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Die Bachstelze.

Es ist ein früher Morgen gegen Ende Mai. Wie eben der Rand der Sonne über dem Bergkamm im Nordosten emporkommt, und die ersten Strahlen das grasbedeckte Dach der Sennhütte streifen, wo welke Halme vom vergangenen Jahr sich im Sonnenwinde dehnen und strecken, läßt sich ein Bachstelzenpaar mit lautem, hellem Gezwitscher auf dem Dachfirst nieder.

Sie bleiben ein Weilchen still sitzen, wie um Atem zu schöpfen, wippen mit dem Sterz, weiten ihre Brust der Sonnenflut entgegen, und wie sie nach Osten hin blinzeln, sehen ihre Augen aus wie kleine, blanke Tautropfen. Endlich sind sie also wieder daheim!

Aus weiter Ferne kommen sie – viele Tage sind sie unterwegs gewesen – weit unten vom Nil herauf. Sie waren mit die ersten unter den kleinen Vögeln, die von dort aufbrachen; einige große waren schon früher davongezogen, und dann die Stare: bloß ein paar kleinere Schwärme von diesen waren vom Nordwind aufgehalten worden und gleich unterhalb der Alpen an den Bachstelzen vorbeigerauscht. Im Anfang waren auch sie nur ein einziger, ungeheuer großer Schwarm gewesen, der einigermaßen zusammengehalten hatte, bis sie Land in Sicht bekamen. Da aber trennten sie sich nach verschiedenen Richtungen, ein Schwarm nach dem andern schied sich aus, und in immer kleineren Haufen zogen sie, jeder nach seinem Tal, dorthin, wo sie geboren und zu Hause waren. Und wie sie durch die Täler hinaufzogen, schieden wieder einzelne aus, blieben bei Gehöften und Hütten zurück, während andre in noch kleinere Täler zogen, oder einer Bachspur folgend, gerade aufwärts stiegen, um ihr Heim auf dem grasbewachsenen Dache einer Sennhütte weit droben im Gebirge zu finden. Gestern abend waren sie dann bloß noch ihrer sechs gewesen, sie selbst, der Nachbar, der sich sein Nest vergangenes Jahr unten auf dem Dache der Nachbarsenne gebaut hatte, mit seinem Weibe, und endlich die beiden jungen Leute, die ihr erstes Nest in der Nähe ihrer beiden Eltern bauen wollten. Sie selbst hatten voriges Jahr nur zwei Junge zu retten vermocht – das eine hatte in eine Senne auf der andern Seite des Tales hineingeheiratet – und das andre hatte sich mit der einzigen Tochter des Nachbars zusammengeschlagen, dem auf der Ausreise im vergangenen Herbst zwei Kinder abhanden gekommen waren, und wollte in der Nähe wohnen. Gestern abend aber, als sie für die Nacht einkehren wollten, hatte der Nachbar das Pech gehabt, allzu heftig anzufliegen – er war so unbändig froh darüber, daß er seinem Heim so nahe war – er stieß an einen Knorren und brach zwei Flügelfedern. Er konnte also nicht weiter, und er und sein Weib beschlossen, diesen Sommer unten im Tal zu bleiben. Da wurde es so verabredet, daß die Jungen das Nest des Nachbars vom letzten Jahr bekommen sollten; dann brauchten sie nicht erst für ein neues Platz zu finden; denn damit waren solche junge Leute niemals vorsichtig genug, sie hatten immer solche Eile. Und so waren sie bloß noch ihrer vier, als sie in der hellen Morgendämmerung rasch den Hang hinauf stiegen. Sie begleiteten die Jungen nur bis an die Schwelle ihres Heims, um sie wohl untergebracht zu sehen – ja, das Nest war unberührt und lag geschützt. Aber sie ließen sich keine Zeit zum Ausruhen, trotzdem sie so weit geflogen waren. Auch ihnen selbst eilte es, heimzukommen. Und nun saßen sie auf dem Dach der Sennhütte.

