussicht.

Aber bald kommen die Heidelbeeren, die Wiesenwolle und die Multbeeren, und eines schönen Tages piept es an allen Ecken und Enden rings um die Schneehuhnmütter, die nun noch schlimmer schelten, wenn viele kleine, hellbraune Federbälle ein paar Ellen hoch ausfliegen und fortzuflattern versuchen, um bald wieder kopfüber ins Heidekraut herunter zu fallen.

Die Kühe gehen ruhig und bedächtig über die Höhen und suchen das feinste, würzige Gras, und der Sonnenrauch verschwindet, die Luft wird so wunderbar klar, daß man die meilenweit entfernten Berge ebenso deutlich und in scharfen Umrissen sieht, wie den nächsten Erdhaufen. Dann fallen die Multbeerblüten ab, und bald wird es überall in den Gründen gelb und rot; die zierlichen Blüten des Heidekrauts färben alle Kuppen und Berge, das Grüne verschwindet, das Gebirge leuchtet braun und rot, nur guckt hier und da das helle Renntiermoos wie leuchtende Schneeflecken hervor. Der Herbst naht.

Meist scheint die Sonne, und dann ist es herrlich, Hirte zu sein.

Aber es können auch Tage kommen, wo der Nebel sich wie ein dichter, grauer Teppich niedersenkt, unter dem die Erde mit Hügeln, Büschen und Heidekraut gleichsam dicht zusammenkriecht, so daß alles schon auf wenige Armlängen vor einem verschwindet, und ein feiner Staubregen rieselt aus dem Nebel hernieder, legt sich wie winzige, graue Perlen auf jeden Halm und jede Tannennadel, und überall, wo man hinkommt, trieft es von Feuchtigkeit.

Da ist es oft schlimm, Hirt zu sein; da gilt es, Schutz unter jedem kleinen Busch zu suchen, einen Sack über den Schultern als Schirm gegen die Nässe, oder zu laufen, daß das Wasser in den Schuhen patscht. Denn in solchem Wetter wachsen die Pilze empor, und dann kümmert sich das Vieh um nichts andres mehr, läuft auf und davon, um sie zu finden, und oft ist es schwierig, ihm zu folgen; und dabei kann es gelegentlich auch einen tüchtigen Schlag absetzen, wenn am Rande des Moors dicht vor einem ein paar gewaltige Kraniche auffliegen, die auf der Durchreise sind, – im dicken Nebel erscheinen sie ganz riesenhaft, wie ein paar fette Schafe mit langen Flügeln.

Dann ist es eines Morgens ringsum glänzend weiß; über Nacht ist Schnee gefallen. Freilich bleibt er nicht liegen, er verschwindet im Laufe des Tages wieder. Aber nun will das Vieh um keinen Preis mehr ins Gebirge hinauf, – die Kühe stehen am Sennenwiesengatter und brummen; sie wissen, daß sie zu guterletzt doch hier Einlaß erhalten, um auch die letzten Leckerbissen auf der Alp mitzunehmen, die Ziegen sehen sich fragend um. Der Sommer ist nun doch einmal zu Ende, alles sehnt sich nach Hause zurück.

Dann wird eines Tages das Gatter geöffnet, die Kühe stürzen auf die Wiese; nun wissen sie, daß sie dies Jahr nicht mehr in das kahle Gebirge hinauf brauchen.

Die Knechte sind mit Pferden gekommen, und die andern Pferde, die den ganzen Sommer über im Gebirge herumgestreift sind, werden heimgeholt. Der Klee wird in Bündel zusammengeschnürt, alles wird ausgewaschen, aufgeräumt, für nächsten Sommer in Ordnung gebracht und weggesetzt, und endlich ist der lang erwartete Tag der Heimkehr gekommen.

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Sidsel steht oben auf dem First des grasbewachsnen Stalldachs und schaut umher. Sie ist bereits reisefertig, hat den Hirtenranzen auf dem Rücken, den Birkenhut auf dem Kopfe und die Ziegenhornpfeife an einer Schnur um den Hals hängen. In der Hand hält sie einen Stecken.

Drinnen auf der eingegatterten Wiese gehen Kühe und Kleinvieh und streifen ungeduldig umher von Zaun zu Zaun. Auch sie verstehen, daß der Tag der Heimkehr gekommen ist; denn die Stallwand entlang stehen die zusammengeschnürten Kleebündel in einer Reihe mit den Buttereimern, Käsekübeln und -Kobern, und am Zaun stehen die Packpferde angebunden, den Saumsattel aufgeschnallt, an erster Stelle das Soldatenpferd mit dem Frauensattel auf dem Rücken.

