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Klein-Jens war heute so merkwürdig still und verdrießlich, während er draußen in der Kammer stand und nach dem obersten Kommodenfach hinschielte, das seines war.
Er konnte nicht begreifen, daß seine Weihnachts-Kräppelchen so plötzlich alle geworden waren; es war ihm, als hätte er nur ein paarmal davon gekostet, gestern abend und heute in der Frühe, und jedesmal nur ein bißchen. Aber es mußte doch so sein; denn in sein Schubfach konnte niemand hinein, er hatte selber den Schlüssel dazu, und Petra, seine Schwester, die das nächstunterste Schubfach hatte, konnte unmöglich in seins hinaufkommen. Anders war es dagegen, wenn er seine Schublade ganz herauszog, da konnte er in die Petras hinunterkommen – er hatte es übrigens nicht oft getan – bloß zweimal, soviel er sich erinnerte, und bloß geguckt, nichts angerührt, – doch, das eine Mal hatte er allerdings ein ganz kleines Stückchen von ihrer Lakritzenstange abgebrochen, aber es war so winzig klein gewesen, daß man es wirklich nicht merken konnte, und das hatte er bloß deswegen getan, weil sie ihm nichts davon gesagt hatte, daß sie überhaupt Lakritze hatte. Nein, es war schon so: er hatte doch wohl zu oft von den Kräppelchen genommen.
Es war aber auch zu verdrießlich mit dem Handel. Gestern fand er, es wäre ein guter Handel, ja, gar so übel war er auch nicht gewesen, wenn er nur die Kräppelchen noch gehabt hätte. Er hatte auch sehr wohl gemerkt, daß Petra ihn darum beneidet hatte. Aber wenn er sie nun nicht mehr hatte, so wurde Petra ganz übermütig, sie hatte ja keinen Handel abgeschlossen.
Die Sache war nämlich die: die Mutter hatte gestern Kräppelchen für Weihnachten gebacken. Nach altem Brauch bekamen sie je zwei Stück, er und Petra. Aber die reichten nicht lange, und da hatte er lieber gleich die Frühlingswolle von seinem Schafe – Baumwollschaf nannten sie es, weil es so unglaublich weiche Wolle hatte – an die Mutter für weitere drei große Kräppelchen verkauft. Petra hatte eine Ziege, Kvitlin, und sie bot ebenfalls den Sommerkäse ihrer Ziege für vier Kräppelchen, aber die Mutter hatte nicht mit ihr handeln wollen, weil sie zu groß dazu sei. Nachher hatte Petra ihn damit geneckt, daß sie nun am reichsten sei; das war nämlich ihr gewöhnliches Spiel, sich ihre verschiedenen Habseligkeiten vorzurechnen und zu prüfen, wer am reichsten wäre, und da hatte er nicht mehr als die drei Kräppelchen gegen den ganzen Sommerertrag Kvitlins aufzustellen gehabt. Er behauptete zwar, die seien mindestens ebenso viel wert, aber er war doch nicht so ganz richtig davon überzeugt; er sagte jedoch nein, als Petra ihm die Hälfte von Kvitlins Sommerertrag für zwei von seinen Kräppelchen bot, sie sollte jedenfalls nicht merken, daß er den Handel bereute.
Nun aber, wo er sie nicht mehr hatte, fühlte er sich viel ärmer; es war ein rechter Lumpenhandel gewesen, so viel war sicher! Und wenn erst Petra es erfuhr! Nein, er wollte ihr lieber fürs erste aus dem Wege gehen. Zwar hatte er ein Schnitzmesser, das er wohl kaum für etwas, das sie besaß, hätte eintauschen mögen, es müßte denn gerade ihre Mundharmonika sein; denn die war allerdings fein, die gab nicht nur einen Ton, wenn man hineinblies, sondern auch, wenn man den Atem einzog. Es wäre doch ein Spaß, sie sich mal ein bißchen anzusehen!