Ein behaglicherer Platz fand sich aber auch nirgendwo, soweit sie gereist waren. Er lag frei, nach allen Seiten sah man nichts als blaues Gewölk, Sonne gab es und leisen Wind und feines Gras, das lieblich duftete und sich im Winde dehnte und streckte. Und Nahrung gab es genug; unten breitete sich der Tannenwald bis an den Fluß hinunter, und dort wimmelte es von feinen, langbeinigen Mücken und winzigen Insekten; und im Sommer, wenn das Vieh heraufkam, brauchten sie sich nicht einmal so weit zu bemühen: da kamen die Fliegen zu Tausenden zusammen mit dem Vieh bis hinein in den Kuh- und Schafstall; da brauchte man bloß von Kuhrücken zu Kuhrücken zu wippen und sie zu holen, große, fette Bremsen als Hauptgericht – und die konnte man allerdings brauchen; denn da waren Junge da, und es war unglaublich, wie viel die verzehren konnten – und dann die feinen, langbeinigen Mücken zum Nachtisch. Und die Kühe waren dankbar dafür, daß sie sie von den Fliegen befreiten, schlugen nicht einmal mit dem Schwanze, wenn sie auf ihren Rücken hin und her hüpften, und warteten, bis die Bremsen aufflogen; denn es war ja doch am allerlustigsten, sie in der Luft zu fangen.

Sie saßen eine Weile still und sahen sich um; darauf wünschte der Bachstelzenvater seiner Frau: willkommen daheim! und sie sagte: Danke schön, gleichfalls! Dann begannen sie herumzutrippeln. Vor allem mußten sie nach dem Nest unter dem Brett sehen, das oben auf dem Dach rund um den Schornstein herumging; ja, das Nest war noch da, zwar etwas flach gedrückt und zerzaust, aber es bedurfte weiter keiner großen Reparatur. Sie konnten sich erst etwas umsehen, ob irgendwelche Veränderungen zu bemerken waren, und wie es mit der Nahrung stand.

Sie waren doch wohl heuer etwas zeitig gekommen; der Schnee lag noch immer auf den höchsten Berghängen, und, soviel sie sehen konnten, gab es noch keine Fliegen in der Luft. Es war ihnen unbegreiflich, wie die Stare, die doch auch nur von Fliegen lebten, sich durchschlagen konnten, und sie waren doch schon gekommen, als noch überall Schnee lag. Aber jetzt war es ja kein Kunststück mehr; das grüne Gras quoll bereits auf der Sennenwiese hervor, um den Kuhstall herum stand es schon ganz dicht; wenn erst die Sonne drauf schiene, würde es von Gewürm nur so wimmeln, das sie dann bloß aufzupicken brauchten. Sie mußten gleich einmal auf einen Sprung hinunter und nachsehen.

Bald darauf saßen sie auf einem Steinhaufen dicht unterhalb der Gebäude, munter wippend und zwitschernd. Wie sie sich eben niedergesetzt hatten, war es dem Bachstelzenvater gewesen, als sähe er einen Schatten, der in einem Loch des Steinhaufens verschwand. Er gab seiner Frau einen Wink, und sie blieben eine Weile aufmerksam sitzen. Sollte es eine Maus gewesen sein? Dort konnten sie einen kleinen Weg sehen, der vom Steinhaufen weg nach einem Loch in der Mauer unter der Sennhütte hinführte. Nein, das war sicher nicht von einer Maus.

Wupp flog das Männchen auf die andre Seite des Steinhaufens. Ja, da bekam er den Burschen zu sehen; er hatte sich so weit vorgestreckt, daß er nicht schnell genug zurückschlüpfen konnte. Er schmatzte bloß ein paar Mal überrascht, schlüpfte dann wieder hinein und steckte gleich darauf den Kopf aus einem andern Loche hervor, blinzelte munter und schmatzte von neuem. Sie grüßten ihn zwitschernd und blieben sitzen; sie konnten ihn immerhin begrüßen und Bekanntschaft machen, denn so flink das Wiesel auch war, es war doch nicht flink genug, um sie zu fangen; und das wußte es übrigens auch selbst und versuchte es deshalb auch gar nicht, sie konnten also immerhin gute Freunde sein.