Die Knechte stehen dabei, die Pfeife im Mund; fix und fertig, warten sie bloß auf die Sennerin, die noch in der Hütte den Käse zur Wegzehrung zubereitet, den letzten, von der Milch, die am selben Morgen gemolken ist, und die sie nicht stehen lassen können.

Jon und Peter kommen am Pferch vorbeigeschlendert. Auch sie sind heute stiller als gewöhnlich; sie bleiben stehen und schauen zu Sidsel hinauf, aber es dauert lange, bis eins ein Wort spricht. Endlich sagt Peter:

Solls nun fortgehen, Sidsel?

Ja, heute gehts heim.

Unwillkürlich sehen sie alle drei zu dem Gebirge hinauf.

Ach ja, nun wirds einsam in den Bergen. Ich soll noch acht Tage bleiben.

So lange noch? Und du, Jon?

Ich soll übermorgen heimwärts.

Wieder wird es eine Weile still. Dann sagt Sidsel:

Nun muß ich wohl hinunter. Sie sind gewiß schon fertig.

Sie klettert vom Dach herab und kommt zu ihnen. Wieder stehen sie da und wissen nicht, was sie sagen sollen. Endlich sagt Peter:

Kommst du nächsten Sommer wieder, Sidsel?

Ja, wenn Kjersti Hoël mit mir zufrieden ist. Aber das ist wohl kaum zu erwarten, wenn ich ohne Krummhorn heimkomme.

Ach, so unbillig ist Kjersti Hoël nicht; den Hirten möchte ich sehen, der Krummhorn hüten könnte.

Es müßte denn ein Pferdehirt sein, meinte Jon.

Wieder tritt eine Pause ein. Darauf sagt Ion:

Heuer wurde nun doch nichts aus unserm Ausflug auf die Herspitze, wo damals der König war.

Nein, daraus wurde nichts.

Wir beide kommen nächsten Sommer auch wieder.

Dann könnten wir ja den Ausflug nachholen; es ist freilich schrecklich weit.

Ja, das können wir. Und ich kann euch viel davon erzählen; denn mein Vater war damals mit und kutschierte.

Den König?

Nicht den König; aber den Amtmann.

Mein Vater war auch mit und kutschierte, warf Peter ein, ich kann also auch erzählen.

Deiner kutschierte aber bloß eine alte Schrumpel.

Die Schrumpel kam aber gleich hinter der Königin, sie war's auch, die auf dem Rückweg mit ihr allein ohne Zwischenraum ging.

In dem Augenblick wurde Sidsel weggerufen. Sie zögerte ein klein wenig, dann streckte sie ihre kleine Hand hin und sagte:

Habt also schönen Dank für alles Gute und laßt's euch gut gehen.

Danke, gleichfalls, sagte Jon; ja, so ist's also abgemacht, zum Sommer sehen wir uns wieder.

Jawohl.

Leb wohl, sagte Peter. Er hielt ein Weilchen ihre Hand in der seinen, und dann merkte er, er müßte doch noch etwas sagen:

Ich werde Jakob von dir grüßen, Sidsel.

Und darauf verschwanden die Jungen wieder hinter dem Pferch, ebenso still, wie sie gekommen waren.

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Auf der eingezäunten Wiese waren die Knechte damit beschäftigt, aufzupacken.

Das Soldatenpferd wurde zum Gatter hingeführt. Sidsel lief auf den Weideplatz, trieb das Kleinvieh zusammen und zählte ihre Herde heute wohl schon zum zehnten Mal; bald war alles zum Abmarsch bereit.

Da erschien die Sennerin in der Tür, sie war wieder im Feiertagsputz, wie am Tage, als sie ankamen. Sie schlug die Tür der Sennhütte hart ins Schloß, drehte feierlich langsam den mächtigen Schlüssel herum, zog ihn aus dem Schloß heraus und steckte ihn in die Tasche, sie wollte ihn selber aufbewahren und eigenhändig an Kjersti Hoël abliefern. Darauf schlug sie mit der Faust gegen die Tür, um zu prüfen, ob sie ordentlich verschlossen war, ging ans Fenster und sah hinein, ob auch alles in gehöriger Ordnung und das Feuer auf dem Herde ausgelöscht war. Dann stieg sie zu Pferde, einer der Knechte öffnete das Gatter für sie, wie vor einer Königin – stolz ritt sie hinaus.