Vorsichtig zog er sein Schubfach ganz heraus und guckte in ihres hinunter. Richtig, dort lag sie, dicht am Rande unten auf dem Boden. Unwillkürlich führte er sie an die Lippen. Er fuhr zusammen, legte sie rasch wieder hinein, schob das Schubfach zu und bekam gerade noch so viel Zeit, daß er mit beiden Händen in den Hosentaschen dastand und zum Fenster hinaussah, als die Kammertür aufging. Er schielte über die Schulter und sah, daß es Petra war. Sie kniff die Lippen zusammen und sah ihn etwas mißtrauisch an, sie meinte doch ganz sicher, sie hätte einen Ton aus ihrer Mundharmonika gehört. Darauf ging sie rasch zur Kommode, öffnete ihr Schubfach und guckte hinein. Nein, sie lag dort; sie mußte sich also wohl verhört haben. Er konnte wohl auch kaum in ihre Schublade kommen, wenn sie selbst den Schlüssel hatte, obschon sie es nicht begreifen konnte – einmal hatte sie ganz deutliche Spuren von Zähnen in der Lakritzenstange bemerkt, und sie glaubte doch ganz bestimmt, daß sie immer ihr Stückchen vorsichtig mit dem Messer abgehackt hatte. Sie wußte wohl, daß er hinuntersehen konnte, wenn er das oberste Schubfach ganz herauszog, aber sie glaubte nicht, daß er das herausgefunden hatte.
Sie schob das Schubfach wieder zu und verschloß es. Darauf nahm sie eine freundliche Miene an und ging zu Jens hin:
Jens, wollen wir sehen, wer der reichste ist?
Jens drehte sich um und wollte hineingehen:
Nein.
Ha, du getraust dich nicht, weil ich es doch bin.
Nein, ich bins, denn ich habe das Stäbchenspiel.
Aber ich habe den Zwölfstein.
Ich habe den Sägemann.
Ich habe die Puppe.
Ich habe die Mühle.
Ich habe den Kuhstall.
Jetzt fing es an, windig mit Jens' Habseligkeiten auszusehen, und er besann sich ein Weilchen, bevor er mit seinen Trümpfen beginnen wollte.
Sie fuhr fort:
Und dann hab' ich die Mundharmonika.
Aber ich habe das Schnitzmesser.
Aber dafür habe ich den Sommerertrag von Kvitlin, und was hast du?
Ich habe – eigentlich war er fertig mit seinen Herrlichkeiten, aber da rief er: – ich habe drei Kräppelchen!
Uber das ist gar nichts gegen den Ertrag eines ganzen Sommers.
Nein!
Doch, sag' ich!
Sie kam näher, und Jens begriff: es war etwas im Anzuge, was man Haue nennt. Es war doch toll, daß sie stärker sein mußte als er.
Sie fuhr fort:
Willst du wirklich behaupten, daß es ebenso viel ist?
Jens antwortete kleinmütig:
Es ist beinahe ebenso viel, denn Kräppelchen sind gut!
Das letztere kam so unerwartet, daß sie anhielt. Ja, das meinte sie auch, und sie war ebenfalls friedfertiger, als sie hinzufügte:
Ja, Kräppelchen sind freilich gut, aber –
Da schoß ihm ein Gedanke in den Sinn. Er sah äußerst listig aus, als er fortfuhr:
Wieviel willst du mir für die Kräppelchen geben, die ich im Schubfach dort habe?
Sie sann nach:
Ja, mehr als die Hälfte von Kvitlins Ertrag will ich nicht geben.
Dafür sollst du sie kriegen, aber dann müssen wir auch Zeugen haben. Mutter, komm mal her! rief er durch die Tür hinein, und die Mutter kam.
Damit du's hörst, Mutter, ich soll den halben Sommerertrag von der Kvitlin haben für die Kräppelchen, die dort im Schubfache sind.
Ja, aber du mußt auch mit ihnen herausrücken.
Ja, nun ziehe ich die Schublade heraus.
Aber hier sind ja gar keine.
Ich habe bloß gesagt, du solltest die kriegen, die da wären, aber ich habe sie aufgegessen, und nun bin ich reicher als du.
Oho, du! – so warst du's auch, der von meiner Lakritzenstange abgebissen hat!
Jens wurde verwirrt:
Nein, nein! Ich habe ja gar nicht gewußt, daß man in deine Schublade hinuntersehen kann, wenn man meine herauszieht.
Da bekam er eine solche hinters Ohr, daß er taumelte:
Ich werde dich lehren, unehrlichen Handel treiben und in andrer Leute Schubfächer gehen, du frecher Spitzbub'!