Aber so recht gefiel ihnen diese Nachbarschaft nun doch nicht. Das Wiesel war heuer hier herauf gezogen, vergangenes Jahr hatte es sich unten am Flusse aufgehalten. Aufs Dach konnte es immer hinaufkommen, und die Eier waren es, die es stehlen wollte, und die stahl es so verschmitzt, daß man es gar nicht einmal merkte. Sie kannten eine Drossel, die voriges Jahr die ganze Zeit ihre Eier in einem kleinen Tannenbusch unten am Flusse gelegt hatte und den ganzen Sommer nicht hatte begreifen können, wo ihre Eier hinkamen.

Nun wurde es doch fraglich, ob sie das alte Nest noch gebrauchen konnten. Seine Öffnung war zwar nicht groß, aber das Wiesel war so schmal, daß es überall hindurchschlüpfen konnte, wo sie selbst durchkamen.

Sie flogen wieder auf, hinter den Schornstein, trippelten darauf wieder nach vorn und lugten, jedes nach seiner Seite. Ja natürlich, dort streckte sich das Wiesel bis zur Hälfte aus dem Loch hervor und beobachtete, den Kopf zur Seite geneigt. Es wollte offenbar sehen, wo sie sich einrichteten. Da mußten sie schon einen andern Platz suchen, wo sie kommen und gehen konnten, ohne gesehen zu werden, und am liebsten einen, wo es nicht hinkommen konnte. Aber da mußten sie sich beeilen, es nahm Zeit, ganz frisch zu bauen, und allzulange durften sie nicht damit warten, die Jungen mußten im Herbst ganz flügge sein, wenn sie nach dem Süden reisen sollten.

Sie flogen, jedes nach einer andern Richtung, und suchten und suchten. Oben auf irgend einem Dache konnte es nichts nützen. Sie mußten sich eine Stelle aussuchen, wo man Flügel haben mußte, um hinzukommen. Nach einer Weile kam die Bachstelzenmutter ganz stolz aus dem Kuhstall heraus und meldete, sie habe etwas gefunden, das für sie geradezu wie geschaffen sei.

Im Kuhstall selber war oben im Dachfirst eine Zwischenwand, die bloß bis zur Hälfte herabging – Kühe wie Menschen konnten also bequem darunter durchkommen – und zwischen die beiden niedersten Balken war ein kleiner Trog mit dem einen Ende so hineingezwängt, daß er, mit der Aushöhlung nach oben, von der Wand hervorstand: wie gemacht dazu, um mit Stroh, Haaren und Daunen ausgefüllt zu werden und in der Mitte ein Nest zu geben. Es war zwar nicht höher, als daß ein Mensch hinaufreichen und es wegnehmen konnte, aber es war kaum anzunehmen, daß jemand darauf verfallen würde, vor den Kühen war ihnen nicht angst, und das Wiesel konnte nicht dorthin kommen, selbst wenn es des Nestes gewahr wurde.

Das war ausgezeichnet. Sie wollten sofort mit der Einrichtung beginnen; aber sie mußten listig zu Werke gehen, tun, als ob sie auf der alten Stelle bauten. Dort war ein Loch auf der Vorderseite des Schornsteins und wieder eins hinten heraus. Sie machten sich sofort daran, Stroh herbeizutragen, nahmen es unten vom Steinhaufen, dem Wiesel gerade vor der Nase weg, schlüpften auf der Vorderseite hinein und auf der Rückseite wieder hinaus, wo das Wiesel sie nicht sehen konnte, und darauf durch einen großen Riß in der Mauer in den Kuhstall hinein.