Ihr schloß sich der Zug der Packpferde an, und darauf kam in der alten Ordnung die Schellenkuh, Brandros und die ganze stattliche Schar. Den Schluß bildete das Kleinvieh, und zu allerletzt kam Sidsel, den Stecken in der Hand, den Birkenhut auf dem Kopfe und den Ranzen auf dem Rücken.

Sie mußte sich noch einmal umsehen. Die Senne lag öde und verlassen da, das Gebirge merkwürdig einsam; gewiß, auch sie hatte sich die letzten Tage nach Hause zurückgesehnt, aber es war ihr nun doch gar eigen zu Mute, als sie jetzt das alles verlassen sollte. Sie hatte dasselbe Gefühl, wie damals, als sie Schloß Guckaus verließ. Es war wunderlich, daß sie gerade jetzt daran denken mußte – den ganzen Sommer über hatte sie nicht mit einem einzigen Gedanken daran gedacht.

Nein, sie wollte auch jetzt nicht daran denken – sie hatte wahrlich andres zu tun. Gott Lob, daß sie heim sollten und daß alles so gut abgelaufen war; sie hatte alle ihre Ziegen und Schafe – außer Krummhorn. Von der hatte sie seit jenem Tage, wo sie gezähmt werden sollte, keine Spur mehr zu sehen gekriegt, aber gehört hatte sie, daß man weit oben im Gebirge eine fette Ziege gesehen, die einem weidenden Pferdetroß folgte.

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Den ganzen Tag lang geht der große Zug übers Gebirge, ruhig und gleichmäßig.

Alle, Mensch und Tier, sind gleichsam fetter und schwerer geworden als im Frühling, alle treten sicherer, fester auf, nirgends kann man eine Spur von Ermüdung bemerken, oder daß eins oder das andre zurückbliebe. Und ob es die Sennerin ist – »Butterfaß« wie sie immer im Herbst genannt wird –, die rund und selbstzufrieden und rotbäckig noch einmal zurückschaut, oder ob es die kleine Sidsel ist, die vorwärts schaut, – beide denken sie, daß sie sich vor Kjersti Hoël ihrer Herden und des eingeernteten Winterfutters nicht zu schämen brauchen.

Es geht gegen Abend, und auf einmal führt der Weg steil bergab, und das Tal öffnet sich unten zu ihren Füßen; bereits können sie die Aue drüben auf der andern Seite erblicken.

Alle müssen unwillkürlich dahinüber schauen, aber noch können sie bloß einen grünen Streifen ganz oben am Abhang erkennen. Die einzige, die schon Häuser sieht, ist Sidsel – dort oben gegenüber sieht sie, wie die untergehende Sonne in einem kleinen Fenster einer niedrigen, grauen Hütte glitzert und blinkt – das ist Schloß Guckaus.

Dann mit einmal sind sie bis zum Rande der Aue gekommen, das ganze Tal liegt offen, breit und friedlich vor ihnen ausgebreitet, mit seinen gelben Ackern und dem Getreide auf den Diemen, mit grünen Abhängen und Birkenhainen, die in gelber und roter Färbung flammen.

Dort sehn sie auch Hoël – groß und schwerfällig, frisch aufgeputzt, liegt der Hof mit seinen breiten, blanken Fenstern da. Der Rauch steigt aus dem Schornstein auf wie ein einladender, Kaffee verheißender Willkommengruß; nun hat wohl Kjersti bereits den Kaffeekessel über das Herdfeuer gehängt, um sie zu empfangen, wie es sich gebührt.

Jetzt kommt Leben in die Reihen, alle wissen, nun steht Kjersti am Fenster und sieht, daß der Zug die Halde herabkommt; alle beeilen sich unwillkürlich, die Pferde greifen aus, die Kühe fallen in kurzen Trab, die Schellenkuh brüllt, daß es weit über das Tal schallt, die Schellen der Ziegen und Schafe tingeln, und Sidsel bläst einen schrillen Triller aus ihrer Hornpfeife. Alle im Tal sollen hören, daß jetzt die stolze Viehherde des Hoëlhofs von der Alp heimkommt.

Dann geht es in den Talgrund hinab und auf der andern Seite wieder hinauf; bald sind sie wieder daheim.