Sie arbeiteten fleißig, aber der Trog war nicht so klein, wie sie gedacht hatten, und es dauerte einige Tage, bis sie genug Stroh hatten; als dies getan war, ging es schneller; denn nun verwandten sie die Haare und Daunen aus dem alten Nest, nahmen alles gut zusammen und benutzten auch jede Daune, die ihnen selbst während der Arbeit ausfiel. Endlich waren sie fertig. Da unternahmen sie einen Ausflug hinunter, um einmal bei den Jungen vorzusprechen. Ja natürlich! das waren Leutchen, die Eile hatten; sie hatten schon vier Eier, morgen erwarteten sie das letzte, und übermorgen wollten sie ans Brüten gehen. Die Großmutter sah sich die Eier an und fand sie nicht so übel. Aber mehr als vier Tage Vorsprung sollten sie nicht bekommen; sie selber konnte jeden Tag ein Ei legen, wenn sie nur erst anfing.

Und nun hatten sie das Haus fertig und sie konnte anfangen, – sie wollte noch jeden Tag bei ihnen vorsprechen, bis sie zu brüten anfing, aber viel Zeit behielt sie kaum übrig, deshalb mußten sie selber zusehen, wie sie allein fertig wurden.

Darauf verstrichen einige Tage, wo der Bachstelzenvater manche Stunde allein war und am Loche vor dem Schornstein saß und zwitscherte, während das Wiesel im Steinhaufen aus- und einschlüpfte und beobachtete; nun mußte es sicher bald Eier geben, nun galt es, aufzupassen, wann die beiden eines Tages ausgeflogen waren, sich aufs Dach hinaufzuschleichen und ein paar zu stibitzen, dann legten sie mehr; denn solche Vögel waren nicht flink im Rechnen, die fuhren fort, Eier zu legen, bis das Nest voll war.

Endlich sah das Wiesel eines Tages, daß sie beide zusammen waren zu einer Zeit, wo Vater Bachstelze sonst allein zu sein pflegte, und daß sie dann zu der Nachbarsenne hinunterflogen. Da schlüpfte es hurtig hervor, kletterte auf den Zaun hinauf, von da auf das Dach und schlüpfte in das Loch hinein.

Hatte man etwas Ähnliches gesehen! Hohl quer durch und nicht die Spur von einem Nest! So hatten sie es also angeführt; es sah rasch an allen denkbaren Stellen auf dem Dache nach und schlüpfte darauf wieder herab, hüpfte gerade von dem Zaun herunter in dem Augenblick, als die Bachstelzen wieder wippend auf dem First saßen. Es schnupperte den Zaunspfahl hinauf und tat so gleichgültig, als denke es an ganz andre Sachen als an das Dach. Ob sie etwas gemerkt hatten? Jedenfalls wollte es sich nun auch auf der andern Seite des Steinhaufens ein Schlupfloch einrichten, wo es den Ausgang beobachten konnte; vielleicht gelang es ihm auf diese Weise, ausfindig zu machen, wohin sie flogen.

Nun kamen Tage, wo das Wiesel fast nie mehr als eins von ihnen zu sehen bekam; das andre lag vermutlich auf den Eiern und brütete. Aber offenbar hatten sie gemerkt, daß es herumgeschnüffelt hatte; dasjenige von ihnen, das draußen war, saß, woher es auch kam, immer erst eine Weile oben auf dem Dachfirst und spähte, bis es endlich herausgefunden hatte, in welchem Steinhaufen das Wiesel stak, und gleichgültig, ob sie Futter brachten oder sich im Brüten ablösten, immer schlüpften sie auf der Seite hinein, wo es war, und jedenfalls auf der andern Seite wieder hinaus; denn weg waren sie, und weg blieben sie, bis sie endlich wieder aus dem Loche herauskamen.

Das Wiesel lauerte und grübelte viele Tage lang, aber es wurde darum nicht klüger.

Eines Tages trat plötzlich eine Veränderung auf der Senne ein; es gab Leben, Lärm und Geschrei: die Viehherde kam herauf, Rinder wie Kleinvieh, und die Leute.

Das Wiesel huschte auf seinen gewohnten Wegen umher, fand das Treiben nur lustig – denn eine Katze hatten sie offenbar nicht mit, das hatte es gleich gesehen – und nun gab es Fisch wie auch andres zu naschen, und Fisch war das Beste, was es kannte. Aber die Bachstelzen fingen nun doch an, es fast zu bereuen, daß sie den Kuhstall gewählt hatten; denn unruhig wurde es dort, und man war niemals ganz sicher.