Kjersti Hoël steht selbst an der Kuhstalltür und öffnet.

Die Kühe erkennen sie wieder, alle schreiten sie, eine nach der andern, an ihr vorüber, für jedes der Tiere hat sie ein freundliches Wort, jedem streichelt sie den Kopf, und stolz und zufrieden gehen sie in den Stall und in ihre Stände hinein; keines geht fehl. Und es eilt; denn sie wissen, daß etwas besonders Gutes ihrer zum Willkommen in der Krippe wartet, und das tut auch wahrlich not; denn unterwegs ist keine Zeit gewesen, etwas zu fressen.

Die Sennerin steigt ab, Kjersti gibt ihr die Hand und sagt: Willkommen daheim.

Darauf geht sie zum Schafstall, öffnet die Stalltür und zählt die Ziegen und Schafe, und als Sidsel hinzukommt, gibt Kjersti ihr ebenfalls die Hand und sagt: Willkommen daheim.

Ja, aber – ich habe Krummhorn nicht mit.

Nein, das sehe ich, und das ist gut, dann sind wir das leidige Tier doch los, wenigstens vorläufig. Du bist richtig flink gewesen, wie ich sehe; ja, und gewachsen bist du auch; dein langer Rock reicht dir ja nun knapp bis auf die Fußspitzen.

Darauf mußte Sidsel der Sennerin helfen, die Kühe anzubinden, während Kjersti dabei war, wie den Saumpferden die Packsattel abgenommen wurden, und sich das Heimgebrachte ansah.

Dann kam Kjersti wieder zu ihnen und lud sie ein, mit ins Haus zu kommen; es war gerade, als wären sie vornehme Gäste. Und drinnen wurden sie in die Stube gebeten, Sidsel wie die Sennerin, und hier war der Tisch für sie gedeckt und Erbsenbrat, Plinsen und warme, neue Kartoffeln aufgetragen; denn das ist die geziemende Kost für Leute, die von der Senne kommen, – und Kjersti saß selbst mit am Tisch, schenkte den Kaffee ein und nötigte und bat, zuzulangen. Und dann mußten sie erzählen, was sie alles oben im Gebirge erlebt hatten, vom Vieh und von der Ernte; welche Kuh die meiste Milch gegeben und welche weniger gut gemolken hatte, und sie ernteten eitel Lob, weil alles so gut gegangen, und sie so geschickt und fleißig gewesen waren.

Als Sidsel Langröckchen am Abend sich wieder in ihrem kleinen Bett in der Gangkammer ausstreckte und alles überdachte, was sie diesen Sommer in den Bergen erlebt hatte, da fand sie, ihr wäre es so gut und herrlich ergangen, und sie habe soviel Spaß gehabt, wie nur überhaupt denkbar, aber freilich war es auch wieder schön, nach Hause zu kommen, wenn man eine so fabelhaft gute Hausmutter hatte wie Kjersti Hoël.

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Der Herbst geht, die Flur entfärbt sich; von den Bäumen fällt das Laub, kahl strecken sie ihre Äste in die kalte Luft, und die Getreidediemen stehen wieder leer und schief auf den Feldern.

Nun gibt es im Freien kein Futter mehr für das Vieh, und die Zeit des Schlachtens kommt. Das ist für den Hirten des Jahres letzter Tag; an dem Tage hört seine Verantwortlichkeit auf; von nun an ist er nicht länger mehr etwas für sich selbst, jetzt muß er überall mit aushelfen, wo es notwendig ist. Und wenn der Winter mit den langen Abenden kommt, an denen das offene Feuer vom Herde über die große Stube leuchtet, während die Wollkämme gehen, die Spinnrocken ununterbrochen schnurren und die Knechte aus Reisern Besen binden und Deichselnägel und Beilschäfte schnitzen, da soll der Hirt beim Holzhaufen sitzen oder auch auf dem Reisighaufen und auf das Feuer aufpassen, damit alle gut sehen können, während er dabei seine Schulaufgaben lernt.

Dort beim Holzhaufen auf Hoël hatte nun auch Sidsel an langen Winterabenden ihren Platz. Sie lernte eifrig und horchte auf das Gespräch der Erwachsenen und vernahm soviel neues, daß die Abende doch noch zu kurz und der Tage zu wenige waren. Und ehe sie sich dessen versah, war es wieder Frühling geworden, und als sie nachschaute, da reichte ihr der lange Rock kaum noch bis über die Waden.

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