Als das Vieh am ersten Abend im Stall angebunden wurde, paßten sie genau auf. Der Bachstelzenvater lag in eigener Person ganz still auf den Eiern, und die Mutter saß eben so still und ruhig in der Öffnung zwischen den beiden Balken, von wo aus sie den Stall übersehen konnte.

Die Sache ging mit großem Getöse vor sich, bis endlich alle ihre Stände gefunden hatten, und der Bulle, der gleich vor dem Guckloch stand, rannte mit den Hörnern gegen die Wand. Der ganze Kuhstall erbebte, und einen Augenblick fürchteten sie, der Trog könnte herunterfallen; aber der saß so fest, daß es keine Gefahr damit hatte. Darauf wurde es fast still, und sie glaubten schon, es würde ohne weiteren Schrecken abgehen. Aber da kam auf einmal die Sennerin und griff, ehe sie sich etwas Schlimmes versahen, wie aus alter Gewohnheit nach dem Trog und nahm ihn herunter. Sie schraken beide zusammen und schrieen laut auf, und als sie einigermaßen wieder zur Besinnung gekommen waren, begannen sie schreiend über dem Kopf der Sennerin hin und her zu flattern. Jetzt merkten sie erst, daß sie den Salztrog, aus dem die Sennerin das Salz für die Kühe nahm, zum Nest gewählt hatten.

Die Sennerin sah ganz verwundert auf und guckte darauf in den Trog hinein. Sie blieb eine Weile stehen und dachte nach, dann rief sie den Hirtenjungen herbei, zeigte ihm die fünf kleinen Eier und sagte etwas. Darauf hob sie den Trog vorsichtig empor und wollte ihn schon wieder auf seinen Platz setzen, besann sich aber eines Bessern und sagte wieder etwas zu dem Jungen. Der kam darauf mit einem Melkschemel, auf den sie hinaufstieg, und nun setzte sie den Trog vorsichtig auf den nächst höheren Balken.

Sie wurden so froh, daß sie sich beide auf die oberste Kante des Balkens setzten und zu ihr herunterwippten, fast noch bevor sie den Trog weggesetzt hatte; nun wußten sie erst wirklich sicher, daß sie unbekümmert sein konnten, jetzt wo die Sennerin selbst es verboten hatte, sie zu behelligen. Sie sahen denn auch, daß sie sofort ein andres Gefäß anstatt des Troges als Salznapf in Gebrauch nahm.

Auf einmal fühlten sie sich noch viel heimischer und sicherer, und der Kuhstall füllte sich auch fast sofort mit einer solchen Menge Fliegen, daß sie nicht länger ihr Futter draußen zu suchen brauchten. Aber das Wiesel sollte immer noch nicht zu wissen bekommen, wo sie sich aufhielten.

Die Zeit verging, und bald bekam die Stelzenmutter eine unwiderstehliche Sehnsucht, ihre Tochter zu besuchen; nun war ja ungefähr die Zeit, wo diese Junge bekommen sollte; und eines Tages zog sie denn von dannen, bloß auf einen kurzen Besuch. Die Jungen waren bereits angekommen, lagen ganz nackt und bloß da, rissen die Mäuler auf und schrieen nach Futter; und die jungen Eltern warteten ihre Kinder gar nicht so übel, wenn man bedachte, daß sie doch noch nicht das richtige Geschick haben konnten: den Kleinen tat es bloß gut, wenn sie sich ein bischen ausschrieen, sie sollten nicht den ganzen Tag mit Essen vollgestopft werden; wenn sie aber nicht allzu sehr verzogen wurden, dann konnten sie wohl ihrer Großmutter ähnlich werden. Ja – und wenn die Tochter erst etwas mehr Zeit bekam, dann sollte sie zu ihr auf Besuch kommen, denn in drei Tagen konnte sie sich ihre heurigen Geschwister ansehen.

Kurze Zeit darauf hatten auch die Alten fünf Schreihälse, und da gab es genug zu tun, und zum Besuchemachen blieb wenig Zeit. Es war nicht einmal Zeit, um die Bremsen und Mücken in der Luft zu fangen, man mußte sich einfach auf den Kuhrücken setzen und da zulangen, wo sie am dicksten saßen, um die hungrigen Schnäbel der Schreihälse nur einigermaßen zu stopfen; denn die Großmutter konnte es nun auch nicht übers Herz bringen, ihre eignen schreien zu lassen. Der Bulle war besonders gut zum Fliegenfangen, er hatte sich herumgestoßen und dabei einen blutigen Riß über der Lende bekommen, wo nun die Bremsen immer dicht gedrängt saßen, und dann war er immer so putzig, wenn er gutmütig still hielt und mit seinen Augen, die so groß waren, daß sie sich förmlich in ihnen hätten verkriechen können, zusah, wie sie die Fliegen aufpickten.

Waren die Jungen aber tüchtige Esser, so wuchsen sie auch heran; erst bekamen sie einen weichen Flaum, und nach und nach wurden richtige Federn daraus, an den Flügeln wie am Sterz. Anfangs hatten sie bloß den Kopf hochheben und den Schnabel aufsperren können, wenn die Eltern mit Essen kamen, aber jetzt konnten sie schon ihre Flügel bewegen und vor allem auch die Beine, und bald wurden sie so groß, daß es eng im Neste wurde, zwei wurden immer bis an den Rand hingestoßen. Die Alten paßten im Anfang scharf auf. Als sie aber eines Tages die Flügel genau untersucht hatten, einigten sie sich dahin, daß die Jungen nun tun und lassen könnten, was sie wollten. Es dauerte denn auch gar nicht lange, bis das eine über den Rand des Nestes hinausgestoßen wurde. Es sah aus, als ob es kopfüber hinunter auf den Boden fallen würde, aber kaum war es in der Luft, da fühlte es sich auch schon als Vogel, breitete seine Flügel aus und steuerte auch soweit mit dem Sterz, daß es schräg durch den ganzen Stall bis in die eine Ecke segelte. Da aber mußte der Vater Bachstelze nach und mit dem Unterricht beginnen; beide gaben sich die erdenklichste Mühe, aber am ersten Tage brachten sie es doch nicht weiter, als daß der Kleine bis auf einen Milchschemel hinauffliegen konnte. Auf dem mußte er die erste Nacht, die er außerhalb des Nestes zubrachte, hocken bleiben. Tags darauf begannen sie aber schon in der Frühe von neuem; er kam immer höher, zuerst bis aufs Fensterbrett hinauf, dann bis auf die Kante eines Standes. Er fiel freilich mehrere Male wieder herunter, war noch nicht sicher genug, um genaues Ziel zu nehmen und festen Fuß zu fassen; aber noch vor Abend gelang es ihm, sich vom obersten Rande des Standes schräg emporzuschwingen und genügend hoch zu zielen, um über den Rand des Troges zu kommen und gerade in das Nest hineinzupurzeln; da war er aber so stolz, daß er nicht dort bleiben wollte, sondern sich wieder aufraffte und eine halbe Elle vorwärts auf den Dachbalken flatterte und sich dort niedersetzte. Dann wurde ein andres zum Neste hinausgestoßen, und so ging es der Reihe nach; und mit dem Fliegenlernen der Letzten ging es immer schneller, weil diese ja um vieles älter und stärker geworden waren. Zum Schluß übten sie sich alle ein paar Tage, aber des Nachts hielten sie sich ans Nest.

Dann kam endlich der Tag, wo die Stelzenmutter sich mit ihnen draußen zeigen wollte, der Tag, an dem sie zum ersten Mal aus dem Kuhstall herauskommen sollten.

Aber dazu wollten sie Zuschauer haben, das sollte das Wiesel zu sehen bekommen. Dies hatte immer noch nicht herausgefunden, wo sie eigentlich steckten; denn sie waren es so gewohnt geworden, den alten Weg zu benutzen, wenn sie draußen waren, daß sie es die ganze Zeit getan hatten, ohne sich etwas dabei zu denken. Das Wiesel hatte sie sicherlich auch vergessen. Seitdem es Eßwaren im Vorratshause gab, hielt es sich meistens in der Hausmauer selber auf. Aber sie wußten, es war so neugierig, daß es sich schon herauslocken ließ.

Eines Tages, als es auf der Senne ganz still war, da alle ausgeflogen waren, benutzte Vater Bachstelze die Gelegenheit und flog dem Wiesel, als es eben hervorlugte, an der Nase vorbei, ließ sich dicht neben ihm nieder, wippte eine Weile und trippelte dann um die Ecke. Und richtig, es guckte ihm nach. Vater Bachstelze wippte wieder ein bischen und trippelte um die andre Ecke; es kam auch nach; nun war Vater Bachstelze dicht bei der Stalltür und trippelte hinein. Bald darauf sah er das Wiesel neben dem Türpfosten hervorlugen. Da begann er zu zwitschern; Mutter Bachstelze, die, alle ihre Jungen um sich, auf dem Rande des Nestes bereit saß, antwortete zwitschernd, breitete die Flügel aus und segelte sachte geraden Weges zur Stalltür hinaus und ihre Jungen hinter ihr drein in einer Linie, wie auf eine Schnur gezogen. Ihr erster Ausflug galt den Verwandten unten auf dem Dache der Nachbarsenne.

* * *

Der kurze, starklebige Gebirgssommer geht zu Ende. Die Bachstelzen kommen nun nicht mehr zum Nest zurück, selten auch in den Kuhstall, außer um Futter zu finden. Die Nächte werden lang und finster, die Tage kürzer, die Sonne brennt nicht mehr, Bremsen und Mücken sind verschwunden, nur Fliegen und Käfer gibt es noch. Die beiden Bachstelzenfamilien unternehmen am Tage lange Ausflüge, des Nachts suchen sie zusammen die geschütztesten Stellen auf, die sie finden können, und sitzen dicht beieinander.

Eines Morgens ist Eis auf den Wasserlachen, und in der Ferne hat der erste Schnee über die hohen Berge ein weißes Tuch gebreitet mit langen Fransen die Talsenkungen hinab. An dem Morgen werden die Rinder zwar auch losgebunden, wie sonst, aber sie bekommen die Stallleine mit um den Hals. Es wird einsam und still auf der Senne, in ein paar Tagen werden auch die Fliegen weg sein. Das Wiesel haben sie auch in der letzten Zeit nicht mehr gesehen, es ist wohl auf einem Ausflug, um sich nach einem Winterquartier umzusehen.

Dann ist es eines Morgens, anfangs September, gleich nachdem es hell geworden. Auf dem Dach der Sennhütte sind nun beide Bachstelzenfamilien versammelt – vierzehn Personen. Die Alten haben die Versammlung anberaumt; heute wollen sie ins Dorf hinab, um den Nachbar vom vorigen Jahr zu treffen und zu sehen, ob es nicht an der Zeit ist, nach den südlichen Landen zu ziehen.

Sie sitzen still und sehen sich um, es fällt ihnen doch etwas schwer, alle die herrlichen Erinnerungen vom Sommer zu verlassen. Dort sehen sie auch das Wiesel; es ist heimgekommen; aber jetzt steht es ganz draußen auf dem Steinhaufen, und sein Pelz ist fast weiß geworden. Sie wissen nicht recht, sollen sie es bedauern, daß es nicht mit ihnen ziehen kann, oder beneiden, weil es so geschaffen ist, daß es zurückbleiben kann.

Dann fliegt Vater Bachstelze zwitschernd auf. Die andern folgen. Sie fliegen dicht an dem Wiesel vorbei und zwitschern ein schwermütiges Lebewohl.

Das Wiesel bleibt stehen und sieht ihnen nach, bis sie wie ein Streifen unten am Hange verschwinden. Darauf schlüpft es in den Steinhaufen hinein; das letzte, was man sieht, ist seine schwarze Schwanzspitze, die verschwindet, und dann ist es still auf der Senne.

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